AUF DEM FRIEDHOF HATTEN irgendwelche Kids in der Nähe des schwarzen Engels eine Party gefeiert, Bierflaschen an den Grabsteinen zerschlagen und Müll liegen gelassen. Höchstwahrscheinlich welche aus der Highschool. Mr. Goynes entdeckte den Müll zuerst und tauchte gegen Mittag auf, um Glenda und mich zu beschimpfen – warum wir denn die Kids nicht in der Nacht gehört und verscheucht hätten. Dazu seien wir doch da, sagte er vier oder fünf Mal. Deshalb wohnten wir doch in dem Haus. Da dürfe er das doch erwarten.
Der schwarze Engel war eine ganz besondere Grabfigur, die am anderen Ende des Friedhofs in einem Kreis von Kiefern stand, und wahrscheinlich hätte nur ein preisgekrönter Spürhund oder eine alte Frau mit Schlafproblemen von unserem Haus aus die Partygeräusche dort hören können. Der schwarze Engel war drei Meter hoch und stand auf dem Gemeinschaftsgrab einer Gruppe von Teenagern, die vor vielen, vielen Jahren auf einer Tanzveranstaltung gestorben waren. Im Saal war wohl Dynamit oder Gas oder Gott weiß was explodiert und hatte die Teenager in Holzkohle verwandelt. Keiner hatte sie hinterher mehr auseinanderhalten können. Achtundzwanzig Tänzer lagen unter dem schwarzen Engel, und andauernd kam jemand, der hoffte, dass der schwarze Engel irgendwelche Spukkräfte angenommen hätte, weil er doch auf einer so großen Zahl von jungen Toten stand. Oft stellten Jugendliche Kerzen zu Füßen des schwarzen Engels ab. Oder sie sangen ihm etwas vor. Oder schmierten ihm Lippenstift auf den Mund. Wachstropfen überzogen seine Wangen wie gefrorene Tränen. Zigarettenstummel und Chipstüten lagen herum. Bierflaschen waren zerschlagen worden, und das Bier war über das große Grab geflossen und zu den vielen durstigen toten Tänzern hinabgesickert.
Als Mr. Goynes verschwunden war, schnappten Glenda und ich uns einen Mülleimer, einen dieser stämmigen Sorte aus Metall, ich nahm einen Henkel, Glenda den anderen. Dann zerrten wir den Mülleimer bis zu dem Dreck am schwarzen Engel.
»Na, dann herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte ich.
»Das hier wird ihn uns nicht verderben, Shug.«
Das Wetter war einfach perfekt. Im T-Shirt fühlte sich die Hitze gerade richtig an. Der Himmel war von einem Ende bis zum anderen aus reinstem Blau. Das Gras roch gut.
»Das ist ja ein ganz schöner Verhau«, sagte Glenda. Auf dem Steinfuß waren Kerzen zu harten Pfützen geschmolzen. Glasscherben waren ein ganzes Stück weit geflogen und versteckten sich im Gras. »Wenn wir uns beeilen, können wir vielleicht noch Kuchen backen.«
»Der Kuchen ist deine Sache, Glenda. Wie alt bist du jetzt eigentlich geworden?«
»Ich war noch ein Kind, als du geboren wurdest.«
Ich klappte mein Messer auf, um das Wachs vom Engel zu kratzen. Sie sammelte den Müll ein und warf ihn in den Eimer.
»Neunundzwanzig?«
»Ein schönes Alter. Aber nein.«
»Dreißig?«
»Mein Alter ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, Schätzchen.«
»Einunddreißig?«
»Stopp – noch eins weiter und ich müsste lügen, und das will ich nicht.«
»Ach, wirklich?«
Sie hielt einen Haufen Glasscherben mit beiden Händen und ließ ihn in den Mülleimer fallen.
»Gib Ruhe, du kleiner Schlaumeier.«
Wir machten uns wieder daran, den Müll aufzusammeln und in die Tonne zu werfen. Ich kam nicht bis ans Engelsgesicht heran, also überließ ich es der Zeit, die gefrorenen Tränen und den Lippenstift verschwinden zu lassen. Glenda war da und dort, streckte sich, sprang umher, schuftete wie in einer Fitnessstunde.
»Schau mal«, sagte sie. Sie stand seitwärts zu mir und posierte mit eingezogenem Bauch. »Kein Bäuchlein mehr, siehst du?«
»Hm.« Ich war plötzlich ganz ausgedörrt, hatte Durst nach einer Cola oder Wasser oder was auch immer, mein Mund war trocken. »Wenn du eins hättest, würde man es in den kurzen Hosen auf jeden Fall sehen. Und man sieht nichts.«
»Danke schön, Sweet Mister.«
Ich schätze, wir brauchten knapp eine Stunde zum Aufräumen. Es gab viel zu tun, wir beugten uns runter und kratzten herum, knieten uns hin und standen wieder auf. Glenda schaute ziemlich oft in meine Richtung und schien sich etwas zu fragen, aber sie sagte nicht viel. Die Tonne wieder zurückzuschleifen war anstrengend, wir blieben ein paarmal stehen, um Atem zu schöpfen, und bei einer der Pausen fragte sie: »Shug, hast du schon, na ja – das soll dir jetzt nicht peinlich sein – aber wachsen dir schon Haare?«
»Was?«
»Wachsen dir schon Schamhaare?«
»Also wirklich, Glenda!«
»Schon, oder?«
»Ich bin dreizehn! Ich bin kein Baby mehr, weißt du?«
»Nein, nein, natürlich nicht.«
»Und ich hab Haare. Ich hab Haare wie jeder andere Mann.«
Glenda grinste und schob ihre Unterlippe vor. Sie wuschelte mir die Frisur durcheinander. Sie lachte sanft.
