Alt werden sie nicht

Wir zwei saßen vor der Halle auf Holzkisten.

Es war Mittag. Die Sonne stand hoch, und sie brannte heiß wie ein nahes Feuer. Es war heißer als in der Hölle da draußen vor der Halle. Wir fühlten, wie die heiße Luft die Innenwände unserer Lungen berührte, wenn wir atmeten, und es kam uns besser vor, wenn wir die Rippen fast schlossen und schnell atmeten; so war es kühler. Die Sonne brannte auf unsere Schultern und auf unseren Rücken, und ununterbrochen sickerte Schweiß aus unserer Haut, rann den Hals hinunter, über die Brust und den Bauch. Er sammelte sich dort, wo unser Gürtel um den Hosenbund stramm anlag, und er wurde unter dem strammen Gürtel aufgesogen, wo die Feuchtigkeit besonders unangenehm war und Hitzebläschen auf der Haut verursachte.

Unsere zwei Hurricanes standen ein paar Schritte entfernt, jede der beiden mit dem geduldigen, selbstgefälligen Aussehen, das Jagdflugzeuge an sich haben, wenn der Motor nicht läuft, und hinter ihnen neigte sich als dünner, schwarzer Streifen die Startbahn sanft zum Strand und zur See hin. Die schwarze Oberfläche der Startbahn und die weißen, grasigen Sandflächen zu beiden Seiten der Startbahn schimmerten und schimmerten in der Sonne. Der Hitzedunst hing wie Dampf über dem Flugplatz.

Der Hirsch sah auf seine Uhr.

«Er müßte zurück sein», sagte er.

Wir beiden hatten Bereitschaftsdienst, saßen da und warteten auf einen etwaigen Startbefehl.

«Er müßte zurück sein», sagte er.

Es war zweieinhalb Stunden her, seit Fin losgeflogen war, und er sollte um diese Zeit längst zurück sein. Ich sah zum Himmel hinauf und horchte. Man hörte Männer neben dem Tankwagen sprechen, und man hörte leise die See auf den Strand rollen; aber von einem Flugzeug war nichts zu hören. Wir saßen noch eine Weile, ohne zu sprechen.

«Es sieht so aus, als ob es ihn erwischt hätte», sagte ich.

«Ja», sagte der Hirsch. «Es sieht so aus.»

Der Hirsch stand auf und steckte die Hände in die Taschen seiner Khakishorts. Ich stand auch auf. Wir standen da und sahen in nördlicher Richtung in den klaren Himmel, und wir traten von einem Fuß auf den ändern, weil der Teer weich war und weil es heiß war.

«Wie hieß dieses Mädchen noch?» fragte der Hirsch, ohne den Kopf zu wenden.

«Nikki», antwortete ich.

Der Hirsch setzte sich wieder auf die Holzkiste, die Hände noch immer in den Taschen, und sah auf den Boden zwischen seinen Füßen. Der Hirsch war der älteste Pilot in der Staffel; er war siebenundzwanzig. Er hatte dichtes, grobes rotes Haar, das er nie bürstete. Sein Gesicht war blaß, sogar nach all der Zeit in der Sonne, und mit Sommersprossen bedeckt. Sein Mund war breit und fest geschlossen. Er war nicht groß, aber seine Schultern unter dem Khakihemd waren breit und dick wie die eines Ringers. Er war ein stiller Mensch.

«Vielleicht kommt er doch noch heil zurück», sagte er aufblickend. «Ich möchte den Vichyfranzosen sehen, der Fin erwischt.»

Wir waren in Palästina und kämpften gegen die Vichyfranzosen in Syrien. Wir waren in Haifa, und vor drei Stunden hatten der Hirsch, Fin und ich unseren Bereitschaftsdienst angetreten. Fin war auf einen dringenden Anruf von der Marine losgeflogen. Sie hatten angerufen und gesagt, daß zwei französische Zerstörer aus dem Hafen von Beirut ausliefen. Bitte sofort fliegen und sehen, wohin sie fahren, sagte die Marine. Nur die Küste hinauffliegen und nachsehen und schnell zurückkommen und uns Bescheid sagen, wohin sie fahren.

Also war Fin mit seiner Hurricane losgeflogen. Die Zeit war vergangen, und er war noch nicht zurück. Wir wußten, daß nicht mehr viel Hoffnung bestand. Wenn er nicht abgeschossen worden war, mußte ihm schon vor einiger Zeit das Benzin ausgegangen sein.

Ich senkte meinen Blick und sah seine blaue R.A.F.-Mütze, die dort auf der Erde lag, wo er sie hingeworfen hatte, als er zu seinem Flugzeug rannte, und ich sah die Ölflecken auf der Mütze und den schäbigen, verbeulten Schirm. Es war schwer zu glauben, daß er weg sein sollte. Er war in Ägypten, in Libyen und in Griechenland mit gewesen. Auf dem Flugplatz und in der Messe waren wir die ganze Zeit immer mit ihm zusammen gewesen. Er war fröhlich und groß und steckte voll Lachen, dieser Fin, mit seinem schwarzen Haar und seiner langen, geraden Nase, auf der er immer mit der Fingerspitze auf und ab fuhr. Er hatte eine Art zuzuhören, wenn man eine Geschichte erzählte, in seinen Sessel zurückgelehnt, mit dem Gesicht zur Decke, aber den Blick dabei zu Boden gerichtet, und erst gestern abend beim Essen hatte er plötzlich gesagt: «Wißt ihr, ich hätte nichts dagegen, Nikki zu heiraten. Ich glaube, sie ist ein braves Mädchen.»

Der Hirsch saß ihm gerade gegenüber und aß gebackene Bohnen.

«Du meinst, so ab und zu», sagte er.

Nikki war in einem Kabarett in Haifa.

«Nein», sagte Fin. «Kabarettmädchen geben gute Ehefrauen ab. Sie sind nie untreu. Untreusein ist nichts Neues für sie und lockt sie daher nicht; das wäre so, als wollte sie zu ihrem alten Beruf zurück.»

