„Ich glaube, ein
Stück Land zu besitzen und es
nicht zu ruinieren ist die allerschönste Kunst,
die man sich zu besitzen wünschen kann.“
4. Mehr-Werden – von massenhaft Muscheln, Rindern, Mais und anderen Kalorien
Die Wandertaube und der Riesenalk sind zwei Beispiele, wie die direkte Nutzung einer einzelnen Art als Ressource zum Ende einer Art führt. Der Aal ist in einer ähnlichen Situation, wird aber durch den Menschen bewusst erhalten und ist zudem noch einer Melange an Einflüssen ausgesetzt, deren Bedeutung man nur schwer abschätzen kann, es sei denn, man gibt ein paar tausend Aalen Aufpasser mit, um die ganze Vielfalt der Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, einmal zu protokollieren.
Manche Gründe für die Gefährdung der Biodiversität sind erst zu verstehen, wenn man sich tiefer in die Gründe hinabbegibt, warum der Mensch das Ökosystem und die Arten ausbeutet, vor allem angesichts des Energiebedarfs von sieben Milliarden Menschen.
Der Miesmuschel hat dieses Verlangen nach Energie in Form von Kalorien lange stark zugesetzt. Am Ende kam noch die Auster dazu und verdrängte sie teilweise aus ihrem Lebensraum. Und auch die Auster war zu Nutzzwecken nach Europa gebracht worden, ihrer Kalorien wegen. Ihr Mehr-Werden ist beispielhaft für das Mehr-Werden von Arten, Genen und Ökosystemen und ihren Dienstleistungen für den Menschen. Und auch hier kommt beispielhaft gleich wieder eine Muschel ins Spiel – oder vielmehr an den Strand.
Ein Strand aus Sand und Muschelleichen
Wer, der einmal in jungen Jahren an der Küste war, kennt das nicht – egal an welcher Küste, Hauptsache, ein Strand ist da: Als Kind rennt man herum und bringt jede neue Form von Muscheln zu Mama oder Papa, sammelt sie tütenweise und nimmt sie dann mit nach Hause. Dort sind sie nie wieder so schön frisch, feucht und glänzend wie am Strand und landen schnell in irgendeiner Ecke, verblasst wie die Erinnerung an den Urlaub.
Wir sagen „Muscheln sammeln“, dabei sammeln wir nur ihre Schalen. Wer einmal eine Schale samt Inhalt versehentlich in seiner Sammlung hatte, wird schnell erfahren, dass zu einer Muschel mehr gehört als die äußere Schale – denn das Muscheltier ist ein zentrales Element des Wattenmeeres und anderer flacher Meere (und im Übrigen auch aller Flüsse, aber das kann in Europa, wo sie zumeist schon lange daraus verschwunden sind, schnell in Vergessenheit geraten). Muscheln filtern das Wasser und ziehen die Nährstoffe heraus. Für das Wattenmeer hat man berechnet, dass allein die Herz- und Miesmuscheln zusammen den gesamten Wasserkörper innerhalb von acht bis zehn Tagen einmal durchfiltern. Dabei sind sie, wie viele andere Tiergruppen, nach einzelnen Arten auf verschiedene Lebensräume spezialisiert – und haben sich in vielen Teilen der Welt verschieden entwickelt.
Aber das heißt natürlich nicht, dass sie nicht auch woanders leben können: Ein flaches, sandiges Meer mit bestimmtem Salzgehalt und bestimmten Temperaturen findet sich mehrfach auf der Welt – nur ist es für eine Muschel recht schwer, sich zielstrebig über viele Hunderte oder gar Tausende Kilometer hinweg dorthin zu bewegen, ohne Füße, Flügel oder Flossen. Mit zunehmender Entfernung nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass eine bestimmte Artengruppe einen anderen Ort erreicht. Die Vorfahren des Dodo hatten es als Vögel da noch relativ leicht. Aber mit unserer Mobilität haben wir es der Muschel und vielen anderen Organismen ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Ausbreitung stark zu erhöhen und sich einfach als Passagiere in Schiffen, am Auto haftend oder im Flugzeug mitnehmen zu lassen – ob vom Menschen beabsichtigt oder nicht.
Und damit sind wir wieder beim Muschelsammeln.
Der Winter war harsch, als ich im Januar 2010 auf die Nordseeinsel Juist kam. Juist gehört zu den Ostfriesischen Inseln, wobei es sich, grob gesagt, um große Sandbänke im Nationalpark und Weltnaturerbe des Niedersächsischen Wattenmeers handelt. Juist hat fast zwanzig Kilometer Sandstrand. Es ist der Strand, den ich seit Jahrzehnten immer wieder besuche. Gefühlt kenne ich dort jedes Sandkorn – oder zumindest jede Muschelart, deren Schalen es an den Strand treibt. Das bringt eine gewisse Erwartungshaltung mit sich, wenn man das erste Mal nach Jahren wieder den Strand betritt. An der Nordsee erwartet man Herzmuscheln, Miesmuscheln, Kammmuscheln und, wenn man Glück hat, auch mal das Gehäuse einer Wellhornschnecke. Seit einiger Zeit ist aber die Nordamerikanische Schwertmuschel (Enis americanus) dominant – sie wurde erstmalig 1978 in der Deutschen Bucht beobachtet, wobei die Larven wohl durch das Ballastwasser von Frachtschiffen aus Nordamerika dorthin gelangt waren. Sie breitete sich rasch aus, erreichte die Niederlande und Dänemark schon vier Jahre später, Frankreich 1986 und kurz darauf auch den Englischen Kanal und Norwegen. Sie hat sich überall auf sandigem Untergrund massiv ausgebreitet. Einerseits scheint sie keinen direkten Einfluss auf andere Arten zu haben und diese zu verdrängen, ihre scharfen Kanten und ihr Lebensraum im flachen Wasser können aber zu Verletzungen bei Badenden und zu Schäden an Fischernetzen führen.
An normalen Tagen im Sommer findet man recht viele Schwertmuschelschalen am Strand, bis zu eineinhalb Zentimeter breit und bis zu zwanzig Zentimeter lang. In diesem Februar war es anders.
An langen Abschnitten des zwanzig Kilometer langen Strandes konnte man nicht bis zum Wasser vordringen, ohne zumindest eine kleine Bergsteigübung vorzunehmen – bis zu einem halben Meter hoch hatte sich ein mehrere Meter breiter Wall der Nordamerikanischen Schwertmuscheln aufgetürmt. Abertausende Tonnen toter Meeresbiomasse. Ein ungewöhnliches Ereignis – ein sehr kalter Winter – war auf ein anderes getroffen: die Massenverbreitung der Muschel in der Nordsee. Sie hatte sich zwar an die Bedingungen in der Nordsee angepasst, aber die Anpassung hatte Grenzen, was die kalten Temperaturen betrifft, und somit war die Muschel im Winter massenweise abgestorben. Der Anwesenheit der Schwertmuschel in der Nordsee hat dies keinen Abbruch getan – sie ist dort weiterhin sehr weit verbreitet. Aber es zeigt auch die Schwierigkeit für einzelne verschleppte Arten, sich anzusiedeln. Die Möwen waren in diesem kalten Winter die Profiteure. Einen so reich gedeckten Tisch am Strand, mit Hunderttausenden toter Muscheln, haben sie selten. Für mich war es enttäuschend, denn ich hatte gehofft, im Winter am Strand auch einmal ungewöhnlichere Muscheln zu finden. Aber in der Masse des eingebürgerten Neulings war dies einfach kein Vergnügen. Man sah schlicht den Strand vor lauten Schwertmuscheln nicht.
Einwanderer zu Tausenden, als blinde Passagiere oder als Ausbrecher
Im Ballastwasser von Schiffen, also genau so, wie auch die Schwertmuschel ins Watt kam, finden sich jährlich Hunderte, wenn nicht Tausende verschiedene blinde Passagiere, die am Ankunftsort einfach ins Meer gepumpt werden. Für die meisten von ihnen bedeutet spätestens dies den sicheren Tod, da sie mit der neuen Umgebung nicht zurechtkommen. Nur ein Bruchteil schafft es, in der neuen Umwelt eine Weile zu überleben, noch viel wenigeren gelingt es, sich zu vermehren und dauerhaft anzusiedeln. Daher müsste der Umfang solcher Ansiedlungen eigentlich gering sein. Wenn man aber sieht, wie viele Arten es geschafft haben, sich in einer neuen Umgebung zu etablieren, bekommt man erst einen Eindruck davon, wie viele jedes Jahr wohl ankommen müssen – und die Umsiedlung nicht überleben.
Forscherinnen und Forscher haben für Europa eine Liste erstellt, welche Arten sich etabliert haben – und welche die „Schlimmsten“ davon sind. Die Datenbank des sogenannten DAISIE-Projektes listet über 11 500 eingewanderte Arten auf. In Deutschland sind es knapp 1900.
Zu den hundert „schlimmsten“ Einwanderern in Europa, die das DAISIE-Projekt aufgrund ihrer großen ökologischen wie auch gesundheitlichen und ökonomischen Schäden ermittelt hat, zählt auch die Nordamerikanische Schwertmuschel. Ein weiterer prominenter Vertreter ist die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), eine einjährige Pflanze, die sich seit einigen Jahren auch in Deutschland verbreitet und deren Pollen eine sehr große allergene Wirkung haben. Sie wurde (und wird) vor allem durch im Ausland produziertes Vogelfutter eingeschleppt. Auf der Seite der Säugetiere breitet sich der Amerikanische Mink (Mustela vison), ausgebrochen aus Pelzfarmen, immer weiter aus. Gleiches geschieht mit dem Waschbär (Procyon lotor), der sich, ausgehend von ein paar nach dem Zweiten Weltkrieg in Hessen ausgesetzten Exemplaren, immer weiter verbreitet und durch das Ausrauben von Nestern Vogelarten wie den Uhu gefährdet, ganz zu schweigen von dem Chaos, den eine Waschbärfamilie anrichten kann, wenn sie sich auf einem Dachboden häuslich einrichtet. In der Jagdsaison 2011/2012 wurden in Deutschland über 71 000 Waschbären erlegt. Die Tendenz ist seit Jahren stark steigend. Der Gesamtbestand in Deutschland wird auf über 500 000 Tiere geschätzt.
Eine Berechnung von europäischen Experten um Marianne Kettunen zeigt, dass allein in Europa Schäden und Kosten von zwölf Milliarden Euro pro Jahr durch eingeschleppte Arten entstehen – konservativ gerechnet. Denn: Sind Arten einmal angesiedelt, ist es häufig unmöglich, sie wieder komplett aus einem Ökosystem zu verdrängen. Pflanzenarten können lange als Samen überdauern und müssen deshalb über viele Jahre bekämpft werden, invasive Tierarten sind nicht nur mobil, sondern passen sich häufig sehr gut den Gegebenheiten an.
Und da sind dann ja auch noch wir, die wir immer wieder zur weiteren Verbreitung beitragen können – jeder von uns. Sei es, dass wir ungereinigtes Vogelfutter kaufen, das mit etwas Pech rund ums Vogelhaus zur Ausbreitung der Ambrosie führen kann. Oder sei es durch eine einfache Autobahnfahrt. Denn jeder, der regelmäßig auf der Autobahn fährt, trägt zur Ausbreitung einer der erfolgreichsten invasiven Pflanzen in Deutschland bei. Manchem ist das vielleicht schon aufgefallen: An den Rändern vieler Autobahnen vor allem im Westen Deutschlands gibt es seit einigen Jahren im Spätsommer eine schöne gelbe Blütenpracht, und im ersten Moment mag man denken, es handele sich um Raps. Die Pflanze kommt aber von weit her. Das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio ineaquidens) ist eine Pionierpflanze aus Südafrika und kam vermutlich erstmals bereits in den 1890er-Jahren per Schiff mit Wollimporten nach Europa. In den 1970er-Jahren breitete es sich von Belgien bis ins Ruhrgebiet und darüber hinaus aus. Standorte waren zumeist Häfen und Bahngleise, zunehmend aber auch Straßenränder. Durch die lange Blüh- und Fruchtphase von Juni bis zum Wintereinbruch mit dem ersten Frost werden große Mengen Samen produziert. In den 1990er-Jahren wurde das Greiskraut durch den zunehmenden Verkehr von Westen in die neuen Bundesländer gebracht. Die Pflanze ist also ein echter „Wendegewinnler“ und zeigt, wie auch die Natur durch den Eisernen Vorhang beeinflusst worden ist. Und auch in den Küstendünen der Nordsee kommt diese Art zunehmend vor – gänzlich ohne Autoverkehr. Was zeigt, wie vielfältig die Verbreitungsmöglichkeiten für Pflanzenarten in Deutschland sind. Vielleicht kam sie durch Heuimporte vom Festland auf die Inseln, wo Heu zum Beispiel regelmäßig genutzt wird, um Wege in den Dünen abzudecken.
