Ich beugte mich ein wenig vor und runzelte die Stirn, während ich die irrelevanten Geräusche und die Magie aus meinem Geist aussperrte. Die Schachtel erwies sich als unbeschriebenes Blatt – kein Magie aus meinem Geist aussperrte. Die Schachtel erwies sich als unbeschriebenes Blatt – kein Metall, keine Magie –, also wechselte ich zu einer simpleren Vorgehensweise und schnüffelte daran.
Das war es.
»Es ist Alkohol«, sagte ich und richtete mich wieder auf. »Ziemlich gutes Zeug, soweit ich das beurteilen kann.«
Der Mann ohne Paket lockerte die Schultern und schob seine Krawatte zurecht. »Natürlich ist es gut. Was glaubt ihr, wer wir sind? Kleindarsteller?«
Ethan lächelte höflich und hielt die Schwertscheide mit der linken Hand fest, als er das Katana vorsichtig wieder zurückgleiten ließ. Dann trat er beiseite.
»Genießen Sie die Versammlung, Gentlemen.«
Wir sahen den beiden nach, als sie den Flur entlanggingen.
»Ich glaube, diese Herren gehören dazu, Hüterin.«
»Zum Rudel, meinst du?«
»Sie gehören zu einer, wie soll ich es ausdrücken, Organisation?«
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich seine Anspielung verstand – Ethan hielt sie für Mafiosi. »Und du lässt sie einfach in die Kirche gehen?«
»Mit Alkohol in der Hand. Sie sind Mitglieder des Rudels, die ihre Beute mitbringen. Wir können nicht jedes Mitglied des Rudels aufhalten, das die Kirche mit Alkohol betritt.« Er lachte leise. »Sonst wäre die Kirche leer.«
Ich konnte nicht anders, ich musste kichern.
Er nickte in Richtung der letzten Tür. »Das ist die Küche?«
»Ja.«
»Ich werde mir was zu trinken holen.«
Ich folgte ihm und wartete an der Tür, während er einen Blick in den Kühlschrank warf. Er holte eine Wasserflasche heraus, öffnete sie und nahm einen großen Schluck. Als er damit fertig war, warf er die leere Flasche und die Verschlusskappe in die Wertstofftonne und nickte mir dann zu.
Ich wollte die Tür gerade aufschieben, als ich in der Bewegung erstarrte. Die Außentür am Flurende war erneut geöffnet worden, und ich konnte hören, wie Stimmen näher kamen.
Diesmal wurden sie von einem metallischen Summen begleitet. Es hätte ganz einfach sein können – Formwandler, die im Rahmen ihrer normalen Geschäfte Waffen trugen. Aber das hier fühlte sich schlicht … falsch an.
Lautlos hielt ich eine Hand hoch, um Ethan aufzuhalten, deutete auf die Tür, dann auf mein Ohr und hielt zwei Finger hoch. Er nickte, kam zu mir und legte das Ohr an die Tür.
»Glaubst du, du kannst ihn beseitigen?«, fragte einer von ihnen.
»Verdammt noch mal, ja. Je schneller wir das hinter uns bringen, umso schneller halten wir die Kohle in der Hand, also werde ich diese verdammte Chance auf jeden Fall nutzen«, flüsterte der andere.
Seine Stimme klang ärgerlich und verbittert.
»Hm. Ich weiß bloß nicht, ob das heute Abend funktioniert. So, wie er sich das vorstellt. In dem Raum da drüben werden in ein paar Minuten verdammt viele Leichen sein.«
Ethan hob die Augenbrauen und nickte mir zu.
Die Schritte kamen näher.
Waffen, teilte ich ihm telepathisch mit. Pistolen oder Messer, ich bin mir nicht sicher. Aber sie Waffen, teilte ich ihm telepathisch mit. Pistolen oder Messer, ich bin mir nicht sicher. Aber sie sind schwer bewaffnet.
Dann los!, antwortete er.
Ich ignorierte das nervöse Zittern in meiner Brust, schob die Schwingtür auf und ging voraus. Die beiden Männer – sie trugen Jeans, Stiefel und Lederjacken – zuckten zusammen, als wir erschienen, und ihre Hände tasteten nach ihren Taschen. Es war offensichtlich, dass sie nach ihren Waffen griffen.
»Gentlemen«, sagte ich und lockerte mein Katana so weit, dass ein kleines Stück glänzenden Stahls zu sehen war, »was läuft?«
Sie tauschten einen Blick und sahen dann mich an. »Wir sind geschäftlich hier, Vampir.«
»Ja, das habe ich mitbekommen. Das Problem ist nur, dass eure Art Geschäfte für den Rest der Anwesenden nicht wirklich gut ist.«
Der auf der linken Seite – der Kleinere von beiden, der langsam kahl wurde – kam einen halben Schritt auf mich zu. Mit einer schnellen Bewegung ließ er seine Lederjacke nach hinten rutschen und enthüllte eine Handfeuerwaffe im Hosenbund seiner Retro-Jeans.
Als ich die Waffe erblickte, krallte ich meine Finger fester in mein Katana, damit meine Hand nicht zitterte. Ich war diese Woche bereits zweimal angeschossen worden; ich hatte keine Lust auf weitere Kugeln.
»Süße, warum packen du und dein Freund nicht eure kleinen Messerchen weg und geht ein bisschen spazieren, hm? Das geht euch nichts an.«
»Das Problem ist, Chef«, sagte ich, zog das Katana blank und genoss, wie seine Augen groß wurden, » dass es uns etwas angeht. Es hört sich so an, als ob ihr mit dem Rudelführer ein Problem habt, sozusagen, und er ist mein Freund.«
Der Größere der beiden – jünger, hübscher, aber genauso selbstgefällig – versetzte seinem Kumpel einen Stoß. »Ich nehm die hier.«
Hinter mich, befahl ich Ethan, als der Jüngere einen Schritt auf mich zukam.
Er griff in seine Lederjacke und zog eine mattschwarze Handfeuerwaffe aus der Innentasche.
»Du bist süß«, sagte er, »also gebe ich dir noch eine Chance.« Er deutete mit der Waffe in unsere Richtung. »Verschwindet, und wir kümmern uns um unsere Sachen, und jeder wird glücklich sein, klar?«
Ich hatte keinen Zweifel, dass er abdrücken würde. Er war genau der Typ dafür – so mutig, dass es schon wieder an Dummheit grenzte; so selbstverliebt, dass er genau das Gegenteil des Gewünschten bewirken würde. Obwohl er wusste, dass wir Vampire waren, hatte er keine Ahnung, was das tatsächlich bedeutete – dass eine Kugel, auch wenn sie scheiße wehtat, ganz bestimmt nicht ausreichen würde, um mich auszuschalten.
Ich verdrehte die Augen und drehte das Handgelenk, um mein Schwert in Position zu bringen. Dann gab ich eine Drohung von mir, die Celina mir gegenüber einmal geäußert hatte. »Ich habe dich erledigt, bevor du auch nur einen Schuss abfeuern kannst.«
»Schlampe«, sagte er. Das war sein letztes Wort.
Er hob die Waffe und die andere Hand, um sie abzustützen. Aber ich war schon unterwegs, drehte meinen Körper und streckte mein Bein zu einem hohen Tritt aus, der ihm die Waffe aus den Händen schlug. Sie fiel zu Boden und rutschte hinter mich, und ich spürte, wie sich die Luft hinter mir bewegte, als Ethan danach griff. Ich schloss die Drehung ab, verlagerte das Gewicht meines Schwerts und rammte den Griff so tief in seine Brust, wie ich konnte. Wie in Zeitlupe stöhnte er auf, fiel nach hinten und griff sich mit schmerzerfülltem Blick ans Brustbein.
Als er auf den Boden aufschlug, hatte ich mein Katana wieder aufgerichtet und hielt es vor mich.
Dann warf ich seinem kleineren Freund einen Blick zu. »Was ist mit dir, Kumpel? Willst du es auch bei mir probieren?«
Die Augen panisch aufgerissen – wobei seine Angst die Luft mit Magie erfüllte – ging er einige wacklige Schritte zurück, bevor er sich umdrehte und zum Ausgang rannte. Doch wir hatten Unterstützung erhalten – zwei blonde Keene-Brüder standen mit verschränkten Armen vor der Tür und betrachteten den Verräter mit wissendem Blick. Sie mussten den Ärger gespürt haben – oder Falon hatte sie hierher geschickt, damit sie ein Auge auf mich und Ethan hatten.
Cleveres Mädchen.
»Erstklassiges Timing«, sagte ich und hielt den Blick auf den Mann am Boden gerichtet, bis sie ihn erreichten. Da sie beide größer und muskulöser waren als die Eindringlinge, hatten sie ihn nach wenigen Sekunden unter Kontrolle.
»Wir tun, was wir können«, sagte der Keene auf der Linken, der den Mann am Kragen packte, den ich niedergeschlagen hatte. »Wie mir scheint, haben wir uns noch nicht kennengelernt. Ich bin ich niedergeschlagen hatte. »Wie mir scheint, haben wir uns noch nicht kennengelernt. Ich bin Christopher.«
»Ben«, sagte der andere, der den älteren Mann im Schwitzkasten hielt. Der Mann versuchte sich aus der unangenehmen Position zu befreien, aber Ben zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Ich grinste sie an. »Freut mich, euch beide kennenzulernen«, sagte ich und warf dann einen Blick über die Schulter zu Ethan. Er starrte mich mit silbernen Augen an.
Ich nahm an, dass ich es geschafft hatte, ihn zu beeindrucken.
»Nicht schlecht für eine ›gewöhnliche Kriegerin‹, oder?«, fragte ich leise, steckte mein Katana weg und ging wieder in Richtung Kirche. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, als ich mich von ihm entfernte, also entschloss ich mich, das Ganze auszukosten. An der Tür zum Altarraum blieb ich stehen, sah ihn über die Schulter an und lächelte ihm verführerisch zu. »Kommst du?«
Ohne auf ihn gewartet zu haben, ging ich hinein. Nun, meine lieben Freunde, das nennen wir Vampire einen guten Abgang.
KAPITEL ACHTZEHN
Lasst uns ihnen einen Grund geben, über uns zu reden
Die Kirche war beinahe voll, als wir zurückkehrten. Die aufgestaute Magie und die Waffen ließen die Luft knistern, und auf mich wirkte das Summen fast wie Koffein. Gabriel stand hinter dem Podium und redete mit Adam und zwei weiteren, mir unbekannten Formwandlern. Als wir zu ihm gingen, bemerkte ich unsere beiden Geschäftsmänner von eben auf einer der Kirchenbänke. Der Mann, der die Schachtel hereingetragen hatte, hatte sie sich auf den Schoß gelegt, und sie unterhielten sich beide höflich mit den Formwandlern neben ihnen.
»Wir brauchen dich kurz«, sagte Ethan, und Gabriel schickte die anderen weg. »Ich habe gehört, es gab ein kleines Durcheinander im Flur?«
Ethan nickte. »Wir haben möglicherweise die Männer erwischt, die auf dich angesetzt waren. Wir haben sie belauscht, als sie über die Bezahlung und den Anschlag redeten. Und sie waren ziemlich gut bewaffnet.«
Gabriel hob die Augenbrauen. »Die Leute, die man geschickt hat, um mich umzubringen, reden hier in der Kirche offen über den Anschlag?«
»Sie waren nicht gerade die Hellsten«, warf ich ein.
Christopher und Ben kamen auf Adam zu und beugten sich zu ihm, um ihm etwas zuzuflüstern. Adam nickte und gab Gabriel ein Zeichen.
»Man hat sich um sie gekümmert«, sagte Gabriel mit ruhiger Stimme. Sein Tonfall sorgte dafür, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten, und ich ermahnte mich, ihm nie in die Quere zu kommen.
»Können wir weitermachen?«
»Es besteht die Möglichkeit, dass derjenige, der das Kopfgeld auf dich ausgesetzt hat, es noch einmal versuchen wird«, warnte Ethan ihn. »Dass wir die beiden aus dem Weg geschafft haben, heißt nicht, dass kein Risiko mehr besteht.«
Gabriel klopfte ihm männlich auf den Arm. »Die Show muss weitergehen.«
Ohne großes Trara und ohne Ankündigung trat Gabriel ans Rednerpult. Ethan und ich stellten uns zu seiner Rechten auf. Links direkt neben ihm standen Robin und Jason. Adam und Falon standen ebenfalls zu seiner Linken, nur etwas weiter entfernt. Ich entdeckte Jeff in der Menge, der am Ende der zweiten Kirchenbank saß. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte ungewöhnlich ernst.
Gabriel begann zu sprechen. Seine Stimme wurde von den Lautsprechern der Kirche wiedergegeben und schalte von den Steinwänden zurück.
Was merkwürdig war: Er zitierte ein Gedicht. Das muss Yeats sein, dachte ich – vorausgesetzt, mein fast erworbener Doktortitel in englischer Literatur ließ mich nicht im Stich.
»›Ich hörte die Tauben aus dem Siebenwald/ Und ihren matten Donner und der Bienen vom Hag/Gesumm in Lindenblüten –‹«, sagte er. »›Und tat ab/vergeblichen Klagruf und alte Bitternis/ die mir das Herz veröden‹.«
Ich konnte es nicht verhindern – mir klappte vor Staunen der Unterkiefer herunter. In diesem Raum saßen in diesem Augenblick dreihundert Formwandler, die mehr oder minder Jeans und Leder trugen und dazu jede Menge Waffen, und sie starrten den Anführer des Zentral-Nordamerika-Rudels fasziniert an, als er ihnen ein Gedicht über die Natur vortrug. Sie nickten zustimmend, wie es die gläubigen Gemeindemitglieder in dieser Kirche auch getan hätten, und in gewisser Hinsicht waren sie dies ja auch.
»›Ich vergaß weglang/ Tara, entwurzelt, und neue Wohlfeilheit/ auf Thronen und in allen Gassen laut/mit Flaggenschmuck der Blumen aus Papier, /weil sie allein von allen glücklich ist. Ich bin zufrieden –‹«
Gabriel hielt inne, hob den Blick und seine Arme zu der Menge, die ihn umgab.
Sie schrien ihre Zustimmung heraus, einige waren aufgestanden, andere hatten die Arme erhoben und die Augen entzückt geschlossen, als sie die Welt feierten und ihre Zufriedenheit verkündeten. Ich bekam Gänsehaut auf meinen Armen, und nicht nur, weil die Magie in diesem Raum die Luft elektrifizierte.
»›Denn ich weiß: Stile/ wandert lachend und isst ihr wildes Herz/ zwischen Tauben und Bienen, da der Große Schütze/ der zum Schuss nur seiner Stunde wartet, noch hängt/ einen wolkigen Köcher…‹«
»›Über Parc-na-lee!‹«, beendeten sie alle einstimmig das Gedicht, und dann brachen sie in lautstarken Applaus aus.
Gabriel wartete nicht, bis sich die Menge wieder beruhigt hatte, sondern ließ die Bombe direkt platzen.
»Tony Marino, Anführer des Pazifik-Nordwest-Rudels, ist tot.«
In der Kirche trat Stille ein.
»Wir versammeln uns heute als vier Rudel, doch nur mit drei Anführern. Wenn wir hiermit fertig sind, wird das Pazifik-Nordwest-Rudel sich der Aufgabe widmen, einen Sprecher für die gemeinsame Stimme zu finden, für die Große Familie. Aber heute müssen wir uns auf die vor uns liegenden Sachen konzentrieren.«
Ein groß gewachsener, dünner, hart wirkender Mann stand von seinem Platz mitten im Raum auf und deutete mit einem Finger in Gabriels Richtung. »Da scheiß ich drauf«, sagte er. »Unser Anführer, unser Vater, ist tot, und das sagst du uns jetzt? Das ist doch Schwachsinn.«
Weitere Formwandler sprangen auf und stimmten in das Geschrei ein. Man konnte den Schmerz auf ihren Gesichtern erkennen, das Entsetzen, ihn verloren zu haben. Aber das alles war nichts im Vergleich zu dem Zorn, den sie gegenüber dem Anführer des Zentral-Nordamerika-Rudels entwickelten.
Bei Adam, Jason und den anderen herrschte plötzliche Anspannung, und sie machten einen Schritt nach vorn, als ob sie sich auf die unvermeidliche Gewalt vorbereiteten. Ich legte meine rechte Hand nach vorn, als ob sie sich auf die unvermeidliche Gewalt vorbereiteten. Ich legte meine rechte Hand auf den Griff meines Katanas, damit ich es, wenn nötig, leichter hervorziehen konnte.
»Und du hast gottverdammte Vampire zu einer Versammlung mitgebracht!«, warf ihm ein Mann mit militärischem Haarschnitt vor. »Das ist unsere Zusammenkunft. Ein Treffen des Rudels, von Freunden und Verwandten. Sie beschmutzen es.«
Gabriel verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, während sie ihm Beleidigungen an den Kopf warfen und ihrer Wut Luft machten. Ihre Behauptungen schienen ihn überhaupt nicht zu beeindrucken, aber ich stand nahe genug bei ihm, um die wütende Magie zu spüren, die seinem Körper wie ein langsam fließender Strom entwich.
Andererseits verstand ich jetzt, warum er darauf bestanden hatte, die Versammlung stattfinden zu lassen. In diesem Raum waren eine Menge Emotionen aufgestaut, und es war definitiv besser für die Stadt, wenn die Formwandler ales Gabriel an den Kopf warfen – anstatt den Rest Chicagos ins Visier zu nehmen.
Gabriel hatte breite Schultern; ich hatte keinen Zweifel daran, dass er mit diesem Trommelfeuer an wüsten Beschimpfungen umgehen konnte.
Nach einigen Minuten hob er die Arme. Als das nicht funktionierte, brüllte er –lein einziges Wort, aber mit Magie verstärkt – quer durch den Raum.
»Ruhe!«
In der Kirche wurde es schlagartig still. Als Gabriel wieder das Wort ergriff, konnte es keinen Zweifel daran geben, wer hier der Anführer war oder welche Konsequenzen es haben würde, wenn man ihm keine Beachtung schenkte.
»Ihr seid hier, weil die Rudel eine Versammlung einberufen haben. Wenn ihr wollt, dass die Angelegenheiten ohne eure Beteiligung entschieden werden, dann müsst ihr nicht hierbleiben. Jeder von euch, alle von euch, können aufstehen und diesen Raum ungestraft verlassen.« Er beugte sich über das Rednerpult. »Aber ob ihr nun bleibt oder nicht, ihr werdet den Weisungen der Rudel folgen. Das ist unser Weg. Das ist der einzige Weg. Und der steht nicht zur Diskussion.«
Die im Raum aufgestaute Energie wurde schwächer, als ob die Formwandler in der Kirche kollektiv wie ein geprügelter Hund den Schwanz eingezogen hätten.
»Ihr habt recht«, fuhr Gabriel fort. »Unter uns befinden sich Vampire, und das ist eine Änderung der bisherigen Regeln für das Rudel. Wir sind nicht wie sie, und vieleicht werden wir die alten Wunden nie wirklich verheilen lassen können. Aber seid euch sicher, der Krieg wird kommen, ob wir ihn wollen oder nicht. Und ihr habt recht – es gibt Vampire, die sich einen Dreck um die Rudel scheren, genauso wie es Rudelmitglieder gibt, die bereit sind, ihre Alphas umzubringen. Aber ich habe Dinge gesehen.«
Nach dieser Offenbarung hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Die Rudelmitglieder waren offensichtlich bereit, der Prophezeiung Gabriels zu glauben, egal, was sie zu bedeuten hatte.
»Ich habe die Zukunft gesehen«, sagte er. »Ich habe die Zukunft meines Kinds gesehen.« Er schlug sich mit der Faust auf die Brust. »Meines Sohnes. Ich habe das Gesicht der Personen gesehen, die ihn schützen, wenn die Zeiten für uns hart werden.«
Er senkte den Blick, und als er wieder aufsah, mit diesen wissenden Augen, drehte er den Kopf… und sah mich an.
Ein Flehen lag in seinen Augen. Nichts hätte mich mehr überraschen können.
»Die Vampire werden ihn schützen«, sagte er. Wir sahen einander an, und die Ereignisse in seiner Zukunft – und in meiner – liefen blitzschnell vor meinen Augen ab. Keine Handlung, keine Zeitangaben, aber ich sah genug, einschließlich der Augen seines Kindes und eines weiteren Paars grüner Augen, die Ethans überhaupt nicht – und doch wieder vollkommen – ähnelten. Ich konnte nicht wissen, wie mächtig und wie genau die Prophezeiungen eines Formwandlers waren… aber sie waren ein ziemlicher Schlag ins Gesicht.
Mir standen Tränen in den Augen, und Gabriel wandte sich ab.
Ich sah zu Boden und versuchte zu verstehen, was er gesagt hatte, versuchte mich daran zu hindern, nur noch so flach zu atmen, dass ich in der Kirche ohnmächtig werden würde.
Merit?, fragte Ethan lautlos, aber ich schüttelte den Kopf. Darüber musste ich erst nachdenken, bevor ich darüber sprechen konnte. Bevor ich bereit wäre, darüber zu diskutieren … sollte ich jemals dazu bereit sein.
Es war wieder still geworden, denn die Bedeutung von Gabriels Worten hatte die Anwesenden nachdenklich und ihnen klargemacht, dass sie ernsthaft in Betracht ziehen mussten, was er von ihnen erwartete.
»Ihr werdet dem Tod begegnen«, sagte er. »Tony ist gestorben und mehr werden ihm folgen, wenn wir bleiben. Aber wir werden dem Tod auch begegnen, wenn wir gehen. Die Welt ist ein brutaler Ort. Das wissen wir. Wir leben nach ihren Regeln – anderen Regeln als jene, die für Vampire oder Menschen gelten, aber es sind nichtsdestotrotz unsere Regeln. Diese Entscheidung müsst ihr heute Abend treffen.«
Er hob die Arme. »Die Diskussion ist eröffnet.«
»Diskussion« war ein recht nettes Wort für das, was dann folgte. Sobald Gabriel den versammelten Formwandlern das Wort erteilt hatte, zeigten die meisten derjenigen, die Gabriel eben angebrüllt hatten, den Stinkefinger und verließen die Kirche. Das wiederum ließ die verbliebenen zweihundert Formwandler aufstehen und den Deserteuren hinterherbrüllen.
Das war echtes Chaos.
Gabriel verdrehte die Augen, grüßte aber diejenigen, die den Saal verließen, zum Abschied.
»Lasst sie gehen«, sprach er ins Mikrofon. »Sie müssen nicht hierbleiben. Niemand von euch muss hierbleiben. Aber ob ihr nun diesen Raum verlasst oder bleibt, ihr werdet der Entscheidung, die hier getroffen wird, Folge leisten! « Sein Tonfall und sein finsterer Blick machten mehr als deutlich, dass dies keine Bitte war. Er sprach einen Befehl aus, der die Rudel an ihre Pflichten erinnerte.
Diejenigen, die diese Pflichten zu ignorieren versuchten, taten das auf eigenes Risiko.
Da die verbliebenen Formwandler nachdenklich gestimmt waren, wurde die Diskussion über die Zukunft nun ernsthaft geführt. Im Mittelgang der Kirche hatte man ein Mikrofon aufgestellt, das die Formwandler nutzen sollten. Der Platz gefiel mir gar nicht – jeder, der an das Mikrofon herantrat, hatte eine freie Schusslinie auf Gabriel –, aber daran konnte man nichts ändern.
Das bedeutete aber nicht, dass ich keine Eigeninitiative ergreifen konnte. Ich verließ meinen Posten an Gabriels Seite, ging nach vorne in die Kirche und stellte mich direkt vor das Podium, ohne Ethan vorher um Erlaubnis zu fragen – ich hatte die Angst von seinem Gesicht ablesen können, als ich damals Berna zur Seite gestanden hatte.
Kugeln – und Formwandler –, die sich einen Weg zu Gabriel bahnen wollten, mussten erst an mir vorbei.
Guter Gedanke, lautete Ethans telepathisches Kompliment, aber eine Vorwarnung wäre nett gewesen.
Es ist besser, um Verzeihung zu bitten, als um Erlaubnis zu fragen, zitierte ich ihn.
Obwohl die Formwandler in Gestalt, Größe und Hautfarbe unterschiedlicher nicht hätten sein können, ließen sich die Standpunkte, die sie am Mikrofon vertraten, grob in zwei Kategorien teilen. Eine Hälfte war sauer bei dem Gedanken, dass sie bei einer Rückkehr nach Aurora ihr Zuhause und ihre Geschäfte zurücklassen müssten. Die meiste Zeit schrien sie uns oder Gabriel an und machten unflätige Gesten.
Die andere Hälfte wollte nichts mit Vampiren oder Vampirpolitik zu tun haben und war davon überzeugt, dass die Bedrohung ihrer Gesellschaft ursprünglich von den Vampiren stammte.
Auch sie schrien uns oder Gabriel an und machten unflätige Gesten.
Nach vielen verbitterten Beiträgen trat der letzte Sprecher ans Mikrofon. Er war groß und kräftig und trug eine riesige schwarze Lederweste über seinem breiten Brustkorb.
Außerdem trug er ein Kopftuch, und seinen langen Bart hatte er in mehrere Zöpfe unterteilt und diese zusammengeschnürt. Nachdem er geduldig darauf gewartet hatte, sprechen zu dürfen, ging er ans Mikrofon und winkte Gabriel zu.
»Sie kennen mich, Sir. Bin keiner, der viel redet oder Plausch hält. Ich arbeite hart, das wissen Sie. Ich befolge die Regeln, ich behandle meine Familie anständig.«
Ich konnte Gabriels Gesicht nicht sehen, aber angesichts des Ernstes und der Güte in der Stimme des riesigen Mannes ging ich davon aus, dass er gerade zustimmend nickte.
»Ich kann die Zukunft nicht sehen, also weiß ich nichts vom Krieg. Ich halte mich an meine Leute, und ich weiß nicht viel von Vampiren oder den anderen. Ich weiß nicht, was auf uns zukommt, was wir erleben werden, wenn Chaos ausbricht, und auch nicht, was wir erleben werden, wenn sich die Wogen wieder geglättet haben. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht so wirklich, warum wir hier sind oder warum wir glauben, wir müssten wegrennen.« Er schluckte schwer.
»Aber ich habe viele, viele Monde unter den Menschen gelebt. Ich habe in den Kriegen der Menschen gekämpft, habe an ihrer Seite gekämpft, wenn ich es für nötig hielt, und sie sind für mich und meine Leute eingetreten. Ich hab auch gehört, dass diese Vampire sich uns gegenüber anständig verhalten haben. Und jetzt sind sie wieder da, und sie treten für Sie ein, als ob sie bereit wären, sich jeder Gefahr in den Weg zu stellen, die vor Ihnen liegt.«
Er zuckte bescheiden mit den Achseln. »Diese ganzen politischen Sachen sind nicht mein Ding, aber ich weiß, was richtig ist. Sie setzen sich für uns ein, aber wir uns nicht für sie?« Er schüttelte den Kopf. »Bei allem Respekt vor Ihnen und Ihrer Familie, aber das ist nicht richtig. Einfach nicht richtig.«
Er nickte mir zu, dieser Mann in seiner Lederweste, drehte sich um und ging bescheiden wieder zurück. Er rutschte in eine der Bankreihen mitten in der Kirche, nahm Platz und blinzelte, während er darauf wartete, was als Nächstes geschehen würde.
Es zerriss mir fast das Herz. Ich konnte schlecht meinen Posten verlassen, beobachtete ihn aber, bis er Augenkontakt herstellte, und nickte ihm kurz zu. Er nickte zurück, zwei mögliche Feinde, die die guten Seiten des anderen anerkannten.
