52. Kapitel
Enthält den Streit des Don Quixote mit dem Ziegenhirten, nebst dem herrlichen Abenteuer mit den Büßenden, welches er glücklich auf Unkosten seines Schweißes beendigte.
Die Erzählung des Ziegenhirten gefiel allen, die sie gehört hatten, vorzüglich aber dem Kanonikus, der sich über die Art, wie jener sie vorgetragen hatte, sehr verwunderte, denn es war nicht die Weise, wie ein Ziegenhirt zu erzählen pflegt, sondern sie grenzte fast an die Manier eines gebildeten Mannes; er sagte daher, der Pfarrer habe sehr recht gehabt, zu behaupten, daß es auch in den Bergen gelehrte Leute gäbe. Alle zeigten sich gegen Eugenio freundlich, am großmütigsten aber vor allen anderen Don Quixote, welcher sprach: »Wahrlich, Freund Ziegenhirt, wäre es mir zur Stunde möglich, irgendein neues Abenteuer anzufangen, so würde ich mich augenblicklich und stracks auf den Weg machen, um mich Euch gefällig zu erzeigen; denn aus dem Kloster (in welchem sie sich ohne Zweifel gegen ihren Willen befindet) würde ich Leandra herausnehmen, trotz der Äbtissin und aller, die mich daran hindern wollten, und sie Euch übergeben, um mit ihr nach Eurem Wohlgefallen zu schalten, falls Ihr nur den Gesetzen der Ritterschaft Gehorsam leistet, welche gebieten, daß keiner Jungfrau irgend Gewalt und Mißhandlung widerfahre. Doch hoffe ich zu Gott dem Herrn, daß ein boshafter Zauberer nicht so gar gewaltig sein wird, daß nicht ein anderer gut denkender Zauberer noch mehr Macht besitzen sollte, und auf diesen Fall verspreche ich Euch meine Gunst und meinen Beistand, wozu mich überdies mein Handwerk verpflichtet, welches in nichts anderem besteht, als Unglücklichen und Notgedrängten Hilfe zu leisten.«
Der Ziegenhirt schaute ihn an, und da er Don Quixote von so schlechtem Aussehen und Erscheinung befand, verwunderte er sich und fragte den Barbier, der neben ihm saß.«Mein Herr, wer ist denn der Mann, der solch Aussehen hat und dergleichen Sprache führt?«
»Wer wird es anders sein«, versetzte der Barbier, »als der berühmte Don Quixote von la Mancha, der Vernichter jeglicher Ungebühr, der Gerademacher aller Ungeradheit, der Beschützer der Jungfrauen, der Vertilger der Riesen und Sieger in den Schlachten?«
»Das klingt ja«, antwortete der Ziegenhirt, »wie das, was man in Büchern von irrenden Rittern liest, die alles das getan haben, was Ihr von diesem Manne sagt; ich halte aber dafür, daß Ihr entweder spaßt oder daß dieser feine Mann kein Gehirn in seinem Kopfe haben muß.«
»Ihr seid der lumpigste Halunke«, rief Don Quixote plötzlich aus, »Ihr habt kein Gehirn und keinen Kopf, ich aber habe mehr, als jemals die Hure gehabt, die Euch zur Welt geboren hat!« Und mit diesen Worten nahm er ein Brot, welches neben ihm lag, und warf es dem Ziegenhirten mit solcher Wut ins Angesicht, daß ihm das Blut aus der Nase stürzte. Der Ziegenhirt aber, der keinen Spaß verstand und gewahr wurde, mit welchem Ernste man ihn mißhandelte, nahm nun weder auf den Teppich, noch auf die Gedecke, noch auf alle die, welche speisten, weitere Rücksicht, sondern stürzte sich auf Don Quixote und griff ihm mit beiden Händen nach der Kehle, so daß er ihn gewiß erdrosselt hätte, wenn Sancho Pansa nicht alsbald herbeigekommen, jenen bei den Schultern gepackt und ihn mitten auf den Tisch geworfen hätte, so daß Schüsseln und Gläser zerbrachen und alles, was auf dem Tischtuche stand, umgeworfen und verschüttet wurde. Als sich Don Quixote frei sah, warf er sich wieder über den Ziegenhirten, der, das Gesicht voll Blut und von Sancho mit Fußtritten gepeinigt, nach einem Messer auf dem Tische herumtappte, um blutige Rache zu nehmen. Aber der Kanonikus und der Pfarrer verhinderten ihn daran, doch richtete es der Barbier so ein, daß der Ziegenhirt den Don Quixote unter sich bekam, worauf er diesem mit so häufigen Maulschellen zusetzte, daß aus dem Gesichte des armen Ritters nicht weniger Blut als aus dem seinigen strömte.
