„Hoffentlich sind sie noch nicht abgereist?" fragte der Steuereinnehmer besorgt.

„Das nicht, aber sie haben sich schon auf ihre Zimmer zurückgezogen und wollen morgen früh weiter."

„Zu blöde! Was machen wir da?"

„Ein Glück, daß sie überhaupt noch hier sind; ursprünglich wollten sie schon heute weiter. Aber mit List und Tücke konnte ich das verhindern." Der Bahnhofsvorsteher flüsterte den Männern etwas ins Ohr, worauf diese ihm anerkennend auf die Schulter klopften.

„Aber es muß doch was geschehen!" drängte der Buchhalter, der sich in seiner Rolle als Vertreter des stellvertretenden Gesetzes von Somerset irgendwie verantwortlich fühlte. „He, Wirt! Für jeden einen Kognak, für Sie auch einen!"

Mr. Turner flitzte. Hier hatte er plötzlich ein paar Gäste, die sonst bei der Konkurrenz im „Weidereiter" verkehrten; die mußte man sich warm halten.

„Also, Mann", begann der Buchhalter, als der Keeper die Gläser auf den Tisch stellte: „Wir müssen die Gents noch sprechen, ehe sie abreisen; das ist wichtig . . . für unsere ganze Existenz. Wie also kriegen wir sie herunter? Sie müssen das doch am besten wissen!"

„Nein, das geht aber nicht!" wehrte der Wirt ab, „sie wollen nicht mehr gestört werden und mit dem nächsten Zug fort. Um fünf Uhr früh soll ich sie wecken. Sie haben anständig bezahlt und ich kann sie nicht mehr stören!"

„Nun hören Sie mal zu", begann der Metzger Dulles. „Sie haben vielleicht schon gehört, daß in Somerset wegen dieser blöden Indianergerüchte schon ein paar Leute trilili geworden sind?" Er tippte sich unmißverständlich an die Stirn.

„Nein, noch nichts davon gehört", gab Mr. Turner erstaunt zurück.

„Also dann hören Sie es eben jetzt! Weiter sind verschiedene Hausfrauen zum Hamstern übergegangen, so daß für die anderen nichts mehr übrig bleibt. Wenn Sie also morgen bei mir was kaufen wollen, dann kann ich Ihnen nur noch Luft einwickeln . . ."

„Das ist alles nicht so wichtig, das Tollste kommt noch: Indianer sind gesehen worden, einwandfrei gesehen worden! Na, was sagen Sie nun?"

„Ich dachte nicht, daß es wirklich . . . Nein, es war doch nur eine harmlose Andeutung." Turner war sichtlich betroffen.

„Kurz und gut, Sie müssen doch einsehen, daß wir uns Gewißheit verschaffen müssen, auf Deibel komm raus! Es handelt sich doch um unsere Existenz, um Ihre, um meine, um die aller Einwohner von Somerset!" Der Buchhalter deutete auf die leeren Gläser. „noch einen für jeden, dann bekommen wir bessere Einfälle, wie wir die Brüder aus den Betten bekommen, hoho!"

„Ja, wenn das so ist", sagte der Wirt zögernd. Da saßen sie ja wieder mal ganz schön in der Klemme. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie er es anstellen konnte, die Gäste auf die diplomatische Art noch einmal in die Gaststube zu lotsen.

„Ich hab 'ne Idee!" begann der Buchhalter. „Umsonst hat mir Watson den Sheriffstern nicht gepumpt! Ich klopfe einfach bei ihnen an und sage, daß die Papiere überprüft werden müssen, weil man einem Gangster auf der Spur ist!"

„Wie gräßlich! Könnte direkt eine Beleidigung sein!" empörte sich der Wirt. „Und was passiert? Bestenfalls reichen sie wortlos ihre Pässe oder Ausweise heraus. Deshalb kommen sie noch lange nicht zu einer Gipfelkonferenz herunter!"

„Hm", machte der Buchhalter und dann war es eine Weile ganz still.

„Ich hab's jetzt", rief der Lokführer in das Schweigen hinein. „Wir klopfen einfach an, sagen, daß die Indianer im Ort herumspuken und bitten um Vorsicht. Das können sie nicht übelnehmen, zumal sie ja selbst angedeutet haben, daß Aufstände zu erwarten sind!"

„Sie müssen sie herunter rufen, Turner."

„Klopfen Sie energisch an und markieren Sie Gefahr. Dann werden sie schon kommen!"

Der Wirt, der inzwischen den sechsten Kognak herunter gekippt hatte, war jetzt schon bedeutend mutiger geworden. Er stieg tatsächlich in die oberen Räume hinauf und klopfte an zwei Türen. Als ich niemand meldete, klopfte er noch einmal etwas stärker.

Im Gastzimmer hörte man, wie jetzt Türen aufgerissen wurden. Wortfetzen flogen hin und her, und die Türen klappten wieder.

„Sie kommen!" frohlockte der Keeper und kehrte an den Tisch zurück. Er rieb sich die Hände.

Er hatte sich kaum wieder an die Theke begeben, um erneut die Gläser zu füllen, als die drei „Sombreros" im Türrahmen auftauchten, diesmal allerdings ohne Hüte, aber vollständig angezogen. In den Händen hielten sie schußbereit die Colts.

„Junge, die sind aber auf Draht", dachte Turner, „scheinen an Überraschungen gewöhnt zu sein!"

„Abend, Gentlemen", grüßten sie die Somerseter Bürger. „Wie unangenehm, daß man hier nicht mal in Ruhe schlafen kann!"

„Dachten wirklich nicht, daß sich in dieses friedliche Städtchen auch schon Rothäute verirren. Wo sind sie denn?" Sombrero Nummer zwei sah sich suchend um.

„Sie sind heute nachmittag gesehen worden, und da dachten wir, Sie wüßten vielleicht . . . woher . . . welchen Weg ..." Der Buchhalter mit dem Sheriffstern stotterte. „Ich . . . äh . . . bin . . . nämlich hier zur Zeit der Sheriff und muß für Ruhe und Ordnung . . ."

„Aber Mann, Sie können uns doch nicht wegen eines Rotgesichts aus den Federn holen! Klar, daß sie hier und da mal herumspuken. Haben sie denn schon angegriffen, jemanden umgelegt, skalpiert oder verschleppt?" Die Sombreros starrten die Somerseter an.

„Nein, eigentlich noch nicht..."

„Na, das sind doch wirklich kleine Fische. Die sind mit ein bißchen Bum-Bum in Schach zu halten, hohohoho! Die rennen, sobald sie nur Pulver riechen! Haben doch sicher ein paar kleine Schießeisen auf Lager, Sheriff, wie?"

„Ich h-ha-habe nur meine Di-di-dienstpistole, sonst nichts . . . stammelte der und hantierte verlegen an seinem Sheriffstern herum.

„Hoho", lachte Sombrero mit den buschigen Brauen und warf seine Pistole in die Luft, um sie mit geschicktem Griff wieder aufzufangen. „Das ist allerdings etwas dürftig. Aber zur Not müßte das ja ausreichen, wenn es sich nur um ein paar Kundschafter handelt . . ."

„Wer weiß das aber?" warf der Lokführer ein.

„Tja, da ist nichts zu machen; bewaffnen Sie sich und halten Sie die Augen offen, mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Einschüchtern muß man sie; das ist doch eine Kleinigkeit für Leute wie Sie, hoho!"

Sombrero Nummer zwei blickte auf die Uhr. „Zeit, Gents, um vier ist die Nacht vorbei. Müssen weiter, versprochen ist versprochen!"

„Ja, können Sie uns denn nicht noch ein paar kleine Tips geben?" fragte der Wirt schüchtern.

„Nicht, daß wir wüßten", antwortete der Fremde mit den buschigen Augenbrauen. Das einzige ist eine wirksame

Aufrüstung, nach meinen Erfahrungen wenigstens . . .

„Könnten Sie uns nicht — einen oder — auch zwei Colts dalassen, für alle Fälle?"

Die Sombreros sahen sich an.

„Die brauchen wir doch selber!"

„Wirklich, die können wir nicht abgeben!" Nummer zwei zuckte bedauernd mit den Schultern.

„Wenn wir wenigstens noch einen Colt hätten. Sie haben doch jeder zwei ..." bat der Schneider.

„Hm, wenn es Sie beruhigt, wir müssen uns dann eben im nächsten Town neu ausrüsten. Macht fünfzig Dollar. Die müssen Sie schon herausrücken!"

Die Somerseter Bürger zückten ihre Geldbörsen. Insgesamt bekamen sie aber nur 24 Dollar zusammen.

„Jetzt ist mein ganzes Taschengeld für die Woche hin", seufzte der Schneider.

„Opfer müssen für die Sicherheit gebracht werden. Es ist schließlich wichtiger als unser Wohlleben!" rief Ted Williams begeistert. „He, Turner, legen Sie doch den Rest vor — wir legen es nachher auf die gesamte Bürgerschaft um . . ."

Was blieb dem Wirt anderes übrig? Er ging zu seiner Kasse an der Theke und entnahm ihr die restlichen 26 Dollar.

Gleichmütig strich der Sombrero das Geld ein. „Trenne mich ungern von diesem Colt" bemerkte er dazu, „habe mich damit am oberen Missouri gegen eine wütende Meute von Krähenindianern verteidigt. . . Aber wenn es Sie beruhigt und ich Ihrem Town helfen kann, er soll Ihnen ebenfalls Glück bringen!"

„Vielen Dank", sagte der Buchhalter und faßte neuen Mut: „Darf man noch wissen, in welches Gebiet Sie jetzt weiterziehen; es interessiert mich sozusagen aus dienstlichen Gründen. Es könnte doch sein, daß eine Spur aufzunehmen ist oder daß wir Ihnen helfen müssen."

„Nun, es ist kein Geheimnis, Gents", antwortete der Sombrero mit den buschigen Augenbrauen. „Wir wollen nach Mexiko; zunächst aber ist noch ein aufsässiges Pueblo-Indianerdorf an der Grenze zur Räson zu bringen — müssen dort ein Sortiment Waffen abliefern. Allerdings muß es schnell gehen, denn die Aufständischen, ein äußerst brutaler Apachenstamm, terrorisiert bereits die Bevölkerung auf hinterhältige Weise. Die Bande geistert in der Gegend Ihrer Ostgrenze herum!"

„Na, kleine Fische, sind schon mit ganz anderen fertig geworden!" fügte der andere hinzu. „So, nun müssen wir aber in unsere Betten! Wer weiß, wie lange wir nicht mehr so zivilisiert schlafen können!"

„Na — dann gute Nacht!" riefen die Somerseter im Chor und sahen den Männern nach, wie sie mit schweren Schritten aus der Gaststube stampften.

Viertes Kapitel

MÄUSCHEN IM SOMERSETER „VERTEIDIGUNGSRAT"

„Geistige" Aufrüstung geht jeder ordentlichen Mobilmachung vor — Hätte ich das nur vorher geahnt, ich Rindvieh! — Wer soll denn das bezahlen? — Vorschläge werden dankend entgegengenommen — Vom Festungsgraben bis zur völligen „Einnebelung" — Tuffys Streiche . . . auch ein Beitrag zur „Verteidigung" Somersets — „Whisky", ein zu klein geratener Schäferhund, weiß, wie man Pflicht und Neigung miteinander koppelt — Vater Dunn folgt einer „höheren" Einsicht und vermittelt den Somersetern das größte „Waffengeschäft" seiner Zeit —

„Sehr viel schlauer sind wir nun auch nicht", bemerkte Mr. Plumrose, nachdem im Obergeschoß die Türen zugeflogen waren.

„Auf alle Fälle haben wir jetzt einen Colt mehr — und das ist nicht zu verachten. Damit können wir schon eine Flanke des Towns sichern. Wenn man dann noch Tunkers und Watsons Waffen dazunimmt... und hier und da vielleicht eine Jagdflinte zusätzlich einsetzt — gibt's schon eine ganz nette Feuerkraft", bemerkte der Buchhalter. „Aber das ist nur meine bescheidene Meinung, vielleicht haben andere mehr Erfahrung darin".

„Schließe mich Ihrer Ansicht völlig an, lieber Williams", sagte Metzger Dulles lebhaft und winkte dem Wirt. „He, Turner, nun eine Runde helles Bier, müssen unser Innenleben etwas stärken. Liegt ja mal wieder 'ne mächtige Verantwortung auf den Schultern der Bürgerschaft!"

Nachdem die Wackeren einige gewaltige Schlucke hinter die Binde gegossen hatten, schien sich ihre Stimmung zu heben. Alle wurden auf einmal viel mutiger, und wenn in diesem Augenblick ein Rotgesicht zur Tür hereingeschaut hätte — man wäre ihm mit Karacho mutig entgegengetreten.

„Wir sind noch Manns genug, diese Gefahr abzuwenden, sollte sie wirklich bestehen", donnerte der Schneider, „bei unseren Postenketten im Norden, Süden, Osten und Westen des Towns kann so leicht niemand durchschlüpfen, das ist doch klar!"

„Klar!" riefen die andern im Chor, und klirrend schlugen die Biergläser gegeneinander.

„Es kommt nur auf die richtige Organisation an, das ist alles!"

„Wir lassen uns nicht so leicht ins Bockshorn jagen!"

„Einigkeit macht stark, und wenn jeder das seine zur Verteidigung der Stadt beiträgt, kann so leicht nichts passieren!"

So redeten alle wild durcheinander, während der Wirt die Hände vor seinem Spitzbäuchlein gefaltet hielt und lächelnd nickte.

„Wo nur Watson bleibt, unser ehrenwerter Hilfssheriff!" Sein Vertreter blickte besorgt auf die Uhr.

„Der ist beschäftigt; ehe er das Tohuwabohu in seinem Hause geschlichtet hat, kann es morgen früh werden", lachte der Schneider. „Die alten Schachteln liegen sich bestimmt in den Haaren, soweit ich das beurteile; da muß er erst mal richtig dazwischen fegen!"

„Aber wir müssen doch irgendwas beschließen, zu Protokoll geben, nicht wahr? Am besten, wir trommeln noch die übrigen Männer von Somerset zusammen, dann hat unsere Sitzung wenigstens Hand und Fuß!" Wirklich, Mr. Williams hatte gute Ideen.

„Ich geh und sag ihnen Bescheid! Macht sich besser, wenn man die Gents so quasi dienstlich ins Wirtshaus holt, dann können die werten Hausfrauen nicht meckern". Er stand auf und ging auf die Tür zu.

Als er die Hand auf die Klinke legen wollte, wurde die Tür aufgerissen, und Watson stand auf der Schwelle.

„Hoho, endlich", winkten die Männer erfreut. Mit gesenktem Kopf, um den Mund einen Leidenszug, stapfte der Hilfssheriff auf die Runde zu.

„Muß mich erst mal setzen", murmelte er tonlos, „bin total fertig, erledigt, kaputt".

Alle sahen mitleidsvoll auf das Gesetz, dem die Hände noch zu zittern schienen. Watson sah wirklich arg mitgenommen aus. Seine schütteren Haare standen zu Berge, im Hemd hatte er ein paar Risse und auf seiner Stirn perlten Schweißtröpfchen.

„Bier!" stammelte Onkel John und winkte dem Wirt. „Ich komme um vor Durst, habe das Gefühl, als hätte ich zehn Säcke Sand verschluckt!"

Wortlos stellte Mr. Turner ein volles Glas vor ihn hin, das Watson sofort gierig ergriff und in einem Zug hinunterstürzte.

„Noch eins", sagte er mit schwermütigem Gesichtsausdruck und hielt dem Wirt das geleerte Glas entgegen. „Sofort", sagte dieser und hastete zur Theke. Er wußte, wenn Watson in dieser Art Bier verlangte, dann hatte er es nötig!

„Nun will ich Ihnen Ihr Amt erst mal wieder zurückgeben, habe keinen Mißbrauch damit getrieben". — Mr. Williams nestelte den Sheriffstern von seiner Brust und legte ihn vor Watson auf den Tisch. Doch dieser nahm keine Notiz davon, sondern stürzte sein zweites Bierchen hinunter.

„Ah, das tat gut", seufzte er und wischte sich den Schaum vom Mund. Seine Leichenbittermiene hellte sich schon etwas auf.

„War es sehr schlimm?" wollte Metzger Dulles wissen.

„schlimm?" Watson lachte trocken auf. „Schlimm? Es war die Hölle, das Inferno, wie man sagt, und überhaupt allerhöchste Eisenbahn, daß ich aufkreuzte."

„Na so was? Sind doch alles alte, zahme Leutchen, wie ich hörte?" Der Lokführer neigte sich teilnahmsvoll zu Watson hinüber.

„Hätte ich das nur vorher geahnt, ich Rindvieh! Keinen einzigen von diesen Satansbraten hätte ich in mein Haus gelassen. Eine Horde Wilder ist ein gemütliches Kaffeekränzchen dagegen. Stellen Sie sich vor: Schon von weitem hörte ich das gräßliche Gekeife! Mit Ach und Krach quäle ich mich durch die Tür, der das Schloß fehlte und die zum Teil sogar eingedrückt war. Ich erstarre: In sämtlichen Räumen und sogar im Office tobt eine heftige Saalschlacht. Die Gärtnersleute prügeln sich heftig mit den Bakers — offensichtlich wegen des Platzes für ihre Federbetten. Die alte Oma Baker rast vor Wut in die Küche, holt ein Messer und schlitzt den Gärtnersleuten die Betten auf. Zorniger Aufschrei, aber nichts zu sehen vor herumfliegenden Federn.

Ich versuche, Ordnung zu schaffen. Inzwischen boxt die Timpedow die Bakers in eine Ecke und verrammelt diese mit sämtlichen greifbaren Koffern. Ich donnere, befehle, bitte und versuche, wenigstens das Office in Ruhe zu lassen.

Plötzlich aus der Küche ein hysterisches Prusten und Schnauben! ich rase hin und finde die Schwiegermutter von Baker gräßlich spuckend und hustend am Tisch.

„Hat wohl E-605 verschluckt?" grinste der Lokführer.

„Ach, wenn's das nur gewesen wäre! Aber was hat sie gemacht? Wollte einen starken Kaffee kochen, erwischt die Kaffeebüchse, in der aber bei mir Pfeffer aufbewahrt wird und knallt in ihrer Rage ein paar Löffel davon in die Kanne. Als sie dann wenige Minuten später eine Tasse davon trinken will, merkt sie die Bescherung. Heiliger Bimbam, ich dachte wirklich, sie erstickt!"

„So was Blödes aber auch! Das riecht man doch gleich!" Der Buchhalter schüttelte den Kopf.

„Die Leute sind völlig konfus, zu einer klaren Überlegung nicht mehr fähig. Oh ich Trottel, das habe ich nun von meiner Menschenfreundlichkeit! Noch ein Bier, Turner!"

„Und das alles wegen dieser albernen Indianer, von denen man bisher nur einen gesehen haben will — wenn das nicht auch nur ein Spuk war", seufzte Dulles. „Aber nach diesem Intermezzo ist wohl hoffentlich der Friede wieder bei Ihnen eingekehrt?"

„Haha, daß ich nicht lache!" entgegnete Watson wild. „Als ich endlich die Pfefferschluckerin beruhigt und allen anderen ihre Plätze zugewiesen hatte, stolzierte Jimmy herein, mein hoffnungsvoller Neffe. Von den eingetauschten Würstchen hatte er vielleicht noch vier oder fünf bei sich. Auf meine Vorhaltungen wird er frech — ich sollte froh sein, daß er überhaupt etwas mitgebracht habe — und in dem Stil gings lustig weiter. Na, da war's aber aus, da habe ich den Bengel erst mal vertrimmt, worauf er wieder einigermaßen normal wurde. Die restlichen Würstchen hatte ich ja dann wirklich verdient. Vor Wut schlang ich sie ohne Brot herunter, daher mein Durst! Noch ein Bier Keeper!"

„Ja, sie sind gut gewürzt!" lachte der Metzger. „Aber daß Jimmy von dieser Unmenge nur ein paar übriggelassen hat, das ist denn doch die Höhe! Hätte ich das geahnt, lieber Watson — wirklich, ich hätte ihm nicht ein einziges Paar eingepackt!"

„Zu spät, lieber Freund, zu spät! Es ist alles meine Schuld, habe diesen Lausefanz zu sehr verwöhnt, ist nun einmal mein einziger Neffe!" Watson winkte ab. „Aber diese Kinkerlitzchen sind wirklich nichts im Vergleich zu der Gefahr, die unsere Stadt bedroht. Kommen wir also zur Sache. Was — äh — hat sich hier in meiner Abwesenheit ereignet? Wurden die durchreisenden Gentlemen geschnappt und interfjut?

„Selbstredend, lieber Watson", antwortete Mr. Gray, der Steuereinnehmer. „Sehen Sie nur mal diesen herrlichen Colt! Von uns gemeinsam erworben — ein Eckpfeiler unserer Verteidigung — hm — zu der es hoffentlich nicht im Ernst kommt. Nun, was sagen Sie zu dem herrlichen Stück?"