Das Leben als Vampir war nicht immer so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
»Wie es unsere Art ist«, sagte Gabriel in den stillen Raum hinein, »liegen auf den Bänken vor euch zwei Kugeln. Eine weiße, eine schwarze. Schwarz, wir kehren zurück in die Sicherheit der Sieben Wälder. Weiß, wir bleiben. Wir riskieren den Kampf – welcher Kampf das auch immer sein mag. Legt eure Stimme in die Schachtel, wenn diese an euch weitergereicht wird. Wenn ihr für andere stimmberechtigt seid, dann dürft ihr auch diese Stimme abgeben. Gebt eure Stimmen nach bestem Wissen und Gewissen ab.«
Jason kam mit einer Holzschachtel in den Händen die Plattform herab. Er trug sie ans andere Ende der Kirche und reichte sie dann dem letzten Mann in der letzten Reihe.
Es dauerte achtzehn Minuten, bis alle Stimmen abgegeben waren – achtzehn nervenzerreißende Minuten, während derer mich die meisten Formwandler entweder neugierig oder ernst betrachteten.
Ich musste hart an mich halten, unter dem gewaltigen Druck nicht nervös mit den Füßen zu scharren.
Als die Schachtel quer durch die Kirche gereicht worden war, brachte Jason sie wieder nach vorne, und dann begann die Auszählung. Ein langes Brett, ähnlich dem, das man bei einer Partie Cribbage verwendet, wurde auf den Tisch gelegt, auf dem eben noch die Schachtel gestanden hatte.
Anschließend wurden die Kugeln aus der Schachtel genommen und in die Vertiefungen des Bretts gelegt.
Schwarz, dann weiß, dann schwarz, dann drei weiße, dann sechs schwarze und so weiter. Obwohl mein neuer Freund mit beredten Worten gesprochen hatte, schienen die Formwandler nicht völlig mein neuer Freund mit beredten Worten gesprochen hatte, schienen die Formwandler nicht völlig überzeugt zu sein. Wie immer die Abstimmung auch ausfallen würde, es wäre auf keinen Fall einstimmig.
Nach einigen Minuten der Auszählung verließ Gabriel die Plattform und kam zu mir herunter, näher an die Menge heran. Es war ein symbolischer Akt, der besagte, dass er wieder zu ihnen gehörte und sich dazu bereit erklärte, ihre Entscheidung zu respektieren, wie immer sie auch ausfallen würde.
Gabriel hielt seine Faust hoch. »Die letzte Stimme. Die entscheidende Stimme.« Er öffnete seine Hand. Die Kugel war weiß. Sie würden hierbleiben.
Fünf Sekunden lang herrschte atemlose Stille. Dann brach das absolute Chaos aus.
Unglücklicherweise hatten wir recht gehabt. Die Männer, die es im Flur auf Gabriel abgesehen hatten, waren nicht die Einzigen gewesen. Sie hatten sich auch nicht für die Wahl interessiert – sie hatten vorgehabt, das Kräftegleichgewicht hinterher zu verändern.
Ohrenbetäubender Lärm brach los, als Formwandler nach vorne stürzten und auf dem Weg Handfeuerwaffen und Messer aus ihren Lederjacken zogen. Ich war Gabriel am nächsten, also zog ich mein Schwert und sprang vor ihn, bis Ethan und Adam auftauchten und Gabriel hinter dem Podium in Sicherheit brachten.
Da Gabriel nun abgeschirmt war, sprangen Falon, Jason und Robin von der Plattform herab. Falon zog zwei Dolche aus ihren Stiefeln und eilte zu mir an die Front. Jason und Robin holten sich Jeff zu Hilfe und machten sich daran, die Angriffe von den Flanken abzuwehren.
Sie waren nicht die Einzigen, die Gabriel zur Seite standen. Wie immer die Formwandler über die Wahl dachten, die Stimmen waren gezählt und eine Entscheidung getroffen worden. Viele von ihnen würden diese Entscheidung respektieren. Sie würden bleiben und kämpfen.
Verräter unter ihnen würde er nicht dulden.
Schick Christopher und Ben zu den Ausgängen, teilte ich Ethan telepathisch mit. Wenn das hier nach draußen dringt, dann ruft jemand die Polizei. Die können wir im Augenblick nicht brauchen.
Falon und ich nickten uns kurz zu und bereiteten uns darauf vor, unseren Stahl in den Kampf zu führen.
Die erste Welle bestand nur aus Draufgängern. Ein Mann in einer Lederjacke stapfte mit einem mordlüsternen Grinsen und einem Revolver auf mich zu.
»Oh, das ist ja fast schon zu leicht«, sagte ich mit einem Lächeln, und bevor er mit einem abfälligen Kommentar antworten konnte, hatte ich meine Finger um die Hand am Abzug gelegt und sie nach oben gedreht. Die Waffe zeigte zur Decke und konnte so keinen Schaden anrichten. Ich nutzte die Drehkraft, um seinen Ellbogen zu biegen, und er fiel auf die Knie, als Sehnen und Knochen bis an die Belastungsgrenze überdehnt wurden.
Als er einige wenig stilvolle Schimpfworte murmelte, entschied ich, dass er bewusstlos glücklicher wäre. Ich zog ihm die Waffe aus der Hand und setzte ihn mit einem Tritt gegen den Kopf kurzerhand außer Gefecht.
Ich blickte auf das Rabenarmband an meinem Handgelenk herab. Zwar konnte es die Feindseligkeit Vampiren gegenüber wohl nicht beseitigen, aber es bewährte sich, wenn es darum ging, Leuten in den Arsch zu treten.
Der nächste Formwandler, der mich angriff, hatte sich für ein Messer entschieden, und er war schneller als sein schlafender Freund. Er kämpfte mit kurzen Stößen und Schnitten, die mich erwischt hätten, wäre ich ein langsamerer Vampir gewesen. Aber ich war schnell, und ich konnte ihnen ausweichen, und er war nicht gerade der kreativste aller Krieger. Bedauerlich für ihn war, dass er seine Angriffe ständig wiederholte. Ihn zu entwaffnen war ein Kinderspiel, und ich schickte ihn mit einem Kniestoß in die Brust, der ihm den Atem verschlug, ins Reich der Träume.
Ich sah zur Seite und merkte, dass Falon mich amüsiert betrachtete. »Ich mag dich«, sagte sie, die ihren eigenen, blutverschmierten Berg aus Formwandlern zu Füßen liegen hatte. »Du bist so ordentlich.«
Ich erwiderte ihr Grinsen. »Ich kann Unordnung einfach nicht leiden.« Da wir eine Sekunde Luft hatten, blickte ich mich kurz um und machte mir ein Bild von der Situation.
Keenes standen an Hinter-und Nebenausgängen der Kirche, um die Schlägerei im Gebäude zu halten. Jason und Robin waren in den Seitenschiffen und kämpften dort gegen ihr eigenes Rudel wütender Formwandler. Robins Sehschwäche schien ihn nicht daran zu hindern, ordentlich auszuteilen. Etwa ein Drittel der Versammlung saß noch auf seinen Plätzen; die anderen zwei Drittel bekämpften sich überall dort, wo sie den Platz dazu fanden.
»Was für eine Zusammenkunft«, murmelte ich und brachte mich für Runde zwei in Position.
Die zweite Angreiferwelle hatte gesehen, dass wir die erste besiegt hatten, und daher wirkten sie bei Weitem nicht so selbstbewusst. Doch ihre Gesichter ließen die grimmige Entschlossenheit von Gläubigen erkennen – es war ihnen egal, ob sie gewannen oder nicht. Es ging ihnen ums Prinzip.
Außerdem waren sie bessere Kämpfer; sie hatten den Angriff der Infanterie abgewartet und wussten nun, wie wir kämpften.
Immerhin konnte ich in dieser Runde mein Schwert zum Einsatz bringen.
Der erste Angreifer war eine Frau, ein kleines Ding mit Dauerwelle und geschwungenen, gotisch wirkenden Dolchen in der Hand. Sie ging recht geschickt mit ihren Klingen um und konnte sich meiner Angriffe gut erwehren. Aber sie selbst griff nicht an; ihre Bewegungen waren alle defensiv.
Das bedeutete – zumindest ging ich davon aus –, dass sie vor mir ermüden würde. Doch es hatte keinen Sinn, das Unausweichliche hinauszuzögern.
Als ich einen Schnitt am Unterarm kassierte, setzte ich meinen endgültigen Plan um. Ich schlug nach vorne und änderte unsere Positionen so, dass sie mit dem Rücken nur wenige Schritte vor der ersten Bankenreihe stand. Ein seitlicher Tritt gegen ihren Körper ließ sie gegen die Bank krachen. Sie schlug auf dem Holz auf, sackte in sich zusammen und fiel mit geradem Oberkörper und dem Gesicht voran zu Boden, als ob sie schlafen würde.
»Hinter dir!«, rief Falon. Ich ließ mich fallen und hörte einen Tritt über meinen Kopf hinwegrauschen.
Ich rollte mich ab und trat mit beiden Beinen nach dem Formwandler hinter mir. Für einen Vollkontakt war ich nicht nah genug, also stolperte er nur, erlangte das Gleichgewicht wieder und griff mich erneut an.
Falon, die ihre eigene Gruppe aus Verrätern erledigt hatte, schob sich mit einer Hand ihre langen Locken hinters Ohr und streckte dann einen Fuß aus. Der Mann stolperte darüber und fiel der Länge nach hin, wobei er mit den Armen ruderte. Falon schubste ihn auf den Rücken und stellte dann einen Stiefel auf seinen Hals, bis er aus Mangel an Sauerstoff ohnmächtig wurde. Sie sah zu mir auf und stemmte die Arme in die Seiten.
»Ich danke für die Hilfe«, sagte ich.
»Jederzeit. Du bist gut.«
»Du auch«, sagte ich mit einem Lächeln, denn mir war klar, dass Jeff seine liebe Not mit ihr haben würde.
Der Altarraum war ein einziges Durcheinander. Einige der Kirchenbänke waren zerbrochen. Kerzen waren umgefallen, und ihr Wachs ergoss sich auf den Fußboden. Marmorsäulen wiesen Einschusslöcher auf. Die gewalttätigen Formwandler waren zu hauptsächlich ohnmächtigen Haufen aufgetürmt worden, damit sie bestraft werden konnten.
Ich wischte meine Klinge am Saum meines Tank-Tops ab und ließ sie wieder in die Schwertscheide gleiten. Sie hatte es verdient, ordentlich gesäubert zu werden, aber das musste warten, bis wir wieder sicher zu Hause waren.
Ich überblickte die Menge und entdeckte Jeff und Falon in einer Ecke. Sie redeten miteinander, standen sehr nah beieinander, und ihre Körpersprache ließ sie beide besorgt wirken … und aneinander interessiert. Jeff sah auf und zu mir herüber.
Ich formte lautlos die Worte: »Alles okay?«
Er hielt den Daumen hoch, bevor er sich wieder Falon zuwandte. Ich habe ihn praktisch verloren, dachte ich mit einem Grinsen. Aber wer könnte Jeff besser auf Trab halten – und zu einem Lächeln motivieren – als diese bezaubernde, dolch-schwingende Erbin des Zentral-Nordamerika-Rudels?
Da ich Jeff sicher wusste, ging ich zurück zum Podium, um mich bei den Leibwachen zu melden.
Ethan, Adam und Gabriel saßen im Chorstuhl. Ethan erwiderte meinen Blick und nickte mir zu – ein Arbeitgeber, der mit der Leistung seiner Angestellten zufrieden war.
Unglücklicherweise hatte diesmal Gabriel eine Kugel abbekommen – es hatte ihn am linken Oberarm erwischt. Adam kümmerte sich gerade darum und wickelte etwas, das wie das Altartuch aussah, um den Arm, damit die Blutung aufhörte. Gabriel sah zu mir auf. »Tja«, sagte er, und der Hauch eines Lächelns glitt über seine Lippen, »es scheint, dass wir hierbleiben.«
»Das habe ich gehört«, sagte ich und schlug dann einen oberlehrerhaften Ton an. »Ich muss Sie dringend darum bitten, dass Sie sich bei Ihren Kindern um besseres Benehmen bemühen.«
Er strahlte übers ganze Gesicht. »Ich mag deine Klugscheißerei, Kätzchen.«
Ich nahm das Kompliment zur Kenntnis und sah dann zu Ethan. »Alles okay?«
»Alles bestens. Du und Falon wart ein gutes Team.«
»Bring die beiden nicht auf dumme Gedanken«, murmelte Gabriel und sah dann zu Adam hinüber.
»Könntest du das nicht etwas fester machen?«
Adam schnaubte, lächelte aber, als er den vorläufigen Verband abband. »Von einem gewissen älteren Bruder wurde mir beigebracht, bloß keine halbherzigen Sachen zu machen.«
»Genau, und schau dir an, was es mir gebracht hat«, sagte Gabriel reumütig und musterte den Altarraum. »Wir haben eine Kirche halb zerstört. Obwohl der Schaden nichts im Vergleich zur Versammlung von 1992 ist.«
»Oder der von 1994«, sagte Adam mit einem boshaften Lächeln. Er rieb sich mit der Hand über den Bauch. »1994 war eine ziemliche Achterbahnfahrt.«
Gabriel lachte kehlig und schlug dann mit seinem Bruder ab. »Das ist wohl wahr.«
»Was wird mit den Angreifern passieren?«, fragte ich.
Gabriel stand auf und hielt seinen Arm fest. »Wir werden ein wenig miteinander über ihr Rudelverhalten diskutieren und was es heißt, den Regeln des Rudels zu folgen.«
»Sie versuchen dich umzubringen, und ales, was sie kriegen, ist eine Diskussion?«, fragte ich laut.
Gabriel warf mir einen spöttischen Blick zu. »Ich meinte das Wort ›Diskussion‹ nicht wortwörtlich.«
»Wirst du sie bestrafen?«, fragte Ethan. »Ich meine, diejenigen, die den Anschlag organisiert haben, und diejenigen, die dann tatsächlich versucht haben, dich umzubringen?«
Gabriel brummte etwas, das ich nicht verstand, doch in Anbetracht seines Tonfalls war es wohl kein Kompliment den Vampiren gegenüber gewesen. »Wir stellen sie nicht in einer Reihe auf und knallen sie ab, Sullivan. Es gibt verschiedene Abstufungen bei ihrer Schuld, genau wie bei den Menschen.
Was die Versammlung angeht, so ist die Entscheidung gefallen. Ungeachtet der Tatsache, dass jemand ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt und einen Anschlag verübt hat, haben sie gestimmt, wie sie gestimmt haben, und die Rudel werden bleiben.« Er sah Ethan an. »Was die Dinge angeht, die wir angesprochen hatten – das mit der Freundschaft? –, so sind meine Leute im Moment zu aufgedreht für so was. Vieleicht in der Zukunft, vieleicht nie, aber ganz bestimmt nicht jetzt.«
Ethan leistete hervorragende Arbeit, als er trotz Gabriels Zurückweisung Haltung bewahrte, aber ich wusste, dass er innerlich fluchte. Er hatte praktisch das Haus – oder zumindest seine Hüterin – auf die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen Cadogan und dem Rudel gesetzt.
»Einverstanden«, sagte Ethan, »aber das Kopfgeld bleibt bestehen. Du lebst noch. Das bedeutet, es besteht immer noch die Möglichkeit, dass jemand einen Anschlag auf dich verübt.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Die Führerschaft des Rudels bleibt in der Familie. Wenn mir also was zustößt, wird Falon Anführerin, dann Eli und so weiter bis hin zu Ben und Adam. Der einzige Grund, mich auszuschalten, war der, den Ausgang der Wahl zu beeinflussen. Aber die Würfel sind gefallen, und deswegen wird das nicht passieren.« Er zuckte mit den Schultern. »So wie ich das sehe, bin ich aus dem Schneider.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich Gabriels Theorie Glauben schenken sollte, vor allem weil die Gewalt erst nach der Wahl ausgebrochen war, aber ich verstand das Bedürfnis, die Vampire wieder loszuwerden. Außerdem konnten wir ihn nicht vierundzwanzig Stunden am Tag beschützen. Wir hatten für unser Haus kaum genug Leute.
Gabriel hielt Ethan die unverletzte Hand hin. »Vielen Dank für eure Hilfe. Deine Hüterin hat erstklassige Arbeit geleistet.«
Sie gaben sich die Hand. »Das hat sie«, sagte Ethan.
»Es wäre wohl an der Zeit, über diese Gehaltserhöhung zu sprechen.«
»Übertreib es nicht, Hüterin.« Einen Versuch war es wert.
Ich hatte meine Lederjacke ausgezogen, als wir zum Mercedes zurückgingen, denn die Juni-Hitze sorgte für ausreichend Wärme. Wir fuhren schon einige Minuten, als ich den kleinen Knopf in meiner Tasche bemerkte.
»Oh verdammt«, murmelte ich.
Ethan sah mich beunruhigt an. »Was denn?«
Ich griff in meine Jackentasche und zog den Ohrhörer hervor, den Luc mir gegeben hatte. »Ich habe komplett vergessen, das Ding zu benutzen.«
Eine Augenbraue zuckte nach oben. Ethan griff in seine Jeanstasche und holte seinen Ohrhörer Eine Augenbraue zuckte nach oben. Ethan griff in seine Jeanstasche und holte seinen Ohrhörer hervor. Es schien mir fast so, als wäre ich nicht der einzige vergessliche Vampir.
Er schenkte mir ein geheimnisvolles Lächeln. »Vieleicht sollten wir das Luc nicht erzählen.«
»Da ist noch etwas.«
»Was denn, Hüterin?«
»Ich habe auch noch meine Kohlrouladen vergessen.« Er verdrehte die Augen, musste dabei aber grinsen.
»Du wirst ohne sie auskommen müssen, denn für kein Geld der Welt könntest du mich dazu bewegen, zu dieser Kirche zurückzufahren.«
»Zu viele Formwandler an einem Abend?«
»Viel zu viele, Hüterin. Und die Ironie dabei ist, dass wir sie davon überzeugt haben, hierzubleiben.«
»Nun, das ist immerhin ein Erfolg, oder nicht?«
»Wenn wir an die anderen Möglichkeiten denken, dann würde ich das so sehen. Du hast heute erstklassige Arbeit geleistet, und das meine ich ganz ehrlich. Du hast Courage bewiesen, und du hast dich hervorragend gehalten. Deine Leistungen ehren das Haus Cadogan.«
Ethans Stimme klang ernst und feierlich. Ich kannte den Tonfall des Meistervampirs, der gute Leistungen würdigte – aber das hier war etwas anderes. Es war eher, als ob er mir seine Zuneigung schenkte. Da er derjenige gewesen war, der mich zurückgewiesen hatte – ein Risiko, das er bewusst eingegangen war –, entschloss ich mich jedoch, die Untertöne zu ignorieren. Zurückgewiesen zu werden und trotzdem professionell zu bleiben – all meine Gefühle zu verdrängen, damit ich die anstehenden Aufgaben erledigen konnte –, war schon hart genug.
Ich konnte nicht auch noch seine Gewissensbisse ertragen, und es war nicht fair von ihm, dass er mich benutzen wollte, um sich besser zu fühlen.
Also sorgte ich dafür, dass die Stimmung locker blieb. »War ja das Wenigste, was ich tun konnte.«
Er rutschte auf seinem Sitz herum, als ob er sich auf einen Monolog vorbereitete. Ich dachte kurz nach und handelte sofort. Ich schaltete das Radio ein, fand einen Sender, der ein Lied spielte, bei dem ich einfach mitsingen musste, und ließ dann das Fenster herunter. Ich legte meinen Ellbogen auf die Tür, drehte mein Gesicht in den Wind und ließ die Stadt und die Geräusche auf mich einwirken.
Den Rest der Strecke schwiegen wir. Vieleicht hatte er meinen Hinweis verstanden.
KAPITEL NEUNZEHN
Mädelsabend
Als wir wieder im Haus waren, gab mir Ethan die verbleibenden Nachtstunden frei und ging dann zur Operationszentrale, um Luc auf den neuesten Stand zu bringen.
Ich ging sofort in mein Zimmer und unter die Dusche, um mir die Magierück-stände abzuwaschen.
Dann zog ich ein T-Shirt und meine Yogahose an und suchte die Küche im ersten Stock auf. Die Versammlung war anstrengend gewesen – körperlich und emotional. Ich trank zwei der Blutbeutel aus dem Kühlschrank, bevor ich mich wieder halbwegs normal fühlte.
Nachdem ich meinen Durst gestillt und Malory eine SMS geschickt hatte – Ethan und ich Versammlung unverletzt überstanden –, entschloss ich mich, kurz bei Lindsey vorbeizuschauen. Ich hätte mich genauso gut mit einem Buch in meinem Zimmer einschließen können, aber immerhin war ich die Vorsitzende des Partyausschusses unseres Hauses. Es konnte nicht schaden, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Ich konnte ihr Zimmer hören, bevor ich es sah, denn aufgrund der offen stehenden Tür drang der Lärm bis auf den Flur. Ich sah kurz hinein und entdeckte Margot, Lindsey und Michele, die sich offensichtlich für einen Abend in der Stadt hübsch machten.
»He!«, sagte Lindsey und winkte mir von ihrem Spiegel aus zu. »Wir wollten dich gerade abholen. Da du es geschafft hast, einigen Leuten auf der Versammlung in den Arsch zu treten« – spontaner Applaus brach im Zimmer aus –, »haben wir uns entschlossen, dich in die Temple Bar zu entführen!«
»Du sollst wissen, dass wir vol hinter dir stehen«, sagte Margot grinsend und mit einem Nicken und prostete mir mit ihrem Rotwein zu. »Vor allem, seitdem du … ähm …«
»Schlecht behandelt wurdest?«, half ihr Michele.
Margot lächelte verschlagen. »Vielen Dank, Michele. Schlecht behandelt wurdest.«
»Heute Nacht hat in der Temple Bar nur Cadogan Zugang«, sagte Lindsey.
»Was bedeutet, dass weder Menschen noch Vampire Navarres anwesend sein werden. Also werden wir unsere letzten Stunden vor Sonnenaufgang damit verbringen, uns ein paar Drinks zu gönnen, uns zu entspannen und allgemein Spaß zu haben. Meister haben keinen Zutritt. Und dieser Ausflug ist zu entspannen und allgemein Spaß zu haben. Meister haben keinen Zutritt. Und dieser Ausflug ist zwingend«, fügte sie hinzu, als ich den Mund gerade öffnen wollte, um abzusagen.
»Es war ein langer Tag.«
»Das ist genau der Grund, warum du den Ausflug brauchst«, sagte Lindsey.
»Gibt es irgendeine Möglichkeit, darum herumzukommen?«
»Nicht mal die geringste.«
»Dann bin ich wohl dabei.«
Lindsey zwinkerte mir zu, runzelte dann aber die Stirn, als sie einen genaueren Blick auf meine extrem bequemen Klamotten warf. »Das Wichtigste zuerst: Wir müssen dir was Vernünftiges anziehen.« Sie wandte sich an die anderen Vampirinnen und wirbelte mit einem Finger in der Luft herum. »Macht euch fertig und seid in zwanzig Minuten unten im Foyer. Die Taxis sollten dann da sein.«
Als sie alle rausgeworfen hatte, gingen wir zurück in mein Zimmer.
»Also«, sagte sie, als sie es sich kurze Zeit später vor meinem geöffneten Wandschrank gemütlich gemacht hatte, »dies ist das erste Mal seit der Aufnahmezeremonie, dass du mit uns ausgehst. Es ist auch das erste Mal, dass du ausgehst, nachdem du …«
»Verlassen wurdest? Alleingelassen? Ersetzt?«
»Gibt es dafür eine höfliche Umschreibung?«
»Nicht wirklich. Was willst du mir sagen?«
»Ich will dir sagen, dass die beste Rache ein gut gelebtes Leben ist, oder wie immer sich das nennt. Das bedeutet, dass du absolut großartig aussehen und jede Menge Spaß haben musst.« Sie zog ein hellblaues, ärmelloses Shirt mit einem tiefen, drapierten Ausschnitt vom Kleiderbügel und legte anschließend eine schwarze Hose mit Bügelfalten dazu. Nachdem sie mir mein Outfit zusammengestellt hatte, sah sie mich an. »In der Bar werden sehr viele Vampire Cadogans sein, und du weißt, dass sich Sachen schnell herumsprechen. Das heißt auch, dass es an der Zeit ist, ihm eine Lektion zu erteilen.«
Ich verzog das Gesicht, denn ich wollte dieses »Ethan eine Lektion erteilen«-Spiel nicht spielen. Eigentlich arbeitete ich gerade daran, ihm zu entsagen, aber ich wusste, wann ich geschlagen war.
Ich streckte die Hand aus und machte eine Greifbewegung. »Her damit«, sagte ich, nahm das Paket in Empfang und ging in mein Badezimmer.
Zehn Minuten später kehrte ich zurück. Ich hatte mir einen Pferdeschwanz gemacht, Lippenstift aufgetragen und meinen Piepser an der Hüfte befestigt.
Lindsey hatte darauf bestanden, dass ich meine Haare hoch trug. Zusammen mit dem drapierten Ausschnitt, so lautete zumindest ihre Erklärung, war das die Art, wie Vampire deutlich machten, dass sie Single sind … und dass ihre Halsschlagader zur Verfügung stand. Ich war nicht wirklich auf der Suche, aber ich dachte mir, dass eine Diskussion einfach zu lange dauern würde.
Wir gingen hinunter, wo unser restliches Gefolge in ähnlich halsfreien Klamotten bereits auf uns wartete. Wie bei einem militärischen Einsatz gab Lindsey ein Handzeichen, und wir marschierten in Reih und Glied nach draußen. Mehrere schwarzweiße Taxis warteten vor dem Haus, um uns in die Temple Bar zu bringen.
Die offizielle Haus-Cadogan-Bar befand sich in meinem Lieblingsviertel, Wrigleyvile, nur ein paar Blocks von Wrigley Field entfernt.
Die Paparazzi schossen einige Fotos, als wir uns in die Taxis quetschten, und ihre Waffenbrüder warteten bereits vor der Bar, als wir fünfzehn herrlich verkehrsfreie Minuten später ankamen. (Es ist offensichtlich ein Vorteil, nur dann durch die Stadt zu fahren, wenn der größte Teil der Bevölkerung schläft.) Wir wurden in die Bar geleitet, an deren Tür ein PRIVATPARTY-Schild Menschen und anderen mitteilte, dass sie heute keinen Erfolg hätten.
Manche Mitgliedschaften haben ihre Vorteile, dachte ich.
Trotz der späten Uhrzeit war die Stimmung in der Bar fantastisch, und die beiden Barkeeper – Sean und Colin – teilten Getränke aus, während die Soundanlage Klassik-Rock vom Feinsten spielte.
Lindsey führte uns durch die Vampirhorden an einen Tisch, der für uns reserviert war.
Im Gegensatz zu Haus Cadogan mangelte es der Temple Bar an kostspieligen Antiquitäten und sorgfältig ausgewählten Gemälden. Aber sie besaß alte und neue Cubs-Fanartikel in allen Formen und Farben – Retro-Baseballjacken, Fahnen, Wackelkopffiguren. Wie man sich vorstellen kann, fühlte ich mich wie zu Hause.
Wir hatten gerade erst die Stühle hervorgezogen und uns hingesetzt, als Sean auf der anderen Tischseite auftauchte. Wie Colin war Sean groß gewachsen und schlank, und er hatte kurze rötliche Tischseite auftauchte. Wie Colin war Sean groß gewachsen und schlank, und er hatte kurze rötliche Haare, ein ovales Gesicht und hellblaue Augen. Sean sah auf diese ernste, altmodische Art gut aus, als wäre er gerade einem Foto eines Bataillons im Zweiten Weltkrieg entsprungen.