Der Hirsch hatte von seinen Bohnen auf gesehen. «Sei doch nicht so ein verdammter Narr», sagte er. «Du würdest doch Nikki nicht wirklich heiraten.»

«Nikki», sagte Fin sehr ernst, «kommt aus einer vornehmen Familie. Sie ist ein braves Mädchen. Sie benutzt nie ein Kopfkissen zum Schlafen. Wißt ihr, warum sie ohne Kopfkissen schläft?»

«Nein.»

Die andern am Tisch horchten jetzt. Alle hörten zu, wie Fin über Nikki sprach.

«Nun, als sie noch sehr jung war, war sie mit einem Offizier von der französischen Marine verlobt. Sie liebte ihn sehr. Dann, eines Tages, als sie sich zusammen am Strand sonnten, erwähnte er zufällig, daß er nie ein Kopfkissen benutzte, wenn er schlief. Es war eins von den kleinen Dingen, die man so zueinander sagt, nur um etwas zu sagen. Aber Nikki vergaß es nie. Von dem Zeitpunkt an übte sie sich darin, ohne Kopfkissen zu schlafen. Eines Tages wurde der französische Offizier von einem Lastwagen überfahren und starb; aber, obwohl es sehr unbequem für sie war, schlief sie auch weiterhin ohne Kopfkissen, zur Erinnerung an ihren Liebsten.»

Fin nahm einen Mundvoll Bohnen und kaute sie langsam. «Es ist eine traurige Geschichte», sagte er. «Es zeigt, daß sie ein braves Mädchen ist. Ich glaube, ich möchte sie ganz gern heiraten.»

Das war es, was Fin gestern beim Abendessen gesagt hatte. Jetzt war er weg, und ich überlegte, was für eine Kleinigkeit Nikki wohl zur Erinnerung an ihn tun würde.

Die Sonne brannte heiß auf meinem Rücken, und ich drehte mich instinktiv um, damit die Hitze die andere Seite meines Körpers traf. Als ich mich umdrehte, sah ich den Karmel und die Stadt Haifa. Ich sah den steilen blaßgrünen Berghang, der zum Meer hin abfiel, und darunter sah ich die Stadt und die Farben der Häuser, die in der Sonne leuchteten. Die Häuser mit ihren gekalkten Wänden bedeckten die Flanken des Karmel, und die roten Dächer der Häuser wirkten wie ein Ausschlag im Gesicht des Berges.

Von der grauen Wellblechhalle kamen langsam die drei Männer auf uns zu, die uns als Bereitschaftsbesatzungen ablösen sollten. Sie hatten ihre gelben Schwimmwesten über die Schultern geworfen und trugen ihre Kopfhauben in der Hand, und sie kamen langsam geschlendert.

Als sie heran waren, sagte der Hirsch: «Fin hat's erwischt», und sie sagten: «Ja, wir wissen's schon.» Sie setzten sich auf die Holzkisten, die wir benutzt hatten, und sofort war die Sonne auf ihren Schultern und auf ihren Rücken, und sie begannen zu schwitzen. Der Hirsch und ich gingen weg.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und am Morgen flogen wir das Libanon-Tal hinauf, um einen Flugplatz namens Rayak anzugreifen. Wir flogen am Hermon vorbei, der eine Mütze aus Schnee auf seinem Kopf hatte, und wir stürzten uns aus der Sonne herab auf Rayak und auf die französischen Bomber auf dem Flugplatz. Ich entsinne mich, daß sich, als wir knapp über dem Erdboden vorbeihuschten, die Türen der französischen Bomber öffneten. Ich entsinne mich, daß ich eine große Schar Frauen in weißen Kleidern herauskommen und über den Flugplatz rennen sah; ich erinnere mich besonders an ihre weißen Kleider.

Wissen Sie, es war ja ein Sonntag, und die französischen Piloten hatten ihre Damen von Beirut zu einer Besichtigung ihrer Bomber eingeladen. Die Vichypiloten hatten wohl gesagt, kommt Sonntag früh hinaus, und wir zeigen euch unsere Flugzeuge. Das sah den Vichyfranzosen natürlich ähnlich.

Als wir zu schießen anfingen, kamen sie also alle herausgestürzt und begannen, in ihren weißen Sonntagskleidern über das Rollfeld zu rennen.

Ich erinnere mich an Monkeys Stimme in meinen Kopfhörern, die sagte: «Laßt sie erst weg, laßt sie erst weg!» und die ganze Staffel drehte ab und umkreiste den Flugplatz einmal, während die Frauen in allen Richtungen über den Rasen rannten. Eine von ihnen stolperte und fiel zweimal hin, und eine humpelte und wurde von einem Mann gestützt, aber wir ließen ihnen Zeit. Ich erinnere mich an die kleinen, hellen Blitze von einem Maschinengewehr am Boden, und daß ich dachte, sie hätten wenigstens ihr Schießen einstellen können, während wir warteten, bis ihre weißgekleideten Damen aus dem Wege waren.

Das war der Tag, nachdem Fin verschwunden war. Am nächsten Tag saßen der Hirsch und ich wieder auf den Holzkisten vor der Halle in Bereitschaft. Paddy, ein großer blonder Junge, hatte Fins Stelle eingenommen und saß bei uns.

Es war Mittag. Die Sonne stand hoch und brannte wie ein nahes Feuer. Der Schweiß lief uns den Hals hinunter ins Hemd, über die Brust und den Bauch, und wir saßen da und warteten auf die Ablösung. Der Hirsch nähte mit einer Nadel und Zwirn den Riemen an seine Kopfhaube und erzählte, daß er am Abend vorher in Haifa mit Nikki gesprochen und ihr die Nachricht über Fin überbracht hatte.

