Erstes Kapitel
KINDER, ES KOMMEN LAUSIGE ZEITEN!
William bringt allerlei Überraschungen ins Haus und prophezeit schlimme Zeiten — Onkel Johns Wirtschaftsplan . . , eine prima Sache — Hausse im Generalstore — Ein Damenfuß tritt einen amtlichen Daumen platt — Kauft Pfeffer, Senf und Paprika . . . bald sind die mageren Zeiten da! — Der Wurm im Haushalt — Jeden Tag Sauerbraten . . . puuuh! — Drei Boys genießen eine geruhsame Stunde — Der Mensch muß was riskieren — Drei „Sombreros" lassen was springen — Guter Rat ist jetzt sehr billig —
Auf der Salem-Ranch — unweit Somerset in Arizona — herrschte freudige Aufregung. Soeben war mit einem quietschenden Geräusch der Viehgroßhändler William Pillower aus Phoenix vorgefahren. Alle paar Monate tauchte er auf, um die schlachtreifen Rinder abzuholen.
Der Tag, an dem Pillover kam, war stets ein Festtag. Abgesehen davon, daß er wirklich einen hervorragenden Rindviehverstand besaß, brachte er doch auch schöne knisternde Dollarscheine ins Haus, den Lohn für alle Mühe und Arbeit, die tagaus, tagein von den Ranchersleuten verrichtet wurde.
Natürlich war die liebe Jugend der Ranch — der junge Pete und seine Schwester Dorothy, der Verwalterssohn Sam Dodd und als Gast der pfiffige Indianerboy Sitka — sofort wie der Blitz über das Führerhaus des Lastwagens hergefallen, aus dem der Viehhändler jetzt etwas umständlich herausquoll. Man muß schon sagen, daß er „quoll", denn er war rund wie ein Faß, und seine mächtige Taille von mindestens zwei Meter Umfang wurde mühsam von dem breiten Ledergurt seiner braunen Jacke zusammengehalten. Sein Gesicht war ebenfalls rund wie ein Emmentaler Käse, rosig wie ein neugeborenes Ferkel und freundlich wie das eines Hotelportiers, der gerade Millionäre empfängt. Auf seinem mit dünnem blonden Haar bedeckten Rundschädel saß eine kleinkarierte Jockeymütze mit Schirm.
Als William — wie er allgemein von seinen Lieferanten genannt wurde — die Junioren der Ranch erblickte, schob er mit seinem Zeigefinger, der einem prallen Knachwürstchen glich, die Mütze nach hinten und genoß seinen „Empfang", ehe er in die acht ausgebreiteten Arme der Kinder plumpste.
„Hallo, William, William", riefen sie freudig, „hast du uns auch was mitgebracht?"
„Und ob", lachte der Dicke und ließ es sich gern gefallen, das Pete und Sam, Dorothy und Sitka sich an einen seiner gewaltigen Arme hängten.
„Aber Kinder, nun tyrannisiert den armen William doch nicht gleich so", rief Mr. Dodd, der aus der Tür des Ranchhauses herausgetreten war.
Aber William winkte gutmütig ab, denn er hatte Kinder nun mal für sein Leben gern, weil er leider keine eigenen besaß.
Mit Ach und Krach gelang es dem Verwalter, den stets willkommenen Gast unbeschädigt ins Haus zu ziehen.
Auch Mammy Linda, die schwarze Köchin und Haushälterin der Ranch, hatte bereits einen Zipfel des Besuchers erhascht und raste sofort in die Küche, um eine kleine Erfrischung auf den Tisch zu bringen.
wie schön, daß William kommt zu arme Ranchers wieder", frohlockte sie. „Mr. William erleben so viel, kann erzählen uns einsame Leute von großes Amerika!"
„Ach Mammy", erwiderte Pillower und sank mit Gepolter in einen alten Bauernstuhl, der nur wie durch ein Wunder nicht zusammenkrachte, „ich wünschte, ich hätte so 'n gemütliches Leben wie ihr hier. Diese ewige Gondelei über Land! Mein Zimmer in Phoenix ist schon ganz eingestaubt, und wenn nicht 'ne Visitenkarte mit meinem Namen dranhinge, ich würd's kaum glauben, daß ich da zu Hause bin. Nee, ist kein Leben, könnt mir's glauben!" Damit griff er zu einer Flasche Coca Cola, die Mr. Dodd erst einmal für den ersten Durst vorsorglich vor ihn hingestellt hatte.
nachdem Pete und seine Getreuen geduldig zugesehen hatten, wie das Getränk in Williams Gurgel hinunter gluckerte, hielt es sie nun aber nicht länger.
„Was hast du mitgebracht, bitte, bitte vorzeigen!"
„Nu jeh, ja doch", japste der Viehhändler und zog ächzend eine Tüte aus der Hosentasche.
„Alle mal wegsehen", kommandierte er.
Dann schnarrte es ein paarmal, und als die Boys und Dorothy sich wieder umsahen, hopste, purzelte und knatterte es auf dem Tisch herum wie in einer Gala-Zirkusvorstellung. Da schlug ein Maikäfer Saltos, ein Frosch machte große Sprünge — wobei er die Augen verdrehte —, eine Biene summte wild im Kreise herum und eine kleine Mickymaus schlug unentwegt auf eine winzige Trommel. Für Dorothy gab es eine herrliche rotlackierte Rose, die sich langsam öffnete und schloß.
Als Mammy Linda eine große Schüssel Ananaskompott auf den Tisch setzen wollte, raste der aufgezogene Frosch über den Tischrand, verfing sich in Mammys Küchenschürze — und dann gab es einen ohrenbetäubenden Krach. Vor Schreck war der Köchin die Schüssel aus den Händen geglitten.
„Igittigitt", jammerte sie, „immer dieses widerliche Teufelszeug auf Eßtisch. Jetzt schöne Kompott mit Schüssel kaputt, huhuhu!" Ihr Jammern war in lautes Weinen übergegangen.
„Aber Mammy, das war doch gar kein richtiger Frosch, bloß einer zum Aufziehen", beruhigte Pete die schluchzende Schaffnerin, „es sind doch alles nur Scherzartikel hier auf dem Tisch, ganz harmlose . . . Nun komm schon, höre auf zu weinen. Dorothy kann eine neue Büchse aufmachen . .
„Aber schöne Schüssel in tausend Scherben, schöne Schüssel mit Rosenrand!"
„Laß nur, Mammy", mischte sich jetzt auch der Verwalter ein. „Wir kaufen eine neue, bekommen doch heute wieder viele Dollars — das kann doch jedem mal passieren!"
„Es tut mir wirklich leid", kam es zerknirscht aus Williams Mund, „wollte den Kindern nur eine Freude machen; hätte ich geahnt..."
Inzwischen hatte Sitka lautlos und flink den Ananassee auf dem Fußboden aufgewischt und Dorothy war mit einer frischen Ladung Kompott erschienen.
Nachdem es verspeist war, überredeten alle Mammy Linda sogar noch zu einem Kognak, und bald saß sie leicht berauscht mit am Tisch und spielte selbst mit den Geschenken des Gastes.
„So", atmete Mr. Dodd auf. „Nun können wir ja wohl in aller Ruhe zum Geschäftlichen übergehen, nicht wahr?"
„Tja", antwortete der Viehhändler mit schwerem Seufzen, so daß ihn der Verwalter einen Augenblick verwundert ansah.
„Ich liefere heute zwanzig Texaner, alles Longhorns. . . das übliche, Sie wissen ja, den Zentner zu . . ."
„Mein Lieber", unterbrach ihn William, „ich muß es gleich mal sagen, wozu einen langen Brei darum machen — also, kurz und gut, die Sache ist die . . ."
„Aber William, was ist denn los? Sind Sie vielleicht das letzte Mal nicht mit uns zufrieden gewesen? Ich habe das beste Vieh ringsum, meine Longhorns ..."
„Aber nein, Mr. Dodd", unterbrach der Händler den Verwalter, „das ist es nicht. Ich war immer äußerst zufrieden, Ihre Tiere sind erstklassig . . . Nein, nein . . . Das ist so, ich kann diesmal keine zwanzig übernehmen."
Es war eine Weile ganz still zwischen beiden Männern.
„Ja, aber, warum ... ich verstehe nicht ..." stammelte schließlich Mr. Dodd. Den Erlös für die zwanzig Texaner hatte er schon oft im stillen eingeteilt; es war so viel anzuschaffen, was die Ranch nicht selbst produzierte: Werkzeug, Düngemittel; es fehlte auch an Farbe für die Ställe und Zäune. Mammy Linda brauchte Seife, Gewürze, die Kinder mußten mit Hemden und Schuhwerk versehen werden . . . Mr. Dodd wurde es wirklich ein bißchen schwindelig.
William goß dem Verwalter einen Kognak ein. „Nicht daß Sie denken, ich sei daran schuld, Mr. Dodd. Sie glauben nicht, wie ich geredet habe, um überhaupt noch einen größeren Posten loszuwerden".
„Das verstehe ich nicht", murmelte der Verwalter tonlos und starrte auf das Glas.
„Es ist aber so. Die Fleischfabriken von Phoenix bis Chicago sind vollgestopft mit Ware bis an die Decken. Keiner kauft mehr das Zeug, das Geld ist knapp; weiß der Teufel, aber es ist so. Jetzt müssen sie natürlich ein bißchen kurz treten mit der Fließbandproduktion, klar, sonst läuft's über. Ist ja bestimmt nur vorübergehend, aber im Moment ... ich habe jedenfalls durchgedrückt, daß mir noch runde fünfzig Prozent abgenommen werden, gehöre doch zu den ältesten Lieferanten . . . also!"
„Also, das heißt, Sie nehmen uns heute nur die Hälfte ab . . ."Mr. Dodd kippte verzweifelt den Kognak herunter.
„Weil Sie's sind, Mr. Dodd, gehe ich bei Ihnen bis zu fünfundsiebzig; ich nehme 15, das ist aber das Äußerste — und aus alter Freundschaft; zwacke es dann woanders wieder ab."
„Und was mach ich mit dem Rest?"
„Es bleibt doch guter Bestand, sehen Sie mal. Besser Sie behalten die Tiere, als sie mit Verlust verkaufen. Die Fabriken müssen ihre Ware schon verschleudern, wenn sie Luft schaffen wollen. — Derartiges bleibt Ihnen einstweilen noch erspart. Warten Sie ab, rate ich Ihnen, und treten Sie kurz; es kommt auch wieder anders."
„Nun ja", sagte Mr. Dodd resigniert, „dann danke ich auch sehr, daß Sie es bei mir so gnädig machen, William. Wir werden uns eben einschränken müssen." Dann klopfte er müde auf die Schulter des Händlers.
„Sobald wie möglich komme ich wieder vorbei", bemerkte dieser tröstend und kippte einen Kognak hinunter. „Für mich ist diese Hiobsbotschaft ja auch kein Zuckerlecken, aber es gibt Schlimmeres, bestimmt, es gibt Schlimmeres!"
„Sehr wahr", nickte Mr. Dodd mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht und prostete seinem Gast zu.
*
In ihrem Wohnzimmer saßen der Hilfssheriff John Watson und sein schlaksiger Neffe Jimmy am Eßzimmertisch. Vor ihnen lag in Dollarscheinen und Centstücken schön geordnet Watsons Monatsgehalt, das ihm der Briefträger vor ein paar Minuten gebracht hatte.
„Hab da doch neulich im ,Tucson Star' — ähäh — gelesen", begann Onkel John, „daß man sein Geld genau einteilen soll, wenn man am Monatsletzten nicht Kohldampf schieben will . . . ähäh. Die Moneten, die man für bestimmte, feststehende Sachen braucht, soll man sofort beiseite legen!"
„Interessante Neuigkeit", murmelte Jimmy und grinste, „der Weg zur Hölle ist auch mit guten Vorsätzen gepflastert!"
„Ich werde dir gleich helfen, deinen alten Onkel auf die Schnippe . . . auf die Schippe zu nehmen. Bisher fehlte mir einfach die richtige Methode, mit den schönen neuen Dollars konservierend umzugehen, aber jetzt, jetzt weiß ich es . . . aus der Zeitung nämlich; da wissen sie doch immer alles ganz genau!" Watson griff nach einem ansehnlichen Bündel Dollarscheine und fuhr fort: „Das hier ist das Häufchen für Getränke!"
„Du meinst, für Whisky und Bier", erläuterte Jimmy schlicht und schielte seinen Ohm schalkhaft von der Seite an.
„Also 'ne Brause und ab und zu ein viertel Liter Milch für die Katze ist auch dabei", fuhr Watson fort.
„Ich weiß nicht, ob die Zeitung das mit dem Einteilen so meint", wagte Jimmy zu widersprechen, „aber wenn du glaubst ..."
„Ich glaube, was i c h will, und damit basta", brummte Watson ungehalten und griff ein weiteres Bündel, das allerdings schon wesentlich kleiner war als das für „Getränke" bestimmte.
„Das hier ist für Fleisch und Brot", erläuterte er und tippte mit dem Finger auf das Geld.
„Ist ja viel kleiner als das andere Häufchen", maulte Jimmy.
„Viel und schwer essen ist ungesund, das solltest du wissen", erklärte der Onkel kalt. „Es stand neulich extra im Kalender".
„Und Käse und Butter und Eier, wo bleiben die?" forschte Jimmy hartnäckig.
„Na meinetwegen", brummte Watson und fügte dem Ernährungsfonds noch ein paar Dollars bei. „Das muß aber jetzt reichen!" Dann kratzte er sich nachdenklich am Kopf und fuhr fort:
„Nun brauchen wir noch eine Reserve für .Unvorhergesehenes oder Verschiedenes'. Das steht auch in der Zeitung. Falls mal 'n Lampenzylinder kaputtgeht oder 'n Kragen platzt oder auch für Briefmarken!"
„Ich kenne dich nicht wieder", meinte Jimmy kopfschüttelnd, „erstens klauen wir die Zylinder sowieso immer aus dem Büro, Kragen tragen wir nicht und Briefe schreiben wir kaum!"
„Na ja, war ja auch nur 'n Vorschlag von mir. Von jetzt ab werden wir eben ein geordneter Haushalt. Es ist nie zu spät, damit anzufangen. So steht es jedenfalls in der Zeitung gedruckt. Nach einer Weile werden wir die Früchte einer solchen Wirtschaftsordnung schon merken."
Das noch zu verteilende Geld bestand jetzt nur noch aus ein paar Dollars und einigen Centstücken.
„Wir haben sogar noch etwas übrig!" bemerkte John frohlockend. „Wir könnten es für Tabak anlegen, das habe ich sowieso vorhin vergessen!"
„Aber Onkel, du hast noch vieles vergessen! Sieh dir mal meine Hose an, die hat schon seit Wochen einen Dreiangel, der immer größer wird; sie muß zum Schneider. Auch mein Nachthemd ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse; man geniert sich richtig damit!"
„Du gehst ja nicht auf'n Ball damit, und nachts ist es sowieso duster. Das mit der Hose hat also Zeit.
„Aber dein kariertes Hemd ist auch schon reichlich dünn und abgewetzt; was sollen denn die Leute denken, wenn sie dich damit herumlaufen sehen. Der ganze Respekt vor der Obrigkeit geht doch flöten!"
Das leuchtete John Watson ein. Seufzend schob er das Häufchen für „Lebensmittel" zu sich heran, nahm ein paar Scheine davon weg und bestimmte sie zum „Kleiderfonds".
„Nun ist aber Schluß, Junge. Wir gehen jetzt gleich gemeinsam zum Kaufmann und besorgen die Lebensmittel für den ganzen Monat. Dann haben wir Ruhe."
„Okay, Onkel", stimmte Jimmy zu und suchte nach einer Einkaufstasche. Endlich fand er eine; allerdings besaß sie nur noch einen Henkel, der andere war ausgerissen. Auch die Seitennähte waren schon reichlich mürbe, aber das sollte sich erst später als verhängnisvoll erweisen.
In Mr. Dodges Store drängten sich die Kunden. Es wimmelte nicht nur von Einheimischen, nein, auch die Leute von den umliegenden Gehöften waren zu ihren monatlichen Besorgungen erschienen.
Bill Osborne von der Osborne-Ranch wurde soeben freudig von Pete begrüßt, und zu den beiden Jungen gesellte sich auch noch der Cowboy Jim von der Foster-Ranch, die in der Nähe von Welcome lag.
„Hallo, Pete", rief Jim erfreut, „schön, daß wir uns mal wiedersehen! Was gibt's denn Neues? Was macht der Bund der Gerechten? Mal wieder was ausgefressen? Ich platze vor Neugierde!"
„War nicht so toll, Jim", antwortete Pete lachend, „die letzte große Sache stieg bei Cracy Stone, als wir die Viehschmuggler einkreisten!"
„Ja, davon habe ich gehört, ihr seid doch tolle Kerle". Ernster werdend fuhr er fort: „Brauchten mal wieder eine kleine Aufmunterung bei den miesen Zeiten! Denk mal, William hat uns diesmal die Hälfte unserer Schlachtrinder stehenlassen, das ist seit Jahren nicht mehr vorgekommen."
„Bei uns genau dasselbe", nickte Bill. „Mein Dad war ganz schön durchgedreht, hat doch erst mit den Raten für den neuen Trecker angefangen. So eine Pleite!"
„Wir müssen auch wichtige Reparaturen zurückstellen", erklärte Pete, „habe gestern die halbe Nacht mit unserm Verwalter überlegt, wie wir es am besten schaffen. Muß überall etwas abgezwackt werden, ein Cowboy muß eventuell sogar entlassen werden, die Mehrarbeit bleibt dann an mir hängen, verflixte Lage!"
In diesem Augenblick hatte sich Mrs. Timpedow, die berüchtigte Klatschbase von Somerset, vor dem Verkaufstisch aufgebaut. Sie hatte eine große Pellerine von Webpelz um, für die es eigentlich noch viel zu warm war. Sie hatte sie aber gerade aus einem Versandhaus geschickt bekommen und wollte ein bißchen damit prahlen. Auf dem Kopf trug sie ein giftgrünes Gebilde aus Gaze, an dessen einer Seite allerlei künstliches Obst herab baumelte, zwei dunkelrot glänzende Kirschen, eine kleine Weintraube nebst einem Bündchen Erdbeeren mit Blättern. Auch diese Kopfbedeckung stammte aus dem Versandhaus und war angeblich der „letzte Schrei" aus der Modestadt Paris. An den Ohrläppchen der feinen Dame baumelten walnußgroße Ohrgehänge aus buntem Glas, die leise hin und her klimperten.
„Nun seht mal die da", gluckste Cowboy Jim mit verhaltenem Lachen und wies auf die herausgeputzte Klatschbase, „ein Pfingstochse ist nichts dagegen, hähä!"
Mr. Dodge hatte gerade zwei Scheiben Käse für die gefürchtete Kundin abgeschnitten, als diese betont langsam monierte: „Die Scheiben sind mir aber viel zu dick, Mr. Dodge, mein Poldi", das war ihr fetter Mops, „mag sie nur hauchdünn. Nein, die nehme ich nicht, sonst bekommt das Tierchen Magenverstimmung."