»Aber du bist nicht wie jeder andere Mann, Shug. Wirklich nicht. Du bist mein Sweet Mister, und das ist was Besonderes.«
»Nur für dich«, entgegnete ich. »Soweit ich das sehe.«
»Und findest du nicht, dass das absolut in Ordnung ist, Schätzchen?«
Ich konnte sie nicht anschauen und antwortete ihr, indem ich weiterlief. Ich ging zur Mülltonne, legte meine Arme unter beide Griffe, hob die Tonne hoch und wuchtete sie allein zum Schuppen. Ich stöhnte und schnaufte; Glenda sagte kein Wort mehr, aber ich sah, dass sie lächelte.
Am liebsten mochte Glenda den Kuchen mit der Glasur, die leicht ins Rosa ging, mit halben Kirschen drauf. Sie mixte die Glasur in meiner Schüssel und tröpfelte Kirschsaft hinzu, davon wurde sie rosa. Sie strich die Glasur über den Kuchen. Dann drückte ich die knallroten Kirschen in einem Muster darauf, das mir selbst erst als solches aufging, als ich schon halb fertig war.
»Ich brauche noch mehr süße Kirschen.«
»Du hast schon das ganze Glas aufgebraucht. Das reicht. Was machst du denn da?«
»So was wie Dominosteine auf der Seite und einen großen Stern obendrauf.«
»Bist ja fast fertig, Schätzchen.«
»Wenn ich noch mehr Kirschen hätte …«
»Ist schon gut.«
»Ist es nicht.«
»Du bist fertig, meine ich.«
Sie gab mir die Glasurschüssel, damit ich den Rest auslecken konnte. Ich nahm einen Finger und war schnell damit fertig. Glenda rauchte und sah aus dem Fenster. Sie blickte nach oben, offenbar hatte der Himmel ihre Aufmerksamkeit geweckt. Als sie ausatmete, kam zu dem Qualm noch ein Geräusch, ein nicht so glücklicher Seufzer, eher ein Stöhnen.
»Was würdest du dir erträumen, wenn du es kriegen könntest«, fragte ich sie.
»Zu viele Dinge.«
»Zum Beispiel?«
»Ach, Shug, ich weiß nicht. Außerdem sind das, was wir Träume nennen, in Wirklichkeit meistens Wünsche. Ein Wunsch ist aber was ganz anderes als ein Traum. Ich bin nicht sicher, was von beiden wohl eher erfüllt wird.«
Ich stand neben ihr und sah zur Fliegentür hinaus, sie hielt mir die Zigarette an die Lippen, damit ich ziehen konnte. Ich ließ den Qualm in dünnen Rinnsalen aus dem Mund gleiten.
»Also gut, was wünschst du dir?«
»Was ich mir wirklich wünsche, das kann ich nicht laut sagen.«
»Dann sag es leise.«
»Hab ich schon.«
Glenda ging aufs Klo, und ich hörte die Zigarette zischen. Glenda kam sofort wieder in die Küche, legte ihre Arme ganz um mich und drückte mich an sich. Sie küsste mir leicht auf den Kopf. Ihre Hände strichen mir über den Nacken.