Der Kanonikus und der Pfarrer wollten fast vor Lachen bersten, die Häscher sprangen vor Freude umher und hetzten bald diesen, bald jenen an, wie man es wohl mit den Hunden zu machen pflegt, wenn sie in Balgerei verwickelt sind; nur Sancho Pansa war wütend, weil er sich nicht von dem einen Diener des Kanonikus losmachen konnte, der ihn festhielt, so daß er seinem Herrn nicht Hilfe zu leisten vermochte. Kurz, alle waren noch voller Freude und Lustigkeit, außer den beiden Kämpfenden, die aufeinander droschen, als alle einen so kläglichen Ton einer Trompete vernahmen, daß sie die Gesichter umwandten, um zu sehen, woher dieser Klang komme. Wer sich aber über dieses Geräusch am meisten entsetzte, war Don Quixote, der, noch unter dem Ziegenhirten gegen seinen Willen liegend und mehr als billig zerprügelt sprach: »Freund Teufel, denn dieser mußt du sein, da du mich mit solcher Gewalt unterworfen hast, ich bitte dich, laß uns einen Stillstand schließen, wenn es auch nur auf eine Stunde sein sollte, denn dieser klägliche Ton einer Trompete, der jetzt in unsere Ohren dringt, scheint mich zu einem neuen Abenteuer aufzurufen.«
Der Ziegenhirt, der schon müde war zu prügeln und geprügelt zu werden, ließ ihn im Augenblicke los; Don Quixote stellte sich sogleich auf seine Füße und wandte das Gesicht dahin, von wo der Schall gekommen war, worauf er sah, daß von dem Abhange eines Berges eine große Anzahl Menschen, in Weiß gekleidet nach Art der Büßenden, herunterkamen.
Die Sache war nämlich die, daß in diesem Jahre die Wolken ihren Regen der Erde versagt hatten, deshalb stellten die umliegenden Dörfer Prozessionen an, mit Gebeten und Bußübungen, um Gott zu bewegen, daß er seine barmherzigen Hände öffnen und Regen herunterschicken möchte; zu diesem Zwecke zogen auch die Leute eines benachbarten Dorfes nach einem frommen Einsiedler, der in einer Schluft des Tales wohnte. Don Quixote, der die wunderbare Tracht der Büßenden sah, erinnerte sich gar nicht mehr, daß er sie schon oftmals gesehen hatte, sondern bildete sich ein, daß dies ein Abenteuer sei, zu welchem er aufgemuntert werde, und ihm als dem einzigen anwesenden irrenden Ritter komme es deshalb zu, es zu unternehmen. In dieser Einbildung wurde er dadurch noch mehr bestärkt, daß sie ein Bild trugen, welches mit Trauergewändern behangen war; sogleich glaubte er, daß dies eine vornehme Dame sei, die von diesen Schelmen und nichtswürdigen Bösewichtern mit Gewalt entführt werde. Sowie er dieses mit seinen Sinnen begriffen hatte, sprang er mit großer Behendigkeit zu Rosinante hin, der auf der Weide ging, nahm den Zaum und den Schild vom Sattel herunter, zäumte ihn augenblicklich auf, forderte vom Sancho sein Schwert, bestieg den Rosinante, faßte den Schild und sprach mit lauter Stimme zu allen Gegenwärtigen: »Nun, edle Gesellschaft, sollt ihr gewahr werden, wie notwendig es sei, daß es Ritter in der Welt gebe, die sich zum Orden der irrenden Ritterschaft bekennen, nun, sage