Wenn ich es so betrachtete: Er war ein Vampir und unsterblich. Er könnte sehr wohl Soldat eines Bataillons im Zweiten Weltkrieg gewesen sein.
Sean verschränkte die Arme und blickte uns amüsiert an. »Welchem Grund verdanken wir denn die Anwesenheit von Cadogans Besten in unserer bescheidenen Gegend?« Alle zeigten auf mich. Ich errötete bis in die Haarwurzeln.
»Ahhh«, sagte er und sah mich an. »Also hat unsere Hüterin endlich ihre Ketten gesprengt?«
»Das hat sie«, sagte Lindsey und legte mir ihren Arm um die Schultern. »Sie hat bei den Formwandlern ihre Pflicht getan, und jetzt arbeitet sie hart daran, ein wenig zu vergessen. Was würdest du empfehlen?«
»Hm«, sagte er und musterte mich. »Frau oder Mann?«
Ich blinzelte ihn an. »Wie bitte?«
Er kam auf meine Tischseite, kniete sich hin und legte eine Hand auf meine Rückenlehne.
»Frauen, die in der Öffentlichkeit trinken, gehören in der Regel einer von zwei Kategorien an«, sagte er mit dem Selbstbewusstsein eines Soziologen oder Spirituosenhändlers, denn die Jobs haben vermutlich einiges gemeinsam. »Und zwar der Kategorie ›Frauen, die wie Frauen trinken‹: die bunte Dinge im Martini-Glas, Weißwein, eisgekühlte Drinks mögen; oder der Kategorie ›Frauen, die wie Männer trinken‹:die keine Angst haben, einen guten irischen Whiskey zu probieren oder einen richtig kräftigen Scotch. Welche Art von Frau bist du, oh meine Hüterin?«
Ich schenkte ihm mein strahlendstes Lächeln. »Warum entscheidest du nicht für mich?«
Er zwinkerte mir zu. »Ich mag mutige Mädels.« Nun, dann würde er mich definitiv mögen.
Sean schien mich eines männlichen Drinks für würdig zu halten. Er brachte ein bauchiges Glas, das bis zur Hälfte mit Eis und einer goldenen Flüssigkeit gefüllt war. »Du kommst damit klar«, flüsterte er mir zu und stellte dann den anderen ihre Drinks hin.
Vorsichtig hob ich das Glas und schnupperte daran. Ich hatte nie viel getrunken, und das hier schien auf der nach unten offenen Geschmacksskala nur leicht oberhalb von Dieselkraftstoff zu rangieren.
Aber mir gefiel der Gedanke, das Mädel zu sein, das sich einen Scotch on the Rocks bestellte – zumindest ging ich davon aus, dass es sich darum handelte. Es hatte etwas Freches an sich, so wie das Mädel, das einen Wrangler-Jeep fuhr, das Mädel, das die Jeans seines Freundes trug, das Mädel, das mit den Jungs an einem kühlen Herbsttag Flag Football spielte … und gewann.
Ich hob das Glas und nahm einen kleinen Schluck … und verbrachte die nächsten Sekunden mit Ich hob das Glas und nahm einen kleinen Schluck … und verbrachte die nächsten Sekunden mit einem Hustenanfall.
Margot, die sich neben mir schieflachte, klopfte mir auf den Rücken. »Wie schmeckt dir der Drink, Hüterin?«
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, hinter einer Faust versteckt, wieder Luft zu kriegen.
»Raketentreibstoff«, keuchte ich.
»Hast du ihn deinen Drink wählen lassen?«
Ich nickte.
»Und das war dein Fehler. Lass weder Sean noch Colin jemals deine Drinks wählen. Sie haben eine sadistische Ader. Aber sie machen das mit jedem, wenn dich das tröstet.« Sie hob ihr Glas. »Willkommen im Club!«
»Wo wir gerade von Club sprechen«, sagte ich und deutete auf die Partygäste, »woher kommen all diese Leute? Das sind ja mindestens hundert Vampire.«
»Vergiss nicht, dass über dreihundert Vampire mit Cadogan verbunden sind, auch wenn sie nicht alle im Haus wohnen. Aus mir unerfindlichen Gründen wollen die anderen einfach nicht Mitglied in unserer kleinen Vampirschwesternschaft werden und mit uns im Haus abhängen.«
Wenn ich mir überlegte, wie meine Woche bisher ausgesehen hatte, konnte ich mir den Grund dafür denken.
Die nächste Stunde verbrachten wir mit Quatschen. Ich hielt meinen Drink fest, als ob er mir die nötige Wärme schenkte, und nahm nur dann einen weiteren Schluck, wenn mein Hals sich genügend vom vorherigen erholt hatte. Die Vampire an meinem Tisch amüsierten sich mit Geschichten aus dem Leben im Hause Cadogan – vom aktivierten Feueralarm während der Aufnahmezeremonie über den Boykott von »Lebenssaft« 1979 bis hin zum Einbruch eines ziemlich alt-modischen Bewohners unseres Viertels, der davon überzeugt war, dass das Haus der Treffpunkt für geheime, okkulte Rituale war.
Plötzlich setzte Margot ihren Drink ab, schob ihren Stuhl zurück und stellte sich auf ihn. Als sie stand, winkte sie der Theke zu. Sean grinste und läutete lautstark die Messingglocke, die an einem kurzen Pfosten hinter der Theke hing.
Der gesamte Raum brach in stürmischen Applaus aus.
»Was geschieht hier?«, murmelte ich Lindsey zu, aber sie hob nur die Hand.
»Hör einfach zu. Du wirst es schon verstehen.«
»Vampire Cadogans«, rief Sean, als es wieder ruhig in der Bar geworden war.
»Es ist an der Zeit, einer stolzen Temple-Bar-Tradition zu frönen. Nicht, dass die Tradition stolz wäre, aber die Temple Bar ist es ganz bestimmt.«
»Lang lebe die Temple Bar«, riefen die Vampire einstimmig. Sean verbeugte sich majestätisch und deutete auf Margot.
Aus der Menge war Gejohle zu hören und das Geräusch von Holz auf Holz, als Stühle in ihre Richtung gedreht wurden. Sie hob die Hände.
»Ladys und Vampire«, rief sie, »es ist an der Zeit, unsere Gläser auf den Meister zu erheben, auf den Meister mit dem gewissen Etwas, der so viele ungewöhnliche und unterschiedliche Macken hat – Ethan Sullivan.«
Das Grinsen, das sich über mein gesamtes Gesicht breitmachte, konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
»Heute begrüßen wir ein neues Mitglied unseres heiligen Bundes … unsere Hüterin!« Sie erhob ihr Glas auf mich, wie jeder andere Vampir im Raum. Mit hochroten Wangen erhob auch ich mein noch ziemlich volles Glas und nickte ihnen anerkennend zu.
Margot sah mich an, das Glas hoch erhoben, und zwinkerte. »Und möge Lacey Sheridan, Gott segne sie, daran ersticken.«
Donnernder Applaus setzte ein. Mein Grinsen bereitete mir mittlerweile Schmerzen. Lindsey beugte sich zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du das brauchst.«
»Das habe ich ganz bestimmt gebraucht«, stimmte ich ihr zu.
»Habt alle Spaß«, sagte Margot. »Trinkt im angemessenen Rahmen. Und hinterher werden wir gemeinsam Chicagos größte Attraktion aufsuchen – den öffentlichen Nahverkehr!«
Die Vampirin neben ihr half Margot, als sie vom Stuhl herunterkletterte und sich wieder hinsetzte. Alle stellten ihre Gläser ab und rückten ihre Stühle noch ein wenig näher.
»Okay«, sagte ich, und meine Schüchternheit war verflogen. »Was genau machen wir hier eigentlich?«
»Nun, Hüterin«, sagte Margot, »darf ich dich Hüterin nennen?«
Ich grinste und nickte.
Sie erwiderte mein Nicken. »Ich glaube nicht, dass wir etwas preisgeben, wenn wir sagen, dass unser lieber Meister und Lehnsherr, Ethan Sullivan, ein wenig …«
»Eigen ist«, beendete Lindsey den Satz. »Er ist sehr, sehr eigen.«
»Ja«, sagte ich trocken. »Das Gefühl habe ich auch.«
»Er ist außerdem ein Gewohnheitstier«, erklärte Margot. »Was seine Macken angeht, seine Rituale. Marotten, so könnte man es nennen, die einem auf die Nerven gehen können.«
»Wie das Etikett hinten im Ausschnitt eines richtig kratzigen Pullovers«, warf Lindsey ein.
Margot zwinkerte ihr zu. »Hin und wieder treffen wir uns und nehmen uns die Zeit, wegen dieser Marotten, die uns in den Wahnsinn treiben, Dampf abzulassen. Sozusagen als therapeutische Maßnahme.«
Ich stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und beugte mich vor. »Von welchen Marotten reden wir denn hier?«
»Der erste Punkt auf der Liste – das Hochziehen der Augenbrauen.« Sie demonstrierte es, indem sie eine ihrer sorgfältig gepflegten Augenbrauen hob und uns dann der Reihe nach ansah.
»Trinken!«, brüllte Lindsey, und wir nahmen einen Schluck.
»Ich hasse es, wenn er das macht«, sagte Michele und fuchtelte mit ihrem Glas herum. »Und er macht das andauernd.«
»Es ist so was wie das lästigste nervöse Zucken aller Zeiten«, meinte ich nur.
»Von wegen«, sagte Margot. »Er hält es für einschüchternd. Das ist die Geste eines Meistervampirs, der mit einem unbedeutenden Novizen spricht.« Es war unheimlich, wie sehr ihr herablassender, tiefer Tonfall dem des Meistervampirs glich. Vielleicht steckte auch etwas von einer Meisterin in ihr.
»Und was ist Nummer zwei?«, fragte ich.
»Das sag ich«, rief Lindsey. »Nummer zwei – wenn Ethan dich nicht mit deinem Namen, sondern mit deinem Titel anspricht.« Sie senkte das Kinn und sah mich mit halb geschlossenen Augen an.
»Hüterin«, knurrte sie. Ich prustete vor Lachen. »Du kamst mir schon immer irgendwie bekannt vor.«
»Trinken!«, brüllte Margot, und wir tranken noch einen Schluck.
Die nächsten anderthalb Stunden verbrachten wir auf ähnliche Weise – Ethan hatte, was vermutlich nicht überraschend war, ziemlich viele Macken und Marotten.
Was eine Menge Alkohol bedeutete. Jedes Mal, wenn jemand eine Macke vorstellte, die es noch nicht auf die Liste geschafft hatte, mussten wir zweimal trinken.
Da ich praktisch keine Fortschritte bei meinem »männlichen« Drink erzielte, hatte Sean Mitleid mit mir und brachte mir einen Plastikbecher mit Eiswasser.
Der Spaß, sich über den angeberischsten Vampir aller Vampire lustig zu machen, wurde nicht dadurch kleiner, dass ich keinen Alkohol trank.
Wir tranken auf jede einzelne Erwähnung von Amit Patel, auf jeden Vortrag über unsere Pflichten, auf jede Erwähnung von Bündnissen, auf jedes einfache »Herein«, wenn wir an seine Bürotür klopften. Wir tranken darauf, dass er mit seiner Uhr spielte, dass er seine Manschettenknöpfe richtete, dass er die Papiere auf seinem Tisch hin- und herschob, wenn man sich in seinem Büro meldete.
Ethan hatte so viele Marotten, dass die Hälfte des Tischs zu Limonade oder Wasser gewechselt hatte, als wir mit ihnen durch waren. Er hatte auch genügend Marotten, dass ich mich kurz entschuldigen musste. Nur deswegen entdeckte ich sie hinten in der Bar, als ich auf meinem Weg zurück zum Tisch war – Fotos, die man an die Wand geheftet hatte, Vampirfotos über Jahrzehnte hinweg, alle in der Temple Bar gemacht.
»Cool«, murmelte ich und betrachtete die riesige Fotosammlung. Es waren Afros zu sehen und Discoklamotten, Achtzigerjahre-Frisuren und Schulterpolster… und ein Bild, das in einer Ecke der kleinen Ausstellung nur halb zu sehen war.
Ich drehte das Foto an seinem Reißnagel zur Seite, um es besser sehen zu können. Der weiße Rand des Polaroids umgab einen schönen Jungen mit hohen Wangenknochen und langen blonden Haaren, die ihm ins Gesicht fielen. An seiner Seite stand ein blondes Mädchen, das ein Martiniglas in der Hand hielt und sich bei ihm untergehakt hatte.
Er sah sie … bewundernd an. Mein Magen krampfte sich zusammen.
Es waren Ethan und Lacey. Das Bild war vor einigen Jahren gemacht worden, wenn man von der Kleidung auf dem Foto ausging, aber es war dennoch ein Bild von ihnen – ein Junge und ein Mädchen, die beide glücklich waren und sich verliebt ansahen.
Ich ließ das Foto wieder an seinen Platz gleiten und verdeckte es zum Teil, doch was einmal geschehen war, ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Er hatte eindeutig etwas für sie empfunden.
Und nachdem er mit mir geschlafen hatte, hatte er sie zurückgerufen.
Ich lehnte mich an die Wand und schloss die Augen. Ich konnte ihm Liebe nicht missgönnen. Das konnte ich nicht. Nicht, wenn es das war, was sie gemeinsam hatten. Aber gottverdammt noch mal, konnte ich nicht. Nicht, wenn es das war, was sie gemeinsam hatten. Aber gottverdammt noch mal, ich bereute es, dass ich ihn an dieses Gefühl erinnert hatte.
Manchmal war Wissen niemandem eine Hilfe. Ich blieb kurz im Durchgang stehen, bis ich wieder bereit war, mich den Vampiren zu stellen. Als ich schließlich zum Tisch zurückkehrte, blieb ich neben meinem Stuhl stehen und berührte Lindsey an der Schulter.
Sie blickte auf, und ihr Lächeln verschwand, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. »Alles okay bei dir?«
Ich nickte. »Alles okay.« Ich deutete mit dem Daumen zur Eingangstür. »Ich geh mal kurz frische Luft schnappen.«
»Bist du sicher, dass alles okay bei dir ist?«
Ich schenkte ihr mein freundlichstes Lächeln. »Ja, mir geht es gut. Ich brauch nur ein bisschen frische Luft.« Das war die Wahrheit. Die Kopfschmerzen, die ich den Formwandlern zu verdanken hatte, wurden von der Magie, die hundert Vampire freisetzten, nicht wirklich besser.
Sie sah mich einen Augenblick an und schien darüber nachzudenken, ob ich wirklich die Wahrheit sagte. »Soll ich mitkommen?«
»Mir geht es gut. Ich bin gleich wieder da.«
»Okay. Aber wenn du da draußen irgendwelche hübschen Menschen triffst, die ein großes Blutbild brauchen, sagst du mir Bescheid.«
»Du bist die Erste, an die ich denke.«
Ich schlängelte mich durch die Bar zur Eingangstür und ließ mir von einem hübschen, lächelnden Vampir mit lockigen Haaren einen Stempel aufdrücken.
Nachdem ich mir meine Rückkehr gesichert hatte, ging ich den Bürgersteig entlang und ließ meinen Blick über die Restaurants, Bars und verschiedensten Läden schweifen, die es in diesem Teil von Wrigleyvile gab. Ich dachte, dass es nicht schaden könnte, mir neue, interessante Orte in der Gegend anzuschauen, wenn ich das nächste Mal hier war.
Ich war gerade an einem verstaubten Antiquariat vorbeigegangen – das auf meiner Wunschliste sofort ganz oben stand –, als ich Schritte auf dem Bürgersteig hörte. Ich legte instinktiv die Hand an die Seite, wo sich normalerweise mein Schwert befand. Doch mir fiel wieder ein, dass ich es im Haus gelassen hatte.
»Du würdest es nicht brauchen, selbst wenn du es dabeihättest«, sagte eine tiefe Stimme hinter mir.
KAPITEL ZWANZIG
Namen sind Schall und Rauch
Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah mich um.
Jonah stand im Lichtschein einer Straßenlaterne, und seine kastanienbraunen Haare schmiegten sich um sein Gesicht. Er trug ein eng anliegendes dunkles T-Shirt, Jeans und braune Stiefel.
»Merit«, sagte er.
Ich runzelte die Stirn. »Jonah.«
»Ich war gerade in der Gegend.«
»Haus Grey ist nicht weit weg, oder?«
»Einfach nur die Addison entlang«, sagte er und nickte nach links. »Ein Stück Richtung Westen. Es ist umgebautes Lagerhaus.«
»Und du kamst zu dem Schluss, es wäre nett, ein bisschen spazieren zu gehen und zu sehen, was in der Bar des Hauses Cadogan so passiert?«
Jonah wich meinem Blick kurz aus, bevor er mich wieder ansah. »Es ist vielleicht kein reiner Zufall, dass ich hier bin.«
Ich wartete auf Einzelheiten. Da er nichts von sich gab, hakte ich nach. »Und wie rein ist dieser Zufall, wenn ich fragen darf?«
Er kam einen Schritt auf mich zu, die Hände in den Taschen. Er war nah genug und groß genug, dass ich zu ihm aufsehen musste.
»Wenn du dich uns anschließt«, sagte er leise, »wirst du meine Partnerin sein. Eine Bereicherung für mich. Meine Kameradin. Die Person, an deren Seite ich in die Schlacht ziehe und die zu den Waffen greifen wird, um mich zu schützen. Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst.«
»Bewachst du mich, oder stellst du nur sicher, dass ich deinen Ansprüchen genüge?«
»Na gut«, gab er zu. »Wahrscheinlich ein wenig von beidem.« Er deutete auf eine Gasse zwischen den Gebäuden und ging auf sie zu. Ich folgte ihm. Der Mond stand hoch genug, um die Gasse zu erhellen, obwohl der Anblick das Licht nicht wert wahr: Ziegelsteine, Graffiti, leere hölzerne Packkisten und die Stahlskelette verrosteter Feuerleitern.
»Du hast dir einen Namen gemacht«, sagte Jonah, drehte sich zu mir um und verschränkte die Arme.
Der Engel und der Teufel auf seinen Armen starrten mich aus leeren Augenhöhlen an, als ob beide nicht mit der Seite zufrieden waren, für die sie sich entschieden hatten. »Wer so prominent ist, wird die Menschen vielleicht ein wenig zu neugierig auf sich machen. Und Neugier ist vermutlich noch das netteste der möglichen Gefühle.«
»Ich habe nicht um die Werbung gebeten«, betonte ich. »Der Artikel war eine Art Gefallen.«
»Ich habe gehört, dass du dich bei den Formwandlern gut geschlagen hast.«
Ich nahm an, dass Luc den anderen Hauptleuten in der Nachbesprechung die Informationen hatte zukommen lassen. Also nickte ich bejahend.
»Es geht das Gerücht um, dass Gabriel Keene dich mag.«
Das hätte ich nicht bestätigen können. Mit Jonah die Grundlagen unserer Sicherheitsvorkehrungen für die Versammlung durchzugehen, wäre kein Problem – er hatte schon mit Luc darüber gesprochen. Doch die Informationen, die Gabriel mir und Ethan anvertraut hatte, gingen nur uns und das Rudel etwas an.
Wenn ich schon Verrat an Ethan beging, dann würde ich es sicherlich nicht tun, ohne vollwertiges Mitglied der Roten Garde zu sein. Wenn ich schon seinen Zorn auf mich zog, dann wollte ich wenigstens die goldene Mitgliedskarte dafür kriegen.
»Gabriel ist ein sympathischer Typ«, sagte ich schließlich.
»Du lässt dir nicht in die Karten sehen, oder?«
»Ich bin kein Mitglied der Roten Garde.«
»Noch nicht.« Jonahs Tonfall war überheblich. Davon hatte ich heute mehr als genug gehabt. Ich wollte mich daher schon abwenden und deutete über die Schulter in Richtung Bar.
»Wenn du nichts Interessantes zu sagen hast, werde ich zu meinen Freunden zurückgehen.«
»Du wirst dich der Garde möglicherweise nicht anschließen«, sagte er und klang überrascht. »Du wirst vieleicht wirklich Nein sagen.«
Mein Schweigen sprach Bände.
»Soweit ich weiß, hat noch niemand Nein gesagt.«
Ich wandte mich ihm noch einmal zu und lächelte schwach. »Dann werde ich vielleicht eine neue Tradition ins Leben rufen, indem ich meine eigenen Entscheidungen treffe, anstatt etwas nur deshalb zu tun, weil es alle anderen vor mir auch getan haben.«
»Das ist widerlich.«
»Ich hatte eine widerliche Nacht. Hör zu«, sagte ich und verschränkte die Arme, »ich möchte nicht unhöflich sein, aber es war eine verdammt lange Nacht und eine noch längere Woche. Meine Begeisterung darüber, verfolgt zu werden, nur weil jemand, mit dem ich in Zukunft zusammenarbeiten soll, herausfinden will, ob ich wirklich so unfähig bin, wie er gedacht hat, hält sich deshalb in Grenzen.«
Er widersprach mir nicht. War das nicht schmeichelhaft?
»Vielleicht solltest du die Option in Betracht ziehen, dir einen anderen Partner zu suchen«, sagte ich.
»Du kennst mich nicht, und ich kenne dich nicht. Bei allem Respekt, aber ich hätte lieber einen Partner, der sich eine Meinung über mich erst dann bildet, wenn wir uns ein paarmal unterhalten haben.«
»Und ich hätte lieber eine Partnerin, die ihren Job ernst nimmt.«
Ich hätte ihn fast angefaucht. »Kumpel, wenn du mich auch nur ein bisschen kennen würdest, dann wüsstest du, dass ich meinen Job verdammt ernst nehme.« Wir standen schweigend da, und die unausgesprochene Frage hing zwischen uns in der Luft – würde ich seine Partnerin werden?
»Was wirst du machen?«, fragte er schließlich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich kurz darauf leise.
Ich sah hinauf zu den Lichtern der Stadt und dachte an Ethan. Ich dachte an das, was wir getan hatten, was er gewollt hatte, was er mir anbieten konnte und was nicht.
Meiner Meinung nach gab es zwei Möglichkeiten.
Erstens, ich könnte Ethan den Mittelfinger zeigen und der Roten Garde beitreten. Ich würde einen schnellen Abschied aus dem Haus Cadogan vorbereiten, entweder wenn die Menschen beschlossen, dass sie genug von den Vampiren Cadogans hatten (oder Celina das für sie entschied), oder wenn Ethan alles herausfand und mir das Medaillon Cadogans vom Hals riss.
Zweitens, ich könnte Jonah den Mittelfinger zeigen, indem ich Noah sagte: »Nein, danke.« Ich würde mich an Haus Cadogan binden – und an Ethan.
War das nicht paradox?
Mir gefielen beide Möglichkeiten nicht. Beide fühlten sich wie eine List in einem übernatürlichen Spiel an, und ich war mir nicht sicher, ob ich den richtigen Überblick hatte. Am wenigsten gefiel mir der Gedanke, mich für eine der beiden Optionen zu entscheiden, bloß um den jeweiligen Vampir möglichst wütend zu machen. Dafür stand zu viel auf dem Spiel – mein Leben, meine Freunde und die Zukunft meiner Unsterblichkeit.
»Ich rufe Noah an, wenn ich mich entschieden habe«, sagte ich schließlich, drehte mich um und ging zurück zur Bar.
Aus offensichtlichen Gründen behielt ich mein Gespräch mit Jonah für mich. Ich täuschte in der Temple Bar ein Lächeln vor und ein Gähnen, sodass ich mich von der Gruppe verabschieden und ins Haus zurückkehren konnte. Lindsey entschloss sich zu bleiben, also nahm ich mir ein Taxi und freute mich darauf, für den Rest des Abends in meinen Büchern zu versinken. Man konnte über Ethanales sagen, was man wollte, aber der Junge wusste, dass er mich mit einer gut gefüllten Bibliothek glücklich machte.
Okay – er wusste auch sonst, wie man mich glücklich machte, aber bleiben wir beim Thema.
Die Bibliothek, die sich zur Straße hin befand, erstreckte sich über zwei Etagen und war vom ersten Stock aus zugänglich. Ein rotes, gusseisernes Geländer zog sich an der Galerie entlang, die man über eine Wendeltreppe aus demselben Metall erreichte. Drei riesige Fenster fluteten den Raum mit Licht, und ordentlich aufgereihte Tische standen in der Mitte.
Langer Rede kurzer Sinn: Die Bibliothek war luxuriös – der Traum eines jeden Bücherwurms.
Als ich den ersten Stock erreichte, huschte ich durch die Doppeltür und sah mich, die Arme in die Seiten gestemmt, um. Ich hatte keinen klaren Forschungsauftrag, aber mir mangelte es auch an Wissen, das man brauchte, um mit Formwandlern Hand in Hand zu arbeiten und mit ihnen zusammenzuleben.
Ungeachtet jeder Feindseligkeit musste es hier Material über die Formwandler geben. Die Bibliothek war zwar groß und gut organisiert, aber unglücklicherweise altmodisch, was eine Sache betraf: Sie hatte einen Zettelkatalog. Und zwar nicht irgendeinen Zettelkatalog, sondern einen, der in drei gewaltigen Eichenschränken mit schmalen Schubladen untergebracht war. Jede dieser Schubladen enthielt Tausende alphabetisch sortierter Zettel.
Ich ging zur Reihe, wo der Buchstabe F untergebracht war, zog die entsprechende Schublade heraus und stellte sie auf einem Brett ab, das ich an der Seite hervorzog. Es gab zahlreiche Einträge zu Büchern über Formwandler, von der Encyclopaedia Tractus – dem »ultimativen Guide zu Formwandler-Gebieten auf der ganzen Welt« – bis hin zu Ein Leben mit Fell: Die Reise eines Mannes.
Ich notierte mir die Signaturen einiger Sachbücher (Biografien und Memoiren nicht mitgerechnet) und schob die Schublade zurück an ihren Platz. Das ausziehbare Brett ließ ich mit einem leichten Stoß meiner Hüfte wieder hinein-rutschen und überflog meine Zettel, die ich gesammelt hatte, um zu überlegen, in welchen Bereichen der Bibliothek ich die Titel finden würde … und prallte frontal in einen braunhaarigen Mittzwanziger, der mich finster ansah.
»Oh Gott, es tut mir leid. Ich wollte nicht …«
»Du bist sicherlich nicht davon ausgegangen, dass du die einzige Novizin bist, die diesen Raum benutzt? Und du bist sicherlich nicht davon ausgegangen, dass sich die Bücher von selbst sortieren?«
Ich blinzelte den Mann an – ziemlich klein, süß, gequälter Gesichtsausdruck –, der mich mitten in der Entschuldigung unterbrochen hatte.
»Ich – äh – nein? Natürlich nicht.« Ich mochte zwar stottern, aber das meinte ich auf jeden Fall ehrlich. Als ich die Bibliothek das erste Mal gesehen hatte, war ich davon ausgegangen, dass es einen Bibliothekar gibt, der alles in Ordnung hält. Es war mir irgendwie seltsam vorgekommen, dass ich ihn oder sie noch nie gesehen hatte. Aber offensichtlich stand ich gerade in diesem Moment vor ihm.
Die Antwort schien den Bibliothekar ein wenig zu beruhigen, und er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das daraufhin senkrecht nach oben abstand. Er trug Jeans und ein schwarzes Polohemd – ein weiterer Vampir, der sich nicht von Kopf bis Fuß in das Schwarz Cadogans kleiden musste.
»Natürlich nicht«, wiederholte er. »Das wäre ungemein naiv.« Er deutete auf die Bücher hinter sich.