»Kein Grund, noch länger zu warten«, sagte sie. »Lass uns Kuchen essen.«
Red tauchte mit Seide auf. Er hatte auch noch anderes Zeug dabei, aber nur die Seide zählte. Er kam mit Basil im Schlachtschiff an, zusammen trugen sie die Beute ins Haus. Sie bauten einen kleinen Stapel aus Schachteln auf, in denen Toaster waren, und machten einen Haufen aus Herrenanzügen, neben den sie links und rechts zwei volle Einkaufstüten stellten. Basil hatte einen frischen Schnitt am Kinn, der Schorf wollte nicht richtig trocknen. Red bewegte sich, als würden ihm die Rippen wehtun, irgendwie gebeugt und gebremst, wenn er sich umdrehte. Als sie die Beute hereingetragen hatten, nahmen sie sich Bier aus dem Kühlschrank und besahen sich ihren Fang. Dann kauerte sich Red langsam und vorsichtig neben eine Einkaufstüte. »Happy Birthday, Mädchen«, sagte er. »Ich hab was für dich.«
»Nein, danke.«
»Warte erst mal, bis du es siehst.« Er steckte seine Pranke in eine schwarze Tüte, auf der in weißen Buchstaben der Name des Geschäfts stand, und zog eine gelbe Bluse heraus. »Na, ist das ein Fang?«
»Hm, ist … ist das Seide?«
»Da kannst du drauf wetten«, sagte Basil. »Wir hatten es zwar nicht gerade auf Seide abgesehen, aber als wir darauf stießen, da hat Red, also, Red hat an dich gedacht. Da haben wir sie mitgehen lassen.«
Glenda stützte eine Hand in die Hüfte und hielt sich die andere an die Wange. Sie schien ein wenig zu grübeln. Ihr Gesicht nahm eine andere Farbe an. Sie summte zwei, drei Mal einen Liedfetzen, dann fragte sie: »Richtige Seide? Reine Seide? Oder so ein blödes Seidengemisch?«
»So richtig, wie es nur geht«, antwortete Red. »Vollkommen reine orientalische Seide von irgendwo aus Asien. Außerdem gefällt mir diese Farbe an dir.«
»Wirklich?«
»Bringt deine Augen besser zum Strahlen als der meiste Schmuck.«
Ihre Hand strich immer wieder über die Seide. Sie streichelte die orientalische Bluse, als würde die gleich schnurren oder ihr drei Wünsche erfüllen. Dann steckte sie ihre Nase hinein.
»Mein Gott, fühlt sich der Stoff gut an. Ich war schon immer verrückt nach Seide. Das weißt du ja vielleicht. Seide, Seide bedeutet etwas.«
»Na los, zieh an, Mädchen. Lass uns mal sehen, wie du in neuer gelber Seide aussiehst. Na los. Sie gehört dir, kapiert?«
»Ich schätze, das mache ich.«
Glenda nahm ihr Geburtstagsgeschenk, ging aus der Küche ins Schlafzimmer und schloss die Tür.
»Sie freut sich«, sagte Basil. »Gut, dass du dran gedacht hast.«
»Keine Ahnung, warum.«
»Trotzdem nett.«
Basil beugte sich über die Spüle, warf sich Wasser ins Gesicht und fuhr sich ein paarmal mit der Bürste über die Zähne. Red schaute mich an und es schien so, als hätte ich mich in seinen Augen plötzlich irgendwie verbessert; aber vielleicht hatte er auch gerade nur das richtige Maß an Dröhnung erreicht. Sein Gesichtsausdruck verwirrte mich völlig. Glendas Zigaretten lagen auf dem Tisch, ich nahm mir eine und zündete sie an, als seine Pranken auf meinen Schultern landeten und zudrückten.
»Also sag mal, Junge, was hat die Hexe in letzter Zeit so gemacht?«
»Nur, was sie auch machen soll.«
»Und das wäre?«
»Haushalt. Friedhofssachen.«
Seine Hände drückten fester zu.
»Weißt du, Junge, wir kommen nicht so gut miteinander aus, sie und ich, aber ich liebe diese Hexe einfach.«
Ich sah zu Boden, als er das sagte, seine Hände ließen mich los, ich ging zur Fliegentür. Drei Eichhörnchen jagten sich gegenseitig in Kreisen über das Dach des Schuppens. Die Bäume im Hof rauschten in einer leichten Brise, der Wind zog durch das Fliegengitter und fächerte mir über das Gesicht. Das hintere Fenster auf der Beifahrerseite des Mercury war herausgeschlagen. Auf dem Rücksitz lag weiteres Seidenzeug, Seide, die wohl für jemand anderen bestimmt war, nahm ich an.
»Wo hast du denn den Glimmstängel her, Shug?« fragte Basil.
»Aus Glendas Schachtel. Auf dem Tisch.«
»Meinst du, es macht ihr was aus, wenn ich eine nehme?«
»Brauchst gar nicht erst fragen«, sagte Red.
Sie nahmen sich welche von Glendas Zigaretten, griffen nach ihren Bierflaschen und lehnten an der Spüle.
Glenda kehrte zurück; sie hatte sich von oben bis unten neu angezogen. Sie trug eine schwarze, sehr eng sitzende Hose, Schuhe mit hohen Absätzen und die gelbe Seidenbluse. Die Haare hatte sie sich schöngebürstet. Die Seide schmiegte sich wunderschön an sie, und sie posierte ein wenig, um es uns zu zeigen.
»Mann, o Mann«, sagte Red.
»Gefällt es dir?« fragte sie. Sie schaute, glaube ich, zu mir herüber. »Steht mir das?«
»Ja«, sagte ich. »Ja.«
»Mann, o Mann.« Red ging zu ihr hin und umarmte sie. »Du siehst heiß aus, Mädchen.« Er hielt sie weiter fest, dann fingen seine Pranken an zu wandern, und er begrabschte sie überall. Er packte ihren Hintern mit beiden Händen und hob sie hoch. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Nicht.«
»Nicht was?«
»Fass mich nicht so an vor allen anderen.«
»Dann sollten die besser verschwinden, und zwar sofort, weil ich nämlich vorhabe, dieses Päckchen auszupacken und zu genießen.«
Glenda machte nur »phhh«, in seinen Armen ging ihr die Luft aus; sie hing schlaff an ihm herunter.