ich, sollt ihr gewahr werden, wie ich jener edlen Dame die Freiheit erstreiten will, die dort gefangen geführt wird, und ob man also die irrenden Ritter hochschätzen müsse. Mit diesen Worten stampfte er mit den Beinen auf Rosinante, weil er keine Sporen hatte, und in vollem Galopp (denn in dieser wahrhaften Geschichte findet man niemals, daß sich Rosinante in gestreckter Karriere versucht habe) ritt er auf die Büßenden zu. Der Pfarrer, der Kanonikus und der Barbier wollten ihn zwar zurückhalten, aber es war nicht möglich, ebensowenig vermochte es Sanchos Rufen, welcher ihm nachschrie: »Wo wollt Ihr denn hin, mein Herr Don Quixote, welcher Teufel reitet Euch denn, so in unseren katholischen Glauben hineinzustürmen? Hört doch, das ist bei meiner Seele eine Prozession von Büßenden, und das Frauenbild, das sie auf der Trage haben, ist ja das Bild der gesegneten, unbefleckten Mutter Gottes! Schaut doch, was Ihr tut, denn diesmal kann man doch wohl sagen, daß Ihr nicht wißt, was Ihr vornehmt!«
Sancho bemühte sich vergebens, denn sein Herr ritt mit so großem Eifer auf die Verschleierten los, um die trauernde Dame frei zu machen, daß er kein Wort hörte, ja auch nicht hingehört hätte, wenn es ihm der König selber befohlen. Als er zur Prozession gekommen, hielt er den Rosinante an, der schon gern ein wenig geruht hätte, und rief mit rauher und heiserer Stimme: »Ihr da, die ihr euch gewiß um nichts Guten willen die Gesichter verhängt habt, seid aufmerksam und hört, was ich euch sagen will!«
Die vordersten waren gerade diejenigen, die das Bild trugen, und einer von den vier Geistlichen, welche die Litanei sangen, der die seltsame Gestalt des Don Quixote, die Dürrheit des Rosinante, nebst anderen lächerlichen Dingen an demselben bemerkte, sagte hierauf: »Lieber Mann, wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so sagt es schnell, denn diese Leute zergeißeln sich die Haut, und darum ist es nicht vernünftig, uns lange zu verweilen, um ein Gespräch anzuhören, wenn sich etwa das, was Ihr zu sagen habt, nicht in zwei Worte fassen läßt.«
»Eins wird hinlänglich sein«, versetzte Don Quixote, »daß ihr nämlich sogleich diese schöne Dame in Freiheit setzen sollt, deren Tränen und traurige Haltung genugsam zeugen, daß ihr sie gegen ihren Willen entführt und irgendeine schwere Übeltat verbrochen haben müßt; ich aber bin in die Welt gekommen, um aller dergleichen Ungebühr zu steuern, und werde es nicht dulden, daß ihr einen Schritt weiter geht, ohne ihr vorher, wie sie verdient, die erwünschte Freiheit zu geben.«
