VORWORT

Immer wieder bin ich gefragt worden, was für mich ausschlaggebend gewesen sei, mich so vehement und so lange für den Kampf gegen die Verschwendung von Steuergeldern einzusetzen. Ehrlich gesagt habe ich mich das auch oft gefragt. Eines Tages glaubte ich eine Antwort gefunden zu haben. Ich erinnerte mich an folgende Begebenheit.

Ich muss so um die neun oder zehn Jahre alt gewesen sein, als ich von meinem kleinen Zimmer aus dem Fenster schaute, von wo ich einen guten Blick auf eine in einiger Entfernung liegende Werkshalle hatte. Dazu muss man wissen, dass diese Werkshalle zu einer Fabrik gehörte, in der mein Großvater, mein Vater, der 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft starb, und ein Teil weiterer Familienangehöriger führende Positionen innehatten. Wir verdankten dem Unternehmen also nicht nur unseren Lebensunterhalt, sondern waren auch darüber hinaus an dessen Wohlergehen höchst interessiert.

Nun sah ich, dass am helllichten Tage an der Werkshalle völlig unnützerweise eine Lampe brannte! Ich war empört über diese Vergeudung von – heute würde man sagen – Ressourcen. Ich beschloss, beim damaligen Direktor der Fabrik vorstellig zu werden, und ging schnurstracks zu dem Verwaltungsgebäude der Fabrik, wo ich dem Pförtner sagte, dass ich Herrn Direktor K. unbedingt sprechen müsse. Der Pförtner fragte mich, wer ich denn sei, und ich antwortete stolz: »Ich bin Karl Heinz Däke, der Enkel des ehemaligen Direktors Carl Däke.« Was ich denn von Herrn Direktor K. wolle, fragte mich der Pförtner. Ich müsse ihn in einer wichtigen Werksangelegenheit sprechen, antwortete ich. »Ja, wenn das so ist, werde ich mal nachfragen, ob er jetzt Zeit für dich hat«, sagte der Pförtner und griff zum Telefon. Das Ergebnis seines für mich geheimnisvollen Telefonats: »Ja, Herr K. bittet dich, zu ihm zu kommen.«

Ich stieg, vom Pförtner begleitet, eine breite Treppe in den ersten Stock des Gebäudes hinauf und landete schließlich im Zimmer des Direktors. »Na, mein Junge, was kann ich denn für dich tun?«, fragte er mich. Aufgeregt erzählte ich von meiner Beobachtung und fügte hinzu, dass das doch nicht ginge, es koste doch schließlich Geld usw. Direktor K. versprach mir, sofort dafür zu sorgen, dass das Licht ausgeschaltet werde und konstatierte, ich träte ja schon sehr früh in die Fußstapfen meines Großvaters.

Als ich nach Hause kam, schaute ich aus meinem Fenster, und siehe da: Die Lampe brannte nicht mehr. Stolz erzählte ich das meiner Mutter. Aber deswegen hätte ich doch nicht gleich zu Direktor K. gehen müssen, sagte sie. Meine Antwort darauf: »Zu wem denn sonst?«

Vielleicht ist diese Kindheitserinnerung heute noch ausschlaggebend dafür, dass ich mich ärgere, wenn ich tagsüber Straßenlaternen erleuchtet sehe. Und vielleicht ist in der Nachkriegssituation der Ursprung meiner Achtsamkeit zu sehen. Bei uns zu Hause war, aus der Not geboren, strengste Sparsamkeit geboten.

Als ich nach meinem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln dann 1969 meine erste Stelle als Vorstandsassistent beim Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen e.V. antrat, ahnte ich nicht, dass man mir eine Frage immer wieder stellen würde: »Fühlen Sie sich nicht wie ein Don Quijote, der vergebens gegen die Verschwendung von Steuergeldern zu Felde zieht?«

Die in dem Wort »vergebens« liegende Wertung aller Bemühungen, die Verschwendung von Steuergeldern zu verhindern, mag verständlich erscheinen, wenn man Jahr für Jahr der Presse entnehmen muss, dass wieder Steuergelder für sinnlose Projekte ausgegeben wurden. Dass es wieder zu eklatanten Baukostenüberschreitungen gekommen ist, überteuerte Anschaffungen gemacht wurden oder dass Fehlplanungen, Prunk, Protz und Gedankenlosigkeit im Umgang mit Steuergeldern zu massiven Verstößen gegen den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit im Umgang mit Steuergeldern geführt haben.