Hinter der Kundin tippte sich jemand an die Stirn. Der Kaufmann aber schnitt wortlos zwei neue, hauchdünne Scheiben von dem Käse ab. „Noch etwas gefällig, Madam?"
„Ja. Ein achtel Salz, aber bitte in einer guten Tüte, die letzte ging unterwegs kaputt und Salz verschütten bringt Unglück."
Umständlich wog der Keeper das Gewünschte ab. „Hoffentlich sind auch keine Klümpchen drin. Haben Sie losen Senf?" flötete die Kundin weiter. „Nein leider nur in Dosen!"
„Na, zeigen Sie mal. Ob ich den nehme? Ist er auch nicht zu süß?"
„Nein, er ist rasiermesserscharf", erklärte Mr. Dodge mit verhaltenem Unmut.
„Ach, scharfen vertrage ich erst recht nicht", lamentierte die Timpedow und schüttelte beleidigt den Kopf, so daß das künstliche Obst klickend aneinander schlug.
„Vielleicht noch ein Fläschchen Essig, das nach Rosen riecht, und ein Bündchen Petersilie, das nach Blumenkohl schmeckt", kam es aus der Ecke der Rancher. „Wir wollen heute auch noch mal bedient werden!"
„Hier geht es immer der Reihe nach, meine Herren", kreischte die Timpedow und warf einen vernichtenden Blick in Richtung der „Opposition". „Ein Benehmen haben diese Bauern! Völlig verwildert und ungeschliffen, pah!"
„Nun mal sachte, Madam", meinte der Cowboy, „sonst stoße ich Ihnen mal Ihr Backobst von der Birne!"
„Päh!" kam es schrill zurück. „Das macht bitte, Mr. Dodge?"
„Zwei Dollar fünf, Madam!"
Mit hocherhobenem Kopf rauschte die Timpedow davon, ihre Nase stand spitz nach oben.
Endlich war Pete an der Reihe.
„Wie immer?" fragte der Kaufmann.
„Nein, diesmal nicht", antwortete Pete und schob Mr. Dodge einen Zettel hin.
„Dumm, nun muß ich alles wieder umpacken, hatte die Sachen schon zurechtgemacht!"
„Tut mir leid, Mr. Dodge", zuckte Pete die Achseln. „Sind diesmal nicht ganz so flüssig wie sonst".
„Wir können auch nicht unsere alten Mengen nehmen", rief Bill dazwischen.
„Nanu?" wunderte sich Mr. Dodge.
„Ja, die Dollars sind knapp geworden, mein Lieber, die Geschäfte gehen im Augenblick schlecht. Lassen Sie die Hanfseile weg, von den Nägeln nur die Hälfte, vom Tabak auch."
„Na schön", murmelte der Kaufmann kopfschüttelnd und machte sich daran, die zurückgelegten Waren neu zu sortieren.
Inzwischen hatten auch die Watsons den Laden betreten.
„Haste das schon erlebt?" flüsterte Jimmy seinem Onkel zu, „die Rancher müssen jetzt die Taler dreimal umdrehen. Komisch, sonst tun sie immer so dicke!"
„Da sieht man mal wieder den Vorteil, wenn man ein beamteter Mensch ist; es gehört ja auch schließlich mehr Grips dazu als . . ."
„Mit Ihrem Spatzengehirn nehme ich es noch allemal auf", sagte ein Cowboy bissig, der Watsons Bemerkung gehört hatte. „Wetten, daß nach Ihren Viehzuchtmethoden alle Viecher zäh schmecken würden?"
Die Kunden lachten.
„Sie . . . Sie . . . das ist ja 'ne richtige Beleidigung! Ich verklage Sie beim Friedensrichter, das kann Sie 'ne Stange kosten . . . Sie . . . Sie", ereiferte sich der Hilfssheriff und fuchtelte mit seinem Portemonnaie in der Gegend herum. Das gute Stück konnte aber eine so unzarte Behandlung nicht vertragen und — schwapp — flogen alle Geldscheine wie Schmetterlinge durch den Laden, und die Centstücke klimperten hinterher.
Da sich niemand anschickte, der hohen Obrigkeit beim Aufsammeln ihrer Geldstücke zu helfen, blieb Watson nichts anderes übrig, als sich selbst am Erdboden zwischen den Beinen seiner Mitbürger hindurchzuzwängen und nach dem Geld zu angeln. Nur Jimmy hatte sich ausnahmsweise an dieser Aktion beteiligt, würzte aber seine Tätigkeit damit, daß er der Witwe Poldi kräftig in die Waden kniff, dem Heizer Norman ein paar kleine Steine in die Schuhe schob, dem Buchhalter den Mantelsaum ein Stück aufriß und von den aufgesammelten Cents ein paar schnell in seinem eigenen Schuh verschwinden ließ. Die Gelegenheit war zu günstig.
Mrs. Poldi, in deren Nähe Onkel John gerade herumkroch und die das Gekitzel übelgenommen hatte, stampfte wütend mit dem Fuß auf — und traf mit dem vollen Absatz Watsons ausgestreckte Hand.
„Auu", schrie dieser auf, so laut und markerschütternd, daß alles unwillkürlich zur Seite wich.
„Ich werde Ihnen helfen, die keuschen Waden ehrbarer Damen zu belästigen", rief die Poldi erbost, „gehört das etwa auch zu Ihren Amtsgeschäften ... Sie Wüstling!"
Watson lief lila an. „Sie träumen wohl, Sie . . . Radieschen; Ihre krummen Stelzen habe ich überhaupt nicht gesehen, von wegen dran geknabbert. Ich verklage Sie wegen Körperverletzung. Wenn ich jetzt arbeitsunfähig werde, können Sie das Krankengeld bezahlen — bis an mein Lebensende!"
„Pah, das wollen wir mal sehen", gab die Poldi wütend zurück, „vorher werde ich aber meine ,krummen Stelzen' dazu verwenden, um mir an geeigneter Stelle mein Recht zu verschaffen, darauf können Sie Gift nehmen, und wenn ich bis zum Obersten Bundesrichter laufen muß!"
Jimmy hatte sich während dieser „freundschaftlichen" Auseinandersetzung in die äußerste Ecke verdrückt und markierte den eifrigen Geldsucher. Wenn den lieben Onkel jetzt nur kein Geistesblitz heimsuchte!
Aber Jimmy hatte Glück. Watson war mit mächtig geschwollener Hand auf einen Hocker in der Ladenecke gesunken; neben ihm lagen die eingesammelten Geldscheine. Er wirkte jetzt fast wie ein Bettler an der Kirchentür. Alle hatten plötzlich Mitleid mit ihrem Hilfssheriff, und Mrs. Dodge, die Kaufmannsfrau, kam sogar mit einem nassen Umschlag angelaufen, den sie auf die geschundene Hand legte.
„Lassen Sie das eine Weile drauf, Chef, sagte sie, „wir fertigen schnell die anderen ab und dann haben wir Zeit für Sie; es dauert nicht mehr lange!"
„So, nun kann es weitergehen, Herrschaften", rief der Keeper. „Habt ihr einen Moment Zeit, Pete und Bill? Schön, dann kann ich die anderen schnell bedienen und eure Jutesäcke in Ruhe fertigmachen.
„Ja, ja", riefen Pete und Bill wie aus einem Munde und stellten sich zu dem geplagten Watson, der sie mit schmerzverzogenem Gesicht von unten nach oben ansah. Plötzlich fiel sein Blick auf seine Dollars und gleichzeitig wurde seine Neugier wach.
„Was'n los, daß ihr von den Ranches auf einmal alle keine Dalers mehr habt, he? Ist etwa 'ne Seuche ausgebrochen oder . . . ?"
„Das Gott sei Dank nicht, Mr. Watson", rief Pete. „Wir haben nicht so viel Vieh verkauft wie sonst. Grossist William — den kennen Sie je — wird es in der Fleischfabrik nicht mehr los. Das ist alles!"
„Tja, da haben es die Beamten doch besser, die wissen immer, was ins Portjuchhe kommt! Jetzt heißt es eben, den Gürtel etwas enger schnallen", fügte Bill hinzu.
„Ach ja, ich erinnere mich", sagte Watson und ließ seine zerschundene Pfote schlaff herunterhängen, „im ,Tucson Star' hat neulich auch so was gestanden . . . Aber daß sich das gleich sooo auswirkt... und sooo schnell!"
„Na, Sie kann's ja wenig kratzen, Sheriff", meinte Cowboy Jim gutmütig, „Sie brauchen sich weder vom Whisky noch von den dicken Sandwiches was abzuknapsen, hä? Sind vielleicht bald der einzige Zahlungskräftige in ganz Somerset, haha — Die lieben Geschäftsleute gehen langsam pleite und — Watson plus Tunker bewahren mittlere amerikanische Kleinstadt vor dem Ruin!"
„Sie scherzen wohl?" fragte Watson mißtrauisch.
„Aber nein, das ist mein voller Ernst". Jim verdrehte scheinheilig die Augen und klapperte mit den Wimpern. Dabei gab er Pete und Bill insgeheim einen Puff, und wie auf Kommando schauten nun alle drei mit gespieltem Ernst auf den künftigen „Retter von Somerset" herab.
Inzwischen hatte Mr. Dodge alle Kunden abgefertigt, und sogar die Poldi war mit einem letzten verächtlichen Blick auf den Hilfssheriff hinausgerauscht.
Dann packte er die Waren für Pete, Bill und Jim neu zusammen und verstaute sie in die Jutesäcke. Die Boys schoben diese über die Schulter und verließen ebenfalls den Laden.
„So long", riefen sie und nickten Watson noch einmal zu. Dieser saß eine Weile ganz in Gedanken versunken, bis Mrs. Dodge mit einem neuen Umschlag kam und seine Hand kühlte.
Jimmy wetzte indessen noch immer in allen Ecken herum und tat, als habe er noch längst nicht alles Geld wieder beisammen.
„Na, vielleicht bist du bald fertig da unten", herrschte Onkel John mit Leidensmiene den Neffen an. „Das will nun die Jugend von heute sein, lahm wie ihre eigenen Opas!"
„Ich suche doch nach zwei 10 Cent-Stücken, die noch fehlen", rief Jimmy kläglich.
„Vielleicht zählst du erst mal gefälligst ab, ob nicht doch schon alles beisammen ist. Wir hatten genau elf Dollar, siebenunddreißig Cent."
„Ja, Onkel". Jimmy eilte geflissentlich herbei, und siehe — es fehlten wirklich haargenau zwanzig Cent, genau die, die in seinem Schuh plattgedrückt wurden.
„Die werden diese Lümmel vom Bund der Gerechten an sich gerissen haben", wetterte Watson los, „drückten sich auch immer so verdächtig bei mir herum.
„Und knapp mit Kies waren sie auch", frohlockte der Schlaks, froh, daß ihm das noch eingefallen war.
„Den Boys trau ich das eigentlich nicht zu", mischte sich Mr. Dodge ein. „Mögen ja sonst ihre Streiche aushecken, dafür sind sie eben Jungens, aber Geld stehlen sie nicht!"
„Na — stehlen — stehlen — sie mopsen es, als sportliche Übung oder so", erwiderte der Hilfssheriff. „Und nun geben Sie uns mal folgendes. — Ähäh: 4 große Päckchen Tabak, Marke „Goldkrume" — 3 Pfund Zucker, Marke „Süßholz", aber fein geraspelt — 4 Pfund Mehl, Marke „Mühlenstolz" — 1 Pfund Pfeffer und 1 Pfund Paprika, alles Marke „Rachenputzer" — 10 große Zwiebeln, aber ohne Tränen — 3 Pfund Margarine ohne Farbstoff und 1 Pfund Senf, den man lutschen kann, ohne daß die Zunge tränt, und 1 Karton Zwiebak, Marke „Seemann".
„Ein ganzes Pfund Pfeffer, ein ganzes Pfund Senf und ein ganzes Pfund Paprika, ist das Ihr Ernst, Watson? Bekommen Sie Gäste oder wollen Sie ein Hotel aufmachen? Hätte 'n schönen Namen dafür — ,Zur klirrenden Handschelle' oder ,Zum knallenden Sheriff — hähä —" Mr. Dodge kicherte laut.
„Mann, das ist unsere Monats-Lebensmittelration, genau ausknallkuliert; packen Sie nur ein. Was gebraucht wird, wird gebraucht! — Haben wir alles, Jimmy?" „Mir fällt nichts weiter ein, Onkel!" „Vielleicht — äh — können Sie etwas Rabatt einräumen, Mr. Dodge, Sie haben doch auf diese Weise weniger Arbeit mit uns — und jeder Großabnehmer bekommt Rabatt, habe ich gehört . . ."
„Meinetwegen, Watson, aber wenn das so weitergeht, zahle ich drauf!"
Dann gab Onkel John Jimmy die für „Getränke" bestimmten Dollars und jagte ihn in den „Silberdollar", das Gasthaus, in dem er im Augenblick keine Schulden hatte. Er selbst begab sich mit der prallen Einkaufstasche und weit von sich gestrecktem Arm zum Metzgermeister Dulles, ließ sich zwei große Brocken Fleisch einpacken und trabte damit ins Office.
Ja, nun hatten die leidigen Haushaltssorgen für diesen Monat ein Ende. Er war doch ein kluger Mann, der jeden modernen Vorschlag sogleich aufgriff. Und Prozente hatte er auch noch erhalten! Gott sei Dank, daß er kein Rancher war; du liebe Güte, ständig diese Sorgen mit dem lieben Vieh . . . Und hatte man es endlich fett und saftig, dann stand es nutzlos herum und fraß den andern noch das bißchen Gras weg . . . Na ja, zu solch einer Beschäftigung konnten sich auch nur geistig Minderbemittelte hergeben; er, der wichtigste Mann in ganz Somerset, konnte einem solchen Leben wirklich keinen Reiz abgewinnen . . .
Schwer beladen mit allerlei Flaschen traf Jimmy wenig später ebenfalls zu Hause ein und fand seinen Onkel bereits in der Küche vor. Er war damit beschäftigt, den Pfeffer in eine Kaffeebüchse zu schütten, in der noch ein paar Krümel Reis ein einsames Leben führten. Es machte ihm direkt Spaß, in die Ernährungswirtschaft Ordnung zu bringen.
Schließlich lagen nur noch die zwei großen Batzen Fleisch auf dem Tisch. Wohin damit?
„Meine Güte, so viel Fleisch", staunte Jimmy und stellte beeindruckt die Flaschen ab.
„Dummkopf, das ist doch für den ganzen Monat, alles in einem Abwasch!"
„Aber — es — wird — doch — schlecht — ?"
„Haha, schlecht! Schlecht ist gut! Haha! Haha!" Watson lachte vor lauter Verlegenheit aus vollem Halse. Klar, der Lausebengel hatte recht, so viel Fleisch konnten sie ja gar nicht aufheben. Aber er lachte weiter — Nun, irgendwas würde ihm schon einfallen.
„Haha — du bist aber beschränkt. Erstens gibt es doch Eisschränke — schon mal davon gehört, wie? Und — ähäh — zweitens — kann man es ja einpökeln oder sauer braten, in Essig legen ... Hähä, gute Idee, wie?"
„Ich mach mir aber nichts aus so eingelegtem, muffigen
Zeug; saftige Steaks frisch vom Ochsen schmecken viel besser!"
Bei den Worten „saftige Steaks" lief Watson das Wasser im Munde zusammen, und jetzt hätte er sich selbst über seinen unüberlegten Einkauf ohrfeigen können. — Laut aber sagte er:
„Du wirst dich daran gewöhnen, das zu essen, was die Kelle hier serviert. Schließlich müssen wir sparsam wirtschaften, auch wenn wir feste Einnahmen haben! Und nun reich mir erst mal einen Whisky! Ah — der ist gut!"
„Wo soll ich die angebrochene Flasche hinstellen?"
„Laß sie hier stehen, auf einem Bein kann niemand gehen."
„Ich fürchte, du kommst dann aber mit den Rationen nicht den Monat durch, Onkel", sagte Jimmy spöttisch.
„Das ist ja dann schlimmstenfalls meine Sache. Du wirst dabei schon nicht zu knapp kommen", gab Watson zurück.
Als der Hilfssheriff nach geraumer Zeit neben der ersten leeren Flasche — einer ganzen Wochenration — ziemlich heiter auf dem Wohnzimmersofa lag, lallte er noch die Worte: „Besser, Jimmy, du gehst mit dem Fleisch wieder zum Metzger zurück. — Ich mag nämlich auch keinen sauren Bra . . ."
Und dann war er mitten im Wort „Braten" eingeschlafen.
*
Als Pete, Bill und Cowboy Jim mit ihren Jutesäcken den Drugstore verlassen hatten, begaben sie sich langsam
zu ihren Gäulen, die sie an ein paar Eichen in der Nähe einer halbverfallenen Maisscheune angebunden hatten.
„Ich habe noch gar keine Lust, mich auf meinen Simson zu schwingen", erklärte Jim von der Foster-Ranch. „Wollte eigentlich meine Leute mit ein paar erfreulichen Nachrichten aufmuntern."
„Mir geht's ebenso", meinte Bill, „hätte gern jedem 'ne kleine Aufmerksamkeit mitgenommen, damit nicht Trübsal geblasen wird!"
„Am besten", schlug Pete vor, „wir reiten noch nicht gleich los, sondern gehen erst mal in den „Weidereiter". Da können wir uns in Ruhe aussprechen und auch überlegen, ob wir irgend etwas zur Verbesserung unserer Lage unternehmen können."
„Okay, Boy", erklärte Cowboy Jim freudig, „du hast doch immer die besten Einfälle . . . wie ein altes Haus. Nach dem Zirkus im Drugstore könnten uns ein paar besinnliche Minuten nichts schaden. Ein paar Krümel für die Freundschaftspfeife habe ich auch noch bei mir und die Getränke sind meine Angelegenheit!"
„Zu gütig, edler Spender", rief Bill, „machen wir aber erst mal die Säcke bei den Pferden fest, was?"
Die Gäule wieherten erfreut, als die Jungen bei ihnen anlangten. Schnell wurden die Säcke mit den Einkäufen seitlich an den Sätteln befestigt, die Tiere mit ein paar Zuckerstücken versorgt und zur Geduld ermahnt. Sie spitzten die Ohren, als verständen sie jedes Wort.
Dann gingen ihre Besitzer, die Daumen in die Ledergürtel gesteckt, mit weitausholenden Schritten zum Saloon.
Im „Weidereiter" stellte Mr. Kane gerade ein paar gefüllte Biergläser auf ein Tablett, als die Boys eintraten.
„Hallo, welch seltener Besuch!" rief er den Jungen zu, nickte freundlich und brachte das Tablett mit den Gläsern zu einer am Fenster sitzenden Männergruppe.
Die Boys nahmen am Nebentisch Platz.