Alle, die diese Reden hörten, fielen nun darauf, daß Don Quixote ein verrückter Mensch sein müsse, worauf sie mit größter Heftigkeit an zu lachen fingen, welches Lachen Öl zu dem Zornfeuer desselben schüttete; denn ohne ein Wort weiter zu sagen, nahm er das Schwert und hieb auf die Trage ein. Einer von den Trägern überließ seinen Gefährten die Last und stellte sich dem Don Quixote entgegen, indem er seine Gabel oder Stütze aufhob, indes die anderen die Bahre trugen. Diesem gab Don Quixote einen solchen Hieb, daß die Gabel entzweisprang, mit dem Überreste aber, den jener in der Hand behielt, gab er dem Don Quixote einen so gewaltigen Schlag auf die Schulter, auf der Seite, wo er das Schwert führte (denn unmöglich konnte er sich gegen diese tölpische Kraft mit dem Schilde schirmen), daß der arme Don Quixote übel zugerichtet zu Boden stürzte. Sancho Pansa war keuchend hinter ihm hergelaufen, und da er ihn nun niedergestürzt sah, schrie er dem Prügelnden zu, er möchte ihn nicht weiter schlagen, denn er sei ein armer verzauberter Ritter, der noch zeit seines ganzen Lebens keinem Menschen etwas zuleide getan habe. Was aber den Bauer am meisten zurückhielt, war nicht die Stimme Sanchos, sondern weil er sah, daß Don Quixote weder Hand noch Fuß mehr rührte, er glaubte also, er habe ihn umgebracht, hob eilig sein Gewand auf und floh über das Feld wie eine Gemse.
Jetzt kam auch Don Quixotes Gesellschaft hinzu; da aber die von der Prozession jene herbeilaufen sahen, und mit ihnen die Häscher mit ihren Büchsen, so fürchteten sie eine üble Begegnung; sie stellten sich daher alle in einem Kreise um das Bild her, erhoben ihre Kapuzen, nahmen ihre Geißeln und die Priester ihre Leuchter, indem sie den Überfall mit dem festen Entschlusse erwarteten, sich tapfer zu verteidigen, ja selbst, wenn es möglich sei, ihre Feinde anzugreifen. Das Glück fügte es aber besser, als sie dachten; denn Sancho tat nichts weiter, als daß er sich auf den Körper seines Herrn warf und über ihn den kläglichsten und lächerlichsten Jammer anstellte, weil er ihn für tot hielt. Der Pfarrer wurde von dem anderen Pfarrer, der mit der Prozession ging, erkannt, wodurch denn der übrige Haufe völlig beruhigt wurde. Der erste Pfarrer erzählte dem anderen, wer Don Quixote sei, und er sowie die ganze Schar gingen nun hinzu, um zu sehen, ob der arme Ritter wirklich tot wäre; sie hörten hierauf den Sancho Pansa mit Tränen in den Augen folgendes sagen: »O du Blume der Ritterschaft, der du mit einem einzigen Knüppelschlage die Laufbahn deiner glorreichen Tage geendigt hast! O du Preis deines Geschlechtes, Ehre und Ruhm von la Mancha, ja der ganzen Welt, denn wenn du darin fehlen wirst, wird sie von Bösewichtern erfüllt, die nun keine Strafe mehr für ihre Bubenstücke fürchten! O du, so freigebig wie Alexander, denn für acht Monate Dienstbarkeit hast du mir die schönste Insel geschenkt, um die nur das Meer mit seinen Wellen fließt! O du Demütiger unter den Stolzen, du Hochmütiger unter den Demütigen, du Verächter der Gefahren, du Erdulder des Unglücks, Verliebter ohne Gegenstand, Nachahmer der Guten, Geißel der Bösen, Feind der Gemeinheit, kurz, du irrender Ritter, denn das heißt alles gesagt, was man nur sagen kann!«