Watson nahm die entsicherte Waffe in die Hand. „Wirklich, ein sauberes Kanönchen, aber natürlich längst nicht ausreichend für die Verteidigung einer ganzen Stadt!"

„Na, erlauben Sie mal", wandte Mr. Plumrose ein, „was meinen Sie, wie schwer es war, die Gents überhaupt erst mal herunterzulotsen — die schliefen nämlich schon wie die Murmeltiere. Allein dem geschickten Verhalten Ihres Herrn Stellvertreters war es zu verdanken, daß wir dieses Ei ergattern konnten — für lumpige fünfzig runde Dollars!"

„Fünfzig Dollars, das ist aber ein sündhaftes Geld — wewewer soll denn dadas bezahlen?"

„Ganz Somerset natürlich, wer denn sonst? Und ich bin mir sicher, daß jeder gern dieses kleine Opfer auf sich nehmen wird. Immer noch besser als überraschend skalpiert zu werden, stimmt's?" verteidigte der Buchhalter seinen Rüstungskauf.

„Na gut, was gab es weiter, konnten Sie Näheres erfahren?"

Die Männer berichteten über ihre Begegnung mit den Fremden, die nach Mexiko wollten.

„Zu dumm, daß ich nicht eher abkömmlich war", jammerte Watson, „man sieht, hier waren wieder einmal blutige Laien am Werk. Als geschulter Krimanologe hätte ich mich niemals mit so vagen Andeutungen zufriedengegeben. Ausgequetscht hätte ich die Burschen, und wie! Aber ich kann mich ja auch nicht zerreißen, muß ja für den Tunker die Arbeit mitmachen — der hat's ja nicht nötig! Soviel sehe ich, können wir uns nur auf uns selbst verlassen!" Er stützte in tiefem Nachdenken den Kopf in beide Hände.

Dabei merkte er nicht, daß inzwischen weitere Somerseter Bürger den Saloon betreten hatten.

Jetzt setzten sich der Schäfer Muton und der Heizer Norman an den Tisch. Sie begrüßten ihre Mitbürger. Ja, der Schneider Plumrose war persönlich bei ihnen gewesen und hatte sie zu einer sofortigen Bürgerversammlung in den ,Silberdollar' beordert.

Immer mehr traten ein und ließen sich in der Runde nieder. Als Watson wieder aufblickte, sah er sich inmitten einer prächtigen Versammlung. Die Männer unterhielten sich murmelnd und ließen sich Bier und Schnäpse bringen.

Das Gesetz war wieder hellwach. „Gut, daß alle da sind!" donnerte Watson und sprang auf. Wer die lieben Mitbürger einberufen hatte, interessierte ihn nicht.

„Es fehlen zwar noch ein paar Leutchen, die kommen wohl später", verkündete der Schneider, der als letzter soeben eingetreten war.

„Na schön, wir fangen jedenfalls an!" John Watson klopfte mit dem neben ihm liegenden Colt ruhegebietend an die Tischkante. „Wie jeder Spatz von den Dächern pfeift, leben wir in trullibenten Zeiten. Wir müssen also Maßnahmen — eh, Ruhe dahinten! — Maßnahmen, sage ich, müssen wir ergreifen, damit hier keine übergreifen — äh, wollte sagen, damit es hier in unserm friedlichen Somerset nicht zu Übergriffen, Raub, Mord und Totschlag kommt. Verstanden?"

Beifälliges Gemurmel.

„Leider sind auch in unserm Town", fuhr Watson mit klagender Stimme fort, „Auflösungserscheinungen spürbar geworden, wie ich sie noch nie erlebt habe".

„Bei den Federbetten, hihi", rief ein Witzbold dazwischen.

Es besteht kein Anlaß zu Späßchen, dahinten in der Ecke! Wenn schon die Menschen aus ihren Häusern flüchten müssen, so ist das schlimm genug! Wenn aber am hellichten Tage feindliche Indianer gesehen werden, so sollte uns das ein ernstes Wurmmehl, ich meine Warnmal sein! Ich höre mir jetzt die Vorschläge an, wie wir uns gegen Krieg, Angriffe, Überfälle und hysterische Ausbrüche schützen können."

„Schlage vor", meldete sich der Sargmacher, „wir sammeln erst mal alle verfügbaren Waffen ein und übernehmen dann abwechselnd die Wache!"

„Gut!" rief Watson, „wer hat also noch Gewehre, Pistolen, Säbel und dergleichen?"

Zwei, drei Männer meldeten sich zaghaft. Es stellte sich heraus, daß der erste eine verrostete Jagdflinte, Modell Treffnit, der andere einen uralten Türkensäbel und der dritte ein einschüssiges Springfieldgewehr besaß. Das war in der Tat etwas dürftig, aber besser als nichts. Watson befahl, die Waffen im Office abzuliefern.

„Wie wäre es, wenn wir schnell einen Wassergraben um die Stadt legten? Wenn wir alle zufassen, mit Frauen und Kindern natürlich, kann uns doch eigentlich nichts mehr passieren!" Mr. Stanley blickte nach diesem Vorschlag beifallgebietend um sich.

„Vielleicht noch 'n Zugbrücke wie in alten Kinderbüchern? Nee, Männeken, wir leben doch nicht im Märchenland, sind 'ne moderne Stadt. Kann doch keiner mehr rein und raus, wenn es ringsum plätschert. Außerdem müßte

der Graben schon sehr breit sein, sonst ist er witzlos. Dazu braucht man Wochen!" kam es aus dem Hintergrund.

„Und woher das viele Wasser nehmen?" fragte ein anderer.

„Aus dem Red River herüber leiten", lautete die Antwort.

„So ein Käse!"

„Keine Ahnung von Kanalbau!" „Unmöglich!"

Wieder donnerte Watson mit dem Schießeisen gegen den Tisch. „Wir stimmen ab: Wer ist für den Graben?" Etwa zehn Arme fuhren hoch. „Wer ist dagegen?"

„Sieben, zehn, zwölf . . ." zählte Onkel John. „Vorschlag mit Stimmenmehrheit abgelehnt".

„Wie wäre es denn mit einem elektrischen Zaun?" Dieser Vorschlag kam von einem Elektriker. „Kann ganz unauffällig gemacht werden. Nähern sich unerwünschte Besucher, dann bekommen sie einen Schlag, fallen um und wir können sie kassieren."

„Wenn aber ein armes Kaninchen oder ein Hund dagegen rennt? Eh? Dann sind wir Tag und Nacht am Aufpassen, was? Also, ich finde das sehr unpraktisch", kritisierte Mr. Gray.

„Ja, Tierquälerei!" warf jemand ein.

„Schön, also dann auch keinen elektrischen Zaun", verkündete Watson. „Aber irgend etwas müssen wir doch unternehmen, für alle Fälle".

„Ich habe eine andere Idee". Die Stimme, die das sagte, gehörte dem Schuhmacher Cobber. „Wir nebeln Somerset einfach ein. Den nötigen Nebel lassen wir uns in der nächsten chemischen Fabrik nach Maß anfertigen. Ich halte das für die beste Tarnung, na?" Begeisterte Zurufe.

„Es kann ja auch noch jeder sein Haus extra einnebeln, um ganz sicher zu gehen. Das gibt dann ein schönes Herumtappen ... ich sehe die Brüder schon hilflos umherwanken und vergeblich nach Skalpe ausspähen", ergänzte der Schuster seine Idee.

„Mann, Sie haben das einzig Richtige getroffen. Somerset kann stolz auf Sie sein. Woher haben Sie nur diesen Einfall?" wollte Watson wissen. In Wirklichkeit ärgerte er sich doch ein bißchen darüber, daß er nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen war.

„Wer stimmt für Einnebeln — vorausgesetzt natürlich, daß wir das Zeug auch bezahlen können. Bitte, Hand heben!"

Viele Arme flogen in die Höhe.

„Die Mehrzahl", entschied Watson und winkte ab.

Auf diesen glorreichen Vorschlag hin wurde erst einmal Bier verlangt. Die Stimmung stieg weiter, und der Wirt hatte alle Hände voll zu tun. Unermüdlich versorgte er die tapferen Somerseter und ihren tatkräftigen Hilfssheriff.

Als dieser gerade auf nähere Einzelheiten des Nebelprojekts eingehen wollte, tippte ihn Mr. Turner zart auf die Schulter.

„Was gibt's denn, Keeper? Ist etwa der Stoff ausgegangen?"

„Noch nicht, Mr. Watson. Aber wenn Sie bitte ans Telefon kommen wollen, da rechts!"

Unwillig folgte Watson dem Wirt an eine Schmalseite des Büffets, an der ein altertümlicher Fernsprecher angebracht war.

„Hier spricht das Gesetz ...ah... Watson", knurrte er ungnädig in die Sprechmuschel hinein. Der Wirt machte sich inzwischen diskret an den Gläsern zu schaffen, allerdings so leise, daß er das Telefongespräch auch noch möglichst vollständig mitbekam.

Aus dem Apparat kam ein aufgeregtes Quaken, dann rief Watson beschwörend „Nein" und „Aber". — „Grauenhaft!" kam es dann nur noch gehaucht von seinen Lippen, während er mit zittrigen Fingern den Hörer einhängte. Bleich wie ein Handtuch wankte er an seinen Platz zurück.

Im Wohnzimmer der Familie Dunn war der Abendbrottisch gedeckt, seit Stunden schon. Mrs. Dunn saß mit einem Berg Stopfzeug am Fenster. Aber sie arbeitete nicht, sondern starrte nur nach draußen. Wo bloß ihr Mann blieb? Er war am Nachmittag zum Richtfest eines Bekannten gegangen, der sich ein kleines Häuschen zusammen gespart hatte.

„Es dauert höchstens zwei Stündchen", waren seine letzten Worte gewesen, als er fortging.

Wenn nur nichts passiert war! Von Unruhe erfüllt stand Mrs. Dunn auf und lief im Zimmer hin und her. Mit halbfertigen Häusern war das so eine Sache. Neulich hatte in der Zeitung gestanden, daß ein Mann bei der Besichtigung eines solchen abgestürzt war und sich dabei ein Bein gebrochen hatte.

Ach was, ich sollte nicht so schwarz sehen, beruhigte sie sich dann, die Männer werden einen über den Durst getrunken haben! Wenn Männer ins Klönen kommen, finden sie noch weniger ein Ende als Frauen, denen man immer Schwatzhaftigkeit nachsagt.

Viel schlimmer war, daß Tuffy, dieser Lausebengel, auch noch nicht nach Hause gefunden hatte. Seit Stunden hatte Mrs. Dunn ihren Sohn nicht mehr gesehen. Ob er keinen Hunger hatte? Futterte doch sonst alle zwei Stunden für drei! Wer weiß, was wieder dahinter steckte? Mrs. Dunn kannte ihren Boy. Hatte er seine Streiche im Kopf, dann vergaß er Essen und Trinken, Vater und Mutter! Die Wichse, die ihn erwartete, hatte er sowieso immer einkalkuliert. Die nahm er mannhaft hin, das mußte man ihm lassen.

Wenn der Bengel wenigstens noch vor seinem Vater käme, dann konnte sie den Familienfrieden vielleicht für diesen Abend retten.

Da, ein kratzendes Geräusch. Aha, vor lauter schlechtem Gewissen trat sich das Bürschchen auch noch die Schuhe ab. Na, er war wenigstens da!

Aufatmend schoß Mrs. Dunn zur Tür. „Tuffy?"

Doch von Tuffy keine Spur. Es war niemand anders als der Vater, der ins Zimmer trat.

„Du machst ja 'n Gesicht wie zehn Tage Regenwetter, Frau! Freu dich lieber, daß ich wieder da bin — na, doch ein bißchen später geworden, als ich dachte. Schlimm?"

„Ach was", stammelte Mrs. Dunn und nahm den kalt gewordenen Tee vom Tisch, um neuen aufzubrühen.

„Haben mir doch die Brüder einzureden versucht, wie

billig so ein Neubau ist. . . ha, kenne das! Fühle mich hier in unserm alten Siedlerhaus auch ganz wohl, du nicht auch? — Und einen Hunger habe ich — nach dem vielen Alkohol sehne ich mich jetzt wirklich nach etwas Handfestem. Was gibt's denn?"

„Ich mach dir gleich ein paar Rühreier mit Speck!"

„Wunderbar! Auf die habe ich gerade Appetit!"

Mrs. Dunn ging in die Küche. Ihr Mann nahm seinen karierten Hausrock vom Wandhaken und schlüpfte hinein. „Tut mir leid, daß ihr so lange warten mußtet mit dem Essen. Das wollte ich natürlich nicht!"

„Oh, ist nicht weiter schlimm", antwortete Mrs. Dunn freundlich und schlug die Eier in die Pfanne. Heiliger Strohsack, wie sollte sie ihrem Mann nur plausibel machen, daß Tuffy noch nicht . . .

„Tuffy!" ertönte da die Stimme des Hausherrn. Er rief den Namen seines Sohnes laut in Richtung von dessen Schlafkammer. „Wir können jetzt essen!"

Doch nichts rührte sich. Mrs. Dunn sah vor Schreck gar nicht erst auf. Da trat ihr Mann an sie heran. „Schläft er denn schon soo fest?"

Tuffys Mutter tat die fertigen Rühreier auf einen Teller und drückte diesen ihrem Mann in die Hand. „Tut mir leid, aber er ist--noch--nicht da!"

„Nicht da? Was soll das heißen?" Der Teller in seinen Händen zitterte leicht.

„Na, paß schon auf! Fehlt nur noch, daß du das fallen läßt!" Frau Dunn schüttelte in gespielter Strenge den Kopf und nahm ihrem Mann mit schnellem Griff das Essen ab.

„Aber das ist doch die Höhe! — Der hat da zu sein, verflixt und zugenäht! Wo treibt er sich denn jetzt noch herum? Das möchte ich wirklich mal wissen!"

„Nun reg dich doch nicht so auf, Mann. Gewisse Ähnlichkeiten hat er halt mit dir — du weißt, der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum!"

„Na, höre mal, das ist doch wohl noch ein kleiner Unterschied! Vielleicht frage ich demnächst noch den Herrn Sohn, wann ich nach Hause kommen darf, wie? So was wollen wir denn doch nicht erst einführen!"

Mr. Dunn war in Rage gekommen. „Ich werde ihm schon beibringen, daß er sich bei Dunkelheit nach Haus zu scheren hat; du hast ihm eben immer viel zuviel Freiheit gelassen. Aber das hört jetzt auf!"

Papa Dunn zog den Hausrock wieder aus und schlüpfte in seine Ausgehjacke.

„Aber Mann, du willst doch jetzt nicht noch mal fort? Beruhige dich doch und iß erst einmal."

„Wir essen alle drei zusammen oder überhaupt nicht", donnerte der Hausherr und suchte nach seinem Spazierstock, mit dem er dem unpünktlichen Sprößling die Flötentöne beizubringen gedachte.

Kopfschüttelnd deckte Mrs. Dunn das nicht angerührte Abendessen mit einem Deckel zu. Sie wußte, gutes Zureden war jetzt zwecklos. Nichts konnte ihren Mann so in Wut bringen wie Ungehorsam und Unzuverlässigkeit. Der arme Boy, wenn er jetzt von seinem Vater erwischt wurde, dann konnte er sich auf allerlei gefaßt machen!

Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf. Wie hatte sie das nur vergessen können! Da war doch vorhin der Schneider Plumrose bei ihr gewesen und wollte ihren Mann zur Bürgerversammlung in den Silberdollar abholen. Sie hatte versprochen, ihm die Wichtigkeit dieses Meetings ganz besonders ans Herz zu legen.

„Höre mal, wenn du unbedingt noch ausgehen willst", sagte sie zu dem Wüterich, „im Silberdollar findet eine wichtige Sitzung statt; man erwartet dich dort. Plumrose ist vorhin extra vorbeigekommen, um dir das zu sagen. Muß etwas ganz Besonderes sein und hat mit den hier eingerissenen Zuständen zu tun!"

„Das interessiert mich nicht, überhaupt nicht. Muß erst mal in meinen eigenen vier Wänden für Ordnung sorgen. Zunächst kommt mir der Bengel ins Haus, tot oder lebendig!"

„Ja doch, Mann, aber vergiß bitte nicht den Silberdollar. Geh wenigstens mal vorbei."

Sobald ich unseren Sohn abgeliefert habe, meinetwegen. Wo ist der Whisky?"

„In der Hundehütte, wie immer!"

„Okay, na dann bis später!"

Mrs. Dunn hörte, wie der Hund draußen auf jaulte, und sank erschöpft in einen Sessel. Gott sei Dank, Beruhigungspillen hatte sie sich neulich aus der Apotheke mitgebracht.

Als Whisky merkte, daß sein Herr ihn von der unwürdigen Kette befreite, sprang er vor Freude hoch, leckte ihm die Hand und wedelte mit dem krummen Stummelschwänzchen. Seine klugen dunklen Augen zeigten einen ergebenen und gutmütigen Ausdruck und das beinahe menschlich klingende Jaulen stimmte Mr. Dunn sogar etwas versöhnlicher.

„Schon gut, Whisky", brummte der und fuhr begütigend über das struppige Fell seines Wachhundes. „Auf dich ist wenigstens noch Verlaß!"

Whisky hatte begriffen. Schließlich hatte er den Verstand von seinem Vater, einem klugen Spitz, geerbt. Was machte es da aus, wenn sein Äußeres ein wenig verrutscht und gelinde gesagt eigenwillig war? Tuffy — und nicht nur Tuffy — behauptete allerdings immer, er sähe von vorn aus wie ein zu klein geratener Schäferhund, von der Seite wie ein magerer Mops und von achtern wie ein entarteter Dackel. Schmeichelhaft war das bestimmt nicht. Aber Whisky nahm ihm das nicht weiter übel. Eitelkeiten hatte er sich abgewöhnt, seitdem ihm eine freche Ratte im erbitterten Kampf das eine Ohr zerbissen hatte und sein einst so herrlicher Schwanz vor längerer Zeit an der Kellertür eingeklemmt worden war. Wie gesagt, über derlei Äußerlichkeiten war Whisky erhaben und sein Herr auch. Der wußte genau, welch treues und tapferes Herz unter seiner rauhen Schale schlug — und das war die Hauptsache!

„Such Tuffy!" flüsterte Mr. Dunn und schritt kräftig aus. Er wollte nun systematisch jede Straße in Somerset abklappern, denn er war sicher, daß in einem dieser Häuser sein Sohn steckte. Bestimmt war er wieder mit diesen Lauskerls, diesen kessen Früchtchen zusammen, die sich die „Gerechten" nannten. Wer weiß, was da wieder ausgeheckt wurde; hatten schon allerhand Dummheiten angestellt, diese Boys.

Mr. Dunn näherte sich dem Zentrum von Somerset. Hier und da blieb Whisky stehen, schnupperte an Häusern, Treppen und Zäunen, um dann sogleich wieder brav an der Seite seines Herrn zu trotten. Mr. Dunn bog jetzt in die erste Nebenstraße ein, die von ein paar Laternen notdürftig erhellt wurde. Whisky blieb an jeder Laterne stehen. Sein Herrchen hatte heute merkwürdigerweise die herrlichsten Einfälle. Wie kam er nur dazu, ihn noch so spät ausgerechnet an seinen Lieblingslaternen vorbeizuführen?

Diese Menschen besitzen bisweilen einen ausgesprochen Tierverstand, dachte Whisky anerkennend..

„Wir sind aber nicht zu unserem Vergnügen hier", unterbrach Mr. Dunn die Gewohnheiten seines Hundes und schwang den Knüppel. „Wir müssen Tuffy finden, und zwar schnell!"

Er hat doch wenig Tierverstand, korrigierte Whisky seine Meinung und trottete in die nächste Seitenstraße. Hier roch es nach feuchten Kellern, aufgestapeltem Holz, Mauerwerk und fremden Menschen. Gar kein bißchen nach Tuffy, nicht einmal nach Tuffys Freunden, die er alle dem Geruch nach kannte. Nachdem er die Straße im Laufschritt abgeschnüffelt hatte, sah er seinen Herrn groß an. „Wau, wau — brrr — wau, wau!" Das hieß etwa: „Hier ist nun wirklich nichts mehr los, nutzlose Zeitverschwendung!"

Mr. Dunn schlug eine andere Richtung ein, und Whisky folgte brav, freudig mit dem Stummelschwänzchen wedelnd. Und das bedeutete in seiner Sprache: „Schon besser, Freund, du lernst es allmählich!"