Das Schmalblättrige Greiskraut ist giftig, wie auch verwandte heimische Greiskrautarten. Da wir unsere Nahrungsmittel allerdings nicht an Straßenrändern anbauen, ist die Gefahr einer Vergiftung für den Menschen derzeit gering. In der Heimatregion der Art in Südafrika, wo die Pflanze auch in Äckern wächst, stellt dies aber ein Problem dar, und in Südfrankreich, wohin das Greiskraut ebenfalls eingewandert ist, wächst es auch in Wiesen. Wenn sich die Art noch weiter anpasst, könnte sie zu einem echten Problem werden. Auch weil sie, wie bei eingewanderten Arten vielfach der Fall, nur wenige Fressfeinde hat und obendrein recht robust ist gegen Bekämpfungsmaßnahmen wie Mahd und Herbizid-Einsatz.
Bisher verdrängt das Greiskraut noch keine einheimischen Arten, wenn es aber mit seiner Dominanz an Straßenrändern andere Flächen wie Wiesen und Dünen erobert, kann es sich zu einem Problem entwickeln.
Riesenschlangen und hüpfende Karpfen – Nordamerika hat da ein paar Probleme
Während in Europa, sieht man einmal von der hohen Zahl der Einwanderer ab, die Schwierigkeiten mit eingewanderten Arten noch vergleichsweise überschaubar sind, gibt es in vielen Regionen der Erde massive Probleme. Australien mit seiner Kaninchenplage und der Ausbreitung der giftigen Aga-Kröte ist ein gutes Beispiel, ebenso Neuseeland, wo das Einschleppen zahlreicher europäischer Arten viele Ökosysteme massiv verändert hat und vor allem viele Vogelarten aussterben ließ.
Aktuell gibt es in Nordamerika zwei Arten, die zu einem extremen Problem werden. Zunächst einmal geht es um ein „Haustier“, das nicht jedermanns Sache ist: der aus dem tropischen Südostasien stammende Dunkle Tigerpython (Python bivittatus) – ein in den gesamten USA beliebtes exotisches Tier. In ihren Heimatländern wird sie zu Nahrungszwecken und zur Schlangenlederproduktion massiv verfolgt und befindet sich mittlerweile auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Ihre Beliebtheit als Haustier trägt dazu bei.
Allerdings ist es mit dem Haustier Riesenschlange so eine Sache: Sie wird größer und größer, im Falle des Tigerpython bis zu 6,5 Meter Länge bei siebzig Kilogramm Gewicht. Daher wurden einige der Tiere irgendwann ausgesetzt oder entkamen schlicht Reptilienhändlern und -haltern. Im warmen, tropischen Florida konnten sie das überleben und sich seit 1979 etablieren und fortpflanzen. In den letzten Jahren ist es zu einer rasanten Vermehrung und Ausbreitung gekommen, 2007 wurde der Bestand auf über 30 000 Tiere geschätzt. Biologen gehen davon aus, dass sich die Schlange auch nach Georgia und Louisiana ausbreiten kann. Die Schlangen stellen ein immer größeres Problem für die einheimische Tierwelt dar, sogar den in den Everglades in Florida dominierenden Alligatoren machen sie Konkurrenz um deren Nahrungsressourcen. Eine aktuelle Studie amerikanischer Forscher um Michael Dorcas kommt 2012 zu dem Schluss, dass die Schlange erhebliche Auswirkungen auf die Säugetiere in den Everglades hat. Hierfür fuhr man in den Jahren 2003 bis 2011 nachts 56 Kilometer Straßen ab und verglich die Sichtungen von einheimischen Säugetieren mit denen vergleichbarer Aktionen in den 1990er-Jahren. Die Ergebnisse sind bemerkenswert. Die Anzahl der Waschbär-Sichtungen ging um 99 Prozent zurück, die der Opossums um 98 Prozent. Hasen konnten überhaupt nicht mehr beobachtet werden. Ferner waren die genannten Arten dort häufiger, wo erst kürzlich die ersten Schlangen beobachtet worden waren, was einen direkten Zusammenhang nahelegt.
Auch kam es schon zu vereinzelten Opfern unter Menschen. In den letzten Jahren sind aus Florida sieben Todesfälle durch Pythons dokumentiert, meist kamen Schlangenbesitzer bei der unprofessionellen Handhabung der Tiere zu Tode, aber es starb auch ein zweijähriges Mädchen, das im Schlaf von einem entflohenen Python getötet wurde.
Zu bekämpfen ist die Schlange nur schwer, da sie sich in den Everglades-Sümpfen sehr gut verstecken kann. Ein Senator aus Florida schlug 2007 im Kongress vor, ein Importverbot für die Schlangen zu verhängen, aber der Widerstand von Zoohändlern, Züchtern und Reptilienfans war erwartungsgemäß groß. Die Schlangen billig aus Vietnam oder Thailand zu importieren und teuer zu verkaufen ist einfach ein viel zu lukratives Geschäft, obwohl man die Tiere mittlerweile sehr gut züchten und damit die Nachfrage befriedigen könnte. 2011 hat die US-Regierung ein Handelsverbot erlassen – aber nur für den Tigerpython, nicht etwa für deren südamerikanisches Pendant, die Boa constrictor. Sie könnte an anderer Stelle ähnliche Schäden anrichten, wie Experten in den USA sagen.
Ohnehin mag dies kaum etwas gegen die schon in Freiheit befindlichen Tiere ausrichten. Deswegen hat man Ende 2012 nun eine Kampagne gestartet und ein Kopfgeld auf die Schlangen angesetzt – ähnlich wie es das schon in früheren Zeiten für Ratten und andere Tiere in Mitteleuropa gegeben hat. Der „Python Challenge 2013“ klingt wie ein Golfturnier, soll aber zunächst die Aufmerksamkeit für das Problem verstärken und Menschen animieren, die Tiere aus der Natur zu sammeln – vom 12. Januar 2013 bis zum Stichtag am 1. Februar 2013 waren es zunächst gerade einmal 41 Tiere, die so gefangen wurden. Dem tüchtigsten Fänger winkt ein Preisgeld von 1500 US-Dollar, für die längste Schlange gibt es 1000 US-Dollar. Dass solche Aktionen zu einer Ausrottung führen werden, ist eher unwahrscheinlich. Und so ist der Tigerpython ein Paradebeispiel für den manchmal so ambivalenten Umgang des Menschen mit der Natur. Die Nachfrage nach exotischen Haustieren kann mitunter eine Bedrohung der Schlange in ihrem natürlichen Lebensraum noch verstärken, die durch die regionale Nutzung als Nahrungs- und Schlangenleder-Ressource ohnehin schon stark gefährdet ist. Als Folge ist sie dort an manchen Orten schon ausgerottet. Auf der andere Seite der Welt wird der ursprüngliche Zweck, die Haustierhaltung, irgendwann eher lästig und man setzt die Tiere aus – mit erheblichen Konsequenzen für die regionale Tierwelt und auch für den Menschen.
Ein ähnliches Problem gibt es mit einem anderen asiatischen Einwanderer in den USA. Diesmal geht es nicht um ein Haustier, sondern um den Import einer „Reinigungskraft“. Marmor- und Silberkarpfen (Hypophthalmichthys nobilis und molitrix) wurden in den 1970er-Jahren von Fischfarmern im Süden der USA importiert. Da sie sich von Algen ernähren, wurden sie eingesetzt, um Fischteiche davon frei zu halten, was auch gut gelang. In den 1990er-Jahren entkamen aber bei einer Überflutung einige Exemplare aus den Teichen, vermehrten sich rasch und begannen, sich über den Mississippi und dessen Nebenflüsse nach Norden auszubreiten. Die Karpfen können bis zu 1,20 Meter lang werden und vierzig Kilogramm schwer. Um so groß zu werden, fressen sie täglich etwa vierzig Prozent ihres Gewichtes an Plankton – Nahrung, die für die einheimischen Fische nicht mehr zur Verfügung steht. Sie haben keine natürlichen Feinde, und so stellen sie zum Beispiel im Illinois River bereits neunzig Prozent der gesamten Fischbiomasse.
Nun kommt es zu einem weiteren großen Problem. Dass Flusssystem des Mississippi, in dem sich die Karpfen ausgebreitet haben, ist durch Kanäle mit den großen Seen der USA verbunden, das sogenannte Chicago Area Waterway System. Solche Kanäle sind beliebte und äußerst effektive Routen für die Ausbreitung von invasiven Arten, um von einem Flusssystem ins andere zu gelangen, was natürlicherweise gar nicht möglich wäre. So hat etwa auch der Rhein-Main-Donau-Kanal als Verbindung der zwei größten mitteleuropäischen Flusssysteme bereits einigen Arten den Weg vom einen ins andere Flusssystem ermöglicht.
In den USA sind die Karpfen inzwischen schon kurz vor den Großen Seen angekommen, die durch die Kanäle in Chicago unnatürlicherweise mit dem Mississippi in Verbindung stehen. Die Bedenken sind daher groß, dass die Fische auch dort das Ökosystem umstülpen, indem sie sich zum dominierenden Planktonfresser entwickeln. Zwar hatte man schon 2002 in einem zum Lake Michigan führenden Kanal eine Sperre errichtet, aber es sieht nicht so aus, als würde das helfen. Genetische Spuren der Karpfen wurden bereits in den Seen ausgemacht, wenn auch der direkte Nachweis noch aussteht. Naturschützer und Fischerei fordern, dass der Warenverkehr über die Kanäle stärker eingeschränkt und die Kanäle gar geschlossen werden. Aber angesichts von Tausenden Tonnen an Waren, die auf diesem Weg jährlich transportiert werden, erscheint dies als unwahrscheinlich. Auch hier stehen starke Interessen dahinter, die Wege der Ausbreitung einer solchen Art nicht weiter zu beschränken. Trotzdem wurde ein eigenes Komitee gegründet, das die Invasion des asiatischen Karpfens in die Seen verhindert soll, das „Asian Carp Regional Coordination Committee“. Es hat im Jahr 2012 einen neuen, detaillierten Plan aufgestellt, um die Ansiedlung des Karpfens in den Seen zu verhindern. 22 Behörden sind daran beteiligt, von der Stadt Chicago über acht Bundesstaaten bis hin zu diversen Bundesbehörden.
Dabei sind die asiatischen Karpfen bei Weitem nicht die ersten Neuankömmlinge in den großen Seen. Auf einer Website der Umweltschutzagentur der USA (EPA) werden 25 Fischarten aufgeführt, die seit 1800 neu in die Seen gelangt sind. Die Zebramuschel kam 1988 an und macht nun große Probleme, da sie zum Beispiel die Zuläufe von Kraftwerken zusetzt – sie ist in dieser Hinsicht schon fast ein weltweites Problem. Aber auch Krebstiere sind eingewandert, zuletzt der „Fischhaken“-Wasserfloh (Bythotrephes cederstroemi), der ebenfalls das Nahrungsnetz in den Seen verändern könnte. Und auch bei den Pflanzen an den Seeufern gibt es zahlreiche Einwanderer, darunter einige aus Europa wie das Gemeine Riedgras (Pragmites australis), das Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea) und der Froschbiss (Hydrocharis morsus-ranae). Sie verändern die Biotope an den Ufern und beeinträchtigen damit die dort lebenden Arten, behindern aber auch den Bade- und Bootstourismus. Eine Datenbank aller bisher erfassten Arten nennt derzeit 182 Arten. Mehr als vierzig Prozent haben sich nach 1960 angesiedelt, man kann also sagen, dass etwa ein bis zwei neue Arten pro Jahr dazukommen. Und viele davon kommen einem aus Europa bekannt vor – entweder, weil sie hier heimisch sind, ober weil sie auch hier eingeschleppt wurden und sich ausbreiten.
