10.
Ein lauter Schnarcher ihres
Mannes riss Moira aus dem Schlaf. Sie schreckte auf, brauchte
einige Sekunden, um sich in der Dunkelheit zu orientieren. Wovon
hatte sie bloß geträumt? Von Irland? Nur das Echo von etwas
Verlorenem hallte in ihren Gedanken wider.
Neben ihr erklang das grunzende Atmen von McIntyre, der sich an diesem Abend wie auch an den zurückliegenden schweigend neben sie gelegt hatte und sogleich eingeschlafen war. Das Fenster war geschlossen – McIntyre wollte es so –, und in der Schlafstube war es warm und stickig. Moira warf die Decke zurück, das Nachthemd klebte verschwitzt an ihrem Körper. So konnte sie unmöglich wieder einschlafen, dabei wäre sie so gerne zurückgekehrt zur verlorenen Heimat. Ob sie den Traum zurückbringen konnte? Leise richtete sie sich auf, öffnete die Schachtel unter ihrem roh gezimmerten Nachttischchen und holte ein in Ölpapier gewickeltes kleines Päckchen hervor.
Auf nackten Füßen ging sie in die Küche. In der gemauerten Feuerstelle glomm etwas rote Glut wie das Auge eines Riesen. Leise, um Ann, die in der Nebenkammer schlief, nicht zu wecken, ging Moira auf die Knie und öffnete das Päckchen. Torf, mitgebracht aus Irland. Die Moorerde fühlte sich gut an unter ihren Händen; dunkel und bröselig, von Fasern durchsetzt. Moira gab die Hälfte davon in die Glut und blies behutsam darauf, sah zu, wie der Torf an den Rändern sanft zu glühen begann, bis der rote Saum eine Ecke erfasste und der Brocken mit kleiner blauer Flamme zu brennen begann.
Sie schloss die Augen und atmete tief ein, als die Küche sich mit dem Geruch der alten Heimat füllte, dem dunklen, würzigen Moorgeruch. Mit einem Schlag war alles wieder da: ihr Zimmer in Dublin. Ivy. Dorchas. Der Stall und das neugeborene Fohlen. Vaters Weinkeller. Der Tee am Nachmittag. Scones mit Erdbeermarmelade.
Die Sehnsucht nach Zuhause wurde plötzlich übermächtig. Sie hatte gehofft, sich besser zu fühlen, diese fiebrige, innere Unruhe besänftigen zu können, aber das Gegenteil war der Fall. Es wurde schlimmer. Das Heimweh legte sich schwer auf ihre Brust und ließ sie kaum atmen.
Sie musste nach draußen. Hier bekam sie keine Luft mehr. Keuchend sprang sie auf, lief zur Eingangstür und stürzte hinaus auf die Veranda.
Der Regen hatte aufgehört, es war erstaunlich kühl. Ein vom Dach herabfallender Tropfen traf sie auf der Nase. Für eine Weile stand sie nur da und versuchte, wieder zur Ruhe zu kommen. In der regenfeuchten Dunkelheit ging ihr Atem wieder leichter, verschwand der Druck um ihren Brustkorb. Sie legte den Arm um einen der hölzernen Pfeiler, die das Vordach trugen, und lauschte hinaus in die Nacht. Es musste weit nach Mitternacht sein. Bis auf ein paar ferne Tierlaute, die vom Busch herüberschallten, regte sich nichts. Auch Ann schien nicht aufgewacht zu sein. Ein leichter Wind kühlte Moiras erhitzte Haut, es roch nach Eukalyptus und feuchter Erde.
Erneut füllte sie ihre Lungen mit der klaren Frische der südlichen Nacht. Sie fröstelte, so dünn, wie sie bekleidet war. Warum hatte sie nicht wenigstens ihr Schultertuch mitgenommen? Immerhin war jetzt Winter, und der zeigte sich hier hauptsächlich in heftigen Regenschauern.
Auf dem Platz vor dem Haus konnte sie im schwachen Licht der Mondsichel Pfützen schimmern sehen. Ihr Blick fiel auf das langgestreckte Kutschenhaus auf der anderen Seite des Platzes, und wie von selbst löste sie sich von dem Pfeiler und trat hinaus in die Nacht.
Kühler Schlamm quoll zwischen ihren nackten Zehen hervor. Es kümmerte sie nicht. Die Tür des Kutschenhauses ließ sich fast lautlos öffnen. Dunkelheit und die scharfen Ausdünstungen der Pferde umfingen sie, als sie zögernd eintrat. Sie zog die Tür wieder zu. Es war stickig hier drinnen. Ihre Beine waren schwach, als wäre sie gerannt.
