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Taylor Willows hatte seit neun Jahren keine Verabredung mehr gehabt. Natürlich war sie nicht die ganze Zeit über in ihrem Appartement gesessen und hatte Däumchen gedrehte, aber die letzte richtige Verabredung mit einem Mann, ein Date, hatte sie zum letzten Mal vor neun Jahren gehabt, als sie ihren Exfreund Dave kennen lernte. Dave war Juniorpartner eines Kunden, den die Firma, für die sie damals noch arbeitete, betreute und er war hin und wieder zu Meetings gekommen. Eines Tages hatte er sie in einer Pause gefragt, wo sie eigentlich anzutreffen sei, wenn sie nicht gerade Werbekonzepte für Kunden wie seinen Arbeitgeber entwarf, und sie hatten sich zum essen verabredet. Dave war eigentlich nicht das gewesen, was Taylor sich unter ihrem Traummann vorgestellt hatte Er wirkte zwar nett, aber er hatte irgendetwas an sich, das ihn nicht, so wie man es sich von seinem Traummann erhoffte, von der Masse abhob. Wenn Taylor jetzt an die vergangenen neun Jahre zurück dachte, fragte sie sich oft, warum sie sich damals hatte hinreißen lassen, mit Dave eine Beziehung einzugehen. Sie war schon immer der Meinung gewesen, dass der erste Eindruck, den man von jemandem hatte, entscheidend war, und der erste Eindruck, den sie von Dave hatte, war „Langweiler“ gewesen. Weil sie nicht unhöflich sein wollte, und weil sie sich gesagt hatte, dass es sich ja „nur um ein Essen“ handelte, hatte sie seiner Einladung damals zugesagt und irgendwie war mehr daraus geworden. Vielleicht auch nur, weil Taylor zu diesem Zeitpunkt schon eine ganze Weile Single gewesen war und es satt hatte, die Abende alleine zuhause zu verbringen, oder immer wieder das fünfte Rad am Wagen zu sein, wenn sie mit ihren Freundinnen und deren Freunden ausging. Mit der Zeit schliesslich hatte Dave sein wahres Gesicht gezeigt. Hatte er sich anfangs noch versucht, aktiv und unternehmungslustig zu zeigen, so erkannte Taylor bald, dass es Daves Lieblingsbeschäftigung war, tagsüber vorm Computer zu sitzen und sich in Chatrooms aufzuhalten, oder aber, an seinem alten Hot Rod, den er nie fertig bekommen würde, herumzuschrauben. Dave wollte nicht in Urlaub fahren und Dave wollte nicht ins Kino gehen. An Sonntagnachmittagen einen Spaziergang zu machen, fand Dave langweilig und albern, und Taylors Bücher rührte er nie an, weil er „aus Prinzip keine Bücher las“. Manchmal, wenn Taylor mit ihm sprach, war er abwesend und hörte ihr noch nicht einmal zu, wenn sie an etwas Freude hatte und diese mit ihm teilen wollte, wirkte er genervt und gelangweilt. Dave war niemand gewesen, der sich verstellen konnte, zumindest machte er sich nicht die Mühe, Taylor gegenüber interessiert zu wirken.
Im letzten Jahr ihrer Beziehung hatte Dave angefangen, Aggressionen gegen Taylor zu hegen und sie zu betrügen. Scheinbar hatte er trotz seines langweiligen Wesens einige Frauen auf sich aufmerksam machen können (was wohl an seinem Geld und an seinem Aussehen lag, er war mittlerweile Seniorpartner seines Unternehmens geworden und hässlich war er auch nicht). Die Trennung kam eigentlich ganz plötzlich und Taylor hätte nicht damit gerechnet, dass sie sie jemals durchziehen konnte. An jenem Tag, es war ein Samstag Abend, waren Dave und Taylor wie so oft zu Hause geblieben und sahen fern. In den Werbepausen surfte Dave wie immer im Internet und suchte nach Hot Rod-Teilen, was er auch dieses mal tat. Er hatte gerade einen alten Kühlergrill auf Ebay ersteigert, sprang auf, rief „Strike“ und stieß dabei Taylors Wasserglas um, das auf dem Tisch gestanden hatte. Das Wasser ergoss sich wie eine Sintflut über Daves Notebook, dessen Display sofort schwarz wurde.