Plötzlich hörten wir das Geräusch eines Flugzeuges. Der Hirsch hörte auf zu reden, und wir sahen alle hoch. Das Geräusch kam aus dem Norden, und es wurde immer lauter, während das Flugzeug näher kam, und plötzlich sagte der Hirsch: «Es ist eine Hurricane.»

Im nächsten Moment kreiste sie um den Platz und fuhr das Fahrwerk aus, um zu landen.

«Wer ist das?» fragte der blonde Paddy. «Es ist doch heute vormittag keiner gestartet.»

Dann, als sie an uns vorbei auf die Startbahn zuschwebte, sahen wir die Nummer am Schwanz der Maschine, H. 4427, und wir wußten, daß es Fin war.

Wir standen auf und sahen der Maschine entgegen, während sie auf uns zurollte, und als sie heran war und auf dem Abstellplatz herumschwenkte, sahen wir Fin in der Kabine. Er winkte uns zu, grinste und stieg aus. Wir rannten hin und schrien auf ihn ein: «Wo bist du gewesen?» - «Wo um alles in der Welt bist du gewesen?» - «Bist du notgelandet und wieder abgehauen?» - «Hast du in Beirut ein Weib gefunden?» - «Herrgott, Fin, wo bist du bloß gewesen?»

Andere kamen an und umringten ihn, Leute vom Bodenpersonal, Mechaniker, und die Männer von der Tankspritze, und sie alle wollten hören, was Fin sagen würde. Er stand da, streifte seine Kopfhaube ab, strich mit der Hand sein schwarzes Haar zurück und war so verwundert über unser Benehmen, daß er uns zuerst nur ansah und gar nichts sagte. Dann lachte er und sagte: «Zum Donnerwetter, was ist denn los? Was ist bloß mit euch allen los?»

«Wo warst du?» schrien wir. «Wo hast du dich zwei Tage lang aufgehalten?»

Auf Fins Gesicht lag grenzenlose Verwunderung. Er sah schnell auf seine Uhr.

«Fünf nach zwölf», sagte er. «Um elf bin ich losgeflogen, vor einer Stunde und fünf Minuten. Seid doch nicht so verdammt albern. Ich muß schnell gehen und den Bericht abgeben. Die Marine wird wissen wollen, daß diese Zerstörer noch im Hafen von Beirut liegen.»

Er wollte Weggehen; ich faßte ihn am Arm.

«Fin», sagte ich ruhig, «du bist seit vorgestern weg gewesen. Was ist mit dir los?»

Er sah mich an und lachte.

«Du hast schon bessere Späße gemacht», sagte er. «Es ist nicht spaßig. Es ist kein bißchen spaßig.» Und er ging weg.

Wir standen da, der Hirsch, Paddy und ich, die Mechaniker, die Leute vom Bodenpersonal und die Männer von der Tankspritze und sahen Fin nach, als er wegging. Wir sahen einander an, wußten nicht, was wir sagen oder denken sollten, verstanden nichts, wußten nichts, außer daß Fin im Ernst gesprochen hatte und das, was er gesagt hatte, selbst für die Wahrheit hielt. Wir wußten das, denn wir kannten Fin, und wir wußten es, weil es, wenn man so zusammen gewesen ist wie wir, keinen Zweifel an etwas gibt, das einer sagt, wenn er über seine Fliegerei spricht; man kann dann nur Zweifel an sich selbst haben. Diese Männer zweifelten an sich selbst, standen da in der Sonne und zweifelten an sich selbst, und der Hirsch stand an der Tragfläche von Fins Maschine und zog mit seinen Fingern kleine Blättchen Farbe von der Oberfläche, die von der Sonne ausgedörrt und rissig geworden war.

Jemand sagte: «Jetzt laust mich doch der Affe!» und die Männer drehten sich um und gingen still zurück an ihre Arbeitsplätze. Die nächsten drei Piloten für den Bereitschaftsdienst kamen langsam von der grauen Wellblechhalle auf uns zu. Sie gingen langsam in der sengenden Sonne und schwenkten beim Gehen die Kopfhauben, die sie in den Händen hatten. Der Hirsch, Paddy und ich gingen hinüber zur Messe, um was zu trinken und Mittag zu essen.

Die Messe war ein kleines weißes Holzgebäude mit einer Veranda. Darin waren zwei Räume, ein Aufenthaltsraum mit Sesseln und Magazinen und einer Durchreiche, an der man Getränke kaufen konnte, und ein Eßraum mit einem langen Holztisch. Im Aufenthaltsraum fanden wir Fin im Gespräch mit Monkey, unserem Kommandanten. Die anderen Piloten saßen um sie herum und hörten zu, und alle tranken Bier. Wir wußten, daß es in Wirklichkeit eine ernste Angelegenheit war, trotz des Biers und der Armsessel; daß Monkey tat, was er tun mußte, und daß er es auf die einzig mögliche Art tat. Monkey war ein besonderer Mensch, groß, mit gut geschnittenem Gesicht, einer Wunde von einer italienischen Kugel am Bein und einer gelassenen, freundlichen Tüchtigkeit. Er lachte nie lauthals, er gluckste und grunzte nur tief unten in seiner Kehle.

Fin sagte gerade: «Du mußt behutsam sein, Monkey; bitte hilf mir, daß ich nicht glauben muß, ich sei verrückt.»

Fin war ernst und vernünftig, aber er war schrecklich beunruhigt.

«Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß», sagte er. «Daß ich um elf Uhr startete, daß ich dann auf große Höhe ging, daß ich nach Beirut flog, die zwei französischen Zerstörer sah und zurückkam und um fünf nach zwölf landete. Ich schwöre, das ist alles, was ich weiß.»

Er sah sich in der Runde um, sah den Hirsch und mich an, Paddy und Johnny und das halbe Dutzend anderer Piloten im Raum, und wir lächelten ihm zu und nickten, um ihm zu zeigen, daß wir zu ihm standen, nicht gegen ihn, und daß wir glaubten, was er sagte.