Sie stieß ein paar beruhigende Laute aus, um die Pferde nicht zu erschrecken. Halb blind tastete sie sich vorwärts, bis sie einen warmen Leib berührte, feuchte Nüstern, die sich ihr entgegenreckten. Das Tier schnaubte.
»Schsch …«, machte sie. »Ganz ruhig, ich will dir nichts tun.«
Sie strich über die weiche Flanke, fühlte sich für einen winzigen Moment fast wieder wie zu Hause. Aber hier war nicht zu Hause. Und sie war nicht wegen der Pferde gekommen.
Sie trat ein paar Schritte zurück. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit; sie konnte Decken und die goldblitzenden Beschläge eines Sattels erkennen. Nachts waren hier die Pferde untergebracht, ein jedes in einem eigenen Verschlag, getrennt durch eine halbhohe Bretterwand. Einige der Verschläge schienen leer zu sein. Für die Kutschen war der hintere Teil des Gebäudes vorgesehen.
Sie hörte Holz knirschen, als jemand die Leiter vom Heuboden herabstieg. Duncan.
Seit sie von Wentworths Farm zurückgekehrt waren, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie hatte versucht zu vergessen, was vorgefallen war. Ihn zu vergessen. Es war ihr nicht gelungen.
Sie spürte, dass er jetzt dicht hinter ihr stand, aber sie wagte nicht, sich umzudrehen. Ihr Herz klopfte so laut, dass es in ihrem Kopf widerhallte.
»Mrs McIntyre?«, flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Moira. Bitte, nenn mich Moira.«
»Moira«, wiederholte er leise. »Was macht Ihr … Was machst du hier?«
Sie hob in einer hilflosen Geste die Schultern. »Ich habe es da drinnen nicht mehr ausgehalten. Ich … ich glaube, ich musste dich sehen.«
Er antwortete nicht sofort. »Hier bin ich«, sagte er dann leise.
Jetzt endlich wagte sie es, sich umzudrehen. Sie konnte ihn kaum erkennen, nur einen vagen Umriss vor einem dunklen Hintergrund.
»Soll ich Licht machen? Irgendwo habe ich eine Laterne, ich muss nur –«
»Nein!«, fiel ihm Moira ins Wort. »Nein, kein Licht. Ich …« Ihr Herz schien zu stolpern. »Ich brauche dich«, flüsterte sie, dann schloss sie die Augen und wartete, hoffte, wünschte, dass er sie noch einmal so küsste, wie er es bei Wentworth getan hatte.
Aber nichts geschah. Moira öffnete die Augen wieder. Duncan rührte sich nicht. Er stand nur da und sprach kein Wort.
Moira hielt den Atem an, bis Enttäuschung und Scham ihre Wangen brennen ließen und ein Kälteschauer ihren Körper durchlief.
»Entschuldige.« Sie drehte sich um. »Ich werde besser wieder gehen.«
Dann war er plötzlich an ihrer Seite, ganz nah und warm. »Nein«, sagte er endlich. Sanft und ohne ein weiteres Wort zog er sie in einen leeren Verschlag.
Er hielt sie, küsste sie, und alles war wieder so wie beim ersten Mal. Wie hatte sie nur an ihm zweifeln können? Sie kam sich vor, als schwebe sie ein Stück über dem Boden, sie fühlte sich schwindelig und federleicht zugleich.
Sie presste sich näher an ihn, wollte ihn spüren, ihn berühren. Sein Hemd hing locker über den Bund seiner Hose, so, als hätte er es sich schnell übergestreift. Durch den dünnen Musselin ihres Nachthemds bemerkte sie, wie sich etwas bei ihm regte. Mutig wanderte ihre Hand abwärts, forschte nach und fand lebendige Härte.
Er stöhnte leise auf und löste sich zögernd von ihr. »Bitte, Moira, wir …«
»Sch …«, machte sie. »Nicht reden.«
Er redete auch nicht mehr. Nicht mehr, als er sie erneut küsste, und auch nicht, als er an dem Band zog, das ihr Nachthemd am Hals zusammenhielt. Der dünne Stoff glitt über ihre Schultern und fiel zu Boden.
Sie atmete schwer, aber statt Scham durchwehte sie ein wunderbares Gefühl von Wärme und Glück. Kurzentschlossen zog sie jetzt ihm das Hemd aus. Im nächsten Moment schlossen sich seine Hände um ihre Brüste, stark und doch zärtlich, und in ihr stieg ein Flattern auf, ein köstliches Ziehen in ihrem Unterleib, stärker als je zuvor.