Basil nahm mich am Nacken und schob mich zur Tür.
»Na komm, Junge, was meinst du, gehen wir zum Schuppen rüber und reden mal ’ne Runde über Baseball?«
Bis auf die Fliegengitter standen alle Fenster im Haus offen. Man konnte im Hof alles hören. Einen kurzen Augenblick standen Basil und ich neben dem Schlachtschiff, lauschten allem Möglichen, starrten unsere Schuhspitzen an, rieben uns die Gesichter, dann schlug er auf den Wagen.
»Scheiße, Shug, ich kann hier nicht rumstehen und zuhören, wie Red da drinnen rummacht. Ich muss los, und zwar sofort. Du musst das allein hinkriegen, Junge.«
Allzu lang hielt ich das allein nicht aus.
Ich ging direkt zum schwarzen Engel.
»Bud’s Smoke Stak«, sagte Red. Wir drei saßen am Küchentisch, und die beiden rauchten. »Erinnerst du dich noch an Bud’s Smoke Stak?«
»Unten am See«, sagte Glenda. »Was ist damit?«
»Lass uns da essen. Ich hab ’nen hübschen Lohn in der Tasche, Mädchen. Ein schönes Bündel grüner Scheinchen. Lass uns zum See rüberschaukeln und einen Haufen Spare Ribs wegputzen.«
»Das ist eine ganz schöne Strecke, Red.«
»Und?«
»Das ist weit. Es ist ohnehin schon spät fürs Abendessen.«
»Ist denn heute kein besonderer Tag? Ich würde schon sagen. Du nicht? Nichts Besonderes?«
Er setzte uns in den Pick-up, Glenda in die Mitte.
»Ich hasse es, so zu sitzen«, sagte sie.
»Wie?«
»Du weißt schon – mit den Beinen links und rechts vom Knüppel.«
»Es wird dir schon gefallen, da wette ich drauf.«
Die Sonne stand tief und schien uns ein paar Meilen lang in die Augen. Außerhalb der Stadt bog Red in Straßen ein, die mir unbekannt waren. Ich erkannte nichts wieder. Der Pick-up brummte tief, trug uns an Teichen und Schweinepferchen vorbei, über Felskanten und klare leise Bäche in dunkle Wälder hinein. Red nahm einen Schotterweg, der von der Asphaltstraße abging, und fuhr ziemlich schnell.
Ab und zu versuchte er mit uns zu reden, so als würden wir uns alle sehr mögen.
»Also, Junge, was sagst du denn jetzt dem Jugendrichter?«
»Hab ’ne Dummheit gemacht, Euer Ehren. Tut mir leid.«
»Und wer hat bei deinen Missetaten mitgemacht?«
»Niemand. Ich bin solo, Euer Ehren.«
Die Schotterstraße ging in eine Betonpiste über, und Red bog nach rechts auf den alten Highway ab. Der war jetzt kaum mehr als eine langsame Nebenstrecke, eine altmo-dische Art von Plattenbetonstraße. Der Beton wurde in einzelnen Platten gegossen, dann fügte man die Platten zusammen, aber sie passten nie so richtig aneinander. Das hieß, dass die Reifen an den Nähten immer Wumm machten, bei jeder neuen Platte, Wumm, weil kaum eine sauber an der nächsten lag. Manche Nähte waren aufgeplatzt, und zwischen den Platten wuchs alles Mögliche.
»Red«, sagte Glenda, »wir sind fürchterlich hungrig.«
»Du kriegst schon noch was.«
»Wir waren schon hungrig, als wir losgefahren sind.«
»Denk nur an die Ribs bei Bud’s und an das kühle Bier.«
»Aber … ich erinnere mich gar nicht daran, dass dies die Straße zum See ist.«
»Ich muss erst noch einen Kumpel besuchen.«
»O nein. Nein.«
»Du solltest erst jammern, wenn’s wehtut.«
An einer Kreuzung war eine Tankstelle, die dort gebaut worden war, als dies noch die Hauptstraße war. Auf dem Schild war ein verblichenes Pferd mit Flügeln abgebildet. Das Schild war verrostet, das Holz des Gebäudes verwittert, die Farbe abgeblättert. Das Haus war an einer Seite schief, das Dach machte ein Hohlkreuz. Draußen standen zwei weißliche Zapfsäulen, auf einer Bank neben der Tür saß ein alter Mann.
Der alte Mann winkte, und wir winkten zurück.
»Da ist es«, sagte Red. Damit meinte er eine Lehmstraße, eher ein Trampelpfad, gleich hinter der Tankstelle. »Hier biegen wir ab.«
Die Straße war nur ein schmaler Erdstreifen, der uns an Farmhäusern vorbei und um ein paar scharfe Ecken herum hinunter in eine Senke klammen Waldes führte, dann wieder hinauf zu einem geraden Abschnitt, vorbei an Feldern voller Unkraut, die im Sonnenuntergang ganz golden waren. Jenseits der Felder stand das Haus.