„Was soll's denn sein, Gentlemen?" fragte Kane und hielt das leere Tablett an sein spitzes Bäuchlein gepreßt.
„Ein Helles und zwei Malz", bestellte Cowboy Jim, „auf die Hoffnung hin, daß ich nicht auch noch meinen Job verliere!"
„Aber Mr. Jim — wer sollte einen so tüchtigen Menschen wie Sie entlassen?" rief der Wirt, während er sich zur Theke wandte. Er wußte, daß Jim einer der tüchtigsten Cowboys war, die es im südwestlichen Arizona gab. Die unter seiner Aufsicht stehenden Herden wiesen kaum Verluste durch Krankheiten und Unfälle auf. — Nein, Jim war auch ein ganz bekannter Rodeo-Sieger, der in Tucson schon stürmisch gefeiert worden war. Es war gewiß kein Kinderspiel, sich länger als 8 Sekunden auf dem wie besessen umher rasenden Bullen zu halten. — Jim aber hatte eine Art, die Biester unvermutet bei den Hörnern zu packen und sie sich gefügig zu machen, daß es allen den Atem verschlug und er von seinen begeisterten Freunden schließlich auf den Schultern durch die Straßen Tucsons getragen wurde. Ja, so war das mit Jim. Pete hatte schon viel von ihm gelernt.
Mit einem aufmunternden „Prost", stellte Mr. Kane das schäumende Bier vor die Boys hin. „Ist doch nicht etwa dein Ernst, Jim, daß du deinen Job verlieren wirst?"
„Ganz so weit ist es noch nicht", antwortete Jim, „aber so nach und nach wird vielleicht vielen Cowboys nicht1: anderes übrigbleiben, als sich weiter nördlich oder südlich anheuern zu lassen — falls die Rancher immer weniger Vieh loswerden".
„Ach was, mal 'ne kleine Stockung; das geht vorüber, die Leute müssen ja schließlich weiter essen und leben; ist sicher nur 'ne kleine Exportschwierigkeit. Mach dir nichts draus. Und wenn du wirklich gehen mußt, einen tüchtigen Burschen wie dich nehme ich immer mit Kußhand hier im Geschäft auf!"
„Danke, Mr. Kane", lachte Jim, aber ich bleibe auf jeden Fall auf der Foster-Ranch, auch ohne Verdienst. Bin da großgeworden ..."
„Bei uns findet er auch noch alle Tage ein Plätzchen", warf Pete ein, und Bill fügte hinzu: „Bei uns auch, Ehrensache. Na prost, Boys!"
Alle nahmen einen tüchtigen Schluck.
„So, nun zur Sache", begann Pete, nachdem sie die Gläser abgesetzt hatten. „Ich überlege dauernd, was man wohl unternehmen könnte, um die ausgefallenen Einnahmen auf andere Art reinzubringen. Schließlich weiß man ja nicht, wie lange diese Zustände noch anhalten".
„Vielleicht können wir einen Kredit bei der Bank aufnehmen", schlug Bill vor. „Wir könnten mal mit dem Steueronkel Gray sprechen, der ja Beziehungen zur Bank in Tucson hat!"
„Nicht schlecht", gab Cowboy Jim zurück,,, aber besser wäre es, wir machten erst mal keine Schulden, sondern versuchten, noch etwas dazuzuverdienen. Man müßte irgendwas anfangen, züchten oder herstellen, was noch konkurrenzlos ist . . . vielleicht kostbare Pelze . . . Hab neulich mal was von einer tollen Nerzfarm gelesen — auch eine Chinchillazucht wäre nicht zu verachten."
„Chinchilla? Was sind denn das für Viecher, der Name hört sich so chinesisch an!" fragte Bill.
„Ganz furchtbar kostbare kaninchenartige Pelztierchen, die in Südamerika in freier Wildbahn herumlaufen. Auf der ganzen Welt gibt's im Augenblick nur vier oder fünf Mäntel aus deren Fell. Und was die kosten! Einer davon allein ein paar Tausend runde Dollars ..." erklärte Jim.
„Und ausgerechnet wir allein sollten den genialen Einfall haben, sie zu züchten?" fragte Pete spöttisch. „In USA gibt's genug erstklassige Pelztierzüchter — außerdem braucht man dazu erst mal Kapital!"
„Ich sagte doch vorhin schon, daß die Bank ..." warf Bill erneut ein.
„Wenn aber was schiefgeht und uns die Biester eingehen? Dann ist auch das gepumpte Geld futsch! Nee, Kinder, wir müssen was Sichereres unternehmen, es braucht ja nicht gleich Tausende von Dollars einzubringen!"
„Hast schon recht, Pete. Wenn ich auch manchmal der Ansicht bin, daß der Mensch was riskieren muß!" warf Jim ein und trank sein Glas leer. „Wenn ich wenigstens seiltanzen könnte! Meine Talente sind wirklich reichlich dünn gesät!" Jim brachte das in munter gespielter Verzweiflung hervor, so daß die Boys laut auflachen mußten.
„Mann, du bist 'ne Perle, wenn ich nur an das letzte Rodeo in Tucson denke . . ." himmelte Bill.
„Danke für die Blümchen, aber mit dieser Kunst ist nun mal kein Blumentopp zu gewinnen. Geld regiert die Welt, ihr seht es doch!"
Plötzlich standen drei frischgefüllte Gläser vor den Jungen, die erstaunt hochsahen.
„Von den Gents da drüben, Boys", grinste der Wirt, „sind ein paar clevere Geschäftsleute auf der Durchreise, wollen morgen weiter an die mexikanische Grenze. Haben ihre Freude an euch jungem Gemüse, höhö, na prost und wohl bekomm's!"
Die Jungen sahen zu den Spendern hinüber, drei gutgenährten Männern in mittleren Jahren. Sie hatten helle Sombreros auf und trugen sportliche Kleidung; offenbar Leute, die sich in der Welt auskannten. Warum sollte man die kleine Aufmerksamkeit nicht annehmen?
Die Boys hoben die Gläser, bedankten sich und steckten wieder die Köpfe zusammen.
„Was haltet ihr davon, wenn wir versuchen würden, das Vieh woanders loszuwerden? Vielleicht in einem anderen Distrikt oder in einem anderen Staat? Wir sind doch schließlich nicht auf die Fabrik in Phoenix angewiesen! Man müßte sich erkundigen . . ."
„Fabelhaft", rief Bill, „ja, warum sollten wir nicht? Wir könnten es per Bahn nach Chicago oder in andere östliche Großstädte rollen lassen. Schließlich besteht unser Land ja aus 48 Staaten, da werden doch wohl noch ein paar Dutzend Rinder unterzubringen sein ..."
„Haha, Boys — es tut mir leid", kam es vom Nebentisch. „Da kann ich euch aber versichern, daß sämtliche Fleischfabriken in allen 48 Staaten mit Tieren geradezu vollgepackt sind ... Es wäre ein vergebliches Bemühen, sich auch nur an eine einzige zu wenden. Das ist sicher, wie zwei mal zwei vier ist!"
„Woher wissen Sie?" forschte Pete.
„Mein Lieber, erstens steht es in allen Zeitungen, und zweitens bin ich mit dem Business vertraut. Kenne die Verhältnisse wie meine Westentasche. In Chicago jedenfalls sind schon ein paar Tausend Arbeiter entlassen worden, und in vielen anderen Gegenden ist es nicht viel besser."
„Die einzige Möglichkeit wäre, ihr verkauftet in Mexiko", fügte sein Nachbar hinzu. Er war ein jüngerer Mann mit sehr starken Augenbrauen, unter denen silbrig blaue Augen hervorblitzten.
„In Mexiko?" Die Jungen sahen sich an.
„Mann, das ist die Masche!" raunte Jim und boxte Bill in die Seite.
Pete dagegen wandte sich zu dem anderen Tisch: „Sie meinen, das geht ganz offiziell?"
„Aber natürlich nicht, das ist ja der Witz! — Ihr müßt „schwarz" verkaufen, heimlich über die Grenze — dann seid ihr gemachte Leute! Der Peso steht zur Zeit günstig!"
„Danke für den guten Rat", erwiderte Pete.
„Gern geschehen, kostet nichts", gab der Mann zurück, „bin gern gefällig!" Dann wandte er sich seinen Tischgenossen zu.
Auch Pete, Bill und Jim waren schnell wieder in eine Unterhaltung versunken. Aus ihren lebhaften Bewegungen und leise geflüsterten Worten schloß der an der Theke lehnende Keeper, daß nur der so leicht hingeworfene Mexikovorschlag das Gesprächsthema der Pete-Runde bildete.
Nach einer Weile standen die Boys auf, riefen den Gästen am anderen Tisch „Good bye" zu und verließen den Saloon.
„Na seht ihr", meinte Cowboy Jim, als sie draußen waren, „wenn auch noch nicht allzuviel aus dieser Sitzung herausgekommen ist, so haben wir doch wenigstens eine kleine Anregung erhalten, stimmt's?
„Ja", nickte Pete, „bin überzeugt, daß wir mit einiger Überlegung aus dem Dilemma herauskommen!"
„Wenn alle Stränge reißen, gondeln wir mit den Tieren eben schwarz über die mexikanische Grenze", rief Bill begeistert. „Ich halte das noch für die beste Lösung.
„Sei nicht kindisch, Bill! Wahrscheinlich wollten uns die Onkels auch nur auf den Arm nehmen", gab Pete nüchtern zu bedenken.
Bald hatten die drei die Eichen, an denen ihre Pferde warteten, erreicht und schwangen sich in die Sättel.
Zweites Kapitel
HOLZAUGE SEI WACHSAM!
Seltsame Vögel in den Wilden Steinen ... ein liebliches Panorama Morgengymnastik zweier Kasperlefiguren — Da steckt was anderes dahinter — Auf die Beine, ihr Affen, der Urwald wird gefegt! — Das nennt ihr Aufsicht, ihr Halunken? — Freddy und Smiddy geraden in arge Verlegenheit — Den „Sombrero" kenne ich doch ? — Cowboy Jim hat's erwischt — Schön bist du nicht, Onkelchen, aber selten — John Watsons Wirtschaftsplan hat ein Loch — Ein schwieriges Tauschgeschäft — Ein Knackwurstessen ganz umsonst — Rätselraten über ein „blutiges Ende" — Alle Räder stehen still, wenn ... — Ein unbedachtes Wort, und schon ist's passiert!
Nachdem Pete, Cowboy Jim und Bill dem Town den Rücken gekehrt hatten, erreichten sie in leichtem Trab den Red River. Normalerweise war das Flüsschen für das trockene Arizona ein ganz netter Wasserspeicher, jetzt aber glich es einem traurigen Rinnsal, dem man gern mit ein paar anständigen Kübeln Wasser unter die Arme gegriffen hätte. An manchen Stellen war er sogar nicht einmal ganz mit Wasser bedeckt, so daß das Flußbett in der Sonne dörrte und große Risse zeigte wie zu lange gelagerter weisser Käse.
„Ein Vollbad wäre jetzt nicht zu verachten", meinte Bill sehnsüchtig und streifte schon die Hemdsärmel hoch.
„Du meinst wohl ein ,Fußbad*" spottete Pete, „das heißt, wenn das Wasser überhaupt noch bis zu den Knöcheln reicht!"
„Hebt euch die sportlichen Glanzleistungen für bessere Zeiten auf, Kinder", mahnte Cowboy Jim und ließ als erster seinen Braunen über die Brücke zuckeln.
Jetzt hatten sie noch ungefähr zwei Meilen gemeinsamen Weges, und zwar bis zu den „Wild Stones", den Wilden Steinen, einer unbedeutenden Felsansammlung. Dort mußte Jim in westlicher Richtung abbiegen.
Schweigend ritten sie dahin. Die Säcke mit den Einkäufen verursachten ein schabendes Geräusch an den Ledergurten, und die zwölf Pferdehufe hörten sich an wie gedämpfter Trommelklang.
„Wenn es an der mexikanischen Grenze ebenso öde ist wie hier, sollten wir uns den Vorschlag des Businessonkels doch mal durch unsere Eierköpfe gehen lassen", meinte Jim unvermittelt.
Merkwürdigerweise hatten alle drei an den mysteriösen Viehtransportvorschlag gedacht und fanden ihn plötzlich gar nicht mehr so abwegig. Vielleicht lag das an der majestätischen Weite der Landschaft, die so kühn machte . . . An der Grenze konnte es eigentlich nicht viel anders aussehen.
Pete ließ seine Augen aufmerksam umherwandern, als suche er bereits einen Durchschlupf für seine Rinderherde.
Am Horizont verlor sich das blendende Licht in einen graublauen Streifen. Vor den Boys in rechter Richtung schimmerten bereits die ersten „Wild Stones" wie dicke, schlafende Urwelttiere herüber.
Hierher verirrte sich selten jemand; nur Rancher und Cowboys zogen gelegentlich in Gruppen vorbei, wenn sie die Trennung voneinander bis auf die letzte Minute hinausschieben wollten. An den „Wild Stones" mußten sie einander unweigerlich Good bye sagen, um noch auf einigermaßen gangbaren Pfaden nach Hause zu kommen.
Die drei Reiter schwenkten ein wenig nach rechts ein und ritten langsam auf die Felsengruppe zu.
„Also, Boys", begann der Cowboy, "solltet ihr irgendwas unternehmen — Flohzirkus, Affenzüchtung oder fliegenden Kuhtransport — dann schickt zu mir herüber. Sollte ich selbst in meinem Gehirnskasten was ausklamüsern, dann schicke ich unsern kleinen Bully, den Boy unseres Hausdrachens, zu euch, abgemacht?"
Aber Pete hatte gar nicht zugehört; er hatte bei den letzten Worten gespannt zu den „Wild Stones" hinüber gestarrt. Jetzt hielt er die Zügel an sich gepreßt und stand wie ein Denkmal. „Da!" flüsterte er und schob die Schulter vor, „da sind Leute!"
Bill und Jim reckten die Hälse zur Felsgruppe hinüber, die aus dieser Richtung wie eine Ruine wirkte. „Was denn für Leute, ich sehe nichts!" Bill schüttelte den Kopf.
„Ich auch nicht!" brummte Jim und schob den Stetson nach hinten. Seine Stirn war vor Anstrengung gewellt wie ein Waschbrett.
„Männer, nun klappt mal eure Linsen richtig auf, da hinter den Steinen schimmert doch etwas Graues . .."
„Mensch, du hast wohl 'ne Fata Morgana; das sind auch Klamotten, was denn sonst! Los, nichts wie hin!" Bill versetzte seinem Braunen einen schwachen Schubs mit der Stiefelspitze und wollte los preschen.
Doch in diesem Augenblick hielt ihn der Cowboy am Ärmel fest: „Halt, Freundchen, unser schlauer Boss mit seinen Adleraugen hat doch recht, das Graue sind keine Felsbrocken — es sind ..."
„... Planwagen", ergänzte Pete. „Stimmt's? Na, wenigstens einer, dem die Pupillen noch nicht eingerostet sind! Es sind zwei Wagen, aber die dazugehörigen Figuren kann ich nicht entdecken. Ihr vielleicht?"
Die Jungen starrten angestrengt nach vorn.
„Nee!" kam es in doppelter Ausfertigung zurück.
„Mach doch keine Menkenke, laß uns hinreiten!" forderte Bill ungeduldig.
„Bist du neu in der Gegend?" kam es warnend von Petes Lippen. „Wir haben doch keine Ahnung, wer sich da eingenistet hat . . . vielleicht Räuber, Spitzbuben, Diebesgesindel. Möglicherweise haben sie sogar dicke Kanonen bei sich oder Mausefallen gelegt oder was weiß ich . . . Nee, ich hab keine Lust, mir von irgendwelchen Gaunern das Lebenslicht ausblasen zu lassen. Wir bekommen auch so heraus, was sich da tut. Los, absteigen!"
Die Boys gehorchten, hoben sich lautlos aus den Sätteln und zogen die Pferde hinter ein paar Büsche.
„Am besten, wir robben uns unauffällig an den ersten Felsen heran, dann sieht Holzauge klarer!"
Meter für Meter krochen sie vorwärts. Pete gab das Tempo an; es war ihm einerlei, ob sie schon nach einigen Minuten zerrissene Sachen und wund geschundene Knie hatten. Er war sozusagen auf dem Kriegspfad, und alles andere zählte dann nicht mit.
Ein unheimliches Geräusch in allernächster Nähe ließ sie zusammenfahren! Du guter Ferdinand, sollten sie vielleicht von hinten heimtückisch überfallen werden? Mit jäher Wendung schwenkte Pete um 180 Grad herum. Kein Mensch zu sehen! Dafür aber Jims verzweifelt hin und her schabender Stiefel, der in eine Geröllmulde geraten war. Die Steine befanden sich in Bewegung und rutschten gemütlich einen halben Meter abwärts; es war nicht aufzuhalten.
„Paß doch besser auf und nimm deine Stelzen in acht", flüsterte Pete ungehalten. Platt wie die Flundern lagen jetzt alle drei wieder im Staub.
„Wenn das niemand gehört hat, freß ich nicht nur einen Besen, sondern noch ein halbes Dutzend Handfeger dazu", brubbelte Bill und hob ein wenig den Kopf.
Doch bei den Wagen hatte sich nichts gerührt.
Sie krochen weiter und hatten nach wenigen Minuten den ersten Felsen der „Wild Stones" erreicht. Jetzt war das Gelände schon besser zu überblicken.
„Erst mal ran an den vorderen Wagen", kam Petes Anordnung.
Jim unterdrückte mit Mühe ein Lachen.
„Was ist denn los, Jim, glucks doch nicht so blöde!"
„Ich muß ja nur lachen, weil du im Gesicht wie ein Schornsteinfeger aussiehst. Wer dich sieht, glaubt an des Teufels Großvater, hihi!"
„Um so besser", brummte „Satans Grandpa", und seine Augen blitzten schauerlich. An seinem Hemd fehlten mindestens drei Knöpfe, und seine Hose wies einige modische Dreiangel auf.
In diesem Augenblick drang ein gespenstisch-hohler Laut an ihre Ohren, ein Laut, der nicht von einem menschlichen Wesen stammen konnte.
Die Jungen hielten den Atem an. Und wieder kam ein langgezogenes „Uah-uah!"
„Ob hier ein paar Bestien ausgesetzt sind?" Bill fühlte, wie ihm das Herz bis zum Hals klopfte.
„Da, Boys, das Geräusch kommt aus dem Bündel, das im Schatten unter dem Wagen liegt. Pst, haltet mal die Luft an!"
Doch eine Weile blieb alles ruhig und das, was sie für ein Bündel gehalten hatten, wirkte jetzt wieder wie ein leerer Sack. Wahrlich, eine seltsame Sache!
„Mensch, da hockt ja noch jemand am anderen Wagen!" japste Bill aufgeregt. „Mit dem Rücken an das Wagenrad gelehnt!"