Herr und Hund befanden sich in der Lincoln Street, einer am Tage ziemlich lebhaften Gegend, in der sich neben Wohnhäusern Werksschuppen, Holz- und Ziegellagerplätze und ein paar vergessene Baracken befanden, die einst von einem Bautrupp errichtet worden waren. In dieser Straße wohnte auch Andy, ein Mitglied des Bundes der Gerechten. Das roch Whisky gleich heraus, aber wozu Aufhebens machen davon? Herrchen mit dem einfältigen Menschenverstand würde es nur mißdeuten und glauben, Tuffy sei endlich gefunden. Bei allem, was recht war — hier gab es wirklich Interessantes genug. Zum Beispiel ganz bestimmt Mäuse unter den morschen Barackendielen; auch Katzen fühlten sich hier zu Hause. Donnerwetter, da mußte man ja vorsichtig sein, daß man nicht plötzlich eins gewischt bekam. Mehr Verzierungen konnte er sich kaum leisten, und für Narben schwärmte er auch nicht mehr. Na egal, hier mußte er mal sondieren, wenn die Gelegenheit günstiger war. Tolles Pflaster, wau-wau!

Neue Straßen und Gassen. Mr. Dunn lief vor Ungeduld immer schneller. Solch ein zielloses Getrabe haßte Whisky von ganzem Herzen. So etwas Ungemütliches!

„Ist denn hier wirklich nichts zu finden von meinem Sproß?" fragte Mr. Dunn seinen vierbeinigen Begleiter. „Wittert deine vermanschte Spürnase denn immer noch nichts?"

„Wowowo", knurrte Whisky und zog den Schwanz ein. ,Vermanschte Spürnase' — das war schlechthin eine Unverschämtheit; sein Herr konnte froh sein, wenn sein grober Riecher nur den zehnten Teil von dem witterte, was jedem Wald- und Wiesenbruder selbstverständlich war. Pah, sollte er nur weiter herumwandern. Die Gegend war sowieso hoffnungslos. Whisky war sich schon längst darüber im klaren, daß diese Gassen Tuffy seit Ewigkeiten nicht gesehen hatten.

„Wenn der Kerl nur nicht mit seinen nichtsnutzigen Freunden aufs Land gezogen ist, dann können wir hier lange suchen! Haben so allerlei Nistplätze am Fluß, in der Wildnis und weiß der Teufel, wo noch. Diese Gören!"

Whisky wedelte bestätigend mit dem Schwanz. Das beste wäre es freilich, hier endlich Schluß zu machen und etwas mehr ins Freie vorzustoßen — da konnte man vielleicht wenigstens die Richtung ausmachen, in der das Söhnchen verschwunden war.

Nach einigen Minuten näherten sie sich dem südlichen Ortsausgang, an dessen linker Seite sich das Friedhofsgelände hinzog.

Plötzlich hob Whisky den Kopf, sog mit der feuchten Nase die Luft ein, jaulte vielsagend auf und raste davon. In welcher Richtung, konnte sein Herr bei der Dunkelheit leider nicht feststellen. Verzweifelt tastete er sich mit dem Stock voran.

„Bestimmt ein Maulwurfsloch entdeckt, das Biest", schimpfte er. Nein, auch nicht mal auf den Hund war Verlaß. Der rannte davon, sobald sein Jagdinstinkt geweckt war. Auf die Idee, daß Whisky etwas anderes als räuberisches Kleinvieh entdeckt haben könnte, kam er nicht. Was sollte er in dieser gottverlassenen Gegend auch anderes finden? Die Gerechten hockten jedenfalls an abenteuerlicheren und versteckteren Plätzen zusammen, das wußte doch jedes Kind.

„Hierher, Whisky, hierher!" rief Mr. Dunn verzweifelt — aber der Köter blieb wie vom Erdboden verschwunden.

Der Hund war indessen im D-Zug-Tempo zur Friedhofsmauer gerannt und wie ein Verrückter auf einen hinter Buschwerk verborgenen Holzstapel zugestürzt. Was er witterte, war wirklich nicht mit einem lächerlichen Maulwurfsfang zu vergleichen. Sein Hundeherz schlug heftig, sein Schwanz glich einem rasenden Pendel und seine feuchte Nase zuckte nervös. Aufgeregtes Bellen erfüllte die Luft. Nun wußte auch Mr. Dunn, in welcher Richtung er dem Hund zu folgen hatte.

„Pst, Whisky, sei doch still!" zischte es aus dem Lattengewirr, „du vermasselst mir noch die ganze Tour!"

Der Hund verstummte gehorsam und gab nur noch unterdrückte Freudenlaute von sich. Mit aller Kraft wühlte er sich durch Laub, Reisig, Holz und Buschwerk, bis er mit der Schnauze an Tuffys nackte Beine stieß.

„Ich kann dich hier jetzt wirklich nicht gebrauchen, mein Kleiner", flüsterte Tuffy und kraulte den Hund liebevoll hinter den Ohren. „Dienst ist Dienst und Schnaps ist halt Schnaps. Aber ein andermal spielen wir wieder zusammen, das verspreche ich dir!"

Wie sollte Whisky nur ausdrücken, welche Gefahr im Anzug war? Er quiekte wie ein Schweinchen, legte sich flach auf den Boden und wedelte mit dem Schwanz. Dann rannte er unruhig ein paar mal im Kreise herum.

„Was hast du denn? Benimm dich gefälligst etwas ruhiger, Bürschchen, verrätst wirklich noch meine Stellung." Tuffy faßte den Hund mit sanftem Druck an die Schnauze.

Da, vielleicht vier, fünf Schritte entfernt, ein befehle-risches „Whisky, Whisky!" Der Hund wollte fortspringen, zu der Stimme hin. Doch Tuffy hielt ihn noch im letzten Moment zurück. „Ach du glorreicher Zimtknödel, das ist ja Dad!"

„Wu-u-uh", nickte Whisky. Verflixte Situation! Dort rief sein verehrtes Herrchen und hier hielt ihn sein geliebter Tuffy fest. So etwas konnte einen ja direkt in die allergrößten Gewissenskonflikte stürzen. Aber schließlich war sein Platz bei seinem großen Herrn. Wieder drängte Whisky fort. Doch Tuffy war stärker. Von Seelenschmerz gepeinigt, jaulte der Hund kurz auf. Doch das genügte, um Mr. Dunn unmittelbar vor dem Versteck auftauchen zu lassen. Eine Taschenlampe leuchtete in ein Gewirr von Zweigen hinein und Tuffy mitten ins Gesicht, so daß er geblendet die Hände vor die Augen hielt.

„Ja, was machst du denn hier? Ein merkwürdiger Aufenthaltsort, finde ich." Mr. Dunn schob das Versteck mit seinem Spazierstock auseinander.

„Dad, ich bitte dich, mach keinen Wind und verhalte dich ruhig. Will dir ja auch alles erklären!"

Tuffy schob Zweige und Latten wieder gewandt zusammen und zog seinen Vater in eine Ecke.

„Also, Bengel, ich möchte nun wirklich wissen . . . zum Donnerwetter ..."

Statt einer Antwort wies Tuffy nur mit dem Zeigefinger nach links. Mr. Dunn kniff die Augen zusammen und erkannte nach einer Weile die Umrisse von zwei friedlich dastehenden Planwagen.

„Na und? Planwagen! Was soll denn daran so geheimnisvoll sein?"

„Von den Gerechten entdeckt! Dringend verdächtig, Schmuggelgut oder so etwas zu beherbergen, verstehst du? Vielleicht auch das Zeug, mit dem Somerset ausgeräuchert werden soll, auf raffinierte Weise herein bugsiert. Darf es nicht aus den Augen lassen. Deshalb bin ich hier."

„Eure kindliche Phantasie scheint wieder mal mit euch durchzugehen! Ihr könnt doch nicht gleich aus jeder Mücke einen Elefanten machen und hinter jeder harmlosen Ladung Verrat und Unheil wittern! Überhaupt, du hast nicht einfach von zu Hause zu verschwinden. Bilde dir nur nicht ein, daß du ungeschoren davonkommst. Meinetwegen spielt am Tage, so viel ihr wollt, aber nachts gehört ihr ins Bett, klar?"

„Ja doch, Paps, aber versteh doch mal." Tuffy stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte seinem Vater etwas ins Ohr. Der aber schüttelte ungläubig den Kopf.

„Sieh dir wenigstens das Zeug mal an. Es ist bestimmt so, wie ich sage."

Dann wurde die Abschirmung des Verstecks vorsichtig auseinander gebogen, beziehungsweise freigeräumt, und Vater und Sohn schlichen zu den Wagen heran.

Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß die Kutscher in ihren Zeltplanen fest schliefen, öffnete Tuffy den rückwärtigen Teil des einen Wagens und ließ seinen Vater einen Blick auf die Ladung werfen. Im Kegel der Taschenlampe wirkten die aufgestapelten Eisenteile, Gasmasken, Drähte doppelt geheimnisvoll.

„Na?" fragte Tuffy, „habe ich zuviel erzählt?"

„Hm", brummte sein Vater. „Aber es hilft alles nichts, hier bleibst du mir nicht, das ist doch klar!"

„Ooch, Dad, bitte sei doch mal vernünftig. Weiß man denn, was alles passieren kann? Und ich hab's doch der ,Listigen Schlange' fest versprochen, nicht zu weichen und nicht zu wanken. Und der bürgt wieder Pete dafür, ist doch Ehrensache!"

„Papperlapapp, du scherst dich nach Haus, aber dalli.

Gerade genug, daß ich mal ausnahmsweise auf größere Lektionen verzichte — du verstehst schon. Mann wartet mit dem Essen. Begreift du das denn nicht?"

„Ach, Dad, könntest du es ihr denn nicht erklären? Es hängt doch so viel davon ab, daß jemand hier aufpaßt!"

„Schluß damit, komm jetzt. Ich gehe nicht gleich nach Haus, muß noch in den .Silberdollar', verspreche dir aber, später noch einmal hier nachzuschauen, wenn das dich und deine Freunde beruhigt. Was soll denn schon los sein? Du hast doch selbst gesehen, die Kutscher pennten wie die Murmeltierchen und das tun sie in zwei Stunden auch noch — also, ab durch die Mitte!"

Als die beiden Dunns die Abzweigung zum „Silberdollar" erreicht hatten, warf der Vater seinem Sohn noch einen ermunternden Blick zu, gab Whisky einen wohlwollenden Klaps und wartete noch eine Weile, bis Tuffy auch wirklich in Richtung der elterlichen Wohnung verschwunden war.

Nachdem Hilfssheriff Watson den Telefonhörer eingehängt hatte, wankte er so bleich und verstört an seinen Platz zurück, daß die anderen am Tisch ihn besorgt musterten.

„Was Unangenehmes passiert? Ist Ihnen schlecht?" fragten die neben ihm Sitzenden. „Mensch, Sie sehen ja wirklich aus wie Braunbier mit Spucke!"

„Ich lasse Ihnen ein Glas Wasser holen!" rief Mr. Mineral, sprang auf und suchte den Wirt, der gerade mal hinausgegangen war.

„Ein Whisky bekäme mir besser", stöhnte das Gesetz wie mit letzter Kraft und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann lehnte er sich nach hinten und hielt sich mit den Händen an der Tischkante fest.

„Weitermachen!" forderten ein paar Männer am unteren Tischende, die Watsons Gesichtsfarbe nicht so genau mitbekommen hatten.

Mühsam erhob sich der Hilfssheriff, wedelte sich mit dem Arm Luft zu und brachte die Worte: „Bitte eine kleine Pause" heraus, worauf Buchhalter Williams aufstand und mit lauter Stimme verkündete, daß Watson infolge eines vorübergehenden Schwächeanfalls einer kleinen Schonpause bedürfe.

„Mir bleibt aber auch nichts erspart, gar nichts!" stöhnte Watson beim dritten Gläschen, die er auf den Telefonschreck hin zu sich genommen hatte.

„Können wir denn nicht helfen?" fragte Mr. Gray.

„Mir kann niemand mehr helfen, niemand und nichts!" kam die düstere Antwort.

Wovon war eigentlich die Rede gewesen, bevor ihn diese Hiobsbotschaft durchs Telefon erreicht hatte? Vor Watson wallten rote und weiße Nebel. Richtig, vom Einnebeln hatte man gesprochen. Das konnten sie heute ja auf keinen Fall mehr vornehmen, so etwas brauchte Vorbereitungen . . . Sollte er sich deswegen auch noch die anderen — nein, zum Teufel, er dachte nicht daran! Jeder war sich schließlich selbst der nächste. Er mußte nach Hause, sich an Ort und Stelle von der Wahrheit der grauenhaften Tatsachen überzeugen.

„Gentlemen!" rief er und erhob sich. „Ein dringendes Ereignis — äh — macht es mir unmöglich, weiter diese Bürgerversemmlung, Versammlung wollte ich sagen, zu leiten. Sie werden das verstehen, wenn ich Ihnen sage, cß meine sämtlichen Fla — äh — Kassen leer sind, wie ich soeben hörte. Machen Sie bitte ohne mich weiter." „Eingebrochen?" fragte jemand.

„Auch das — so ähnlich, ich muß selbst erst einmal nach-sehen, vielleicht kann mich wieder Mr. Williams verkneten, meine armen Flalala — Kassen!"

In diesem Augenblick wurde die Tür heftig aufgerissen.

„Gott sei Dank noch alle da!" rief Mr. Dunn in die Runde hinein und brachte einen frischen Nachthauch in den tabakverqualmten Saloon. „Da kann ich mit meiner interessanten Neuigkeit doch noch etwas ausrichten!"

„Neuigkeit?" Watson spitzte die Ohren. Mr. Dunn wurde sofort von seinen näheren Bekannten umringt und schnell und gründlich über Sinn und Zweck und den bisherigen Verlauf der Sitzung unterrichtet.

„Leider steht noch gar nicht fest, wie wir uns im Ernstfall gegen einen feindlichen Angriff verteidigen wollen", erklärte abschließend der Buchhalter. „Da unser guter Watson plötzlich verschwinden muß, werden wir nun ohne ihn zu einem Entschluß kommen müssen."

„Well", lachte Mr. Dunn, „manchmal ist es wirklich ein verteufeltes Glück, einen so aufmerksamen Bengel zu haben."

Watson stellte die Ohren. Da wußte doch einer wieder mal mehr als er? Krutzitürken, wo war denn so was Mode? No, jetzt konnte er hier nicht weg. Die, na die Dingsbums . . . waren doch hin, darüber konnte er sich noch tagelang

ärgern, aber was wußte Mr. Dunn? Das war bestimmt einmalig.

"Gents!" schrie er plötzlich wieder recht munter. „Ich habe mich nun doch entschlossen, meiner Pflicht gemäß keine Opfer zu scheuen, trotz aller Verluste . . . und das schwere Problem im Interesse unserer Sicherheit heute noch zu beenden!"

„Bravo!" riefen ein paar Männer, und Watson dankte gerührt.

„Wie ich von dem soeben erschienenen ehrenwerten Mr. Dunn höre, gibt es interessante Neuigkeiten, nicht wahr, Mr. Dunn?"

„Natürlich will ich gern berichten, was mir soeben widerfahren ist!" Tuffys Vater erzählte dann in knappen Worten, was er beobachtet hatte, verschwieg allerdings, wie er zu dieser Entdeckung gekommen war.

„Das heißt also, daß in unserer unmittelbaren Nähe alles vorhanden ist, was wir zu unserer Verteidigung brauchen!" rief der Schneider triumphierend.

„Der eine Sombrero hat doch vorhin schon gesagt, daß er einen Waffentransport begleiten muß oder so ähnlich! Und hier scheint tatsächlich alles zu schlafen!" winkte der Heizer müde ab.

„Aber wie und wo, darauf mußten w i r erst kommen!" kritisierte Watson. „Hat ja auch keiner angenommen, daß sie das Zeug direkt hier im Ort unterstellen würden!"

„Eins zu Null für uns!"

„Den Kram müssen wir haben!" schrie Watson und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wenn es sein muß, mit Gewalt!"

„Jawohl, müssen wir!" johlten die Somerseter.

„Ganz einfach, Leute, wir haben es praktisch schon, hoho!" prahlte das Gesetz und stemmte die knochigen Arme in die mageren Hüften. „He, Wirt, ziehen Sie die Gents sofort aus ihren Zimmern! Aber schnell, wenn ich bitten darf!"

„Jetzt noch?" Mr. Turner zögerte, „habe sie doch vorhin schon gestört. Das ist aber sehr, sehr unangenehm für mich. Hat's denn nicht bis morgen früh Zeit?"

„Keine Sekunde mehr. Fragt vielleicht jemand danach, ob uns eine so teuflische Gefahr Spaß macht? Sagen Sie den Gents, der Sheriff sei da, Sie könnten nichts dafür!"

„Das haben wir doch vorhin schon getan!"

„Dann sagen Sie eben, der Distrikssheriff sei soeben aus Tucson eingetroffen! Mann, was zögern Sie denn noch?"

„Der Distriktssheriff — wenn das man gut geht . . . Na schön, ich versuch's, aber es ist mir schrecklich peinlich." Turner stieg langsam die Treppen hoch.

Nach einem schrecklichen Gepolter und Gezeter in dem oberen Stockwerk kam der Wirt schließlich bleich und an allen Gliedern zitternd die Treppe wieder heruntergestürzt.

„Sie wollen nicht, der Distriktsheriff möge sich gefälligst hin auf bemühen, wenn er was von ihnen will. Ich kann sie wirklich beim besten Willen nicht zwingen ..."

„Das werden wir gleich haben", meinte Watson, rückte seinen Sheriffstern zurecht, strich sich über das schüttere Haar und nahm Haltung an. Dann ging er selbst nach oben, begleitet von dem Wirt.

„Kommen Sie heraus! Polizei! Sonst muß ich Sie persönlich aus den Betten jagen!"

In den Zimmern wurden Stühle gerückt, gräßliche Flüche vom Stapel gelassen! Schließlich wurde der Schlüssel herumgedreht, und wie auf Kommando traten drei Mann in Schlafanzügen aus dem Zimmer. Sie blinzelten mißmutig und verärgert auf die nächtlichen Ruhestörer und blickten — wie es dem Wirt schien — dennoch leicht belustigt auf das übereifrige Gesetz. „Kommen Sie mit herunter!"

„So?"

„Ja, so!" Wir sind keine Unmenschen. Wenn Sie vernünftig sind, geht es auch schnell."

Lässig latschten die drei Männer, in ihren Pyjamas wie Sträflinge anzusehen, hinter dem Gesetz her in die Gaststube. Alle drei waren gleich groß, trugen die gleichen Schlafanzüge — man hätte sie wirklich für Drillinge halten können.

„Sie gehören doch zu den Wagen, die, mit allerlei Mordinstrumenten beladen, an unserem Friedhof parken?" „Selbstverständlich!"

„Wir möchten Ihnen vorschlagen, das Material in unserer Stadt zu lassen, gegen gute Bezahlung natürlich!"

„Das geht nicht; es ist alles bestellt, muß schnellstens zur Grenze geschafft werden. Das haben wir doch schon vorhin mitgeteilt! Deswegen können Sie uns doch nicht aus dem Bett holen? Was sind das überhaupt für Gebräuche hier? Ist ja der reinste Wilde Westen!"

„Ich bin der Distriktsheriff von Tucson!" Watson warf sich in die Brust. „Kenne die Verhältnisse dort unten wie meine Westentasche. Aus Sicherheitsgründen ist eine Verteidigung hier oben erst mal wichtiger. Wenn Sie die Sachen nicht freiwillig hierlassen, muß ich sie — es tut mir leid — re—requirilieren. Es wäre vorteilhafter, wenn Sie vernünftig sind und sich mit den Somerseter Bürgern, die hier versammelt sind, einigen.Sie sparen Zeit und helfen der Regierung. Selbstverständlich kommen wir für alle Formalitäten auf; es soll Ihr Schade nicht sein."

„Wenn es so ist", sagte der eine achselzuckend, „wenn wir entsprechende Bescheinigungen kriegen — dann sieht die Sache schon anders aus. Schließlich muß ja alles seine Ordnung haben!"

„Wir wären Ihnen dankbar, wenn wir das Material gleich übernehmen könnten; vielleicht kann einer der Herren mitkommen und den Kutschern Anweisung geben. Für den unterbrochenen Schlaf wird Sie die Stadt mit einem kleinen Extra-Frühstück entschädigen . . ."

„Okay", sagte der mit den buschigen Augenbrauen. „Ziehe mich nur an!" Damit latschten die drei wieder lässig nach oben.

„Na, wie habe ich das gemacht?" frohlockte Watson.

„Wunderbar, herrlich, großartig, einfach genial!"

„Wir begeben uns jetzt an den Tatort, vielmehr zu den abgestellten Wagen. Mr. Dunn, Sie halten sich neben mir und wegen mir den Weis — äh — weisen mir den Weg!"

„Moment mal", ertönte der Bierbaß des Lokführers, „was wir bei der Übernahme des Kriegsgeräts brauchen, sind Lampen, damit wir nicht die Katze im Sack kaufen!"

„Sehr richtig, guter Gedanke", lobte Watson. „Ein paar genügen! Die Leute, die in der Nähe wohnen, können das übernehmen. Aber Beeilung, meine Herren, Beeilung!"