Monkey sagte: «Was soll ich nur um Gottes willen dem Hauptquartier in Jerusalem sagen? Ich habe dich als vermißt gemeldet. Nun muß ich deine Rückkehr melden. Die werden doch unbedingt wissen wollen, wo du gewesen bist.»

Die ganze Sache wurde allmählich zuviel für Fin. Er saß aufrecht da, trommelte mit den Fingern seiner linken Hand auf der ledernen Lehne seines Sessels, trommelte mit schnellen, scharfen Schlägen, beugte sich vor, dachte, dachte, zwang sich zum Denken, trommelte auf der Armlehne seines Sessels, und fing nun auch noch an, mit den Füßen auf dem Fußboden zu trommeln. Der Hirsch konnte es nicht mehr aushalten.

«Monkey», sagte er, «Monkey, laß uns die Sache für eine Weile beiseite schieben. Wir wollen sie für eine Weile ruhen lassen, vielleicht erinnert sich Fin später.»

Paddy, der beim Hirsch auf der Armlehne saß, sagte: «Ja, und inzwischen können wir dem Hauptquartier sagen, daß Fin auf einem Feld in Syrien notgelandet ist, zwei Tage gebraucht hat, um seine Maschine zu reparieren, und dann heimgeflogen ist.»

Jeder half Fin. Die Piloten halfen ihm alle. Dabei wußte jeder von uns ganz genau, daß hier etwas vorlag, was uns alle stark berührte. Fin wußte es, obwohl das alles war, was er wußte, und die andern wußten es, denn man konnte es ihnen an den Gesichtern ansehen. Es herrschte Spannung, eine feine, hohe Spannung im Raum, weil es hier zum erstenmal um etwas ging, das weder mit Kugeln noch mit Feuer, noch mit Motorkotzen oder geplatzten Reifen oder Blut in der Kabine, weder mit gestern noch mit heute oder auch mit morgen etwas zu tun hatte. Monkey spürte es auch, und er sagte: «Ja, laßt uns was trinken und die Sache eine Weile ruhen lassen. Ich werde dem Hauptquartier sagen, daß du in Syrien notgelandet bist und später wieder starten konntest.»

Wir tranken noch mehr Bier und gingen dann hinein zum Mittagessen. Monkey bestellte ein paar Flaschen palästinischen Weißwein zum Essen, um Fins Rückkehr zu feiern.

Danach wurde die Sache überhaupt nicht mehr erwähnt; wir sprachen nicht einmal darüber, wenn Fin nicht dabei war. Aber jeder von uns dachte heimlich für sich weiter darüber nach, weil wir genau wußten, daß es etwas Wichtiges war, und daß es noch nicht erledigt war. Die Spannung verbreitete sich schnell über die ganze Staffel, und sie erfaßte alle Piloten.

Inzwischen vergingen die Tage, und die Sonne schien auf den Flugplatz und auf die Flugzeuge, und Fin nahm seinen Platz unter uns ein und flog wie sonst.

Dann, eines Tages, ich glaube, es war etwa eine Woche später, flogen wir wieder einen Angriff auf den Flugplatz von Rayak. Wir waren sechs. Monkey führte, und Fin flog rechts von ihm. Wir kamen im Tiefflug über Rayak, und da war reichlich leichte Flak, und als wir das erstemal anflogen, wurde Paddys Maschine getroffen. Als wir zum zweiten Anflug einkurvten, sahen wir seine Hurricane langsam über die Tragfläche abkippen und dann am Platzrand senkrecht zu Boden stürzen. Es gab einen großen weißen Rauchpilz, als er aufschlug, dann kamen die Flammen, und während die Flammen sich ausbreiteten, wechselte der Rauch von weiß zu schwarz, und in dem Rauch war Paddy. Sofort danach knisterte es in den Kopfhörern, und ich hörte Fins Stimme, die sehr aufgeregt ins Mikrophon schrie: «Ich hab's! Hallo, Monkey, ich erinnere mich an alles», und Monkeys ruhige, langsame Antwort: «Okay, Fin, okay; vergiß es nicht wieder!»

Wir beendeten unseren zweiten Anflug, und dann führte uns Monkey schnell weg. Wir schlängelten uns durch die Täler, mit den nackten graubraunen Bergen zu beiden Seiten hoch über uns, und auf dem ganzen Heimweg, während der ganzen halben Stunde, die der Flug dauerte, hörte Fin nicht auf über Funk zu rufen. Zuerst rief er Monkey und sagte: «Hallo, Monkey, ich erinnere mich jetzt an alles; an jede Einzelheit.» Dann rief er: «Hallo, Hirsch, ich erinnere mich jetzt an alles; ich kann es jetzt nicht mehr vergessen.» Er rief mich, und er rief Johnny, und er rief Wishful; er rief uns alle einzeln, immer und immer wieder, und er war so aufgeregt, daß er manchmal zu laut ins Mikrophon schrie und wir gar nicht hören konnten, was er sagte.

Als wir gelandet waren, rollten wir unsere Maschinen zu den Abstellplätzen, und weil Fin seine aus irgendeinem Grunde auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes abstellen mußte, waren wir anderen vor ihm im Gefechtsstand.

Der Gefechtsstand war neben der Halle. Es war ein nüchterner Raum mit einem großen Tisch in der Mitte, auf dem eine Karte der Gegend aufgespannt war. Sonst waren da noch ein kleinerer Tisch mit zwei Telefonapparaten, einige hölzerne Stühle und Bänke, und an einem Ende waren Schwimmwesten, Fallschirme und Kopfhauben auf dem Fußboden gestapelt. Wir standen dort, zogen unsere Fliegerkombinationen aus und warfen sie auf den Fußboden am Ende des Raumes, als Fin ankam. Er kam schnell bis an die offene Tür und blieb stehen. Sein schwarzes Haar stand zu Berge und war unordentlich, weil er die Kopfhaube ungeschickt heruntergezogen hatte; sein Gesicht glänzte von Schweiß, und sein Khakihemd war dunkel und naß. Sein Mund stand offen, und er atmete schnell. Er sah aus, als wäre er gerannt. Er sah aus wie ein Kind, das hastig die Treppe heruntergerannt und in ein Zimmer voll Erwachsener hereingeplatzt ist, um Bescheid zu sagen, daß die Katze im Kinderzimmer Junge geworfen hat, und nun nicht weiß, was es anfangen soll.