„Sieh dir nur an, was du gemacht hast, du wertloses Stück Dreck“, rief Dave wutentbrannt aus und sah Taylor an, als würde er sie gleich anspringen.
„Was ICH getan habe“, rief Taylor zurück und konnte im ersten Augenblick gar nicht glauben, was sie da hörte.
Dave hatte inzwischen den Computer vom Netz genommen und ihn umgedreht, um das Wasser, das sich zwischen den Tasten seinen Weg ins Innere des Geräts gebahnt hatte, herauslaufen zu lassen.
„Er ist kaputt. DU hast ihn kaputt gemacht“, schrie Dave wie vom wilden Affen gebissen. Er versuchte, wutentbrannt sein Notebook in der Mitte auseinander zu brechen, was ihm nicht gelang. Im nächsten Moment warf er es mit voller Wucht auf den Boden.
„Du verdammte Schlampe hast mein Notebook kaputt gemacht“, schrie er weiter und tat, als wäre das kaputte Notebook seine tote Mutter, die da am Boden lag!“
„Dave, ich habe dein Notebook nicht kaputt gemacht, das warst du ganz alleine“, sagte Taylor in ruhigem Ton. Innerlich brodelte sie, doch sie wollte sich nicht auf dasselbe Niveau begeben auf dem Dave herumdümpelte. “So, ich war es also“, sagte Dave drohend. „ICH soll es gewesen sein? DUUUUU warst es“, schrie er dann, „hättest du dein blödes Wasser nicht neben mein Notebook gestellt, wäre das nicht passiert, du dummes Arschloch!“ Er schnappte sich eine Flasche Wasser und schmiss sie mit voller Wucht gegen die Wand, sodass sie von dieser abprallte und auf dem Notebook landete.
Taylor war schockiert und gleichzeitig erleichtert, dass sie ihr Wasser neuerdings in Plastik- anstatt Glasflaschen kauften. Dave hatte schon oft den einen oder anderen Ausraster hingelegt, nur, was er in diesem Moment getan hatte, brachte das Fass endgültig zum überlaufen. Sie sagte kein Wort.
„Ich geh mir jetzt ne Nutte suchen“, sagte Dave im nächsten Moment. „DICH will ich heute nicht mehr sehen und eine Nutte ist das Einzige, was mich wieder so halbwegs auf Touren bringt, du Schlampe!“
Mit diesen Worten ging er ins Bad und warf wenige Augenblicke später die Tür ins Schloss.
Seelenruhig stand Taylor langsam von der hellbraunen, gemütlichen Couch in ihrem Wohnzimmer auf und suchte sich als erstes die Nummer des Not-Schlüsseldienstes aus dem Internet. Als sie mit dem Mann vereinbart hatte, dass in zwanzig Minuten jemand kommen würde, der ihre Schlösser austauscht, begann sie, Kartons und große schwarze Müllsäcke aus dem Schrank im Flur zu holen und Daves Zeug einzupacken. Dann stellte sie seine Sachen vor die Tür und schloss mit dem neu eingebauten Schlüssel ab. Sie nahm eine Dusche, warf zwei Triazolam ein und schlief bis elf Uhr am darauffolgenden Tag. Dank ihres iPods hörte sich nichts um sich herum.