»Wir haben mehrere zehntausend Titel in dieser Bibliothek, musst du wissen, mal ganz abgesehen davon, dass wir eine offizielle Pflichtexemplarbibliothek für den Kanon sind.« Er hob die Augenbrauen, als ob er eine Antwort von mir erwartete – eine ehrfurchtsvolle Antwort.
»Ja«, sagte ich, »das ist – toll! Zehntausende von Titeln? Und auch noch Pflichtexemplarbibliothek für den Kanon? Das ist ganz toll.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte äußerst skeptisch. »Sagst du das nur so, oder Er verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte äußerst skeptisch. »Sagst du das nur so, oder bist du wirklich beeindruckt?«
Ich verzog das Gesicht. »Wie sollte ich deiner Meinung nach auf diese Frage antworten?«
Ein Mundwinkel zuckte leicht nach oben. »Süß, und du schleimst dich nicht ein. Das weiß ich zu schätzen. Du bist die neue Hüterin? Die Forscherin.«
»Frühere Forscherin«, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen. »Und du bist?«
»Der Bibliothekar«, sagte er und schien seinen Namen nicht nennen zu wollen.
Er wollte mir auch nicht die Hand schütteln. Stattdessen verlangte er mit einer Geste, die Zettel in meiner Hand zu sehen. »Gib mir deine Notizen, und ich werde finden, was du brauchst.«
Ich tat wie befohlen und folgte ihm, als er sich abwandte und zum sozialwissenschaftlichen Bereich hinüberging. Witzig, dachte ich, dass die meisten Bibliotheken Bücher über Formwandler und Wer-Wesen unter Fantasy und Sagen führen. Aber hier, in dieser Bibliothek, die Vampiren gehörte, waren sie real. Das bedeutete, dass diese Bücher eher zur Anthropologie (oder vieleicht Zoologie?) als zur Mythologie gehörten.
Wir gingen in die hintere rechte Ecke des Raums, wobei der Bibliothekar den Blick auf meine Notizen gerichtet hielt. Er machte sich nicht die Mühe, die Signaturen an den Regalenden zu betrachten, denn er schien den Standort der Bände auswendig zu kennen.
»Die Vampire reden darüber«, sagte er, als er in einen engen Gang zwischen den Regalen einbog. Ich folgte ihm. Bücher jeder Form und Größe, neue und alte, Taschenbücher und gebundene Ausgaben, erstreckten sich über uns.
»Worüber reden sie?«
»Die Versammlung.« Er blieb mitten im Gang stehen, drehte sich zu einem der Regale und sah mich dann an. »Es heißt, sie haben sich entschieden, nicht nach Aurora zu gehen, und dass sie dich angegriffen haben.«
Gerüchte über die Versammlung hatten die Runde gemacht, aber leider nicht die Wahrheit. »Sie haben sich entschlossen, zu bleiben und uns zu unterstützen, anstatt zu fliehen«, korrigierte ich ihn.
»Der Angriff erfolgte auf einen der Rudelanführer. Sie haben nicht mich angegriffen. Ich habe nur geholfen, ihn zu verteidigen.«
»Trotzdem«, sagte er, »beweist das nicht, wie sie wirklich sind? Wankelmütig? Und ihre Zukunft besprechen sie in Chicago. Wer hätte gedacht, dass dieser Tag mal kommen würde?« Da er einen Finger über die Buchrücken gleiten ließ, nahm ich an, dass der Kommentar rhetorischer Natur gewesen war. Eine Frage hatte ich aber dennoch.
»Warum werden sie die ›Heuchler‹ genannt?«, fragte ich. Ich hatte gehört, wie Peter Spencer den Ausdruck für Formwandler gebraucht hatte. Ich wusste, dass er nicht gerade schmeichelhaft war, aber ich kannte seinen Ursprung nicht.
Der Bibliothekar zog ein großes, schmales, in braunes Leder gebundenes Buch aus dem Regal und reichte es mir. Es war eigentlich eine Mappe, die Skizzen von Formwandlern in ihrer Tierform enthielt. Die üblichen Verdächtigen waren natürlich vorhanden: Wölfe, Raubkatzen, Raubvögel. Es gab auch einige etwas ungewöhnlichere Exemplare wie zum Beispiel Robben. Vieleicht war das der Ursprung für den Mythos der Selkies, Wesen, die halb Mensch, halb Robbe waren.
»Formwandler täuschen vor, Menschen zu sein«, sagte der Bibliothekar. »Sie heucheln Menschlichkeit. Sie leben unter ihnen, obwohl sie in Wirklichkeit keine Menschen sind.«
Ich musste mir eingestehen, dass mich diese Argumentation verwirrte. »Aber wir sind doch auch keine Menschen, oder?«
»Wir sind, was wir sind. Raubtiere. Menschen mit kleineren genetischen Veränderungen. Wir wechseln nicht unsere Gestalt, um uns zu verstecken.« Er wich einen Schritt zurück und zeigte auf seinen Körper. »Das bin ich. Das sind wir«, sagte er, und in seiner Stimme lag Frustration. Dann wandte er sich wieder den Regalen zu und zog mehrere Bände hervor. »Wann immer die Menschen versucht haben, Übernatürliche umzubringen, haben die Formwandler so getan, als ob sie Menschen wären.«
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass sich Vampire seit Jahrhunderten einfach versteckt und so getan hatten, als ob sie Menschen wären, um dem Espenpflock zu entgehen. Ehrlich gesagt zweifelte ich daran, ob er den Vergleich gern hören würde. Diese Art Vorurteil hebelte jegliche Logik aus.
»Haben sie das während der Zweiten Säuberung getan?«, fragte ich laut, während der Bibliothekar Bücher auf meinen Armen stapelte. »Haben sie vorgetäuscht, Menschen zu sein, und ignoriert, dass Vampire umgebracht werden?«
»Ich glaube, das reicht erst mal, meinst du nicht auch?«, fragte er missmutig.
Das war vermutlich die Erklärung für das Vorurteil. Ich wusste, dass die Weigerung der Formwandler, den Vampiren während der Zweiten Säuberung zur Seite zu stehen – ihr eigenes Leben zur Rettung der Vampire zu riskieren –, eine tiefe Wunde hervorgerufen hatte. Und zwar nicht nur eine tiefe Wunde, sie riss auch immer wieder auf, selbst nach mehr als hundert Jahren. Ich hatte die Feindseligkeit aufseiten der Formwandler kennengelernt; sie hatten sie ziemlich deutlich gezeigt.
Ihr Verlangen, sich zurückzuziehen, hörte sich an, als ob es mit der Angst vor den Ereignissen der Zukunft zu tun hätte. Mir war aber immer noch nicht klar, warum so viele Formwandler auch die Vergangenheit mit solcher Verbitterung betrachteten.
Doch obwohl Ethan seine Vampire für aufgeklärt hielt, so waren der Zorn und die Verbitterung in unserem Lager genauso vorhanden… Selbst hier, in diesem Hort des Lernens und des Wissens, herrschten sie vor.
Er hörte schließlich auf, Bücher aus den Regalen zu holen, und sah mich an. »Mehr wirst du nicht brauchen«, sagte er. »Damit deckst du die Grundlagen ab.« Ich nickte und versuchte mein Lächeln neutral zu halten und sah dann zu, wie er mich umrundete und auf den Hauptgang zusteuerte.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte er, als er ihn erreicht hatte. Er sah zurück, die Arme in die Seiten gestemmt. Sein Gesichtsausdruck war nun streng, und seine Sorge konnte ich an seinem Blick ablesen. »Dass ich einfach nur ignorant bin oder dass ich auf etwas sauer bin, das vor hundert Jahren passiert ist.« Schlagartig wurden seine Augen silbern, und mir stellten sich die Nackenhaare auf, als sich Magie in unserer Ecke der Bibliothek ausbreitete, weil die Emotionen hochkochten.
»Wir sind unsterblich, Hüterin. Diese Schmerzen wurden nicht unseren Ahnen, unseren Vorvätern zugefügt. Diese Schmerzen wurden uns zugefügt. Unseren Familien. Unseren Geliebten. Unseren Kindern. Uns.«
Mit diesen Worten ließ er mich stehen. Ich blinzelte ihm hinterher, mit mehreren Kilogramm Büchern in den Händen.
Ich versuchte, nicht an den Zorn in seiner Stimme zu denken, an den Schmerz, den die vergangenen Ereignisse hervorgerufen hatten, sondern an die Angst, die Sorge, dass ohne Wachsamkeit solche Dinge erneut geschehen könnten.
Und ich dachte an die Leidenschaft, die ich in Gabriels Stimme gehört hatte, sein Anliegen, die Mitglieder seines Rudels zu schützen. Ich dachte an den Zorn, den ich einmal in Nicks Stimme gehört hatte, und an seinen Wunsch, seine Familie in Sicherheit zu wissen.
Ich verglich die Verachtung und die gegenseitigen Vorwürfe… und fragte mich immer noch, wer die größere Bedrohung darstellte.
KAPITEL EINUNDZWANZIG
Einfach nur tanzen
Die nächste Nacht brach kühl und klar an. Ich zog meine Sonnenschutzjalousie hoch und öffnete das Fenster. Eine willkommene Brise wehte durch die Stadt und vertrieb einen Teil der gestrigen Luftfeuchtigkeit. Ich sollte wieder mit Ethan trainieren, also stand ich auf und ging kurz zur Küche, um mir Orangensaft, Blut und einen Donut mit Speck und Ahornsirupglasur mitzunehmen. Ja, richtig gelesen. Speck. Und Ahornsirup. Auf einem Donut.
Natürlich war ich von der Aussicht auf das Training nicht begeistert. Ich hatte Ethan in der letzten Woche ziemlich häufig gesehen, und ich hätte gerne einen Abend für mich gehabt, ohne politische Manöver oder Beziehungsstress, ohne Schwertkampf oder Seitentritte. Aber was sollte ich tun? Ich hatte meine Eide geleistet und so kam es nicht infrage, in meinem Zimmer mit einem Donut in der hatte meine Eide geleistet und so kam es nicht infrage, in meinem Zimmer mit einem Donut in der Hand abzuhängen. Nachdem ich also mein Frühstück hinuntergeschlungen hatte, schlüpfte ich in meine Flipflops, zog eine Laufjacke an und ging hinaus auf den Flur.
Ich wollte gerade die Treppe in den Keller hinuntergehen, als ich sie sah. Sie stand auf dem Absatz zwischen Erdgeschoss und erstem Stock, in einem schwarzen Kostüm, mit verschränkten Armen und erhobener Augenbraue.
Sie war eine Meisterin nach dem Bild ihres Meisters.
Ich ging die Stufen hinab, blieb aber kurz vor dem Absatz stehen und hob die Augenbrauen.
»Wartest du auf mich?«
»Du und Ethan, ihr habt eine außergewöhnliche Beziehung«, sagte Lacey.
»Wir haben eine Beziehung?«
»Ich spiele keine Spielchen, Merit.«
Sie war zwar der lebende Gegenbeweis, aber ich zwang mich, höflich zu sein.
»Bei allem Respekt, aber ich auch nicht. Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ich gebe nicht leicht auf. Er und ich sind wie füreinander geschaffen.«
Ich hätte ihr beinahe eine äußerst abfällige Bemerkung an den Kopf geworfen, hielt mich aber zurück. Wenn sie das wirklich glaubte, nur zu. Außerdem – er hatte sie eingeladen, also glaubte er es vermutlich auch.
»Weißt du was?«, fragte ich stattdessen und ging an ihr vorbei. »Viel Glück damit.«
Sie folgte mir ins Erdgeschoss. Ethan, dessen Timing wie immer unschlagbar war, entschied sich in diesem Augenblick, die Treppe zu uns hochzukommen. Er hatte die Anzugjacke abgelegt und trug eine eng geschnittene dunkle Hose, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Vermutlich war er gerade auf dem Weg gewesen, sich umzuziehen.
Seine Augen wurden groß, als er uns beide zusammen sah, denn auf ein Treffen seiner alten und nicht ganz so alten Liebhaberin schien er nicht wirklich vorbereitet zu sein – aber es war nun mal seine eigene Schuld, weil er uns beide unter einem Dach zusammengebracht hatte.
»Wie war dein Anruf?«, fragte Lacey. »Und wie stehen die Dinge in London?«
Es war nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen – Liebe Hüterin: Dein Chef hat mit dem Greenwich Presidium telefoniert, ohne dir davon zu erzählen. Er scheint dich nicht über ales zu informieren! Gruß und Kuss, sein allerliebster Lieblingsschützling.
Mit dem zweiten Schlag war sie direkt aufs Ganze gegangen. Ich musste ein Knurren herunterschlucken.
»Nicht so hilfreich, wie ich es mir gewünscht hätte, aber so ist nun mal das Greenwich Presidium«, sagte Ethan. Als er mich ansah, war seine Sorgenfalte wieder zu sehen. »Wir treffen uns gleich im Sparringsraum.«
Ich nickte. »Lehnsherr.«
Er ging an mir vorbei. »Komm bitte mit, Lacey«, sagte er, und sie gehorchte ihm.
Ich sah zurück und beobachtete, wie sie ihm wie eine Marionette in den zweiten Stock folgte.
Dabei fiel mir etwas auf: Ethan war ihr Meister und würde es immer sein. Obwohl ich mitbekommen hatte, dass sie anderer Meinung sein konnte als er – als sie ihre Bedenken äußerte, ich sei nur eine »gewöhnliche Kriegerin« –, so war doch selbst ihre Haltung fügsam. Sie bewegte sich, als ob sie sein Besitz sei, als ob es nichts Wichtigeres für sie gäbe, als an seiner Seite zu sein. Obwohl sie ein eigenes Haus hatte, wollte sie zurück nach Cadogan.
Lindsey hatte mir gesagt, dass Lacey sehr stark in Strategie sei. Vieleicht war ein Teil dieser Anbetung politisch motiviert. Vieleicht machte sie sich, wie er auch, nur Gedanken um Bündnisse und wollte sicherstellen, dass ihre Verbindung zum viertältesten Haus in diesem Land bestehen blieb.
Vieleicht gab es aber auch einen sehr einfachen Grund. Vieleicht wollte sie einfach ihn. Was immer die Zukunft für mich und Ethan bereithielt (oder für mich ohne Ethan, wie es wohl der Fall sein würde), in diesem Augenblick schwor ich mir, nicht einer von diesen Vampiren zu werden.
Ich schwor, mir selbst treu zu bleiben, mich zu erinnern, wer ich war, vernünftig über Bündnisse nachzudenken und über die Leute, mit denen ich ein Bündnis hätte eingehen können.
Wenn ich mich doch nur vor ein paar Tagen an diese Dinge erinnert hätte… oder als Malory mich gebraucht hatte. Aber was geschehen war, war geschehen.
Ich musste einfach nach vorne schauen.
Ich machte einige Tritte zur Lockerung, als Ethan und Lacey auftauchten. Er kam durch den Haupteingang in den Sparringsraum; Lacey nahm ihren Platz auf der Galerie ein, diesmal zusammen mit einer großen Besucherschar. Es war fast kein Platz mehr, und neben Lindsey und Luc – die sich von ihren Wachpflichten hatten kurz befreien lassen – waren Margot und Michele und einige der anderen Vampire anwesend, mit denen ich gestern in der Bar gewesen war. Sie winkten mir zu, der Fanclub für einen einst sehr zurückhaltenden Vampir.
Aber das mit der Zurückhaltung war jetzt vorbei… ich war eine von ihnen geworden – hauptsächlich, weil ich eine Novizin war, der von einem Meister Unrecht angetan worden war. Oder von zwei, wenn man Lacey mitzählte. Oder von vier, wenn man den früheren und den jetzigen Meister von Navarre einrechnete.
Wie bedauerlich (und wie peinlich) das Unrecht auch gewesen war, es hatte eine Verbindung zwischen mir und den anderen Vampiren des Hauses Cadogan geschaffen – eine Gelegenheit für mich, sie kennenzulernen, ohne dass mein Status zwischen uns stünde.
Ein Lichtblick? Vieleicht. Vieleicht waren die Wege dieser Welt aber auch einfach nur unergründlich.
Ethan kam auf mich zu. Seine Haltung war geschäftsmäßig, und er blickte mich finster an. »Bereite dich auf den Kampf vor«, sagte er.
Es schien, dass wir die komplizierten Unterrichtsprotokolle übersprangen… und die Begrüßung.
»Lehnsherr«, sagte ich, richtete meinen Körper auf ihn aus, locker in den Knien, Ellbogen gebeugt, bereit, mich zu verteidigen oder anzugreifen.
Er schien eine Menge aufgestaute Aggressionen abbauen zu müssen, denn er griff sofort mit einer Schlag-Tritt-Schlag-Kombination an, der ich recht gehetzt ausweichen musste. Seine Schläge und den Tritt wehrte ich ab und versuchte selbst mein Glück – einen halbkreisförmigen Tritt, den er aber problemlos blockte.
Wir hüpften ein wenig auf der Matte herum, teilten kurze, prüfende Schläge aus, aber es kam nicht zu einem richtigen Schlagabtausch. Die Menge begann zu murmeln und mehr Einsatz zu fordern.
Ich versuchte einen Seitwärtstritt, den er leicht abwehrte.
»Du bemühst dich ja nicht mal«, sagte er, ohne dabei stehen zu bleiben. Er sprang vor mir auf und ab, bis er einen perfekten Fußtritt nach vorn ausführte, der mich am rechten Schlüsselbein erwischte. Ich hatte das Gefühl, dass er ihn nicht ganz durchgezogen hatte; es schmerzte zwar unerträglich, aber wenn er richtig getroffen hätte, hätte er den Knochen gespalten.
Ich rieb mir über die wunde Stelle und spürte, wie Zorn in mir aufstieg. Ethan bewegte sich weiter hüpfend und ausweichend umher, und ich versuchte ihn zu treffen. Das schien wohl seiner Meinung nach genau das Problem zu sein – ich versuchte ihn zu treffen, anstatt es einfach zu tun. Wir waren wieder am selben Punkt angelangt, und ihm fiel nichts weiter ein, als mich einzuschüchtern und mich wütend zu machen.
»Ich will, dass du die Fähigkeiten einsetzt, die du gelernt hast«, sagte er. »Ich will, dass du dich auf deine Sinne verlässt, auf deine Instinkte.«
Ich wich einem Tritt aus. »Ich versuche es, Sullivan.«
»Dann gib dir mehr Mühe.«
Warum glauben die Leute eigentlich, dass die Aufforderung, ›sich mehr Mühe zu geben‹, irgendwie helfen würde? Ich bemühte mich, so gut ich konnte. Mein Unvermögen, ihn zu schlagen, resultierte nicht daraus, dass ich mich nicht genug anstrengte.
»Vielleicht bist du einfach besser als ich.«
Er blieb wie angewurzelt stehen und kam dann so nah an mich heran, dass der Aufschlag seiner Gi-Hose an meinen Beinen entlangstrich. »Du bist die Hüterin dieses Hauses. Es geht hier nicht um ›besser als‹.«
Sein Gesichtsausdruck wurde freundlicher, und er sah mich mit diesen tiefgrünen Augen an. Doch diesmal forderte er mich nicht heraus, er ermutigte mich.
»Ich habe gesehen, wie du dich bewegst, Merit. Ich habe gesehen, wie du die Katas mit hoher Geschwindigkeit und unglaublicher Grazie absolviert hast. Ich habe gesehen, wie du gegen Männer gekämpft hast, die doppelt so stark waren wie du. Deine Fähigkeiten sind nicht das Problem. Du kannst das.«
Ich nickte und atmete tief durch. Ich versuchte, nicht zur Galerie hochzusehen, um die Reaktionen der Vampire, die uns zusahen, auszublenden. Ich wollte weder meine noch Ethans Enttäuschung auf ihren Gesichtern widergespiegelt sehen.
Was war das Problem? Dass ich Zuschauer hatte? Das sollte mich nicht stören.
Immerhin war ich früher Tänzerin; es war ja nicht so, dass ich noch nie vor einem Publikum aufgetreten wäre. Dann dachte ich an das erste Mal, als ich Ethan herausgefordert hatte und wie stolz aufgetreten wäre. Dann dachte ich an das erste Mal, als ich Ethan herausgefordert hatte und wie stolz ich auf meine Fähigkeiten als junge Vampirin gewesen war. Und ich dachte daran, was anders gewesen war.
Plötzlich … verstand ich es.
Bei diesem ersten Kampf hatte ich getanzt.
Ich sah Ethan wieder an. »Könnte ich Musik haben?«
Er runzelte die Stirn. »Musik?«
»Bitte.«
»Irgendwelche Vorlieben?«
Ich schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Etwas, zu dem ich tanzen kann.«
Er nickte jemandem hinter mir zu. Kurze Zeit später schalte Rage Against the Machine durch den Sparringsraum.
Ich nahm mir einen Augenblick, um die Augen zu schließen und den treibenden Rhythmus von Guerilla Radio meine Muskeln lockern zu lassen. Ich passte mich der Musik an, und als sich die Verspannungen gelöst hatten und die Welt sich langsamer um ihre Achse zu drehen schien, öffnete ich Verspannungen gelöst hatten und die Welt sich langsamer um ihre Achse zu drehen schien, öffnete ich die Augen und betrachtete ihn – nicht als seine Geliebte, nicht als der Vampir, den er erschaffen hatte, oder seine Novizin, sondern als eine eigenständige Kriegerin.
»Bereit?«, fragte er.
Ich nickte.
»Dann los«, sagte er, und als ob es die einfachste Sache der Welt wäre, griff ich ihn an.
Ich dachte nicht darüber nach, ich analysierte meine Bewegungen nicht, und ich fragte mich auch nicht, ob er meinen Angriffen ausweichen oder sie abwehren würde. Stattdessen trat ich einfach nach ihm, synchron zum treibenden Bass, der in meinem Brustkorb vibrierte. Ich begann mit einem hohen Butterfly-Kick, und bevor er sich verteidigen konnte, nutzte ich das Drehmoment, das mir mein Tritt verschaffte, um noch einen hohen Roundhouse-Kick hinterherzuschicken.
Er grunzte, ließ sich mit seiner üblichen Geschwindigkeit zu Boden fallen und setzte einen Roundhouse-Kick entgegen. Doch diesen Tritt hatte ich früher schon bei ihm gesehen. Ich wich der Bewegung aus, machte einen Salto rückwärts und landete, bereit für die nächste Runde, den Körper angespannt. »Du wirst schon schneller sein müssen, Sullivan.«
Die Menge begann zu brüllen.
Wir sprangen beide aus der Reichweite der gegenseitigen Tritte und balancierten auf unseren Fußballen, um die nächste Öffnung in der gegnerischen Deckung zu erkennen.
»Das ist besser«, sagte er.
Ich zwinkerte ihm zu. »Dann wirst du den hier lieben.«
»Nicht, wenn ich zuerst angreife«, sagte er und versuchte mit einem Seitwärtstritt meinen Oberkörper zu erwischen. Doch ich drehte mich mit einer Hand auf dem Fußboden und trat nach hinten aus, um seinen Kopf zu erwischen.
Ich verpasste seinen Kopf… traf ihn aber an der Schulter. Seine Trägheit ließ ihn in die Knie gehen, aber er sprang sofort wieder auf.
Die Vampire auf der Galerie klatschten anerkennend.
Ich betrachtete ihn mit einem prüfenden Blick, die Arme in die Hüften gestemmt. »Das ist besser.«
Er lachte vor Freude.
Ethan griff mich wieder mit einem Tritt an, und diesmal, dachte ich, wäre es an der Zeit für etwas Neues. Ich sprang mit einem übertriebenen Salto mit Scherenschlag etwa drei Meter in die Höhe und außer Reichweite seiner Tritte.
Ich landete, und dann machten wir mit dem Sparring wirklich ernst. Wir bewegten und drehten unsere Körper, als ob die Schwerkraft für uns keine Bedeutung hätte, als ob wir Partner in einem Pas de deux wären.
»Gut«, rief er mit einem Funkeln in den Augen.
In diesem Augenblick nutzte ich meine beste Waffe. Ich sah ihn an und täuschte einen Seitwärtstritt vor. »Ich bin nur eine gewöhnliche Kriegerin«, sagte ich.
Er erstarrte, und mit einem Schlag war alle Freude verschwunden. Diesen Moment der Verlegenheit nutzte ich, drehte mich und griff mit einem weiteren Butterfly-Kick an.
Diesmal traf ich ihn mitten in die Brust. Er flog nach hinten und klatschte auf den Boden.
Stile breitete sich im Raum aus… und dann setzte donnernder Applaus ein.
Heftig keuchend und nach der Anstrengung in Schweiß gebadet ging ich zu ihm hinüber und sah auf ihn herab. Ich war mir nicht ganz sicher, wie die weitere Vorgehensweise auszusehen hatte. Was macht man, wenn man endlich seinen Meister im Kampf besiegt hat?
Ich entschloss mich, den Moment auszukosten. Ich grinste und hob eine Augenbraue. »Tja, Sullivan, ich glaube, ich habe dir gerade eine Abreibung verpasst.«
Seine Augen waren groß, smaragdgrün und ließen seinen Schock erkennen. Aber obwohl er auf dem Boden lag, lächelte er mich voller Stolz und mit einer Art kindlicher Freude an.
Als ich über ihm stand, streckte ich ihm eine Hand entgegen. Er nahm sie, und ich zog ihn hoch.
»Denk immer daran«, flüsterte er mir zu, »dass du eine ungewöhnliche Kriegerin bist, was immer sie auch sagen. Und du bist ein unvergesslicher Anblick.«
Ich nickte und akzeptierte das Kompliment. Dann sah ich zu der Menge auf der Galerie hoch.
Lindsey und Katherine standen vorne an das Geländer gedrängt und klatschten zusammen mit den anderen. Ich zupfte am Saum eines unsichtbaren Rocks und machte einen Knicks, bevor ich auf Ethan deutete. Er lachte leise, verbeugte sich aber galant und formvollendet.
»Ich glaube, für heute hatten wir genügend Spaß«, rief er nach oben. »Zurück an die Arbeit, Vampire.« Es gab zwar Gemecker, aber sie verließen trotzdem den Raum und redeten begeistert über das, was sie gerade erlebt hatten.
In diesem Augenblick wurde mir einiges klar. Mein bisheriges Unvermögen, ihn zu schlagen, war rein mentaler, emotionaler Natur gewesen – eine Mauer, die ich erst im Kampf hatte überwinden müssen.
Es ging darum, alle meine menschlichen Vorurteile abzulegen, was den Freikampf und meine Bewegungsmöglichkeiten anging. Es ging darum, das hatte mir Catcher einmal gesagt, das neue und merkwürdige Verhältnis meines vampirischen Körpers zur Schwerkraft zu verstehen. Es ging darum, mich daran zu erinnern, wie sich Ausdruckstanz anfühlte – so hatte Ethan es genannt.
Ich musste darüber hinwegsehen, dass einige Bewegungen nicht perfekt waren, dass sie nicht gut aussahen oder »richtig« waren. Ich musste mich daran erinnern, wie es sich anfühlte, wirklich in meinem Körper zu sein, zu spüren, wie sich Beine und Arme bewegten, die Hüften, wie sich die Haut erwärmte, das Herz pochte, ich schneller atmete.
Ich sah das silberne Begehren in seinen Augen, und ich wusste, dass ihm dasselbe klar geworden war wie mir.
Lacey Sheridan würde nicht die einzige von Ethan erschaffene Meistervampirin sein.
Und da wir gerade von der Frau sprechen, die Ethan vorher trainiert hatte – ich sah nach oben und richtete meinen Blick wie in Zeitlupe auf sie, die vor mir da gewesen war.