Über das Geschrei und die Seufzer Sanchos kam Don Quixote wieder ins Leben, und das erste, was er sprach, war: »Derjenige, der von dir entfernt lebt, o süßeste Dulcinea, ist noch größeren Unglücksfällen unterworfen als diesen. Hilf mir, lieber Sancho, auf den verzauberten Karren, ich bin jetzt nicht dazu gemacht, mich auf Rosinantes Sattel zu halten, denn ich glaube, die Schulter ist mir in Stücke geschlagen.«
»Das will ich gar gern tun, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »wir wollen nach unserem Dorf in der Gesellschaft dieser Herren zurück, die Euer Bestes wünschen, und von da wollen wir auf einen neuen Auszug denken, der uns mehr Nutzen und Ruhm eintragen soll.«
»Du sprichst gut, Sancho«, antwortete Don Quixote, »denn es wird sehr klug getan sein, den bösen Einfluß der Gestirne vorüber zulassen, der jetzt regiert.«
Der Kanonikus und der Pfarrer und Barbier sagten ihm, daß er daran sehr wohl tun würde, und nachdem sie sich noch an den Dummheiten Sancho Pansas ergötzt hatten, legten sie Don Quixote auf den Karren, auf welchem er erst gekommen war; die Prozession wurde hierauf wieder in Ordnung gebracht und setzte ihren Weg fort; der Ziegenhirt nahm von allen Abschied, die Häscher wollten nicht weiter mitgehen, und der Pfarrer bezahlte, was er ihnen schuldig war. Der Kanonikus bat den Pfarrer, daß er ihm von Don Quixote Nachricht erteilen möchte, ob er von seiner Tollheit genese oder noch weiter darin käme, und hiermit bat er um die Erlaubnis, seine Reise fortsetzen zu dürfen.
Kurz, alle trennten sich und begaben sich auf den Weg, nur der Pfarrer und Barbier blieben zurück, Don Quixote und Sancho, nebst dem wackeren Rosinante, der bei allem, was vorgefallen war, sich so geduldig wie sein Herr betrug.
Der Ochsentreiber spannte seine Ochsen wieder vor, legte Don Quixote auf ein Bündel Heu und setzte hierauf mit seinem gewöhnlichen Phlegma den Weg fort, den ihm der Pfarrer zeigte, und nach sechs Tagen kamen sie in Don Quixotes Heimat an, wo sie in der Mittagsstunde, an einem Sonntage eintrafen; alle Leute befanden sich gerade auf dem großen Platze, über welchen der Karren des Don Quixote zog. Alle liefen herbei, um zu sehen, wer sich auf dem Karren befinde, und als sie ihren Landsmann erkannten, standen sie voll Verwunderung da, und ein Bursche lief sogleich fort, um der Haushälterin und der Nichte die Nachricht zu überbringen, daß ihr Oheim und Herr blaß und ausgedürrt angekommen sei, auf einem Bündelchen Heu und einem Ochsenkarren sitzend. Es war etwas Erbärmliches, das Geheul anzuhören, welches diese beiden guten Frauenzimmer nunmehr erhoben, die Schläge, die sie sich austeilten, die Flüche, die sie von neuem über die verfluchten Ritterbücher ausstießen, was alles von vorne wieder anfing, als Don Quixote in das Tor hereingebracht wurde.
Auf die Zeitung von Don Quixotes Ankunft lief auch Sancho Pansas Frau herbei, die es wußte, daß er mitgegangen war, um als Stallmeister zu dienen, und wie sie Sancho gewahr wurde, war die erste Frage, die sie tat, ob der Esel glücklich wieder mitkomme. Sancho antwortete, glücklicher als sein Herr.