Fünftes Kapitel

DA HABEN WIR DEN SALAT!

„Listige Schlange" hat ein ernstes Gespräch mit dem Posthalter zur nächtlichen Stunde — Na, wenn das nicht reicht?! — Die Lampenparade von Somerset bringt auch kein Licht in die Finsternis — Aber Displizin ist alles! — Man muß es nur interessant genug anfangen — Es hilft alles nichts . . . Geld muß her! — „Wundertüten" aus Planwagen verleihen auch den Schwachen Kraft und Stärke — Pete ist kein Schwarzseher ... er findet die Idee des Jahrhunderts! — Ja, kichert nur, ihr Salontexaner! — Im „Sherman-Panzer" mitten hinein in den Indianerkral —

„Joe — Jo — o — e, hörst du denn nicht, wenn ich dich rufe?"

Schneidermeisterin Jemmery rauschte wie ein Erzengel, der das Herannahen des Jüngsten Gerichts verkündete, durch das Haus und riß verzweifelt eine Tür nach der anderen auf.

„Wo steckt der Bengel bloß?" murmelte sie schließlich erschöpft vor sich hin und blieb eine Weile verschnaufend auf der Treppe stehen. Dann legte sie den Zeigefinger an die Schläfe und machte ein Gesicht wie ein Zoologieprofessor, der gerade sehr scharf über das Seelenleben der Maikäfer nachdenkt. In ihren braunen Rehaugen stand auf einmal ein Zug, der soviel bedeutete wie „Ich hab's!", entschlossen drehte sie sich um, rannte die Treppe wieder hoch und stieg auf die Stufenleiter zum Dachboden. Energisch pochte sie gegen die Klapptür. „Joe — Jo — o — ee!

Was treibst du dich denn schon wieder auf dem Boden herum? Komm sofort runter, du Nichtsnutz!"

„Ja, Mam — ich komm ja schon", kam es unwillig von oben.

„Aber sofort, habe ich gesagt; ich bin unten in der Küche!" Kurz darauf hörte man Mrs. Jemmery wieder die knarrende Holztreppe herabsteigen.

Dem kleinen Joe fiel ein Stein vom Herzen. Es gab Dinge, von denen Mütter lieber nichts wissen sollten, sie machten sich sonst nur unnötige Gedanken, und Mrs. Jemmery, die brave Frau des Schmiedemeisters Jemmery, hätte sich bestimmt Gedanken gemacht, wenn sie gesehen hätte, was ihr Sprößling da oben trieb.

Hurtig raffte „Listige Schlange" seine sieben Sachen zusammen und verstaute sie in einem großen Karton. Rasch noch ein paar alte Zeitungen oben draufgelegt, und nichts wie weg mit dem Packen — hinter die alten Matratzen.

Zwei Minuten später meldete er sich folgsam in der Küche. Mrs. Jemmery hatte inzwischen ihre Arbeit wieder aufgenommen und bügelte gerade Bettwäsche. Sie stampfte ärgerlich mit dem Bügeleisen auf, als der Kleine eintrat, wurde jedoch sofort wieder milder gestimmt, als sie den treuherzigen Blick ihres Boys auf sich gerichtet sah. Sie war ja s o stolz auf ihn; denn ein guter Junge war er auf jeden Fall. Mucken hatten die Männer schließlich alle, die großen wie die kleinen . . .

„Was gibt's denn, Mam?" fragte „Listige Schlange" mit der Unschuldsmiene eines Osterlamms.

„Ich mache mir Sorgen um Dad. Er wollte nur mal eben — na, du weißt schon, in den ,Silberdollar'. Soll heute so eine Art General-Versammlung stattfinden. Wer's glaubt, wird selig; alles nur faule Ausreden! Die Männer erfinden das doch nur, um einen Grund zum Bechern zu haben. Werde du mir bloß nicht auch mal so, sag ich dir. So spät ist dein Dad noch nie nach Hause gekommen!"

„Ooch", meinte „Listige Schlange" gedehnt, „so spät ist es doch noch nicht."

„Waas?" Mrs. Jemmery ließ das Bügeleisen stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Du kennst wohl die Uhr noch nicht? In ein paar Stunden ist es Mitternacht, und auch du müßtest eigentlich längst im Bett liegen." Mrs. Jemmery rümpfte die Nase, tat aber, als ob sie auf etwas angestrengt horchte.

„Ach, du meine Güte! Auch das noch!" stieß sie erschrocken hervor und nahm rasch das schwere Schneidereisen vom Bettuch. In der Küche verbreitete sich ein brenzliger Geruch; dem blütenweißen Laken hatte das Bügeleisen nun für alle Zeiten einen häßlichen, bräunlichen Stempel aufgedrückt, der so ungefähr die Form eines gotischen Kirchenfensters hatte, wenn er zum Glück auch nicht ganz so groß war.

In Joes Augen trat ein listiger Zug.

„Am besten, ich sehe mal nach Dad, wenn dich das beruhigt."

Mrs. Jemmery schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Ha, ha, wenn mich das beruhigt! Mitten in der Nacht willst du jetzt auch noch aus dem Haus? Sag mal, was denkst du dir eigentlich?"

„Aber Mam, du bist doch selbst um Dad besorgt. Es könnte ihm ja etwas zugestoßen sein. Wenn er nun gar nicht mehr nach Hause kommt? Wir müssen da etwas unternehmen! Vielleicht braucht er meine Hilfe, nicht wahr?"

Joe entwickelte eine Beredtsamkeit, die einem Versicherungsvertreter Ehre gemacht hätte, so daß Mrs. Jemmery nicht umhin konnte, ihm schließlich recht zu geben. Und so ließ sie denn nach anfänglichem Zaudern ihr Söhnchen schweren Herzens aus dem Haus, nicht ohne ihm noch einen Schwall von guten Ermahnungen mit auf den Weg zu geben.

Für „Listige Schlange" kam das lange Ausbleiben seines Dads wie gerufen. So konnte er doch wenigstens rasch noch einmal zum Postoffice flitzen und nachfragen, ob noch keine Antwort von Charly eingetroffen war. Es wäre ihm verdammt unangenehm gewesen, wenn der gute Porker etwa noch mitten in der Nacht angestelzt gekommen wäre und das Telegramm gebracht hätte. Das hätte nur zu peinlichen Rückfragen seitens seiner Eltern geführt.

Joe nahm die Beine unter den Arm und wetzte los wie ein Windhund. In Nullkommanichts war er um die drei Straßenecken und erreichte, wenn auch ein wenig außer Atem, das Post-Office. Durch die Ritzen des morschen Ladens drang matter Lichtschein. Mr. Porker war also noch wach. Da brauchte er nur ganz leise an den Laden zu klopfen; das erregte weiter kein Aufsehen.

„Ja, ja doch — wer ist denn da?" dröhnte ein tiefer Baß von drinnen. „Listige Schlange" gab sich zu erkennen. Mr. Porker mochte ihn gut leiden, den Knirps, und öffnete sofort. Joe schlüpfte durch die Tür.

„Guten Abend, Mr. Porker, wollte nur mal nachfragen, ob schon Antwort aus Tucson eingegangen ist. Sie wissen doch, ich erwarte ein Telegramm."

„Da muß ich dich leider enttäuschen, mein Junge, bis jetzt ist noch nichts da —".

„Zu dumm!" Der Kleine überlegte einen Augenblick. „Hören Sie, Mr. Porker — ich frage von Zeit zu Zeit nach. Wenn ein Telegramm für mich eintrifft, so bringen Sie es doch bitte nicht zu mir nach Hause; ich hole es selbst ab."

Das war Mr. Porker nur recht, denn er war als Posthalter in Somerset auf sich allein gestellt und hatte keinen Gehilfen, den er loshetzen konnte.

Joe war schon wieder auf der Straße und pumpte sich wie ein Karpfen einen Brustkasten voll Luft, um gleich weiterzuwetzen, als Porker hastig die Tür aufriß und ihn zurückrief.

„Moment mal, Boy — ich glaube, eben kommt was durch!"

Zehn Sekunden später stand Joe in atemloser Spannung neben dem hühnenhaften, breitschultrigen Posthalter und starrte auf den schmalen Papierstreifen, den dieser mit seinen klobigen Händen langsam aus dem Telegraphen zog. Wort für Wort nahm „Listige Schlange" mit immer größer werdenden Augen die durchgegebene Nachricht auf:

„UNRUHEN — IM — NORDEN — BEI - HOPI — INDIANERN — APACHENSTAMM — GEMELDET — STOP — LAGE NOCH UNKLAR — STOP — KOMME — IN — BALDE - SELBST — STOP — CHARLY"

„Da haben wir den Salat", rief Joe aufgeregt und riß dem guten Porker den Papierstreifen aus der Hand.

„Aber nun warte doch, Junge, der muß erst aufgeklebt werden; es muß ja schließlich alles seine Ordnung haben", brummte der Posthalter und wollte Joe den Streifen wieder abnehmen.

„Danke, ausnahmsweise geschenkt, Mr. Porker. Lassen Sie's gut sein und bitte: zu niemanden ein Wort." Joe war schon an der Tür.

„Aber wie käme ich dazu, ist doch Dienstgeheimnis."

Joe hörte die letzten Worte nicht mehr, denn er war schon draußen und rannte in Richtung „Silberdollar" weiter. Zunächst mußte er nach seinem Vater sehen, und dann ergab sich das Problem, wie er auf dem schnellsten Wege Pete von der wichtigen Nachricht in Kenntnis setzen konnte.

Die Lage war wirklich brenzlig. Charly schrieb zwar, sie sei unklar, aber das war noch schlimmer. Und dann die Unruhen bei den Apachen. — Na, wenn das nicht reichte!

Dem Kleinen schwirrten, während er weiter rannte, die finstersten Gedanken durch den Kopf. Und sie schwirrten noch mehr, als er in die Nähe des „Silberdollars" kam. Schon von weitem hörte er lautes, aufgeregtes Stimmengewirr, daß man hätte meinen können, es sei eine Schlägerei im Gange.

Joe zog Leine und sah sich das erregte Schauspiel erst einmal von weitem an.

Eine Gruppe wild gestikulierender Männer stand vor dem Lokal, und noch immer mehr strömten aus dem Saloon heraus. Einige schwangen die unmöglichsten Modelle von alten Stallaternen und sonstigen Lampen durch die Gegend. Das Ganze sah aus, als ob sich eine Schar aufsässiger Gespenster zu einer mitternächtlichen Extratour zusammengefunden hätte.

Joe schlich sich etwas näher an die bewegte Szene heran und erblickte alsbald auch seinen lieben Dad, der ein wenig abseits stand und ganz leicht wie ein Schilfrohr in einer sanften Brise hin und her schwankte. Nun, dann war — was den anbelangte — ja alles in Butter und Mam brauchte sich nicht mehr zu ängstigen. Nur war er jetzt hier unter keinen Umständen abkömmlich, um ihr diese beruhigende Nachricht zu überbringen. Die Ärmste würde sich also noch etwas gedulden müssen.

Hilfssheriff John Watson wuchs an der Bedeutung der ihm vom Schicksal gestellten Aufgabe zu wahrhaft heroischer Größe.

„Ruhe! Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr!" donnerte er ein paarmal in die laut durcheinander schwatzende Menge hinein. „Von jetzt ab muß ich mir viel mehr Diplizien ausbitten. Diplizien ist alles; es kann bei mir nur einer kommandieren, und das bin ich! Vorwärts, Leute!"

Langsam setzte sich der Menschenhaufen in Bewegung. Das Gesetz marschierte vorneweg, zu seiner Rechten Mr. Dunn und links der eine „Sombrero".

„Haben Sie sich die Sache auch gründlich überlegt, Sheriff?" sagte dieser, „Sie können dabei unter Umständen arg ins Fettnäppchen treten und die ganze Verteidigungsplanung der Regierung über den Haufen werfen!"

„Ich weiß, was ich tue", entgegnete Watson barsch. „Ich habe Somerset soeben zum Hauptnotstandsgebiet erklärt und damit basta!"

Eine Weile ging er schweigend weiter und sinnierte vor sich hin. Dann schien ihm plötzlich eine Erleuchtung zu kommen. Er blieb unvermittelt stehen und kommandierte „Halt!" Brüsk wandte er sich um.

„Damit jeder Bescheid weiß, Männer von Somerset! Der Belagerungszustand ist soeben ausgebrochen!"

Das war d a s Wort, das ihm dauernd auf der Zunge geschwebt hatte. Jetzt hatte er es. Irgendwann hatte er einmal in der Zeitung gelesen, daß in einem der vielen südamerikanischen Staaten — der Teufel mochte wissen, wie sie alle hießen — in einer ähnlichen Lage der Belagerungszustand ausgerufen worden war. Sollte Somerset nicht demnächst auch von Indianern belagert werden? Einwandfreier Fall — niemand konnte ihm etwas am Zeuge flicken.

„Habt ihr's gehört, Gentlemen? Der Sheriff hat soeben den Belagerungszustand ausgerufen!" schrien jetzt alle durcheinander, obwohl keiner recht wußte, was darunter zu verstehen war. Doch es klang ungeheuer wichtig und unterstrich den Ernst der Lage. John Watson war doch ein Kerl, der faßte den Stier gleich bei den Hörnern. Er hatte in den letzten Stunden ungeheuer an Achtung gewonnen.

Indem man noch lang und breit über die Dinge, die da kommen sollten, hin und her diskutierte, wobei keiner richtig verstand, was der andere sagte, erreichte man die Friedhofsgegend und die dort in der Nähe abgestellten Planwagen.

Als man bis auf zwanzig Schritte herangekommen war, blieb der „Gangsterschreck" von Arizona plötzlich wie zur Bildsäule erstarrt stehen und stieß Mr. Dunn mit dem Ellenbogen kräftig in die Seite.

„Ppppst!" zischte er. „Leise weitersagen!"

„Pst, psst!" machte Mr. Dunn nach rückwärts. Und „Pst, psst!" machte nun auch dessen Hintermann, und so ging es weiter bis zum letzten.

Der Lärm ebbte danach ab. Doch bevor es ganz still wurde, hörte man noch eine Weile von den vielen „Psts" ein Zischen und Säuseln, als wenn ein mittelstarker Föhn über dürres Schilfgras streicht.

Als es endlich ganz ruhig war, hörte man ein tiefes gurgelndes Dröhnen und Rumoren, und manchem schlotterten ein wenig die Knie. Es schien aus weiter Ferne zu kommen, ließ aber noch bis hier nach Somerset hinein die Erde erzittern.

„Kononendonner!" flüsterte das Gesetz zu Dunn hin. Wenn es nicht so duster gewesen wäre, hätte man erkennen können, daß sein Gesicht um zwei Schattierungen blasser geworden war.

„Ja, das ist einwandfrei Kanonendonner", bestätigte der Sombrero, wird aber wohl nur eine kürzere Kanonade sein."

Mit raschem Schritt trat er an den Wagen. Mit katzenhafter Behendigkeit sprang er hinauf und stieß ein paarmal energisch gegen die Plane, was jedoch weder Watson noch seiner beherzten Kriegerschar weiter auffiel. Gleich darauf war der „Kanonendonner" verstummt.

„Nun kommen Sie schon ran, Sheriff! Wir wollen die Angelegenheit möglichst schnell erledigen und uns nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen. Hören Sie; wie

ich voraussagte, haben die da drüben das Trommelfeuer bereits wieder eingestellt. War also halb so wichtig. Und außerdem war es ja auch noch sehr weit weg. Wer weiß, ob sich die Hauptkämpfe überhaupt hier bei Ihnen abspielen werden."

Es stimmte: Nichts war mehr zu hören, so angestrengt die wackeren Streiter mit ihrem Hilfssheriff an der Spitze auch in die Nacht lauschten. Zögernd traten sie an die Wagen heran.

„Es muß aber alles gleich bar bezahlt werden", rief der Sombrero und machte sich an den Planen zu schaffen. Irgend etwas Langes, Schlaksiges kroch auf einem der Wagen herum; es sah aus wie eine dürre Riesenspinne mit nur vier Beinen.

„Auf, auf, Smiddy, Freddy — los, wir liefern schon hier aus. Dispositionen geändert. Könnt euch anschließend bei der Somerseter Stadtgarde anheuern lassen. Hier werden noch kampferprobte Krieger gebraucht!"

Alles rief plötzlich wieder durcheinander, und Watson mußte mehrere Male sein „Ruhe, Leute!" dazwischen donnern.

Es stellte sich heraus, daß die meisten leider nur noch wenige Cents bei sich hatten. Mit dem Barzahlen war es daher so eine Sache. Watson wurde von allen Seiten mit Fragen bestürmt, bis er sich endlich aus dem Menschenknäuel heraus gewühlt hatte.

„Wir können ja über alles genauestens Buch führen — morgen früh werden dann die Rechnungen beglichen", schlug er dem „Sombrero" vor.

„Kommt nicht in die Tüte! — Wenn der Staat schon requiriert, muß er auch die Ware gleich bezahlen, das wissen Sie so gut wie ich, Sheriff; schließlich sind wir Bürger eines freien Landes. Und wenn Sie nicht zahlen, so müssen wir uns eben beim Gouverneur beschweren, dann ist es aus mit Ihrer Karriere und Sie werden nie Polizeipräsident von den Vereinigten Staaten der Welt!"

John Watson sah das ein und wurde sehr kleinlaut.

„Ja, ja doch, Sie sollen Ihr Geld schon haben. Aber bis morgen früh sind wir Ihnen doch gut!"

„Gar nichts sind Sie, wer weiß, was bis morgen früh aus Ihnen geworden ist; wir mußten unser gutes Geld auch gleich auf den Tisch legen, als wir die „Waffenhilfe" einkauften; es handelt sich immerhin durchweg um hochwertiges, allermodernstes Kriegsgerät. Wir haben unser ganzes Vermögen hineingesteckt, ja unseren Haushalt sogar noch etwas arg durcheinandergebracht!"

Es half alles nichts. Geld mußte her! Und so stoben denn die Bürger in alle Himmelsrichtungen auseinander, um rasch zu Hause in die Geheimschatullen oder unter die Matrazen zu greifen, um die sauer ersparten Notgroschen zusammenzukratzen. Im nächtlichen Somerset herrschte ein nie zuvor gekanntes Leben und Treiben. Überall rannte jemand an den Häusern entlang, manchmal gingen sie zu zweit oder zu dritt, trennten sich und trafen wenige Minuten später wieder zusammen.

Als die ersten dann in der Nähe des Friedhofs eintrafen, waren die Plane bereits von den Wagen zurückgeschlagen, und die dunklen Umrisse eines entsetzlichen Wirrwarrs türmten sich, zeichneten sich gegen den dunklen Nachthimmel vor den erstaunten Augen der verteidigungssüchtigen Bürger ab.

„Macht die Lampen aus — eine genügt, und die muß auch noch stärker abgedunkelt werden", rief der Sombrero gedämpft. „Sehr viele von diesen Geräten sind noch Geheimkonstruktionen, und man weiß nie, ob sich nicht doch ein Späher von der Gegenseite eingeschlichen hat . . ."

„Sehr richtig", rief Watson im Brustton der Überzeugung, „wir müssen uns noch viel kriegsmäßiger verhalten. Ich ordne hiermit an: Alle Lampen aus!"

„Nicht alle, Sheriff", kam es von einem der Wagen zurück. „Geben Sie uns eine; wir hängen sie hier an die Seite; da fällt der Lichtschein nicht so weit. Schließlich müssen wir doch nachzählen, ob das Geld auch stimmt."

Das Weitere spielte sich in einem unbeschreiblichen Durcheinander ab. Inzwischen waren fast alle Männer zurückgekommen, und jeder drängte sich zu den Wagen, um das beste Stück für sich zu ergattern.

Einige Rollen alten, rostigen Stacheldrahtes, die aus einem der Wagen ausgeladen worden waren, richteten erheblichen Schaden an. Mr. Dodge und der ° Schneidermeister Plumrose schrien auf und fluchten laut. Sie hatten sich die Hände an dem Stacheldraht aufgerissen.

Das Gesetz hörte trotz des Lärms gerade noch, wie es „ritsch" machte, und spürte gleich darauf einen sanften Hauch an seinem Oberschenkel. Als er nach seinem Bein faßte, hatte er einen großen Stoffetzen in der Hand. Er hing nur noch an einem dünnen Fädchen seiner Hose. Er kam jedoch nicht dazu, über das Unglück nachzudenken, denn gleich darauf schrie jemand wie am Spieß. Es war der Bahnhofsvorsteher Baker, der eine Fuchsfalle ergattert und sich in dem Medianismus fast den Daumen abgequetscht hatte.

Was sonst noch alles aus dem Planwagen zum Vorschein kam, war wirklich das „Modernste" an kriegerischer Ausrüstung, was die Welt je gesehen hatte.