Lacey erwiderte meinen Blick und schien mich auf eine neue Art zu betrachten. Es war gewiss keine Freundschaft, denn Lacey und ich würden niemals Freundinnen sein, da Ethan zwischen uns stand.
Aber es lag etwas in ihrem Blick, das an Respekt erinnerte. Sie akzeptierte, einen Gegner auf dem Schlachtfeld getroffen zu haben, der ihrer Herausforderung gewachsen war. Mein altes Ich hätte die Konfrontation nicht gewollt.
Doch mein neues Ich mochte die Herausforderung, auch wenn ich mir nicht im Klaren darüber war, ob der Gewinn den Kampf lohnte.
Ich nickte und eröffnete damit die Schlacht – ihre Herausforderung war angenommen. Sie hob eine Augenbraue – zweifellos ahmte sie Ethan nach, was sie nach zwanzig Jahren in seinen Diensten perfektioniert hatte – und nickte ebenfalls.
Ethan beugte sich zu mir. »Zieh dir was anderes an«, flüsterte er. »Ich möchte, dass du wenigstens kurz bei ihrem Empfang vorbeischaust.«
Ich schaffte es, ihn nicht anzuknurren. Stattdessen lächelte ich Lacey höflich zu und ging die Treppe hinauf, um zu duschen und mein schwarzes Cadogan-Kostüm wieder anzuziehen.
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Zeig’s ihm
Ich erwartete keine Schwierigkeiten während des Cocktailempfangs, aber mein kleiner Zusammenstoß mit Jonah hatte mir eine wertvolle Lektion erteilt, was es bedeutet, das Haus ohne Waffen zu verlassen. Ich hatte Glück gehabt, dass der Vampir, der auf mich vor der Bar gewartet hatte, es nicht auf mich abgesehen hatte – was ich aber sicherlich nicht von jedem behaupten konnte.
Also ließ ich einen Dolch in meinen Stiefel gleiten, als ich mein schwarzes Cadogan-Ensemble anzog.
Die Haare band ich hoch, das Medaillon Cadogans um meinen Hals, und den Piepser befestigte ich an meiner Seite. Ich war so gut vorbereitet, wie ich es nur sein konnte – zumindest körperlich.
Natürlich. Ich würde seinem Wunsch entsprechen. Ich würde mich in Schale werfen, nach unten Natürlich. Ich würde seinem Wunsch entsprechen. Ich würde mich in Schale werfen, nach unten gehen und mich auf der Party blicken lassen, die er zu Ehren seiner früheren Flamme veranstaltete.
Aber das würde ich nicht ohne Unterstützung tun, wenn auch nur im Geiste. Also schnappte ich mir das Telefon vom Bücherregal, setzte mich auf den Bettrand und rief Malory an.
Das Erste, was ich aus der Leitung zu hören bekam, war das Scheppern von Töpfen und Pfannen und eine ganze Reihe von entfernt klingenden Flüchen, bevor sie es schaffte, sich den Hörer ans Ohr zu halten.
»Oh Gott, stopp – stopp – Scheiße – Scheiße – Merit? Bist du noch dran?«
»Malory? Ales in Ordnung bei dir?«
»Ja … Jetzt mal im Ernst – hör auf! Sofort! «
Der Krach hörte augenblicklich auf.
»Was ist denn los bei dir?«
»Wissenschaftliche Experimente. Ich muss lernen, mit einer Katze umzugehen; sie sind Schutzgeister, weißt du – und sie hat ihre Nase in ales reingesteckt. Sie ist gerade mal vier Stunden hier, und sie glaubt, ihr gehört das ganze … Böse, böse Katze! Hör damit auf! … Sie glaubt, dass mein Haus ihr gehört. Sie reißt meine Küche ab. Wie läuft’s denn bei dir? Ich hab deine Nachricht erhalten, dass es ziemliches Chaos bei der Versammlung gab?«
»Es kam zu Gewalttätigkeiten, aber Gabriel lebt, und das ist das Wichtigste.«
»Ich hab doch gewusst, dass das mit dem Schutzzauber funktionieren würde«, rief sie durchs Telefon.
Ich verdrehte die Augen. »Du hast Gutes geleistet, und ich weiß das sehr zu schätzen. Aber ich brauche meine beste Freundin, die mir gut zuredet.«
»Was lässt er dich denn jetzt schon wieder machen?«
Ah, sie kannte mich einfach zu gut. »Er richtet eine Cocktailparty für Lacey Sheridan aus. Er hat mir gesagt, dass ich mich dort blicken lassen sol.«
»Weißt du, ich habe tausend gute Gründe, ihn nicht zu mögen.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.«
»Okay, gehen wir die Checkliste durch – siehst du großartig aus?«
»Ich trage mein Kostüm.«
»Das reicht völlig. Wirst du ihm die gesamte Party lang hinterherlaufen oder dich bei ihr einschleimen?«
»Keins von beiden.«
»Wirst du du selbst sein, witzig, geistreich und ihn durch deine überwältigende Lebhaftigkeit und Lebensfreude daran erinnern, wie dumm er eigentlich ist?«
Darum liebte ich dieses Mädel. »Ich werde sicherlich mein Bestes geben.«
»Mehr kann ich nicht erwarten … Oh Gott, böse Katze! Merit, ich muss auflegen. Sie hat sich schon wieder meine Streichhölzer geschnappt. Wir reden später noch mal, okay?«
»Gute Nacht, Malory.«
»Gute Nacht, Merit. Zeig’s ihm!«
Wie ich ihr schon gesagt hatte, ich würde sicherlich mein Bestes geben.
Es war leise im Haus, als ich nach unten kam. Ich ging durch den Flur im Erdgeschoss in Richtung Hinterhof. Ethans Bürotür stand offen, und der Raum lag im Dunkeln, wie alle anderen Verwaltungsbüros, an denen ich vorbeikam. Ich hatte die Hälfte des Weges hinter mir – und war kurz vor der Küche –, als ich sie hörte. Musik.
Durch die Fenster an der Hausrückseite konnte ich den Schein eines Feuers im Hinterhof sehen und die vielen Vampire, die sich darum versammelt hatten.
So leise, wie ich konnte, öffnete ich die Tür aus Stahl und Glas und schlich nach draußen. Die schwarz gekleideten Vampire standen im Kreis zusammen, und aus ihrer Mitte ertönte die tief bewegende Musik. Es war eine Solostimme, die einer Frau, begleitet von einer Geige. Ihre Stimme war klar und traurig, die Geige klang rau und kummervol. Es hörte sich an wie ein Klagelied, ein leises, zärtliches Lied über Menschen, die man verloren hatte, und Liebe, die vergangen war – Geschichten, mit denen ich während meiner Mittelalterstudien andauernd Bekanntschaft gemacht hatte.
Die Vampire schenkten der Musik ihre ungeteilte Aufmerksamkeit – die Menge schwieg und betrachtete die Musiker in der Mitte, die ich immer noch nicht sehen konnte. Man sagt, dass Musik das aufgebrachte Gemüt beruhigt; ich glaubte fest daran.
Ich entdeckte Lucs strubblige Locken vor mir. Als ich mich neben ihn stellte, sah er mich an und lächelte kurz, bevor er sich wieder den Musikern zuwandte.
Und endlich konnte ich sie sehen – Katherine und einen männlichen Vampir, den ich nicht kannte. Er spielte die einsame Geige; die klare, aber wehmütige Stimme gehörte zu ihr.
»Es ist ein Lied aus dem Bürgerkrieg«, flüsterte Luc. »Ethan hat Katherine und Thomas gebeten, heute Abend etwas vorzutragen.«
Das muss Katherines Bruder sein, dachte ich. »Es ist wunderschön«, sagte ich.
Sie saßen nebeneinander auf einer niedrigen Betonbank. Katherine trug ein schlichtes Kleid und Sandalen, Thomas eine schwarze Hose mit Hemd. Seine Augen waren geschlossen, die Geige unter sein Kinn geklemmt, und seine Schultern kreisten, als die Töne den Saiten entwichen.
Katherines Augen waren offen, schienen aber ins Leere zu starren, als ob sie unsichtbare Katherines Augen waren offen, schienen aber ins Leere zu starren, als ob sie unsichtbare Erinnerungen vor ihrem geistigen Auge sah, während sie den Zeilen ihres Liedes folgte.
»Sie wurde 1864 verwandelt«, flüsterte Luc. »Sie und auch Thomas. Ihr Meister verwandelte sie, nachdem Katherine ihren Ehemann Caleb im Krieg verloren hatte. Sie waren gerade eine Woche verheiratet gewesen.«
Das Lied hörte sich autobiografisch an. Katherines Lied bat um die sichere Rückkehr eines jungen Soldaten, beklagte das Krachen der Gewehrschüsse im Tal und den Tod des Soldaten. Sie trauerte um den Verlust ihrer großen Liebe.
Ich bin mir nicht sicher, was mich aufblicken und in der Menge nach Ethan suchen ließ, aber ich tat es trotzdem. Zuerst sah ich Lacey. Ihre ausdruckslose Miene ließ auf keine Gefühlsregung schließen.
Wenn das Lied oder der Text sie berührte, so zeigte sie es nicht.
Er stand mit verschränkten Armen neben ihr. Sein Blick … war auf mich gerichtet. Unsere Blicke trafen sich über den anderen Vampiren, über der Musik, und der Lichtschein des Gartens spiegelte sich in seinen Augen, die die Geschichte von Jahrhunderten gesehen hatten. Jahrhunderte, die ihn hatten kalt werden lassen.
Und dann ertönte seine Stimme in meinem Kopf. Merit.
Er rief lautlos meinen Namen, obwohl er neben ihr stand.
Lehnsherr?, lautete meine Reaktion.
Seine Augen funkelten. Nenn mich nicht so.
Ich kann dich nicht mehr anders nennen. Du bist mein Arbeitgeber. So lautet die Vereinbarung, die wir getroffen haben.
Er warf mir einen hilflosen Blick zu, doch ich würde nicht mehr darauf hereinfallen. Ich wandte meinen Blick dem Feuer zu. Es züngelte gen Himmel, und seine Flammen warfen glühende Schatten.
Der würzige Geruch des brennenden Holzes erhob sich in die Luft, und der Duft war fast berauschend; er deutete eine Wildheit an, die Vampire mitten in Downtown Chicago sonst nicht erfahren konnten, da ihnen die Sonne verboten war. Ich starrte in die Flammen, bis das Lied zu Ende war, und schloss mich dem Applaus an, während Katherine und Thomas ein sanftes, trauriges Lächeln austauschten.
»Wo bist du gestern hingegangen?«, fragte Luc, als Katherine einen Schluck aus einem Becher nahm und Thomas seine Geige neu richtete. Ich nahm an, dass er nicht fragte, wo ich gewesen war – sondern wo Lindsey gewesen war.
»Temple Bar. Lindsey hielt es für eine gute Idee, mich aus dem Haus zu scheuchen.«
»Und wie kommst du zurecht?«
»Wenn du dich auf die Formwandler beziehst, ziemlich gut. Wenn du dich auf mein Privatleben beziehst – er hat seine Ex eingeladen. Du kannst dir vermutlich denken, was ich davon halte.«
Katherine und Thomas spielten ein weiteres Lied, diesmal etwas Munteres mit einem irischen Klang.
Luc und ich standen schweigend da und hörten Katherine zu, wie sie mit einem trällernden irischen Akzent sang, Thomas neben ihr, dessen Finger über die Geige flogen.
»Ich glaube, dass er sich wirklich etwas aus dir macht.«
»Er hat eine seltsame Art, das zu zeigen.«
»Er ist ein Vampir. Das macht ihn seltsam.«
Ich sah zu Luc hinüber. Selbst inmitten des schlimmsten übernatürlichen Chaos hatte er immer dieses eigenartige Grinsen im Gesicht. Doch diesmal wirkte er erschöpft, und ich war mir nicht sicher, ob wir noch über Ethan sprachen… oder über Lindsey. War etwas Ähnliches zwischen ihnen vorgefallen? Wenn ja, dann hatte er mein Mitgefühl. Es war schwer, die Last zu tragen, die einem das Bedauern eines anderen auferlegte – und die Reue, die offensichtlich darauf folgte.
»Lindsey und du, seid ihr okay?«
Sein Gesicht wurde ernst. »Lindsey und ich … sind es nicht. Aber das ist der Status quo.«
»Möchtest du darüber reden?«
Die Frage war typisch Frau, aber der Blick, den ich mir damit einhandelte – zusammengekniffene Augen, ausdruckslose Miene –, war typisch Mann.
»Nein, Hüterin. Ich möchte nicht darüber reden.«
»Na gut. Aber«, warf ich ein, »wenn das das Ergebnis unserer Unsterblichkeit ist, dann müssen wir uns fragen, ob sie ein solches Opfer wert ist.«
»Das gibt einem zu denken.«
Die Liebe war ganz bestimmt kein Zuckerschlecken.
Katherine und Thomas beendeten ihr Stück unter donnerndem Applaus, und als das Klatschen langsam aufhörte, ertönten leichte Celloklänge.
Luc seufzte. »Ich werde mich mal unter die Leute mischen. Kommst du hier zurecht?«
»Aber sicher doch«, sagte ich. »Tu dir keinen Zwang an.«
Ich sah ihn zwischen den anderen Vampiren verschwinden. Es war vermutlich kein Zufall, dass auch Lindsey in einem anderen Teil der Menge herumlief.
»Katherine und Thomas sind sehr talentiert.«
Ich sah neben mich. Ethan stand da, mit ausdruckslosem Gesicht, die Hände in den Taschen. »Sie sind sehr talentiert«, wiederholte er.
Ich richtete meinen Blick wieder auf die Leute und fragte mich, wo seine Begleiterin abgeblieben war. Ich entdeckte sie auf der anderen Seite des französischen Gartens im Gespräch mit Malik. Für den Augenblick schien die Gefahr weiteren Theaters gebannt zu sein. »Ja, das sind sie.«
»Gabriel hat angerufen«, sagte er. »Er hat bestätigt, dass die Formwandler, die ihn angegriffen haben, den Mordauftrag erledigen und das Geld einstreichen wollten.«
»Wer hat den Auftrag erteilt?«
»Das hat man ihnen nicht gesagt, und sie haben offensichtlich auch nicht danach gefragt.«
»Das klingt nicht gerade beruhigend. Ist Gabriel immer noch sicher, dass das Ganze vorbei ist?«
Ethan nickte. »Er scheint sich sehr sicher zu sein. Andererseits scheint er für einen Mann mit einer prophetischen Gabe ziemlich kurzsichtig zu sein.«
Oder einfach nicht so neurotisch wie die Blutsauger in seiner Umgebung.
»Und wer steckt nun hinter der ganzen Sache?«, fragte ich.
»Wer kann das schon sagen? Tony könnte damit zu tun gehabt haben, aber wir wissen immer noch nicht, ob er der Strippenzieher war oder einfach nur eine Marionette gewesen ist. Und da Gabriel uns freigestellt hat, wird es auch so bleiben.«
Wir blieben einen Moment schweigend stehen.
»Du bist heute Abend sehr ruhig«, sagte er.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Es war eine anstrengende Woche. Ich versuche mich nur zu entspannen.« Und ich versuchte, weiteres Drama zu vermeiden.
Er schwieg zwei oder drei Minuten lang, während derer wir beide einfach nebeneinanderstanden und schwarz gekleidete Vampire um uns herumgingen.
»Ich kann sehen, dass dich etwas…«
Wir hatten Sex, und du hast mich im Stich gelassen, dachte ich still, und jetzt treibt mich deine Reue in den Wahnsinn. »Ich wollte die Musik genießen.«
»Es tut mir leid.«
Ich schloss die Augen, als mich meine Gefühle zu überwältigen drohten. Ich wollte das nicht schon wieder tun. Ich wollte definitiv keine Entschuldigungen von ihm hören, denn dann fühlte es sich so an, als ob ich bemitleidet würde.
»Bitte hör auf, das zu sagen!«
»Ich wünschte …«
»Deine Unentschlossenheit macht das alles nicht leichter.«
»Und du glaubst, dass es für mich leicht ist?«
»He Leute«, rief eine vertraute Stimme vor uns. Lindsey kam zu uns, mit Lacey im Schlepptau. Verräterin.
»Bezaubernde Party«, sagte Lindsey zu Ethan und sah mich dann an. »Wie geht es dir heute Abend?«
»Mir geht es gut. Und dir?«
»Na ja«, sagte sie mit einem Achselzucken. »Ich bin natürlich nicht so beliebt wie unsere Hüterin.«
Sie legte mir einen Arm um die Schultern. »Wir haben sie gestern Abend in die Temple Bar mitgenommen, und sie war ein echter Hit.«
Ah, das wurde also hier gespielt – mit mir wurde vor Lacey angegeben.
Ethan sah mich mit einem kühlen Blick an. Ich ging davon aus, dass ihn meine plötzliche Beliebtheit nicht beeindruckte. »Komm in fünf Minuten in mein Büro.«
Ich brauchte einen Augenblick, um mich an den Themenwechsel zu gewöhnen, und sah von ihm zu Lacey. »Es gibt keinen Grund für dich, die Party zu verlassen. Wir können uns später unterhalten.«
Bevor ich weitersprechen konnte, hob er seine Augenbraue. »Das war keine Bitte.«
Er ließ uns stehen, ohne auf eine Antwort zu warten, und führte Lacey mit einer Hand auf ihrem Rücken ins Haus.
Lindsey runzelte die Stirn. »Was war das denn gerade?«
»Ich habe keine Ahnung. Was glaubst du, warum er mich in seinem Büro sprechen will?«
»Nun, entweder hat er herausgefunden, dass du dieses Jahr die Homecoming Queen werden wirst, während er diesen Titel doch so sehr wollte, oder er möchte sich vor dir hinknien und in aller Form dafür entschuldigen, dass er so ein Arsch gewesen ist.«
Wir sahen uns an. Sie grinste. »Da die zweite Option extrem unwahrscheinlich ist, interessierst du dich für die Homecoming Queen?«
»Kriege ich dann auch ein Diadem?«
»Was wäre eine Homecoming Queen denn ohne?« Dann legte sie mir ihre Hände auf die Arme. »Tu mir einen Gefallen – was immer er über eure Beziehung sagt oder dein Training oder Lacey, sei nicht schüchtern. Sei nicht bescheiden. Du hast dir diese Woche den Arsch aufgerissen und ihn gut aussehen lassen. Du hast dir dein Selbstbewusstsein verdient. Versprochen?«
Ich versprach es ihr.
Ich wartete eine Viertelstunde. Fünfzehn Minuten, in denen ich mich dazu zwang, mir die Bücher und Trophäen in seinen Regalen anzusehen, um nicht darüber nachzudenken, was – oder wer – ihn aufgehalten hatte.
Ich hatte mich gerade an den Konferenztisch in seinem Büro gelehnt, als er hereinkam. Er sah mich nicht an, sondern schloss die Tür und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er ordnete einen Augenblick lang die Papiere, bevor er seine Hände am Rand der Tischplatte ablegte.
»Wir müssen eine neue körperliche Herausforderung für dich finden, damit dein Training dir auch weiterhin ermöglicht, Fortschritte zu machen.«
Okay, vieleicht wollte er wirklich über das Training reden. »Okay.«
»Es wäre auch eine gute Gelegenheit, den Kontakt mit Gabriel aufrechtzuerhalten. Wenn die Rudel sich nicht zurückziehen, bedeutet das, dass sie hier sind. Wir sollten uns einige Verhaltensregeln überlegen für den Fall, dass noch weitere Rudelmitglieder mit dieser Entscheidung unzufrieden sind.«
»Das scheint angemessen.«
Schließlich sah er mich mit finsterem Blick an. »Schluss mit dem Spiel, Merit. Schluss mit dem ›Ja, Lehnsherr‹ und ›Nein, Lehnsherr‹. Hör auf, mir nach dem Mund zu reden. Du warst für mich wertvoller, als du dich noch mit mir gestritten hast.«
Ein einziges Mal hatte ich meine Zustimmung nicht gespielt; ich hielt es wirklich für angemessen. Aber Ein einziges Mal hatte ich meine Zustimmung nicht gespielt; ich hielt es wirklich für angemessen. Aber sein Tonfall verlangte nach einer Antwort, und ich hatte endgültig genug von dem ständigen Hin und Her.
»Ich war ›wertvoller‹? Ich bin kein Sammlerstück. Ich bin kein Spielzeug und auch keine Waffe, die du nach Wunsch manipulieren kannst.«
»Ich spiele nicht mit dir, Hüterin.«
Ich hob die Augenbrauen. Hüterin war ich nur, wenn er verärgert war. »Und ich spiele nicht mit dir, Sullivan.«
Wir starrten uns einen Augenblick wütend an. Unausgesprochene Worte zwischen uns – das Gespräch, dem wir ausgewichen waren – sorgten für eine bedrückende Atmosphäre.
»Pass auf.«
»Nein«, sagte ich, und seine Augen wurden groß. Ethan Sullivan schien es nicht gewöhnt zu sein, dass ihm seine Untergebenen widersprachen.
»Das Einzige, was du ständig von mir willst«, warf ich ihm vor, »ist, jemand zu sein, der ich nicht bin. Wenn ich mit dir streite, dann beschwerst du dich, dass ich dir nicht gehorche. Bin ich höflich, dann beschwerst du dich, dass ich dir nach dem Mund rede. Ich kann dieses Spiel nicht länger spielen, dieses andauernde Hin und Her.«
»Du weißt, dass das nicht so einfach ist.«
»Es ist so einfach, Ethan. Akzeptiere mich, wie ich bin, oder lass mich gehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht haben.«
»Doch, das hättest du. Du hattest mich. Und dann hast du deine Meinung geändert.« Ich dachte an Lacey, an das Foto, das ich gesehen hatte, daran, dass er mit ihr eine Beziehung geführt hatte, obwohl es nicht in seine strategischen Überlegungen gepasst hatte. Vieleicht störte mich das am meisten – was unterschied mich von ihr? Was fehlte mir? Warum sie, aber nicht ich?
»War ich nicht verführerisch genug?«, fragte ich ihn. »Hatte ich nicht genügend Stil?«
Ich erwartete keine Antwort von ihm, aber er antwortete dennoch. Und das war fast noch schlimmer. »An dir ist nichts auszusetzen.«
Er war aufgestanden und hatte die Hände in die Taschen gesteckt. Unsere Blicke begegneten sich, und ich sah ein grünes Feuer in seinen Augen lodern.
»Du bist perfekt – schön, intelligent, eigensinnig auf eine … attraktive Art. Eigenwillig, aber eine gute Strategin. Eine hervorragende Kämpferin.«
»Und das ist nicht genug?«
»Es ist zu viel. Glaubst du, dass ich nicht daran gedacht habe, wie es wäre, wenn ich am Ende der Nacht in meine Zimmer zurückkehre und dich dort antreffe – dich in meinem Bett vorzufinden, deinen Körper besitzen zu können und dein Lachen zu hören und deinen Verstand zu genießen? Wie es wäre, durch den Raum zu blicken und zu wissen, dass du mein bist – dass ich Anspruch auf dich erhoben habe. Ich. «
Er tippte mit einem Finger auf seine Brust. » Ich. Ethan Sullivan. Nicht der Meister des Hauses Cadogan, nicht der vierhundert Jahre alte Vampir, nicht das Kind Balthasars oder der Novize Peter Cadogans. Ich. Einfach nur ich. Nur du und ich.« Er befeuchtete seine Lippen und schüttelte den Kopf. »Diesen Luxus kann ich mir nicht leisten, Merit. Ich bin der Meister dieses Hauses. Der Meister Hunderter Vampire, denen ich geschworen habe, sie zu beschützen.«
»Ich bin einer dieser Vampire«, ermahnte ich ihn.
Er seufzte und rieb sich mit der Hand über die Stirn. »Du bist meine größte Stärke. Du bist meine größte Schwäche.«
»Du hast Lacey hierher gerufen. Sie ist keine Schwäche?«
Er schien verwirrt. »Lacey?«
»Ihr zwei hattet – habt – eine Beziehung, oder nicht?«
Sein Blick wurde sanft. »Merit, Lacey ist hier wegen einer Analyse. Wir besprechen – in meiner knappen Freizeit – die finanzielle Lage ihres Hauses. Diese Reise haben wir vor sechs Monaten abgesprochen. Ich habe sie nicht eingeladen, um eine Beziehung mit ihr zu führen.«
»Jeder dachte…«
Er sah mich süffisant an. »Du solltest es besser wissen und den Gerüchten, die im Haus herumgeistern, keinen Glauben schenken.«
Ich blickte zu Boden, denn ich fühlte mich ausreichend gemaßregelt und war insgeheim dankbar. Das änderte aber nichts am eigentlichen Problem. »Ich habe dir gesagt, dass du eine Chance hast, und du änderte aber nichts am eigentlichen Problem. »Ich habe dir gesagt, dass du eine Chance hast, und du hast beschlossen, dass wir besser dran sind als Kollegen. Ich kann das Spiel, sich jeden Tag zu fragen, wo wir eigentlich stehen, nicht spielen. Ich bin deine Angestellte, deine Untergebene, und es ist an der Zeit, dass wir uns entsprechend verhalten. Ich bitte dich also, es nicht schon wieder zur Sprache zu bringen, uns nicht schon wieder zur Sprache zu bringen. Ich will nicht durch ein Wort oder einen Blick von dir daran erinnert werden, dass du dich hin- und hergerissen fühlst.«
»Ich kann es nicht ändern, dass ich hin- und hergerissen bin.«
»Und ich kann dir dabei nicht helfen. Du hast deine Entscheidung getroffen, Ethan, und wir können dieses Gespräch nicht immer und immer wieder führen. Sollen wir oder sollen wir nicht? Sollen wir oder sollen wir nicht? Wie sollen wir denn miteinander Sollen wir oder sollen wir nicht? Solen wir oder sollen wir nicht? Wie sollen wir denn miteinander arbeiten können?«
Er stellte die bessere Frage. »Wie sollen wir nicht miteinander arbeiten können?«
Wir standen schweigend da. »Wenn das alles war«, sagte ich, »dann gehe ich wieder nach draußen.«
Ich ging zur Tür, aber er hielt mich schließlich mit einem Wort auf.
»Caroline.«
Ich kniff die Augen zusammen und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich wollte ihm Widerstand leisten, doch er war mein Meister, und er hatte mich bei meinem Namen genannt, und das allein reichte aus, um mich auf meinem Weg zur Tür aufzuhalten.
»Das ist nicht fair«, sagte ich. »Nicht fair und zu spät.«
»Vielleicht brauche ich nur mehr Zeit.«
»Ethan, ich glaube, für uns gibt es auf der ganzen Welt nicht genügend Zeit.«
»Was habe ich dir über die Breckenridges gesagt, Merit?«
»Niemals alle Brücken hinter sich abbrechen«, zitierte ich ihn und drehte mich, denn ich wusste, worauf er hinauswollte. »Bevor du mir das vorwirfst, erinnere dich bitte daran, dass du derjenige warst, der sich verabschiedet hat. Ich komme nur deinem Wunsch nach. Wir werden vergessen, dass es passiert ist, wir werden zusammenarbeiten, und wir werden ales in unserer Macht Stehende tun, um das Haus zu schützen, und mehr wird es nicht sein.«
Ich hielt inne, bevor ich auf den Flur trat, denn ich konnte den letzten Schritt nicht tun, ohne zurückzusehen. Als ich ihm in die Augen sah, war der Schmerz in seinem Blick zu erkennen. Doch ich hatte mein Bestes gegeben und war nicht bereit, Mitgefühl für einen Mann zu empfinden, der sich geweigert hatte, das zu ergreifen, wonach er verlangt hatte.