»Nun, so sei Gott gelobt«, versetzte sie, »der mir die Wohltat erzeigt hat, aber so sage mir doch, Mann, was hat dir denn deine Stallmeisterei eingetragen? Was bringst du mir für ein Schleppkleid mit? Was für Schuhe für deine Kinder?«
»Nichts davon, liebes Weib, bringe ich mit«, sagte Sancho, »sondern andere Dinge, die etwas mehr zu bedeuten haben und ansehnlicher sind.«
»Das ist mir sehr erwünscht«, antwortete die Frau, »nun, lieber Mann, so zeige mir doch gleich die Sachen, die mehr zu bedeuten haben und ansehnlicher sind, denn ich möchte sie gar zu gerne sehen, damit ich doch wieder was habe, worüber sich mein Herz erfreuen kann, welches ganz traurig und unzufrieden in den ewigen Zeiten deiner Abwesenheit gewesen ist.«
»Zu Hause, Frau, will ich dir alles zeigen«, sagte Sancho Pansa, »sei nur jetzt damit zufrieden, daß wir mit Gottes Hilfe bald einen zweiten Auszug versuchen werden, um Abenteuer zu finden, worauf du mich denn bald als Graf wiedersehen wirst oder als Statthalter einer Insel, und zwar keiner schlechten, sondern der schönsten, die man nur finden kann.«
»Das gebe doch der liebe Gott, mein liebster Mann, denn wir haben es höchst nötig. Aber sage mir doch, was sind das für Dinger, Inseln? Das verstehe ich nicht.«
»Die Perlen gehören auch nicht für die Säue«, antwortete Sancho, »zu seiner Zeit wirst du es schon gewahr werden und dich ziemlich wundern, wenn dich alle deine Untertanen gnädige Frau nennen.«
»Was sprichst du denn da, Sancho, von gnädiger Frau, Inseln und Untertanen?« antwortete Hanne Pansa, denn dies war der Name von Sanchos Frau, und sie hieß nicht deswegen so, weil sie ihm verwandt war, sondern weil es in la Mancha gebräuchlich ist, daß die Weiber den Namen ihrer Männer annehmen.
»Du brauchst dich nicht so zu übereilen, Hanne, um alles zu erfahren, genug, daß ich die Wahrheit rede, und damit halt’s Maul! Nur das muß ich dir noch nebenher sagen, daß es nichts Herrlicheres auf der Welt gibt, als der Stallmeister eines irrenden Ritters zu sein, der ein Abenteuersucher ist. Es ist wohl wahr, daß die meisten, die man findet, nicht zu der Ergötzung ausschlagen, wie sie sich der Mensch wohl wünschen könnte, denn von hundert, auf die man trifft, geraten neunundneunzig höchst erbärmlich und windschief. Das weiß ich aus Erfahrung, denn in etlichen wurde ich geprellt, wieder in anderen geprügelt; aber doch bleibt es immer ein treffliches Ding, sein Heil zu versuchen, über Berge zu klettern, durch dichte Wälder zu ziehen, auf Felsen zu stehen, Kastelle zu besuchen, in Schenken um Gottes willen zu herbergen, wo den Pfennig, den man bezahlt, gleich der Teufel holen soll.«
Dieses Gespräch fiel zwischen Sancho Pansa und seinem Weibe Hanna Pansa vor, indes Don Quixotes Haushälterin und Nichte ihn empfingen, auskleideten und ihn dann in sein altes Bett legten. Er sah sie mit starren Augen an und konnte sich immer noch nicht besinnen, wo er sei. Der Pfarrer sagte der Nichte, daß sie ja für ihren Oheim die größte Sorge tragen möchte und ein sehr aufmerksames Auge auf ihn haben, damit er nicht zum zweiten Male davonginge, wobei er ihr alles erzählte, was er hatte tun müssen, um ihn in sein Haus zurückzubringen.
Nun erhoben die beiden ein neues Heulen, von neuem verfluchten sie die Ritterbücher und baten den Himmel, daß er die Autoren so vieler Lügen und Tollheiten in den tiefsten Abgrund hinunterschleudern möchte. Kurz, sie waren in die größte Besorgnis versetzt, daß sie ihres Herrn und Oheims wieder verlustig gehen würden, sowie es nur etwas besser mit ihm stände, wie es auch nachher in der Tat zutraf.