In der Tat, am Rad lehnte eine unbewegliche Figur, so dünn und so welk wie eine überlebensgroße Kasperlepuppe; der Kopf hing schlaff auf die eingesunkene Brust herab.
Während alle drei auf die seltsame Figur starrten, reckte sich plötzlich aus dem Bündel am ersten Wagen ein graubehaarter Arm mit einer derben Faust empor, spreizte vier klobige Finger und sank dann unmittelbar wieder zurück. Es sah einfach grausig aus.
Jim klapperte mit den Zähnen. „Brrrr", so hab ich mir immer nachts 'nen Friedhof vorgestellt — mit dürren Knochen aus der Erde rausragen, brrr!"
„Diese seltsamen Vögel nehme ich mir erst mal vor", erklärte Pete energisch. „Wir sind zu dritt, was kann uns also passieren?"
„Sei vorsichtig, Pete, bitte . . . werde nicht leichtsinnig", mahnte Bill.
Aber Pete war kein Hasenfuß. Mit einem schnell aufgelesenen Knüppel tastete er sich vorwärts, immer näher an den ersten Planwagen heran. Gespannt verfolgten die beiden anderen jede seiner Bewegungen.
Jetzt hatte er den „Bündelkerl" erreicht und beäugte ihn vorsichtig. Wirklich, so ein komisches Würstchen hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht zu Gesicht bekommen!
Der graubehaarte Arm mit der klobigen Hand gehörte einem alten Mann mit einem eingefallenen Gesicht; das heißt, von dem Gesicht war infolge überlanger Bartstoppeln eigentlich nicht viel zu sehen, mit Ausnahme einer gewaltigen Knollennase, die eine riesige Sommersprosse zierte. „Nasenspitze in Milchkakao, mal was anderes", dachte Pete im stillen und beugte sich zu dem Alten herunter. Um dessen mageren Hals war ein schmuddeliges kariertes Tüchlein gebunden, und den verfilzten Schädel zierte eine vorsintflutliche Kreissäge mit grünem Band. Das Hemd, das der komische Scheich trug, war vielfach durchlöchert und mit einem wilden Blumenmuster bedruckt.
Neben diesem Häufchen Unglück lag ein altes Jagdgewehr und unter der lumpigen Zeltbahn, die dem Alten als Decke diente, lugten ein paar Bierflaschen hervor.
„Aha", dachte Pete, „soll wohl Wache schieben — und ist dabei eingepennt!"
Auf Zehenspitzen schlich er sich an den Wagensitz heran, dabei immer den Alten im Auge behaltend. Aus ein paar Schritten Entfernung sahen Bill und Jim atemlos hinüber.
Da öffnete sich zu Petes Entsetzen langsam das eine Auge des Mannes, verdrehte sich in beängstigender Weise und schloß sich wieder. Mit Mühe und Not gelang es Pete,
schnell hinter den Planwagen zu schlüpfen. Daraufhin erhob sich die ganze Gestalt des Alten wie ein Geist aus Lumpen, torkelte mit einem lallenden „Uuääh" ein paar Schritte zurück und wieder auf den Wagen zu.
„Habbich, habbich wohl geträumt", stotterte er, „mich hat doch was angestarrt, so ein Engelsgesichtchen ... mit so großen Ohren . . . kann ja ansta-andshalber mal kontrollieren, kontrolla-lallala, trallala, alle Sachen, seid ihr noch da?"
Dabei summte er ein Kinderlied und torkelte an dem Planwagen entlang. Mit der rechten Faust schlug er an die Plane — „Alles drin, trallala, alle Sachen sind noch da ..."
Als er dann umständlich über die Deichsel stieg, war Pete längst um die Ecke geflitzt.
Du mußt früher aufstehen, wenn du mich erwischen willst, dachte er, bückte sich und stellte an den weiter torkelnden kurzen O-Beinen des Alten fest, in welchem Tempo er ihm aus dem Weg zu gehen hatte.
Ein paar Schritte vor ihm verharrten Jim und Bill in geduckter Haltung und beobachteten interessiert das Versteckspiel, das ihnen der Häuptling des Bundes bot.
Pete blinzelte den Freunden zu. Aber was hatten die? Mit lebhaften Mienen und unmißverständlichen Gebärdenspiel wiesen sie auf den zweiten Wagen, an dem die Kasperle-Figur den Kopf hin und her bewegte.
Die Boys wollten ihren Augen kaum trauen! Der Kerl wurde ja immer länger und länger. Er machte Anstalten, sich auf die Beine zu bringen — aber auf was für Beine! Das waren ja besendürre Stelzen, man hätte bequem drei Paar Gehwerkzeuge daraus basteln können. Und die Arme erst! Sie reichten mindestens bis in die Kniekehlen; es mußte für sie ein Kinderspiel sein, die Dachrinnen zu kitzeln. Auf dem Giraffenhals des langen Labans saß ein kleines Vogelköpfchen mit wenig Kinn, einer spitzen Nase und tiefliegenden Beerenäuglein, die einen treuherzigen Ausdruck hatten. Jetzt grapschte die lange Pfote des Riesen nach dem Gewehr, das er hoch in die Luft reckte.
Heiliger Bimbam, dachte Pete, jetzt hat er mich entdeckt! Wo sollte er nur hin — auf der einen Seite das O-Bein, auf der anderen der „Leuchtturm", wie er den Kerl in Gedanken schon nannte.
Vor Schreck kroch er schnell unter den Wagen.
Bill und Jim schienen ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt.
Als Pete nach ein paar endlosen Sekunden den Eindruck hatte, daß ihm niemand auf den Fersen war, schöpfte er wieder neue Hoffnung und blinzelte ein wenig unter seinem Flachdach hervor. Gott sei Dank, der Lulatsch hatte offenbar nur etwas Morgengymnastik treiben wollen . . .
„He da, Smiddy", krächzte seine rauhe Stimme mit gähnendem Unterton hinüber, „was machst 'n da für 'n Lärm? Deine liebliche Stimme, die wie 'ne verrostete Gießkanne klingt, stört meinen Verdauungsschlaf, und der dauert bei mir noch eine Weile, hoho!"
„Schon gut, Freddy", winkte der Alte dem Langen zu, „hab nur mal kurz ein Auge in das liebliche Panorama geworfen; hörte was; dachte schon, der alte Dachs kreuzt wieder auf. Na — war wohl nischt, muß mich verhört haben — und weiter gute Verdauung, hihi!"
Der Lange winkte müde ab und klappte sich zusammen wie ein Zollstock, um erneut gegen sein Rad zu sinken. Und der o-beinige Smiddy machte ebenfalls Anstalten, wieder auf seine lumpige Zeltbahn zu kriechen.
Plötzlich wurstelten seine Hände suchend auf dem Erdboden herum — ein paar Bierflaschen wurden hochgezogen, dann wieder fallengelassen, wobei Smiddy einen geharnischten Fluch ausstieß: „Goddam, da müssen doch noch ein paar volle Pullen sein!"
Erneutes Suchen! Die Zeltplane wurde weggeschoben. Wie gebannt starrte Pete auf die Finger des Alten. Gleich mußte sich sein Kopf unter den Wagen beugen — Pete hielt die Luft an. Da kullerte etwas auf ihn zu — eine von Smiddys Flaschen! Wenn es nun die volle war, die der Kerl suchte! Verflixte Pastete! Koste es, was es wolle — er mußte die Flasche zurück schubsen — das war die einzige Möglichkeit, den Alten von der weiteren Untersuchung des Geländes abzuhalten.
Pete bewegte ein wenig den rechten Arm und ließ die Flasche wieder zurück rollen.
Von oben hörte er darauf ein erlöstes „Ah-aha-soso — mein Pülleken — da bist du ja wieder!"
Zur größten Verwunderung des platten Gerechten landete die von ihm zurück beförderte Flasche aber nicht in den klobigen Händen des durstigen Smiddy, sondern blieb still und unberührt etwa zwei Meter von Pete entfernt liegen. Bei der von dem Alten so herzlich Begrüßten mußte es sich also um ein anderes Exemplar handeln.
„Da hat er mal wieder Schwein gehabt", flüstere Bill nahe an Jims Ohr. „Ich hätte keinen Pfifferling mehr für ihn gegeben!"
„Ich auch nicht. Wenn er bloß unter dem verdammten Wagen weg wäre, da sitzt er auch wie in einer Mausefalle!"
„Sieh mal, der Alte legt sich wieder hin — gebechert hat er auch; hat übrigens einen ganz schönen Zug am Leibe, da kommt selbst unser guter John Watson nicht mit! Wenn alles gut geht, hat es Pete in ein paar Minuten geschafft!"
Und damit hatte Jim recht. Smiddy dachte nicht daran, seinen gemütlichen Schlummer noch länger zu unterbrechen, und machte es sich erneut auf seinem Lager bequem. Das Bier, das er in einem Zug hinuntergestürzt hatte, tat schnell seine Wirkung.
Als ein gurgelndes Schnarchen Pete davon überzeugt hatte, daß die Luft wieder sauber war, kroch er vorsichtig unter dem Wagen hervor und fiel den beiden Freunden in die Arme.
„Scheinen die Schlafkrankheit zu haben, diese Dropse! Wie findet ihr das? Bevor sie zum nächsten Umtrunk aufwachen, müssen wir wissen, was in den Wagen ist!"
„Klar, da steckt doch was im Busch!"
„Los, Bill, du gehst nach drüben zu dem Leuchtturm! Jim und ich nehmen uns den ersten Wagen vor." Er wies auf den von Smiddy bewachten.
„Besser, wir nehmen den edlen Strauchrittern erst mal die Knarren weg, falls sie doch aufwachen", schlug Bill vor.
„Na schön, aber ganz leise!" Als Pete beide Gewehre in den Armen hielt, entfernte er sich ein Stück vom Lagerplatz und versteckte die Waffen unter einem großen Stein.
Bill hatte sich inzwischen an den von Freddy „bewachten" Wagen herangepirscht und versuchte mit seinem Taschenmesser die hintere Befestigung der Wagenplane aufzureißen.
Die beiden anderen standen indessen bei Wagen Nummer zwei und sahen sich noch einmal vorsichtig nach dem schlafenden Smiddy um.
Mit einem Satz war Pete auf die Deichsel und zwängte sich dann in das Innere des Gefährtes.
Meine Güte, war das duster! Wie ein Blinder tastete er die Gegenstände ab, mit denen der Wagen bis zum Bersten angefüllt zu sein schien. Es waren sonderbar geformte Dinge aus Metall, Leder und Holz, wenn ihn nicht alles täuschte . . .
Vorsichtig ergriff er mit der linken Hand eines der komischen Gebilde. Mit der Rechten stützte er einen ganzen Warenstapel ab, der einem Geräusch nach wegzurutschen drohte. Er mußte verdammt vorsichtig sein, denn alles, was hier aufeinandergestapelt war, verursachte bei der geringsten Bewegung ein ziemliches Rasseln.
Was war das bloß, was er in der Hand hatte? Ein Kochtopf — ein Nacht---nein, es war doch runder und
hatte auch keinen Henkel! Vielleicht war es eine Blumenvase oder eine Schüssel??
Pete tastete sich mit seinem „Muster" wieder zur Wagenöffnung zurück und reichte es dem wartenden, Wache schiebenden Jim schnell hinaus. Dann tauchte er wieder zurück in den dunklen Schlund. Trotz äußerst vorsichtiger Bewegungen blieb er an irgendwelchen Drähten hängen und brachte dabei einen Haufen kleiner, schwerer Eisengegenstände aus seiner Lage.
„Das ist mir ja 'ne schöne Ladung", murmelte er, „der ganze Salat scheint Beine zu haben!"
In der Tat rutschte jetzt der gesamte Wageninhalt in unheimlicher Wanderlust immer mehr auf ihn zu.
Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen und krabbelte wieder zur Wagenöffnung. Er hatte plötzlich genug von der Besichtigung. Ihm war, als müsse er ersticken. Nichts wie an die frische Luft!
Er stürzte nach vorn, riß die Plane auf und kletterte mit Jims Hilfe zurück auf die Deichsel.
Der Cowboy starrte ihn erschrocken an. „Du blutest ja!"
Pete fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Jim hatte recht — Hände, Gesicht und Arme waren zerkratzt und zerschunden, wenn auch nur sehr oberflächlich und ohne tiefere Wunden.
„Muß mir an diesem Blechhaufen passiert sein. Scheint so 'ne Art Schrottfuhre zu sein — also Edelsteine, Tausenddollarbündel oder andere Wertsachen sind es nicht..."
Er tupfte sich mit seinem Taschentuch Blut und Staub ab und starrte dann auf das Musterstück, das er dem Kumpel hinausgereicht hatte.
„Mensch, das ist doch — sehe ich richtig — eine Gasmaske! Oder bist du anderer Meinung?"
Er riß Jim den Gegenstand aus der Hand. Es war tatsächlich eine Gasmaske uralter Konstruktion, sie besaß allerdings kein Mundstück mehr und war auch an mehreren Stellen leicht angerostet. Wer weiß, welchem verschwiegenen Depot sie entstammte — wer weiß, welchen braven Krieger sie einmal gegen heimtückische Giftgase geschützt hatte.
„Warum hast du von den anderen Klamotten nichts mitgebracht? Könnten uns doch vielleicht mehr Aufschluß geben . . ."
„Ich sagte doch, es ist altes Drahtzeug, man verwurstelt sich dadrin zu leicht. Geh du doch mal rauf, wenn dir so viel daran liegt!" Pete blickte Jim überlegen an und sah wortlos zu, wie dieser sich jetzt mit Todesverachtung in das Wageninnere schob. Der würde schon sehen, was er davon hat!
Und richtig! Wie erwartet, fing Jim sofort furchtbar an zu schimpfen, ein paarmal schrie er laut „Au! Mistzeug, verdammtes!" — und dann hörte man es rasseln und rutschen.
Pete starrte angestrengt auf den Wagenwächter. Wenn der Lange nur nichts mitkriegte, Jim war wirklich selten unvorsichtig, sich in dieser prekären Situation so gehen zu lassen.
„Pst, pst", flüsterte Pete in den Wagen hinein, „wenn du weiter so tobst, weckst du ja alles auf, und dann haben wir den Salat!"
„Ich komm ja schon", keuchte Jim von drinnen, „hier findet sich kein Deibel zurecht — so was . . ."
In diesem Augenblick tauchte sein dunkler Schopf aus der Wagenöffnung. Er sah genau so zerkratzt und zerschunden aus wie sein Vorgänger.
„Und wo sind die Muster?" fragte Pete spöttisch, wobei er ihm sein Taschentuch überreichte, da Jim vergeblich in seinen Taschen nach einem Lappen suchte.
„Mann, ich kann' doch nicht 'ne Rolle Stacheldraht herauszerren oder ein Bündel von diesem elenden Siebzeug. Oller Affe, nehme ja alles zurück; man ist wirklich froh, wenn man wieder festen Erdboden unter den Füßen hat!" „Na also!" lachte Pete.
„Aber irgendwas ist doch komisch an der Sache, nicht wahr! Ob das Zeug vielleicht geklaut ist? Oder aus einer verschütt gegangenen Kriegsschule stammt? Ich denke mir . . .«
„Ach Quatsch. Du siehst doch, das ist höchstens besserer Schrott. Warum sollen diese beiden Pinsel — dieser Latsch und Bommel — nicht ganz simple Schrotthändler sein — so komisch finde ich das auch wieder nicht!" Pete sah interessiert zu, wie sich Jim mit dem letzten sauberen Zipfel des von ihm geliehenen Taschentuchs seine Wunden abtupfte.
Jim hielt erstaunt inne. „Und dann pilgern sie ausgerechnet in das abgelegene Arizona und an eine Stelle, wo sich die Füchse gute Nacht sagen? Das kannst du mir nicht weismachen; da steckt was anderes dahinter!"
„Pst, nicht so laut, sonst wachen unsere Erzengel auf. Komm, wir sehen mal nach, was Bill macht. Hoffentlich ist der nicht in dem Blech versackt, das heißt, wenn er nicht was Besseres auf seiner Fuhre entdeckt hat."
Auf Zehenspitzen schlichen sie um den mit offenem Mund schlafenden Smiddy herum, an dem eingenickten „Leuchtturm" vorbei und flüsterten in die hintere Wagenöffnung hinein:
„Hallo, Bill, was Interessantes gefunden?"
„Jungens", flüsterte Bill zurück, „wir haben den Rattenfänger von Hameln erwischt. Haufenweise Fuchs- und Mausefallen, seht mal her!"
Damit reichte er den beiden einige Exemplare heraus.
„Und hier, noch was! Davon ist auch 'ne ganze Menge gehortet!" „Zeig her!«
Pete und Jim stürzten sich auf die Fallen und auf ein verrostetes Gewehrschloß.
„Nun komm doch schon raus!" forderte Jim den Freund auf. „Der Lange am Rad hat sich eben bewegt — wenn der jetzt noch aufwacht, muß er ja denken, daß wir ihm den Laden ausräumen wollen!"
Gewandt wie ein Eichhörnchen kroch Bill aus dem Wagen heraus. Auf seinem Kopf saß ein verbeulter Stahlhelm.
„Doller Mustopp", meinte Pete anerkennend, waren noch mehr davon an Bord?"
„Massenhaft", nickte Bill. „Kann den ganzen Bund der Gerechten damit versorgen, wenn es sein muß. Soll ich?"
„Nee, lieber nicht. Watsons Jail kann dann die ganze Bande nicht aufnehmen, falls wir damit erwischt werden. Aber nun komm schon!"
Plötzlich war Pferdegetrappel zu hören; zuerst dumpf und wie von weit her. Doch dann kam es schnell näher und näher.
„Auf die Bäume, ihr Affen, der Urwald wird gefegt!" kommandierte Pete und raste von den Wagen weg in Richtung des Gebüsches, hinter dem die Pferde standen. Keuchend schoß Bill hinterher.
Sie hatten gerade die ersten Felsen der „Wilden Steine" erreicht, die guten Schutz boten, als ein Reiter auf die Wagen zupreschte.
Pete und Bill klopfte das Herz bis zum Halse.
„Heiliger Strohsack, wo ist nur Jim abgeblieben?" So sehr sie sich auch die Hälse ausreckten, von Jim war keine Spur mehr zu sehen. Sie konnten nicht ahnen, daß er es inzwischen als das Vernünftigste gehalten hatte, einfach in den Planwagen von Smiddy hineinzukrabbeln, nicht ohne vorher dem noch immer schlafenden Alten einen Stahlhelm auf den Zylinder gedrückt zu haben. Er wußte selbst nicht, warum er diesen verrückten Einfall hatte.
Der Reiter war inzwischen bei den Planwagen angelangt und riß ein paarmal den Gaul um seine eigene Achse herum. Der Vollblüter bäumte sich auf und stieß ein paar wiehernde Laute aus. Zur gleichen Zeit hob der Reiter eine Peitsche und ließ sie ein paarmal knallend durch die Luft sausen.
„Wo ist bloß Jim?" flüsterte Bill, „wenn ihn dieser Kerl jetzt vertrimmt!"