Auch wurde ich oft gefragt, wie ich es psychisch verkraften könne, immer wieder die Verschwendung von Steuergeldern aufzudecken und zu veröffentlichen. Diese Frage ist berechtigt, denn in der Tat beschlich mich so manches Mal ein Gefühl der Ohnmacht. Doch auf der anderen Seite konnte ich im Laufe der Jahre feststellen, dass sich etwas veränderte. In Rathäusern, Amtsstuben, Ministerien und Parlamenten nahm die Sorge, im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler, Die öffentliche Verschwendung, genannt zu werden, zu. Der Satz: »Wir fürchten das Schwarzbuch wie der Teufel das Weihwasser« machte seine Runde. Zwar konnte damit nicht verhindert werden, dass weiterhin Steuergelder verschwendet wurden, doch eine gewisse präventive Wirkung ist dem Schwarzbuch heute nicht mehr abzusprechen.

Trotzdem hat mir die jährliche Arbeit am Schwarzbuch keine echte Freude, geschweige denn Befriedigung verschafft, auch wenn es ein Teilerfolg ist, dass die Vergeudung von Steuergeldern in der Öffentlichkeit von Jahr zu Jahr mehr Beachtung findet. Schöner wäre es für mich gewesen, wenn wir uns eines Tages entschieden hätten, kein Schwarzbuch mehr herauszugeben – aus Mangel an Beispielsfällen. Leider musste ich Jahr für Jahr ankündigen: »Das nächste Schwarzbuch kommt bestimmt.«

Manche nannten mich einen Masochisten oder glaubten, ich müsse doch eigentlich schlaflose Nächte haben. Mag sein, dass man das so sehen kann. Aber es wurde mir immer wieder zugetragen, dass in Gremien, die über die Verwendung öffentlicher Mittel für bestimmte Projekte zu entscheiden hatten, der Satz gefallen sein soll: »Wenn das der Bund der Steuerzahler erfährt, kommen wir bestimmt ins Schwarzbuch. Also lassen wir es.« Das gab Kraft und Zuversicht. Ebenso wichtig war die Wirkung des Kapitels »Verschwendung droht«, in dem sich anbahnende Verschwendungen angeführt werden. Oft hat die Aufnahme solcher Fälle in das Schwarzbuch ein Umdenken bewirkt, und geplante Maßnahmen wurden daraufhin gestrichen.

Manche der häufigen, mehr oder weniger abwertenden Äußerungen zeugen eher vom Fatalismus der Sprecher als von dem des Bundes der Steuerzahler: »Bei den Beispielen, die im Schwarzbuch angeführt werden, ist doch das Kind immer schon in den Brunnen gefallen.« Daran ist natürlich etwas. Aber allein die Tatsache, dass solche Vorfälle nicht in Vergessenheit geraten, sondern manchmal auch nach längerer Zeit noch öffentlich angeprangert werden, macht ihre Erwähnung im Schwarzbuch wertvoll.

Am schlimmsten traf mich der von Zeit zu Zeit erhobene Vorwurf, ich schüre mit dem Schwarzbuch Politikverdrossenheit oder fördere sogar Steuerhinterziehung. Interessanterweise kamen derartige Bemerkungen meistens vonseiten der gerade Regierenden. In diesem Zusammenhang wurden wir häufig als »selbsternannte Steuerwächter« bezeichnet, die, ohne dazu legitimiert zu sein, staatliches Handeln oder Unterlassen kontrollierten. Je öfter derartige Bemerkungen fielen, desto dicker wurde jedoch das Fell, das ich mir zulegte. Und ich wurde von denjenigen bestärkt, die in der außenparlamentarischen Kontrolle einen wichtigen Beitrag zur Demokratie sahen.

Auch heute noch bin ich davon überzeugt, dass die Verschwendung von Steuergeldern kein notwendiges Übel darstellt, das man wie ein Naturereignis einfach hinnehmen sollte. Nach wie vor erscheint es mir möglich, etwas zu verändern. In erster Linie vielleicht die Haltung derer, die für den Umgang mit dem Geld verantwortlich sind. Im Jahr 2012, 18 Jahre nach Beginn meiner Amtszeit als Präsident des Bundes der Steuerzahler, hat sich die Situation der öffentlichen Haushalte dramatisch verschlechtert. Kaum ein Zeitungsleser kommt angesichts der internationalen Finanzkrise noch um Meldungen herum, die früher im Wirtschaftsteil versteckt waren und somit leicht übersprungen werden konnten. Damit verändert sich das öffentliche Bewusstsein. Vor allem ist es heute mehr denn je zu einer existentiellen Frage geworden, ob wir es schaffen, unsere Haushaltspolitik in den Griff zu bekommen. Viele Politiker reagieren genervt, manchmal sogar aggressiv auf die Publikationen des Bundes der Steuerzahler. Damit zeigen sie jedoch nur, dass unsere Gesellschaft diesen Mahner als finanzpolitisches Gewissen braucht.