12
Siegfried Buhmann war ins Dienstzimmer gegangen. Er er schrak, als er Dr. Phisto und Dr. Heidmann dort traf. Er wollte sich umdrehen und wortlos das Zimmer verlassen, aber Schwester Angelika fragte: »Sie wünschen?«
Der Pfleger warf einen scheuen Blick auf die beiden Ärzte. Dann sagte er: »Ich wollte endlich einmal meine Spritze abholen.«
»Da hinten liegt sie, im Instrumentenraum. Aber sagen Sie –«, sie begleitete den Pfleger in den Nebenraum, »wozu brauchen Sie die Spritze?«
»Vielleicht leidet er an Verstopfung!« Dr. Phisto war den beiden gefolgt und deutete grinsend auf die große Spritze, die der Pfleger jetzt in der Hand hielt. »Damit kann man ausgezeichnete Klistiere machen. Im Mittelalter hat man alle Krankheiten damit behandelt. Die Leute bekamen so häufig Einläufe, daß sie dann nicht an der Krankheit, sondern am Einlauf starben.« Er streckte seine Hand aus. »Zeigen Sie mir das Ding doch mal her.«
Buhmann hielt die Spritze wie ein trotziges Kind hinter dem Rücken. »Nein …«
Dr. Phisto schaute ihn erstaunt an. »Manieren sind das! Nun gut – sie gehört Ihnen. Viel Spaß damit. Und verletzten Sie sich nicht den Darm, wenn Sie sich selbst einen Einlauf machen«, rief er Buhmann nach, als der schon auf dem Flur stand.
»Ich mag ihn zwar auch nicht«, meinte Dr. Heidmann, »aber man sollte den armen Kerl doch nicht allzusehr ärgern. Ich habe das Gefühl, daß ihn hier jeder auf den Arm nimmt.«
»Der scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein!« Dr. Phisto setzte sich neben den Schreibtisch. »Wenn man den so reden hört, hat man das Gefühl, daß er eigentlich in eine Anstalt gehört.«
»Vielleicht leidet er an religiösem Wahn?« versuchte Schwester Angelika eine Diagnose zu stellen. »Er redet so viel vom Frieden des Todes, vom Jenseits …«
»Dann sollte er sich doch umbringen«, erklärte Dr. Phisto herzlos. »Ich muß sagen, daß ich dieses Erdendasein sehr angenehm finde, ich möchte noch recht lange damit warten, bis ich im friedfertigen Jenseits lande. Hat jemand etwas von Dr. Bruckner gehört?«
»Nein! Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe neulich einmal versucht, Professor Bergmann daraufhin anzusprechen, aber der alte Herr hüllt sich in Schweigen. Man hat das Gefühl, daß alle froh sind, ihn endlich losgeworden zu sein. Man schweigt ihn tot. Das ist auch eine Möglichkeit, etwas Unangenehmes aus der Welt zu schaffen.«
»Es ist schon traurig!« Johann Heidmann zuckte resignierend mit den Schultern. »Da war man nun so gut wie befreundet mit ihm – jahrelang –, und am Ende haut er ab und sagt nicht einmal, wo er ist.«
»Er wird sich wie ein krankes Tier in seine Höhle zurückgezogen haben«, meinte Schwester Angelika. »Er wird hervorkommen, wenn er sich von seinen seelischen Schmerzen und seiner Enttäuschung erholt hat.«
»Wenn man wüßte, wo er ist, könnte man ihn doch wenigstens anrufen, könnte sich mit ihm unterhalten. Wie oft haben wir abends ein Gläschen Wein zusammen getrunken. Das würde ihn doch ablenken.«
»Sie sollten wissen, daß man eine Depression nicht dadurch beseitigen kann, daß man dem Kranken Grimassen schneidet und versucht, ihn zum Lachen zu bringen. Das drückt ihn nur noch tiefer in die Depression hinein.«
»Aber Dr. Bruckner ist doch nicht krank«, protestierte Johann Heidmann. »Er war nie krank.«
»Vielleicht ist er es durch diese Affäre geworden? Aber irgendwann wird er schon wieder auftauchen. Professor Bergmann hat auch gemeint, daß er eine gewisse Zeit braucht, um sich mit dem abzufinden, was geschehen ist.«
»Hoffentlich hat Oberarzt Wagner ihn dann nicht vollkommen von seinem Platz verdrängt. Abwesenheit läßt Liebe ja nicht wachsen – im Gegenteil! Ich habe Herrn Wagner noch nie so oft beim Chef gesehen wie gerade in den letzten Tagen. Außerdem schleicht er dauernd auf meiner Station herum.«
»Warum soll der Patient verlegt werden?« Schwester Angelika lief wie ein aufgeregtes Huhn durch die Station. »Er hat doch ein Einzelzimmer. Warum in dieses Sonderzimmer der Intensivstation? Glaubt man höheren Orts, daß er bei uns nicht gut genug aufgehoben ist?« Schwester Angelika redete auf Oberarzt Wagner ein, der die Anordnung zur Verlegung gegeben hatte.