„Der liegt entweder unter oder in einem Wagen; wo soll er denn sonst hingeraten sein?" gab Pete beruhigend zurück. „Sieh mal, der Alte hat den Mustopf auf, „also ist der Boy bei Wagen eins. Den müssen wir aufs Korn nehmen!"
„Hä?" gab der O-Beinige endlich einen Laut und ließ vor Schreck den Mund offen stehen. Völlig verdattert schüttelte er den Kopf, der ihm merkwürdig schwer vorkam. Der Stahlhelm rollte zu Boden. Jetzt war der Mann hellwach.
„Ihr verflixten Schlafmützen, Tagediebe, Nichtstuer", ertönte es schneidend und furchterregend vom Pferd herunter. Wütendes Peitschengeknall gab den Schimpfworten einen besonderen Nachdruck.
Der Reiter stand mit dem schnaubenden Gaul vor dem langen Lulatsch, der sich angstschlotternd empor schraubte. Er war käsebleich und seine Nase wirkte noch spitzer als zuvor.
„Das nennt ihr Aufsicht?" Es knallte dreimal. „Und dafür zahle ich euch gute drei Dollar pro Tag, ihr Halunken?"
„Wir haben — entschuldigen Sie — doch nononoch gar kein Handgeld gekriegt ..." warf der Alte zitternd ein.
„Erhalten oder nicht erhalten! Es war ausgemacht und ihr bekommt euer Geld, verstanden! Natürlich nur bei entsprechender Gegenleistung!"
„Jawoll", antwortete der Alte demütig. Mit seinen krummen Beinen und dem bunten, bis an die Hüften reichenden Blumenhemd wirkte er mehr als komisch.
„Wenn ihr euren Job also weiter so auffaßt wie eben, muß ich mir andere Leute anheuern. — Einfach einzuschlafen! In dieser Gegend, wo es von finsteren Elementen nur so wimmelt!"
„Stimmt!" grinste Pete in seinem Versteck und schubste Bill in die Rippen.
Der „Leuchtturm" stand während dieser Standpauke verlegen an seinem Wagen und kratzte sich am Kopf. Er vermißte irgend etwas, er wußte nur noch nicht genau was . . .
„Und was soll das hier?" bullerte der Mann vom Pferd herunter. Er tänzelte zu dem weiter gekullerten Stahlhelm heran und wies mit der Peitsche darauf.
„Seit wann fliegt diese kostbare Ware in der Wüste herum, he? Was geht hier vor? Habt ihr etwa einen Hutsalon aufgemacht?"
Smiddy starrte entsetzt auf den Stahlhelm, während die beiden Freunde hinter ihrem Gebüsch zitterten. „Mensch, wenn er jetzt die Wagen aufmachen läßt!" entfuhr es Pete.
Der Mann, der Smiddy hieß, ging langsam auf den Helm zu und befühlte ihn ganz vorsichtig. Tatsächlich, er träumte nicht. Hier lag wirklich ein Stahlhelm, und wie der hierher gekommen war, das mochten die Götter wissen. In seinem Kopf summte es wie in einem Bienenkorb. Er hatte keine Stahlhelme auf dem Wagen. Ob Freddy ihm etwa einen Streich . . .?
Der Alte blinzelte seinen Kumpan mißtrauisch an. Nein, Freddy hatte ihm den Apparat nicht auf den Zylinder gesetzt, solche Späße machte der nie; er war ein todernster Mann. Außerdem hatte er ja noch fester geschlafen als er selbst.
„Na, wird's bald? Vielleicht können mir die wackren Gentlemen endlich sagen, warum die Sachen hier auf der Erde herumliegen. Wer weiß, was noch alles fehlt. . . aber das werden wir gleich haben". —
Jim merkte mit Entsetzen, daß Pferdegetrappel ganz nahe an den Wagen herankam. Die Peitsche sauste unmittelbar neben ihm durch die Luft. Er preßte sich instinktiv enger an den Blechhaufen und wartete, daß die Plane aufgerissen würde.
Aber da hörte er etwas weiter weg die Stimme des Alten: „Pardon, Sir, hab mir nur so'n Dings genommen, um meinen Kopf vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Mein Strohhut hält rein gar nichts mehr ab, aber ich hänge doch so daran ..."
Irritiert sah ihn der Mann mit der Peitsche an.
„Ich lege Ihn auch gleich zurück an Ort und Stelle!" fuhr der Alte kläglich fort.
„Gar nicht so dumm, das Männchen", dachte Jim in seinem Versteck und atmete hörbar auf.
„Will ich mir auch ausgebeten haben!" donnerte der Reiter und sprang endlich vom Pferd.
„Der Sombrero kommt mir irgendwie bekannt vor", flüsterte Bill hinter dem Busch. „Den muß ich schon mal gesehen haben!"
Der lange Freddy hatte inzwischen gemerkt, daß ihm das Gewehr abhanden gekommen war. Er wurde noch bleicher als zuvor, hielt seine Augen suchend auf den Boden geheftet und versuchte festzustellen, ob seinem Kumpel dasselbe passiert war. Aber so sehr er auch suchte und suchte, die Gewehre waren und blieben verschwunden. Fehlte nur noch, daß der Boss das auch noch mitbekam, dann war aber was gefällig! Es mußte in der Zwischenzeit jemand hier gewesen sein . . . Der Lange nahm sich vor, während der Dienststunden in seinem ganzen Leben nicht mehr einzupennen.
„Steh nicht so da, Langer", rief der Gebieter der beiden. Dann flüsterte er eine Weile mit seinen Männern, etwas, das weder Pete und Bill in ihrem Versteck, noch Jim auf dem Wagen verstehen konnte. Die Gerechten beobachteten nur, wie ein paar Pferde vor die Wagen gespannt wurden.
„In Somerset kommt langsam alles in Butter", sagte der Mann mit dem Sombrero kurz, „ihr wißt ja Bescheid, kommt also sofort nach!"
Pete und Bill sahen sich verblüfft an. Beide dachten nur an einen: an ihren armen gefangenen Jim! Was würde er
bloß denken, wenn sich das Vehikel in Bewegung setzte!
„Wir dürfen ihn nicht aus den Augen lassen", meinte Pete „egal, was kommt!"
„Ist doch Ehrensache!"
„Jetzt weiß ich auch, wo ich den Mann schon gesehen habe — warte mal ..."
Pete beugte sich zu Bill hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Bill nickte.
Als der Mann mit dem Sombrero in Richtung Somerset davon geprescht war, rieb sich Freddy die Hände und ging mit einem richtigen Gaunerlächeln um den kleinen Smiddy herum.
„Was ist denn mit dir los, Langer?" wollte der wissen und setzte sein verdrießlichstes Gesicht auf. „Grund zum Grinsen haben wir doch nicht; daß uns der Boss aber auch erwischen mußte, zu blöde!"
„Nun rate mal, warum ich so vergnügt bin, Kleiner!" Er tippte sich mit dem langen knochigen Finger an die Nasenspitze und schob sie in die Höhe.
„Woher soll ich das wissen, bin doch kein Hellseher. Laß uns lieber losfahren, wir haben sonst wieder Krach im Hinterhaus; der Boss weiß genau, wann wir in Somerset sein können!"
„Nun ja. Komm ja schon! Aber ich will dir vorher noch sagen, warum mir plötzlich so wohl war: Weil dieser alte Dachs trotz aller Klugheit nicht gemerkt hat, daß uns jemand die Gewehre geklaut hat . . . Haha, wir haben uns so mir nichts dir nichts wegen eines geruhsamen Viertelstündchens unsere wichtigsten Sachen klauen lassen! — Weg sind sie, futschikato perduto. Ist doch zum totlachen oder? Und der Olle mit seinen superscharfen Linsen hat das nicht gemerkt!"
„Es ist eine Schande! Möchte nur wissen, wie das überhaupt möglich war. So fest haben wir doch auch wieder nicht geträumt. Aber zum Lachen finde ich das nicht. Schließlich müssen wir uns um eine neue Ausrüstung kümmern; stell dir das nicht so einfach vor. Und was geschieht, wenn der Chef sie zurückverlangt? In der Stadt brauchen wir sie ja eigentlich nicht mehr und — na, er wird uns glatt rausschmeißen, wetten?" Der kleine Smiddy sah ehrlich bekümmert drein, zuckte die Achseln und krabbelte auf den Wagen, in dem Jim schwitzte.
„Ach was", lachte Freddy, „das laß nur meine Sorge sein! Schlimmstenfalls binden wir ihm einfach einen Bären auf. Laß mich das nur machen."
Mit einem heftigen Ruck setzte sich Freddys Wagen in Bewegung. Als Jim das Geräusch des Abfahrens hinter seiner Plane hörte, wurde ihm doch etwas seltsam zumute. Im nächsten Augenblick flog er gegen einen großen Kasten, dann schleuderte es ihn in einen Berg Draht, und ehe er recht begriffen hatte, sauste der Wagen davon. Jim sank in die Knie, rieb sich den schmerzenden Ellenbogen und überlegte krampfhaft, wie er dieser unfreiwilligen Gefangenschaft wieder entrinnen könnte. Da war er ja in eine schöne Situation geraten! — Wer konnte wissen, wo diese Gauner überhaupt hinfuhren. Womöglich verfrachteten sie ihn über die Grenze und verfrühstückten ihn dann ganz gemütlich. Jim schüttelte den Kopf! Nein, so schnell ließ er sich nicht unterkriegen. Er mußte erst mal an die Plane heran, sie aufreißen und dann abspringen; das war alles!
Aber sobald er seine Beine hoch stemmen wollte, riß es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt an den Wagenboden zurück. Das Gefährt schaukelte wie verrückt und die Ware rutschte munter mit. Eine ungeschickte Bewegung, und er war unter den Haufen von Draht und Kisten begraben. Es war einfach nicht möglich, an die Plane heranzukommen; verdammt und zugenäht! Es blieb ihm nichts weiter übrig, als ergeben auszuharren und zu warten, bis diese vorsintflutliche Kiste einmal anhielt. Hatte der eine Kerl nicht überhaupt was von Somerset gemurmelt? Jim glaubte so etwas verstanden zu haben — natürlich konnte er sich auch irren; in seinem Kopf ging sowieso alles schon durcheinander. Erbarmungslos rumpelte das Gefährt weiter und weiter . . .
In angemessenem Abstand folgten dem schlingernden Wagen zwei Reiter und jeder hatte ein altmodisches Gewehr um die Schulter hängen. Dieser Anblick hätte den armen Jim trotz aller räumlichen Beschränkung sofort einen Indianertanz auführen lassen . . . wenn, ja wenn er in der Lage gewesen wäre, das zu sehen!
Nachdem Jimmy Watson seinen in tiefen Schlummer gesunkenen Ernährer eine Weile betrachtet hatte, schüttelte er den Kopf. „Schön bist du nicht, Onkelchen, aber selten!"
Dann ging er ein paar Schritte zurück. Endlich hatte er Gelegenheit, in aller Ruhe die Centstücke aus seinen Schuhen zu angeln. Himmel, wie sehnte er sich nach einem Kaugummi oder einer erfrischenden Limonade!
Jetzt stand er in Socken da, an deren Spitze die großen
Zehen mit schönen breiten Trauerrändern neugierig hervorlugten. Jimmy hielt die Schuhe hoch. Nanu? Der Schlaks drehte seine ausgelatschten Treter um und um — aber nicht ein einziges Centstück kullerte heraus.
„Wird sich wohl verklemmt haben", murmelte er und schüttelte seine Kähne wild hin und her. Sicher waren die kostbaren Fundgegenstände in das Zwischenfutter gerutscht. Jimmy fuhr mit den Fingern hastig in die Schuhkappen. Nichts! Keine Cents! So was Dämliches! Da hatte er ja den ganzen Zirkus im Drugstore umsonst aufgeführt.
Jimmy drehte die Schuhe um. Was war das? Was grinste ihn da so unverschämt an? Luft, frische Luft! Schlicht gesagt, die Sohlen seiner Stiefeln hatten taubeneigroße Löcher. Kein Wunder, daß die sauer ergaunerten Centstücke sich da nicht halten konnten . . .
Der Schlaks überlegte. Wenn er den Weg noch einmal zurückging — vielleicht hatte er Glück! Sein Appetit auf Kaugummi und Limonade war inzwischen immer größer geworden.
Seufzend zog der nun völlig mittellose Junge die Schuhe wieder an. Es war schon ein dicker Hund, daß Onkel John ihn in derart schäbigen Pantinen herumlaufen ließ! Na, er würde es ihm schon geigen! Daß er selbst auch ein bißchen auf seine Sachen zu achten hatte, kam dem Bengel natürlich nicht in den Sinn; das wäre auch zu viel verlangt gewesen!
Jimmy warf nochmals einen Blick auf den noch immer schlafenden Onkel. Ach ja — der Kerl hatte doch etwas gemurmelt, bevor er einschlief! Richtig, er sollte das Fleisch zum Metzger zurückbringen! Immer diese ekelhaften Aufträge! Darin ist Onkel John ganz groß, dachte Jimmy bitter. Erst große Rosinen im Kopf und dann lauter Mist — und wer muß wetzen und alles wieder gerade biegen? Er, Jimmy, immer nur er. In anderen Familien gab es wenigstens kleinere Geschwister, die diese entwürdigenden Rennereien machen konnten — aber in seiner Zwei-Männer-Wirtschaft trug er alle Lasten allein. Und das war hart, fand er. Mißmutig ging er in die Küche, nahm das Fleisch und verließ das Haus.
Mr. Dulles hatte seinen Laden bereits geschlossen, so daß Jimmy an seiner Wohnungstür klopfen mußte. Die Fleischermeistersfrau öffnete die Tür einen Spalt breit und musterte den späten Kunden. Als sie das große Bündel sah, unter dem das Fleisch hervor sah, machte sie die Tür etwas weiter auf.
„Nanu, ist was nicht in Ordnung?" Ihre muskulösen Arme stützten sich auf einen Schrubber, mit dem sie gerade den Laden sauber gemacht hatte.
„Das nicht — aber mein Onkel meint — kurz und grün, Sie möchten bitte den Braten zurücknehmen. Es ist doch zu viel für uns. Bitte sehr."
„Du bist wohl nicht mehr bei Tröste, was? Zurücknehmen sollen wir das?" Mrs. Dulles stemmte die Hände in die Hüften und drehte sich halb nach hinten um. „Komm mal her, James, hier will ein Kunde etwas zurückgeben!" Und zu Jimmy gewandt fuhr sie empört fort: „Wir sind doch kein Altwarengeschäft — so was ist mir überhaupt noch nicht vorgekommen!"
Bei diesen Worten war auch Mr. Dulles aufgetaucht. Er hatte eine blaugestreifte Schürze um und trocknete sich gerade die Hände an einem Handtuch ab.
„Also, junger Freund, das geht nun wirklich nicht. Lebensmittel sind vom Umtausch ausgeschlossen. Streng verboten ist das sogar. Der Herr Hilfssheriff sollte das eigentlich wissen, schließlich muß er die Gesetze ja besser kennen als unsereiner. Also, das geht wirklich nicht."
„Aber Mr. Dulles", bat Jimmy in artigstem Ton, „das war doch nur ein unüberlegter Einkauf meines Onkels. Er ist doch schließlich keine Hausfrau und meint es immer so gut. Da hat er sich nur ein bißchen verrechnet mit den Portionen. Können Sie es denn wirklich nicht wieder zurücknehmen?"
„Nee, ich sagte es doch schon. Man weiß ja nicht, was inzwischen alles mit der Ware passiert ist. Kann ja vergiftet worden sein, mit Nitrit bepinselt oder sonst was. — Dann verkaufen wir es und haben die Bescherung. Das mußt du doch einsehen. Nimm es ruhig wieder mit!"
Jimmy war verzweifelt. Onkel John würde toben wie ein entsprungenes Känguruh! Seine Laune würde auf dreißig unter Null sinken und dann gäbe es jeden Tag dasselbe, jeden Tag Rindfleisch. Brrr — zum Auswachsen! Nein, er mußte die Metzgersleute dazu bewegen, das Fleisch zurückzunehmen, koste es was es wolle.
„Das Fleisch hat garantiert niemand angerührt, niemand, nicht mal ich. Ich will ja auch gar kein Geld zurückhaben."
„Kein Geld? — Ja was denn?" Mr. Dulles zog die Augenbrauen hoch.
„Natürlich wäre es meinem Onkel am liebsten, Sie würden ihm das Rindfleisch wieder abkaufen, aber wenn es nicht geht — vielleicht können wir es dann gegen etwas anderes umtauschen!" Jimmy hatte eine große Kette Würstchen entdeckt, die im Rauchfang auf dem Korridor hing und wunderbar duftete. Besser ein halbes Geschäft als gar keins, dachte er. Würstchen konnte er stundenlang, ja tagelang essen! Und Onkel John würde sich damit sicherlich abfinden, wenn er die anbrachte. Und wenn nicht, auch nicht weiter schlimm; er würde sie schon allein verdrücken.
Der Metzger, der vor allem kein Bargeld herausrücken wollte, zeigte ein etwas freundlicheres Gesicht. Nun, wenn es so war — An dem Geschäft ließ sich sogar noch etwas verdienen. Schließlich war es nicht besonders angenehm, mit dem Gesetz auf dem Kriegsfuß zu stehen; einer brauchte den anderen. Und was machte es schon aus ...
„Also, weil du's bist! Und was dachtest du dir?"
„Wenn ich von den Würstchen welche haben könnte; die verderben nicht so schnell!"
„Gut", sagte die Meisterin und nahm eine Würstchenkette von der Stange. „Das macht . . . das waren sieben Pfund ... bitte schön, stimmt genau!" Damit packte sie die Würste in einen großen Bogen Packpapier ein und drückte sie Jimmy in die Hand. „Aber nicht wieder umtauschen, das geht nun nicht mehr. Und guten Appetit! Aber den Mund halten, braucht niemand zu wissen!"
Jimmy nickte und riß das Paket Würstchen an sich. Im Laden des Metzgers wurde eine Jalousie heruntergezogen.
Hm, wie das duftet! Jimmy konnte nicht lange widerstehen. Er warf das Papier weg und schnupperte an seinem „Tauschobjekt". Voller Übermut wickelte er sich die Kette ein paarmal um den Hals und biß herzhaft zu.
Nun hieß es aber schleunigst die Cents suchen! Er hatte sich schon reichlich lange in dem Laden aufgehalten.
Mit starr auf den Erdboden gehefteten Augen tippelte er mechanisch die Main Street hinunter. Daß sich ein paar Leute verwundert nach ihm umsahen, merkte er nicht.
„Das war doch Jimmy Watson oder irre ich mich?" fragte die alte, fast taube Mrs. Stanley und hielt ihr großes Hörrohr auf die Witwe Jackson geheftet. „Was hatte der Kerl denn da um den Hals hängen?"
„Keine Ahnung, sah aus wie eine große Kette, Mrs. Stanley!"