Wir hatten ihn alle kommen gehört, denn wir hatten darauf gewartet. Alle hielten in ihrer augenblicklichen Tätigkeit inne und sahen Fin an.

Monkey sagte: «Hallo, Fin», und Fin sagte: «Monkey, du mußt mir glauben, denn es war wirklich so.»

Monkey stand drüben bei dem Tisch mit den Telefonen; der Hirsch stand neben ihm, der kleine, breitschultrige, rothaarige Hirsch, er stand aufrecht da, mit einer Schwimmweste in der Hand, und sah Fin an. Die anderen waren am hinteren Ende des Raumes. Als Fin sprach, schoben sie sich leise näher an ihn heran, bis sie den Rand des großen Kartentisches erreicht hatten, den sie mit den Händen anfaßten. Da standen sie und sahen Fin an und warteten darauf, daß er anfing.

Er begann sofort, sprach schnell, beruhigte sich aber dann und sprach langsamer, als er in seiner Geschichte drin war. Er erzählte alles, so wie er dort stand, an der Tür zum Gefechtsstand, in seiner gelben Schwimmweste und mit Haube und Atemmaske noch in der Hand. Die anderen blieben, wo sie waren, und hörten zu, und während ich ihm zuhörte, vergaß ich, daß es Fin war, der sprach, und daß wir im Gefechtsstand in Haifa waren; ich vergaß alles und begleitete ihn auf seiner Reise, und ich kam nicht zurück, bevor er geendet hatte.

«Ich flog in etwa sechstausend», sagte er. «Ich flog über Tyrus und Sidon und über den Damour-Fluß, und dann flog ich landeinwärts über den Libanon, weil ich Beirut vom Osten anfliegen wollte. Plötzlich geriet ich m eine Wolke, eine dicke weiße Wolke, die so dick und dicht war, daß ich nichts außer dem Inneren meiner Kabine sehen konnte. Ich konnte es nicht verstehen, weil einen Augenblick vorher noch alles klar und blau und nirgendwo eine Wolke gewesen war.

Ich ging tiefer, um aus der Wolke herauszukommen, und ich ging tiefer und tiefer und war immer noch drin. Ich wußte, daß ich nicht zu niedrig fliegen durfte wegen der Berge, aber bei zweitausend war ich noch immer von der Wolke umgeben. Sie war so dicht, daß ich nichts sehen konnte, nicht einmal den Bug meiner Maschine oder die Flügel, und die Wolke kondensierte sich an der Windschutzscheibe, und kleine Bächlein von Wasser rannen an dem Glas herunter und wurden vom Fahrtwind weggeblasen. Ich habe nie vorher eine solche Wolke gesehen. Sie war dick und weiß, bis an den Rand der Kabine. Ich fühlte mich wie ein Mann auf einem Zauberteppich, als ich so allein in dieser verglasten Kabine saß, ohne Flügel, ohne Leitwerk, ohne Motor und ohne Flugzeug.

Ich wußte, daß ich aus dieser Wolke herauskommen mußte, daher kurvte ich und flog nach Westen über die See, von den Bergen weg; dann ging ich nach meinem Höhenmesser tiefer hinunter. Ich ging bis auf hundertfünfzig Meter, hundertzwanzig, neunzig, sechzig, dreißig, und die Wolke umgab mich immer noch. Ich wartete einen Augenblick. Ich wußte, daß es gefährlich war, noch tiefer zu gehen. Dann, ganz plötzlich, wie ein Windstoß, kam das Gefühl, daß nichts unter mir war; weder See noch Land noch irgend etwas anderes, und langsam, mit Bedacht, gab ich Vollgas, drückte den Knüppel hart nach vorn und stürzte.

Ich sah nicht auf den Höhenmesser; ich blickte geradeaus durch die Windschutzscheibe, in das Weiß der Wolke, und ich stürzte weiter. Ich saß da, drückte den Knüppel nach vorn, hielt die Maschine im Sturzflug, beobachtete das unendliche, anhängliche Weiß der Wolke und überlegte kein einziges Mal, wohin ich flog. Ich flog einfach.

Ich weiß nicht, wie lange ich dasaß; es können Minuten gewesen sein, es können aber auch Stunden gewesen sein; ich weiß nur, daß ich, während ich dasaß und die Maschine im Sturzflug hielt, ganz sicher war, daß das, was unter mir lag, weder Berge noch Flüsse waren, weder Land noch See, und daß ich keine Angst hatte.

Dann wurde ich geblendet. Es war so, wie wenn man im Halbschlaf im Bett liegt und jemand das Licht anknipst.

Ich kam so plötzlich und so schnell aus der Wolke heraus, daß ich geblendet war. Es lag keine Zeit zwischen dem Drinsein und dem Draußensein. Eben war ich noch drin, und das Weiß war ganz dicht um mich herum, und im gleichen Augenblick war ich draußen, und das Licht war so hell, daß ich geblendet war. Ich kniff meine Augen zusammen und hielt sie für einige Sekunden geschlossen.

Als ich sie öffnete, war alles blau, blauer als irgend etwas, das ich je gesehen hatte. Es war kein dunkles Blau, und es war kein helles Blau; es war ein blaues Blau, eine reine, leuchtende Farbe, die ich nie vorher gesehen hatte und die ich nicht beschreiben kann. Ich sah mich um. Ich sah über mich und hinter mich. Ich richtete mich auf und sah unter mich, durch das Glas der Kabine, und überall war es blau. Es war hell und klar wie angenehmer Sonnenschein, aber es war keine Sonne da.