»Wenn das alles ist?«, fragte ich.
Er sah schließlich zu Boden. »Gute Nacht, Hüterin.«
Ich nickte und ging hinaus.
Ich durchquerte das Erdgeschoss des Hauses und blieb nicht an der Vordertür stehen. Ich ging auf dem Fußweg zum Tor, nickte den Wachen zu, sah mich nach links und rechts um, um herauszufinden, wo sich die Paparazzi befanden. Sie hatten sich gehorsam hinter der Absperrung an der rechten Ecke zusammengefunden.
Eine einfache Entscheidung – ich bog nach links ab.
Ich verschränkte die Arme und sah zu Boden, während ich weiterging. Ich wusste, dass Ethan das tun würde. So funktionierte er nun mal – einen Schritt vor, zwei Schritte zurück. Und das Ganze von vorn. Er würde sich mir öffnen, nur um es wieder zurückzunehmen. Dann würde er diesen Schritt bedauern, und der Kreislauf fing wieder von vorne an. Es lag nicht daran, dass er mich nicht wollte; das hatte er sehr deutlich gemacht. Aber jedes Mal, wenn er sich erlaubte, menschlich zu sein, fuhr der strategische Teil seines Gehirns die Temperatur herunter, bis die emotionale Kälte wieder von ihm Besitz ergriff. Er hatte seine Gründe, und ich respektierte ihn genug, um nicht daran zu zweifeln, dass sie tatsächlich von Bedeutung waren. Aber das bedeutete nicht, dass ich ihnen zustimmte oder dass seine Gründe – seine Ausreden – gut waren.
Ich sah auf den Bürgersteig, auf die Füße, die sich unter mir bewegten, auch wenn ich der Bewegung kaum Beachtung schenkte. Wir würden zusammenarbeiten müssen; das war wohl klar. Ich musste mich anpassen. Ich hatte mich daran gewöhnt, ein Vampir zu sein, und ich würde mich an Ethan gewöhnen.
Ich sah auf, als eine Limousine die Straße entlangkam. Sie war lang. Schwarz. Wohlgeformt. Elegant. Zweifellos teuer.
Das Fenster hinter dem Beifahrersitz wurde heruntergelassen. Ein offensichtlich gelangweilter Adam Keene sah mich vom Rücksitz aus an.
»Adam??«
»Gabriel will sich mit dir in der Bar treffen.«
Ich blinzelte verwirrt. »Gabriel? Er will sich mit mir treffen?«
Adam verdrehte mitfühlend die Augen. »Du weißt, wie er ist. Gib mir, was ich will, wann ich will. Was normalerweise sofort bedeutet. Vermutlich nicht viel anders als bei einem Meistervampir?«
»Warum ich? Warum nicht Ethan?«
Adam lachte leise und sah dann auf das Handy in seiner Hand. »Es ist nicht an mir zu fragen …«, murmelte er und hielt mir dann das Display hin.
»HOL DAS KÄTZCHEN«, stand in der SMS von Gabriel. Okay, die Anfrage war also echt. Aber das bedeutete nicht, dass es die richtige Entscheidung war, in Adams Limousine einzusteigen.
Ich zögerte, blickte zum Tor zurück und sah, wie Licht aus dem Haus auf den Gehweg fiel. Wenn ich ging, erwartete mich ein Vortrag von Ethan, dass ich das Haus für ein Gespräch mit Gabriel ohne Erlaubnis verlassen hatte… und ohne seine Aufsicht.
Andererseits, wenn ich nicht ging, würde ich mir wahrscheinlich einen Vortrag anhören müssen, was für ein schlechter Teamplayer ich sei, weil ich nicht sofort losgerannt war, als ein Rudelanführer mir befahl loszurennen. Außerdem müsste ich dann auch noch zur Bar laufen, anstatt in einer protzigen Limousine gefahren zu werden.
Abgesehen davon hatte ich meinen Dolch und meinen Piepser. Ethan würde mich schon finden, wenn er mich brauchte.
»Beweg deinen Hintern«, knurrte ich, öffnete die Tür, setzte mich hinein und ließ die Tür zuknallen.
»Fangen wir mit einem Shirley Temple an«, befahl ich ihm und deutete auf die Bar in der Limousine, »und dann schauen wir mal, wie weit wir kommen.«
Die Limousine hielt vor dem Klein und Rot. Auf der Straße standen keine Motorräder, und vor dem Fenster hing noch die Sperrholzplatte. An der Tür war das GESCHLOSSEN-Schild zu sehen.
Der Fahrer stieg aus, hielt mir die Tür auf und sah mich ausdruckslos an. Ich gab ein kurzes »Danke« von mir und sah zu Adam zurück, der keine Anzeichen machte auszusteigen. Er blieb sitzen und tippte auf die Tasten seines Handys ein.
Als er merkte, dass ich innehielt, sah er zu mir auf und grinste.
»Er wollte nicht mich sehen«, sagte er, wobei seine Grübchen erschienen. »Ich werde Mr Brown hier ein paar Runden um den Block fahren lassen, damit ihr genügend Zeit habt, und komm dann nach, wenn ich fertig bin.« Er hielt zur Erklärung das Handy hoch. »Ich muss das noch kurz zu Ende bringen.«
»Dein Spiel, deine Regeln«, sagte ich und zwängte mich hinaus.
»He, Kätzchen«, sagte er, bevor ich die Tür hinter mir zufallen ließ.
Ich sah zu ihm zurück.
»Viel Spaß da drinnen.«
Das Fenster fuhr wieder hoch und die Limousine auf die Straße. Sie bog bei der ersten Möglichkeit rechts ab. Ich ging zur Tür.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
Ein Wolf im Schafspelz
Ich sah mir die gesamte Bar sorgfältig an. Niemand war hier, und auch Berna war nirgendwo zu sehen. Aber trotzdem war die Luft voller Magie. Außerdem roch es nach frischem Blut und Blutergüssen, und mein Gaumen kitzelte in der Hoffnung auf ein frühes Mittagessen. Doch es handelte Blutergüssen, und mein Gaumen kitzelte in der Hoffnung auf ein frühes Mittagessen. Doch es handelte sich nicht um Blut, das frisch getrunken werden konnte; dieses Blut war bereits vergossen.
Hank Williams säuselte leise aus der Jukebox, trällerte ein unvergessliches Lied über Schwarzkehl-Nachtschwalben und Einsamkeit. Plötzlich hatte die Jukebox einen Schluckauf, und das Lied machte einen Sprung, blieb stehen und lief dann weiter.
Ich ging zur Theke, wo der Geruch nach Blut stärker wurde, und berührte vorsichtig einen Fleck auf dem Holz. Ich zog meine Finger wieder zurück, die mit frischem Blut überzogen waren.
»Oh, das hat nichts Gutes zu bedeuten«, murmelte ich und wischte mir die Hände an meiner Hose ab.
Ich durchsuchte den Raum nach Zeichen eines Kampfes, der für das Blut verantwortlich sein könnte.
Plötzlich drang ein leises Stöhnen aus dem Hinterzimmer. Es klang nach Schmerzen, und es klang auch ein wenig verzweifelt. Mir stellten sich die Nackenhaare auf.
Blut auf der Theke und Stöhnen aus dem Hinterzimmer – etwas war hier nicht in Ordnung. Ich sah zur Tür zurück und wünschte mir, ich hätte Adam gebeten, zu bleiben und mich in die Bar zu zur Tür zurück und wünschte mir, ich hätte Adam gebeten, zu bleiben und mich in die Bar zu begleiten.
Was zur Hölle war geschehen, während er auf dem Weg war, um mich abzuholen?
So viel zu Gabriels Theorie, dass die Versammlung der Rudel dem Chaos unter den Formwandlern ein Ende setzen würde.
Ich fluchte und dachte über meine Möglichkeiten nach. Option eins: Ich konnte Adams Rückkehr abwarten, aber das hieß, ich würde in der Bar bleiben, mit etwas hinter der Tür, von dem nur Gott wusste, was es war.
Option zwei: Ich konnte selbst tätig werden. Damit riskierte ich natürlich eine Verletzung und Ethans Zorn, aber da drinnen war jemand verletzt. Ich konnte nicht einfach nur dastehen und darauf warten, dass die Person starb.
Ich hob meinen Hosenaufschlag hoch, zog den Dolch aus meinem Stiefel und legte ihn mir in der Hand zurecht, bis der Griff perfekt in meiner Handfläche lag.
Ich blieb einige Sekunden neben der Theke stehen, bis ich den Mut aufbrachte, einen Schritt zu machen. Als ich so weit war, atmete ich aus und schlich mit der Waffe in der Hand zur Tür. Als ich das rote Leder erreichte, legte ich die Hand auf die Tür und schob sie auf.
Im Raum war es dunkel, und das Licht strömte um meine Gestalt herein, als ich mit einer Hand auf dem Leder im Türrahmen stand. Der Geruch von Blut war hier am stärksten, zusammen mit etwas anderem… einem Prickeln von Emotionen, von Angst. Die Magie des Rudels.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte ich einen Umriss – ein Mann auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Er war im Gesicht verletzt und blutete, ein Knie hatte er angezogen, das andere ausgestreckt. Sein T-Shirt war zerrissen, seine Jeans hatten an den Knien Löcher.
Obwohl mir das Prickeln vertraut gewesen war, brauchte mein Gehirn einen Moment, bis es begriff, was es sah.
Es war Nick.
»Oh mein Gott!« Ich rannte zu ihm und ignorierte den Schmerz, als meine Knie auf die Bodenfliesen prallten. Ich ließ den Dolch los und untersuchte seine Schnittwunden und anderen Verletzungen. »Bist du in Ordnung?«
Seine Antwort war ein lautes Stöhnen.
»Was ist mit dir passiert?«, fragte ich. Und was viel wichtiger war, wie war das passiert? Nick war ein Formwandler. Er war vieleicht kein Rudelanführer, aber ich hatte seine Magie gespürt und wusste, dass auch er über Macht verfügte. Wer hatte die Macht, Nick zu verletzen?
»Gabriel«, murmelte Nick heiser und hustete dann. »Es war Gabriel.«
Ich zwinkerte verwirrt. »Gabriel?«
»Er glaubt, ich …«, fing Nick an, aber bevor er zu Ende sprechen konnte, schlitterte mein Dolch auf die andere Seite des Raumes. Entsetzt erstarrte ich, eine Hand an Nicks Schläfe, und das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich sah, wie sich der Dolch in der Ecke drehte.
»Zu spät«, murmelte Nick.
Ich kämpfte gegen die Angst, die in mir aufkam, und sah neben mich auf den Stiefel, der meinen Dolch in die Ecke getreten hatte, und auf den Formwandler, der dazugehörte. Goldene Augen glühten in der Dunkelheit.
Gabriel.
Mein Herz raste. Meine Fähigkeiten im Freikampf hatten sich vieleicht verbessert, aber ich fühlte Mein Herz raste. Meine Fähigkeiten im Freikampf hatten sich vieleicht verbessert, aber ich fühlte mich so mickrig und schwach wie immer, als ich auf dem Boden vor einem Mann kauerte, der wütend genug war, dass die Luft vor Magie nur so prickelte.
»Ich war es«, bestätigte er.
Er hatte das getan? Nick angetan? Einem seiner eigenen Rudelmitglieder? Ich versuchte das nachzuvollziehen, aber es ergab keinen Sinn. Was konnte Nick getan haben, um Gabriel zu solcher Gewalt zu provozieren?
Ohne ein Wort zu sagen, ging Gabriel zur Tür und schaltete das Deckenlicht mit einem lauten Klicken ein, was den Raum in gleißendes Licht tauchte. Ich zwinkerte weiße Punkte vor den Augen weg, stand auf und musterte ihn. Seine Knöchel waren aufgescheuert, und ein Bluterguss zeichnete sich auf seiner rechten Wange ab. Nick hatte einen Treffer landen können, war aber schließlich vom Alpha in diesem Zimmer besiegt worden.
Und ich befand mich im selben Zimmer wie er, meine Kollegen waren meilenweit entfernt und mein Dolch auf der anderen Seite des Zimmers. Es war Zeit, die einzige mir verbliebene Waffe zu benutzen – einen guten, alten Vampirbluff.
Ich sprach ihn im überheblichsten Ton an, den ich anschlagen konnte. »Was hast du mit ihm gemacht?«
Gabriel hob eine Augenbraue, als ob er darüber überrascht wäre, dass ich seine Autorität und sein Recht, mit einem Mitglied seines Rudels umzugehen, wie er es für richtig hielt, infrage stellte.
Nachdem er mich einen Augenblick angestarrt hatte, drehte er sich um und zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, um sich hinzusetzen. Seine Haltung war nachlässig – hängende Schultern, die Beine ausgestreckt, einen Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich so unbesorgt darüber war, dass gerade ein Vampir hineingeplatzt war in… nun, etwas, oder ob es nur ein Trick war.
»Du hast mich angelogen, Merit.«
»Wie bitte?«
Gabriel schlug die Beine übereinander und zeichnete dann mit einer Fingerspitze einen Kreis auf den Tisch. Meine Haut begann aufgrund der kribbelnden Wirkung seiner Magie zu jucken. Ich versuchte, meine Fangzähne zurückzuhalten und zu verhindern, dass sich meine Augenfarbe änderte, obwohl meine Gene lauthals schrien: Flieh oder bereite dich auf einen Kampf vor. Jetzt.
»Du hast mir gesagt, du hättest von dem Mordanschlag auf mich durch einen anonymen Anruf erfahren.« Er sah zu mir auf, und seine Iriden funkelten vor Zorn. »Das war eine Lüge.«
Ich erwiderte seinen Blick, ohne eine Miene zu verziehen.
Gabriel deutete auf Nick. »Tatsächlich habe ich herausgefunden, dass Mr Breckenridge deine nicht ganz so anonyme Quelle war. Ein Mann, mit dem du eine längere Beziehung geführt hast.«
Ich sah Gabriel nachdenklich an. Nick hatte mir die Information weitergegeben, weil er einen anonymen Telefonanruf erhalten hatte. Und ja, ich hatte eine Beziehung mit Nick gehabt… in der Highschool.
Verwirrt sah ich zu Nick hinunter, der den Kopf schüttelte. »Er glaubt, ich hab’s getan. Glaubt, ich hätte sie geplant – die Anschläge. Die Mordanschläge.«
»Du wusstest über ales Bescheid«, sagte Gabriel trocken.
Nick lachte, aber es klang heiser und schmerzerfüllt. »Bei allem nötigen Respekt, Rudelanführer, aber ich bin ein gottverdammter Journalist. Ich bekomme Hinweise. Das ist mein Job.«
»Er hat versucht dir zu helfen«, fügte ich hinzu. »Er hat es mir erzählt, damit ich die Warnung an dich weitergebe und du so von der Gefahr eines Mordanschlags auf der Versammlung weißt. Deswegen haben wir dir das erzählt. Deswegen waren wir darauf vorbereitet, als das Chaos ausbrach.«
»Ich bedaure mittlerweile, dass ich die Versammlung zusammengerufen habe, anstatt alle Formwandler nach Aurora zurückzubringen. Ein Formwandler – ein Anführer – ist tot, und die anderen sind untereinander zerstritten. Hast du eine Vorstellung davon, wie sehr mich das enttäuscht? Wo ich dir doch vertraut habe?«
Angesichts der Magie in der Luft – und dem beißenden, schwefeligen Gestank, den sie verströmte – hatte ich eine ziemlich gute Vorstellung davon.
»Nick war das nicht. Er hätte es nicht tun können. Du weißt, dass er alles nur erdenklich Mögliche versucht, um dich zu beschützen, um das Rudel zu beschützen. Erinnerst du dich daran, dass er vor wenigen Wochen versuchte, unser Haus zu vernichten, weil er den Verdacht hatte, dass wir Formwandlern Schaden zufügen könnten? Du hast kein Recht, meine oder Ethans Motive infrage zu stellen, nach dem, was wir diese Woche getan haben.«
»Wir wissen, wie ihr uns nennt«, sagte Gabriel. »Heuchler.«
Ich hob die Augenbrauen. »Ich nenne dich nicht so. Ethan nennt dich nicht so. Und selbst wenn es Vampire gibt, die dieses Wort verwenden, dann haben wir wohl kaum das Monopol auf Vorurteile. Es gibt eine Menge Formwandler, die von unversöhnlichem Hass auf die Vampire erfüllt sind.« Nick gehörte früher zu diesen Formwandlern. Und jetzt stand ich hier, um ihn zu beschützen.
»Du hast mich angelogen. Verrat kommt bei mir nicht gut an, Merit. Ich mag es nicht, in eine Falle gelockt zu werden. Warum sollte ich dich ungestraft davonkommen lassen?«
Scheiß drauf, dachte ich und stürzte mich auf den Dolch. Gabriel ließ ihn mich holen; er reagierte nicht einmal, als ich zurückkam und mich mit der Waffe in der Hand vor Nicholas stellte.
Ich bewegte mich so, dass ich meinen Körper und meine Klinge zwischen Gabriel und Nick brachte.
Es war nicht so, dass ich noch viel für Nick übrighatte, aber Gabriel stand im Moment auf meiner persönlichen schwarzen Liste ganz weit oben. Ich musste schnell herausfinden, was hier eigentlich los war, und ich würde es definitiv mit Stahl in meiner Hand tun.
»Komm nicht näher«, warnte ich ihn und hielt die Klinge auf ihn gerichtet. »Zwing mich nicht dazu, dich zu verletzen.«
Er grinste mich wölfisch an. »Es amüsiert mich, dass du glaubst, du könntest mich verletzen, Merit. Du hast schon mit anderen Formwandlern gekämpft, natürlich. Aber sie waren keine Alphas.« Als ob er beweisen wollte, dass er recht hatte, stand er auf und schlug mit der Hand nach mir. Ich glaube, er hatte vor, mich beiläufig zu entwaffnen, mir den Dolch aus der Hand zu schlagen, aber er hatte meine Geschwindigkeit unterschätzt.
Ich schlug nach ihm und traf ihn. Ein karminroter Strich zeigte sich auf seinem Unterarm. Er riss entsetzt die Augen auf und blickte auf seinen Arm herab, überrascht über meine Tat, aber keinesfalls eingeschüchtert. Ich hingegen fühlte mich ziemlich eingeschüchtert.
»Wie du dich sicherlich erinnerst, wurde ich gestern erst angeschossen. Das ist nur ein Kratzer. Ich werde Berna einfach ein Pflaster bringen lassen. Berna«, rief er, den Kopf in Richtung Tür geneigt.
Niemand antwortete.
»Da draußen ist niemand«, teilte ich ihm mit. »Es ist niemand in der Bar.«
»Natürlich ist jemand in der Bar«, sagte er. »Sie arbeiten noch. Berna«, rief er erneut, aber er erhielt keine Antwort.
Er sah mich verwirrt an.
Plötzlich ergab ales einen Sinn. »Adam«, flüsterte ich.
Gabriels Stimme wurde unsicher. »Was ist mit Adam?«
»Er hat mich vor dem Haus mit einer Limousine abgeholt und hierhergefahren. Er sagte, dass du mit mir reden willst. Er hat mir eine SMS gezeigt, die du ihm geschickt hast. Er hat mich abgesetzt und gesagt, er würde ein paar Runden um den Block fahren, damit wir ein paar Minuten Zeit zum Reden hätten.«
»Ich habe keine SMS geschickt.«
»Das ist mir jetzt klar. Ich glaube, er hat uns eine Falle gestellt.« Ich sah Gabriel an. »Hat er dir gesagt, dass Nick und ich dich reingelegt haben?«
Angst blitzte kurz in Gabriels Augen auf, zumindest bis er sie schloss. Er sah auf einmal sehr erschöpft aus. »Er sagte, dass ihr beide zusammenarbeitet, um mir in Chicago Probleme zu bereiten.« Er sah zu Nick hinüber. »Er sagte, er hätte Beweise, dass du den Reichtum deiner Familie dazu nutzen würdest, dich selbst an die Spitze des Rudels zu setzen.«
Nicholas lachte spöttisch und wandte sich ab. »Das würde ich niemals tun. Niemals. «
»Er ist mein Bruder«, sagte Gabriel leise. In seiner Stimme war Enttäuschung zu hören, als ob er versuchte, Nick verständlich zu machen, warum er Adam vertraut hatte, auch wenn die Geschichte ein wenig zu sehr nach einer Seifenoper klang, um glaubwürdig zu sein.
»Ich nehme an, er wollte, dass du auf mich und Nick sauer wirst«, sagte ich.
»Vielleicht so sehr, dass du uns außer Gefecht setzt oder sogar umbringst. Und was dann?«
»Und dann versucht er, mich auszuschalten, während ihr hier seid …«
»Und sie werden glauben, ich hätte es getan«, beendete ich den Satz für ihn.
»Adam wird mich umbringen und behaupten, er hätte mich dabei erwischt, wie ich dich getötet habe. Und das wäre dann der erste Schuss, der im Krieg zwischen Formwandlern und Vampiren abgefeuert worden wäre.« Ich sprach leise weiter.
»Gabriel, wenn du mich nicht herbestellt hast, warum sonst sollte er dafür gesorgt haben, dass ich hier bin?«
Während Gabriel meine Frage überdachte, überlegte ich, was für ein Zufall mich vor das Haus geführt hatte. Was, wenn ich nicht da gewesen wäre? Wäre er auf der Suche nach Ethan ins Haus gekommen? Wäre Ethan ihm in die Falle gelaufen?
»Hat er dir gesagt, dass Ethan davon Bescheid wusste?«, fragte ich.
Gabriel nickte. Und dann, als ob die Bedeutung des Verrats seines Bruders ihm plötzlich klar geworden wäre, schloss er die Augen. »Guter Gott«, sagte er, schüttelte den Kopf, während er langsam verstand. »Du hast recht – warum sonst hätte er dafür sorgen sollen, dass du hier bist?«
»Könnte er hinter all dem gesteckt haben?«, fragte ich. »Tonys Ermordung? Dem Angriff auf die Bar? Der Versammlung? Dem Mordanschlag? Ich meine, er ist dein Bruder.«
»Ich nehme an, dass das seine Motivation ist. Er gehört zur Familie. Er kommt als Alpha infrage – aber als Letzter. Er wird diese Position haben wollen, und in seinem Plan bin ich das aktuelle Hindernis. Nicht das einzige Hindernis, da Falon und die anderen vor ihm dran sind, aber das aktuelle Hindernis.« Er stieß eine Reihe von Schimpfwörtern aus, die mich rot anlaufen und Nick von seinem Platz auf dem Fußboden wimmern ließen.
»Er hat einen Rudelanführer getötet, verdammt noch mal!« Gabriel bekreuzigte sich: Zwei Fingerspitzen glitten vom Kopf zum Herzen, dann quer zur Brust, als ob er sich vor den Auswirkungen von Adams tödlichen Handlungen auf das Karma schützen wollte … oder weil er sich beim Universum dafür entschuldigen wollte.
»Er ist gut«, sagte er leise. »Er hat Tony niemals direkt beschuldigt, sondern uns nur in die richtige Richtung geschubst, damit wir ihn selbst beschuldigen konnten.«
»Was die Idee umso glaubwürdiger erscheinen ließ.«
Ich nickte und sah mich dann um. Wenn Adam noch Runden um den Block drehte und darauf wartete, dass Gabriel mich ausschaltete, dann würden wir dringend einen Plan brauchen, und zwar schnell. »Gibt es noch einen anderen Ausgang?«
Er schüttelte den Kopf. »Es gibt einen Notausgang, aber den erreicht man nur durch die Tür am anderen Ende der Bar.«
Ich atmete tief durch und drückte den Griff meines Dolchs. Wir waren in eine Falle gelockt worden, und uns erwartete ein ziemliches Schlamassel im Ukrainian Village.
Schöner noch – niemand wusste, dass ich hier war, und ich hatte kein Handy bei mir. Adam hatte ein Handy, der kleine Bastard, aber das war mir keine große Hilfe.
Ich versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen und meine Augen daran zu hindern, silbern anzulaufen.
Ich wollte nicht im Hinterzimmer einer Bar ohne Ausgang eingesperrt sein. Ich fühlte mich wie die dumme Heldin in einem Horrorfilm, die freiwillig ohne Handy oder Schwert in die Höhle des Löwen spaziert und jetzt mitten in einem Familienstreit zwischen einem Rudelanführer und seinem verräterischen Bruder steckt.
Verstärkung, dachte ich, wäre meine einzige Chance. Ich könnte Luc oder Ethan – selbst Jonah – anrufen und ihnen mitteilen, dass Adam uns umzubringen versuchte. »Habt ihr hier ein Telefon?«
»Hinter der Theke«, sagte Gabriel.
Als wir die rote Ledertür betrachteten, die in den Hauptraum führte, und uns auf den Weg machen wollten, klingelte die Glocke über der Eingangstür.
»Er ist zurück«, sagte Gabriel.
Obwohl ich es zu verhindern versuchte, senkten sich meine Fangzähne herab, und meine Augen wurden zu reinem Silber. Das Blut floss in Vorbereitung auf den kommenden Kampf schneller durch meine Adern.
»Sir?«, rief Nick. »Bitte?«
Gabriel ging zu Nick, legte eine Hand hinter seinen Kopf und küsste ihn auf die Stirn. Er flüsterte etwas, das ich nicht verstehen konnte, aber es klang tief und ernst. Dann sah Gabriel zu mir zurück, als ob meine Anwesenheit Einfluss auf die Antwort hätte, die er auf Nicks Bitte hin geben würde. »Wechsle deine Form«, sagte er, »und mach es schnell. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben.«
Nick schloss erleichtert die Augen und stand langsam auf.
»Kein Vampir darf dies sehen und weiterleben«, sagte Gabriel mit kehliger Stimme. »Ich erlaube es jetzt, weil einer der meinen dich in diese Lage gebracht hat. Doch du hast es nie gesehen.«
Ich nickte. Selbst wenn ich mir seine Worte nicht zu Herzen genommen hätte, so hätte mir sein Blick deutlich zu verstehen gegeben, dass er mir etwas Bedeutsames zugestand – das Recht, einem Formwandler dabei zuzusehen, wie er seine persönliche Magie ausübte.
»Sir«, sagte ich und erkannte damit seine Autorität an. Als Gabriel nickte und zur Tür ging und damit die Frontlinie gegen Adams nahenden Angriff bildete, wagte ich, einen Blick hinüber zu Nick zu werfen. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und damit den Blick auf einen flaumigen – aber verletzten – Brustkorb freigegeben und zog gerade seine Jeans aus. Da ich die Show nicht erwartet hatte – sollten Formwandler nicht einfach ihre Kleidung zerreißen? –, wandte ich mich wieder ab, aber nicht bevor Nick mich dabei erwischt hatte, wie ich ihm insgeheim zusah.
»Es ist nicht unbedingt notwendig, sich auszuziehen«, hörte ich ihn sagen, als der Stoff zu Boden fiel.
»Aber das ist meine Lieblingsjeans.«
Ich nickte verständnisvoll, sah aber immer noch nicht hin.
»Wenn du zusehen willst«, schlug Nick mir vor, »dann solltest du das jetzt tun.«
Der einzige Vampir, der jemals zugesehen hatte, wie sich ein Mensch in etwas… anderes verwandelte? Das würde ich auf gar keinen Fall verpassen.
Ich sah wieder hin und durfte alles an einem sehr nackten und durchtrainierten Journalisten sehen. Er hatte athletische Füße, lange, schlanke Waden und feste Oberschenkel. Seine Schultern waren kräftig, die Arme muskulös, aber der ganze Körper war zerschunden – Blutergüsse, Kratzer, Bissspuren.
Nick nickte, und dann begann es … und ich gaffte ihn entsetzt mit offenem Mund an. Das hatte ich nicht erwartet.