„W aas? Sah aus wie ein Kloß im Bette? Er liegt doch gar nicht im Bett, sondern spaziert munter umher!"
„Ich sagte nichts von Klößen, Mrs Stanley, ich sprach von Schmuck!"
„So so, die Bande ist also wieder mal im Druck!"
„Sie verstehen mich nicht richtig, Mrs. Stanley", brüllte jetzt die Witwe Jackson, „ich weiß nicht, was mit Jimmy los ist!"
„Ah", lächelte die Alte und verzog den faltigen Mund bis zu den Ohren, „der Bengel macht mal wieder Mist! Ja ja, die liebe Jugend — aber ehrlich gesagt, ich war früher auch nicht viel anders, der reinste Junge, hehehehe!"
Jimmy starrte immer noch in gebückter Haltung auf den Boden. Er hatte daher auch nicht gemerkt, daß Conny Gray und Jack Pimpers, zwei Mitglieder vom Bund der Gerechten, in einigem Abstand hinter ihm herschlichen. Die Boys waren fest entschlossen, ihn um einige Knobelnder zu erleichtern, und überlegten fieberhaft, wie sie das am besten anstellen konnten.
„Also, paß auf! Ich laufe ein Stück vor, gehe ihm dann entgegen und lasse mich von ihm anrempeln", erläuterte Conny seinen Plan. „Dann breche ich in ein gräßliches Geheul aus, markiere den Beleidigten und gebe ihm ordentlich Zunder. — Wenn er dann richtig in Fahrt ist, mußt du zuspringen und dich in die Keilerei einschalten. Der Rest ist einfach. In wenigen Minuten sind wir die Besitzer der herrlichen Knackwürstchen, klar?"
„Ganz schön — aber ziemlich feige: Zwei gegen einen!? Vielleicht läßt er mit sich handeln und gibt uns freiwillig eine Kostprobe ab. Wollen wir das nicht lieber erst mal versuchen! Laß mich mal machen!"
„Du bist ein lahmer Kojote — aber wenn du unbedingt willst, versuchen wir es!"
Jimmys eifriges Suchen nach den verlorenen Centstücken schien endlich Erfolg zu haben. Da schimmerte es doch silbern? — Wie ein Löwe stürzte er sich auf das blinkende Metall! Aber was er in der Hand hielt, war nichts als ein Stückchen Silberpapier. Wütend warf er es wieder weg und trampelte mit dem Absatz darauf herum.
Irgendeiner dieser vermaledeiten Somerseter hatte das Geld sicher schon gefunden und kassiert. Diese Schufte! Ein ehrlicher Mensch hatte Fundsachen im Office abzuliefern, auch wenn es sich nur um ein paar lumpige Cents handelte. Jimmy drehte sich um. Wer schlich denn da hinter ihm her? Waren das nicht Conny und Jack? Na klar, zwei Salamander vom Bund der Gerechten, diesem albernen Pete-Verein, der überall sich in anderer Leute Angelegenheiten einmischen mußte. Was hatten die Affen um ihn herumzuscharwenzeln?
Ein Gedankenblitz durchzuckte jäh Jimmys Denkkästchen. Jetzt wußte er Bescheid! Diese nichtswürdigen Gesellen hatten seine kostbaren Centstücke längst gefunden und amüsierten sich nun, wie er erfolglos den Erdboden absuchte. Ha, jetzt lachten sie auch noch, diese Erzhalunken! Aber wartet, von meinem sauer organisierten Geld Kaugummi und Negerküsse kaufen, das habt ihr euch gedacht! Also erst herankommen lassen — dann Zähne zeigen — den ersten gleich schwer anschlagen, dem zweiten die Luft wegnehmen . . . Der Watsonschlaks fühlte sich bärenstark. Liebevoll blickte er an seiner eßbaren Kette hinunter.
Conny und Jack kamen näher. Sie kicherten wirklich wie Backfische; Jimmy hörte es ganz genau, hielt aber uninteressiert den Kopf gesenkt.
Jetzt waren sie nur noch drei Schritte voneinander entfernt. Aus den Häusern rechts und links waren schon ein paar Neugierige herausgetreten. Vor dem Friseurgeschäft von Jack Settler standen drei Männer und beobachteten die Jungen voller Spannung.
„Ob der Kerl bei Metzger Dulles etwa eingebrochen ist?" fragte der Barbier seinen Gehilfen. „Hat sich ja den halben Laden um den Hals gehängt; da ist doch bestimmt was nicht in Butter!"
„Er hat sie bestimmt gestohlen, dieser verfressene Tunichtgut", säuselte Mrs. Poldi ein paar alten Freundinnen ins Ohr, mit denen sie gerade zum Kaffeeklatsch gehen wollte.
„Sehen Sie doch, die Boys vom Bund der Gerechten sind auch dabei! Wetten, daß diese Lausejungs wieder was zusammen ausfressen!" ereiferte sich Mr. Mineral, der Lokomotivführer. Es tat ihm richtig leid, daß er zum Bahnhof mußte! Zu gern hätte er abgewartet, was sich daraus entwickelte.
Der Heizer Norman, der neben ihm ging, murmelte mit sichtlicher Empörung: „Ich verstehe nicht, daß Watson so was duldet, jetzt rauben diese Halbstarken schon am hellen Tage die Läden aus. Meinen Sie nicht, daß man da einschreiten müßte? Was soll bloß aus dieser Jugend werden?"
Kopfschüttelnd und immer nach der Gruppe schielend, schoben sie weiter, blieben dann aber doch ungeachtet ihres Dienstes stehen.
Mit einem wütenden Geknurre war nämlich der Watsonschlaks herumgefahren. „Euch werde ich zeigen, was eine Harke ist, ihr Diebe!" brüllte er los.
Dann hieb er wie ein Verrückter auf die völlig verdutzten Boys ein. Natürlich hatten sie mit dem Schlaks eine kleine „Unterhaltung" beginnen wollen, aber nun waren sie selbst die Angegriffenen. Damit hatten sie nicht gerechnet! Und was quatschte der Bengel da dauernd von „Dieben", „Geldklauen" und „Abjagen"? Der hatte wohl nicht mehr alles auf der Leine! Welcher vernünftige Mensch latschte auch am hellichten Tag mit einer ganzen Würstchenkette um den Hals durch die Gegend?
Jimmy wurde immer aggressiver. Er boxte auf Jack los, was dieser sich natürlich nicht gefallen ließ. Der boxte sofort zurück und seine Hiebe waren nicht von Pappe. Wenn das Stinktier eine Keilerei haben wollte, bitte! Sie hatten sich zwar im Augenblick mehr auf ein Knackwurstessen gefreut, aber wenn schon, hinterher schmeckte es doppelt so gut.
Dieser Ansicht war auch Conny.
„Jetzt sind sie sich uneinig geworden", flötete die Poldi, „immer dasselbe. Erst fressen sie gemeinsam was aus und dann zanken sie sich um die Beute . . . wie die Ganoven aus Chicago!"
Jimmy entwickelte sich jetzt zur Furie. Er griff Conny in die Haare und zog daran. Der Boy schrie wie am Spieß, lief rot an und schlug zurück. In diesem Augenblick zerrte Jack dem Watsonschlaks die Wurstkette vom Hals. „Rache!" schrie er, „Rache!" und schwenkte die Würstchen triumphierend in der Luft herum. Als Jimmy wutentbrannt nach seinem Eigentum greifen wollte, stemmte sich Jack gegen ihn und versuchte, seine Hände festzuhalten. „Die gehört jetzt uns", rief er dabei, „im Kampf ehrlich erobert, das hast du nun für dein unanständiges Benehmen!"
„Solche Gemeinheit, solche Gemeinheit", schrie Jimmy mit sich überschlagender Stimme. „Erst klaut ihr mir das Geld und dann auch noch meine Würstchen!" Er versuchte mit den Zähnen Jacks Fäuste zu erhaschen, worauf Conny die Wurstkette schnell über die Schulter warf und seinem Freund zu Hilfe eilte.
In einiger Entfernung standen etliche Somerseter in kleinen Grüppchen zusammen. Sogar Mr. Mineral und sein Heizer ließ Bahnhof Bahnhof sein und verfolgte gespannt die Auseinandersetzung der „Zukunft" von Somerset.
„Nimm die Zähne weg!" rief Jack erbost und versuchte, Jimmy mit seinem Kopf zu rammen. Er merkte vor lauter Eifer gar nicht, daß schon ein paar Köter der Nachbarschaft um ihn herumschlichen und nach den Würstchen schnupperten. Mit lautem Gebell sprang auf einmal der große Schäferhund des Bäckermeisters an seinem Rücken empor.
Als Jimmy den großen Hundekopf an Jacks Schulter auftauchen sah, ließ er erschrocken von seinem Gegner ab. Jack jagte den Hund zurück, der sich schnell noch ein paar Würstchen schnappte und davon stob — von einer Meute ebenfalls laut bellender Artgenossen verfolgt.
Nun versuchte Jimmy noch einmal der Umklammerung zu entkommen. Doch da wandte Jack eine neue Taktik an. Er kitzelte den nach Luft schnappenden Jimmy einfach in der Taille, worauf dieser wie ein gestochenes Schweinchen losquiekte. Wenn ihn einer kitzelte, war es aus mit ihm. Das konnte er nicht vertragen.
„Sieh mal, wie das schmeckt", lockte Conny zu allem Überfluß und wedelte mit den Würstchen vor dem sich krümmenden und biegenden Jimmy herum.
„Oh, oh", stieß dieser keuchend hervor, „das sollt ihr mir büßen; ich werde dafür sorgen, daß ihr alle hinter Schloß und Riegel kommt, ihr Diebe, Diebe, Diebe!"
„Er spinnt!" bemerkte Conny und fuhr dann energisch fort: „Wir möchten von dir wissen, woher du die Würstchen hast, wohl dem Dulles aus dem Schornstein gemopst, was?"
„Sehen Sie", schrie die Poldi, die nur die Hälfte mitbekommen hatte, „er hat sie dem Metzger Dulles tatsächlich aus dem Rauch geangelt, so eine Unverschämtheit!" Nun ging sie mit ihrem Sonnenschirm auf Jimmy los, schlug aber daneben, so daß die zarte Krücke an einem Stein zerschellte. Ein paar Männer lachten schadenfroh.
„Sie haben wirklich ein recht vergnügliches Leben hier in Somerset", meinte einer der wohlgenährten Männer zu Mr. Turner, mit dem sie die Balgerei der Somerseter Jugend verfolgt hatten. Der Wirt begleitete seine Gäste gerade durch das Town. Sie wollten sich ein wenig die Beine vertreten, ehe sie weiterreisten. Der Zug schien ohnehin Verspätung zu haben. Der Fahrkartenschalter war jedenfalls vor einer halben Stunde noch geschlossen gewesen.
„Na, ich danke", lachte Turner, „mit dem Vergnügen ist es oft nicht weit her. Was diese Blase uns schon in Aufregungen versetzt hat, das ahnen Sie nicht, Sir!"
„Wenn das Ihre einzigen Aufregungen sind, dann können Sie doch froh sein. In anderen Orten hat man ganz andere Sorgen!" Der Fremde mit dem gelben Sombrero machte ein bekümmertes Gesicht und strich sich mit der rechten Hand, an der ein Ring mit einem funkelnden Rubin steckte, über das rosige Kinn.
„Aber was bedeutet denn das da?" wollte sein Begleiter wissen und reckte sich auf den Zehenspitzen empor.
Inzwischen hatte es bei der Gruppe der Kämpfenden ein heilloses Durcheinander gegeben. Die Bürger von Somerset schrien und fuchtelten mit den Armen durcheinander, die Jungen verteidigten sich und die Witwe Poldi wies mit zerknirschtem Gesicht auf ihren zerbrochenen Sonnenschirm.
„Schluß jetzt!" donnerte Connys Vater dazwischen und nahm seinen Sprößling beim Schlafittchen. „Ihr entschuldigt euch jetzt allesamt beim Metzger für den Diebstahl, aber dalli!"
„Die Würstchen sind doch nicht gestohlen", versuchte Jimmy das Mißverständnis aufzuklären.
„Und wir haben nichts damit zu tun", ereiferte sich Conny, „laß mich doch los, Dad, ich erkläre dir alles . . . später ..."
„Und woher hast du das Zeug?" herrschte Mr. Gray den Watsonschlaks an.
„Ja, das möchte ich auch wissen, wirklich!" zischte die Poldi und fuchtelte mit ihrer zersprungenen Krücke Jimmy vor dem Gesicht herum.
„Das geht Sie einen Schmarren an", stieß dieser patzig hervor. Ein hämisches Grinsen machte sich auf seinem sommersprossigen Gesicht breit. Jetzt würde er die ganze Gesellschaft mal auf den Arm nehmen.
„Damit Sie klarsehen und nicht frieren — Würstchen werden knapp, Fleisch ist kaum noch zu haben und Schinken gibt es nur noch in Scheiben. Wir sind jedenfalls eingedeckt. Mein Onkel und ich brauchen nicht zu verhungern!"
„Was, wir sollen verhungern?" rief die Schustersfrau empört.
„W a s wird knapp?" wollte eine andere wissen.
„Schinken und Wurst, er sagt es doch. Eine Hungersnot droht . . ." Die Stimmen schwirrten wild durcheinander.
Mrs. Poldi schnappte nach Luft. „Dann muß ich sofort zum Metzger, einkaufen, aber sofort . . .
„Wir kommen mit!" entschlossen sich einige Hausfrauen und rasten in ihre Häuser, um die Einkaufstaschen zu holen. —
Jimmy kaute derweil gemütlich an einem Würstchen.
Jack saß verdrossen auf dem Rinnstein und Conny wurde von seinem Vater mit Gewalt weggeholt.
Die Sombrero-Männer hatten sich den um Jack herumstehenden Somersetern genähert. Der gelbe blickte kopfschüttelnd auf die heftig gestikulierende Frauenschar:,, Man könnte direkt annehmen, daß es auch die hier bereits erwischt hat!" meinte er kopfschüttelnd.
Jack sah an dem Mann empor. Was sollte denn das heissen?
„Was meinen Sie mit .erwischt'?" wollte Mr. Turner wissen. Auch die übrigen spitzten die Ohren.
„Ach, nichts für Sie, Ladies und Gentlemen. Ich wollte damit nur die Situation kennzeichnen, in die bereits andere friedliche amerikanische Städte geraten sind. Sie haben ja Gott sei Dank noch nichts damit zu tun!"
„Nein, nein — in dieser unberührten Gegend herrschen wirklich noch paradiesische Zustände. Beneidenswert!" echote der braune Sombrero.
Vor dem Metzgerladen hatten sich indessen die „treusorgenden" Hausfrauen aufgebaut und begehrten Einlaß. Man polterte gegen die Tür. Von weitem sah man, wie Mr. Dulles die Hände rang und auf seine Kundinnen einredete. Nach einer Weile ließ er erst einen kleinen Schub Frauen herein, dann noch einen und schließlich den Rest. Schwatzend und scheinbar zufrieden trotteten die Frauen schon nach kurzer Zeit zurück.
Als Jimmy merkte, daß sie auf ihn zukamen, machte er sich unauffällig dünne.
„Wo steckt der Lümmel?" schrie die Witwe Poldi und bahnte sich energisch einen Weg durch die herumstehenden
Männer. „Hat natürlich geschwindelt, dieser Taugenichts; gar nichts ist knapp! Dem werden wir es aber geigen!"
„Nun, meine Damen, seien Sie doch froh", ergriff der gelbe Sombrero wieder das Wort, bei Ihren Nachbarn ist diese Situation wirklich blutiger Ernst!"
„Komm schon, Dicker!" Der braune Sombrero legte die Hand auf die Schulter seines Begleiters, „wir müssen ja weg, hoffentlich ist jetzt der Schalter auf!"
„Das hängt ganz von mir ab, meine Herren", schaltete sich Mr. Baker, der Bahnhofsvorsteher, ein. Er neigte sich ganz nahe an den mit dem gelben Sombrero heran. „Ganz im Vertrauen gesagt, Ihre Bemerkungen machen mich stutzig; können Sie mir nicht sagen, wie Sie das mit dem .blutigen Ernst' meinen?"
„Aber, mein Lieber, warum sollen wir Sie nervös machen? Ich sagte doch schon, Sie haben nichts damit zu tun und werden auch hoffentlich nie etwas damit zu tun bekommen!"
Jack hatte diese Worte mitangehört und erhob sich lässig.
„Nicht abfahren lassen", flüsterte er dem Bahnhofsvorsteher ins Ohr, „sagen Sie einfach, der Zug fiele aus!"
Dem neugierig gewordenen Mr. Baker kam dieser Rat wie gerufen. Er mußte unbedingt herausbekommen, was diese Gents wußten. Auf ein paar Umwegen raste er zum Bahnhof, stellte eine große Schiefertafel vor sein Stationshäuschen und kritzelte mit großen Buchstaben etwas darauf. So, die Vögel wären erst mal gefangen.
„Das ist aber dumm!" sagte der gelbe zum braunen Sombrero, als sie bald darauf vor dem Stationsgebäude standen.
„Anschlußzüge fallen heute aus!" las der Braune laut und zuckte die Achseln. Dabei kniff er ein Auge zu und blinkerte seinem Genossen zu. „Merkst du was? Wir sind in unberührter Natur; Anschlußzüge fallen aus, so was gibt's hier noch!"
„Das ist aber auch ein Pech!" erwiderte der andere, „da ist man ja gezwungen hierzubleiben!"
Damit kehrten sie wieder um und landeten erneut bei dem erstaunten Wirt vom „Silberdollar".
„Ah, die Herren, etwas vergessen?" begrüßte dieser die Gäste mit gut gespieltem Erstaunen. Längst vom Bahnhofsvorsteher informiert, war er nun selber äußerst neugierig geworden; was wußten die Fremden und was hatten ihre seltsamen Bemerkungen zu bedeuten?
„Es fährt heute kein Zug mehr", antwortete der mit dem gelben Sombrero, „wir müssen leider noch eine Nacht bleiben. Zu dumm auch! Das sind die Nachteile Ihrer so schön abgelegenen Stadt. Na, es hilft eben nichts; dann kommt die Lieferung halt auch später an!"
Mr. Turner spitzte die Ohren.
„Ist es sehr wichtig?" wollte er wissen.
„Türlich — äh — es geht um — Menschenleben, leider, leider!"
„Wie denn das?" Turner riß Mund und Augen auf.
„Tja, Marterpfähle gibt's Gott sei Dank kaum noch, aber die Kunst des Skalpierens beherrschen manche Stämme doch noch, das hat sich jetzt wieder gezeigt".
„Sie wollen damit doch nicht sagen, daß . . . daß . . . solche Sachen von den Indianern . . ."