»Wo sind wir?« fragte Glenda. »Wo sind wir hier gelandet?«
»Bei einem Freund.«
»Welchem Freund?«
»Kennst du nicht, Kleines. Musst du auch nicht kennen.«
Das Haus stand an dem Weg, lag aber tiefer. Die Straße war auf Höhe der Verandalampe. Das Haus war schmutzig weiß und hatte mehrere Stockwerke. Oben lagen Dachfenster wie zusammengedrückte Augen, die argwöhnisch alles genau beobachteten. Das Dach war an drei, vier Stellen aufgewinkelt und mit schwarzen Metallstreben abgestützt worden. Drinnen brannten viele, viele Lichter.
Auf dem Hof war auch eine Lampe, eine große weiße Kugel an einer Stange. Neben der Lampe standen jede Menge Autos, auch Pick-ups, einer mit einem hölzernen Schweinepferch auf der Ladefläche, ein anderer mit Futtersäcken. Die anderen Autos waren alle verdreckt.
Red parkte bei den anderen Wagen.
Ich konnte im Haus Leute sehen, die unter einer Qualmwolke Karten in den Händen hielten. Ich konnte Hände sehen, die Würfel schüttelten. Ich konnte sehen, wie Gläser gehoben und Dollarscheine hingeworfen wurden.
»Bin sofort wieder da«, sagte Red. »Und ihr könnt keine Musik hören, das schafft die Batterie nicht mehr.«
Glenda und ich saßen einfach blöd herum, es wurde dunkel, und wir sagten kein Wort, bis es ganz finster war und die Insekten lärmten.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich sollte seine Tricks ja nun langsam kennen. Ich schätze, ich bin dumm.«
»Nein, bist du nicht.«
»Ich sollte seine Tricks wirklich langsam kennen.«
»Tust du doch. Du kennst sie.«
»Meinst du?«
»Ja, du wusstest doch, dass er irgendwas mit uns vorhatte, richtig? Du wusstest, dass er irgendeinen Mist machen würde.«
»Ich hatte so eine Ahnung, ja.«
Ich konnte ihn im Haus sehen, wie er sich sein öliges Haar nach hinten strich, sich durch die Menge zu einem Tisch vorarbeitete und sich hinsetzte.
»Glenda, er hat zu mir gesagt, er liebt dich.«
»Hat er das? Ach, Schätzchen.« Sie legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Dann streckte sie die Hand aus und drückte mein Knie. »Überleg dir mal, was ich wohl darüber denke.«
Er kam pleite zu uns zurück und wollte ihre Bluse, um es noch einmal zu versuchen. Er war nicht allein. Glenda und ich waren eingeschlafen, hatten uns in der Kabine des Pickups aneinandergelehnt, und die Wörter, die er sagte, ergaben erst nach und nach einen Sinn.
»Mach hin, Glenda. Schieb deinen Arsch da raus.«
Der Mann, der bei ihm war, hatte im Dunkeln eine kräftige Gestalt, wie er da so neben Red zwischen dem Pick-up und dem Hoflicht stand. In seinem Mund glühte eine Zigarette. Auf dem Kopf hatte er einen Hut mit Cowboyband drum herum.
»Ich sag dir, die ist was wert«, erklärte Red.
»Hast du bereits gesagt. Du wiederholst dich.«
»Weil’s stimmt.«
»Sagst du.«
»Wird dir gefallen, da wett’ ich drauf.«
»Du hast doch kaum eine Wette gewonnen, seit du hier aufgekreuzt bist.«
»Das Glück kommt und geht, richtig? Meins kommt gerade.«
Glenda und ich stiegen aus, noch verschlafen und ganz schwindlig vor Hunger. Glenda schob mich mit der Hand nach hinten, bedeutete mir, dort zu bleiben, und trat vor.
»Was willst du?«
»Siehst du?« sagte Red.
»Hübsch, nicht?«
»Find ich auch«, sagte der Mann.
»Gib mir einen Zehner dafür.«
»Einen Zehner? Nein.«
»Glenda, heb mal die Arme und dreh dich. Echte Seide, Mann. Garantiert. Hast du mich gehört? Du sollst dich drehen.«
»Ich seh schon«, sagte der Mann. »Ich kann sie gut sehen.«
»Ich brauch einen Zehner, kapiert?«
»Nein.« Der Mann trat vor und rieb den Kragen von Glendas Bluse zwischen den Fingern. Glenda sah ihn nicht an. »Ich geb dir sieben.«
»Das sind doch schon fast zehn – warum dann nicht gleich zehn?«
»Sieben. Ende der Fahnenstange.«
Red legte einen Arm um Glenda und schob sie hinter den Pick-up, wo ich stand. Er hielt seinen Arm um ihren Hals, hielt sie fast wie im Schwitzkasten. »Gib her«, sagte er. »Ich will sie haben.«
Glenda wurde weiß. Sie hätte nicht noch weißer sein können, wenn eine Krankheit sie ausgelaugt hätte, aber sie hielt sich tapfer.