Alles in allem haben die Bundesstaaten rund um die Großen Seen in den Jahren 2009 und 2010 allein 26,7 Millionen US-Dollar für die Bekämpfung von aquatischen invasiven Arten ausgegeben, davon allein 900 000 US-Dollar, um die Kontrolle der asiatischen Karpfen sicherzustellen. Aber das ist noch recht wenig, schaut man sich Berechnungen für die ganzen Vereinigten Staaten an. So kostet der Kampf gegen die ungeliebten Einwanderer die US-Steuerzahler jährlich 100 Milliarden Dollar, wie Gregory Ruiz vom Smithsonian-Umweltinstitut in Washington vorrechnet. Der Ökologe David Pimentel und Kollegen haben im Jahr 2005 berechnet, dass die Kosten für die USA, Großbritannien, Australien, Südafrika, Indien und Brasilien bei etwa 314 Milliarden US-Dollar liegen. Umgerechnet auf die Einwohner bedeutet das Kosten von 240 US-Dollar pro Kopf und Jahr. Nimmt man ähnliche Kosten weltweit an, wobei die Schäden durch invasive Arten von Region zu Region sehr unterschiedlich ausfallen, liegen die Gesamtkosten bei 1,4 Billionen US-Dollar, was in etwa fünf Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes entspricht.
Die genannten Beispiele zeigen, dass die Ursachen vielfältig sind, häufig eben auch ökonomischer Natur. Und gerade dieser Umstand macht es schwierig, diese Ursachen effektiv zu bekämpfen, etwa wenn es um den freien Handel und seine weltweiten Handelsströme geht – sei es, dass die betreffenden Arten bewusst gehandelt, sei es, dass Arten unbeabsichtigt eingeschleppt werden, wie viele Arten in den Großen Seen, die durch Ballastwasser in den Schiffen dorthin kommen. Letztendlich aber sind invasive Arten und der Schaden, den sie anrichten, zum größten Teil unbeabsichtigt. Zwar werden immer wieder Arten bewusst eingeführt, wie die asiatischen Karpfen, um eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Beispiele hierfür gibt es unzählige, so etwa die schon erwähnte giftige Aga-Kröte (Bufo marinus) in Australien, die in den 1930er-Jahren eingeführt wurde, um schädliche Käfer in Zuckerrohrfeldern zu bekämpfen, weil dies angeblich bereits in Puerto Rico und Hawaii, wo man die Kröte ebenfalls zu diesen Zweck eingeführt hatte, erfolgreich gewesen sei, was sich allerdings später als falsch erwies. Heute ist die Kröte in ganz Ostaustralien verbreitet und schädigt die einheimische Fauna massiv, da sie zum einen andere Tierarten, vor allem Amphibien, stark dezimiert, zum anderen durch ihr Gift zu zahlreichen Todesfällen unter potenziellen Fressfeinden sorgt, die schlicht als Art noch nicht die Erfahrung gemacht haben, dass man Aga-Kröten meiden sollte und sich beim Fressen einer Kröte vergiften kann.
Anderen Arten erging es ähnlich. Sie wurden zu einem bestimmten Zweck eingeführt und machten sich dann ein Stück weit selbständig. In Deutschland ist dies zum Beispiel der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), der als Bienenweide aus dem Kaukasus kommend angepflanzt wurde und sich lokal stark ausbreitete. Kommt man mit dem Saft der Pflanze in Berührung, kann dies durch chemische Reaktionen an der Sonne zu starken Verbrennungen führen. Einige der über 10 000 fremden Arten in Europa, die das europaweite DAISIE-Projekt in seiner Datenbank auflistet, sind solche Arten, die sich von dem eigentlichen Zweck ihrer Einführung entfremdet haben. Das Indikatorsystem des Bundesamtes für Naturschutz listet für Deutschland insgesamt 1149 eingewanderte Tierarten auf, von denen 264 fest etabliert sind.
Bei den größten „invasiven“ Arten in Europa und auf der ganzen Welt verhält sich dies aber ganz anders. Sie dienen weiterhin dem Zweck, für den sie eingeführt wurden: der Ernährung des Menschen. Sie prägen mit dieser Serviceleistung für den Menschen mehr als alles andere unsere natürliche Umgebung …
Flächig mehr werden – die wundersame Vermehrung von Brot, Reis und Bioethanol
Das Wunder der Brotvermehrung durch Jesus Christus ist eines der wesentlichen Gleichnisse in der Bibel im Markus-Evangelium. Im Grunde fasst es nichts anderes zusammen als einen zentralen Erfolg der menschlichen Kultur der letzten 10 000 Jahre: statt als Jäger und Sammler immer auf der Suche nach Nahrung zu sein, sein eigenes Essen anzubauen und dafür die Kräfte der Natur an einem Ort zentral nutzbar zu machen – durch die Landwirtschaft. Nach heutiger Erkenntnis entstand sie vor ca. 10 000 bis 12 000 Jahren im fruchtbaren Halbmond, einem Gebiet, das sich vom Mittelmeer aus nach Osten nördlich der Syrischen Wüste bis hinein in den heutigen Iran erstreckt. Dort waren die Bedingungen besonders gut, da sich viele Pflanzen- wie Tierarten zur Domestikation eigneten. So gab es etwa zahlreiche Grasarten mit vergleichsweise schweren Samen in der Gegend, wie Jared Diamond in seinem Buch „Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften“ darlegt. Damit waren ihre Sammlung und Zucht attraktiv, und allmählich überwogen die Vorteile des Sesshaft-Werdens und der Pflege dieser ausgesuchten Arten die des reinen Sammelns und Jagens.
Aber bereits in dieser Zeit begann die Nutzung der dritten wesentlichen Komponente der Biologischen Vielfalt – der genetischen Vielfalt innerhalb von Arten. Die Selektion nach Eigenschaften, etwa der Eigenschaft einzelner Pflanzen, ihre Samen nach der Reife nicht einfach zu Boden fallen zu lassen, oder auch ihre Resistenz gegen Schädlinge, führte im Laufe von Jahrhunderten und Jahrtausenden zur Entwicklung der zentralen Sorten an Nutzpflanzen und -tieren. Dabei blieb aber bis ins 20. Jahrhundert hinein noch eine hohe Sortenvielfalt erhalten.
Schaut man in Kataloge von großen Samenzuchtfirmen des späten 19. Jahrhunderts wie etwa der Firma Benary aus Erfurt, so verblüfft die Formen- und Farbenvielfalt von Kohl-, Karotten-, Bohnen- und Zwiebelarten. Doch die Gründung solcher Firmen, die professionell die Weiterentwicklung von Arten betrieben, eine Aufgabe, die vorher noch vielfach verteilt, auf etlichen Höfen und Betrieben bewältigt wurde, bereitete auch den Weg zur heute bekannten Intensivzucht, die mit großem wissenschaftlichem Aufwand die Sorten immer weiter hin auf bestimmte Eigenschaften optimierte. Es verwundert kaum, dass Firmen wie Benary im 19. Jahrhundert bereits weltweit tätig waren. Mit der Folge einer zunehmenden Konzentration auf wenige Sorten und deren weitere Verbesserung auf wenige Eigenschaften hin. Ganz obenan standen Schädlingsresistenz, Fruchtgröße und bei Gemüsesorten die Haltbarkeit nach der Ernte. Die Frage des individuellen und vielfältigen Geschmacks etwa fiel dabei tendenziell außer Acht, es ging vielmehr um Zuverlässigkeit bei Aufwuchs und eine hohe Haltbarkeit der Früchte und damit um die Sicherung von Ernte und Umsatz.
Mit der zunehmenden Spezialisierung in der Zucht wuchs aber noch die Bedeutung einer weiteren genetischen Eigenschaft. Manche Kreuzungen von Arten tendierten und tendieren in den direkt auf die Elterngeneration folgenden Generationen wieder zur Aufspaltung von Eigenschaften. Das heißt, vermeintlich schlechte Eigenschaften konnten (und können) zurückkehren. Mit der Konsequenz, dass zur weiteren Samengewinnung immer wieder neu gekreuzt werden musste, was für den einzelnen Landwirt oder Gärtner erhebliche Probleme mit sich brachte. Denn anstatt eigenes Saatgut aus einer Ernte zu gewinnen, musste er das Saatgut immer wieder neu vom Züchter kaufen. Da die Züchtung aufwändig ist und es viel weniger Zuchtbetriebe als Gärtnereien und landwirtschaftliche Betreibe gab und gibt, führte dies zwangsläufig zu einer massiven Reduzierung der verfügbaren Sorten, und gerade regionale Sorten, die spezielle Eigenschaften hatten und an das jeweilige Klima angepasst waren, wurden nicht mehr angebaut und gingen verloren.
Die Spezialisierung in der Pflanzenzucht hatte nach dem Zweiten Weltkrieg zur Folge, dass über Gesetze und später die EU-weiten Saatgutverordnungen die Regelungen noch weiter verschärft wurden, sodass nur speziell zugelassene Sorten gezüchtet werden durften. Ein Handel mit „alten“ Sorten, die zahlreiche Kleinbetriebe und Gärtner noch vermehrten und damit erhielten, wurde immer schwieriger, denn deren offizielle Zulassung ist für solche kleinen Betriebe viel zu teuer. Lange kämpften Gärtnereien daher gegen diese aus ihrer Sicht unzumutbare Einschränkung ihrer Arbeit. Nach mehreren Jahrzehnten der Unklarheit wurde erst 2009 durch das Europäische Parlament eine Ausnahmegenehmigung für kleine Betriebe mit einem vereinfachten Genehmigungsverfahren eingerichtet. Im Juli 2012 entschied der Europäische Gerichtshof, dass solchen Betrieben der Verkauf ihres Saatgutes auch aus nicht zugelassenen Sorten erlaubt sein muss, auch bei einer großen Vielfalt im Angebot. Interessanterweise hatte nicht etwa ein kleiner Betrieb geklagt, sondern ein industrieller Großbetrieb, der die Ausnahmeregelung nicht akzeptieren wollte. Die Begründung der Ausnahme in der Verordnung liegt dabei explizit nicht in der Erhaltung von Produktionsleistung in den Sorten, sondern in der Erhaltung der genetischen Vielfalt der Arten. Die Ausnahmeregelung von 2009 ist in der deutschen Saatgutverordnung allerdings noch gar nicht umgesetzt. Auch ist der Vertrieb räumlich regional beschränkt, die Masse des vertriebenen Saatgutes liegt also weiterhin bei den Großanbietern, ganz im Sinne der Produktivität. Quantitätssicherung durch Spezialisierung gegen Qualitätssicherung durch Vielfalt, könnte man sagen.
Diese Fokussierung auf die Quantität in der Dienstleistung Nahrungsmittelproduktion durch die Natur dominiert die Landwirtschaft seit vielen Jahrzehnten. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren war es ungleich mühsamer als heutzutage, landwirtschaftliche Produkte herzustellen. Durch die Kombination von maschinellem Einsatz, Düngemitteln und optimiertem Saatgut haben wir es geschafft, eine enorme Effizienz in Ackerbau und Viehzucht zu entwickeln.
Wer sich das einmal bewusst machen will, auch ohne den Einsatz von Traktor, Kunstdünger und Pestizide zu berücksichtigen, dem sei ein Blick auf die Einsaat weniger Körner Weizen auf dem Balkon empfohlen: Ein Korn bringt mit etwas Pflege in Form von Wasser und ein wenig Nährstoffen zwischen zwanzig und vierzig Körner in einer Ähre (bei einer bis drei Ähren pro Pflanze) zustande, in unserer optimierten Landwirtschaft sind das bei einem Einsatz von ca. 200 Kilogramm Weizensamen pro Hektar ein Ernteertrag von bis zu 8000 Kilogramm pro Hektar, also eine Vermehrung um das Vierzigfache. Wir haben damit die Produktionsleistung des Ökosystems zu unserer direkten Nutzung nahezu perfekt optimiert (Steigerungen sind immer noch möglich, versteht sich).