„Beneidenswert, daß Sie hier davon verschont sind, Mann", lachte der braune Sombrero, „aber es ist so, in den Reservationen sind Aufstände gegen die Weißen geplant. Tausende von Indianern wollen ihr Joch abschütteln, sie wollen mehr Land, mehr Rechte. Die Cherokee in Nord-Karolina und die Potawatomi in Michigan haben die Agenten der Regierung bereits umgebracht; kein Weißer wagt sich mehr an die erbitterten Indianer heran. Es ist entsetzlich!"
„Hahaha—be ich gar nichts von gehört", stammelte der Wirt nun doch bas erstaunt.
„Ist ja auch weit vom Schuß, mein Lieber", beruhigte ihn der Fremde. Hier im Westen hat man dem vorgebeugt — man weiß nur noch nicht, wie die Stämme sich heimlich verständigen; auf jeden Fall aber geschieht was, um es nicht zur Katastrophe kommen zu lassen. Die gefährdeten Gebiete werden stark bewaffnet!"
„Das sagen Sie — wenn nun aber die Indianer schneller sind oder so plötzlich —" Er machte eine Bewegung, als schnitte er sich die Gurgel durch.
„Hoho", lachte der Mann im braunen Sombrero, „so was gibt's bei denen doch nicht, denn sie legen ja gerade auf den Skalp wert. — Kreisrunder Schnitt mitten auf dem Kopf, Kopfhaut abgehoben, die Haare mit den Zähnen gepackt und losgerissen. Das geht so schnell, daß man es gar nicht merkt!"
„Na ich danke!" seufzte der Wirt entgeistert und goß schnell ein paar Schnäpse herunter. Er war ganz grün im Gesicht geworden und mußte sich erst einmal setzen.
Als die Gäste auf ihre Zimmer gegangen waren, begab er sich sogleich zu seinem Freund Baker, und es dauerte keine Stunde, da war ganz Somerset alarmiert.
Drittes Kapitel
DIE INDIANER SIND DA . . .
Nichts geht über 1 PS . . . aber wo hernehmen! — Ein Höllenspuk flitzt vorbei — Listiger Einzug in eine lustige Stadt — Alles rennet, rettet, flüchtet ... — Die Last der Verantwortung macht leicht müde — Verteidigung, Aufrüstung, Wirtschaftsflaute . . . drei interessante Schlagworte, aber d i e Folgen! — Kleine Musterkollektion gefällig? — Der ruhende Pol in der Erscheinung Flucht — Bürger-Versammlung im „Silberdollar" macht in Diplomatie — Streit um eine „Gipfelkonferenz" — Markiert doch eine Gefahr! — Mann, Sie können uns doch nicht wegen so einer Rothaut aus den Federn holen! — Die erste „Kanone" wird verdammt teuer —
Als das Gerücht von heimlichen Indianeraufständen bis in das Haus des Schneidermeisters Jemmery gedrungen war, hielt es dessen Sohn Joe, der zugleich Kundschafter des Bundes der Gerechten war, keine Minute länger. Er verließ unter irgendeinem Vorwand das Haus und überlegte krampfhaft, wo er ein Pferd hernehmen konnte. Ob er es mal bei Jerry versuchte? Dessen Familie bekam oft Verwandtenbesuch aus Elkville, und zwar hoch zu Roß. Wenn alles gut ging, konnte er sich schnell einen Rappen ausleihen.
Wie ein geölter Blitz sauste „Listige Schlange" — so hieß Joe bei seinen Freunden — um die Ecken. Da stand schon das Haus der Randers, ein großer Ziegelbau mit frisch gestrichenen weiß-grünen Fensterläden. Joe spähte erst mal durch die Hoftür. Nirgends Gäule, so ein Pech! — Na egal,
auf alle Fälle konnte er Jerry kurz interviewen. Er pochte an die Tür; zu seiner Freude machte ihm Jerry selbst auf.
„Hör zu, Boy, ich muß dringend, blitzdringend zu Pete — wollte mir hier bei dir einen Gaul pumpen. — Wohl nichts zu machen, soweit ich festgestellt habe."
„Nee, augenblicklich niemand da von den Elkvillern. Aber was ist denn, daß du hastewaskannste zum Boss willst?"
Hastig berichtete Joe von dem Gerücht über die aufständischen Indianer.
„Du siehst doch hoffentlich ein, daß Pete auf jeden Fall Bescheid wissen muß. Diese abgelegene Ranch ist doppelt gefährdet. Stell dir mal vor, wenn da plötzlich eine Horde Halbwilder einfällt, dann sind sie doch alle geliefert!" Joe sah den Freund eindringlich an.
„Na, ich weiß nicht — kann mir das nicht recht vorstellen! Wo sollen denn hier Indianer herkommen?"
„Das weiß ich auch nicht! Aber wie ist es, wo bekommen wir Pferde her?"
„Ich habe eine bessere Idee".
»Ja?"
„Wir holen den alten Ford, der zur Zeit beim Schmied steht. Pete hat bestimmt nichts dagegen. Vielleicht bekommen wir das Biest in Gang. Ein paar Liter Benzin spendiere ich von meinem Taschengeld."
„Wunderbar, aber schnell, wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren".
Alles ging dann sehr schnell. Die Boys schoben den alten Ford aus Mr. Brents Schuppen heraus und schleppten auch einen Kanister Benzin herbei. Die Karre kam tatsächlich bald in Gang. Knatternd sausten sie in Richtung Red River davon.
Sie waren noch keine Viertelstunde unterwegs, da gab es plötzlich einen gewaltigen Knall. Der Motor bockte, gab noch einige rappelnde, ungewöhnliche Laute von sich und stand dann still; mucksmäuschenstill.
„Da haben wir den Salat", brummte Joe und stieg aus, um die Motorhaube zu öffnen.
„Immer mit der Ruhe!" meinte Jerry und stieg ebenfalls aus dem Wagen.
Sie beugten sich gemeinsam über den Motor, drehten mal hier und schraubten mal dort herum — doch die Maschine sprang nicht an.
„Nischt mehr los mit der alten Kiste", bemerkte Joe abfällig und betrachtete seine blutverschmierten Hände. Dann setzte er sich aufs Trittbrett. „Was nun? Wollen wir tippeln?"
„Vielleicht marschieren wir doch lieber ins Town zurück und besorgen uns dort Gäule. Was meinst du?"
„Den Wagen einfach stehenlassen? Und wenn er nachher weg ist?"
„Wer soll den schon klauen? Das müßte ein Autospezialist sein; ein normaler Mensch kriegt den nicht mehr vom Fleck. Und ein bißchen Frischluft bekommt ihm vielleicht auch ganz gut!"
„Hör mal, da kommt was!" sagte Joe aufspringend.
Beide verhielten sich ein paar Sekunden unbeweglich. Dann war Räderrollen zu hören, immer deutlicher. Gleichzeitig tauchte in der Ferne ein Planwagen auf.
„Den schickt uns der Himmel! Vielleicht kann der uns helfen!"
„Mensch, es sind sogar zwei; ganz schönes Affentempo haben die drauf!"
Die Boys stellten sich vor dem Ford auf und sahen den schnell näher kommenden Wagen entgegen. Auf dem Kutschbock erkannten sie einen alten Mann mit Zylinder und buntem Hemd.
Joe und Jerry winkten. doch der Mann ließ den dürren Gaul weiter traben; er sah überhaupt nicht zu den Jungen hin. Der Wagen rasselte und klapperte, als wolle er in den nächsten Minuten aus den Fugen gehen.
„Halt! Halt!" schrie Joe dem Gefährt hinterher.
Da war aber auch schon der zweite Wagen heran, machte eine knappe Kurve um die beiden Jungen und fegte ebenfalls vorbei. Der knochige Kerl, der diesen Wagen lenkte, würdigte die Gerechten ebenfalls keines Blickes.
„Hast du dafür Worte? Die reinsten Idioten!" Verdutzt und kopfschüttelnd blickten sie den Wagen nach.
Joe hatte das Gefühl, ein Höllenspuk sei vorbei geflitzt.
Da erschreckte sie neues Pferdegetrappel. Wie auf Kommando drehten sich die Boys um.
„Du, die sind hinter den Wagen her, sieh mal!"
Schnell kamen die Reiter näher.
„Das ist doch .. ." Joe winkte wie verrückt.
„Pete und Bill!" schrie Jerry außer sich.
Black King stoppte und stand schnaubend still. Das Pferd war klatschnaß. Bills Gaul stoppte ebenfalls.
„Wir wollten gerade zu dir!" rief Joe, „die Kiste läuft nicht mehr!"
„Los, steigt schnell auf, wir müssen hinter den Wagen bleiben; beeilt euch!"
Im Nu waren sie aufgesessen. Listige Schlange hielt sich an Pete fest und Jerry an Bill. Wie die wilde Jagd ging es den Wagen nach.
„Wir dürfen Nummer eins nicht aus den Augen verlieren", erklärte Pete seinem Kundschafter, „Cowboy Jim sitzt drin und hat keine Ahnung, wohin es geht. Erzähle dir später, was los war. Prima, daß ihr da seid, dann können wir ihn leichter wieder herausbekommen." Pete sprach schnell, ohne das Tempo zu ändern. „Was wolltet ihr bei mir?"
Schnell berichtete Listige Schlange dem Häuptling des Bundes, was er gehört hatte und welche Schreckensnachricht das Town in Atem hielt.
„Hm", brummte Pete, „wir werden ja sehen. Vor allen Dingen muß erst mal Jim aussteigen, sonst bekommen wir mit diesen komischen Vögeln noch ins Gemenge. Sobald die Brüder halten, springst du ab . . . verstanden? Und noch etwas . . ."
Regenwurm lauschte gespannt und nickte mit dem Kopf.
„Okay, Chef, werde alles ganz nach Wunsch erledigen. Kannst mich schon gleich am ersten Haus absetzen!"
Tatsächlich hatten sie bald die ersten Häuser des Städtchens erreicht. Die Planwagen verlangsamten ihr Tempo und hielten auf einen freien Platz in der Nähe der kleinen Kirche zu.
Smiddy und Freddy thronten noch auf ihren Kutschböcken, als Pete Bill zu sich heran winkte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Dann wendeten beide die Gäule und
stiegen hinter dem Friedhof, der an die Kirche grenzte, ab. Die Planwagen fuhren ganz langsam auf den freien Platz vor dem Spritzenhaus, ein.
„Hier ist es wohl richtig!" rief Smiddy seinem Genossen zu und brachte das Pferd zum Stehen. Dann sprang er vom Sitz.
In dem Augenblick, als auch Freddy seine langen Knochen aus dem Sitz hob, erscholl aus dem kleinen Anbau, der als Geräteschuppen diente, ein furchtbares Gebrüll. Es klang genau wie das Kriegsgeheul eines Indianerhäuptlings. Gellende Laute durchdrangen die Luft.
Freddy und Smiddy standen da wie erstarrt. In den benachbarten Häusern gingen Fenster auf und schlagartig wieder zu.
„Sie sind da, sie sind da", kreischte eine erregte Frauenstimme.
„Hilfe! Hilfe!" schrie eine andere.
Da schoß aus der Schuppenecke blitzartig ein Wasserstrahl hervor, Freddy und Smiddy mitten ins Gesicht.
Schnell war der Spuk verschwunden.
Smiddy und Freddy stürzten wie gejagt davon. Ein paar Leute schlössen sich ihnen an. Sie strebten auf die Main Street zu und sahen sich nicht mehr um.
In diesem Augenblick liefen die Gerechten auf den ersten Wagen zu, rissen blitzartig die Plane auf und zogen mit vereinten Kräften den armen Jim heraus, der gar nicht zu begreifen schien, wie ihm geschah.
„Mensch, wo kommt ihr denn her?" stammelte er völlig verwirrt und stolperte aus dem Wagen.
Niemand hatte den Vorfall bemerkt. Als die Somerseter sich wieder ans Fenster wagten, sahen sie nur zwei schlichte Planwagen dastehen, deren magere Gäule friedlich an ein paar Halmen zupften.
*
Als John Watson erwachte, hörte er ein seltsames, wimmerndes Geräusch. Kamen da nicht Stimmen aus dem Office? Er strich sich schnell über die Haare und zog sein Hemd glatt. Da war er doch wieder mir nichts dir nichts am helllichten Tage eingeschlummert — kein Wunder bei dem anstrengenden Leben und der großen Verantwortung.
Ja, wobei hatte er sich eigentlich so angestrengt? Watson horchte in sich hinein. Ach richtig, er hatte — wenn ihn nicht alles täuschte — doch nur ein Fläschchen Bier ausprobiert — oder war es Whisky gewesen? Und warum hatte er das getan? Richtig, er erinnerte sich jetzt haargenau: um zu sparen. Ausgezeichnet, sein Verstandeskasten funktionierte wieder. Und warum wollte er sparen? Reichte etwa das Geld nicht mehr, das liebe Geld . . . Natürlich, das war's! Wie es doch folgerichtig in seinem Köpfchen knisterte! Was war er doch für ein konsequenter Mensch!
Aber da jammerte doch jemand — eine richtige, zittrige Altweiberstimme! Jesses, was war nun schon wieder los! Er war tatsächlich das reinste Mädchen für alles! Wahrscheinlich hatte sich wieder eine Katze auf einem Baum verkrochen, von dem sie nun nicht mehr herunter fand, oder sonst etwas war passiert, das man eigentlich der Feuerwehr überlassen konnte. Aber nein, sie kamen immer zu ihm, denn der gute Hilfssheriff wußte stets Rat, der nichts kostete. Nur ein Viertelstündchen aufs Ohr gelegt, und
prompt war wieder etwas los. In Somerset schien es wirklich außer ihm keinen einzigen Erwachsenen mehr zu geben. Ja, sein Los war hart und kein Zuckerlecken!
Mit festen Schritten verließ das Gesetz das Wohnzimmer und schlenderte zum Office hinüber.
Einige Augenpaare starrten ihn verzweifelt an, und auf einem Stuhl saß ein altes Mütterchen und wimmerte vor sich hin.
Was wollten denn diese Leute? Waren doch eigentlich nicht als Krakeeler bekannt! Was da so verängstigt vor ihm stand, das waren die braven Friedhofswärterleute, die die Kirche, den Friedhof und das Spritzenhaus in Ordnung hielten. Und Gesichter machten sie, als habe der heilige Gottseibeiuns bereits persönlich um ihr Haus gespukt. Und wie die Oma jammerte, das ging einem wirklich durch die markigen Nerven!
„Was ist denn los mit euch?" fragte Watson mit seiner markantesten Stimme, der er aber sogleich der Oma zuliebe einen beruhigenden Tonfall gab. Wahrscheinlich, so dachte der Hilfssheriff, ist ihnen ein kleines Malheur beim Aufräumen passiert; alte Leute sind oft taprig und ungeschickt. Und die Friedhofwärterleute waren als besonders pflichteifrig bekannt.
„Aber — aber — nur heraus mit der Sprache! Ich fresse euch doch nicht gleich."
Das Mütterchen auf dem Stuhl schluchzte auf. „Fressen, fressen", wimmerte sie in sich hinein, „wir werden bald alle gefressen!"
Sie ist total mit den Nerven herunter, dachte Watson mitleidig.
„Also, Mann, nun legen S i e mal los", sprach er auf den Aufseher ein, der schon zweimal zu einer Erklärung angesetzt, sich vor Aufregung aber immer wieder verschluckt hatte.
„Huhuhu" schluchzte für ihn seine Frau und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Endlich brachte der Mann einen Satz, wenn auch nur einen ganz kurzen, heraus: „Sie sind da. Die ersten sind da!"
„Wer?"
„Na — die Indianer!"
„Es ist uns unmöglich, in dem Haus zu bleiben. Vorhin ist einer an der Kirchenmauer herumgekrochen — ein furchtbarer Kerl mit einem Flammenwerfer in der Hand", stieß der Gärtner hervor. „Bitte, bitte, lassen Sie uns hier, lieber Watson!"
„Wir hätten keine ruhige Minute mehr", ergänzte seine verschüchterte Ehehälfte.
„Keine zehn Pferde bringen mich zurück" wimmerte die Oma. „Da ist man nun so alt geworden und dann kommen diese Wilden und bringen einen auf so gräßliche Weise noch um . . . Huhuhu . . ."
Und dann redeten alle durcheinander. Ein Indianer, gräßlich und wild anzusehen, dazu mit einer riesigen Spritze bewaffnet, habe sich im Spritzenhaus festgesetzt. Es stimme also, was seit ein paar Stunden durchs Town ging...
„W a s geht hier um, wovon ich nichts weiß?" Wollten ihn diese im Dienst ergrauten, ehrenwerte Bürgersleute veräppeln?
„Aber alle wissen es doch! Fragen Sie nur Mr. Baker, Mr. Gray und Mr. Teacher und den Friseur und den Metzger .. . Es ist wirklich kein Scherz, lieber Watson . . . Ein paar Durchreisende haben sogar ..."
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und ein großer Reisekorb mit schmiedeeisernen Verschlußstangen schob sich vor. Hinter dem Ungetüm tauchte Mrs. Timpedow auf. Sie hatte drei Mäntel an, einen blauen, darüber einen grünen und zum Schluß noch einen zerrupften Schafspelz. Auf dem Kopf schwebten ein paar zusammengedrückte Deckel, und in der rechten Hand trug sie ein Vogelbauer, in dem ihr Wellensittich „Püppi" ängstlich umher flatterte.
„So, da bin ich!" sagte sie aufatmend und ließ sich auf ihren Reisekorb fallen, daß es nur so krachte.
„Was wollen S i e denn hier?" Watson war völlig verdattert. „Sagen Sie bloß noch, daß auch Sie dieses Indianergespenst ..."
„Hahahaha — nun tun Sie man nicht so", kam es hohnlachend aus dem Mund der wie ein Eskimo ausgerüsteten Timpedow. „Wenn die Police einen nicht beschützen kann, dann muß man ihr eben auf den Pelz rücken. Schließlich bin ich alleinstehend und habe meine Steuern immer pünktlich bezahlt. Denken Sie, i c h lasse mich überfallen! Das fehlte noch! Ich habe nicht die Absicht, mit meinem Skalp die Wäscheleine einer Häuptlingsfrau zu schmücken, i c h nicht! Und Sie, lieber Watson, werden dafür sorgen, daß mir kein Härchen gekrümmt wird. Wozu haben Sie denn Waffen?"
Watson stand der Schweiß auf der Stirn. „Was schleppen Sie denn da um Himmels willen mit?"
„Meine Wertgegenstände, alles wohlerworbene Rechte; ein Dutzend silberne Bestecke, ein Eßservice mit Goldrand, mein Poesiealbum aus der Jugendzeit und mein Tagebuch . .."
Was war bloß los? Es muß doch wirklich etwas gegeben haben, während er sich dem wohlverdienten Nachmittagsschlaf hingegeben hatte! Alle faselten von Indianern. Diesen Floh mußte ihnen doch jemand in den Kopf gesetzt haben. Und wenn wirklich etwas daran war? Nein, lieber nicht daran denken . . .
Watson riß sich zusammen und gab sich den Schein männlicher Unerschrockenheit.
„Was ist denn das mit den Indianern, wovon hier immer gequasselt wird?"