Dann sah ich sie.

Weit vor mir, und etwas über mir, sah ich eine lange, dünne Kette von Flugzeugen über den Himmel fliegen. Sie flogen in einer einzigen schwarzen Kette, alle mit der gleichen Geschwindigkeit, alle in der gleichen Richtung, alle dicht aufgeschlossen, eine hinter der anderen, und die Kette erstreckte sich über den Himmel, so weit das Auge reichte. Es war die Art, wie sie dahinflogen, die Dringlichkeit, mit der sie sich vorwärts bewegten, vorwärts, vorwärts, vorwärts, wie Schiffe, die vor einem starken Wind segelten, das war es, was mir alles erklärte. Ich weiß nicht, warum ich es wußte oder wie ich zu dem Wissen gekommen war, aber ich wußte, als ich sie sah, daß das die Piloten und Besatzungen waren, die im Kampf gefallen waren und die jetzt in ihren eigenen Flugzeugen ihren letzten Flug, ihre letzte Reise machten.

Als ich höher und näher gekommen war, konnte ich die einzelnen Maschinen erkennen. Ich sah in dieser langen Prozession fast jeden Typ, den es gab. Ich sah Lancasters und Dorniers, Halifaxes und Hurricanes, Messerschmitts, Spitfires, Sterlings, Savoias 79, Junkers 88, Gladiators, Hampdens, Macchis 200, Blenheims, Focke-Wulfs, Beaufighters, Swordfishs und Heinkels. Alle diese und noch viele andere sah ich, und die fliegende Kette erstreckte sich über den blauen Himmel, von der einen Seite bis zur anderen, so weit das Auge reichte.

Ich war jetzt nahe dran, und ich begann zu spüren, daß ich in ihre Richtung gesogen wurde, ohne Rücksicht darauf, was ich selbst wollte. Da war ein Wind, der meine Maschine erfaßte, sie hinüberblies und sie hin und her warf wie ein Blatt, und ich wurde wie von einem riesigen Wirbel in die Richtung der anderen Flugzeuge gezogen. Ich konnte nichts dagegen tun, denn ich war in dem Wirbel und in den Armen des Windes. All das spielte sich sehr schnell ab, aber ich erinnere mich deutlich. Ich spürte, wie der Sog, der meine Maschine erfaßt hatte, stärker wurde; ich wurde schneller und schneller vorwärts gezogen, und dann flog ich plötzlich selbst in der Prozession, zusammen mit den anderen, mit der gleichen Geschwindigkeit und auf dem gleichen Kurs. Vor mir, so nahe, daß ich die Farbe des Lacks auf ihren Flügeln erkennen konnte, war eine Swordfish, eine alte Swordfish von der Marineluftwaffe. Ich sah Kopf und Haube des Beobachters und des Piloten, die hintereinander in ihren Sitzen saßen. Vor der Swordfish flog eine Dornier, ein ‹Fliegender Bleistift›, und vor der Dornier waren andere, die ich von meinem Platz aus nicht erkennen konnte.

Wir flogen weiter und weiter. Ich hätte nicht abdrehen und wegfliegen können, auch wenn ich es gewollt hätte. Ich weiß nicht warum, obwohl es vielleicht etwas mit dem Wirbel und mit dem Wind zu tun gehabt haben mag, aber ich weiß, daß es so war. Außerdem flog ich mein Flugzeug nicht wirklich; es flog sich selbst. Es gab kein Manövrieren zu bedenken, keine Geschwindigkeit, keine Höhe, kein Gas, keinen Knüppel, überhaupt nichts. Einmal sah ich auf meine Instrumente und bemerkte, daß sie alle tot waren, so wie wenn die Maschine auf der Erde steht.

So flogen wir weiter. Ich hatte keine Ahnung, wie schnell wir flogen. Ich nahm keine Geschwindigkeit wahr, und soweit ich weiß, können es ebensogut anderthalb Millionen Kilometer pro Stunde gewesen sein. Jetzt fällt mir auch ein, daß mir während dieser ganzen Zeit kein einziges Mal heiß oder kalt war, daß ich weder Hunger noch Durst fühlte; ich fühlte nichts dergleichen. Ich fühlte keine Angst, weil ich nicht wußte, wovor ich mich hätte fürchten können. Ich hatte keine Sorgen, weil ich mich an nichts erinnern konnte und mir nichts einfiel, was mir hätte Sorgen bereiten können. Ich hatte kein Verlangen, etwas anderes zu tun, als ich gerade tat, oder etwas anderes zu haben, als ich hatte, denn es gab nichts, was ich zu tun wünschte, und nichts, was ich zu haben wünschte. Ich fühlte nur Freude darüber, daß ich war, wo ich war, daß ich das wundervolle Licht und die schöne Farbe um mich herum sah. Einmal sah ich mein Gesicht im Spiegel in der Kabine, und ich sah, daß ich lächelte, mit meinen Augen und meinem Mund lächelte, und als ich wegsah, wußte ich, daß ich immer noch lächelte, einfach weil mir danach war. Einmal drehte sich der Beobachter in der vor mir fliegenden Swordfish um und winkte mit der Hand. Ich schob das Kabinendach zurück und winkte auch. Ich erinnere mich, daß sogar, als ich die Kabine öffnete, kein Luftstrom und keine Hitze oder Kälte hereinkam, und daß ich auch keinen Winddruck an meiner Hand spürte. Dann bemerkte ich, daß sie alle einander zuwinkten wie Kinder auf einer Berg-und-Tal-Bahn, und ich drehte mich um und winkte dem Mann hinter mir in der Macchi zu.