Ich hatte Underworld gesehen und die anderen Filme, in denen die Verwandlung von Mensch zu Wolf dargestellt wurde. Ich hatte angenommen, dass es sich bei der Verwandlung um einen körperlichen Vorgang handelte – eine blutrünstige Veränderung von Muskeln und Knochen, einen Austausch von menschlicher Haut und Füßen gegen Pfoten und Fell.
Aber nichts daran war anatomisch. Ich hob die Hand, um meine Augen vor dem Licht zu schützen, das Nicks Körper umgab, eine Wolke aus wechselnden Farben, als die Magie – dicht genug, um eine greifbare Form anzunehmen – um ihn herumwirbelte.
Ich hatte immer gedacht, und das war unter Vampiren die weitverbreitete Meinung, dass die Formwandler wie wir waren – überlegene Raubtiere, die aufgrund einer Mutation entstanden waren, die die Gestalt ihres Körpers verändert hatte. Doch das war es nicht, nicht dieses sanfte Licht und dieser Nebel aus Farben.
Formwandler waren in zweiter Linie Raubtiere. Zuallererst waren sie Magie – reine, pure, ihnen angeborene Magie. Sie waren nicht wie wir.
Gabriel drehte sich zu mir, und seine bernsteinfarbenen Augen betrachteten mich mit raubtierhafter Arroganz, doch dann wurde sein Blick sanfter.
Ich schüttelte den Kopf.
»Den Blick habe ich bei dir schon gesehen, Merit. Es ist weder so gut noch so schlimm, wie du denkst.«
Ich sah zu Nick hinüber, der immer noch in den Nebel eingehüllt und in den Rauchschwaden nicht zu sehen war. Dann wechselte der Nebel seine Form, von der groß gewachsenen, schlanken Gestalt eines Mannes zu etwas Niedrigerem, etwas Waagerechtem.
Dann tapste er durch den Nebel auf mich zu. Als sich mir eine elegante, schwarze Katze mitten in einer Bar in Chicago näherte – Puma? Jaguar? –, blieb mir fast das Herz stehen. Er war groß – sein Kopf war hoch genug, um mir bis zum Ellbogen zu reichen. Sein Fell war so glatt und schwarz, dass es unter dem Deckenlicht wie Samt schimmerte. Seine Pfoten waren schwer und groß genug, um ein ordentliches Stück Fleisch aus jedem Vampir zu reißen, sollte er dazu das Bedürfnis verspüren. Seine Macht war nicht zu übersehen. Auch nicht, dass er gesundheitlich wieder auf dem Damm war. Nick war schwer verletzt gewesen, aber die Katze war fit. Vieleicht war das der Grund gewesen, warum er um die Verwandlung gebeten hatte, damit er sich heilen und die Beulen und Blutergüsse loswerden konnte.
Vieleicht hatte er fragen müssen, weil Gabriel seine Genesung verhindert hatte.
Sie hielten sich vieleicht für lässiger, entspannter, weniger berechnend und weniger von Ängsten geplagt als Vampire… aber es gab definitiv eine Hierarchie in der Nahrungskette der Formwandler.
Und auf Hierarchie kam es an.
Nicholas tapste zu mir und rieb sein Gesicht an meinem Oberschenkel.
»Und wer ist jetzt hier das ›Kätzchen‹?«, murmelte ich. Obwohl das tiefe, nörgelnde Geräusch, das er von sich gab, sich deutlich nach Katze anhörte, war es immer noch voller Sarkasmus.
»Okay, Kinder. Es wird Zeit, uns auf die Vorstellung vorzubereiten. Breckenridge, kümmere dich um Merit.« Er sah mich an. »Du wirst eine Soldatin sein, eine Kriegerin, eines Tages, wenn du bereit bist. Das ist das Erbe deiner Familie. Du hast mir eine Scharte verpasst und hattest nicht einmal deinen Stahl dabei. Aber er ist mein Bruder. Das ist mein Kampf, der Kampf meiner Familie, und ich bitte dich daher, meinen Wunsch zu respektieren.«
»Du willst keine Hilfe?«
Gabriel lachte schalend. »Ich bin der Rudelanführer, und er gehört zur Familie. Dies ist die natürliche Ordnung der Dinge. So funktioniert unsere Welt. Du kannst nichts tun, außer dir Verletzungen einzufangen und Sullivan auf mich sauer zu machen. Sollte ich das hier überleben, so möchte ich das doch gerne vermeiden.«
Mein Herzschlag setzte aus, aber ich war schlau genug, seinen Rat zu befolgen, zumindest bis mich mein Ehrgefühl dazu zwingen würde, einzuschreiten. Ich sah mich im Zimmer um und entschied mich für einen Tisch in der Ecke. Der Kartenstapel vom Pokerspiel lag noch darauf. Ich krabbelte unter den Tisch – ein Vampir, der sich vor einem Kampf versteckte. Natürlich war es ein wenig demütigend, aber auch ich hoffte darauf, das hier lebend zu überstehen.
Nick folgte mir, drehte sich um und brachte sein Hinterteil auf den Boden. Er hatte sich zwischen mich und der Tür postiert – hundert Kilogramm zur Katze gewordenen Formwandlers, die sich zwischen mich und das Chaos stellten, das hier gleich ausbrechen würde.
Gabriel begann sich systematisch seiner Kleidung zu entledigen, die sich über seine Muskeln spannte.
Als er damit fertig war und nackt vor der Tür stand, verschränkte er die Arme, und wir warteten. Als Adam schließlich die Tür zum Hinterzimmer öffnete, war er entsetzt.
Ich entschloss mich, es nicht als Kompliment zu verstehen, dass er darüber überrascht war, mich noch am Leben zu sehen.
»Was – ist hier drin passiert?«, fragte er zögernd. Ich hatte den Eindruck, dass er damit kämpfte, die Situation einzuschätzen und herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gab, das von ihm geschriebene Drehbuch weiterhin zu verwenden, oder ob er sich ein neues Ende ausdenken musste.
»Ich lebe noch«, lautete Gabriels Kommentar. »Nick lebt auch noch, und Merit ebenso. Ale mal winken.«
Ich ersparte mir das, knurrte den Typen aber wütend an, der mich in eine Falle gelockt hatte – eine Falle, die er aufgestellt hatte.
»Frischen wir doch mal kurz unser Gedächtnis auf«, sagte Gabriel. »Die Absicht war welche? Tony auszuschalten, ihn für den Anschlag auf die Bar verantwortlich zu machen und mich dann ermorden zu lassen? Und als das nicht funktioniert hat, hast du dich dazu entschlossen, mich selbst umzubringen, Merit auch, und ihr den Mord an mir anzuhängen, um dann die Macht über das Rudel an dich zu reißen?« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wenn das alles vorüber gewesen wäre, was dann? Den Kampf mit den Häusern beginnen und auf der Suche nach unvergänglichem Ruhm die Rudel in den Völkermord führen?«
Adams Blick wurde starr und sein Mund zu einem dünnen Strich. Dann verfinsterte sich sein Gesicht, und er fing an, große Reden zu schwingen. »Was hast du schon für uns getan? Wir haben Treffen, während die Vampire wie Stars behandelt werden. Sie beherrschen die Medien. Wir sind Teil dieser Welt – sind eins mit der Welt wie sonst niemand –, aber wir verhalten uns wie Kinder, die ihren Müttern am Rockzipfel hängen.«
Ich musste zugeben, dass solche Aussagen in letzter Zeit nicht gerade selten gewesen waren. Zwar hatten die Formwandler auf der Versammlung nichts Derartiges von sich gegeben, dafür aber Celina und ihre Kumpane. Es war dasselbe Argument, das Vampire vorbrachten, die die Macht in der Welt der Menschen an sich reißen wollten. Ich hatte es Celina sagen hören, und vor zwei Wochen hatte ich von Peter Spencer dieselben Worte gehört.
»Das Rudel verhält sich wie ein Rudel«, entgegnete Gabriel. »Wir existieren nicht, um das Schicksal der Menschen oder Vampire zu bestimmen. Wir kontrollieren nur unser eigenes Schicksal, und das ist genug.«
»Nicht, wenn wir mehr erreichen können.« Ein übernatürliches Wesen zu sein hieß nicht, gegen die Schwächen des Egos gefeit zu sein.
»Das Rudel anzuführen hat nichts mit Macht zu tun«, sagte Gabriel ernst, als ob wir denselben Gedanken gehabt hätten. »Es hat nichts mit Stolz zu tun oder damit, die Rolle des anzunehmen.«
»Ich glaube, Dad wäre anderer Meinung gewesen.«
Eiskalte Magie erfüllte den Raum; es schien mir, dass Gabriel wenig begeistert davon war, dass Adam ihren Vater in die Sache hineinzog.
»Dad ist nicht mehr da. Ich spreche jetzt für das Rudel.«
Adam verdrehte die Augen. »Du sprichst doch praktisch nicht, und genau das ist das Problem, Adam verdrehte die Augen. »Du sprichst doch praktisch nicht, und genau das ist das Problem, Bruder. Wir wissen beide, warum ich hier bin. Lass es uns hinter uns bringen. Ich habe noch einiges zu tun.«
Der Druck im Raum veränderte sich schlagartig, als ob die Magie, die sie zur Wirkung brachten, die Atmosphäre beeinflusste, und die Veränderung verursachte Ohrenschmerzen bei mir. Dann wandelten sie ihre Form.
Das Licht schien heller, als es bei Nicks Veränderung gewesen war. Das lag vieleicht daran, dass Gabriel ein Rudelanführer war und Adam auch einige von diesen Kräften besaß. Nick ließ ein tiefes Knurren hören und schob sich näher an mich heran, bis sein Hinterteil an meine Knie stieß. Ich bin mir nicht sicher, ob er diese Bewegung zu meinem Schutz machte oder weil er genauso nervös war wie ich. Ich konnte meine Neugier nicht zähmen, streckte eine Hand aus und streichelte über seine Flanke, die sich wie dicker Samt anfühlte, der straff über Muskeln gespannt war. Er zuckte bei der Flanke, die sich wie dicker Samt anfühlte, der straff über Muskeln gespannt war. Er zuckte bei der Berührung zusammen, gewöhnte sich aber schnell daran.
Der Nebel kam wieder auf, umgab Adam und Gabriel und lichtete sich, als sie sich verwandelten.
Adams Kleidung verdampfte offensichtlich aufgrund der Macht seiner Magie.
Sie waren riesig, und unsere Informationen waren korrekt gewesen. Sie waren beide Wölfe, gewaltige Raubtiere. Sie waren bei Weitem größer als Nick und hatten dichtes stahlgraues Fell und blassgrüne Augen. Ihre Körper waren fassförmig, ihre Schnauzen spitz, und sie hatten in Vorbereitung auf den Kampf die Ohren angelegt.
Adam war ein wenig kleiner als Gabriel, vieleicht, weil er jünger war. Außerdem hatte er einen kleinen weißen Fleck auf der linken Schulter, ohne den man sie praktisch nicht hätte auseinanderhalten können, wenn sie sich bewegten.
Und das taten sie. Ihren ersten Angriff trugen sie gleichzeitig vor, stellten sich auf die Hinterbeine, um mit den Vorderpfoten auf den Gegner einzuschlagen.
Ihre großen weißen Zähne waren gefletscht. Einen Augenblick lang sprangen sie hin und her, bevor sie sich wieder auf alle viere niederließen. Adam duckte sich ein wenig – vielleicht aus Unterwürfigkeit gegenüber Gabriel –, bevor er offensichtlich zu dem Schluss kam, dass es mit der Unterwürfigkeit endgültig vorbei war. Mit einem hohen, klagenden Heulen stürzte er sich auf Gabriel und schlug Zähne und Kralen in dessen Schulter.
Gabriel kroch zurück, um sich vor dem Angriff in Sicherheit zu bringen, doch Blut sickerte aus einer Wunde an seiner Schulter. Er stieß ein hohes Gejaule aus, dessen Lautstärke mich zwang, meine Hände auf die Ohren zu pressen. Dann verwandelte sich sein Jaulen in ein wölfisches, zähnefletschendes Knurren. Er stürmte vor und riss Adam mit sich, bevor er ihn so fest trat, dass er durch den gesamten Raum flog.
Als ob das bisherige Programm noch nicht gereicht hätte, gaben beide bei jedem ihrer Angriffe einen magischen Impuls von sich, der mir das Atmen erschwerte. Meine Sinne, die bereits an ihre Grenzen stießen, drohten überwältigt zu werden. Das waren keine Wölfe, die spielerisch ihre Vormachtstellung durch-setzten. Dies war eine Schlacht magischer Kräfte – beeindruckender magischer Kräfte – um die Herrschaft über das Rudel und seine Mitglieder … und um die Zukunft der Formwandler. Gabriel stellte den Status quo dar; Adam hingegen bedeutete eine ganz, ganz andere Zukunft.
Adam stand wieder auf, schüttelte die Nachwirkungen des Zusammenpralls ab und griff an, mit hoch erhobenem Schwanz, gesträubtem Nackenfell und angelegten Ohren. Er versuchte, Gabriel erneut zu überwältigen, wobei seine blutverschmierten Zähne nach der Schnauze des größeren Wolfs schnappten, aber Gabriel gab nicht klein bei. Er kämpfte, um sich von Adam zu befreien, und bewies seine Überlegenheit, indem er Adam zu Boden drückte und nach dessen Schnauze schnappte. Adam jaulte schmerzerfüllt auf, was mehr nach einem Welpen klang als nach einem zu groß geratenen Wolf, aber Gabriel ließ sich nicht erweichen.
Adam warf sich unter ihm hin und her und versuchte seine Position mit Gabriels zu vertauschen, aber Gabriel drehte sich mit ihm, als er sich bewegte, und fletschte die Zähne. Er gab ein kehliges Knurren von sich und behielt seine beherrschende Stellung bei. Wie bei einem Käfigkampf rangen sie eine Zeit lang miteinander. Stühle wurden hin- und hergestoßen, als sie sich auf dem Boden herumwälzten, und auf dem Linoleum erschienen die blutigen Beweise ihres Kampfes. Adam wollte nicht aufgeben, aber auch Gabriel war dazu nicht bereit.
Ich fragte mich, ob Gabriel diesen Kampf schon einmal geführt hatte und wie häufig er hatte kämpfen müssen, um seine Position als Rudelanführer zu sichern oder Ordnung im Rudel zu halten.
Adam versuchte ein letztes Mal, Gabriel den Rang abzulaufen. Er rannte auf die gegenüberliegende Seite des Zimmers, als ob er sich neu sammeln wollte, und griff seinen Gegner mit aller verbliebenen Kraft an. Viel konnte es nicht mehr gewesen sein. Der Kampf lief seit zehn oder fünfzehn Minuten, und Adam hatte das meiste abbekommen. Sein glattes, dichtes Fell war jetzt verfilzt, und an mehreren Stellen war die Haut zu sehen. Blut tropfte aus Wunden in seinem Gesicht, am Hals und an den Vorderläufen. Doch er griff Gabriel erneut an und versuchte mit fünf Zentimeter langen Fangzähnen nach seiner Schnauze zu schnappen und ihn zu Boden zu werfen. Der Angriff ließ Gabriel aufjaulen, aber er schaffte es, seine Beine so zu stellen, dass er unter Adams Rumpf gelangen und ihn von sich wegstoßen konnte. Diesmal prallte Adam gegen das dicke Holzbein eines Beistelltischs auf der anderen Seite des Raumes. Die Vase mit den Plastikblumen, die darauf stand, fiel um, und das Holz gab ein knackendes Geräusch von sich, als das Tischbein unter dem Aufprall zerbrach.
Adam war auf die Seite gerollt und winselte. Seinen Schwanz hatte er jetzt unterwürfig eingezogen. Er lebte, aber sein Griff nach der Macht im Rudel war fehlgeschlagen.
Ich fragte mich, welches Schicksal ihn erwartete.
Nick ging einige Schritte vor und nahm nach erneutem Einsatz seiner Magie – einschließlich eines blitzlichthellen Leuchtens – wieder seine menschliche Form an. Gabriel tat es ihm gleich. Auf seinen Armen und im Gesicht waren Kratzer und Bisswunden zu erkennen. Ich kroch unter dem Tisch hervor, ganz die heldenhafte Vampirin, und klopfte meine Hose ab.
Es war still im Zimmer, während sie sich Jeans und T-Shirts anzogen, dann Socken und Schuhe.
Gabriels Bewegungen waren ruhig und gemessen, und ich fragte mich, ob sie eine Art Meditation für ihn bedeuteten, ob das Anziehen der Kleidung ihm dabei half, sich wieder an die menschliche Welt und seine menschliche Gestalt zu gewöhnen, nachdem er den Körper eines Wolfs angenommen hatte.
Als Nick angezogen war, kam er zu mir herüber. »Bist du in Ordnung?«, fragte er und musterte mich.
Ich nickte und sah dann zu Gabriel hinüber.
»Die Verwandlung hat ihn nicht geheilt?«, flüsterte ich.
»Nur Verletzungen, die man als Mensch erlitten hat, können durch die Verwandlung geheilt werden. Verletzungen, die man als Formwandler erleidet, kommen einen teurer zu stehen. Er wird sich mit der Zeit erholen, aber es gibt keine schnelle Alternative.«
Gabriel, der sich mittlerweile angezogen hatte, nickte mir und Nick anerkennend zu und ging dann zu seinem auf dem Boden liegenden Bruder. Er kniete sich hin und starrte Adam in die Augen. Adam lag auf der Seite und winselte erneut.
»Verwandle dich!«, befahl ihm Gabriel.
Ich konnte gerade noch rechtzeitig meine Hand heben, um meine Augen vor dem gleißenden Licht zu schützen. Als ich meine Augen zwinkernd wieder öffnete, lag Adam nackt und zusammengerollt auf dem Fußboden. Sein Körper war schwer geschunden und voller Schnitte und Blutergüsse.
»Du bist eine Enttäuschung für mich, für deine Familie, für das Rudel«, sagte Gabriel.
Magie stieg im Zimmer auf, aber es war nicht das energiegeladene Summen von eben. Diese Magie war alt, sie wog schwer und fühlte sich bedrückend an.
Obwohl sie nichts mit mir zu tun hatte, brannten meine Lungen, als ich verzweifelt versuchte, wieder Luft zu bekommen, die mir aufgrund von Gabriels Worten weggeblieben war. Das konnte ich nicht ignorieren.
»Du entscheidest dich nicht, Rudelanführer zu werden«, teilte er Adam mit. »Das Rudel entscheidet sich für dich. Rudelanführer zu sein hat nichts mit Macht oder Reichtum oder deinem Ansehen zu tun. Es hat mit Familie zu tun, mit Hingabe. Ich habe offensichtlich versagt, dir dieses Wissen nahezubringen.«
Seine Stimme klang wehmütig, als er sich für Adams Verhalten mitverantwortlich machte.
»Rudelanführer zu sein heißt nicht, das Kommando zu übernehmen. Es hat ganz bestimmt nichts damit zu tun, die Familie in Gefahr zu bringen. Was, wenn du mich umgebracht hättest? Was dann? Falon wäre meine Nachfolgerin geworden, nicht du. Ich weiß, dass sie über die Stärke und den Verstand verfügt, das Rudel zusammenzuhalten. In der Erbfolge stehst du ganz weit unten, mein Junge, und auch wenn ich mich schon gefragt habe, ob du vielleicht stärker als die anderen sein könntest, so hast du gerade bewiesen, dass du für diese Aufgabe niemals geeignet sein wirst.«
Gabriel stand wieder auf und starrte mit leerem Blick in das Zimmer, als ob er sich zu einer Entscheidung durchrang. Nach einer Minute des Schweigens seufzte er. »Du bist für den Tod eines Rudelanführers verantwortlich. Du hast uns Schmerzen zugefügt und Schande über uns gebracht, aber ich werde dich nicht töten – ich kann es nicht, das habe ich unserem Vater versprochen.« Gabriel schüttelte resigniert den Kopf.
»Vielleicht hast du Glück. Vielleicht werden die Mitglieder des Pazifik-Nordwest-Rudels es auch nicht. Aber das haben sie zu entscheiden.«
»Gabriel …«, flehte ihn Adam heiser an, doch Gabriel beachtete ihn nicht.
»Du wirst dich in die Hände der Mitglieder des Pazifik-Nordwest-Rudels begeben, und sie werden über dein Schicksal befinden. Und wenn du nicht freiwillig gehst, dann werde ich dich in einer Kiste dorthin schicken.«
Nachdem er über Adams Schicksal entschieden hatte, atmete Gabriel so tief ein, als ob das gesamte Gewicht der Welt von ihm abgefallen wäre, und sah mich an. »Ich scheine mich schon wieder dafür bei dir entschuldigen zu müssen, dass ich dich in Streitigkeiten des Rudels hineingezogen habe. Verdammt noch mal, ich hasse es, mich entschuldigen zu müssen. Ich werde Sullivan anrufen lassen, damit er Bescheid weiß, bevor du zurückkehrst. Ich nehme an, wenn er diese Informationen nicht erhält, wirst du die nächsten zwei Stunden damit verbringen, in seinem Büro den gesamten Vorgang sekundengenau zu wiederholen.«
Ich nickte. »So scheint das bei ihm zu laufen.«
»Wenn er dich nach deiner Version der Geschichte fragt, wie viel wirst du ihm erzählen?«
Ich dachte ernsthaft über die Frage nach. Ich würde Ethan auf gar keinen Fall anlügen. Aber einige Dinge auslassen? Vielleicht. Vor allem, wenn ich ihm erklärte, warum ich gewisse Details ausließ.
»Ich werde ihm nur die Dinge erzählen, die er wissen muss«, lautete meine ehrliche Antwort. Damit schien Gabriel zufrieden zu sein.
»Das ist in Ordnung. Er wird sich trotzdem darüber aufregen, dass du dich in so etwas Dummes und Gefährliches hast verwickeln lassen.«
»Ich bin für ihn eine Kapitalanlage«, sagte ich reumütig. »Wenn er sauer wird, dann nur, weil du seine Waffe in Gefahr gebracht hast.«
»Merit, wenn du wirklich glaubst, du bist nur eine Waffe für ihn, dann habe ich dich überschätzt.«
Er wirkte ernst genug, um mich damit zu überraschen. »Er hat eine seltsame Art, sich mir mitzuteilen.«
»Kleine, er ist ein Vampir.«
Warum sagte das bloß jeder?
Ich wollte ihn gerade darum bitten, mich nach Hause fahren zu lassen, als mein Piepser ertönte.
Neugierig zog ich ihn ab und las den Text auf dem Display.
Er lautete: »Cadgn. Einbruch. Angriff. 911.«
Ich starrte auf die Zeile; ich brauchte einen Augenblick, um ihre Bedeutung zu begreifen. Dann dämmerte mir das, was ich sofort hätte verstehen müssen: Jemand war in Haus Cadogan eingedrungen und griff es an.
»Oh Gott«, sagte ich, und mein Verstand begann wieder zu arbeiten. Ich sah Adam an. »Was hast du getan?«
»Merit?«, fragte Gabriel, aber ich hob eine Hand und wandte den Blick nicht von seinem Bruder.
»Adam, was hast du getan?«
Er warf einen niederträchtigen Blick über seine Schulter. »Es ist zu spät. Die Vorbereitungen für den Plan waren abgeschlossen. Ich habe den Angriff bereits angeordnet.«
Mir blieb fast das Herz stehen. Selbst Gabriel wurde blass. »Wen hast du geschickt?«
»Formwandler. Einige Menschen. Leute, die die Vampire ein bisschen zurechtstutzen wollen.«
»Oh Gott«, sagte ich. »Sie feiern gerade eine Party. Sie sind außerhalb des Hauses.« Ungeschützt.
»Ich muss sofort zurück.«
»Okay, okay«, sagte Gabriel. »Nick, pass auf Adam auf. Und ruf das Rudel zusammen!«
»Und ruf meinen Großvater an!«, warf ich ein.
»Schick so viele wie möglich nach Hyde Park. Meine Maschine steht hier. Ich bringe dich nach Hause, und wir werden das beenden.«
Ich betete, dass wir nicht zu spät kämen.
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Das Haus zum Einstürzen bringen
Es war gut, dass bis zum Sonnenaufgang noch viel Zeit war, denn meinen Rückweg würde ich unter freiem Himmel zurücklegen müssen. Während Gabriel seine Maschine startete, nutzte ich die Gelegenheit, einen Anruf vom Telefon hinter der Theke zu tätigen. Als ich nach draußen kam, saß er auf einer Indian, einem niedrigen, lang gezogenen Gefährt aus glänzendem Chrom, schwarzen, vernieteten Ledersitzen und silbernem Lack.
Ich zog einen Motorradhelm aus dem hinteren Fach und schwang mich auf die Maschine.
»Schon mal mitgefahren?«
»Ist schon lange her«, sagte ich.
Gabriel prustete vor Lachen und brachte den Motor auf Touren. »Dann schlage ich vor, dass du dich festhältst.«
Ich zog den Helm über, setzte mich zurecht und umarmte seine Hüften.
»Nicht ganz so fest, Kätzchen. Wir fahren nur nach Hyde Park.«
»Entschuldigung.«
Der Motor dröhnte polternd und dumpf, doch selbst über den Lärm konnte ich ihn noch murmeln hören: » Vampire.«
Zehn furchterregende Minuten später – nach einer Fahrt, die sonst zwanzig Minuten dauerte – erreichten wir Hyde Park. Gabriel fuhr, als ob der Teufel persönlich hinter ihm her wäre. Als ich schon von mehreren Blocks entfernt Rauchsäulen über unserem Viertel aufsteigen sah, machte ich mir Sorgen, dass er sein Werk bereits begonnen hatte.
Auf der Straße waren Tumulte ausgebrochen – Lkw und Motorräder blockierten sie, vermutlich, um die Polizei aufzuhalten, von der noch nichts zu sehen war.
Doch die Paparazzi waren in großer Zahl aufgetaucht und schossen Bilder von den Fahrzeugen und den Formwandlern, die aus ihnen ausstiegen.
Und, viel entscheidender, sie schossen Bilder von dem Rauch, der aus dem Erdgeschoss des Hauses quoll. Ich fühlte mich wie betäubt. Ich war die Hüterin.
Das war mein Haus. Ich war dazu verleitet worden, es ungeschützt zurückzulassen – die Vampire im Haus ungeschützt zurückzulassen.
Gott, bitte, lass ihn in Ordnung sein, betete ich, zückte meinen Dolch und sprang ab, bevor Gabriel die Maschine anhalten konnte. Er rief mir hinterher, aber ich rannte mit dem Dolch in der Hand zum Haus.
Nach wenigen Schritten griff mich ein Formwandler an, der ein Katana trug, das er vermutlich einem unserer Vampire entwendet hatte. Meine vampirische Wut kochte blitzschnell hoch, und ich kniete mich mit entblößten Fangzähnen hin, was den Angreifer dazu zwang, über mich hinwegzuspringen.
Als er unbeholfen durch die Luft flog, rammte ich ihm meinen Ellbogen in die Brust und entriss das Katana seinem gelockerten Griff.
Ich stand wieder auf und drehte das Katana in meiner Hand. Sein Gewicht beruhigte mich, auch wenn es nicht mein eigenes war. Ich wandte mich dem Mann zu, der über den Boden rollte und an der unpassendsten Stele liegen blieb – vor den Stiefeln des Anführers des Zentral-Nordamerika-Rudels.
»Den übernehme ich, Kätzchen.« Gabriel richtete seine zusammengekniffenen Augen auf den Formwandler vor ihm.
Ich hoffte, der Mann war intelligent genug, liegen zu bleiben.