»Das … wirst du … mir nicht antun.«
»Falsch.« Er packte sie am Hals, drückte ihren Kopf nach hinten und schnürte ihr die Luft ab. Ein Röcheln entfuhr ihr, geröchelte Wörter, die hinter ihrer Kehle verdorrten und nicht gehört wurden. Seine andere Pranke knöpfte die Bluse auf. »Ich hab dich nicht gefragt, Hexe. Hat sich das vielleicht wie ’ne Frage angehört?« Er schlug die Bluse auf, beugte sich zu ihrem BH vor, zog eine Seite herunter und küsste die Brustwarze. Seine Zunge leckte im Kreis. Er küsste sie noch zwei Mal. »Tittenkuss bringt Glück.«
Glenda wirbelte herum, verschränkte die Arme vor der Brust und lief hinter den Pick-up. Ihre nackte Haut schien zu glühen. Ich folgte Red, als er die Seide zu dem kräftigen Kerl brachte. Als er ihm die Bluse reichte, versuchte ich, sie zu schnappen. Der Mann riss sie mir aus der Hand und hielt sie über meinen Kopf.
»Du solltest deinen Welpen besser an die Leine legen.«
»Fettsack«, murmelte Red, packte mich an meinem gestreiften Hemd, hob mich mit aller Kraft hoch und riss sämtliche Knöpfe ab. »Schieb deinen Hintern mit der Hexe in den Pick-up. Verstanden? Sitz. Und sucht nicht nach mir, bis ihr mich kommen seht.«
Glenda und ich gingen von der Spielhölle weg, ohne genau zu wissen, wohin. Wir nahmen den Weg zurück, den wir gekommen waren. Sie hielt ihre Stöckelschuhe in der Hand und ging barfuß, um sich in der tiefen Dunkelheit den Weg zu ertasten. Sie machte kleine Schritte, tappte mit den Zehen auf den Boden, und wenn sie den Staub spürte, hieß das, wir waren noch auf dem Weg und konnten den nächsten Schritt machen.
»Pass bei den Spurrillen auf«, mahnte sie mich. »Verknacks dir nicht den Knöchel.«
Ich gab Glenda mein Hemd, obwohl die Knöpfe aus dem Stoff gerissen waren und man es nicht mehr schließen konnte. Ich hatte ihre Brustwarze gut sehen können, als Red sie geküsst hatte, und sie nahm mein Hemd, um sich damit zu bedecken. Sie trug den Hemdrücken über der Brust, die Arme durch die Ärmel gesteckt, und verhüllte sich damit bis an die Kehle. Ihr Rücken war ganz nackt bis auf die BH-Träger. Der Schein ihres Rückens war das Klarste, was ich in der Dunkelheit sehen konnte.
»Bleib nah bei mir.«
»Wir sollten uns an der Hand nehmen.«
»Ja, das machen wir, Schätzchen.«
Wir bahnten uns einen Weg fort von Red, jedoch sehr langsam. Auf dem geraden Abschnitt bei den Feldern wurden wir etwas schneller, aber nicht viel. Glenda tastete mit den Zehen voran und zog mich hinter sich her; oft schnappten wir beide laut nach Luft, wenn wir ein beunruhigendes Geräusch hörten. So viele wilde Tiere durchlärmten die Nacht. Sie gaben Laute, die ihnen untereinander sicher etwas bedeuteten, vielleicht erzählten sie sich etwas über uns. Wir waren beide in der Stadt aufgewachsen, und bei vielen Geräuschen im Unterholz oder zwischen den hohen Bäumen oder in nächster Nähe blieben wir ganz still stehen, als könnte uns das vor den Tieren verbergen, die nachts im Wald jagten.
»Halt meine Hand gut fest.«
Die Geräusche, die wir selbst machten, kamen vom Schlagen unserer Hände auf die Haut, so als wollten wir einen Teppich ausklopfen. Klaps, klaps, klaps, doch immer wieder fanden die Moskitos nackte Haut und bohrten nach Blut, wenn kein Schlag sie traf. Ein paarmal gab Glenda auch Geräusche von sich, als kämen ihr Schluchzer hoch, aber sie schluckte sie immer sofort wieder herunter.
»Mom, wissen wir, wo der Weg hinführt?«
»Eigentlich nicht. Bleib ganz nah.«
Der Pfad bog um die Ecke und tauchte ab in die klammen Wälder. Hier roch es wie im schimmligen Keller eines unsichtbaren Hauses. Die Bäume wuchsen höher und standen näher am Weg. Ich überlegte, ob es hier Hinterhalte geben könnte, dieser feuchte Abschnitt war dafür bestens geeignet.