Aber mit der Kette ging etwas vor sich. Weit voraus sah ich, daß die Flugzeuge den Kurs geändert hatten, daß sie nach links kurvten und Höhe verloren. Die ganze Prozession kurvte an einem bestimmten Punkt ein und schwebte in einem weiten Kreis nach unten. Instinktiv sah ich über den Kabinenrand nach unten, und dort sah ich, unter mir ausgestreckt, eine riesige, grüne Ebene. Sie war grün und glatt und schön; sie reichte bis zum Rand des Horizonts, wo das Blau des Himmels herunterkam und sich mit dem Grün der Ebene vermischte.

Und dort war das Licht. Links von mir, in großer Entfernung, war ein helles, weißes Licht, das sehr hell leuchtete, aber keine Farbe hatte. Es war wie die Sonne, war aber etwas viel Größeres als die Sonne, etwas ohne Form oder Gestalt, dessen Licht hell war, aber nicht blendete, und das am hinteren Rand der grünen Ebene lag. Das Licht breitete sich von einem Mittelpunkt der Helligkeit nach außen zu aus und reichte bis weit hinauf in den Himmel und weit hinaus über die Ebene. Als ich es sah, konnte ich zuerst nicht wieder wegsehen. Ich hatte den Wunsch, daraufzuzufliegen, hinein, und fast sofort wurden der Wunsch und das Sehnen so stark, daß ich mehrere Male versuchte, mit meiner Maschine aus der Kette auszuscheren und geradenwegs daraufzuzufliegen; aber es war nicht möglich, und ich mußte mit den anderen weiterfliegen.

Als sie einkurvten und Höhe aufgaben, flog ich mit ihnen, und wir begannen zu der grünen Ebene hinabzuschweben. Jetzt, da ich näher war, sah ich die ungeheure Menge von Flugzeugen auf der Ebene selbst. Sie waren überall, über den Boden verteilt wie Rosinen auf einem grünen Teppich. Es waren Hunderte und aber Hunderte, und jede Minute, fast jede Sekunde, wuchs ihre Zahl, während die vor mir landeten, ausrollten und stehenblieben.

Schnell verloren wir Höhe. Bald sah ich, daß die direkt vor mir ihre Räder ausfuhren und sich zur Landung klarmachten. Die Dornier, die an vorletzter Stelle vor mir flog, fing ab und setzte auf. Dann die alte Swordfish. Der Pilot schwenkte ein wenig nach links, um der Dornier auszuweichen, und landete neben ihr. Ich steuerte etwas links an der Swordfish vorbei und fing ab. Ich sah aus der Kabine auf den Boden und schätzte die Höhe, und ich sah den grünen Boden verschwommen unter mir vorbeihuschen.

Ich wartete darauf, daß meine Maschine sinken und sich hinsetzen würde. Sie schien lange zu brauchen. ‹Komm schon›, sagte ich. ‹Komm, komm!› Ich war nur etwa zwei Meter hoch, aber sie wollte nicht sinken. ‹Geh runter!› schrie ich. ‹Bitte geh runter.› Ich begann die Nerven zu verlieren. Ich bekam Angst. Plötzlich bemerkte ich, daß ich mehr Fahrt aufnahm. Ich schaltete alle Schalter aus, aber es änderte nichts daran. Die Maschine nahm Fahrt auf, flog schneller und schneller, und ich blickte mich um und sah hinter mir die lange Flugzeugprozession vom Himmel herunterkommen und zur Landung anschweben. Ich sah die Unmenge von Maschinen auf dem Boden, weit über die Ebene verstreut auf einer Seite sah ich das Licht, das leuchtende weiße Licht, das so hell über die große Ebene schien, und zu dem es mich so hinzog. Ich weiß, wenn es mir gelungen wäre zu landen, wäre ich auf das Licht zugelaufen, sobald ich aus meiner Maschine heraus gewesen wäre.

Und jetzt flog ich davon weg. Meine Angst wuchs. Während ich immer schneller und weiter davon wegflog, erfaßte mich die Angst immer mehr, bis ich richtig durchdrehte und tobsüchtig wurde, am Knüppel riß, mit dem Flugzeug rang, versuchte, es herumzureißen, zurück zu dem Licht. Als ich sah, daß es nicht möglich war, versuchte ich, mich umzubringen. Ich wollte mich wirklich umbringen. Ich versuchte, mich mit der Maschine auf den Boden zu stürzen, aber sie flog geradeaus. Ich versuchte, aus der Kabine zu springen, aber es lag eine Hand auf meiner Schulter, die mich niederhielt. Ich versuchte, meinen Kopf gegen die Kabinenwand zu stoßen, aber das machte nichts aus, und ich saß da und kämpfte mit meiner Maschine und mit allem, bis ich plötzlich merkte, daß ich in einer Wolke war. Es war dieselbe dicke, weiße Wolke wie vorher; und ich schien zu steigen. Ich sah zurück, aber die Wolke hatte mich vollkommen umschlossen. Jetzt war nichts mehr da als dieses unermeßliche, undurchdringliche Weiß. Mir wurde übel und schwindlig. Mir war es jetzt ganz einerlei, was passierte, ich saß nur kraftlos da und ließ die Maschine allein fliegen.

Es schien lange zu dauern, und ich glaube bestimmt, daß ich viele Stunden so gesessen habe. Ich muß eingeschlafen sein. Während ich schlief, träumte ich. Ich träumte nicht von den Dingen, die ich eben gesehen hatte, sondern von alltäglichen Dingen, von der Staffel, von Nikki und von dem Flugplatz hier in Haifa. Ich träumte, ich saß mit zwei anderen vor der Halle in Bereitschaft, da kam ein Anruf von der Marine mit der Bitte, es möchte einer schnell einmal einen Aufklärungsflug über Beirut machen; und weil ich als erster an der Reihe war, sprang ich in meine Hurricane und flog los. Ich träumte, ich flog über Tyrus und Sidon und über den Damour-Fluß und stieg unterwegs auf sechstausend. Dann wandte ich mich landeinwärts über den Libanon, kurvte dann und flog Beirut vom Osten an. Ich war über der Stadt, spähte über den Rand der Kabine hinunter auf den Hafen und versuchte, die beiden französischen Zerstörer zu finden. Bald machte ich sie deutlich aus, dicht nebeneinander festgemacht am Kai, und warf meine Maschine herum und flog mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause.