»Es ist mit dem Chef so abgesprochen worden.« Oberarzt Wagner blieb gelassen. Ganz im Gegenteil zu seinem sonstigen Verhalten schien er von den Tiraden Schwester Angelikas gar nicht berührt zu sein.
»Hat das nicht bis morgen früh Zeit?« Schwester Angelika konnte sich nicht beruhigen. »Wir haben viel zu wenig Personal und alle Hände voll zu tun. Eine solche Verlegung bedeutet immer Personalaufwand.«
»Nein, tut mir leid. Der Chef hat angeordnet, daß er sofort verlegt werden muß.« Dr. Wagner wandte sich an Heidmann und Phisto, die dazukamen. »Packen Sie bitte mit an, und helfen Sie Schwester Angelika, den Patienten in die Intensivstation zu legen – in das Einzelzimmer!«
Es sah aus, als ob Dr. Phisto dem Oberarzt widersprechen wollte, aber ein Blick auf Schwester Angelika hielt ihn davon zurück. »Dann wollen wir mal ausnahmsweise Pflegerdienste leisten«, brummte er vor sich hin. »Mit uns Ärzten kann man ja alles machen. Wir haben keine Gewerkschaft, die sich dafür einsetzt, daß wir nur bestimmte Handgriffe ausführen dürfen.«
Er hatte absichtlich so laut gesprochen, daß Dr. Wagner ihn hören konnte, aber selbst auf diese provozierende Bemerkung ging der Oberarzt nicht ein.
»Ich verstehe nicht, was in den gefahren ist!« Dr. Heidmann begleitete Dr. Phisto und Schwester Angelika in das Krankenzimmer. »Er ist sanft wie ein Lamm. Man kann sagen, was man will.«
»Vielleicht versucht er, in den Fußstapfen seines Kollegen Bruckner zu wandeln, und will christliche Nächstenliebe dort walten lassen, wo er sonst unerbittliche Strenge an den Tag legte.«
Sie betraten das Zimmer. Barbara Pellenz schaute sie erstaunt an. »Was gibt es nun wieder?«
»Wir müssen den Patienten verlegen!«
»Verlegen – warum das? Ich fühle mich doch hier wohl«, jammerte der Patient. »Wenn Oberarzt Bruckner noch hier wäre, brauchte ich mir das nicht gefallen zu lassen. Wir armen Kassenpatienten …«
»Nun beruhigen Sie sich mal. Sie bekommen ein viel schöneres und besseres Zimmer. Da brauchen Sie nur auf die Knöpfe zu drücken, dann bewegt sich das Bett in jede Richtung, die Sie haben wollen. Sie haben einen eigenen Fernsehapparat im Zimmer – Farbfernsehen!« betonte Dr. Phisto und hob den Zeigefinger. »Es wird Ihnen sicherlich gefallen.«
»Und Fräulein Doktor – kommen Sie mit?«
Barbara Pellenz zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Auf der Intensivstation habe ich an sich nichts zu suchen.«
»Oberarzt Wagner hat nicht das Gegenteil angeordnet. Also kommen Sie mit«, entschied Dr. Phisto.
Die beiden Ärzte stellten die Rollen hoch, packten das Bett und schoben es aus dem Zimmer hinaus auf den Flur zum Fahrstuhl. Sie fuhren zur Intensivstation. Hier war schon alles vorbereitet. Eine Schwester empfing sie.
»Das Zimmer steht bereit. Da hinten ist es.« Sie ging voran, öffnete weit die Tür und winkte den beiden Ärzten zu, das Bett hineinzufahren. »Stellen Sie es dort an die Wand. Ich glaube, es wird Ihnen bei uns gefallen! Fernsehapparat mit Fernbedienung …« Sie schaltete den Apparat ein, als das Bett an der vorgesehenen Stelle stand, drückte auf die Knöpfe und zeigte, wie rasch man die verschiedenen Programme wechseln kann. »Im Augenblick ist ja nichts los, aber heute Abend werden Sie bestimmt einen schönen Film zu sehen bekommen.«
Die Schwester schaute sich noch einmal um, rückte das Bett genau auf die Markierungspunkte am Boden und ließ die Rollen herunter, so daß das Bett fest stand.