Alte Stahlhelme aus aller Herren Länder, Gasmasken der verschiedensten Konstruktionen, Fußangeln, abgebrochene Bajonette und uralte Seitengewehre, Jagdflinten, aus denen seit Menschengedenken kein Schuß mehr abgefeuert worden war. Kochgeschirre, Feldflaschen, Brotbeutel, leere Patronentaschen, Koppelgurte, Tornister und Infanteriespaten gehörten noch zu den unvergänglichsten Ausrüstungsgegenständen. Dies alles verkaufte der Sombrero den Somersetern für gutes Geld bar in die Hand. Sogar ein riesiger Feldstecher war dabei, den das Gesetz sofort für sich mit Beschlag belegte. In der Dunkelheit sah er allerdings nicht, daß von den großen Linsen eine einen Sprung hatte und die andere überhaupt nicht mehr vorhanden war.

Es dauerte keine zwei Stunden, da waren die Wagen leer und überall in Somerset schleppten sich schwitzend und keuchend schwer beladene Gestalten durch die Straßen dem heimatlichen Herd entgegen.

Pete verbrachte eine unruhige Nacht. Er war zwar kein Schwarzseher und beurteilte die Dinge mit kühlem, nüchternen Verstand. Doch da war nun einmal die nicht wegleugnende Tatsache, daß sie ihre Rinder nicht wie sonst losgeworden waren, das Geld knapp wurde und sich auch sonst einiges getan hatte, was immerhin Anlaß zu Besorgnissen gab. Man durfte zwar aus einer Mücke keinen Elefanten machen; Vogel-Strauß-Politik wäre unter diesen Umständen aber ebenso fehl am Platze gewesen.

Mit solchen und ähnlichen Gedanken war Pete schließlich erst spät eingeschlafen. Doch nach wenigen Stunden war er schon wieder wach, hellwach. Er sah auf die Uhr; es war vier Uhr früh. Draußen dämmerte ein klarer, taufrischer Morgen herauf, für einen kleinen Erkundungsritt gerade die richtige Zeit.

Nein, den Gerechten ließ es nicht länger im Bett. Heraus aus der Falle, hinein in Hose und Stiefel war eins; die Pumpe im Hof tat ein übriges. Prustend und schnaubend drehte er den Oberkörper unter dem eiskalten Wasserstrahl, frottierte sich ab und war frisch und munter wie ein gebadetes Baby.

Noch mit entblößtem Oberkörper rannte er zu den Stallungen und warf Black King ein paar Hände voll Hafer in die Krippe. Als er dann zehn Minuten später fertig angezogen zurückkam, vertilgte sein vierbeiniger Gefährte gerade den Rest seines Frühstücks. Pete ließ ihm noch etwas Zeit und machte unterdes das Sattelzeug zurecht. Nach weiteren zehn Minuten strebten Roß und Reiter frohgelaunt und tatendurstig über die einsame Prärie dem Town entgegen.

Als der Obergerechte die Main Street erreichte, wunderte ihn als erstes die merkwürdige Ruhe, die über der Stadt lag. Gewiß, viel war hier noch nie los gewesen um diese frühe Morgenstunde. Doch den einen oder anderen Frühaufsteher hatte man sonst schon angetroffen. Mußte ja allerhand passiert sein in der vergangenen Nacht, daß alle noch so fest schliefen.

Pete lenkte seine Schritte zunächst in die Friedhofsgegend, um zu sehen, was aus den Planwagen geworden war. Doch was mußten seine staunenden Augen da erblicken? Die Wagen waren weg, spurlos verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst oder seien sie vom Erdboden verschluckt worden. Von Tuffy oder einem anderen Gerechten war auch nicht einmal die Spur einer Spur zu finden. Na, denen würde er ganz schön den Marsch blasen. Einfach so mir nichts dir nichts die Wagen abfahren zu lassen . . .

Aber schließlich mußte er ja erst einmal wissen, was los war, bevor er urteilte und — verurteilte. Am besten, er versuchte die Fühlung mit Regenwurm aufzunehmen; der war am leichtesten unbemerkt erreichbar, denn er hatte sein Schlafzimmer zu ebener Erde und die Eltern schliefen auf der anderen Seite des Häuschens.

Pete versteckte Black King in der Nähe des Friedhofes hinter einem Gebüsch und trabte zu Fuß weiter. Noch immer begegnete er keiner Menschenseele auf der Straße. So gelangte er ungesehen in den Hof der Jemmerys bis zu dem bewußten Fenster. In der Nähe krähte gerade ein Hahn und irgendwo aus einem Stall wieherte als Antwort darauf ein Pferd.

Regenwurm hatte diese Nacht noch kein Auge zugetan, so aufgeregt war er von seinen ungewöhnlichen Erlebnissen. Es bedurfte daher auch nur eines ganz sanften Klopfzeichens, und schon war „Listige Schlange" aus den Federn und huschte zum Fenster.

„Mensch, Boß — dich schickt der Himmel! Ein Glück,

daß du da bist. Es ist der Belagerungszustand ausgebrochen . . ."

„Was für ein Zustand?"

„Über Somerset ist der Belagerungszustand verhängt", flüsterte der Kleine ganz aufgeregt.

„Davon habe ich aber bis jetzt noch nichts gemerkt, bedeutet das etwa, daß die Leute nun alle länger schlafen dürfen?"

„Mach keine Witze, Boß, es ist bestimmt so. Die Lage war noch nie so ernst wie augenblicklich."

„Hm, hm — wer hat denn den Belagerungszustand verhängt?"

„Der Hilfssheriff; ganz feierlich hat er ihn erklärt, mitten in der Nacht. Und hier, sieh dir das Telegramm mal an; Charly hat geantwortet."

Hastig reichte Joe den inzwischen sehr unansehnlich gewordenen, arg zerknüllten Papierstreifen aus dem Fenster. Pete überflog ihn rasch und ließ wiederum einige Male sein „Hm, hm" vernehmen. Und dann berichtete Joe überstürzt, wie er der Versammlung heimlich gefolgt war und was sich bei den Planwagen abgespielt hatte. Pete hörte aufmerksam zu.

„Und was ist dann aus den Wagen geworden?" fragte er, als „Liste Schlange" geendet hatte.

Joe blickte Pete nicht gerade geistreich an. „Nun, die müssen doch noch dastehen", meinte er zögernd.

„Denkste! Die Wagen sind weg, fort, verschwunden!"

„Als ich den Platz verließ, waren sie aber noch da", beharrte Joe.

„Und jetzt sind sie eben weg! Na, ist im Augenblick weniger wichtig; haben andere Sorgen. Charlys Telegramm gibt mir sehr zu denken. Scheint also tatsächlich etwas dran zu sein an den Indianeraufständen, hm, hm."

„Das glaube ich auch", pflichtete Joe eifrig bei, „wir müssen bald etwas unternehmen."

Pete schwieg eine Weile und dachte scharf nach.

„Ist doch klar, daß wir irgend etwas unternehmen müssen", sagte er dann. „Wir gehen der Sache einfach auf den Grund."

Was meinst du damit?"

„Wir stellen eine Expedition zusammen und ziehen zu der nächsten Reservation und peilen die Lage. Dann wissen wir, woran wir sind, na?"

„Mensch, Boß, d i e Idee des Jahrhunderts! Und wann soll's losgehen?"

„Noch heute! Wann kannst du hier weg und den anderen eine Meldung überbringen?"

Joe überlegte einen Moment. „Wenn's sein muß, gleich. Meine Herrschaften sind erst vor ein paar Stunden zu Bett gegangen; die pennen noch eine ganze Weile. Bis die aus der Klappe kriechen, bin ich längst wieder zurück."

„Dann sage sofort allen Bescheid, die du erreichen kannst. Expedition zu der Papagos-Reservation — Teilnahme freiwillig, Abmarsch heute mittag zwölf Uhr. Treffpunkt Wild Stones. Ausrede für die, die sie nötig haben: Einladung auf die Salem-Ranch für ein paar Tage. Für Marschverpflegung, Zeltausrüstung, Decken und so weiter hat jeder selbst zu sorgen. Du bleibt hier und hältst weiterhin die Augen offen. Alles klar?"

„Alles klar, Boß! Ich wetze sofort los."

Es war ein heißer Herbsttag. Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel herab, daß es hätte einen Stein erweichen können. Die Wild Stones, eine kleine romantische Felsengruppe mitten in der Prärie, lagen müde und stumpf in der sengenden Glut und warfen die Hitze wie ein Backofen zurück.

Der Häuptling der Gerechten wischte sich mit einem riesigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn und nahm einen Schluck kalten Tees aus der Feldflasche.

„Ich glaube, das sind sie", kam es da von einem kleinen Felsplateau herab. Es war Sam Dodd, außer Pete der bisher einzige Expeditionsteilnehmer.

„Wird ja allmählich höchste Eisenbahn", brummte Pete und sah auf die Uhr. „Wir haben noch fünf Minuten bis zur befohlenen Abmarschzeit. Wer ist denn alles dabei?"

„Bis jetzt noch nicht auszumachen", rief Sam. „Sehe nur eine riesige Staubwolke. Sieht aus, als wenn sich ein kleiner Präriebrand nähert."

Unterdes keuchte und fauchte und knatterte der „Präriebrand" immer näher an die Wilden Steine heran. Den Mittelpunkt bildete der alte Ford der Gerechten; dieses bewährte Vehikel schien zu ahnen, um welch wichtige Dinge es ging. Denn seit Somerset war es bisher nur zweimal stehengeblieben, und jetzt ratterte es in unaufhaltsamem Vorwärtsdrang auf den Treffpunkt zu. Zwar war die Geschwindigkeit nur gerade so hoch, daß man noch bequem nebenher laufen konnte, aber immerhin, das Ding hatte Räder und rollte.

Jerry Randers saß in Rennfahrerhaltung am Steuer. Neben ihm hockte Conny Gray, während Andy Rothermere es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht hatte, soweit dafür noch Platz vorhanden war, denn die Kiste war über und über mit Gepäckstücken beladen; sogar noch hinten auf dem Reservereifen und an den Seiten waren Schachteln und allerlei Gerätschaften mit Bindfaden festgebunden.

Vorneweg ritt Jack Pimpers, dem es im letzten Augenblick noch gelungen war, einen vierbeinigen Untersatz zu organisieren. Es war ein prächtiger hochbeiniger, aber nicht mehr allzu jugendlicher Wallach, der auf den anspruchsvollen Namen „Feuerteufel" hörte.

Etwa hundert Schritte von den Wild Stones hatte der alte Ford vorläufig erst einmal die Nase voll von der strapaziösen Reise. Es patschte einige Male lauter als sonst unter der Motorhaube, und die Karre zuckelte ruckartig hin und her wie ein bockiges Pferd, als sei sie sich nicht ganz darüber schlüssig, ob sie vor- oder rückwärts laufen sollte.

Dann blieb das Vehikel endgültig stehen und seine vorher noch so geräuschvolle Lebendigkeit war jäh einer traurigen Stille gewichen. Jerry sprang vom Fahrersitz.

„Das werden wir gleich haben", rief er zuversichtlich. „Soweit haben wir's jedenfalls erst mal geschafft."

Da kamen auch schon Pete auf Black King und Sam auf dem temperamentvollen Wind angeprescht.

„Na endlich, da seid ihr ja", rief der Obergerechte frohgelaunt. „Es geschehen Zeichen und Zunder — äh — wollte sagen Zeichen und Wunder", äffte er mit verschmitztem Lächeln den „Gangsterschreck" John Watson nach. „Wie habt ihr denn diese alte Mühle bis hierher bekommen?"

„Mit gutem Zureden natürlich", erwiderte Jerry ein wenig gekränkt wegen der „alten Mühle". „Außerdem mit ein bißchen Autoverstand."

„Ein Glück, daß wenigstens du den hast", besänftigte ihn Pete. „Kommt sonst noch einer mit?"

„Nein, die anderen müssen hübsch artig zu Hause bei Muttern bleiben und die Linsen für die Somerseter Samstagsnachmittags-Verteidigungssuppe abzählen."

„Wenn sie sich dabei nur nicht verzählen, damit der Laden nicht aufplatzt", lachte Pete, „ich bin ganz froh darüber. Wir sind ein halbes Dutzend voll — und das ist gerade die richtige Stärke für das Unternehmen. Habt ihr alles Notwendige mit?"

„Wir denken doch, Boß", kam es wie aus einem Munde. Jerry hatte inzwischen die Motorhaube geöffnet und war, mit einem riesigen Schraubenschlüssel bewaffnet, mit dem ganzen Oberkörper in dem Inneren des Motorraumes verschwunden.

Pete überzeugte sich persönlich von der Vollzähligkeit der Ausrüstung, denn er war ja der verantwortliche „Expeditionsleiter".

Besonders reichlich hatten sie sich mit Kochtöpfen und Bratpfannen eingedeckt; sie hätten gut und gern für die Erstaussteuer mehrerer junger Brautpaare gereicht.

„Was wollt ihr bloß mit den vielen Toppen, Kinder — wir wollen doch kein Präriehotel aufmachen." Pete schüttelte verwundert den Kopf.

Auch an Verpflegung war kein Mangel. Die elterlichen Vorratskammern hatten gehörig Federn lassen müssen, und manche Mutter würde sich wundern, wo das große Stück geräucherten Speckes, der halbe Butterweck, die vielen Gläser Eingemachtes, das Körbchen mit den Eiern oder der Mehlsack abgeblieben waren. Denn damit es im einzelnen Haushalt nicht so auffiel, hatten natürlich alle ihr Schärflein zu der Ausrüstung beigetragen, auch die, welche selbst nicht mit von der Partie sein konnten. Das war ja schließlich Ehrensache!

Conny Gray hatte ein großes Zelt mit, in dem für alle sechs Platz war, und auch Decken waren in solchen Mengen vorhanden, als sollte es zum Nordpol gehen und dort wochenlang mitten in der Schnee- und Eiswüste kampiert werden.

Der Stolz der Expedition waren jedoch die beiden vorsintflutlichen Flinten, die man bei den Planwagen erbeutet hatte. Bei näherer Untersuchung hatte es sich allerdings herausgestellt, daß sie nicht mehr geladen werden konnten, weil das Kaliber so veraltet war, daß es Munition für die museumsreifen Schießprügel gar nicht mehr gab. Doch sie wirkten irgendwie furchterregend, und wenn man einen Gegner in Schach zu halten gezwungen war, brauchte man ihm ja nicht gleich zu verraten, daß die Dinger praktisch nur Attrappen waren. Zur Not konnte man sich, ja mit ihren recht massiven Kolben verteidigen. Wenn die einer auf den Kopf bekam, na, dann prost Mahlzeit!

„Kann mal vorne einer an der Kurbel drehen?" rief jetzt Jerry Randers unter der Motorhaube. „Erst ganz langsam, und wenn ich sage ,los', dann mit Karacho!"

Andy war schon zugesprungen und hatte die Kurbel erfaßt.

„Noch eine Umdrehung — aber langsam, bitte", rief Jerry. Andy drehte, und nach jeder Umdrehung hörte man unter der Haube Metall auf Metall klopfen und Jerry irgend etwas vor sich hinmurmeln, als rede er dem altersschwachen Motor gut zu.

„Habt ihr denn wenigstens einen Vorschlaghammer mit, wenn gar nichts anderes mehr hilft?" spottete Sam. Andy und Jerry überhörten es mit Würde und hantierten weiter an dem wackeren Ford herum.

„Jetzt dreh, so schnell du kannst", schrie Jerry, und Andy kurbelte und kurbelte, daß ihm die Augen aus dem Kopf traten und der Schweiß in Tropfen so groß und leuchtend wie versilberte Liebesperlen von der Stirn kullerte.

„Laß mich mal", sagte Conny Gray, der nicht mehr mitansehen konnte, wie Andy sich fast zu Tode zappelte, und übernahm die Kurbel.

Conny legte mit der zwanzigfachen Geschwindigkeit eines Leierkastenmannes los, der kein Geld bekommen hat und nun aus Rache einen Wiener Walzer im D-Zug-Tempo herunterorgelte. Die anderen standen grinsend drumherum und sparten nicht mit bissigen Bemerkungen.

Doch Conny schaffte es. Er kurbelte so lange und pausenlos mit verbissener Wut, bis ein dumpfes Patschen und Zischen und dann gleich darauf noch eins den ersten Erfolg der unverdrossenen Wiederbelebungsversuche verriet.

Conny kurbelte weiter, als habe ihn ein Drehwurm gebissen und dabei angesteckt, und dann kam der große Augenblick. Es war, als wenn plötzlich ein Maschinengewehr los rasselte. Der ganze Wagen zitterte und der Boden ringsum bebte. Hinten aus dem Auspuff kam bläulichschwarzer Qualm, und es stank, als befände man sich mitten in einem brennenden Petroleumlager.

Jerry kroch unter der Motorhaube vor und richtete sich triumphierend auf.

„Und wo geht's jetzt raus, Chef?" sagte er im Tone wie „Wo soll das Klavier hin?" und wischte sich die Hände mit einem Lappen ab.

Sofort brach alles in ein schallendes Gelächter aus. Jerry bot in der Tat auch einen zu komischen Anblick. Nase, Wangen, Kinn, Ohren — alles war über und über mit schmutzigem Öl und Fett verschmiert, und die Haare klebten ihm wirr an der schweißfeuchten Stirn.

Jerry wurde böse. „Was gibt's denn da zu kichern, ihr Salontexaner? Wir sind doch hier kein Mädchenpensionat. Alberne Rasselbande."

„Spaß beiseite, Jerry hat ganz recht", mischte sich Pete ein, „es wird Zeit, daß wir wegkommen. „Dort drüben" — er deutete mit dem ausgestreckten Arm nach Westen — „stoßen wir nach etwa zwei Meilen auf einen alten, aber ausgezeichnet gangbaren Weg, dort müssen wir gut vorwärts kommen; hoffe, daß wir heute mindestens noch ein Drittel des Weges schaffen. Also los, Freunde, und bitte immer hübsch beieinander bleiben; ich reite fünfzig Schritte voraus.

Und so nahm die große Erkundungsexpedition der Gerechten ihren Anfang. Es war eine halbe Stunde über der Zeit, zu der Pete ursprünglich hatte aufbrechen wollen.

*

Es war ein nicht alltägliches Bild, diese Karawane, bestehend aus drei Hafermotoren und einem fauchenden, spauzenden, spuckenden alten Ford. Die Cowboys der zwei oder drei kleinen Rinderherden, denen sie unterwegs begegnete, schüttelten ungläubig die Köpfe. Aber sie kamen» voran, die Boys. Und am Abend des ersten Tages hatten sie fast die Hälfte der fünfzig Meilen zurückgelegt, die die Gesamtstrecke betrug. Nur zweimal mußte dem Ford von den Pferden etwas nachgeholfen werden, als es über einige felsige Höhenzüge ging. Auf ebenen Strecken, vor allem, wenn es sanft bergab ging, schaffte er es spielend allein. Es war eine reine Pracht, er zuckelte meilenweit brav ohne Panne dahin, nur noch dreimal mußte Jerry unter die Motorhaube kriechen und Conny und Andy abwechselnd die Kurbel drehen.

Als die Sonne sank, hatte die „Expedition" gerade einen weit nach Osten vorgeschobenen Ausläufer des Baboquivari-Gebirgszuges erreicht, wo sich in einem nur von einer Seite zugänglichen Felsrondell ein idealer Rastplatz für die Nacht bot.

Während Jerry gründlich den Motor überholte und beim Schein einer Karbidlaterne den halben Wagen auseinandernahm, brutzelte und dampfte es in den Töpfen und Pfannen, als ob hier eine ganze Kompanie verpflegt werden, sollte.

Besonders genau nahm Pete es mit der Wacheinteilung. Jeweils zwei Mann standen Posten und bewachten das Lager die ganze Nacht durch. Nur Jerry wurde wegen seiner umfangreichen Reparaturarbeiten von dem Postenstehen entbunden; dafür übernahm Pete freiwillig zwei Wachen.

Die Nacht verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Es war eine Gegend, wo der Hund begraben lag. Es gab hier weder Spitzbuben noch wilde Tiere, denn in dieser Felseinöde wäre doch nichts zu holen gewesen.

Am nächsten Morgen brach man zeitig wieder auf, nach-dem sich jeder ein wahres Schwerathleten Frühstück mit Speck und Spiegeleiern einverleibt hatte. Der alte Ford war frisch aufgetankt und donnerte nun wie ein Sherman-Panzer durch die Felsschluchten. Jerry hatte beim Zusammensetzen der einzelnen Teile nicht mehr alle Schrauben unterbringen können und das schien dem munteren Wägelchen ausgezeichnet bekommen zu sein. Allerdings mußte jetzt Beifahrer Conny beim Fahren den Schalthebel mit beiden Händen festhalten, damit der Gang nicht heraussprang. Und mit den Bremsen, ja mit den Bremsen war das auch so eine Sache! Das Bremsseil zum linken Hinterrad war gerissen. Findig, wie er war, hatte Jerry jedoch das zur Bremstrommel führende Ende kunstgerecht mit einem Stück Seil verknotet, dessen anderes Ende Andy auf dem Rücksitz in den Händen hielt. Wenn Jerry rief „Bremsen", dann zog Andy aus Leibeskräften an, und siehe da, die Sache klappte.