In dem Pferdeverschlag, zwischen Sätteln, Zaumzeug und Decken, sanken sie nieder. Moiras Haut schien zu glühen und verlangte doch nur nach mehr. Mehr von seinen Küssen, von seinen Liebkosungen. Mehr von ihm. Seine Hände erforschten ihren Körper, berührten sie an Stellen, wo sie noch nie berührt worden war. Dann war er über ihr. Willig spreizte sie die Beine, um ihn einzulassen, bereitete sich auf den Schmerz vor, der für sie zu diesem Akt so selbstverständlich dazugehörte wie das Atmen zum Leben. Aber da war kein Schmerz. Als er in sie eindrang, keuchte sie vor Entzücken auf. Gleißende Feuerräder explodierten vor ihren Augen. Sie klammerte sich mit Armen und Beinen an ihn, während er sich in ihr bewegte, erst langsam, dann immer schneller. Mit jedem Stoß führte er sie ein Stückchen höher, trug sie über eine Grenze, die sie nie für möglich gehalten hatte, bis sie vor Lust laut aufstöhnte, und hätte er ihr nicht geistesgegenwärtig den Mund zugehalten, hätte sie im nächsten Moment einen Jubelschrei ausgestoßen. Als er gleich darauf über ihr zusammensank, tat er es beinah lautlos.
Noch immer zitternd vor Glück begann sie plötzlich zu schluchzen.
»O Gott!« Duncan rollte sich neben ihr auf den Rücken. »Es tut mir leid!«
»Nein«, schniefte Moira. »Ich weine doch nicht deswegen. Ich weine, weil … weil … Ich wusste nicht, dass es so schön sein kann!« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Danke«, sagte sie leise. »Danke, dass du mir das gezeigt hast.«
»Möge der Herr uns vergeben.« Er setzte sich auf und suchte seine Kleidung zusammen.
Moira durchfuhr ein kühler, aber wohliger Schauer. Fasziniert betrachtete sie, wie er sich wieder anzog, auch wenn sie kaum mehr als einen Schatten sah. »Wieso?«
Er blickte auf, offensichtlich überrascht von ihrer Frage. »Weil es Sünde ist. Weil wir die Ehe gebrochen haben.«
Er reichte ihr das Nachthemd und drehte sich um. Sie streifte sich den dünnen Musselin über, dann trat sie hinter ihn und fasste ganz sacht nach seiner Hand.
»Wie kann etwas, das so schön ist, Sünde sein?«, fragte sie, bevor sie sich widerstrebend zum Gehen wandte.
*
Die flache, mit Zinn beschichtete Eisenplatte ließ sich nicht gut biegen. Duncan stand an einem kleinen Tisch im Kutschenhaus, hatte die lange Seite der Platte um einen Zimmermannsnagel gelegt und folgte der Krümmung mit leichten Hammerschlägen. Ein schmales Holzstück verhinderte, dass das Metall Schaden nahm. Gestern hatte Dr. McIntyre ihm anhand einiger Zeichnungen gezeigt, was genau er sich vorstellte, und ihm das Stück Metallblech gegeben. Die Platte war knapp unterarmlang und damit kürzer, als der Doktor gehofft hatte, aber es würde reichen müssen. Ein größeres Problem war der Durchmesser; mit den wenigen Werkzeugen, die Duncan zur Verfügung standen, würde es schwierig werden, das Rohr höchstens fingerdick zu formen.
Die beiden großen Stalltüren waren geöffnet und ließen Tageslicht und ab und zu einen Schwall regenschwere Luft herein. Die Pferde hatte Duncan schon früh auf die Koppel geführt. Was er von Toongabbie sehen konnte, wirkte wie ausgestorben, niemand von den Einwohnern ließ sich blicken. Die Sträflinge waren wahrscheinlich auf den Feldern, um diese für die nächste Mais-Aussaat vorzubereiten, oder im Busch, um neues Land urbar zu machen. Andere mochten Häuser errichten oder Straßen bauen – kein Vergleich zu der leichten Arbeit, mit der er, Duncan, jetzt betraut war.
Vorhin war der Doktor gekommen, weil er Pferd und Wagen für den Weg nach Parramatta brauchte. McIntyre war erfreut gewesen, ihn so früh bei der Arbeit zu sehen. Ob ihm aufgefallen war, dass Duncan ihm nicht in die Augen hatte blicken können?
Es war sündhaft, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Sie hatten das heilige Sakrament der Ehe gebrochen. Um sich davon reinzuwaschen, hätte Duncan eigentlich beichten müssen. Aber der einzige katholische Priester, den er kannte, war Vater Harold, ebenfalls ein Sträfling. Und hatte man Vater Harold nicht festgenommen, um ihn über einen angeblich geplanten Aufstand zu befragen? So oder so, er durfte Moira keinem Risiko aussetzen. Niemand, auch kein Beichtvater, durfte wissen, was geschehen war.