Der Verfasser dieser Historie hat aber, so vielen Fleiß und Eifer er auch darauf verwandt hat, die Taten des Don Quixote aufzusuchen, dennoch keine Nachrichten von seinem dritten Auszuge finden können, wenigstens nicht in authentischen Papieren. Es hat sich bloß in la Mancha die mündliche Sage erhalten, daß, nachdem Don Quixote zum drittenmal aus seinem Hause gezogen sei, er sich nach Saragossa gewandt habe, wo er bei einem berühmten Turnier zugegen gewesen, das in dieser Stadt angestellt worden, und wo sich Dinge zugetragen, wie man sie von seinem Mute und gutem Verstande erwarten konnte. Auch von seinem Lebensende konnte der Verfasser keine Nachricht bekommen und hätte sie niemals erhalten, wenn ihn das Glück nicht zu einem alten Arzte geführt hätte, welcher eine bleierne Büchse besaß, die er nach seiner Aussage in den Trümmern einer alten Einsiedelei gefunden hatte, die man umbaute. In dieser Büchse waren Pergamente, mit gotischen Lettern beschrieben, die aber kastilianische Verse enthielten, die viel von seinen Taten sprachen, die Schönheit der Dulcinea von Toboso rühmten, ingleichen die Gestalt des Rosinante und von der Treue des Sancho Pansa und dem Begräbnis des Don Quixote selbst handelten, nebst verschiedenen Grabschriften und Lobgedichten auf sein Leben und seine Sitten. Diejenigen, die noch ganz zu lesen waren, teilt der zuverlässige Autor dieser neuen und nie gesehenen Geschichte unten mit. Er verlangt von seinen Lesern keinen anderen Lohn für seine unermeßliche Mühe, welche ihn das Forschen und Suchen nach dieser Geschichte in den manchanischen Archiven kostete, um sie an das Licht zu stellen, als daß sie ihr ebenso vielen Glauben schenken, als die Verständigen den Ritterbüchern, die bei der Welt in so großem Ansehen stehen, beizumessen pflegen; hiermit wird er sich hinlänglich bezahlt und belohnt halten und zugleich angefeuert werden, noch andere Sachen aufzusuchen, die vielleicht nicht so wahrhaftig sind, aber wenigstens ebensoviel Erfindung und Zeitvertreib enthalten.
Die vorzüglichsten Verse, die auf Pergament geschrieben in der bleiernen Büchse steckten, waren folgende:
DIE AKADEMIKER VON ARGAMASILLA,
EINEM ORTE IN LA MANCHA,
AUF DAS LEBEN UND DEN TOD DES
DON QUIXOTE VON LA MANCHA
Hoc scripserunt
Der Affenpreisliche,
Akademiker von Argamasilla, auf das
Grabmal des Don Quixote:
Grabschrift
Der Anschlagskopf, der Mancha Glorien brachte,
Mit größerm Ruhm als Jason Kretas Lande,
Der Sinn, der mit zu grübelndem Verstande
Zum eignen Übel allzuscharf oft dachte;
Der Arm, des Kraft ihn weit gepriesen machte,
Selbst von Gaeta bis zu Catays Strande,
Die Muse, furchtbar, fern von aller Schande,
Die Verse jemals grub in erz’ne Schachte;
Er, sehend weit herab auf Amadisse,
Der über Galaore Achseln zuckte,
Er, Äußerstes in Lieb und Heldenscheine;
Er, der den Mund gestopft den Belianissen,
Der, welcher irrend Rosinante drückte:
Liegt ruhend unter diesem kühlen Steine.
Vom Wasserbrötler,
Akademiker von Argamasilla, in laudem
Dulcineae von Toboso:
Sonett
Sie, die ihr seht mit plutzigem Antlitze,
Mit kühnem Blick und hoher Brust, die Große,
Ist Dulcinea, Kön’gin von Tobose,
Für die verlor Don Quixote seine Witze.