Ja, es war schon eine prima eingespielte Mannschaft, diese sechs Gerechten. Bereits um die Mittagsstunde hatten sie die Baboquivari-Mountains weit hinter sich gelassen und näherten sich den ersten indianischen Niederlassungen der Reservation.

Sechstes Kapitel

WER NICHT WAGT — DER NICHT GEWINNT!

Über dem brodelnden Kessel eines alten Medizinmannes — Ein Rutsch in die Tiefe — Rätselraten um ein Indianerfrühstück — Zwei Gerechte lernen eine „Gehörnte Eule" kennen und . . . schätzen — Gäste bei armen Teufeln, die ihre stolze Vergangenheit nicht vergessen können — „Fort Somerset" ein einziges Tollhaus — Der splitternde Grenzbaum des alten Eisenbahners — Sooo stehen also die Dinge! — An Einfallsreichtum unübertroffen — John Watsons „Nachtwache" ... ein denkwürdiges Bild — Noch ist Somerset nicht verloren — Samuel hilf, jetzt ist es soweit! — Aber was wollen denn diese Indianer? — Der Austausch von Wirtschaftsgütern kurbelt die Gemüter an . . . nur einem schmeckt die Friedenspfeife nicht — Mit Humor ging's doch viel besser! —



Die unsagbar öde und felsige Landschaft, durch die sich die Gerechten wacker geschlagen hatten, verlor ganz allmählich ihren abweisenden Charakter und zeigte wieder ein freundlicheres Gesicht. Hin und wieder reckten saftige Agavengruppen ihre schwertförmigen Blätter empor, wuchsen bizarre Disteln, knorrige, kleine Nadelbäume und riesige Kakteen mit teilweise leuchtenden Blüten. Den Felsboden bedeckte hier und da bereits Gras, das allerdings nicht von der weichen, sattgrünen Art war, sondern Teppichen von kleinen borstigen Spießen glich, die von einem hartem blaugrauen Schimmer überzogen waren. Stubengroße, verwucherte Feldstücke zeugten sogar von dem Versuch, in dieser halbkahlen Gegend Mais, Bohnen und Sonnenblumen anzupflanzen, ein Unternehmen, das hoffnungslos zum Scheitern verurteilt war.

Wenn die Boys, die mit brennenden Augen eisern vorwärts strebten, auch von dieser landschaftlichen Veränderung kaum Notiz nahmen, so entgingen ihnen doch die Rauchfähnchen nicht, die sie in einiger Entfernung erblickten.

„Land! Wir haben es geschafft!" rief Pete und brachte Black King zum Stehen. Jerry ging in den ersten Gang, rief automatisch „Bremsen!", und die Kiste stand.

Mit steifen Gliedern, aber stolz wie die Spanier krochen die Jungen aus dem Ford und blickten sich um. Wahrhaftig, da drüben lagen die Behausungen der ehemaligen Herren dieser riesigen Landstriche — für einstige Begriffe sklavisch zusammengedrängt, eingezäumt, eingesperrt. Was mochte sich hinter diesen Hecken abspielen, die eine uralte Welt von ihren Eroberern trennte?

„Gehen wir ein paar Schritte hügelan, dann haben wir einen besseren Einblick", schlug Jerry vor. Die Reiter saßen ab, und sofort stapfte alles im Gänsemarsch bergauf.

Die kleine Mühe hatte sich gelohnt. Mit Herzklopfen, das teils von dem kurzen Anstieg, teils von dem faszinierenden Anblick herrührte, der sich ihnen bot, spähten die Gerechten auf ein Bild, das einem Bilderbuch entstammen konnte.

Die Anhöhe, auf der sie standen, senkte sich ziemlich steil nach unten und hatte etwa die Höhe eines vierstöckigen Hauses.

Die Siedlung vor ihnen lag in einem ovalen Kessel, durch einen breiten Sattel mit weiteren Tälern verbunden, die ebenfalls zur Reservation gehörten.

Zwischen unregelmäßigen, wie zufällig hingestreuten Blockhäusern, Rundhütten, Tepees und Zelten wimmelte es und krabbelte es durcheinander wie in einem Bienenkorb. An einem schmalen Flüßchen, das den Kessel durchzog und dem das Gebiet eine fast üppige Vegetation verdankte, saßen scharenweise Indianerkinder. Sie waren teils nackt, teils mit billigen Kattunhemden bekleidet, hatten kurzgeschnittene Bubiköpfe und auch lose herabhängendes Haar, das von bunten Stirnbändern gehalten wurde. Sie spielten, jauchzten und trieben allerlei Unfug, wobei sie dann und wann von einer älteren Indianerfrau mit bis zur Erde reichenden bunten Röcken und bunten Halsketten verscheucht wurden. Dies geschah in einer eigenartig melodisch klingenden Sprache, die von lebhaften, anmutigen Gebärden begleitet wurde. Die Kinderschar stob davon, um gleich darauf an der alten Stelle unbekümmert mit ihren Späßen fortzufahren.

Vor einem Blockhaus saßen im Halbkreis einige jüngere Indianerfrauen, deren sorgfältig gekämmtes schwarzes Haar in der Sonne aufschimmerte. In primitiven Holzwiegen hatten einige ihre Babies neben sich. Die Wiegen erhielten gelegentlich mit den Ellenbogen einen Schubs, wobei die Mütter jedoch keinen Blick von ihren Bast- und Flechtarbeiten wandten, deren Material in bunten Bergen neben ihnen aufgehäuft lag.

„Mensch, Krieger!" schrie Andy aufgeregt und wies auf eine Gruppe von Männern mit riesigen Federhauben, die bis in die Waden herunterhingen. Furchterregend waren sie angemalt. Rote, weiße und dunkle Streifen liefen über Gesicht, Schultern und Oberarme. Die Füße steckten in bunten, pelzbesetzten Mokassins, in den Kniekehlen baumelten Fuchsschwänze und in den Händen trugen sie allerlei Lederriemen und mit Federn geschmückte Stangen, vielleicht auch Messer und Gewehre, so genau war das nicht zu erkennen.

Diese Gruppe strebte auf ein paar Wagen zu, an denen sie schwatzend stehenblieb. Die vor diesen Wagen gespannten Pferde tänzelten unruhig hin und her, bis einer der Indianer ihnen beruhigend auf die Hälse klopfte und das Zaumzeug lockerte.

„Junge, Junge, wenn die wüßten, daß sie von uns bekiekt werden!" stieß Sam hervor.

„Drum verhalte dich ruhig und zapple nicht so blöd herum!" entgegnete Pete, „was meinst du, wie schnell die hier zu uns herauf gewetzt sind!"

Nur zögernd wanderten die Augen der Gerechten von den in vollem Kriegsschmuck prangenden Männern zu einem großen brennenden Holzstoß hinüber, über dem ein riesiger Kessel dampfte.

Ein ehrwürdiger Indianer saß auf einem Fell davor. Seine Haltung war steif und feierlich. Ab und zu nahm er einen großen ausgehöhlten Kürbis, schüttelte ihn in rechter und linker Richtung, hielt ihn eine Weile mit ausgestreckten Armen von sich weg und senkte die bemalte Stirn. Nachdem er eine Weile so verharrt hatte, legte er den Kürbis mit demselben unbewegten Gesicht schräg vor sich hin.

„Bestimmt 'n Medizinmann, der Alte!" flüsterte Jack.

Um den brodelnden Kessel versammelten sich jetzt einige in Kattunröcken steckende Männer und Frauen und verrichteten palawernd eine Art Gebet oder Andacht, wobei sie auf die Knie fielen, die Arme hoben, um sich dann mit dem ganzen Oberkörper bis zur Erde hinunterzubeugen. Diese Bewegung wiederholten sie öfter, ohne auch nur die geringste Ermüdung zu zeigen. In gleichmäßigem Rhythmus vollzogen sie ihre Übungen, während der „Medizinmann" in steif aufgerichteter Haltung ab und zu irgend etwas in den dampfenden Kessel warf.

„Was schmeißt denn der da rein?" äugte Conny.

„Demnächst dich persönlich, aber ganz klein geschnippelt!" antwortete Pete.

„Chef, du machst mir Laune! Auch noch Witze bei den Perschpektiwen! Wer weiß, wen sie da im Kessel zu Zwiebelsuppe verschmoren. Und Gesichter machen sie, Junge, Junge!"

„Na, wenn sie dich erst sehen, bekommen sie ihre gute Laune wieder!" spottete Pete zurück.

In diesem Augenblick ahnte er allerdings noch nicht, wie sehr er mit dieser Bemerkung ins Schwarze getroffen hatte, sondern bemühte sich,den plötzlich von der Höhe abrutschenden Conny noch schnell am Hemdzipfel zu erhaschen. Von der anderen Seite sprang Jack hinzu. Umsonst! Der Boden gab nach, und mit Jack ging es ebenfalls abwärts. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrten vier Augenpaare auf die manchmal langsamer, manchmal schneller den Abhang hinunter sausenden Freunde. Conny war Jack um ungefähr vier bis fünf Meter voraus. Sie sahen aus wie kleine Lawinen. Die anderen traten instinktiv zwei Schritte zurück.

Schließlich rollten die Abgerutschten nacheinander in eine Sandmoräne ein und rührten sich nicht mehr.

„Sie sind tot!" hauchte Andy und sah weg.

„Gräßlich!" murmelte Jerry und sah ganz grün aus.

„Dummes Zeug, kann doch gar nichts passiert sein, ist doch alles weicher Sand, das sieht man doch!"

„Aber sie bewegen sich überhaupt nicht mehr!" widersprach Andy.

„Dofe Nuß! Sollen sie jetzt vielleicht aufspringen und ,Hurra' schreien, damit das ganze Dorf auf sie losstürzt? Ist doch alles Tarnung, kapiert?"

„Jajaja", gab Andy zu, aber es klang durchaus nicht überzeugt.

„Wir können sie da nicht liegenlassen!" beschwor Sam die Freunde. Um ein Haar wäre er besinnungslos den Entschwundenen nachgestürzt. In letzter Sekunde konnten Pete, Jerry und Andy ihn von diesem unüberlegten Vorhaben noch abhalten.

Während dieses Manövers hatte einer der bei den Wagen stehenden Indianer die beiden „Bleichgesichter" entdeckt, die sich noch leicht benommen, aber heil an Leib und Gliedern, erhoben hatten.

Er rannte sofort auf die wie vom Himmel gefallenen Boys zu und die übrigen folgten ihm, begleitet von der ganzen spielenden Kinderschar.

Als die auf dem Hügel stehenden Gerechten sich einigermaßen von Sams Wahnsinnsidee erholt hatten und wieder vorsichtig nach unten linsten, waren zu ihrem Schreck Conny und Jack von einer Ansammlung von Indianern umgeben, die wild gestikulierend um sie herumhopsten.

„Jetzt überlegen sie, wie sie verfrühstückt werden sollen!"

„Oder gemartert!" „Oder skalpiert!

„Bis jetzt wurde ihnen ja noch kein Härchen gekrümmt", beschwichtigte Pete die Freunde. Daß er selbst ziemliches Herzklopfen bekommen hatte, bemerkte Gott sei Dank keiner. Wahrhaftig, der ganze bunte Trupp mit Conny und Jack in der Mitte bewegte sich nun auf den Hauptplatz der Siedlung zu, zu jener Stelle, an der der große Kessel dampfte. Die auf der Anhöhe zurückgebliebenen Gerechten, die sich der Sicherheit halber lang auf den Boden geworfen hatten, verstummten; doch war es nicht schwer zu erraten, was sich in ihren gespannten Zügen widerspiegelte.

Wenn sich auch die armen Abgestürzten nicht ein einziges Mal zu ihnen umwandten, so fühlten Pete und seine Freunde doch, daß die Boys geradezu eine SOS-Welle der Ratlosigkeit zu ihnen herüber funkten. Sie wußten ja nicht, wie sie auf einmal so mitten hinein ins Indianerdorf gerutscht waren; so etwas war wirklich nicht vorgesehen gewesen.

Und nun hopsten auf einmal diese Wilden wie die Flöhe um sie herum, redeten wild durcheinander und zogen sie mit sich fort.

Jetzt trat einer der Männer, eine besonders furchterregend angemalte Rothaut, ganz nahe an Conny heran und betastete sogar seine Beine, Hüften und Schultern. Der Gerechte wagte nicht, den Kerl richtig anzusehen, er wäre farbenblind geworden. Verstohlen blinzelte er zu Jack hinüber, der ebenfalls von ein paar Männern getätschelt wurde. Ob sie mal nachfühlen wollten, wie es um ihren Rippenspeck samt Muskelansatz bestellt war? Wenn sie doch nur ein bißchen die Indianersprache verstünden!

Da kam Conny eine Idee. Er blieb stehen, zuckte mit den Schultern, tippte sich mit dem rechten Zeigefinger an sein Ohr und wies auf den Mund des wilden Mannes neben ihm. Anschließend zuckte er wieder mit den Schultern.

„Woll, woll", machte der Indianer und klatschte mit den Unterarmen aneinander, was wohl soviel wie „well, well — gut, gut" heißen sollte.

Während dieser Zeremonien waren sie unmerklich zu dem „Wurstkessel" gelangt. Mit großartigen, theatralischen Gebärden gaben die Indianer die Sicht frei, und plötzlich standen Conny und Jack dem Alten gegenüber, den sie von ihrem Hochsitz für den Medizinmann gehalten hatten.

Allmächtiger Bimbam, war dieser Mensch verrunzelt! Seine Haut glich einem braunen, alten Packpapierbogen, der sich durch mindestens drei Generationen vererbt hatte. Sein noch volles, weißes Haar war in der Mitte gescheitelt und hing in zwei sorgsam geflochtenen Zöpfen bis zur Schulter herab. Seine Kleidung bestand aus irgendwie malerisch umgehängten Fellstücken und wurde von herrlichen, bunten Ledergurten zusammengehalten. Außerdem trug der Alte an einem Oberarm Kupferspangen und um den Hals eine Kette aus aufgereihten spitzen Bärenklauen.

Trotz hellroter Stirnbemalung wirkte er gar nicht mal so gruslig, fand Jack. Er wagte zum erstenmal einen offenen Blick auf seine Umgebung zu werfen.

Zur allergrößten Verwunderung der Boys öffnete der Medizinmann seinen faltenreichen Mund und sagte in ziemlich gutem Englisch:

„Herzlich Willkommen, Gentlemen, es ist mir eine große Freude und Ehre!"

„Wir — wissen — gar nicht — vielen Dank — Sie sind äußerst freundlich . . ." stammelte Conny.

„Oh, ich verstehe", lächelte der Indianer. „Ich bin .Gehörnte Eule', Häuptling von sechstausend Seelen. Ihre Begleiter" — er wies auf die geschmückten Krieger — „sind ,Weißer Wind', ,Schlafender Stier', .Verrücktes Pferd', .Wandernde Wolke' und .Großer Busch'.

Die Genannten fühlten sich sichtlich geschmeichelt und bewegten hoheitsvoll ihre dicht mit Federn besetzten Hauben.

Da gab Conny Jack einen Puff in die Seite. „Mensch, sag du jetzt mal was!"

„Wir kommen aus der Gegend von — Dingsda — von Tucson. — Viel von Ihnen gehört, wollten mal persönlich sehen, wie die berühmten Papagos-Indianer leben!" Jack war selbst erstaunt, wie flüssig alles heraussprudelte.

„Selten kommen Touristen hierher", schüttelte „Gehörnte Eule" den Kopf und griff zu einer langen Holzpfeife, die mit einer Art Fächer von Adlerfedern und einem Büschel Pferdehaar verziert war. Er begann aber nicht zu rauchen, sondern wollte mit dem kostbaren Stück wohl nur seine Würde und Wohlhabenheit unterstreichen.

Einer der Krieger sagte jetzt etwas in der melodischen Indianersprache zu dem alten Häuptling.

Die Gerechten sahen sich fragend an.

„Großer Busch" — dolmetschte der Häuptling — „erklärte gerade, daß unsere ungünstige Lage daran schuld ist, daß wir so selten Besucher bekommen. Aber Sie werden müde und hungrig sein, ist es nicht so?"

Conny und Jack sahen sich einen Augenblick lang an. In den Kessel würden sie wohl allem Anschein nach nun nicht wandern — im Gegenteil, die Rothäute entpuppten sich ja geradezu als unwahrscheinlich freundliche „Wilde".

Der Häuptling klatsche in die Hände. Es dauerte nicht lange, da brachte eine Indianerfrau einen kleinen mit Wasser gefüllten Holzbottich.

Die Boys sahen „Gehörnte Eule" fragend an.

„Gegen den Präriestaub!" Conny und Jack benetzten Gesicht, Arme und Nacken. Die Indianer, die jetzt dichtgedrängt im Halbkreis um sie versammelt waren, schauten unverwandt zu. Wir sind hier wirklich die reinste Rarität, dachte Conny.

„Und nun Essen und Tanz sehen", verkündete der Häuptling, wobei er den überraschten Boys kleine Tabakröllchen überreichte, die mit scharlachrot gefärbten Bändern umwickelt waren.

Noch ehe die beiden wußten, wie ihnen geschah, wurden sie von einem großen Gefolge an einen tischartig zugeschnittenen Baumstamm geführt, auf den Frauen und Kinder in geradezu affenartige Behendigkeit, aber völlig lautlos, allerlei Speisen auftrugen.

Neben großen Körben mit Maisbrotfladen standen flache Schüsseln mit Bohnen, Artischocken, in Ahornsirup schwimmende Sonnenblumenkerne, Maisgrieß, Geflügel und andere auf Indianerart zubereitete Speisen. Dazu gab es ein gegorenes, säuerlich riechendes Getränk, das in einfache Wassergläser gefüllt war. Schnell saß dicht gedrängt Indianer neben Indianer um den Baumtisch herum und das Mahl begann, nachdem der Häuptling das Zeichen dazu gegeben hatte. Conny und Jack, die zuerst zaghaft von den Speisen probierten, langte bald herzhaft zu, ja, sie stellten fest, noch nie in ihrem Leben etwas so Köstliches gegessen zu haben. Auch das gegorene Getränk kippten sie durstig hinunter. Nach all den Aufregungen hatten sie wirklich allerlei Körperkräfte zu ergänzen.

Von dem Alkohol beschwingt, hatte Jack plötzlich eine unerhörte Idee. Zu Conny geneigt, flüsterte er ihm unauffällig etwas zu, was dieser mit lebhaftem Kopfnicken quittierte. Anschließend wandte sich Jack zum Häuptling, der gerade an einem Hühnerbein knabberte, und erklärte, daß dort drüben noch vier weiße Touristen — ihre Freunde — an einer Besichtigung der Reservation interessiert seien, sich aber vor lauter Ehrfurcht und Respekt nicht näher heranwagten.

„Sollen kommen, Ihre Freunde, ebenso herzlich willkommen, selbstverständlich", entgegnete „Gehörnte Eule" und sah mit Erstaunen, wie Jack aufsprang, eine Stange der Krieger ergriff und mit großen kreisenden Bewegungen zu dem Hügel hinüber winkte. Gott sei Dank hatten die Gerechten einmal unter sich gewisse Winkzeichen ausgemacht — und die große kreisende Bewegung bedeutete, daß Gefahr nicht vorhanden und Näherkommen erwünscht sei.

„Mensch, wir sollen runterkommen", brüllte Sam aufgeregt, „ist alles in Butter!"

Die vier sprangen auf, veranstalteten einen kleinen Freudentanz und fanden schnell einen Pfand, den „Weißer Wind" mit den Armen andeutete. Leider war die Bahn zu abschüssig für den braven Ford, so daß sie ihn an Ort und Stelle stehen ließen.

Wie ein paar Gummibälle sprangen die Boys abwärts, um bereits nach wenigen Sekunden mit lebhafter Freude an die Tafel geführt zu werden.

Wieder stellte „Gehörnte Eule" seine Krieger vor, dann rückten ein paar Indianer zusammen, um ihren weißen Gästen an der Tafel Platz zu machen.

Als nach dem Essen die Pfeifen angezündet und die Hinzugekommenen ebenfalls mit Tabak versehen waren, bestand kein Zweifel mehr, daß die Indianer den Bleichgesichtern in keiner Weise feindlich gesinnt waren.

Zu Ehren der Gäste führten die buntgeschmückten und bemalten Krieger anschließend einen Tanz auf, von dem „Gehörnte Eule" erklärte, daß er dem großen Regengott gewidmet sei.

Fasziniert blickten die Gerechten auf die gelenkigen Gestalten, die bald lautlos zu schweben schienen, um anschließend wie rasend mit den Füßen aufzustampfen und schlangengleiche Bewegungen zu vollführen.