„Ein paar Durchreisende" fuhr der alte Friedhofswärter fort, „haben es doch vorhin dem Baker und dem Turner vertraulich berichtet! Überall in den Reservationen sollen die Indianer aufgestanden sein. Sie wollen sich an den Weißen rächen und murksen nun alles ab, was ihnen in die Quere kommt. Sogar ihre Marterpfähle haben sie mitgebracht; manche sollen noch richtige Kannibalen sein!"
„Darum haben wir auch die Wirtschaftsflaute, weil Geld für die Aufrüstung gebraucht wird", fügte die Timpedow hinzu. Sie hatte den Satz von Mr. Baker aufgeschnappt und fand ihn sehr interessant.
Watson kniff sich heimlich in den Arm. Vielleicht träumte er nur? Seine Somerseter hatten wohl über Nacht einen Knacks im Oberstübchen bekommen! Es blieb ihm nichts anderes übrig, er mußte den Dingen dienstlich nachgehen.
„Also, wo können wir hier bleiben, bis die Gefahr gebannt ist?" wollte die Timpedow wissen und hielt ihre paar Deckel auf dem Kopf fest, die ins Rutschen kommen wollten. „Ich möchte es mir endlich etwas bequemer machen nach dieser schrecklichen Aufregung!"
„Gehen Sie nur — äh — gehen Sie ins Wohnzimmer!" antwortete Watson erschöpft.
„Und wir?" flehten die Friedhofsleute.
„Gehen Sie mit! Von mir aus machen Sie, was Sie wollen. Schlagen Sie sich Strohlager auf oder zurren Sie Hängematten! Hauptsache, Sie fühlen sich wohl bei mir. Bei Jimmy im Kämmerchen oben ist auch noch Platz!"
Die Timpedow schwebte mit abstehenden Armen hinaus, nicht ohne vorher die Dicke der Wände, die Güte der Türen und Fenster geprüft zu haben. Als Watson seinen Revolver in den Gürtel steckte, lächelte sie beruhigt. Wenn alles vorüber war, wollte sie Watson gern eine von den Tassen mit den Goldrändern schenken, das nahm sie sich fest vor. Nachdem die ungebetenen Gäste schließlich im Wohnzimmer versammelt saßen, schloß er sie ein und verließ eilig das Haus.
*
Nachdem die Gerechten den Cowboy Jim glücklich und ohne Aufseilen zu erregen in ihre Mitte gebracht hatten, bestiegen sie die Gäule und preschten zur Red River-Wiese zurück.
Inzwischen hatte sich die Abenddämmerung herabgesenkt. Müde sanken die Boys in eine Mulde und streckten erst einmal alle viere von sich. Der Tag war wirklich ereignisreich genug gewesen. Da waren sie aus ernsten Gesprächen tatsächlich in so etwas wie in ein Abenteuerchen hineingeraten.
„Jungens, hier waren wir ja schon vor ein paar Stunden. Es wird reichlich spät, bis wir nach Hause kommen!"
„Dorothy und Sam werden sich die Augen nach dir wundreiben, Pete!" lachte Bill.
„Und Mammy wird von sämtlichen Mahlzeiten Riesenportionen aufgehoben haben, von denen drei kinderreiche Familien sattwerden könnten ... Da steht mir noch allerlei bevor!" seufzte Pete in komischer Verzweiflung. „Ich wünschte, ihr kämt mit und würdet mir zur Strafe helfen ..." ^,
„Habe das dunkle Gefühl, daß wir uns vorläufig die kleinen Familienfeste verkneifen müssen. Mal ganz im Ernst: meinst du, daß an diesen Indianer-Gerüchten etwas Wahres ist?«
„Hm, hm", machte Pete unbestimmt.
„Du hast ja keine Ahnung, wie verrückt die Leute schon sind. Und wenn nun gar die Salem-Ranch überfallen wird?"
„Aber Joe, laß dich doch nicht ins Bockshorn jagen! Unnötige Sorge, haben wir Waffen oder haben wir keine?" Er zeigte auf das „erbeutete" Gewehr.
„Komm, nimm auch meins noch dazu, gib es Sam!" Bill nahm die zweite Donnerbüchse von der Schulter und reichte sie Pete. „Es macht mich bedeutend ruhiger, wenn ich euch bis an die Zähne bewaffnet weiß!"
„Ach was", wehrte Pete ab. „Es hat doch keinen Zweck, daß wir uns hier die Köpfe zerbrechen, ob an den wilden Gerüchten was dran ist oder nicht. Wir müssen eben handeln!"
„Jawohl, handeln! Das ist auch meine Meinung", pflichtete ihm Jim bei.
„Aber was wollen wir denn machen?" Bill wiegte zweifelnd seinen Kopf.
„Schlage vor, daß wir zunächst mal bei Charly Clever in Tucson anfragen, ob dort in der Redaktion etwas von Aufständen bekannt geworden ist. Die Leute von der Zeitung müssen es doch schließlich wissen!"
„Gut, Mann, d i e Masche! Wir schreiben gleich an Charly, oder sollen wir nicht noch besser sofort telefonieren?" Listige Schlange sprang auf.
„Nee, bloß nicht", wehrte Pete ab, „das fällt nur auf! Wir schreiben einen Eilbrief und bugsieren ihn ohne Absender im Post-Office auf den Tisch!" Pete kramte in seinen Taschen herum und beförderte schließlich einen Bleistiftsstummel heraus. „Hat jemand vielleicht ein Stück Papier?"
Die Gerechten durchwühlten ihre Sachen. Da kam allerlei zum Vorschein — alte Kaugummis, Sand, Vogelfutter, Schrauben, Messer, Steine, ein Schuhanzieher und Strippe — nur kein Papier!
Endlich fiel Bill ein, daß er ein Notizbuch bei sich hatte, allerdings nur ein ganz kleines abgegriffenes, aber zur Not würde es schon gehen. Mit Schwung riß er sieben kleine Seiten aus dem Buch und reichte sie Pete.
Der numerierte die Blätter erst einmal sorgfältig von eins bis sieben und schrieb dann:
„Lieber Charly, Hier in Somerset Gerüchte über Indianeraufstände. Dort etwas bekannt? Benachrichtige sofort den BDG zu Händen von Schlange. Pete." Auf jedes Blättchen kamen zwei bis drei krakelig gekritzelte Worte. Es war wirklich ein ungewöhnlicher Brief.
„So", sagte Pete und faltete die Blättchen zusammen. „Sofort irgendwie ins Post-Office hineinschmuggeln, Joe. Hast du Briefmarken? Und einen Umschlag?"
„Organisiere ich", grinste Listige Schlange und steckte den Kalenderblätterbrief in seine Hosentasche.
„Weiter, Boys", fuhr Pete fort, „müssen wir die Planwagen im Auge behalten. Vielleicht ist noch manches an Bord, was wir gebrauchen können. Das übernimmt Tuffy, der wohnt in der Nähe der Kirche."
„Okay, werde ihn unterrichten", quittierte Joe den Befehl.
„Hoho", grunzte Jim und zog allerlei aus seinen Hosenbeinen und Ärmeln. „Kleine Musterkollektion gefällig? Habe schließlich nicht umsonst auf dem Wackelkasten zugebracht!"
Die Boys rückten näher zusammen. Auf seinen schwärzlichen Handflächen lagen Teile von Gewehrschlössern, Riemen mit Metallteilen daran, Patronenhülsen und Drahtspulen.
„Daraus kann man ja einen Detektor basteln", meinte Bill und nahm die Raritäten in die Hand.
„Na, ich weiß nicht. Sieht eher aus wie Teile von 'ner Marsausrüstung! Auf alle Fälle eine ganz interessante Fuhre. Noch interessanter natürlich wäre es, herauszubekommen, was der Boss der beiden Trantüten damit vorhat. . . Nun, wir werden ja sehen. Auf jeden Fall bin ich morgen, spätestens übermorgen wieder im Town. Gebt den Boys Alarmstufe eins durch, sie sollen Augen und Ohren offenhalten."
„Was wird mit unserm Wagen? Soll der stehenbleiben?"
Pete überlegte. „Erst mal hierlassen, können ihn heute doch nicht mehr abschleppen!"
„Jetzt muß ich mich dranhalten, wenn ich noch in dieser Nacht nach Hause kommen will!" drängte Cowboy Jim.
Schnell trennten sie sich und Joe winkte den Freunden noch eine Weile nach, bevor sie die Dämmerung verschluckte.
*
John Watson war noch keine fünf Minuten unterwegs, als er eine Gruppe von etwa sieben Personen auf sich zukommen sah. Die Leute schleppten Bündel, Säcke und Koffer mit sich und steuerten gleich auf ihn zu.
Das Gesetz riß die Augen auf. Das war doch tatsächlich die ganze Familie Mr. Bakers, des Bahnhofsvorstehers. Als die alten Frauen, die Mutter und Schwiegermutter, sich schluchzend an Watsons Brust warfen, dachte dieser, Somerset habe sich plötzlich in ein Irrenhaus verwandelt.
„Mein lieber Watson, mein lieber Watson", kam es aus dem Munde der alten Mrs. Baker, „bitte nehmen Sie uns doch auch in Ihr Sammellager auf, wir wollen Ihnen auch Ihre Sachen schön in Ordnung halten und Jimmys dazu..."
„Nur bei Ihnen, Sheriff, fühlen wir uns sicher . . . Daß Sie aber auch so ein Herz für uns alte Leute haben! Sie sind wirklich eine edle Seele; möge es Ihnen dermaleinst der Himmel vergelten ..."
Watson wußte nicht, wie ihm geschah. Was murmelte die alte Frau da von Sammellager . ..?
„Wer sagt, daß ich ein Sammellager habe, und wozu .. . Ich . .. äh ... verstehe nicht ganz . .."
„Aber, lieber Sheriff, Sie haben doch die Timpedow auch aufgenommen; wir haben es doch gesehen . . . Und die ganze Gärtnerfamilie dazu! ... Sie haben sich immer der Schwachen und Kranken angenommen, bitte, lassen Sie uns auch in Ihr Haus ... da sind wir vor Martern und Skalpierungen sicher, wir können uns doch nicht wehren!"
„Natürlich werde ich Sie beschützen", sagte Watson großartig. Innerlich war ihm allerdings ganz anders zumute. Meine Güte, wenn die Leute schon aus ihren Häusern flüchteten! Ob er Verstärkung vom Distriktssheriff anforderte? Aber nein, wie sah das aus ... als ob er mit so ein paar Indianern nicht fertig würde ... Er jedenfalls hatte noch keine gesehen. Wahrscheinlich war sowieso alles nur ein Irrtum, irgendein Streich.
Die alten Frauen lächelten unter ihren karierten Betten hervor, die sie sich auf den Rücken geworfen hatten. „Wir wußten es ja, Sie würden uns nicht im Stich lassen, Sie Guter, Bester ..."
Komisch, das ganze Town schien plötzlich nur aus alten Frauen zu bestehen. Außer den Bakers krabbelten noch andere alte Mütterchen um ihn herum. Am besten, er spielte erst mal den Wohltäter . . . Sollten sie sehen, wie sie in das Haus hineinkamen; es war ohnehin schon voll und abgeschlossen dazu. Er mußte weiter und diese Leute erst einmal abwimmeln.
„Geht alle ins Office . . . geht nur . . . dort ist Platz genug, macht es euch bequem . . . Essen ist auch da, für Wochen eingekauft, aber wenn ich mir eines ausbitten darf, nicht an meine Flaschen gehen, verstanden, die sind tabu."
„Wo werden wir denn, Herr Policemaster", rief ein altes Weiblein, „wir wissen doch, was sich gehört . . . Und an Ihre Vorräte gehen wir auch nicht, denn was wir brauchen, haben wir mitgebracht." Dabei öffnete sie einen großen Korb und Watson entdeckte darin Brot, Wurst und Eier, auch einen runden gelben Käse und sogar eine Flasche Rotwein.
„Ich sehe, Sie sind eine praktische Frau . .. aber für wen ist denn das Püllchen da bestimmt, wie? Kleine Nippeltante, was?" Er zwinkerte dem Frauchen listig zu.
„Das ist für Sie natürlich, als Einstand gewissermaßen!" rief das Weiblein freudig, griff die Flasche und drückte sie dem sich gar nicht genierenden Hilfssheriff in die Hand.
„Hoch lebe unser Sheriff, hoch lebe John Watson, der tapferste Mann von ganz Somerset", riefen die übrigen inmitten ihrer Koffer und großen Federbetten. Watson kam sich vor, als habe er ihnen allen das Leben gerettet; wirklich, er fühlte sich wieder einmal mächtig geschmeichelt.
„Schon gut, schon gut..." murmelte er, „aber ich muß jetzt wirklich weiter!"
„Dank auch, Dank auch", riefen die Alten, nahmen ihre Betten und sonstiges Gepäck wieder auf und zuckelten in Richtung Office ab.
Wenn Watson allerdings gedacht hatte, daß die Neuankömmlinge vor verschlossenen Türen haltmachen würden, so hatte er sich gründlich geirrt. —
Mit eiligen Schritten strebte Watson dem Lehrerhaus zu; hier konnte er sicher Auskunft über die mysteriösen Indianer erhalten. Watson wußte, daß sich etwa 50 Meilen von Tucson das Schutzgebiet der Papagos befand. Vor vielen Jahren hatte er mal von diesen Indianern etwas gehört, aber er konnte sich nicht mehr genau erinnern, um was für einen Stamm es sich hier handelte. Waren es gutmütige Burschen oder angriffslustige? Brachten sie vielleicht noch Menschenopfer dar oder hatten sie sich bereits in ihren Sitten und Gebräuchen den Weißen angepaßt?
Kurz bevor er sich dem Lehrerhaus näherte, wurde er von hinten angerufen
„Hallo, Watson!" erklang die Stimme des Steuereinnehmers Gray. Watson blickte sich um. Außer diesem war er plötzlich von dem Buchhalter Ted Williams, Mr. Plumrose, dem Metzger und dem Lokführer umringt.
„Hä?" machte Watson und bekam bereits einen Schreck. Wenn die auch noch beim ihm unter kriechen wollten . . . Aber nein, Gepäck hatten sie ja Gott sei Dank nicht mit, auch Bettzeug konnte er nicht entdecken.
„Mann, wir waren gerade bei Ihnen und wollten Sie holen", erklärte Mr. Gray, „in einer wichtigen Sache! Aber bei Ihnen ist ja der Teufel los!"
„ 'ne richtige Klapsmühle", pflichtete ihm der Metzger bei.
„Wieso denn?" fragte Watson treuherzig. „Also, wir kommen in die Nähe des Office, da hören wir bereits einen Heidenkrach. Wir kommen näher, und da ist doch eine richtige Schlacht im Gange, nicht zu glauben!"
„Wir sehen ein furchtbares Durcheinander von Menschen, Betten und Koffern — man stürmt aus der Tür heraus, dann wieder hinein, Koffer fliegen aus den Fenstern, und . . . "
„Ja und?" Watson schwante Furchtbares.
„Nun", erklärte Mr. Plumrose, „wir zwängen uns durch die Tür — und schon im nächsten Moment fliegen uns Kopfkissen um die Ohren, gellende Schreie von alten Leuten, in höchster Angst ausgestoßen — aber weit kamen wir nicht! Himmel, was ist aus Ihrem Office geworden, Watson? Ein Zigeunerlager!"
„Als wir dann endlich erfuhren, was los war", schaltete sich der Lokführer ein, „da sagten sie, daß sie sich alle der Indianer wegen unter Ihren Schutz begeben hätten. Na, ich gratuliere, bei Ihnen ist jedenfalls nicht mehr ein Gegenstand an seinem richtigen Platz . . . soweit ich das in dem Tumult überblicken konnte."
„Wenn sich die Leute nicht noch gegenseitig totschlagen, dann können Sie von Glück sagen, Watson", erklärte der Buchhalter.
„Was sollte ich denn machen?" Watson rang die Hände. „Sie behaupten doch, schon Indianer gesehen zu haben, und sind völlig durcheinander."
„Aber so geht es nicht weiter! Deshalb wollten wir ja auch zu Ihnen. Durch einen Zufall sind ja noch die Durchreisenden im ,Silberdollar', die von den Aufständen etwas wissen sollen!" Wollen wir die doch mal ausfragen!"
„Meine Ware ist auch bereits restlos ausverkauft", berichtete der Metzger; „wir müssen das regeln, sonst gibt's
zum Sonntag keinen Braten. Die Leute hamstern wie die Verrückten, sogar mein Mostrich ist ausverkauft — so was war noch nie da!"
„Hm, da fällt mir ein, Mr. Dulles, war mein Jimmy eigentlich bei Ihnen und hat das Fleisch umgetauscht? Ich hatte ihm den Auftrag gegeben; freilich, wenn ich gewußt hätte . . ."
„Ja, der Boy war bei mir!" antwortete der Metzger, während sie sich schwatzend und gestikulierend auf den „Silberdollar" zu bewegten. „Jimmy hat das Fleisch in Würstchen umgetauscht, anders ging es leider nicht. Ist Ihnen doch recht?"
„Wunderbar", lachte Onkel John verklärt. Aber wo war der Bursche damit geblieben? Er hätte längst zu Hause sein müssen. Hoffentlich ist kein Unglück passiert. Am besten, er ging wieder zurück und überließ den tüchtigen Männern von Somerset, sich bei den Durchreisenden zu informieren. Wenn er an die Würstchen dachte, lief ihm bereits jetzt das Wasser im Munde zusammen.
Er blieb stehen. Die Männer sahen ihn erstaunt an.
„Ich muß zurück, Sie haben recht. Es passiert sonst ein Unglück, und ich trage die Verantwortung!"
„Aber was soll mit den Gästen geschehen? Wenn Sie mitkommen, Watson, hat doch alles mehr einen dienstlichen Anstrich!"
„Das können Sie ebenso gut! Hier!" Er riß seinen Sheriffstern ab und reichte ihn dem Buchhalter. „Wenn Sie amtlich auftreten wollen, so weisen Sie nur auf den Stern, dann sind Sie eine Weile mein Stellvertreter! Ich muß wirklich erst mal nach dem Rechten sehen; sonst reißen sie mir noch das ganze Office um! Komme auch gleich nach."
„Ist verständlich, Sheriff! Sehen Sie nur zu Hause nach, ob alles noch in Ordnung ist. Wir erwarten Sie dann aber ganz bestimmt später im ,Silberdollar'. Vielleicht sind doch irgendwelche Beschlüsse zu fassen . . ."
„Ja, ja, ich halte mich nicht lange auf. Und wenn Sie Jimmy sehen sollten, schicken Sie ihn sofort zu mir!" Damit löste sich das Gesetz von der Gruppe und lief spornstreichs zurück ins Office.
*
Im „Silberdollar" wurden sie freudig von Mr. Baker, der einsam an einem Tisch saß, begrüßt.
„Gut, daß Sie kommen, allein kann ich hier wirklich nichts ausrichten!"