Er wanderte für sie in großer Hitze
Durchs schwarz’ Gebirge hin, für diese Lose,
Durchs Feld von Montiel bis zu dem Moose
Von Aranjuez, zu Fuß und ohne Stütze.
Durch Schuld des Rosinant’ (o hart Gestirne!),
Daß die manchan’sche Dame, dieser groß
Gewaltig irrende, in zarter Blume,
Sie sterbend nicht mehr war die schöne Dirne,
Und er, ob man in Erz den Namen goß,
Nicht floh der Lieb’, dem Zorn und dem Irrtume.
Vom Eigensinnigen,
dem verständigsten Akademiker zu Argamasilla,
zum Preise des Rosinante,
dem Pferde des Don Quixote von la Mancha:
Sonett
Auf prächt’gem Piedestal von Diamant,
Das Mars mit blut’gen Zeichen schmückt,
der Harte, Erhub der Held aus Mancha die Standarte
Und pflanzte sie hinauf mit dreister Hand.
Die Waffen hängt er auf, das Schwert an’n Rand,
Womit er hieb und schnitt, daß alles starrte
Dem neuen Wunder; denn die Kunst, sie lahrte
Die neue Art dem neuen Ritterstand.
Und rühmt den Amadis wohl Gallia,
Zählt seine kühnen Helden Graecia
Und rühmt sich hoch, nennt alles and’re Tand, schal,
So krönen jetzt Quixote alle ja
Bellonens Freund’, steht nicht der letzte da,
Und mehr als Graecia, Gallia preist sich Mancha.
Auch dich wird nie vergessen Heldenmannschaft,
Dich Rosinant’, du gehst im Preise vor
Bayardo selbst, dem hohen Brilliador.
Von Späßler,
argamasillischem Akademiker,
auf Sancho Pansa:
Sonett
Sancho Pansa ist der, im Leibe klein,
Doch groß in Tat. Ein Wunder anzublicken!
Der dümmste, doch am mindsten zu berücken
Von allen Knappen, die auf Erden sein.
Ein Graf zu werden war er hinterdrein,
Doch widerstrebten ihm, so macht’s nicht glücken,
Der Zeiten Widerspruch, und schwere Tücken
Verfolgten ihn und auch sein Eselein.
Auf diesem ritt er stets zum harten Streite,
Der stille Knappe hinter jenem stillen
Roß Rosinant’ und hinterm Herren auch.
Wie eitle Hoffnung nähren doch die Leute!
Wie will sie sich doch immer nicht erfüllen
Und wird am Ende Schatten, Traum und Rauch!
Vom Verlarvten,
Akademiker zu Argamasilla, auf das Grabmal
des Don Quixote:
Grabschrift
Allhier ein edler Ritter ruht,
Der Abenteuer teuer fand
Und welchen führte Rosinant’
Hinauf, hinab mit frischem Mut.
Zugleich schläft hier das dumme Blut,
Sancho Pansa bei seinem Grab,
Der war der allertreuste Knapp,
Den Knappenschaft erschaffen tut.
Von Ticktack,
Akademiker zu Argamasilla,
auf das Grabmal der
Dulcinea von Toboso:
Grabschrift
Dulcinea allhier ruht,
Die am Leibe fett und rund,
Staub ist sie zu jetz’ger Stund’;
Was der schnöde Tod doch tut!
War von echtem alten Blut,
Lebte ganz nach ihrem Stand,
Don Quixote für sie entbrannt,
Und das Dorf rühmt, daß sie gut.
Dies waren die Verse, die man noch lesen konnte; bei den übrigen waren die Buchstaben zerfressen, und man übergab sie einem Akademiker, damit er sie durch Konjekturen erklären möchte. Man hat erfahren, daß er es durch Aufwand vieler Nachtwachen und großer Arbeit zustande gebracht hat, und daß er willens ist, sie ans Licht zu bringen, sobald der dritte Auszug des Don Quixote erscheint, den wohl ein anderer singt in volleren Tönen.