Wobei Optimierung in den meisten Fällen heißt: Konzentration auf die eine Dienstleistung der Natur, nämlich viel Nahrungsmittel auf wenig Fläche zu erzeugen. Andere Leistungen treten auf diesen Flächen zwangsläufig zurück, eine sich frei entwickelnde Natur ohnehin. Und doch haben einige wenige Pflanzen- und Tierarten davon unglaublich profitiert. Sie sind die Gewinner einer eingegangenen Symbiose mit dem Menschen. So basieren laut der Welternährungsorganisation FAO 75 Prozent unserer Nahrung auf gerade einmal zwölf Pflanzen. Führend sind dabei Weizen, Mais, Reis, Kartoffel und Soja – und das bei ca. 16 000 Pflanzen, die als Nahrungsmittel geeignet wären. Die Produktion von Mais liegt bei ca. 750 Millionen Tonnen pro Jahr weltweit, bei Reis und Weizen sind es ca. 650 Millionen. Die Kartoffel schafft es auf ca. 320 Millionen und die Sojabohne, mit stark steigender Tendenz, auf 260 Millionen. Übertroffen werden diese Feldfrüchte in der Produktion nur noch durch das Zuckerrohr mit 1700 Millionen Tonnen. Dieses wird aber zu großen Teilen für die Herstellung von Treibstoff genutzt, weniger für die Produktion von Zucker als Nahrungsmittel.
Bei insgesamt ca. 270 000 Pflanzenarten weltweit bedeutet das eine enorme Reduktion von Möglichkeiten – und ein klares Signal, wer die Gewinner sind: Mais wurde laut FAO im Jahr 2010 auf 162 Millionen Hektar angebaut, im Jahr 2000 waren es noch 137 Millionen, im Jahr 1965 106 Millionen, eine Zunahme seit 1965 um 65 Prozent. In den EU-Staaten waren es 2010 8,1 Millionen Hektar, davon entfielen 464 000 Hektar auf Deutschland.
Dies sind für Deutschland allerdings nur die Zahlen für den Körnermais. Hier sind die Anbauflächen über die letzten Jahre hinweg recht konstant geblieben. Anders sieht es beim Silomais oder Grünmais aus, wo nicht nur die Körner im Sinne eines Getreides, sondern die ganzen Pflanzen für das Futtersilo oder die Biomassenutzung geerntet werden. Lag hier die Anbaufläche im Jahr 2005 noch bei zusätzlichen 1,26 Millionen Hektar, so waren dies im Jahr 2011 laut Statistischem Bundesamt schon 2,04 Millionen Hektar. Eine Zunahme von sechzig Prozent in nur sechs Jahren. Bei einer Gesamtfläche des Ackerlandes in Deutschland von etwa 11,8 Millionen Hektar sind also mehr als 25 Prozent der Anbaufläche dem Mais gewidmet. Der Weizen dominiert hier noch mit fast 3,2 Millionen Hektar und damit etwa 27 Prozent, aber sein Anteil stagniert, der des Maises steigt vermutlich weiter, denn die Massengewinnung von Biomasse für die Energieerzeugung gewinnt enorm an Bedeutung, wobei hier die zentrale Eigenschaft von Mais gegenüber unseren heimischen Getreidearten zum Tragen kommt. Als „C4-Pflanze“ verfügt Mais über einen anderen, produktiveren Metabolismus und braucht weniger Wasser für die Produktion von derselben Menge Biomasse, auch wenn er dafür mehr Sonnenenergie benötigt. Dies ist ein Vorteil vor allem in trockenen und sonnenreichen Regionen.
Vom Grundgedanken der Evolution her, dass jede Art das Ziel hat, ihr Überleben oder das Fortdauern ihrer Gene zu sichern, gehört der Mais mit zu den erfolgreichsten Arten der Welt. Dies gelang aber vornehmlich durch das Eingehen einer Art Symbiose mit dem Menschen, der durch diese Bevorzugung seine Ernährung sicherstellen kann. Durch diesen enormen Erfolg hat sich der Mais zur co-dominierenden Pflanze dieses Planeten entwickelt, auch wenn die Abhängigkeit von Menschen bedeutet, dass der Mais ohne das menschliche Zutun kaum noch existieren könnte. Denn die meisten Maispflanzen, die heutzutage angebaut werden, wären gar nicht in der Lage, in einer nicht speziell für den Mais bewirtschafteten Umwelt zu gedeihen. Dafür wären wieder andere Anpassungen notwendig, wie sie einer der oben beschriebenen eingewanderten Arten durchaus gelungen sind.
Für den Menschen hat dies auch einen Preis, wie der amerikanische Autor Michael Pollan in seinem Buch „Das Omnivoren-Dilemma“ sehr anschaulich beschreibt: Ein immer größerer Teil unserer Ernährung basiert auf nur sehr wenigen Pflanzen, in Nordamerika zuallererst Mais. Man isst ihn nicht nur direkt, sondern die Pommes Frites werden in Maisöl frittiert, das Brötchen wird mit Maismehl gebacken, und etliche Zusatzstoffe werden ebenfalls aus Maiskörnern und -keimen gewonnen. Und nicht zuletzt werden die Rinder des Hamburgers mit Mais gemästet – auch wenn sie eigentlich Grasfresser sind.
Die tierischen Gewinner – dank Soja
Wenn man sich den tierischen Gewinnern der Landwirtschaft nähern will, gerät neben dem Mais als Ernährungsbasis für Rinder, Schweine und Hühner noch eine weitere Pflanze in den Blickpunkt, die ähnlich wie der Mais als C4-Pflanze eine besondere Eigenschaft hat: die Sojabohne. Wie Bohne und Erbse gehört Soja zur Familie der Hülsenfrüchtler oder Leguminosen. Wie manch andere Pflanzenfamilien auch haben Leguminosen eine besondere Fähigkeit entwickelt, um ein knappes Gut für das Pflanzenwachstum, den Stickstoff, für sich zu gewinnen.
Leguminosen gehen in ihren Wurzelknöllchen eine Symbiose mit Pilzen ein, die die Fähigkeit besitzen, Stickstoff aus der Luft zu binden. Dafür werden die Pilze von den Pflanzen mit Kohlenhydraten versorgt. Lange war der zwischenzeitliche Anbau von Leguminosen der beste Weg, um landwirtschaftliche Flächen mit Stickstoff zu versorgen, erst die breite Einführung von Kunstdünger machte dies überflüssig. In der ökologischen Landwirtschaft hat der Leguminosen-Anbau diese Rolle wieder aufgegriffen.
Neben dieser Leistung von Leguminosen sind die Pflanzen aber auch als Zwischenprodukt in der Landwirtschaft von zentraler Bedeutung. Pflanzen und Samen von Leguminosen haben meist einen hohen Gehalt an Eiweiß, Vitaminen und Mineralstoffen und sind daher als Viehfutter von besonderer Bedeutung. Die Sojabohne ist dabei besonders relevant, sie enthält bis zu 34 Prozent an Protein.
Die Soja-Anbaufläche wächst von allen Anbauflächen am stärksten und betrug im Jahr 2010 102,4 Millionen Hektar weltweit. 1990 lag die Fläche erst bei der Hälfte, 1965 bei einem Viertel. Das hat aber weniger damit zu tun, dass die weltweite Nachfrage nach Tofu und anderen Sojaprodukten für den direkten Verzehr steigt, vielmehr ist es der Hunger der Menschheit nach Fleisch, der diese Entwicklung vorantreibt. Denn genauso, wie wir die Produktion von einigen wenigen Pflanzen immer weiter optimiert haben, verlangt auch die optimierte Tierhaltung nach Effizienz, und das heißt vor allem, die Nahrung der Tiere muss so energiereich wie möglich sein, um die Mastzeit, so weit es geht, zu verkürzen.
Schätzungsweise fünfzehn Milliarden Stück Geflügel, 1,3 Milliarden Rinder und 920 Millionen Schweine weltweit sind das Ergebnis. So wird geschätzt, dass allein ein Drittel der Getreideproduktion pro Jahr für die Fütterung von Tieren genutzt wird. Der „lange Schatten des Viehs“, wie der Bericht die Auswirkungen dieser sich entwickelnden Landwirtschaft nennt, ist in der Tat – sehr lang:
- Die intensive Landwirtschaft in den Industrieländern belastet die Umwelt mit Nährstoffen, hat einen hohen Energiebedarf und macht einen breiten Einsatz von Antibiotika nötig, was zu Resistenzbildungen von Krankheitserregern gegenüber den Mitteln führen kann.
- Die extensive Haltung von Vieh in den Trockengebieten der Erde führt häufig zu einer Überlastung der Produktionsfähigkeit dieser Gebiete und unterstützt damit eine Versteppung oder gar die Wüstenbildung.
- Die Produktion einer Tonne Fleisch verbraucht zwischen 4000 (beim Huhn) und 16 000 Kubikmeter (beim Rind) Wasser.
- Der Ausstoß von Lachgas und Methan durch Wiederkäuer fördert direkt den Klimawandel, ebenso die Emissionen aus ihren Ausscheidungen.
Der Bericht der FAO kommt hier zu dem Schluss, dass die Viehhaltung insgesamt – mit ihren vielen Auswirkungen auf die Umwelt – zu den fünf wichtigsten Treibern der globalen Umweltzerstörung gehört und damit auch die Biodiversität massiv beeinträchtigt, einerseits durch den durch sie unterstützten Klimawandel, vor allem aber durch die Zerstörung natürlicher Lebensräume auf Kosten von Viehweiden oder Anbauflächen von Futtermitteln, wobei Soja an vorderster Front steht. Nicht zuletzt sind Nutztiere, die sich frei in der Landschaft bewegen oder später verwildern – z. B. Schweine, Rinder, Schafe oder Ziegen –, auch invasive Arten: Sie konkurrieren mit anderen, einheimischen Pflanzenfressern um die Ressourcen und zerstören unter Umständen empfindliche Ökosysteme. Vor allem auf Inseln, wo solche Tiere als Fleischressource eingeführt wurden, sind die Auswirkungen auf die örtliche Fauna und Flora erheblich.
Auch das Mehr hat Grenzen – vor allem in der Fläche
Deutschland als schon weitgehend „ausgenutztes Land“ zeigt, dass es ein sehr einfaches Problem bei der Nutzung für die Landwirtschaft gibt: die Fläche. Über die letzten zwanzig Jahre hat die landwirtschaftlich genutzte Fläche konstant abgenommen, vor allem zugunsten bebauter Fläche. Von 1993 bis 2011, also in achtzehn Jahren, nahm die Agrarfläche in Deutschland von 17,2 Millionen Hektar auf 16,7 Millionen Hektar ab. Und dabei hat das Ackerland (11,84 Millionen Hektar) gegenüber dem Grünland (4,65 Millionen Hektar) konstant an Boden gewonnen, was aus verschiedener Hinsicht ein Problem ist. Wiesenflächen sind tendenziell artenreicher, aber auch nachhaltiger in der Erbringung von Dienstleistungen für den Menschen. Die Bodenerosion auf Grünland ist deutlich geringer, und im Boden wird mehr Kohlenstoff gespeichert als in Ackerböden.