»Lass mich nach vorn – ich hab ein Messer.«
»In Ordnung. Geh nur nicht zu schnell.«
Nirgendwo gab es ein Licht, das uns in dieser sumpfigen Senke geholfen hätte. Es war vollkommen finster, aber ich bildete mir ein, ich könnte die Umrisse der Klinge sehen, die sich in den Raum vor uns bohrte und den Weg frei machte. Ich hätte damit auf alles Mögliche stoßen können. Glenda hielt sich dicht bei mir, hatte einen Finger in eine Gürtelschlaufe meiner Jeans gehakt. Ein Stück weiter war der Sumpfgeruch ganz faulig, so umfassend und süß war er. Der Weg fühlte sich unter meinen Füßen nun weicher an, matschiger, und die Äste der Bäume ragten herunter und bildeten eine niedrige Decke.
Glenda zog an meiner Gürtelschlaufe.
»Stampf mal ab und zu mit dem Fuß auf.«
»Wozu?«
»Damit die Schlangen uns hören.«
Schritt, Schritt, Stampf.
Schritt, Schritt, Stampf.
Der Weg ließ den Sumpf hinter sich und wurde wieder erdiger. Der Wald roch sehr frisch. Wir gingen im gleichen Entengang weiter und weiter, ihre Finger bei mir eingehakt, die Klinge in meiner Hand; wir tasteten uns den Weg entlang wie Blinde, die eine unbekannte Straße überquerten.
Ich hörte Pfoten patschen und etwas klappern, aber die Hunde waren nicht zu sehen, bis sie nur einen Sprung von uns entfernt stehenblieben und knurrten. In einem Haus etwas ab von der Straße konnte ich ein Licht brennen sehen. Die Hunde bellten wütend. Ihr Atem strich mir über die Knöchel.
Glenda drückte sich fest an meinen Rücken.
Die Hunde setzten zum Angriff an.
Ich war gewillt zuzustechen, aber es waren zwei.
»Warum rufen die nicht ihre gottverdammten Köter zurück?« sagte ich.
»Die Leute auf dem Land wollen es wohl so.«
»Einen erledige ich auf jeden Fall.«
Wir gingen rückwärts, Glenda klammerte sich an mich, die Schuhe in ihren Händen schlugen mir gegen den Rücken. Wir schlichen ganz langsam zurück, und die Hunde folgten uns hungrig, hungrig, hungrig, sie wollten uns fressen, jedenfalls klang es so. Im Farmhaus rührte sich niemand. Ich hielt das Messer mit der Spitze nach unten, bereit zuzustechen, und ich dachte an große weiße Zähne, die mir mit Genuss Fleisch herausrissen.
»Nicht treten – die kriegen deinen Fuß.«
Die Hunde waren nie deutlich zu sehen. Aber dem Lärm, dem Scharren der Krallen und dem Schnaufen nach zu urteilen, waren sie ziemlich groß. Wir tropften den Pfad entlang, so wie Pisse das Bein hinuntertropft, wenn man einen Schlag in den Magen gekriegt hat. Glenda drückte sich fest an mich. Ich war bereit zu spüren, wie sich die schmale helle Klinge in etwas bohrte, das atmete und uns bedrohte. Ich wollte fühlen, wie sie in das Herz von etwas Lebendem schnitt.
»Sie bleiben stehen, Schätzchen. Sie hauen ab.«
»Muss wohl das Ende ihres Gebietes sein.«
»Ich höre niemanden rufen.«
»Lass uns schneller gehen.«
Wir gingen schneller weiter, setzten unsere Schritte blind, taten aber so, als könnten wir sehen.
An der Tankstelle linste Glenda durchs Fenster der Hintertür und sagte dann: »Wir brauchen ein Telefon, Shug.«
»Wen willst du denn anrufen?«
»Du weißt schon, wen.«
»Meinst du, er kommt?«
Sie wies auf die alte Tür der baufälligen Tankstelle.
»Telefon.«
Ich klaute uns auch eine Schachtel Zigaretten, und wir hockten uns in den schwärzesten Schatten draußen und warteten. Die Zigaretten waren die falsche Sorte, aber in dieser Situation schon okay.
»Shug, findest du nicht, dass er irgendwie süß ist?«
Mein gestreiftes Hemd rutschte ihr von den weißen, weißen Schultern, und sie zog es immer wieder hoch. Der Schatten, in dem wir saßen, lag an der Westwand der Tankstelle. Diese Sorte Zigaretten schmeckte mir tatsächlich besser als die, an die sie mich gewöhnt hatte, aber das behielt ich für mich.
»Nein.«
»Er ist nicht süß?«
»Das würde ich ganz sicher nicht behaupten.«
»Auf seine eigene Art, meine ich.«
»Nein.«
»Aber er sieht doch ziemlich vornehm aus. Oder?«
»Das Beste an ihm ist sein Auto.«
»Ich finde ihn auf seine eigene Art richtig schick.«
Ich zündete mir an der Kippe der ersten Zigarette die nächste an.