»Wenn Sie irgend etwas wünschen, drücken Sie nur den Knopf hier. Sie können dann über ein Mikrofon Ihre Wünsche äußern.«
»Können Sie heute nacht nicht doch bei mir bleiben?« wandte sich der Kranke an Barbara Pellenz.
»Nein«, antwortete an ihrer Stelle die Schwester der Intensivstation. »Der Pfleger Buhmann ist für Sie bestellt.«
»Na ja –«, der Kranke schien sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Er blickte sich um. »Schön ist es ja hier. Ist das ein Erster-Klasse-Zimmer?«
»Nein – nur ein –«, die Schwester zögerte einen Augenblick, »Erholungszimmer, wenn ich einmal so sagen darf. Ich bin überzeugt, daß Sie hier rascher gesund werden als da unten.«
»Das glaube ich nicht«, protestierte Schwester Angelika, die nachgekommen war und Herrn Wegeners Sachen gebracht hatte. »Ich glaube«, wandte sie sich an den Patienten, »Sie haben unten bei mir auf Station nicht gerade Not gelitten?«
»Durchaus nicht. Es war sehr schön. Und ich wäre am liebsten bei Ihnen geblieben.«
»Dann gewöhnen Sie sich mal an dieses Zimmer. Sie werden ja sowieso bald entlassen.«
Der Abend war herangekommen. Barbara Pellenz schaute auf ihre Uhr. So sehr sie sich sonst auf ihre freien Abende gefreut hatte, so traurig war sie jetzt. Wie schön wäre es, wenn sie mit Peter hätte ausgehen können! Nun saß sie in ihrem einsamen Zimmer, das kalt und nüchtern war. Man hatte ihr als angehender Ärztin das kleinste Zimmer im Ärztehaus zugewiesen.
Zwar hatte sie versucht, es etwas wohnlicher zu gestalten. Sie hatte einen Blumentopf ans Fenster gestellt, kleine Bilder aufgehängt, aber der Raum war so klein, daß es eigentlich unmöglich war, zusätzliche Dinge aufzustellen, um aus dem Schlafraum ein gemütliches Wohnzimmer zu machen.
Die Nachtschwester kam. Sie brachte dem Patienten das Schlafmittel, das er sich gewünscht hatte. »Es ist ein richtiger Hammer«, erklärte sie, als sie ihm das Dragee in einem kleinen Schälchen auf den Nachttisch stellte. »Schlucken Sie es runter, und trinken Sie viel Wasser hinterher«, ermahnte sie den Kranken.
Dann schaute sie Barbara Pellenz an, die aufgestanden war. »Man muß es den Patienten immer wieder eintrichtern, daß sie, wenn sie eine Tablette schlucken, immer Wasser hinterher trinken. Es ist schon oft genug passiert«, wandte sie sich an den Patienten, »daß die Tabletten oder das Dragee nicht sofort in den Magen rutschte, sondern in der Speiseröhre steckenblieb und dann eine ätzende Wirkung auf die Schleimhaut ausübte. Deswegen muß man viel Wasser trinken. Benutzen Sie aber niemals Milch oder Obstsaft, um ein Medikament hinunterzuspülen. Beides kann die Wirkung des Mittels aufheben.«
Barbara Pellenz mußte innerlich lächeln. Die junge Schwester schien glücklich zu sein, das anzubringen, was sie wahrscheinlich gerade im Schwesternunterricht gelernt hatte.
»Es ist wirklich gut, daß Sie das dem Patienten so eindeutig klarmachen«, lobte sie die Schwester.
Der Patient nahm gehorsam sein Dragee, steckte es in den Mund, griff nach dem Wasserglas und spülte das Schlafmittel herunter.
»Damit schlafen Sie acht Stunden tief und fest. Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.«
Die Tür öffnete sich. Der Pfleger Buhmann trat ein. Er schaute auf die Uhr. »Schichtwechsel!« stellte er fest und stellte ein kleines Köfferchen auf die Erde.
»Da haben Sie wohl die Getränke für die Nacht drin?« scherzte Barbara. Sie machte eine Bewegung, als ob sie nach dem Koffer greifen wollte, aber erschrocken riß der Pfleger ihn an sich. »Da ist –«, er zögerte einen Augenblick, »etwas zu essen drin. Ich kann die ganze Nacht nicht herumsitzen, ohne etwas zu mir zu nehmen. Und –«, er hob seinen Finger, »Lektüre.«
»Wahrscheinlich fromme Lektüre, nicht wahr?« fragte Barbara Pellenz, ohne sich Böses dabei zu denken.