Angesichts solch großer Dimensionen von Millionen von Hektar macht man sich kaum klar, um welche Flächen es dabei geht. Um die Zahl besser fassbar werden zu lassen, greift man gerne auf Indikatoren zurück, also Zahlen, die einen bestimmten Zustand oder Trend anzeigen, der letztendlich darauf schließen lässt, ob die Maßnahmen der Politik auf ein Ziel hin erfolgreich sind. Für den Flächenverbrauch durch Siedlungen und Verkehrswege, also versiegelte Flächen durch Baumaßnahmen, hat man entsprechend die Fläche hergenommen, die in Deutschland pro Tag neu versiegelt wird. Das kann das große Einkaufszentrum auf der grünen Wiese sein oder das neue Wohngebiet. Nicht unwichtig sind aber auch die Verkehrswege, zum Beispiel der dreispurige Ausbau einer bestehenden Autobahn oder die neue Umgehungsstraße einer Landstraße. Es betrifft aber auch im Kleinen den zweiten Autostellplatz im eigenen Garten, den man pflastert, oder die „Nachverdichtung“ in der Stadt, wo in größere grüne Höfe noch weitere Wohngebäude eingebaut werden. Was aber bedeutet das in ganz Deutschland pro Tag? Um es in der üblichen Einheit auszudrücken: Derzeit geht es je nach Konjunkturlage um zwischen 156 und 250 Fußballplätze an täglicher Neuversiegelung. Neu angelegte Fußballplätze gehören im Übrigen mit zu diesen Flächen. Ein Fußballplatz ist dabei mit einem halben Hektar angesetzt, die jährliche Versiegelung schwankt also im Laufe der letzten Jahre zwischen 125 Hektar (Hochkonjunktur im Jahr 2004) und 78 Hektar im Jahr 2009 (wo die Finanzkrise erstmals zugeschlagen hatte). Bei einem Mittelwert über die letzten Jahre von 94 Hektar pro Tag werden jährlich 34 310 Hektar – oder das Doppelte an Fußballplätzen – in Deutschland versiegelt. Dies entspricht einer Fläche so groß wie ein Drittel Berlins.
Der Anteil an Verkehrsflächen liegt seit vielen Jahren recht konstant bei etwa 22 Hektar Zunahme pro Tag, stark zugenommen haben in den letzten zehn Jahren die Erholungsflächen und Friedhöfe, während vor allem die Gebäudebebauung inklusive Betriebsflächen über die Jahre hinweg betrachtet zwischen zwanzig und fünfzig Hektar pro Tag schwankt. Alles in allem zeigt sich zwar ein leicht abnehmender Trend, aber bei einem wirtschaftlichen Aufschwung kann sich dies schnell wieder ändern.
Das vor einigen Jahren in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung festgelegte Ziel liegt deutlich unter den derzeitigen 94 Hektar – nämlich bei dreißig Hektar, die im Jahr 2020 erreicht sein sollen. Dahin ist es noch ein weiter Weg – aber ein lohnender, um ein weiteres Schwinden landwirtschaftlicher Flächen zu vermeiden, denn trotz all den großen Mengen, die in der Landwirtschaft in Deutschland produziert werden, ist jeder Deutsche mit seinem Konsum weiterhin ein Importeur von landwirtschaftlicher Biomasse aus dem Ausland.
Für jeden Einzelnen von uns gilt das direkt, wenn wir an Kaffee, Tee, Ananas, Kiwis oder auch nur Kartoffeln aus Nordafrika denken. Insgesamt, so geht aus einem Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina hervor, gehen neunzig Prozent der in Deutschland erzeugten Biomasse von Feldern und Wiesen (insgesamt ca. 53 Millionen Tonnen jährlich) in unsere Nahrungsmittel, in Tierfutter und in die industrielle Produktion. Hinzu kommen aber nochmals etwa dreißig Prozent dieser Menge aus Importen. Kaffee, Tee oder die Ananas machen dabei relativ wenig aus, den Großteil bildet Soja und dient der Tierfütterung und damit unserem Fleischkonsum. Unserer Landnutzung pro Kopf übersteigt damit deutlich die Fläche, die wir dafür in Deutschland eigentlich zur Verfügung haben.
Fläche bekommt damit eine völlig neue Bedeutung in der Umweltdiskussion: Wie erhalten wir möglichst viele Leistungen aus der vorhandenen Fläche der Erde – und wie entscheiden wir, welche Nutzung wo Vorrang hat? Wie viel braucht der primäre Sektor zur Nahrungsmittelerzeugung, wie viel die Energieerzeugung für alle Sektoren? Und wie viel bleibt allein der Biodiversität in Form von Schutzgebieten vorbehalten? Der erste Impuls einer planenden Gesellschaft ist hier, Flächennutzungen zuzuweisen. In Deutschland geschieht das schon lange in Form der Landschaftsplanung und durch detaillierte Flächennutzungspläne. Darin werden Nutzungen zumeist schlicht flächig getrennt. Natur aber ist, auch in ihren Serviceleistungen für den Menschen, multifunktional. Dies zu berücksichtigen wird zunehmend wichtiger werden, allein schon zur Erhaltung unserer Gesundheit.
Mehr-Werden im Windschatten – Schädlinge, Parasiten, Viren und Allergene
Im Windschatten der vielen skizzierten Veränderungen des Mehr- und Weniger-Werdens breiten sich auch die Facetten einer Vielfalt aus, die unserem Wohlergehen und dem der von uns geförderten Organismen – ob Pflanze, ob Tier – wiederum abträglich sind. Im Sinne der Ökosystemdienstleistungen könnte man hier von Missleistungen (englisch: disservices) sprechen. Wie bei invasiven Arten sind diese Missleistungen zumeist ungewollte Nebeneffekte von erwünschten Leistungen. So ist die massive Ausbreitung von Pflanzenschädlingen oder von Krankheitserregern bei Zuchttieren vielfach eine schlichte Konsequenz aus deren Intensivnutzung. Und folglich gerät deren Bekämpfung wiederum zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, der das ökonomische Wachstum steigert. Antibiotika sind in der Tiermast heute eine Selbstverständlichkeit, ebenso der Einsatz diverser chemischer Pflanzenschutzmittel – doch dazu später mehr. Und trotzdem vermögen es gerade Viren, Bakterien und Mikroorganismen, dieser Bekämpfung immer wieder ein Schnippchen zu schlagen, da sie genetisch enorm anpassungsfähig sind. Manche lassen sich daher effektiver mit ökologischen Mitteln bekämpfen, wie etwa bei der Schädlingsbekämpfung im ökologischen Landbau, wo auf die regulierenden Leistungen von Nützlingen gesetzt wird. Auch dies ist mittlerweile ein Geschäft – denn anstatt sich der chemische Lösung mit Spritzmitteln zu bedienen, kann man sich heutzutage auch Florfliegen oder Marienkäferlarven als lebende Blattlausbekämpfer in den Garten holen – einfach durch Bestellung im Internet.
Ist die „Fehlleistung“ der Natur hier noch durch Natur bekämpfbar, kann sie in anderen Fällen auch erhebliche Auswirkungen haben, etwa auf die Gesundheit. So hängt die Vielfalt an Krankheitserregern, die auch dem Menschen gefährlich werden können, global gesehen zunächst direkt mit der Artenvielfalt von Säugetieren und Vögeln zusammen, da Erreger von diesen Tiergruppen relativ leicht auf den Menschen überspringen können – die Vogelgrippe-Epidemie von 2006 ist ein Beispiel dafür. Durch ein immer stärkeres Eindringen der Menschen in deren Lebensräume und einen stärkeren Kontakt zu den Tieren, etwa auch durch die Jagd, vermutet man auch steigende Risiken von Infektionen mit neuen und gefährlichen Erregern.
So dringen aufgrund des Klimawandels und möglicher Einbringung durch die weltweiten Handelsströme zunehmend Mückenarten nach Deutschland, die normalerweise nur im Mittelmeerraum oder in den Tropen vorkommen und als Überträger gefährlicher Krankheiten bekannt sind. Die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) etwa ist zunehmend in Mittelmeerländern und auch schon in Deutschland anzutreffen. Nach Europa gelangt sie durch den Import gebrauchter Autoreifen, in denen sich kleine Wasserlachen halten, die den Eiern das Überleben ermöglichen. Die asiatische Tigermücke kann das Dengue-Virus und zahlreiche anderen Viren übertragen, weswegen wieder verstärkt Monitoring-Maßnahmen für Mücken in Europa nötig werden, eine Tätigkeit, die man Mitte des 20. Jahrhunderts eingestellt hatte, weil es gelungen war, die Malariamücke weitgehend auszurotten. Doch auch die könnte im Zuge des Klimawandels irgendwann wieder nach Europa kommen.
Ein anderes Beispiel mit potenziell enormen Kosten ist die schon erwähnte Beifußblättrige Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), die aus Nordamerika stammt und schon lange in verschiedene Regionen in Europa eingeschleppt worden ist. Nach Deutschland gelangte sie vermutlich verstärkt ausgerechnet durch Naturfreunde – denn viele Samenmischungen für die Vogelfütterung, aber auch Saatmischungen für den Landschaftsbau waren und sind mit Ambrosien-Samen verunreinigt. Das Problem der Pflanze ist weniger ihre Ausbreitung und die mögliche Gefährdung einheimischer Arten als vielmehr ihr enormes allergenes Potenzial. Hinzu kommt, dass die Ambrosie erst im Spätsommer und Herbst blüht und damit die Leidenszeit für Pollenallergiker über die Blütezeit der einheimischen Allergie-verursachenden Pflanzen wie Gräser, Birke und Hasel hinaus noch weiter verlängert. Ökonomen am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung haben zusammen mit Gesundheitsforschern aus München im Jahr 2012 berechnet, was es bedeuten könnte, wenn sich die Ambrosie weiter ausbreiten würde. Die Kosten könnten sich auf 200 000 Millionen bis eine Milliarde Euro belaufen – pro Jahr. Dies errechnet sich aus den möglichen wachsenden Behandlungskosten der Allergiker, die um zehn bis 25 Prozent steigen könnten, was jährlichen Mehrkosten von ca. 1300 bis 2100 Euro pro Patient entspräche. Auch wenn es sich hier nur um grobe Schätzungen aufgrund einer Stichprobe von Betroffenen handelt, zeigt sich doch, wie schnell ein Mehr einer invasiven Art zu hohen Kosten führen kann. In Ungarn etwa, wo die Beifuß-Ambrosie schon fast flächendeckend verbreitet ist, ist seit einigen Jahren etwa ein Zehntel der gesamten Bevölkerung gegen die Pollen sensibilisiert. In der Schweiz gibt es bereits strenge Regelungen, die jeden Grundstücksbesitzer verpflichten, einen Fund der Pflanze zu melden und sie zu vernichten. Dort gibt es online eine Bestimmungshilfe, um auch als Nichtbotaniker festzustellen, ob man eine Ambrosie in seinem Garten hat. Diese Meldeund Vernichtungspflicht hat die Bestände in den letzten Jahren erheblich zurückgehen lassen. In Deutschland ist die Situation noch wesentlich schwieriger. In Brandenburg und Berlin, dem derzeitigen Hauptverbreitungsgebiet, treten immer wieder größere Bestände auf. In Berlin existiert eine „Ambrosie-Patrouille“, die Straßen und Brachflächen nach den Pflanzen absucht. Doch es gibt ein Problem. Werden Pflanzen auf einem privaten Gelände entdeckt, kann das nur gemeldet werden. Das Gelände zu betreten, um die Pflanze zu vernichten, ist nicht erlaubt. Aber immerhin kann sich jeder aktiv an der Suche beteiligen und Funde beim Aktionsprogramm gegen Ambrosia der Freien Universität Berlin melden. Befinden sich die Funde im öffentlichen Raum, werden sie vernichtet.
Die Beispiele von Krankheitserregern und gefährlichen eingeschleppten Arten wie der Ambrosie zeigen, wie sehr das Mehr-Werden von Teilen der Natur nicht nur positiv auf den Menschen wirkt, sondern wie wenig es überhaupt gesteuert wird, häufig unterliegen diese Prozesse nicht unserer Kontrolle. Mit Folgen nicht nur für die Natur, sondern auch für unsere Gesundheit und die Wirtschaft. Was wir jedoch als Missleistungen der Natur für den Menschen wahrnehmen, hat seinen Grund zumeist im Menschen selbst. Ein logischer Schritt des menschlichen Umgangs mit der Natur ist dann, solchen und anderen negativen Folgen mit menschlichem Erfindergeist zu begegnen und der Natur ein Schnippchen zu schlagen – indem wir das „Künstliche“ in die Natur Einzug halten lassen.