In der berühmten „Indian file" — im gravitätischen Gänsemarsch — begaben sie sich zu dem jetzt nur noch glimmenden Holzstoß und machten mit den Fäusten drohende Bewegungen in Richtung des darüber schwebenden Kessels.

„Es ist der Feind, den sie jetzt bannen", erläuterte der Häuptling, „alle diese Tänze haben unsere Vorfahren schon vor langen, langen Zeiten getanzt".

Während des Tanzes warfen die Krieger kleine Stofffetzen in die Glut, die kurz aufzuckten wie kleine Blitze. Und es war auch der Blitz, der auf diese Weise versinnbildlicht werden sollte.

„Sie sind wunderbar", sagte Pete", hoffentlich haben sie nie mehr gegen wirkliche Feinde zu kämpfen". Vielleicht hatten diese Menschen doch noch Angriffsabsichten und waren nur ausnahmsweise zu ihren Gästen freundlich — wer konnte das wissen.

Aber der alte Indianer schüttelte müde den Kopf. „Als alles noch echt und wirklich war, war es besser für uns!" Dabei ließ er den Blick weit über das Land schweifen. „Die große Freiheit ist zu Ende, und wir werden es nicht begreifen. Aber es muß wohl so sein. Der große weiße Vater" — er meinte den Präsidenten der Vereinigten Staaten — ist mächtiger."

Als sie später noch lange um das Lagerfeuer herum saßen, berichtete ihnen „Gehörnte Eule" von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen er und seine Leute zu kämpfen hatten. Die herrlichen Keramiken, Decken, Flecht— Korbund Webwaren stapelten sich in den Lagerhäusern, weil sie niemand kaufte. Dabei brauchten sie dringend Lebensmittel, Werkzeug und anderes, um produktiver arbeiten und die vielen Alten, Schwachen und Kranken in der Reservation ernähren zu können. Nachdenklich hörten die Boys sich diesen Bericht an und waren schon fest entschlossen, ihren neugewonnenen Freunden zu helfen, soweit es nur in ihrer Macht stand.

Als sie sich endlich unter herrlichen weichen Wolldecken in einem eigenen kleinen Zelt, das die Indianer ihnen zur Verfügung gestellt hatten, zur Ruhe legten, beratschlagten sie, was nun zu tun sei.

„Kinder", rief Pete freudig, „wir nehmen sie mit nach Somerset".

„Bist wohl meschugge!" krähte Jack, „Watson und Genossen bringen sie glatt um!"

„Aber doch nicht soo — mein Lieber! Wir machen das ganz anders!"

Dann erzählte er den aufhorchenden Freunden, wie er sich die Sache dachte. Wenn sie so ging, wie er sich das vorstellte, dann wäre den Indianern geholfen, den Somersetern mit der nötigen Sensation gedient und ein weiteres Abenteuer in Aussicht gestellt. Wenn sie es richtig anstellten, mußte es gut gehen. Und hatte der Bund der Gerechten vielleicht schon einmal versagt?

„Noch nie", riefen fünf Stimmen im Chor. Und nach wenigen Minuten schliefen sie bereits wie die Murmeltiere.

Als die Gerechten sich wieder Somerset näherten, waren seit ihrem Aufbruch nur knappe vier Tage vergangen. Doch was hatte sich in dieser Zeit alles getan! Das Städtchen war nicht wiederzuerkennen.

In der Nähe der Wild Stones hatte sich die Gruppe getrennnt, um kein Aufsehen zu erregen. Pete und Sam Dodd hatten einen kleinen Umweg gemacht und gelangten von Süden her an das Town heran, während Jack mit der motorisierten Gruppe in nördlicher Richtung abgebogen war und nun direkt auf die Hauptstraße zuhielt.

Der alte Ford hatte heute seinen besten Tag. Schnaubend und qualmend rollte er wie die erste Eisenbahn unbeirrt auf Somerset zu. Doch er knatterte dabei so entsetzlich, daß die Insassen ihr eigenes Wort nicht mehr verstanden. Und so kam es, daß das donnernde Halt, das ihnen am Ortseingang jemand entgegen rief, natürlich in dem ohrenbetäubenden Lärm unterging. Als Jerry dann durch die arg verschmutzte Windschutzscheibe in letzter Sekunde den quer über die Straße errichteten Schlagbaum gewahrte, war es bereits zu spät. Er konnte gerade noch sein fleißig geübtes „Bremsen, Andy" schreien, und da — rtsch, rratsch, — pasierte es auch schon!

Andy zog an dem Bremsseil wie ein Irrer, und Jerry und Conny rissen mit vereinten Kräften die Handbreme nach hinten. Doch der Ford brauchte seine Zeit — bis er stand.

Es krachte und splitterte, als würden ganze Wälder umgeknickt; zu beiden Seiten der Karre flogen die Fetzen vorbei. Aber der Wagen hopste immer noch zwanzig Meter weiter, dann ruckte er noch ein paarmal nach und kam endlich zum Stehen.

Jerry und Conny waren mit einem Satz von ihren Sitzen und besahen sich den Schaden.

„Sabotage, Jungens! Das wird euch teuer zu stehen kommen", rief jemand empört und kam heran gehumpelt. Es war Steve Miller, ein alter pensionierter Eisenbahner mit einem eisgrauen Seehundschnurrbart. Im allgemeinen mochte er die Gerechten gut leiden und hatte stets viel Verständnis für ihre Streiche.

Jerry und Conny wandten sich nach dem Alten um und sahen sich erstaunt an. Dann prusteten sie los.

„Aber was ist denn mit Ihnen, Mister Miller? Nein, ist das aber komisch!" rief Conny und schüttelte sich vor Lachen.

Steve Miller machte ein beleidigtes Gesicht. Diese Jugend hatte vor nichts mehr Respekt. Daß die Jungens etwa über den viel zu kleinen französischen Stahlhelm lachten, der ihm wie ein Zündhütchen auf den drahtigen grauen Haaren saß, oder über das zu weite Koppel mit den plattgedrückten Patronentaschen und dem rostigen Seitengewehr, das schräg an seiner Hüfte herumschlotterte, oder gar über die uralte Vorderladermuskete, die er stramm geschultert hatte — auf den Gedanken kam Steve Miller nicht.

„Tut mir leid, Mr. Miller, dafür konnten wir bestimmt nichts", sagte Jerry entschuldigend und ging mit sorgenvoller Miene um sein geliebtes Vehikel herum.

Alle Neune! Der Ford hatte außer ein paar neuen Schrammen und leichten Beulen nichts weiter abgekriegt. Das fiel aber gar nicht weiter auf, denn auf einer Auto-Schönheitskonkurrenz hätte man sowieso mit ihm keinen Blumentopf mehr gewinnen können.

Der Schlagbaum, eine gut drei bis vier Zoll dicke Stange, war jedenfalls hin, mitten auseinandergebrochen.

„Eins zu Null für den feurigen Elias", prahlte Andy, der inzwischen ebenfalls von seinem Sitz gekrochen war und nun wohlgefällig das solide gebaute alte Fahrzeug und den von ihm angerichteten Schaden begutachtete.

„Tut mir leid, Boys", ließ sich der alte Steve wieder vernehmen, „ich muß euch dem Festungskommandanten melden."

„Festungskommandanten?" kam es von den dreien wie aus einem Munde. „Seit wann gibt's denn hier 'nen Festungskommandanten?"

Statt einer Antwort deutete Steve Miller auf ein Schild, das etwas weiter auf der rechten Straßenseite stand. Die Boys wandten sich um. Ihre Augen wurden immer größer.

„Fort Somerset" stand da in großen ungelenken Buchstaben auf dem frisch gemalten Schild.

„Aber — aber wer hat denn Somerset auf einmal zur Festung erklärt?" fragte Andy etwas betreten.

„Nun, wer schon? Der Verteidigungskommissar natürlich", erwiderte Miller mit wichtiger Miene. „Bei den Indianern ist doch eine Revolution ausgebrochen."

Diesmal prusteten die Boys los, daß sie sich den Bauch halten mußten vor Lachen. Der alte Steve verstand die Welt nicht mehr.

„Lieber bester Mister Miller — machen Sie doch kein großes Aufsehen wegen der Sache", bat Jerry, nachdem er sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. „Wir versprechen Ihnen auch, daß wir Ihnen sofort eine neue Stange beschaffen."

Miller wollte zunächst nichts davon wissen. Doch den vereinten Überredungskünsten der drei gelang es schließlich, ihn umzustimmen. Die Gruppe wollte schon weiterziehen, doch der Alte humpelte auf einmal einige Schritte weiter und pflanzte sich vor ihnen mitten auf der Straße auf.

„Halt! Parole!" rief er in militärischem Ton.

„W a s bitte?"

„Die Parole!"

„Aber bester Mister Miller — woher sollen wir denn die Parole wissen? Wir waren doch einige Tage weg — hm, auf der Salem-Ranch!"

„Tut mir leid. Ich habe strengsten Befehl, ohne Parole

keinen durchzulassen."

Jerry blickte verzweifelt auf Conny. „Sprich du mit ihm, du kannst das besser."

Conny wollte auf den Alten zugehen, doch er kam nicht weit.

„Sechs Schritte vom Leib", brüllte Steve und griff nach der Muskete.

„Verehrter Mr. Miller — Sie kennen uns doch — wir sind alle samt und sonders Somerseter Boys!"

Hahaha", lachte der Alte. Ihr seid aber noch reichlich naiv. Als Steve Miller kenne ich euch natürlich alle, aber hier bin ich nicht Privatmann, hier bin ich Festungs-Außen-bezirks-Sicherungs-Kontroll-Absperrposten Nr. 3 b. Und als Festungs-Außenbezirks-Sicherungs-Kontroll-Absperrposten Nr. 3 b darf ich keinen durchlassen, der die Parole nicht weiß. Befehl ist Befehl. Aber das versteht ihr noch nicht, dazu seid ihr noch zu grün."

Dem schlauen Andy kam ein Gedanke.

„Sie kennen mich doch, Mr. Miller, wir wohnen hier ganz in der Nähe."

„Natürlich", nickte Steve. „Ich kannte dich schon, wie du noch soo klein warst!" Steve macht mit den Händen eine Andeutung von Andys früherer Größe.

„Lieber Mr. Miller — wenn mir nun der gute, liebe Mr. Miller, der mich doch soo gut kennt, die Parole zuflüstert?"

„Ja, und was dann?" fragte der Alte mißtrauisch.

„Dann weiß ich sie!"

„Na und?"

„Und wenn ich sie weiß, dann kann ich sie auch meinen Freunden weitersagen — und dann wissen wir sie alle.

Und wenn wir die Parole wissen, dann darf uns doch Festungs - Außenbezirks - Sicherungs - Kontroll-Absperrposten Nr. 3 b durchlassen?"

Der Alte schien scharf über die Logik des Boys nachzudenken. Andy ließ nicht locker, damit er nicht auf abwegige Gedanken kam.

„Steve Miller, der mich doch so gut kennt, kann mir ja die Parole ins Ohr flüstern, damit's kein Unberufener hört, nicht wahr, Mr. Miller? Auch der Festungs-AußenbezirksKontroll-Absperrposten Nr. 3b hört's dann ja nicht. Und was er nicht hört, das geht ihn nichts an. Keiner kann ihm da was anhaben, nicht wahr?"

Über das faltige Gesicht des Alten huschte ein verschmitztes Lächeln. „Bist gar nicht so dumm, mein Junge. Aus dir kann noch mal was werden. Nun komm schon her!"

Andy flitzte zu Steve, dieser klopfte ihm auf die Schulter, beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Gleich darauf flüsterte es Andy den beiden Freunden ins Ohr. Dann krochen alle drei wieder auf ihre Sitze, nachdem Conny den Motor im Schweiße seines Angesichtes angekurbelt hatte.

„Halt, Parole!" donnerte Steve Miller vorschriftsmäßig dem Wagen entgegen, als dieser sich in Bewegung setzen wollte.

„Pfefferkuchen!" schrien die drei Gerechten nacheinander, und Festungs-Außenbezirks-Sicherungs-Kontoll-Ab-sperrposten Nr. 3 b trat zur Seite und gab dem knatternden Gefährt die Einfahrt nach „Fort Somerset" frei. —

Auch Pete und Jack war es nicht viel anders ergangen, nur mit List und Tücke und vielen Überredungskünsten war es ihnen gelungen, die Stadtgrenzen zu überschreiten. Wie staunten aber erst die Augen der heimkehrenden Gerechten, als sie sich im Ort selbst umsahen! Was war bloß aus dem idyllischen Weststädtchen geworden? Überall hatte man um die größeren Gebäude verrosteten Stacheldraht gezogen und alte Säcke mit Sand aufgeschichtet. Die Straßen waren fast menschenleer, und wenn man mal jemandem begegnete, hatte er einen alten Stahlhelm auf dem Kopf und eine Gasmaskenbüchse umhängen oder trug an seiner Seite einen in völlig verbeulter Scheide steckenden uralten Türkensäbel. An vielen Straßenecken waren Schlagbäume errichtet oder Drähte gespannt, die jeden normalen Verkehr unmöglich machten.

Am tollsten sah es vor dem Sheriffoffice aus, das Pete als erster erreichte. Er hatte Mühe, überhaupt in seine Nähe zu gelangen, denn die ganze Gegend im Umkreis von fünfzig Metern war nur noch ein einziges Gewirr von Drahtverhauen und Sandsackbarrikaden und sonstigem Plunder, über den man, wenn man nicht aufpaßte, auf Schritt und Tritt stolperte.

Über dem Eingang zum Office hing ein großes Holzschild mit der Aufschrift „Festungskommandant".

Der Gerechtenboß lugte von einem unbeobachteten Plätzchen aus, das er wie durch ein Wunder inmitten des wirren Durcheinanders entdeckt hatte, zum Office hin und sperrte Mund und Nase auf über das Leben und Treiben, das dort herrschte.

In den offenen Fenstern türmte sich das Bettzeug in allen Mustern, und aus dem Haus drang ein Stimmengewirr wie aus einem aufgescheuchten Affenkäfig. Eine kreischende Frauenstimme übertönte schrill alle anderen; es war die Timpedow, die gerade davon sprach, daß sie aus zuverlässiger Quelle gehört habe, die Indianer würden von ihren südamerikanischen Artgenossen unterstützt und hätten von dort mehrere Schiffsladungen voll von Marterpfählen, Skalpiermessern und Pfeilgiften geliefert bekommen.

Vor dem Office liefen unmöglich ausgerüstete Posten mit und ohne Gewehr herum, doch die Krönung des Ganzen sollte Pete erst serviert werden, als plötzlich einer der Posten mit dröhnender Stimme rief: „Achtung, der Herr Festungskommandant!"

Die Tür ging auf und heraus trat — John Watson.

Es war der letzte Schrei von Somerset —, von „Fort Somerset" genauer gesagt. Der „Gangsterschreck" von Arizona war kaum wiederzuerkennen. Auf seinem Kopf saß — etwas ins Genick verrutscht — ein flacher englischer Stahlhelm, während seine Hühnerbrust von einem riesigen Feldstecher geziert wurde, der bei jedem Schritt lustig hin und her pendelte. Um den Hals trug er eine Gasmaske mit Rüssel, die so dicht an seinem Gesicht befestigt war, daß er mit einer Drehung des Kopfes ohne Gebrauch der Hände wenigstens schnell mit der Nase hinein schlüpfen konnte. An seiner Hüfte hing an der einen Seite der übliche Dienstrevolver im Holfter, auf der anderen an einem zweiten Hüftgürtel ein langer Reitersäbel, über den er beim Gehen fortwährend stolperte. Eine große lederne Meldetasche, ein Brotbeutel und eine Feldflasche vervollständigten seine kriegerische Ausrüstung.

„Ich kontrolliere jetzt die Posten", rief das zum „Festungskommandanten" avancierte Gesetz und stolzierte davon.

So standen die Dinge in „Fort Somerset". Na, dann mal auf zum fröhlichen Tanz, dachte Pete und machte sich ungesehen aus dem Staube.

„Was sitzt du nur da und starrst so tatenlos aus dem Fester?" herrschte Mrs. Jemmery ihr Söhnchen an.

„Fenster ist gut", lachte der Kleine spöttisch, „sieht aus wie ein Luftloch in Sing Sing oder ein Gitter für einen Affenzoo. Überhaupt ein Wunder, daß noch Licht hereinkommt. Sag mal, stört dich das denn nicht, Mam, beim Wirtschaften?"

In der Tat, des Schneidermeister Jemmerys Haus gehörte mit zu den am besten verbarrikadierten Gebäuden in Somerset. Vater Jemmery hatte, von dem allgemeinen Festungsfieber angesteckt, mitten in seiner Näherei aufgehört und riesige Eisenhacken um sämtliche Fenster geschlagen, so daß dicke Drähte kreuz und quer gespannt werden konnten. Sogar die Haustür hatte er nicht verschont; nur in ihrem untersten Teil war eine winzige Öffnung gelassen, durch die sich die Familienmitglieder nun hindurchzwängen mußten, wenn sie hinaus oder herein wollten.

„Werde ich vielleicht gefragt, ob mir das paßt?" antwortete die Mutter. „Was aber sein muß, muß sein. Sollen wir vielleicht noch „Herzlich Willkommen" auf die Haustür malen? Nein, Dad hat schon recht, der Feind muß abgeschreckt werden! Soll erst gar nicht die Anwandlung kriegen, sich hier breitmachen zu wollen!"

„Werden sich auch schwer hüten", brummte Joe mehr für sich.

Wirklich, was sich hier während Petes Abwesenheit ereignet hatte, ging langsam über die Hutschnur. Wo Pete nur blieb? Wahrhaftig, Joe hätte lieber die tollsten Schwierigkeiten der „Expedition" auf sich genommen als in diesem blödsinnigen „Fort" auszuharren.

„Na, wird's bald, daß du endlich Milch holst, Junge? Und versuch auch, irgendwo frisches Gemüse zu ergattern!"

„So was gibt's doch nirgends mehr, Mam! Die Geschäfte sind doch seit Tagen ausverkauft und niemand hat Zeit, Ersatz heranzuschaffen!"

„Eine Schande ist das! Alles rüstet und bewaffnet sich, und wo bleiben da die Vitamine? Nicht mal ein paar Salatblätter sind mehr zu haben!"

„Kann man den Leuten nicht verdenken, Mam. Arbeitet Dad etwa?"

„Das ist auch was anderes, der fabriziert ja auch keinen Salat!"

„Hm, hm", hüstelte Listige Schlange.

„Also, nun geh schon, freches Kaliber. Bring auch Konserven mit, denn ich sitze auf meiner letzten Cornedbeef-Dose!"

Joe klemmte sich die Milchkanne unter den Arm, dazu ein Netz und robbte sich durch das Loch im Eingang.

Vor dem Store sah er schon von weitem eine Menge Leute Schlange stehen. „Auch das noch", stöhnte Joe, „ehe ich dran bin, ist sowieso nichts mehr da, nicht mal 'ne alte gerunzelte Kartoffel." Resigniert glitt sein Blick über die vielen Frauen. Zum Schutze ihrer Skalps hatten sich manche Kochtöpfe übergestülpt und durch deren Henkel Haltestrippen gezogen. Wirklich, ein reizender Anblick! In den Gürteln der Frauen steckten Küchenmesser, Quirle, Schaumlöffel und eine hatte sogar einen Teppichölopfer an ihre Seite montiert. Wer konnte wissen, was ihnen beim Einkauf alles passieren würde . . . ?

Listige Schlange konnte nur mit dem Kopf schütteln. Nun erst mal rasch zum Milchmann. Resigniert drehte er sich um.

Doch was war das? Welch vertrautes Geräusch drang da an sein Ohr? Und diese Klapperkiste, kannte er die etwa nicht? Suleika und Kaffeesatz, das war ja der Ford seiner Bundesbrüder! Die Gerechten waren wieder da! Wie ein Rasender sauste er los. „Jerry, Conny, Andy!" Gut, daß die Milchkanne leer war. Schnaufend hielt endlich der Ford.

„Mensch, ein Glück, daß ihr wieder da seid, wird ja allerhöchste Eisenbahn! — Wie findet ihr den Spuk hier, schön, was?"

„Irrenhaus!" kam es von Jerrys Lippen. Dabei tippte er sich, die Augen verdrehend, an die Stirn.

„Wo sind denn die andern? Habt ihr die etwa unterwegs den Indianern geschenkt?" Joe sah seine Leute forschend an.

„Nee, Pete ist mit Sam von Süden her eingerückt, damit wir nicht wie 'ne geballte Ladung wirken, du verstehst?"

„Am besten, du steigst gleich in die Kiste ein; wir erklären dir dann alles", drängte Andy. „Fahren wir das Ding erst mal in den Stall!"