Die Marine hat sich getäuscht, dachte ich auf dem Rückweg. Die Zerstörer sind noch im Hafen. Ich sah auf meine Uhr. Anderthalb Stunden. ‹Ich war schnell›, sagte ich. ‹Die werden zufrieden sein.› Ich versuchte, über Funk anzurufen, um die Information durchzugeben, aber ich kam nicht durch.

Dann kam ich hierher zurück. Als ich landete, kamt ihr alle zusammengelaufen und fragtet mich, wo ich zwei Tage lang gewesen wäre, aber ich konnte mich an nichts erinnern. Ich erinnerte mich an nichts weiter, als an den Flug nach Beirut, bis jetzt, als ich sah, wie Paddy abgeschossen wurde. Als seine Maschine aufschlug, ertappte ich mich dabei, wie ich sagte: ‹Du glückliches Aas! Du glückliches, glückliches Aas!› Und während ich es sagte, wußte ich auf einmal, warum ich es sagte und erinnerte mich an alles. Das war, als ich euch rief. Das war der Augenblick, als ich mich erinnerte.»

Fin hatte seinen Bericht beendet. Keiner hatte sich gerührt oder hatte etwas gesagt während der ganzen Zeit, die er gesprochen hatte. Er scharrte mit seinen Füßen auf dem Fußboden, drehte sich um und sah zum Fenster hinaus. Dabei sagte er leise, fast geflüstert: «Hol mich der Teufel!» Und wir anderen gingen langsam daran, weiter unsere Fliegerbekleidung auszuziehen und in der Ecke auf dem Fußboden zu stapeln; alle außer dem Hirsch, dem kleinen, gedrungenen Hirsch, der dastand und Fin beobachtete, als Fin langsam durch den Raum ging, um seine Kleidung wegzupacken.

Nach Fins Bericht wurde das Leben in der Staffel wieder normal. Die Spannung, in der wir über eine Woche lang gelebt hatten, verschwand. Unser Flugplatz war wieder ein Ort, an dem man froh sein konnte. Aber keiner erwähnte Fins Reise. Wir sprachen nicht einmal untereinander darüber, nicht einmal, wenn wir uns abends im «Excelsior» in Haifa betranken.

Die Kämpfe in Syrien näherten sich dem Ende. Jeder konnte sehen, daß sie bald zu Ende sein mußten, obwohl die Vichyleute südlich von Beirut immer noch erbittert kämpften. Wir flogen immer noch. Wir flogen viel über See, über unserer Flotte, die die Küste beschoß, denn wir hatten die Aufgabe, sie vor den Junkers 88 zu schützen, die von Rhodos herüberkamen. Es war der letzte dieser Flüge über der Flotte, bei dem Fin abgeschossen wurde.

Wir flogen hoch über den Schiffen, als die Jus 88 in großer Zahl herüberkamen und es zu einem Luftkampf kam. Wir hatten nur sechs Hurricanes in der Luft; es waren viele Junkers, und es gab eine nette Schlacht. Ich erinnere mich nicht an viel von dem, was geschah. Das tut man nie. Aber ich erinnere mich, daß es eine hektische, wilde Jagd war; die Junkers stürzten sich auf die Schiffe, die Schiffe bellten sie an, warfen herauf, soviel sie konnten, so daß der Himmel voll von weißen Blumen war, die schnell aufblühten und wuchsen und dann vom Wind weggeweht wurden. Ich erinnere mich an den Deutschen, der in der Luft explodierte, schnell, mit einem weißen Blitz, so daß dort, wo der Bomber gewesen war, nichts mehr war, außer einigen kleinen Stückchen, die langsam nach unten fielen. Ich erinnere mich an den einen, dessen Heckstand weggeschossen war, der dahinflog, während der Schütze an seinen Gurten hinten heraushing und strampelte und sich bemühte, wieder in die Maschine zu gelangen. Ich erinnere mich an einen, einen tapferen, der oben blieb, um sich mit uns herumzuschlagen, während die anderen im Sturzflug die Schiffe angriffen. Ich erinnere mich, daß wir ihn zusammenschossen, und ich erinnere mich, daß ich sah, wie er sich langsam auf den Rücken legte, den blaßgrünen Bauch nach oben wie ein toter Fisch, bevor er schließlich abtrudelte.

Und ich erinnere mich an Fin.

Ich war in seiner Nähe, als sein Flugzeug Feuer fing. Ich sah die Flammen aus dem Bug seiner Maschine schlagen und über die Motorverkleidung tanzen. Aus dem Auspuff seiner Hurricane kam schwarzer Qualm.

Ich flog dicht heran und rief ihn am F. T. «Hallo, Fin», rief ich, «du mußt wohl aussteigen.»

Seine Stimme kam zurück, ruhig und langsam: «Das ist nicht so leicht.»

«Spring!» rief ich. «Spring schnell!»

Ich sah ihn unter der Glashaube seiner Kabine sitzen. Er sah zu mir herüber und schüttelte den Kopf.

«Es ist nicht so leicht», antwortete er. «Ich bin ein bißchen zusammengeschossen. Meine Arme sind zerschossen, und ich kann die Gurte nicht losmachen.»

«Steig aus!» schrie ich. «Um Gottes willen, steig aus!» Aber er antwortete nicht. Für einen Augenblick flog sein Flugzeug weiter geradeaus, dann senkte es langsam, wie ein sterbender Adler, einen Flügel und stürzte der See entgegen. Ich verfolgte es mit den Augen; ich verfolgte die dünne, schwarze Rauchspur, die es über den Himmel zog, und während ich hinsah, kam Fins Stimme noch einmal im F.T., deutlich und langsam. «Ich bin ein glückliches Aas», sagte er. «Ich bin ein glückliches, glückliches Aas.»