Der Pfleger schaute sie wütend an. »Natürlich ist es etwas für die Ewigkeit, was ich da mitgebracht habe!«
Heiliger Wahn, fuhr es Barbara durch den Kopf, als sie den fanatischen Ausdruck auf dem Gesicht des Pflegers sah. Buhmann nahm den Koffer in den Arm, als trüge er ein kleines Kind.
»Dann werde ich Sie verlassen. Gute Nacht, schlafen Sie nicht zufällig ein …«
»Ich werde wachen! Dafür bin ich ja da.«
Auf dem Flur ertönten Schritte. Die Tür öffnete sich. Oberarzt Wagner trat ein und reichte dem Pfleger die Hand. »Ich freue mich, daß Sie die Wache heute übernommen haben. Sie sind hier wirklich in besten Händen«, wandte er sich an den Patienten, der ihn erstaunt anschaute.
»Warum haben Sie den Patienten verlegt?« wollte der Pfleger wissen. »Ich war eben in dem anderen Raum, in dem der Kranke sonst lag.«
»Wir brauchten sein Zimmer. Es ist nur eine vorübergehende Maßnahme. Also –«, er schaute sich im Zimmer um. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen.« Er wandte sich an den Pfleger: »Lassen Sie sich die Nacht nicht lang werden.«
»Das wird er sicherlich nicht tun«, warf Barbara ein. »Er hat sich einen ganzen Koffer voller Abwechslung mitgebracht!«
»Seitdem Dr. Bruckner nicht mehr da ist, geistert Oberarzt Wagner den ganzen Tag und die ganze Nacht durch das Haus!« Dr. Phisto begleitete Johann Heidmann zum Kasino. »Wahrscheinlich will er allen beweisen, wie tüchtig er ist. Es ist doch noch nie vorgekommen, daß er sich um diese Zeit«, Phisto schaute auf seine Armbanduhr, »noch auf Station zeigt. Das tut sonst allenfalls Dr. Bruckner.«
»Er und der dickliche Buhmann sind wirklich ein herrliches Gespann. Ich habe fast den Eindruck, daß Wagner die Verlegung des Patienten in das Sonderzimmer nur durchführen ließ, um dem Pfleger bessere Arbeitsbedingungen mit Nachtdienst-Farbfernseher zu verschaffen.«
Sie hatten das Kasino erreicht. Dr. Phisto öffnete die Tür und trat ein. Verwundert schaute er sich um. »Noch niemand da?«
»Niemand mehr«, erscholl eine Stimme aus der Teeküche her. Maria, die alte Kasinobedienerin, trat in den Raum. Vorwurfsvoll schaute sie auf die Uhr. »Die anderen Herren haben schon gegessen. Ich habe nur auf Sie gewartet. Eigentlich –«, sie stellte eine Suppenterrine auf den Tisch, »dürfte ich Ihnen gar nichts mehr geben. Ich habe schon seit einer Stunde Dienstschluß.«
»Sie sind ein Schatz!« Dr. Phisto legte seinen Arm um den Nacken der alten Bedienerin. »Ich weiß, Sie lassen uns nicht verhungern.«
»Haben Sie von Dr. Bruckner was gehört?«
»Nein, leider nicht. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«
»Er soll gegen sich selbst ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt haben?« Maria blieb hinter den beiden Ärzten stehen und schaute zu, wie sie Suppe in ihre Teller füllten.