Ein Mehr an Künstlichem und seine Auswirkungen – Dauerhaftes im negativem Sinne
Grundsätzlich schätzen wir unser Essen sehr – hinsichtlich der Qualität ebenso wie der Quantität. Deswegen bemüht sich der Mensch schon seit sehr langer Zeit, seine Nahrungsmittel gegen die oben genannten Mitesser zu schützen. Die moderne Landwirtschaft macht es nötig, diese Mitesser meist chemisch zu bekämpfen. Heute sind allein in Deutschland ca. 250 Wirkstoffe und 1900 Präparate zugelassen, auf europäische Ebene sind es rund 800 Wirkstoffe und 20 000 Präparate – auch hier herrscht also eine sehr große Vielfalt. In Deutschland wurden im Jahr 2010 über 97 000 Tonnen an Pestiziden produziert, davon gingen 66 000 Tonnen in den Export, die Nutzung in Deutschland liegt bei ca. 35 000 Tonnen, in der gesamten EU bei ca. 100 000. Die Auswirkungen sind vielfältig, nicht allein auf die Zielorganismen, sondern auch auf „nützliche“ Arten, wie das Beispiel der Bienen zeigt. Aber auch die indirekten Effekte nehmen eher weiter zu als ab. Vor fünfzig Jahren, im Jahr 1962, veröffentlichte Rachel Carson mit „Der stumme Frühling“ das vielleicht einflussreichste Buch zum Thema Umweltbedingungen, in dem sie eindrucksvoll die verschiedenen Effekte von Pflanzenschutzmitteln und anderen Umweltgiften auf die Natur schilderte, sei es die schleichende Vergiftung in der Nahrungskette, seien es die direkten Auswirkungen auf einzelne Arten, etwa die Effekte des mittlerweile in Europa und den USA verbotenen DDT auf die Weißkopfseeadler, deren Eierschalen so dünn wurden, dass die Eier beim Bebrüten zerbrachen.
Waren früher die direkten Schädigungen an der Natur vielfach sichtbar und Rückstände häufig nachweisbar, haben sich heute die Gefahren verschoben. So gelten in Europa sehr strenge Richtlinien, viele besonders schädliche Produkte mussten vom Markt genommen werden, in anderen Regionen der Welt werden sie aber vielfach weiterhin genutzt. So ist DDT in etlichen tropischen Ländern weiterhin intensiv in Gebrauch, um die Anopheles-Mücken als Hauptüberträger der Malaria unter Kontrolle zu halten.
In Europa kommen neue Probleme zum Vorschein: Konnte man bislang mit der Angabe und Kontrolle von Höchstkonzentrationen einzelner Schutzmittel etwaige Schäden vermeiden, zeigt sich inzwischen mehr und mehr, dass auch geringe Konzentrationen Auswirkungen auf Tiere und Pflanzenpopulationen haben, wenn mehrere Mittel miteinander kombiniert werden. Das erschwert die Erfassung dieser Mittel und eine Gefahrenanalyse zunehmend.
Hinzu kommt auch die Allgegenwart von chemisch produzierten Stoffen in der Umwelt. Im Grundwasser vieler Städte und ihren Flüssen lassen sich immer mehr Arzneimittel nachweisen, so etwa Rückstände von Beta-Blockern und Anti-Baby-Pillen. Darunter befinden sich auch hormonell wirksame Stoffe, also Stoffe, die in den Stoffwechsel der Organismen eingreifen und etwa zu einer reduzierten Fortpflanzungsrate führen.
Diesen sehr speziellen Vergiftungen von Tieren und Pflanzen (und auch vielfach des Menschen) steht aber eine noch viel breitere Vergiftung ganzer Regionen entgegen.
Sieht man einmal ab von den direkten Verschmutzungen der Umwelt durch die Industrie – Stichwort Waldschäden und tote Flüsse –, geht die größte weltweite Verschmutzung auf eine Erfindung aus dem Jahr 1910 zurück. Zuvor war mehr und mehr klar geworden, dass man den steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln aus dem Ackerbau nicht würde decken können, wäre man nicht in der Lage, mehr Stickstoff für die Felder verfügbar zu machen. Stickstoff war der limitierende Faktor des Pflanzenwachstums, die Pflanzen brauchen ihn, um Photosynthese zu betreiben und damit besser zu wachsen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Elementen wird Stickstoff aber nur in sehr geringem Maße durch die Bodenbildung, sondern vor allem durch organische Substanz in den Boden eingebracht.
Stickstoff-Zufuhr auf die Felder wurde daher bis in diese Zeit nur durch die Einbringung von Tiermist und Knochenmehl, den Zwischenanbau von Stickstoff-bindenden Leguminosen, und später durch den Import von Vogelguano sichergestellt. Dieses Angebot reichte aber nicht, um den steigenden Bedarf zu decken. 1910 entwickelten die Wissenschaftler Fritz Haber und Carl Bosch bei der Firma BASF das nach ihnen benannte Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Ammoniak, einem wichtigen Düngemittelgrundstoff, aus Luftstickstoff und Wasserstoff. Beide bekamen dafür in verschiedenen Jahren den Chemie-Nobelpreis. Heute wird ein Großteil der weltweiten Ammoniakproduktion von 100 Millionen Tonnen durch das Haber-Bosch-Verfahren hergestellt, das energetisch sehr aufwändig ist: Es werden Drücke von über 250 Bar und Temperaturen von mehr als 450°C benötigt. Man schätzt, dass über ein Prozent des weltweiten Energieverbrauches in das Haber-Bosch-Verfahren fließt.
Durch die breite und preiswerte Verfügbarkeit von Stickstoff-Kunstdünger haben wir heute eine weltweite Überdüngung – nicht nur der Äcker und Wiesen, sondern auch fast aller anderen Ökosysteme. In einer natürlichen Umwelt liegen die Einträge von Stickstoff in Ökosystemen durch physikalische und biologische Prozesse bei etwa zehn bis zwanzig Kilogramm pro Hektar und Jahr. Darauf sind die Ökosysteme eingestellt. In Mitteleuropa liegen diese Einträge allerdings mittlerweile beim Zehn- bis Zwanzigfachen oder noch höher. Neben den Einträgen aus der Landwirtschaft spielen auch die Einträge aus Abgasen vor allem des Verkehrs eine erhebliche Rolle. Konzentrieren sich diese Belastungen heute noch auf Europa bis zum Ural, die USA und kleinere Regionen Asiens, erwartet man für das Jahr 2050 eine massive Ausweitung des Phänomens vor allem in Südamerika und Asien, und dort insbesondere in China und Indien.
Die Effekte können wir in Europa bereits seit Jahrzehnten beobachten: Flüsse und Meere, vor allem Nord- und Ostsee, leider unter einer massiven Überdüngung. So kommt es in den Meeren zu verstärkten Algenblüten, d. h. einer massiven Vermehrung von kleinen Algen, die, je nach Art, auch Giftstoffe produzieren und somit Tiere und den Menschen gefährden. Seit den 1990er-Jahren treten im Wattenmeer vermehrt großflächige sogenannte „Todeszonen“ auf – Wattflächen, auf denen fast alles Leben abgestorben ist, da bei der Zersetzung der Algen aller Sauerstoff im Wattboden aufgebraucht wird.
Im Golf von Mexiko, dort, wo der Mississippi seine Nährstofffracht aus den USA ablädt, sind solche Zonen seit den 1980ern jedes Jahr zu beobachten. Im Jahr 2002 war die Zone ca. 22 000 Quadratkilometer groß – so groß wie der Bundesstaat Massachusetts. Ein Bericht aus dem Jahr 2010 stellt fest, dass das Problem mittlerweile in fast 170 Küstenregionen auf der ganzen Welt bekannt ist. Während die ökologischen Folgen dieser Flächen noch weiter erforscht werden müssen, ist die Auswirkung der Überdüngung an Land und in Flüssen und Seen hinlänglich bekannt. Ökosysteme, die von Natur aus arm an Nährstoffen sind und Lebensraum für daran angepasste Arten bieten, werden immer seltener. Entsprechend sind diese Arten häufig stark in ihrem Vorkommen dezimiert und auf den Roten Listen gefährdeter Arten wiederzufinden. Ein bekanntes Beispiel ist die „bunte Blumenwiese“, die viele von uns noch aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennen, die aber immer mehr durch wuchsstarke Arten nach Düngung verdrängt wurden. Viele Wiesen sind daher nur noch im Frühling „bunt“, wenn der Löwenzahn blüht, danach dominieren Gräser das Bild, nicht zuletzt, weil sie die mit der Düngung einhergehende drei- bis fünfmalige Mahd im Jahr verkraften können.
Von unzähligen Flüssen und Seen ist bekannt, dass sie aufgrund der Nährstofffrachten „umkippen“, d. h. ähnlich wie die Todeszonen in den Meeren durch einen starken Algenwuchs und die folgende Verrottung zu sauerstofffreien Zonen wurden, und dass darin ganze Fischpopulationen ausstarben. In Deutschland mag dieses Bild selten geworden sein, da die massive Investition in Klärwerke seit den 1970er-Jahren zu einer deutlichen Verbesserung geführt hat, aber weltweit ist es weiterhin ein großes Problem.
Mit der flächendeckenden Düngung und dem intensiven Pestizideinsatz wird landwirtschaftliche Produktion erhalten oder erst möglich gemacht. Gleichzeitig bedroht diese aber die Vielfalt der Leistungen, die die Natur erbringt – und die Vielfalt der Arten.
Wieder mehr werden – Aufwand für seltsame Papageien und andere seltene Tiere
In den zuvor genannten Aspekten des Mehr-Werdens spiegelt sich auch immer ein Weniger-Werden in der Natur wider, zumeist bei Arten und Populationen, oder auch der von Menschen entwickelten und jetzt wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwindenden Vielfalt an Nutzpflanzen und -tieren. Natürlich ist es nicht so, dass der Mensch diesen Verlust an Arten und Ökosystemen einfach so hinnimmt. Vielfach werden Maßnahmen ergriffen, um den Effekt der intensiven Naturnutzung und der Beschränkung etwa auf die Produktionsleistung einer Agrarlandschaft abzumildern oder ganz zu verhindern. Naturschutzrecht, Landschaftsplanung und auch die Agrarpolitik versuchen dies in Deutschland mit einem breiten Instrumentarium, wenn auch mit sehr unterschiedlichem Erfolg.