Mit einem Dröhnen im Kopf wachte sie auf. Das helle Licht, das von draußen ins Schlafzimmer schien, verursachte Kopfschmerzen, sodass sie die Augen zukniff. Erst jetzt bemerkte sie, dass niemand neben ihr im Bett lag, und ungefähr in demselben Moment erinnerte sie sich an die Vorkommnisse des vergangenen Abends. An Daves Ausraster, als er verschwunden war und als sie seine Sachen zusammengepackt und das Türschloss hatte austauschen lassen. Für einen Augenblick fragte sie sich, ob es wohl eine Kurzschlussreaktion gewesen war, und ob es nicht besser gewesen wäre, die Sache mit ihm auszudiskutieren. Vermutlich wäre es darauf hinausgelaufen, dass sie ihm ein neues Notebook gekauft hätte. Irgendwann wäre die Angelegenheit Schnee von gestern gewesen. Langsam war sie durch die Wohnung hinaus ins Vorzimmer gegangen und hatte ebenso langsam die Tür einen Spalt breit aufgemacht. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. Zum einen wünschte sie sich, dass Dave da draußen sitzen und sie bitten würde, ihn wieder herein zu lassen. Vermutlich hätte sie das auch getan, wenn er dort draußen gesessen hätte. Oder aber, dass er noch gar nicht wieder zurück nach Hause gekommen war und seine Sachen noch unberührt draußen standen. Vielleicht hätte sie sie dann alle wieder zurück in die Wohnung gebracht und die Beziehung, in der sie so unglücklich war, weitergeführt. Doch als sie hinaus auf den Flur trat, waren weder Dave noch seine Sachen da. Er musste irgendwann nachts zurückgekehrt sein und offenbar dasselbe gedacht haben, wie sie. Ihr Blick wanderte nach unten direkt vor die Türschwelle, wo ein glitzerndes, kleines Etwas lag. Der Schlüssel. Taylor hob ihn auf und in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie das Konstante in ihrem Leben, an dem sie immer so sehr festgehalten hatte, verloren hatte. Sie hatte schon Monate zuvor gewusst, dass Dave nicht der Richtige für sie war, doch er war das Symbol für Beständigkeit in ihrem Leben. So sehr sich ihr Umfeld in den letzten neun Jahren auch verändert hatte, Eines war stets gleich geblieben: Dave. Dave war hier, als sie ihren Job bei Mediatech aufgab, Dave war hier, als sie in das neue, große Appartement zog, Dave war hier, als sie ihr erstes Buch herausbrachte. Und jetzt war Dave weg.
Sie schloss die Tür hinter sich und fühlte eine unglaubliche Leere in sich aufsteigen. Sie war zwiegespalten, fühlte sich unendlich erleichtert, Dave endlich den Laufpass gegeben zu haben, diesem Mistkerl, der sie jahrelang schlecht behandelt und sie zuletzt so beleidigt hatte, doch auf der anderen Seite war sie todtraurig, dass er nicht mehr da war. Sie hatte fast etwas Angst vor den vielen Abenden, die ihr nun bevorstanden, an denen sie alleine vor dem Fernseher lag, die Tage, an denen sie allein einkaufen ging und wenn sie sich alleine etwas vom Chinesen an der Ecke bestellte. Und was, wenn sie nie wieder jemanden fand? Was, wenn sie jetzt für immer alleine blieb, wenn sie alleine alt wurde und alleine starb? Schließlich hatte sie Shannon angerufen und ihren neuen Lebensabschnitt begonnen.
Dave hatte sich erst nach zwei Wochen gemeldet. Zuerst hatte er ihr eine Mail geschickt und ihr erklärt, er wäre bereits wieder mit jemandem zusammen und er würde die restlichen Sachen, die noch bei Taylor waren, gerne abholen. Vermutlich hatte er gedacht, dass sie dadurch ausflippen würde, ihn anflehen würde, wieder zu ihr zurück zu kommen. Doch als sie ihm antwortete, dass er gerne jederzeit kommen und seinen Kram holen konnte, schrieb er zurück, dass er in seiner neuen Beziehung unglücklich war und ständig an Taylor dachte. Er kam vorbei und packte einen Teil seiner Sachen ein, wollte sie wieder zurückhaben und schrie sie an, als sie ihm sagte, dass es für sie Beide keine gemeinsame Zukunft mehr gab. Schließlich begann er sie mit SMS und anrufen zu bombardieren, in denen er entweder darum bat, noch einmal eine Chance zu bekommen, oder ihr vorwarf, dass sie ihm die letzten neun Jahre gestohlen hatte und er froh war, wenn sie ihm nie wieder unter die Augen trat, bis sie sich eine neue Nummer zulegte.