»Ich begreife so etwas nicht. Ich glaube, das macht sonst kein Arzt.«
»Es scheint so. Irgendwann wird er schon mal auftauchen. Wir vermissen ihn sehr!«
»Ich auch.«
»Wieso?« Dr. Phisto grinste. »Bleibt Ihnen soviel Suppe übrig? Keine Angst – die vertilgen wir schon für Dr. Bruckner. Fordern Sie immer seine Ration mit an, dann haben wir mehr zu essen.«
Maria schüttelte ernst den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Mir fehlt sein Lachen. Wenn er hier war, war immer eine fröhliche Stimmung. Er hatte ein seltsam ansteckendes Lachen, und das fehlt. Es ist traurig geworden.«
»Schade –«, Dr. Phisto füllte seinen Teller erneut, »ich würde Ihnen gern helfen, aber so schön laut kann ich nun mal nicht lachen.«
»Das können die wenigsten. Bei den meisten wird es ein Gelächter. Das richtige Lachen beherrschte an der Bergmann-Klinik eigentlich nur Dr. Bruckner.«
»Herr Oberarzt?« Der Pfleger Buhmann fuhr erschrocken zusammen, als Oberarzt Wagner in das Zimmer trat. »Sie sind noch auf?«
»Ja, ich mache meinen letzten Rundgang. Seitdem Dr. Bruckner nicht mehr da ist, muß man eben alles in die eigene Hand nehmen. Alles in Ordnung?« Er trat an das Bett und schaute den Patienten an, der schnarchend, mit offenem Mund dalag. »Er schläft ja wie ein Klotz!«
»Er hat ja auch ein besonders starkes Schlafmittel bekommen. Auf eigenen Wunsch!« Der Pfleger hob die Hand. »Nun schläft er. Mir ist es nur angenehm.« Sein Blick ging zur Infusionsflasche. »Da werden wir wohl bald eine neue Flasche aufhängen müssen, nicht wahr?«
Dr. Wagner trat an den Irrigatorständer und kontrollierte den Inhalt der Flasche, die dort hing. »Das reicht für die Nacht. Sie ist noch dreiviertel voll. Also –«, er reichte dem Pfleger die Hand, »ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.«
»Ruhe ist gut.« Der Pfleger lächelte ein wenig. »In der Nachtwache hat man keine Ruhe. Da darf ich nicht schlafen.«
»Nun ja, ein kleines Nickerchen können Sie wohl schon riskieren.« Dr. Wagner ging zur Tür. Er rückte an seiner Brille und schaute sich noch einmal im Zimmer um. »Lassen Sie das Licht brennen. Dann können Sie den Kranken besser im Auge behalten. Also, gute Nacht!« Dr. Wagner verließ das Zimmer und zog die Tür ins Schloß. Er ging zum Treppenhaus, stieg eine Etage tiefer und betrat das Dienstzimmer.
Dort saß Barbara Pellenz hinter dem Schreibtisch. Fragend schaute sie hoch, als er das Zimmer betrat. »Hat alles geklappt?«
»Bis jetzt ja!« Dr. Wagner ließ sich in den Sessel fallen und nahm ein Taschentuch hervor und wischte sich die Stirn ab. »Ich hoffe, jetzt wird alles weitere auch klappen. Sie sind bereit, die ganze Nacht mit mir zu wachen?«
»Ich bin bereit.« Sie stand auf. »Wollen wir gleich hingehen?«
»Ja – kommen Sie mit. Aber –«, er legte die Finger auf die Lippen, »leise – er darf nichts merken!«
Sie verließen das Dienstzimmer und stiegen die Treppen hinauf. Auf Zehenspitzen gingen sie den Flur entlang. Dr. Wagner nahm seine Schlüssel hervor und schloß eine Tür auf. »Hier ist das Beobachtungszimmer. Bitte«, er deutete auf einen Fernsehschirm, der auf dem Tisch stand, »ich schalte jetzt die Sendung ein …« Er drückte auf einen Knopf. Es dauerte einen Augenblick, dann flimmerte ein Bild auf.
»Man sieht es ja wunderbar. Pfleger Buhmann – den Patienten …«
»Ich sage Ihnen ja, daß das unser spezielles Beobachtungszimmer ist. Normalerweise werden dort keine Patienten untergebracht. Es ist ein Raum, in dem wir zum Beispiel Schlafversuche unternehmen. Die Versuchspersonen werden auf dem Bett gelagert, und unsichtbar angebrachte Fernsehkameras beobachten sie dauernd. Der Pfleger kennt diesen Raum nicht. Ich bin gespannt, ob sich meine Vermutung bestätigen wird. Hier –«, er legte einen Schlüssel auf den Tisch, »ist der Türöffner für das spezielle Krankenzimmer. Wir können sofort eingreifen, wenn irgend etwas passiert, und das Schlimmste verhüten.«
Barbara Pellenz schaute den Bildschirm an. Man konnte deutlich den Pfleger erkennen, der neben dem Bett saß und den Patienten betrachtete, der immer noch in derselben Lage lag und schlief. Durch den Lautsprecher hörte man sogar das Schnarchen.
»Wenn ich auf diesen Knopf drücke, dann läuft ein Videoband ab, das die Szene aufnimmt. Ich bin gespannt, ob wir nun wirklich diesen Kriminalfall lösen werden.«
»Ich hoffe es – für alle Beteiligten!«
»Ich werde bei Ihnen bleiben.« Oberarzt Wagner streckte seine Hand aus. Er wollte Barbaras Hand ergreifen und sie festhalten. Sie merkte es und zog die Hand rasch fort. Sie lehnte sich vor und deutete auf den Schirm. »Ich glaube, das Drama beginnt …«