Zu den bemerkenswertesten Erfolgen kommt es in jenen ganz besonderen Fällen, in denen die Naturverbundenheit des Menschen zu einem enormen Einsatz von Mitteln führt, um das Überleben einer Art mit nur noch wenigen Individuen sicherzustellen. Beispiele hierfür finden sich vielfach auf Inseln. Wenn es etwa um seltene Vögel geht, fällt einem zuerst Neuseeland ein. Dort gab es mit den Moas die größten Laufvögel der Welt, die in mehreren Arten aber bereits im 15. Jahrhundert, noch vor der Ankunft der Europäer also, durch die Maori ausgerottet wurden. Genauso gibt es dort die Kiwis und den Kakapo, den womöglich bekanntesten Vogel, den ein enormer Aufwand an Geldmitteln und persönlichem Einsatz vieler Naturschützer und Biologen vorerst vor dem Aussterben bewahrt hat. Bekannt geworden sind der Kakapo und seine Geschichte durch eins der beeindruckendsten Bücher über das Artensterben durch den Menschen, das Buch „Die Letzten ihrer Art“, das der Science-Fiction-Autor Douglas Adams zusammen mit dem Zoologen Mark Carwardine im Jahr 1990 verfasste. Die beiden Autoren berichten, wie sie einige wenige der seltensten und bedrohtesten Arten der Zeit besuchten – oder dies zumindest versuchten. Den chinesischen Flussdelfin des Jangtse, den Baiji, konnten sie schon nicht mehr in Freiheit entdecken und sahen nur das einzige Individuum, das in einem Aquarium lebte. Heute gilt der Baiji als ausgestorben. Ähnlich sah es zu der Zeit für den Kakapo aus. Er ist der einzige flugunfähige Papagei der Welt und mehrere Kilogramm schwer. Vor der Einschleppung von Ratten, Katzen, Mardern und anderen Feinden lebte er in ganz Neuseeland. Da er aber über eine äußert langsame Vermehrung verfügt – die Weibchen brüten nur in Jahren mit guter Nahrungsversorgung und ziehen dann zumeist auch nur ein Junges pro Jahr groß –, war der Bestand in ganz Neuseeland nach der Besiedlung durch die Europäer rapide gesunken. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es erste Versuche, die schwindenden Bestände zu schützen und durch Umsiedlung auf kleine Inseln zu erhalten. Aber immer wieder waren dort auch Feinde vorhanden, etwa Katzen, oder diese kamen später durch Besiedlung hinzu, sodass alle Programme erfolglos blieben. Erst 1989 wurde systematisch ein Kakapo-Erholungsplan erarbeitet und umgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt gab es auf zwei kleinen Inseln gerade einmal noch fünfzig Individuen, davon neunzehn Weibchen. Mit enormem Aufwand und ständiger Betreuung ist es bis heute gelungen, die Anzahl der Kakapos wieder auf 127 Tiere zu erhöhen, aber es wird auch auf den kleinen Inseln noch einer langen Zeit intensiver Betreuung durch den Menschen bedürfen, bis der Bestand gesichert ist. Eine Wiederansiedlung auf dem Festland erscheint aufgrund der vielfältigen Gefahren durch Raubtiere kaum möglich.
Ein noch spektakuläreres Beispiel für eine solche Erholung ist einem kleinen, spatzengroßen Vogel zuzuschreiben, von dem 1980 gerade einmal fünf Exemplare lebten, dem Chatham-Schnäpper. Die Chatham-Inseln liegen über 600 Kilometer östlich von Neuseeland und wurden früh durch die Moriori, ein polynesisches Volk, und später von den Europäern besiedelt. Wie auch auf den Hauptinseln Neuseelands gibt es zahlreiche, nur dort vorkommende Tier- und Pflanzenarten, die durch eingeschleppte Arten vielfach bedroht und ausgerottet wurden. So sind von den achtzehn ursprünglich nur dort vorkommenden Vogelarten bereits dreizehn ausgestorben, darunter eine Enten-, eine Pinguin- und eine Raben-Art. Noch erhalten sind eine Kormoran- und eine Sturmvogelart – und eben der Chatham-Schnäpper. Er hatte auf einer kleinen Insel überlebt, und nur noch ein Pärchen konnte erfolgreich brüten. Dem Weibchen, „Old Blue“ genannt, wurde nach ihrem Tod sogar eine Gedenktafel gewidmet, als Retterin ihrer Art.Alle heute lebenden Chatham-Schnäpper, es handelt sich um ca. 260 Tiere, stammen von diesem einen Weibchen ab. Im Gegensatz zum Kakapo können sich die Schnäpper als Singvögel schneller selbst erholen und bilden heute auf zwei kleinen Inseln (einen bzw. zwei Quadratkilometer groß) sich selbst erhaltende Populationen, wobei allerdings stets darauf geachtet werden muss, dass keine Räuber wie Ratten oder Mäuse auf diese Inseln eingeschleppt werden. Das langfristige Ziel ist, auf einer der Inseln die ursprünglichen Wälder, deren Zerstörung auch ein Grund für den Rückgang der Art war, wiederherzustellen und darin mehrere selbständige Populationen des Schnäppers zu etablieren. Aber viele Gefahren bleiben bestehen. Ein einziger Sturm, der beide Inseln trifft, könnte den Bestand enorm gefährden. Auch hat sich der Gemeine Star, ebenfalls durch den Menschen eingeführt, auf die beiden Refugien des Schnäppers ausgebreitet und konkurriert um Nistplätze, er könnte aber auch Krankheiten übertragen, denen die Schnäpper bisher nicht begegnet sind und die sie möglicherweise schnell dezimieren. Hierbei könnte auch eine Rolle spielen, dass die genetische Vielfalt so enorm reduziert ist – alle lebenden Exemplare stammen ja nur von einem Weibchen ab.
Auch bei uns befinden sich manche Arten dank intensiver Betreuung und flächenhaftem Schutz wieder auf dem aufsteigenden Ast. Dabei geht es bei uns meist nicht um so charismatische Tiere wie den Kakapo oder eher unscheinbare wie den Chatham-Schnäpper, sondern häufig um Arten, die der Mensch bewusst dezimiert oder gar ausgerottet hat, weil sie eine Gefahr oder noch mehr eine Konkurrenz um eine Ressource in der Natur darstellten. Zur ersten Kategorie gehörte der Biber. Er wurde lange wegen seines dichten Fells, aber auch zum Fleischverzehr gejagt. Der Biber galt wegen seines Schwanzes als „Fisch“ und durfte daher in der Fastenzeit gegessen werden. Brehm schreibt in seinem „Thierleben“ von 1865: „Der große Nutzen, welchen der Biber gewährt, gleicht den Schaden, welchen er anrichtet, fast aus. Man muß dabei festhalten, daß der Biber vorzugsweise unbevölkerte Gebiete bewohnt und am liebsten dünne Schößlinge von Holzarten fällt, welche rasch wieder nachwachsen. Dagegen bezahlt er mit Fell und Fleisch und mit dem Bibergeil nicht bloß den angerichteten Schaden, sondern auch alle Mühen und Beschwerden der Jagd sehr reichlich. Noch immer bildet der Bibergeil einen bedeutenden Handelsgegenstand. Vor 40 Jahren zahlte man ein Loth desselben mit einem Gulden; gegenwärtig kostet es bereits 10 Gulden und darüber.“ Der Bibergeil war eine Drüse, aus dessen Sekret der Biber unter anderem sein Fell einfettete. Noch heute ist die getrocknete Substanz in Apotheken erhältlich, ihr wurden lange verschiedene heilende Wirkungen nachgesagt. Da man darin aufgrund der Ernährung des Bibers durch Weidenrinde auch Salicylsäure, den Ursprungsstoff des Schmerzmittels Acetylsalicylsäure, nachgewiesen hat, existiert wahrscheinlich sogar eine gewisse gesundheitsfördernde Wirkung. Wie die steigenden Preise für Bibergeil schon zu Zeiten Brehms zeigen, war der Biber bereits damals stark im Rückgang begriffen, im 19. Jahrhundert kam er an kaum einem der mitteleuropäischen Flüsse mehr vor.
Durch intensiven Schutz, zuletzt durch die europaweite Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die aktive Wiederausbreitung etwa an der Elbe und auch durch Wiederansiedlungsprogramme (teilweise mit kanadischen Bibern) breitet sich der Biber nun vor allem im Süden Deutschlands wieder stark aus und ist in allen Flächenländern Deutschlands vertreten. Der Bestand in Deutschland wird heute etwa auf 20 000 Tiere geschätzt. Damit kommen aber auch alte Konflikte wieder auf, und neue gesellen sich dazu. Anders als zu Brehms Zeiten gibt es in Mitteleuropa kaum noch „unbevölkerte Gebiete“, Biber untergraben daher Dämme und Fahrwege, fällen auch wertvolle Bäume an wie etwa Obstbäume und fressen im Sommer schon einmal Maispflanzen und andere Feldfrüchte in Ufernähe. Nicht zuletzt kann es durch die Biberdämme zu Überflutungsschäden in Ufernähe kommen.
Daher wird ihre Ausbreitung durch Managementpläne und sogenannte Biberberater begleitet, die die Tiere beobachten, Landwirte und die Bevölkerung aufklären und teilweise Hilfen bei finanziellen Einbußen vermitteln, sollte es doch zu Schäden kommen. Bei besonders kritischen Konflikten werden die Biber unter Umständen sogar gefangen und an anderer Stelle wieder ausgesetzt.
Ähnliche Ansätze gibt es beim europäischen Fischotter. Auch er war in Mitteleuropa fasst ausgerottet. Er wurde ebenfalls wegen seines Fells bejagt, aber auch, weil er für den Fischfang in den Binnengewässern und in Fischteichen als Konkurrent wahrgenommen wurde. Hinzu kam die starke Begradigung von Flüssen und Trockenlegung vieler Feuchtgebiete und Gewässer Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Zitat aus Sachsen von 1912 zeigt die Wahrnehmung des Tieres sehr deutlich: „Ob das schöne elegante Raubtier heute in Sachsen bereits so selten geworden ist, daß wir es als ‚Naturdenkmal‘ bezeichnen müssen, können wir wegen der versteckten Lebensweise dieses bepelzten Fischers nur schwer beurteilen. Wir wünschen natürlich nicht, daß der Fischotter spurlos von der Schaubühne des Lebens verschwinde, … auf der anderen Seite kann aber keinem Fischereiberechtigten zugemutet werden, den gefräßigen Räuber in seinem Bezirk zu dulden.“ Der 1884 gegründete Sächsische Fischereiverein organisierte systematisch die Bekämpfung des Otters, etwa durch Fangprämien, Informationen zu Fangsystemen bis hin zu „Ehrentafeln“ der erfolgreichsten Otterfänger. Aufnahme fand dort, wer pro Jahr mehr als drei Otter erlegt oder wer zusätzlich zu einem bis zwei Ottern noch Fischreiher gefangen hatte. Von 1885 bis 1919 wurden 654 Ottererlegungen „prämiert“, allein im ersten Jahr 1885 waren es 87. Und bereits 1903 war der Bestand quasi zusammengebrochen, in diesem Jahr wurden nur noch fünfzehn Otterlegungen prämiert, in den Folgejahren nie mehr als vier.
Diese Logik schlug sich auch noch im Reichsjagdgesetz vom 3. Juli 1934 nieder, wo zwar erstmalig eine ganzjährige Schonzeit verfügt wurde, es aber gleichzeitig den Eigentümern und Pächtern von Fischteichen gestattet wurde, beim Auftreten „erheblicher Schäden“ den Otter zu fangen oder zu erlegen. Nur in weiterhin recht dünn besiedelten Gebieten und solchen, die extensiver bewirtschaftet wurden, wie die Oberlausitz, konnten sich noch kleine Restbestände halten, die aber bis in die 1970er-Jahre noch weiter zurückgingen. Dann setzten in der DDR verstärkte Schutzbemühungen ein, von der Betreuung der Otterbestände bis hin zur völligen Unterschutzstellung durch die Artenschutzverordnung im Jahr 1984, sodass sich die Bestände allmählich erholten. Mittlerweile gibt es wieder größere Bestände in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, und man versucht, die Ausbreitung weiter zu fördern, etwa in den Mittelgebirgen entlang den Flüssen. Das größte Problem stellt dabei der Straßenverkehr dar. Jedes Jahr kommen mehrere Dutzend Tiere bei ihrer Suche nach neuen Lebensräumen auf Straßen ums Leben oder wenn sie in ihren Revieren umherstreifen. Über die Hälfte der nachgewiesenen Verluste seit 1950 ging darauf zurück. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist dieser Anteil auf über achtzig Prozent gestiegen, da der Autoverkehr nach der Wiedervereinigung stark zugenommen hat. Kontinuierlich abgenommen hat hingegen die Bedeutung der Jagd. So wurden etwa Teichwirte, von denen Otterschäden gemeldet werden, schon in DDR-Zeiten entschädigt, um die Konflikte mit den Tieren zu minimieren und den Anreiz, die Tiere selbst zu erlegen, zu verringern. Ferner werden Gegenmaßnahmen wie die Einzäunung der Teichanlagen finanziell unterstützt, ebenso der Besatz von „Ablenkungsteichen“ mit Fischen, welchen ein Otter „abfischen“ kann.