»Das weiß ich.«
Er hatte daran gedacht, Sandwiches mitzubringen. Steak-Sandwiches mit weichen, braun gebratenen süßen Zwiebeln obendrauf. Die Soße konnte ich nicht sehen, ich erkannte sie auch nicht, aber sie schmeckte großartig. Er hatte sich herausgeputzt, um uns zu holen, hatte seine paar Haare auf dem Kopf frisiert, sich rasiert und sein Gesicht mit diesem Seemannsduft bespritzt. Er sah mich an, wie ich da ohne Hemd saß, dann sie, die nur mein Hemd trug, falsch herum. Er blickte mehrmals hin und her und sagte dann: »Verratet mir nur, was ihr mir auch wirklich sagen wollt.«
»Ach«, erwiderte Glenda, »können wir das einfach überspringen?«
»Ja. Das ist manches Mal die beste Lösung.«
Mein Körper fühlte sich müde an, von der Gänsehaut außen bis in die Knochen, und ich war so ausgehungert, dass ich schon Aussetzer hatte. Ich biss ins Sandwich, noch bevor ich es ganz ausgepackt hatte, schlug die Zähne in das Fleisch und genoss es. Ich genoss es in vollen Zügen. Ich aß dermaßen laut, dass die beiden sich umdrehten und mich angrinsten. Das Sandwich schmeckte mir so sehr, dass in null Komma nichts nur noch Krümel übrig waren. Dann genoss ich auch noch die Krümel.
»Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte Glenda.
»Ich bin froh, dass Sie angerufen haben.«
»Froh?«
»Na ja … wissen Sie … seit Tagen muss ich nun schon an Ihr Lächeln denken, das wollte gar nicht weggehen.«
Glendas Antwort war nur ein Geräusch, ein Murmeln, ein freudiges Murmeln. Ihre nächsten Worte waren: »Ist das Bourbon, was ich da rieche?«
»Ja. Die Flasche liegt da auf dem Boden.«
»Oh. Ja. Darf ich?«
»Bourbon ist zum Trinken da, Ma’am.«
Der Thunderbird rollte ruhig dahin. Es dauerte nicht lange, dann waren alle Fenster offen, und der Duft der Sträucher neben der Straße wehte herein, hinaus und noch stärker wieder herein. Die Grillen machten Lärm, dieses laute Eins-zwei, was sich anhörte wie eine riesige quietschende Wippe. Ab und zu wischten die Scheinwerfer über dunkle Flecken, aus denen Augen zurückstrahlten.
Das Essen machte mich müde, aber ich schnappte noch ein paar Sachen auf: »Das Pokern macht ihn ganz verrückt im Kopf.«
Und: »Ich war verheiratet, als ich hierher zog. Er hatte seine Zeit abzusitzen, und ich hatte eine Tante in Covington.«
Und: »Der Baron hatte eine von diesen Frauen, die nicht sonderlich Wert darauf legten, mich in der Nähe zu haben.«
Als der Thunderbird bremste und stehenblieb, rutschte ich nach vorn und wachte halb auf. Der Wagen stand auf dem Friedhof, in der Einfahrt vor unserem Haus. Mein nackter Bauch war ganz kalt von der nächtlichen Luft. Ich lag still da.
»Ich weiß, dass er es weiß«, sagte Glenda. »Er hat es immer gewusst, aber wir sind verheiratet geblieben. Er weiß es, aber er sagt nichts, nicht offen.«
»Er frisst es also nur in sich hinein.«
»Seit ich nach Hause gekommen bin, hatte ich immer das Gefühl, tief in seiner Schuld zu stehen.«
»Eine längst abgetragene Schuld, würde ich sagen. Mehrfach abbezahlt.«
Ich schlug die Augen auf, die beiden saßen eng beieinander.
»Glenda, mir ist kalt. Gehen wir ins Haus.«
»Geh du schon, Schätzchen.«
»Du auch.«
»Wir unterhalten uns noch, Shug. Geh schon.«
»Du auch.«
»Nein, Schätzchen.«
»Hör mal, wenn er dich anfasst, prügele ich ihm Feuer aus seinem Hintern.«
»Sei still. Still! Dieser Mann war überaus nett zu uns. Geh.«
Ich ging. Es war spät, und ich ging, weil ich müde war und sie mich wegschickte. Ich linste von innen durch das Fliegengitter. Sie machten die Fenster hoch gegen die Kälte. Ich konnte nicht ins Bett gehen, nicht, solange sie da draußen war, da draußen mit dem Kerl, also beugte ich mich über den wackligen Küchentisch und legte meinen Kopf auf die Arme.
Später sah ich hinaus, die Scheiben des Thunderbirds waren beschlagen.
Als die Vögel in der Morgendämmerung mit ihrem üblichen lauten Gesang anfingen, konnte ich ihre Köpfe immer noch nicht sehen.
Ich schlief mit dem Gesicht auf dem Tisch ein, und die Sonne stand schon hoch, als ich aufwachte und Glenda mir gegenübersaß. Mein Hemd bedeckte sie kaum, und sie hielt den BH in der Hand.
»Schätzchen? Shuggie, Schätzchen. Vergiss lieber, was du glaubst, gesehen zu haben, und denk dran – ich liebe dich.«