Ich nahm Gabriels Worte mit einem Nicken zur Kenntnis und rannte los, das Katana vor mich haltend, und endlich erklangen hinter mir Sirenen. Ich hoffte auf die Feuerwehr, denn wie sonst sollte ich vor Sonnenaufgang noch ein Bett mein Eigen nennen?
Während ich auf zwei weitere Formwandler einschlug, versuchte ich meinen Geist so weit zu beruhigen, dass ich telepathischen Kontakt mit Ethan herstellen konnte. Doch obwohl ich seinen Namen zweimal rief und dann ein drittes Mal, konnte ich ihn nicht finden.
Er konnte mir nicht antworten.
Ich kämpfte mir einen Weg durch die Plünderer bis zum Tor frei und entdeckte dort Luc mit zwei Feen. Die drei wehrten eine Horde Formwandler ab, die einen Durchbruch versuchten. Angesichts des Rauches mussten es einige geschafft oder sich woanders über die Mauer auf das Anwesen geschlichen haben.
»Luc!«, rief ich, trat einem Formwandler gegen das Kinn und sah zu, wie er zusammenbrach.
Luc sah zu mir. »Hüterin, Gott sei Dank. Einige von ihnen sind Menschen, aber der größte Teil sind Formwandler. Sie haben das Haus angegriffen!«
Ich musste brüllen, um den Lärm der Sirenen und das Scheppern der Klingen zu übertönen. »Es war Adam! Er hatte einen Plan – wir sprechen später darüber. Sind alle in Ordnung?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe Lacey an der Rückseite des Hauses bei Lindsey zurückgelassen. Ethan, Juliet, Kelley und Malik sind drinnen.«
»Merit!« Ich sah hinter mich. Catcher, Jeff und mein Großvater, der ein wenig langsamer ging, kamen zwischen den schwarz gekleideten Polizisten, die endlich aus ihren Wagen stiegen, auf uns zu. Die Polizisten begannen die Übeltäter zusammenzutreiben.
Das warf eine gute Frage auf: Wie, in Gottes Namen, sollten wir das der Polizei erklären? Ich nahm an, dass das in den Aufgabenbereich meines Großvaters fiel.
»Kümmere dich um deine Aufgaben«, sagte mein Großvater, als ob ich die Frage laut gestellt hätte.
»Nick hat angerufen und uns die Lage erklärt. Wir sorgen hier draußen dafür, dass wieder Ruhe einkehrt. Tu, was du tun musst, um deine Leute zu schützen.«
Ich nickte und deutete auf Jeff. »Bereit zum Kampf?«
Er grinste wild. »Mich juckt’s in den Fingern.«
»Dann los!«
Wir gingen durch das Tor, das geliehene Katana in meiner Hand und ein Formwandler an meiner Seite. Sie strömten auf uns zu, als wir das Anwesen betraten – die Hälfte von ihnen umgab das elektrische Prickeln wütender Formwandler, aber keiner hatte seine Tierform angenommen.
»Warum haben sie sich nicht verwandelt?«, fragte ich Jeff, hob mein Katana und bereitete mich auf den Angriff vor.
»Paparazzi«, sagte er, was Sinn machte. Jeff hüpfte auf seinen Ballen, die Fäuste erhoben. Es war eine seltsame Haltung für einen Softwareprogrammierer, aber ich wusste, dass Jeff auf sich aufpassen konnte.
Im Gegensatz zur Versammlung, wo wir auf verschiedenen Seiten des Raums gekämpft hatten, konnte ich ihm diesmal zuschauen. Während ich die Übeltäter zur Rechten bekämpfte, kümmerte er sich um die auf der Linken.
Er hatte es echt drauf.
Es war so, als ob man einem Mönch beim Kämpfen zusah – er wirkte äußerlich völlig ruhig, doch jede seiner Bewegungen war perfekt und wurde äußerst präzise ausgeführt. Er war ein fantastischer Kämpfer, und jeder Schlag und jeder Tritt saß genau. Seine Abwehrtechniken waren perfekt auf die Angriffe seiner Gegner abgestimmt. Während des Kampfes begegnete er meinem überraschten Blick und schenkte mir ein freches Grinsen.
»Tut mir leid, Süße. Bin schon vergeben.«
Ich verdrehte die Augen und schwang mein Katana, und gemeinsam schlugen wir eine Armee aus Menschen und Formwandlern zurück, die wild entschlossen war, unser Haus zu zerstören.
Ich hatte vier Angreifer niederstrecken können, als ich schließlich seine Stimme in meinem Kopf hörte.
Merit?
Ich sprach ein lautloses Dankgebet an das Universum. Ethan, wo bist du?
Erdgeschoss. Mein Büro. Komm hierher, wenn du kannst. Wenn nicht, such nach Malik und beschütze ihn.
Mir rutschte das Herz in die Hose. Malik war praktisch Ethans Stellvertreter und der Vampir, der mit der Aufgabe betraut war, das Haus zu übernehmen, sollte Ethan etwas zustoßen. Hatte Ethan aufgegeben? Bereitete er sich bereits darauf vor, die Nachfolge zu regeln?
Ich fluchte so fürchterlich, dass Jeff die Ohren wehtun mussten.
Bleib, wo du bist, teilte ich ihm mit. Ich bin auf dem Weg.
Merit…
Ich bin die Hüterin des Hauses, Ethan. Es ist meine Entscheidung.
Dem begegnete er mit Schweigen.
»Jeff, Ethan ist in Schwierigkeiten. Ich muss ins Haus. Kannst du Malik suchen und dafür sorgen, dass er in Sicherheit ist?«
»Hab leider keine Hand frei, Merit«, sagte er und führte einen Fauststoß gegen die Brust eines Gegners aus, um ihn zurückzudrängen. »Kannst du noch warten, bis wir den Vorgarten gesichert haben?«
Ich sah mich um und fragte mich, wie lange das wohl noch dauern konnte – und lächelte. Ich hatte den Anruf getätigt, und die Kavallerie war gekommen.
In rot-schwarzen Lederjacken betraten sechs von ihnen das Anwesen, Noah als Erster, fünf Vampire hinter ihm. Zusammen wirkten sie wie Racheengel, die Katanas gezogen, mit grimmigem Gesichtsausdruck, bereit, für die Vampire zu kämpfen. Jonah gehörte nicht zu ihnen, und ich nahm an, dass er den Kampf ausließ, um seine Anonymität als Mitglied der Roten Garde zu wahren.
Bei ihrem Anblick entspannte ich mich ein wenig.
Noah gab mir ein Zeichen, dass sie sich um den äußeren Bereich kümmerten.
Als ich zustimmend nickte, begann er, seinen Leuten Befehle zu erteilen. Sie lösten die Formation auf und mischten sich unter die Menge.
»Merit – Achtung, links!«
Jeffs Warnung ließ mich mein Katana sofort nach oben reißen, um den Angriff abzuwehren. Er schlug fehl, und Jeff erledigte den Angreifer mit einem Schlag in dessen Nieren.
»Das ist ein Spaß«, sagte er und sah auf sein Opfer herab.
»Ja«, sagte ich und beugte mich vor, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. »Du und Falon, ihr werdet euch bestens verstehen.«
Damit rannte ich die Treppe hoch und hinein ins Haus.
Grauer Rauch quoll aus dem ersten Stock herab. Vampire verließen das Gebäude, während Feuerwehrleute die Flure mit Schläuchen entlangstürmten.
Einer von ihnen blieb bei mir stehen und hob seinen Helm. »Ma’am, sie müssen das Gebäude verlassen.«
»Vampir!«, rief ich. »Ich bin unsterblich.«
Er zwinkerte mir zu. »Haus Grey«, sagte er, setzte den Helm wieder auf und begleitete seine Kollegen die Treppe hinauf.
»Weitermachen, mein Freund«, sagte ich und hetzte dann den Flur entlang zu Ethans Büro.
Er hatte seine Anzugjacke abgelegt, und Blutflecken und Rauch bildeten einen starken Kontrast zu seinem weißen Hemd. Er stand hinten im Raum; die Samt-vorhänge seines Büros waren zerrissen und rauchten. Vier Formwandler standen im Halbkreis um ihn herum.
Doch trotz dieser entsetzlichen Lage war ich erleichtert, ihn gesund und munter vorzufinden.
Brauchst du Hilfe, Sullivan?
Er musterte meinen Körper auf der Suche nach Verletzungen. Auch er wirkte erleichtert. Gott sei Dank, sagte er.
Ich schenkte ihm ein Lächeln, bevor ich meine Aufmerksamkeit auf die Formwandler richtete. »Seid ihr Kleinen nicht ein wenig in der Unterzahl?«, fragte ich.
Als sie sich zu mir umdrehten, nutzte Ethan die Ablenkung aus und brachte zwei mit tödlichen Schnitten zu Fall. Ich umrundete die anderen beiden und brachte mich zwischen sie und Ethan.
Bedauerlicherweise wählten die Angreifer diesen Augenblick, um vier oder fünf ihrer Freunde herbeizurufen, die daraufhin bewaffnet in der Tür auftauchten – mit Handfeuerwaffen und Dingen, die wie Reste von Möbeln des Hauses Cadogan aussahen.
Sie merkten, dass sie uns in die Enge getrieben hatten, und umrundeten uns, bis sie einen Kreis um uns schlossen.
Rücken an Rücken, befahl ich Ethan, und er nickte. Wir drehten uns, bis unsere Rücken aneinander waren, hielten unsere Schwerter waagerecht vor uns und waren von Feinden umgeben.
Und dann kämpften wir.
Ich mochte ein Wunder an Vampirgenetik sein, aber das war nichts im Vergleich zu dem Wunder, das wir gemeinsam waren. Wir schwangen unsere Katanas, und die Magie und unsere Geschwindigkeit schienen zuzunehmen, während Kugeln um uns herum einschlugen und wir die Eindringlinge zurück-drängten, die unser Haus bedrohten.
Der Meister des Hauses Cadogan und seine Hüterin, ihr Stahl geschärft, temperiert und im Kampf gegen den gemeinsamen Feind erhoben.
Die ersten Angreifer schalteten wir schnell aus, aber dann begannen sie kreativ zu werden und sich um uns herum zu bewegen, damit es für mich und Ethan schwieriger würde, unsere Bewegungen zu koordinieren, obwohl wir uns telepathisch Anweisungen gaben.
Allerdings zwang uns das, ebenfalls kreativer zu werden. Schließlich kämpften wir Seite an Seite.
Ethan schlug mit seinem Katana nach einem Angreifer, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und ich trat ihn so lange, bis er aufgab. Ethan drehte sich zu einem hohen Tritt, und als der Gegner versuchte, ihm auszuweichen, warf ich ihn zu Boden.
Schließlich war der Raum gesichert, und wir standen keuchend da und betrachteten die Formwandler und Menschen, die vor uns auf dem Boden lagen.
Wir waren nicht unversehrt geblieben – ich hatte einen schmerzhaften Tritt gegen meinen rechten Oberschenkel abbekommen, und Ethan hatte mehrere Kratzer auf dem Bauch, wo ihn ein Stück Stahl erwischt hatte, das sich jemand von einem Bürostuhl abgebrochen hatte.
Aber wir lebten.
Wir sahen uns an. Ich wollte gerade etwas sagen, doch bevor ich einen Laut von mir geben konnte, lag seine Hand auf meinem Hinterkopf und er drückte seine Lippen auf meine. Dieser unglaublich besitzergreifende Kuss ließ mich nach Luft schnappen, aber obwohl er zurückwich, nahm er seine Finger nicht aus meinen Haaren.
»Verdammt noch mal, Merit, ich dachte, du wärst tot. Du bist gegangen, nachdem wir miteinander geredet hatten, und niemand konnte dich finden. Und als sie angriffen und du nicht da warst … Wo in aller Welt bist du gewesen?«
»Ich war in der Bar«, sagte ich. »Die Details erzähle ich dir später. Langer Rede, kurzer Sinn: Adam ist an allem schuld. Er hat das Ganze geplant, wollte Gabriel umbringen und das dem Haus anhängen.«
Ethan lächelte bösartig. »Und du hast das herausgefunden, bevor Adam euch beide ausschalten konnte, doch er hatte den Angriff schon befohlen.«
»Nun, ich bin die Hüterin Cadogans.«
»Das bist du tatsächlich«, sagte er und küsste mich fordernd – noch mal. »Es ist noch nicht vorbei«, knurrte er, und dann war er fort, bereit zu kämpfen.
Ich würde meine Zeit nicht auf einen Streit mit ihm verwenden, aber kaum hatte er mir den Rücken zugewandt, hob ich meine Fingerspitzen zum Mund. Ich spürte seine Lippen immer noch auf meinen.
Ich konnte sie fühlen: Die Sonne stand kurz davor, ihre Strahlen über den Horizont zu schicken, und ich merkte es an meinen verspannten Schultern. Glücklicherweise hatten wir es dank der vereinten Kräfte des Chicago Police Department, des Chicago Fire Department, dem Büro des Ombudsmanns, des halben Zentral-Nordamerika-Rudels, der Vampire des Hauses Cadogan und der Roten Garde schließlich geschafft, den Angriff abzuwehren.
Ethan schien gut mit der Anwesenheit der Roten Garde klarzukommen. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er sie entdeckte, aber er hatte ja auch keinen Grund, ihre Anwesenheit auf mich zurückzuführen.
Was bedeutete, dass ich mein Geheimnis immer noch für mich behalten konnte, sollte ich mich dazu entschließen, ihr beizutreten.
Trotz aller positiven Details war auch das Haus nicht ohne Verluste geblieben.
Sieben Formwandler und Menschen waren während des Angriffs getötet worden.
Wir hatten drei Vampire verloren. Ich kannte keinen von ihnen gut, obwohl zwei von ihnen auf der ersten Etage nicht allzu weit weg von mir gewohnt hatten. Zwei hatten wir an Espenholzpflöcke verloren; ihre verbliebene Asche vermischte sich mit der Zerstörung im Haus.
Die dritte Vampirin aber hatte ein grauenhaftes Ende gefunden. Sie war einer uralten Art der Folter zum Opfer gefallen. Ein verrückter menschlicher Angreifer – der selbst getötet worden war – hatte sie mit einem schlecht platzierten Pflock geschwächt und ihr Herz entfernt.
Um ihr Opfer zu ehren, war ihre Leiche in den Garten hinter dem Haus gelegt worden, damit sie der Sonne übergeben werden konnte, sobald ihre Strahlen den Himmel überzogen.
Was Cadogan selbst betraf, so hatten die Plünderer versucht, das Haus einstürzen zu lassen. Die stabile Steinkonstruktion hatte zwar erheblichen Schaden abwenden können, aber die Inneneinrichtung und die Holzarbeiten im Erdgeschoss und ersten Stock waren beschädigt worden, was sogar einige der Zimmer unbewohnbar gemacht hatte. Helen und Malik hatten hektisch herumtelefoniert und mit Grey, Navarre und den anderen Vampiren Cadogans in Chicago Absprachen getroffen, um die Vampire vorübergehend unterbringen zu können, deren Zimmer abgebrannt oder zu nass oder zu verraucht waren, um dort zu schlafen. Meinem Zimmer, das sich in einem hinteren Flur im ersten Stock befand, war ein solches Schicksal erspart geblieben.
Mein Großvater war als Ombudsmann zuständig für die Reaktion der Stadt auf dieses Chaos. Er half dabei, die guten von den bösen Formwandlern zu unterscheiden, und erklärte jedem Polizisten des Chicago Police Department, den er lange genug dafür interessieren konnte, welche politischen Hintergründe die Sache hatte. Er schaffte es, dass sie nicht alle Formwandler und Vampire verhafteten, derer sie habhaft werden konnten; angesichts der Zerstörung und des Chaos konnte man das als Sieg bezeichnen.
Unglücklicherweise hatte er die Paparazzi nicht daran hindern können, Fotos zu schießen. Zwar hatten sie das Anwesen von Haus Cadogan nicht betreten, aber das war auch nicht nötig gewesen – einer von Adams Formwandlern hatte als Mensch so schwere Verletzungen davongetragen, dass er sich mitten auf dem Rasen verwandelt hatte, um sich zu heilen.
Ich war vieleicht die erste Vampirin gewesen, die die Verwandlung eines Mitglieds des Rudels gesehen hatte, aber ich war nicht die Letzte … und die Paparazzi würden auch nicht die Letzten sein.
Sie hatten angeblich Bilder von dem Rocker gemacht, der sich in einen Kojoten verwandelt hatte, und von der Verwandlung selbst. Da ich die Transformation selbst gesehen hatte, zweifelte ich jedoch stark daran, dass auf den Bildern viel mehr als Licht und Farben zu sehen war.
Dennoch war den Reportern klar, dass etwas Übernatürliches geschehen war, etwas, das sie noch nie zuvor gesehen hatten, und das führte sofort zum absoluten Medienwahnsinn. Daher hatte mein Großvater auf Gabriels Wunsch hin die Reporter in einem Bereich vor dem Haus zusammengebracht.
Er stand hinter einem improvisierten Podium, mit Gabriel an seiner Seite und einer riesigen Anzahl von Polizisten um sie herum.
Und wartete.
Gabriel hob die Hände, und die Journalistenmeute wurde genauso still wie die Formwandler in der Nacht zuvor.
»Ich habe etwas bekannt zu geben«, sagte er und wischte sich mit einer Hand Blut aus den Augen.
Er hielt inne, und die Bedeutung seines Geständnisses konnte man ihm vom Gesicht ablesen. Ich wusste, was er sagen würde, aber ich wusste auch, was es ihn kosten würde – in emotionaler und politischer Hinsicht.
»Sie werden bald Fotos sehen, die eine spannende Geschichte erzählen. Die beweisen, dass die Vampire nicht die einzigen übernatürlichen Wesen auf dieser Welt sind. Wir sind Formwandler«, sagte er, »Wesen, die eine menschliche oder tierische Gestalt annehmen können.«
Ethan stand neben mir, und als das magische Wort fiel, griff er nach meiner Hand. Ich drückte seine.
Der Bereich wurde zu einer Kakophonie aus Blitzlichtern und Fragen. Gabriel ignorierte sie und hielt erneut eine Hand hoch, damit er weitersprechen konnte.
»Wir sind Formwandler, und einige meines Volkes sind verantwortlich für den Angriff auf Haus Cadogan – ein Angriff auf eine Gruppe von Bürgern, die uns nur geholfen und beschützt hat. Dieser Angriff war ungerechtfertigt. Wir haben den Verantwortlichen bereits in Gewahrsam des Chicagoer Police Department gegeben. Da er das Vertrauen zwischen unseren Völkern missbraucht hat, verfahren sie mit ihm, wie sie es für richtig halten.«
Er hielt inne und ließ die Bedeutung seiner Worte wirken.
Als er fertig war, überblickte er die Menge und sah mich und Ethan. »Und möge Gott uns allen gnädig sein.«
Wenige Minuten vor Sonnenaufgang fand ich Ethan in seinem Büro, wo er die Trümmer durchsuchte.
Die ruinierten Vorhänge waren bereits durch schäbigere Modele ersetzt worden, denn das nahende Sonnenlicht musste blockiert werden.
Er sah auf, als ich hereinkam, und musterte mich. »Bist du in Ordnung?«
Ich nickte. »Soweit das möglich ist. Ich bedaure den Verlust der Novizen, den du heute zu beklagen hast.«
Ethan nickte und stellte einen Stuhl auf, der auf die Seite gefallen war. »Es kam nicht unerwartet, dass wir der Gewalt ins Gesicht sehen mussten. Das macht die Gewalttaten aber nicht weniger entsetzlich.« Er legte eine Hand auf die Hüfte und rieb sich mit der anderen Hand über die Schläfe.
»Ich habe mit deinem Großvater über die Ereignisse in der Bar gesprochen. Nick hat ihm alles erzählt.«
Ich wartete auf die unvermeidliche Standpauke über das Verlassen des Anwesens oder über Gespräche zwischen Formwandlern und Vampiren ohne Erlaubnis oder über die Gefährdung des Hauses.
»Nun«, sagte er gelassen, »Adam ist nicht der erste Narziss, der uns in Schwierigkeiten gebracht hat. Sind alle untergebracht worden?«
Ich brauchte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass die Zurechtweisung ausgeblieben war.
»Scott und Morgan haben Busse geschickt, um alle abzuholen. In jedem Haus sind etwa ein Dutzend Vampire. Alle anderen haben ebenfalls ein Dach über dem Kopf. Der vordere Gebäudeteil im ersten Stock muss mal gelüftet werden, aber die Feen haben sich bereit erklärt, Wache zu halten, damit die Handwerker direkt bei Sonnenaufgang anfangen können. «
Er nickte offiziell, wich meinem Blick aber aus. Es war klar, dass er mehr zu sagen, aber noch nicht die richtige Gelegenheit dazu gefunden hatte.
»Gibt es sonst noch etwas?«, fragte ich, um ihm die Gelegenheit zu bieten, seine Gedanken zu äußern.
Ethan öffnete den Mund, ließ ihn aber wieder zufallen. »Wir können morgen reden. Such dir ein ruhiges Plätzchen. Versuch zu schlafen.«
Ich nickte. »Gute Nacht, Sullivan.«
»Gute Nacht, Hüterin.«
Meine Abende schienen langsam immer auf dieselbe Art zu enden.
EPILOG
Eine gute Strategie kann zum Erfolg führen – muss aber nicht
Als ich am nächsten Abend erwachte, waren meine zahlreichen Schnitte und Kratzer verschwunden.
Doch das Haus, das wusste ich, würde noch Narben aufweisen.
Ich stand auf und duschte, schrubbte mir Ruß und getrocknetes Blut ab, was ich bei Sonnenaufgang in meiner Erschöpfung nicht mehr geschafft hatte. Da ich davon ausging, bei der Neueinrichtung und der Umorganisation mitzuhelfen, zog ich einfache Sachen an – Jeans, T-Shirt und Sportschuhe; mein Haar trug ich zu einem Pferdeschwanz gebunden; das omnipräsente Medaillon Cadogans hing um meinen Hals.
Nur für den Fall, dass ich plötzlich vergaß, wem meine Treue galt.
Doch das würde niemals passieren. Egal, welche privaten Probleme ich und Ethan hatten, wir hatten bewiesen, dass wir gut zusammenarbeiteten. Wir kämpften sogar gut zusammen. Ich hatte genügend Jobs gehabt – und oft genug mitbekommen, wie sich mein Vater mit seinen Mitarbeitern gestritten hatte –, um einschätzen zu können, wie selten so etwas war. Wir waren gute Kollegen, unseren privaten Problemen zum Trotz. Genau wie er sich entschlossen hatte, das Geschäftliche nicht durch das Persönliche zu gefährden, konnte auch ich ein Opfer bringen.
Ich konnte mein Haus nicht mitten in einem Krieg seiner Hüterin berauben.
Also suchte ich Noahs Nummer heraus und rief ihn an. Er nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
»Beck.«
»Hier spricht Merit.«
»Hüterin«, sagte er mit kehliger Stimme, »wie stehen die Dinge im Haus?«
»Wir berappeln uns.«
»Das freut mich zu hören. Es wird seine Zeit dauern, aber es freut mich zu hören.«
»Ich kann dir nicht genug für das danken, was ihr gestern Nacht getan habt. Dass ihr aufgetaucht seid und eure Anonymität aufgegeben habt. Dass ihr uns im Kampf geholfen habt.«
»Es wird ein Zeitpunkt kommen, an dem wir alle etwas aufgeben müssen.«
Da hatte er wirklich recht. »Was dein Angebot angeht – ich lehne ab.«
Es herrschte ein kurzes Schweigen. »Ich will ehrlich zu dir sein – das überrascht mich doch ein wenig.«
»Meine Treue gehört dem Haus«, erklärte ich. Ich hatte mich entschieden, mit dem zu tanzen, der mich zur Party gefahren hatte. Das hatte mir schon meine Großmutter beigebracht.
»Die Dinge können sich immer ändern«, sagte Noah. »Aber wir werden vielleicht keinen Platz mehr für dich haben, wenn du wartest.«
»Das Risiko ist mir bewusst«, versicherte ich ihm. »Und ich danke dir für das Angebot, auch wenn ich Nein sagen muss.«
»Nun, es wäre sicherlich sehr interessant geworden. Viel Glück bei der Renovierung.«
»Gute Nacht, Noah.« Ich legte auf und drückte den Hörer in meiner Hand.
»Nun«, murmelte ich, »das war es dann wohl.«
Es klopfte an der Tür. Ich erwartete Lindsey, die mich zum Frühstück und den Aufräumarbeiten abholen wollte, also öffnete ich, ohne zu zögern.
Es war Ethan. Er trug wieder Jeans, T-Shirt und dunkle Stiefel. Ich nahm an, dass unser Meister bereit zur Arbeit war. »Wie fühlst du dich?«
»Gut verheilt«, sagte ich. »Und du?«
»So weit, so gut.«
»Hervorragend.«
»Hm.«
Wir standen einen Moment da und leugneten angestrengt das Offensichtliche.
Ethan streckte mir die Hand entgegen. Auf seiner Handfläche lag eine glänzende blaue Schachtel, auf die ein silbernes C eingraviert war. Mit gerunzelter Stirn nahm ich sie entgegen.
»Was ist das?«
»Eine Art Entschuldigung.«
Ich machte einen Schmollmund, hob aber den Deckel ab… und mir blieb der Atem weg.
In der Schachtel lag ein Baseball, auf dessen abgenutztem weißem Leder sich die Unterschriften von jedem Spieler der Cubs befanden. Er war genauso wie der, den ich mal gehabt hatte – genau wie der, von dem ich ihm erzählt hatte. In der Nacht, als wir miteinander geschlafen hatten.
Ich starrte blinzelnd auf die Schachtel und versuchte die Bedeutung des Geschenks zu erfassen. »Was – woher hast du ihn?«
Ethan steckte die Hände in die Taschen. »Ich habe meine Quellen.«
»Du hättest nicht…«
Er unterbrach mich, indem er seinen Daumen auf mein Kinn legte. »Manchmal müssen sich Leute anpassen. Unsterblichkeit macht die Dinge, die wir lieben, nicht weniger wichtig; es bedeutet nur, dass wir lernen müssen, sie zu schätzen. Sie zu beschützen.«
Ich hatte einen Kloß im Hals und brachte mich dazu, ihm in die Augen zu sehen, wobei Angst und Freude und noch mehr Angst in mir Achterbahn fuhren.
»Es ist eine Entschuldigung«, sagte er, »weil ich nicht an dich geglaubt habe… oder an uns. Gestern dachte ich, ich hätte dich verloren, und dann haben wir zusammen gekämpft«, sagte er. »Ich habe dich abgewiesen, weil ich Angst hatte, welche Folgen unsere Beziehung für das Haus haben könnte. Und dann haben wir dieses Haus gemeinsam beschützt. Das ist das wahre Ausmaß dessen, was wir gemeinsam erreichen können.«
Er hielt inne und tippte auf die Schachtel. »Das ist ein Wunsch«, sagte er leise, »der Wunsch, dass selbst nach vierhundert Jahren Dasein ein Mann stark genug sein kann, um die Geschenke zu akzeptieren, die ihm gemacht werden.«
»Ethan …«, begann ich, aber er schüttelte den Kopf.
»Ich bin bereit, auf eine positive Antwort zu warten.«
»Das wird eine Zeit lang dauern.«
Er hob eine Augenbraue, und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Hüterin, ich bin unsterblich.«
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging den Flur entlang, nur um mir zuzurufen: »Übrigens werden wir uns darüber unterhalten müssen, dass du das Anwesen verlassen und dich in die Arme von Formwandlern geworfen hast, ohne mich wenigstens anzurufen.«
Manchmal war er so durchschaubar.