Als das Auto abgestellt war, mußte Listige Schlange, wie die Expedition der Gerechten verlaufen war. Er hatte auch gehört, was Pete vor hatte.

„Also, Boys, ich wetze erst mal los, muß nämlich noch zum Milchmann! Vielleicht ist Pete schon bei mir vorbei, habe so'n dumpfes Stechen im Merkste was. Parole: Treffen sofort beim Sportplatz, allen Bescheid sagen, die ihr noch erwischen könnt. Im Town haben wir doch keine Ruhe!"

Und wirklich, noch bevor Listige Schlange mit seinem Achtelliter Magermilch in seine Straße einschwenkte, sah er den Häuptling der Gerechten mit Sam unauffällig hinter einem Baum warten. Joe winkte ihnen verstohlen zu, schob die Magermilch in die Haustür und eilte seinem Boß entgegen.

Die Begrüßung war herzlich: „Daß ihr endlich wieder da seid! — War ja gräßlich, diese Ungewißheit — meine Nerven sind am Durchschmoren! Habe die Autofritzen auch schon getroffen — bin im Bilde!"

„Armer Joe", sagte Pete lächelnd, „wenn wir dich nicht hätten! Dafür habe ich für dich aber auch eine Sondermission." — Er flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Hm, sehr geschmeichelt, Boß", grinste der Kleine verlegen. „Also, Boß, habe sofortige Zusammenkunft am Sportplatz durchgegeben, recht so?"

„Okay", nickte Pete, so gehen wir, es ist noch allerlei zu bekakeln!" —

Nach einer halbstündigen Versammlung am Sportplatz, zu der alle Gerechten in mustergültiger Schnelligkeit erschienen waren, hatte Pete die Aufgaben verteilt.

Sogar Charly Clever hatte sich mit Wonne „einfädeln" lassen. Er war nach Absendung seines Antworttelegramms sofort nach Somerset gefahren, hatte Pete aber nicht mehr angetroffen. Wie er den Gerechten später erklärte, hatte es sich bei dem Aufstand der Hopi-Indianer nur um eine Unstimmigkeit zwischen dem weißen Indianeragenten der Reservation und dessen rothäutigen Helfern gehandelt. Zu ernsten Ausschreitungen war es gar nicht gekommen, die Meldung war von regierungsfeindlichen Blättern aufgebauscht worden.

„Guten Morgen, ist der Herr Festungskommandant zu sprechen?" fragte Charly mit ausgesuchter Höflichkeit, als er sich geschickt bis zur „Festungskommandantur", dem einstigen Office, durchgearbeitet hatte. Hier gab es allerdings noch eine letzte Hürde zu nehmen. Diese bestand in der „ehrenwerten" Person des Adjutanten des Festungskommandanten und stellte einen wahrhaft „geharnischten" jungen Krieger dar. Vor seiner kühnen Brust wölbten sich zwei Reibeisen. Eine alte Aktenmappe diente als Rückenschild, und den Kopf schützte ein verbogener Feuerwehrhelm. Selbstverständlich trug er wie sein hoher Vorgesetzter Brotbeutel und Feldflasche. Zwei unvollständige Gasmasken hatte er sich um die Knie gebunden, was ihm ein mittelalterliches Aussehen verlieh.

„Ich bin Korrespondent vom ,Tucson Star'", meldete sich Charly feierlich und tat, als habe er Jimmy nicht erkannt, „und wünsche den Herrn Festungskommandanten zu interviewen. Sein vorbildliches Verhalten hat bereits in sämtlichen Staaten Aufsehen erregt. Man reißt sich um sein Bild. Ich habe nur ein paar Fragen an ihn zu richten, wenn Sie gestatten!"

„Onk— Herr Festungskommandant", schrie Jimmy in den hinteren Raum, jemand von der Presse! Darf er reinkommen?"

„Noch drei Minuten, bin gerade mit der Generalschnapskarte beschäftigt."

Charly schmunzelte stumm vor sich hin. Als Watson dann im Glanz seiner Ausrüstung vor ihm stand, nahm Charly eine stramme Haltung an.

„Selten so etwas gesehen! An Einfallsreichtum unübertroffen! Die zweckmäßigste Ausrüstung der Welt" Mit diesen und ähnlichen Schlagworten fummelte er mit seinem Stenogramm vor Watsons Nase herum und bat wie nebenbei, auch einmal die modernen Waffen sehen zu dürfen, die die Sicherheit des Towns gewährleisten sollten.

Geschmeichelt wies Watson auf sein „Arsenal", die Säbel und alten Flinten, Vorderlader und verrosteten Pistolen. Dabei merkte er gar nicht, daß auch seine Dienstpistole in die Hand des eifrigen Reporters geriet. Fachmännisch begutachtete Charly diese Verteidigungsinstrumente, um sie mit den höchsten Lobpreisungen an ihren Platz zurückzulegen. Seine Mission war beendet. Nein, hier gab es kein Stück, aus dem auch nur eine Mottenkugel geflogen wäre. Pete konnte beruhigt sein.

„Wenn Sie gestatten, nehme ich Sie noch kurz auf, Herr Festungskommandant", bat Charly abschließend und zückte seinen Fotoapparat. Watson nahm eine Feldherrnpose ein, und es machte „klick". Dann donnerte Watson nach seinem Atjutanten, und der Reporter war gnädig entlassen.

Der Morgen kroch von Osten heran wie ein riesiges Ungeheuer. Denn vor der aufgehenden Sonne her zogen finstere, grauschwarze Gewitterwolken, wie die Vorboten eines großen Unheils.

Mr. Plumrose hatte ein unbehagliches Gefühl und suchte sorgenvoll den Horizont ab; er hatte die letzte Nachtwache und hockte in äußerst unbequemer Stellung auf dem Dach eines Hauses am westlichen Ortsrand, von dem aus man das Vorgelände der Stadt weithin überblicken konnte. In jeder Himmelsrichtung saß seit vier Tagen bei Tag und Nacht je ein Mann auf Ausguck. Der Festungskommandant hatte das so angeordnet.

Plumrose schwang sich durch die Dachluke. War ihm da nicht schon etwas sausend über den Kopf gezischt? Ums Haar wäre er daneben getreten und vom Dach gestürzt, doch in letzter Sekunde bekam er neuen Halt und fiel gleich darauf durch die Dachluke, daß das ganze Haus erzitterte.

„Alarm, Alarm — sie kommen!" schrie er auf der Treppe, hastete wie vom wilden Affen gebissen nach unten und rannte, immer wieder die gleichen Worte ausstoßend, weiter.

Sein Alarmruf verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Überall stürzten Menschen aus den Häusern, meist noch so, wie sie im Bett gelegen hatten. Die Stahlhelme, Gasmasken, Koppel und sonstigen Ausrüstungsgegenstände, die sie stets griffbereit neben sich liegen hatten, wurden jedoch nicht vergessen und nahmen sich besonders malerisch zu den karierten oder sonst wie mit blauen, grünen oder roten Börtchen verzierten Nachtgewändern aus.

Es dauerte keine drei Minuten, und schon glich „Fort Somerset" einem aufgescheuchten Affenhaus. Überall schrie und zeterte es „Alarm, Alarm — Hilfe, sie kommen!"

Die Gegend um das Sheriffhaus glich bald einem wahren Hexenkessel. Männer, Frauen und Kinder suchten in dem Wirrwarr der Drahtverhaue Zuflucht, während die jüngeren sich dort auf die Verteidigung einrichteten. In dem dichten Gedränge trat einer dem anderen fast die Hacken ab, und gar manches Kleid, manche schöne Hose büßte an dem rostigen Stacheldraht seine Schönheit vollends ein.

Die Timpedow lehnte laut schreiend aus dem Fenster und übertönte alles andere an Lautstärke: „Hiiilfe, Hiiilfe! Ich ende am Marterpfahl!"

Der Festungskommandant, Hilfssheriff John Watson, stürzte aus dem Haus, gefolgt von Jimmy, der so weiß wie Gervaiskäse war, und von Plumrose, der, noch völlig außer Atem, die Schreckensbotschaft soeben überbracht hatte. Er wollte sich einen Weg durch die Menge bahnen, doch es war unmöglich. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich an der Hauswand entlang in Richtung Hof zu drücken, um von dort zwischen den Kaninchenställen durch über den Garten ins Freie zu gelangen.

Doch — der Teufel hatte seine Hand wieder mal im Spiel; im Garten wimmelte es von Fußangeln, und das Gesetz hatte in der Aufregung hieran gar nicht mehr gedacht. Kaum hatte er den Garten erreicht, da schrie er auch schon auf und ging in die Knie.

„Hülfe, Hülfe, den Sheriff hat's bereits erwischt!" ertönte es sofort vom Hause her. „Er ist von einem vergifteten Pfeil getroffen! Wir haben nun keinen Sheriff mehr!"

„Idioten!" brüllte Watson wie zehn Stiere. „Jimmy, du Riesenrindvieh — ooch — aua — steh' doch nicht — aua — so blöd herum — hilf mir — ooh, aua — bloß aus dieser — aua — vermaledeiten Rattenfalle!"

Plumrose und Jimmy sprangen hinzu, und mit vereinten Kräften gelang es ihnen schließlich, das Gesetz aus seiner „Rattenfalle" zu befreien. John Watson humpelte ungeachtet der Schmerzen unverdrossen weiter, stolperte jedoch sogleich wieder über seinen langen Säbel und schlug lang hin. Wutschnaubend raffte er sich auf und fingerte an dem Säbelgurt herum, machte das Mordinstrument los und überreichte es Jimmy, der es nun wie ein Gewehr geschultert seinem Onkel nachtragen mußte.

Während ringsum auf den Straßen die Panikstimmung sich ständig steigerte, erreichte das Gesetz das Haus mit dem Ausguck zum Westrand des Towns.

Der „Gangsterschreck" stieg auf den Dachboden und spähte mit Plumrose durch die Luke. Der Schneidermeister deutete mit dem Finger in eine bestimmte Richtung und lallte dazu etwas Unverständliches. Er hatte sich die Kehle heiser geschrien und brachte kaum noch ein Wort heraus.

Nun fingen auch John Watson, der es immer noch nicht richtig hatte glauben wollen, allmählich die Knie an zu zittern. Keine halbe Meile waren sie weg — dort drüben in der ausgedehnten Mulde hatten sie ihr Lager aufgeschlagen. Alles war deutlich zu erkennen: Die Wagen, die Pferde, die Zelte, sogar der wilde Kriegsschmuck jedes einzelnen Mannes.

Die Indianer waren da!

John Watson riß den riesigen Feldstecher hoch.

„Entsetzlich!" stammelte er, „grauenhaft, einfach grauenhaft! Es ist ein Stamm von lauter Zauberern und Medizinmännern. Sie stehen mit dem Teufel im Bunde und führen bereits Kriegstänze auf."

In der Tat war das, was John Watson sah, äußerst verwunderlich. Denn dadurch, daß die eine Linse in dem Feldstecher gänzlich fehlte und die andere einen Sprung hatte, sah er alles völlig verzerrt und verschwommen. Und infolge des Sprunges sah es manchmal aus, als habe sich die obere Hälfte einer Rothaut von der unteren getrennt, und auch die Pferde, auf denen einige fortwährend um das Lager ritten, schienen oftmals aus zwei Hälften zu bestehen. Es war ein richtiges Gruselbild.

„Gegen diese Übermacht von Zauberern sind wir wehrlos", stammelte John Watson entgeistert, „wir müssen sofort von Tucson Entsatz anfordern."

Als Watson wieder auf die Straße trat, wurde er von den Somerseter Bürgern umringt. Sie hatten sich auf der dem freien Gelände abgelegenen Seite des Hauses zusammengedrängt, und keiner wagte auch nur einen Blick um die Hausecke zu werfen. „Was gibt's Sheriff? Greifen sie schon an?" bestürmten sie ihn gleichzeitig.

John Watson warf sich in die Brust. Es blieb ihm nichts anderes übrig, so schwer es ihm auch fiel; er mußte zeigen, daß es in Somerset zumindest einen gab, der nicht die Nerven verlor.

„Displizin, Leute!" schrie er, „noch ist Somerset nicht verloren; wir müssen sie überlisten. Wenn sie kommen, hissen wir eine weiße Fahne. Inzwischen fordern wir heimlich Verstärkung an."

„Wenn sie aber schon die Telefonleitungen durchschnitten haben?"

„Zum Kuckuck, war hatte denn das schon wieder aufgebracht? Das war ja Panikmache, nichts als sabotanische Panikmache!"

Watson sah sich zornbebend um. Dachte er sich's doch!

Da stand der Kerl — und grinste auch noch frech! Natürlich, wer konnte es anders sein als Pete Simmers, dieser respektlose Obergerechte!

„Dummer Bengel, die Leitung ist doch viel zu hoch für Indianer! Wie sollen sie denn da rankommen?" schrie Watson. „Ich werde jeden, der hier durch Schwarzmalerei die Lage verschlimmert, einsperren!" Insgeheim aber fürchtete er, Pete könnte vielleicht gar nicht so unrecht haben.

„Jimmy", rief er, „Jimmy, mir nach! Zurück ins Office!" Doch Jimmy war und blieb verschwunden. Und so humpelte Watson denn, von Plumrose und einer Schar Beherzter begleitet, ins Office zurück.

Als Watson im Office endlich die Verbindung mit Tucson hatte, atmete er auf. Gott sei gelobt, die Leitung war also noch nicht durchschnitten. Er schilderte in aufgeregten abgehackten Sätzen den fürchtlerlichen Belagerungszustand, in dem sich Somerset befand. Man versprach ihm sofortige Hilfe.

Und dann krochen die Stunden dahin wie Ewigkeiten, ohne daß etwas geschah. Watson beobachtete von der Dachluke aus das Indianerlager. Die Indianer machten jedoch keine Anstalten, näher an die Stadt heranzukommen.

Aber dann raste plötzlich eine neue Welle des Schreckens durch die Stadt. Mrs. Jemmery war die erste, die ihren Sprößling nicht mehr finden konnte. Danach war es Mrs. Pimpers, Mrs. Dunn und auch Andys Mutter, die ihre Söhne vermißten. Die untröstlichen Eltern rauften sich die Haare, doch so sehr man auch suchte — alles, was zu diesem verrufenen Bund der Gerechten gehörte, war und blieb verschwunden.

Auch John Watson tobte vor allem darüber, daß sein Jimmy nicht aufzutreiben war. Sicher trieb er sich irgendwo bei den Gerechten herum. Das war kein Umgang für einen Neffen eines Festungskommandanten. Doch dann hatte er plötzlich keine Zeit mehr, an Jimmy und die Gerechten zu denken. Die Ereignisse überschlugen sich.

John Watson riss zum zigsten Male den Feldstecher hoch, setzte ihn aber sogleich wieder ab, um besser sehen zu können.

Samuel hilf! Jetzt war es soweit! Die Indianer rückten an! Auf breiter Front zogen sie hoch zu Roß und zum Teil zu Fuß genau auf das Town zu. Ein entsetzlicher Anblick!

John Watson rannte auf die Straße. „Die weiße Fahne!" schrie er. „Wo ist die weiße Fahne?" Seine Stimme überschlug sich fast. „Weitersagen, ausdrücklicher Befehl des Kommandanten! Kein Schuß wird abgegeben, bis Verstärkung aus Tucson eintrifft!"

Jemand kam mit einem großen, mehrfach geflickten weißen Bettuch angerannt und reichte es Watson, der sogleich damit in das Haus stürzte und zum Dachboden rannte, um es irgendwo weithin sichtbar anzubringen. Watson warf einen Blick durch die Dachluke und sah sich nach einer Befestigungsmöglichkeit um. Dann sackte er in sich zusammen, wandte sich ab und stierte mit weit aufgerissenen Augen auf die gegenüberliegende schräge Wand.

„Was gibt's, Sheriff?" schrie Mr. Dulles, der ihm nachgerannt war, nichts Gutes ahnend.

„Zu spät", hauchte Watson. „Sie sind schon da, wir sind verloren!"

Doch dann gab er sich einen Ruck und riß seinen schweren Colt aus dem Holfter.

Watson wollte sich zu der Dachluke stürzen, doch Dulles hatte sie bereits mit Beschlag belegt. Watson sah ihn schräg von der Seite an.

In Dreiteufelsnamen, was war denn mit dem los? Der sperrte ja Mund und Nase auf — und seine Augen wurden immer größer! War denn der Metzger verrückt geworden? Und jetzt lachte er auch noch los wie ein Irrer! War er denn schon übergeschnappt? War ganz Somerset ein einziges Tollhaus?

Watson sah ihm über die Schulter — und dann verstand er diese Welt nicht mehr.

Es wurde ein Tag, wie ihn Somerset seit langem nicht erlebt hatte, und alle waren froh und ausgelassen wie selten zuvor. Über die ganze Stadt ging ein einziges Aufatmen. Man war von einem bösen Alpdruck befreit, und auch der Himmel tat das seinige dazu, denn die düsteren Gewitterwolken waren südlich an dem Town vorbeigezogen und einer strahlenden Sonne gewichen.

Unter dem Jubel der Bewohner zogen die Indianer, phantastisch bemalt und kriegerisch geschmückt, in das Städtchen ein. Wie staunte man aber erst, als man die vermißten Gerechten — Pete zusammen mit dem alten Indianer mit dem Ledergesicht vorneweg — bei den Rothäuten auf den Sätteln sitzen sah! Und dann — ganz am Schluß — wer war denn das? John Watson, der Festungskommandant, war einem Ohnmachtsanfall nahe, denn der letzte Reiter war kein anderer als sein hoher Chef, Sheriff Tunker.

Die Menge, Indianer und Gerechte, sie alle zogen einträchtig zu dem freien Platz vor dem Spritzenhaus, und es wurde eine richtige Verbrüderung. Auch der Watsonschlaks war wieder aus der Versenkung aufgetaucht; er sah aus wie ein Mohr, denn er hatte sich unter einem Kohlenhaufen versteckt. Jimmy pirschte sich an Conny heran, dem er die Sache mit den Würstchen immer noch nicht vergessen hatte, und machte giftige Bemerkungen.

„Hätte aber für euch ganz schön mulmig werden können! Wenn nun mein berühmter Onkel kein so besonnener Mann wäre — hat ja übrigens die ganze Sache von vornherein durchschaut — und nun scharf geschossen hätte?"

Conny grinste. „Keine Sorge. Allzu scharf wäre es schon nicht geworden, wir hatten nämlich da wohlweislich ein bißchen vorgesorgt. Wenn er die scharfen Patronen sucht, die liegen im Stall unter dem Holzbottich, ein Zettel mit lieben Grüßen von Charly liegt auch dabei."

Vor dem „Silberdollar" ergriff dann Sheriff Tunker das Wort.

„Mal einen Augenblick herhören, Leute! Seid ja mal wieder ganz schön ein paar Schwindlern aufgesessen. Aber ihr könnt von Glück sagen, wir haben sie gefaßt und konnten fast die ganzen Dollars sicherstellen, die sie euch für den wertlosen Plunder — stammte alles von einem Schrottplatz in der Nähe von Tucson — abgeluchst hatten. Habe das Geld mit. Schlage aber vor, wir tun ein gutes Werk damit. Dieser Papagos-Stamm ist nicht übermäßig wohlhabend und freut sich, wenn wir ihm ein bißchen was abkaufen."

Wer hätte in Anbetracht dieser glücklichen Wendung der Dinge gegen diesen Vorschlag etwas einzuwenden gehabt? Die Indianer hatten inzwischen ihre prächtigen Handarbeiten und Töpferwaren vor sich ausgebreitet. Es wurde nicht gehandelt und nicht gefeilscht und nicht nachgerechnet. Jeder durfte sich aussuchen, was ihm gefiel, nachdem Tunker dem Häuptling „Gehörnte Eule" das gesamte sichergestellte Geld ausgehändigt hatte. —

Gegen Abend saßen Watson, Tunker und „Gehörnte Eule" noch im „Silberdollar" zusammen. Tunker hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen wackeren Hilfssheriff, dem er keine allzu großen Vorwürfe machen konnte, da er sich immerhin wacker gehalten und sein Bestes versucht hatte, ebenso wie „Gehörnte Eule" zum Essen einzuladen. Und der Häuptling hatte sich dadurch erkenntlich gezeigt, daß er die beiden Polizeigewaltigen zu einer mit besonders zubereitetem indianischen Tabak gestopften Friedenspfeife einlud.

Man rauchte eine Weile. Dann schlich sich das Gesetz, ein Bleichgesicht im wahrsten Sinne des Wortes, plötzlich hinaus und verschwand in Richtung Hof. Er kam erst nach einer halben Stunde wieder zurück, war jedoch nicht durch Geld und gute Worte zu bewegen, noch einmal an der Friedenspfeife zu ziehen.

„Danke bestens", sagte er mit schwacher Stimme, da lasse ich mich lieber skalpieren!"

ENDE

Das Pete Buch 41 - Mit Humor gehts doch viel besser
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