Fischotter und Biber profitieren erheblich von einem gewissen Image, das sie als Vorzeigearten des Naturschutzes haben: Sie tragen Fell, sehen nett aus und üben mit ihrer Lebensweise auch eine gewisse Faszination auf uns aus. Im Naturschutz nennt man solche Arten „Flaggschiff-Arten“. Die hohe Bereitschaft der Menschen, sie zu erhalten, soll gleichzeitig helfen, auch ihren Lebensraum und andere darin lebende Arten schützen zu können. Bei knappen Mitteln bevorzugt der Naturschutz Maßnahmen für solche Arten, gerade auch wenn sie in den jeweiligen Roten Listen als stark bedroht angegeben werden, was verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen belegen.
Ähnlich wie die Geschichten mancher ausgerotteter Arten wie Riesenalk oder Wandertaube zeigen die Geschichten von Biber und Fischotter ein sich veränderndes Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Wurde die Natur in Mitteleuropa früher als Ressource oder, gerade andersherum, als Ursache der Gefährdung von Ressourcen angesehen und deswegen ausgebeutet oder bekämpft, sind die Konflikte heute anders gelagert: Nun geht es vornehmlich um den Besitzstand an der Landschaft und um deren Nutzung durch den Besitzer. Ein sich frei bewegendes Tier, das sich wenig um den Besitzstand schert, sondern um sein Überleben, passt da nicht ins Bild. Solche sogenannten Mensch-Wildtier-Konflikte nehmen einen immer größeren Raum in der Diskussion um den Naturschutz ein, denn wie schon oben beschrieben: Die Konkurrenz um Flächen und deren Ressourcen nimmt stetig zu, und um die Natur zu erhalten, wird es nicht ausreichen, sie auf Schutzgebietskonzepte zu beschränken. Gerade die Flaggschiff-Arten brauchen große Lebensräume, die sich in Mitteleuropa auch in die Kulturlandschaften hinein erstrecken müssen.
Viele Beispiele zeigen, dass ein solches Nebeneinander möglich ist, ob bei Fischotter und Biber, Seehund, Kormoran oder Kranich, auch wenn es jeweils zu spezifischen Problemen kommt, die ernst genommen werden müssen. So führt etwa die Wiederverbreitung der bis vor zwanzig Jahren stark zurückgedrängten Kegelrobbe in der Ostsee dazu, dass sich Fischer, wie schon früher, über deren Hunger und das Wegfressen von Fischbeständen beklagen.
Das eindrucksvollste Beispiel, wie ein erfolgreicher Naturschutz auch alte Konflikte wieder aufleben lässt, ist der europäische Kormoran, der vielleicht effektivste Fischjäger, den es in europäischen Gewässern gibt. Aus eben diesem Grunde war er, ähnlich wie der Fischotter, heftigst bejagt worden und in den 1950er-Jahren aus Mitteleuropa praktisch verschwunden. Das Brüten in Kolonien macht ihn besonders anfällig für die Jagd, und so wurden die letzten Kolonien in Deutschland schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vernichtet. Von Brutkolonien in Dänemark und Polen aus begann in den 1950er-Jahren eine allmähliche Wiederbesiedlung. Durch Unterschutzstellung erholte sich der Bestand seitdem, zunächst nur ganz allmählich, dann rasanter, sodass die Bestände in Europa heute wieder auf hohem Niveau sind. Der Bestand an Brutvögeln wird in Deutschland auf 24 000 Paare geschätzt, hinzu kommen noch viele tausend Vögel, die aufgrund des begrenzten Platzes in Kolonien nicht brüten können und daher auch im Sommer umherstreifen. Durch diese wachsenden Bestände hat der Konflikt um den Kormoran, der zwischen Teichwirten, Fischern und Anglern auf der einen Seite und Naturschützern auf der anderen schwelt, wieder massiv zugenommen. Dabei ist ein Management, wie es für Fischotter und Biber entwickelt wurde und das man auch für andere Arten wie Luchs und Wolf einsetzt, für den Kormoran schwerer zu realisieren, denn als Vögel mit großen Beständen ziehen die Tiere sich im Laufe der Jahreszeit von Nord- nach Südeuropa und zurück. In der lokalen Wahrnehmung zählt aber nur die örtliche Brutkolonie, und so ist es in den letzten Jahren zunehmend zu Ausnahmegenehmigungen in manchen Regionen gekommen, wo Kormorane vergrämt oder abgeschossen wurden, um die Größe der Brutkolonien zu reduzieren und damit auch den Druck auf die Fischbestände. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es eine Vielzahl von Kormoranen gibt, die keinen Brutplatz in den Kolonien bekommen haben und im nächsten Jahr etwaige leere Plätze einnehmen, sodass der Brutbestand trotz der Maßnahmen stabil bleibt. Der regionale Druck ändert sich also allenfalls sehr kurzfristig. Wenn man den Kormoran managen und einen Ausgleich zwischen Naturschutz und Ressourcenschutz schaffen will, braucht man einen europaweiten Managementplan, was das Europäische Parlament übrigens bereits im Jahr 2008 gefordert hat. Wie ein solcher Plan aussehen kann, ist nicht leicht zu sagen. Pauschal zu fordern, dass die Hälfte aller Kormorane in Deutschland „von der Bildfläche verschwindet“, wie es der deutsche Fischereiverband 2010 formulierte, ist sicherlich eher einseitig gedacht. Eine europaweite Regelung bei unklarer Datenlage scheint allerdings weiter schwierig, und so haben die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten der EU bislang wenig unternommen.
Diese Beispiele des wieder Mehr-Werdens zeigen exemplarisch, dass die Bestrebungen des Menschen, einzelne Arten zu erhalten, zugleich die beiden Seiten unserer Beziehung zur Natur widerspiegeln. Gerade in Mitteleuropa sind viele von uns bereit, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen und im Falle einzelner charismatischer Arten durch einen großen Einsatz von Mitteln vor dem Aussterben zu bewahren. Wie beim Kakapo und vielen anderen Flaggschiff-Arten deutlich wird, funktioniert dies auch ohne Konflikte. Bei anderen Arten aber treten schnell wieder die Probleme zutage, die unsere biologische Seite produziert, indem sie die Natur zum optimalen Dienstleister für den Menschen umgestaltet und damit zu unserem Besitzstand erklärt. Fischotter und Kormoran sind zwei Beispiele aus Europa, die Liste könnte man aber weltweit beliebig erweitern, um Tiger, Elefant, Robbe, Bär und Luchs und viele, viele mehr. Der nullte Sektor unserer Wirtschaft steht hier im beständigen Konflikt vor allem mit dem primären Sektor, der Nahrung und Sicherheit für den Menschen sicherstellen soll. Das Beispiel des Fischotters zeigt aber auch, dass wir über vielfältige Möglichkeiten verfügen, solche Konflikte zu kontrollieren und sogar in einen Gewinn zu verwandeln. Meistens spielt es dabei eine Rolle, dass andere Sektoren der Wirtschaft die Funktion des primären Sektors als Einkommensquelle für den Menschen übernehmen. Der Tourismus in Nationalparks ist hier nur ein Beispiel. Aber auch die anderen Dienstleistungen von Ökosystemen werden wieder in ihrem Wert wahrgenommen – und damit kommen wir von der Facette der Arten auch wieder zur Facette der Ökosysteme.
Wiederherstellung von Ökosystemen – was kaputt ist, leistet auch nichts
Eine triviale Erkenntnis ist die, dass etwas, was kaputt ist, nicht mehr seine volle Leistung bringt. Dies gilt für einen defekten Fernseher oder ein defektes Fahrzeug ebenso wie für ein Ökosystem. Ein Acker mit verseuchter Erde ist nutzlos im Sinne seiner Produktionsleistung für Nahrungsmittel. Ein leer gefischtes und überdüngtes Meer liefert keinen Fischerei-Ertrag. Aber auch andere Leistungen sind schnell bedroht, wenn man ihre Bedeutung großräumig missachtet, so etwa bei vielen regulierenden Dienstleistungen wie dem Überflutungs- oder Klimaschutz. Dass diese Leistungen immer weniger werden, haben wir in Kapitel drei gesehen. Gleichzeitig nimmt ihre Bedeutung aber zu, sodass man sich mehr und mehr bewusst macht, dass die Wälder der Erde eine Funktion als Kohlenstoffspeicher haben und die Auen und Deltas mit intakten Feuchtgebieten wichtig für den Hochwasserschutz sind.
Durch diese neu erkannte wirtschaftliche Bedeutung gewinnt es an Attraktivität, über die Wiederherstellung solcher Ökosysteme wieder nachzudenken und sie dort umzusetzen, wo wichtige Leistungen geliefert werden. Dabei gilt grundsätzlich, dass ein Nichtzerstören immer besser sein wird als eine spätere Wiederherstellung. Allein die Zeiträume, die es braucht, um Ökosysteme wiederherzustellen, sind teilweise enorm. Für Grünland geht man etwa von wenigen bis zu hundert Jahren aus, für Heiden von einem Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren. Graudünen könnten bis zu 500 Jahre brauchen, und Hochmoore sind nicht unter 1000 Jahren zu haben. Und selbst dann werden, je nach Ökosystem, nicht alle Arten der ursprünglichen Systeme vorhanden sein, und auch die Dienstleistungen können anders aussehen als zuvor.
Auch die Kosten variieren entsprechend. Kann man etwa bei Grünland und Wäldern die Wiederanlage durch Saat und Pflanzung mit etwa zehn bis 2000 Euro pro Hektar recht kostengünstig gestalten, verursachen andere Systeme wie Feuchtgebiete unter Umständen hohe Kosten und eine intensive Betreuung – die Erfahrungswerte liegen hier zwischen zehn bis zu 100 000 Euro pro Hektar.
Der Mehrwert ergibt sich zumeist erst nach mehreren Jahren. Durch die langen Zeiträume der Regenerierung mag man bei manchen Leistungen der Ökosysteme, etwa bei der Wasserfilterung oder der Kohlenstoffspeicherung in Mooren, erst allmählich und über viele Jahrzehnte hinweg eine volle Leistungsfähigkeit erreichen. Andere Leistungen aber, etwa die Unterstützung des Hochwasserschutzes durch Wiederherstellung von Überflutungsflächen, können sehr kurzfristig nutzbar werden. Dabei wird die Planung solcher Maßnahmen um einiges schwieriger als bei der Fokussierung auf die Rettung einzelner Arten in einem Ökosystem. Diese treten vielleicht nur mit einer speziellen Nutzungsform wie der Fischerei in Konflikt. Bei den Regulationsleistungen der Natur aber kommen viele Nutzer ins Spiel, nicht nur der derzeitige Nutzer einer Fläche, sondern vielleicht die Nutzer der Leistung Wasserfilterung, der Leistung Hochwasserschutz oder der Leistung Erholung.
Fazit – das Mehr-Werden und seine vielen Facetten
Seit Beginn seiner Sesshaftigkeit hat der Mensch das Mehr-Werden von Natur aktiv und mit immer größerer Effizienz und Auswirkung auf den natürlich entstandenen Teil der Biodiversität betrieben. Der Mensch hat sich dabei mal mehr, mal weniger bewusst dafür entschieden, einzelne Facetten der Vielfalt der Natur zu fördern, etwa die Maispflanze, das Rind oder die Produktionsleistung des Ackerbodens. Zumeist stand dabei die Förderung des primären Wirtschaftssektors – Produktion von Nahrungsmitteln und andere Naturprodukten – im Vordergrund. Mit dem Aufstieg der anderen Wirtschaftssektoren – Industrieproduktion und Dienstleistungssektor – steigen aber auch die indirekten Auswirkungen auf die Natur als nullten Sektor. Lange war es hier möglich auszuweichen – in neue Gebiete oder auch tiefer in die Ozeane. Diese Ausdehnung stößt an ihre Grenzen, und mehr und mehr muss darüber nachgedacht werden, wie die Natur als nullter Sektor und Basis allen Wirtschaftens viele Leistungen für den Menschen gleichzeitig erfüllen kann. Dabei das Mehr und Weniger in einen Ausgleich zu bringen ist die Herausforderung. Einige Lösungsansätze wurden schon angesprochen. Und noch viele mehr liegen vor uns, wenn wir vermeiden wollen, dass die Missleistungen der Natur für den Menschen nicht gegenüber den Leistungen weiter überhandnehmen.