Erneut schlug er mit gleichmäßigen, dumpfen Schlägen auf die Metallplatte. Er hatte den Rest der Nacht im Gebet verbracht, Reue und Buße gelobt und war mit den ersten Sonnenstrahlen aufgestanden. Doch noch immer erfüllte ihn die Erinnerung an Moiras überraschenden nächtlichen Besuch und an das, was danach passiert war, mit tiefem Glück. Ein Gefühl, das sich absolut nicht mit seinen Gewissensbissen vereinbaren lassen wollte. Sooft er nur daran dachte – an sie dachte –, kribbelte es in seinem Bauch, als säße dort ein Bienenschwarm. Warum musste er sich auch unbedingt in eine verheiratete Frau verlieben?
Er würde sich von ihr fernhalten. Sie nie wieder begehrlich ansehen, sie nie wieder berühren. Nur so konnte er sichergehen, dass es nie wieder geschah. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Er konnte schließlich nicht einfach um seine Versetzung bitten. Der Doktor würde ihn nicht gehen lassen, jetzt, wo Duncan sich als so nützlich erwiesen hatte.
Gott stellte ihn schnell auf die Probe; er hörte Schritte und wusste, dass es Moira war. Insgeheim, musste er sich eingestehen, wartete er schon seit McIntyres Abfahrt auf sie. Schnell legte er einen alten Lappen über seine Arbeit; der Doktor hatte ihm schließlich strengste Geheimhaltung eingeschärft. Als er den Blick hob, stand sie vor ihm, und ihm war klar, dass er seine guten Vorsätze nie würde einhalten können.
In ihrem zitronengelben Kleid sah sie aus wie der junge Morgen. Ihre Augen glänzten, auf ihrer hellen Haut lag ein rosiger Schimmer, und zum ersten Mal wirkte sie auf ihn fröhlich und unbeschwert. Ihr Lächeln entzündete ein kleines Feuerwerk in seinem Bauch.
»Guten Morgen«, sagte sie leise und blickte sich verstohlen um. »Ist er weg?«
Duncan nickte. »Seit einer halben Stunde. Er wollte nach Parramatta.« Es fiel ihm schwer, seiner Stimme einen neutralen Klang zu geben und sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Herr im Himmel, diese Frau konnte ihn allein mit ihrem Lächeln um den Verstand bringen. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und nie wieder losgelassen.
»Ich weiß. Ich wollte nur sichergehen.« Mit einem Schlag wirkte sie verlegen, ihr rosiger Teint vertiefte sich zu einem dunkleren Rot. »Ich … nun … ich habe dich in der letzten Nacht in eine ziemlich … missliche Lage gebracht. Das war äußerst gedankenlos von mir.«
Das klang nicht, als würde sie bereuen, was sie getan hatten. Er sah sie fragend an.
»Nun ja«, sie knetete ihre Finger, während ihre Röte bis hinauf zum Haaransatz kroch. »Du hattest wohl kaum eine Wahl, als … Na, du weißt schon.«
Duncan hob die Schultern. »Ich hätte dich einfach gehen lassen können.«
»Aber das hast du nicht.« Sie kam ein Stückchen näher. »Wieso?«
»Weil ich es genauso sehr wollte wie du.« Wenn sie sich ihm noch weiter näherte, würde er sie küssen. »Hast du das nicht gemerkt?«
»Doch.« Ein glückliches Lächeln ging über ihr Gesicht.
»Aber …« Es ist eine Sünde, wollte er sagen. Es darf nie wieder geschehen. Doch er brachte es nicht über die Lippen. In seinen Lenden zog es – diese Region scherte sich keinen Deut um seine hehren Vorsätze.
Moira trat einen Schritt zurück, sah sich auf dem kleinen Tisch um, an dem er arbeitete, und deutete auf den Lappen, unter dem die verformte Metallplatte lag. »Was machst du da eigentlich?«
»Arbeiten«, antwortete er ausweichend. »Für den Doktor.«
»Und was genau?« Sie versuchte, das Stück Stoff an einer Ecke anzuheben.
Duncan legte seine Hand darauf. »Das darf ich nicht verraten.«
Moira hob erstaunt eine fein geschwungene Braue. »Nicht einmal mir?«
Er schüttelte den Kopf. »Niemandem. Ich habe ihm mein Wort gegeben.«
In Moiras Augen trat plötzlich ein herausforderndes Glitzern. Sie zog ihre Hand fort und griff nach dem Hammer.
»Dann nehme ich eben den hier.« Sie versteckte das Werkzeug hinter ihrem Rücken. »Du bekommst ihn erst wieder, wenn du es mir verrätst.«
»Moira, bitte, das ist … albern.« Dabei fand er es gar nicht albern. Eher … anregend. Aufregend.
Moira grinste ihn spitzbübisch an. »Das soll es ja auch sein. Na los, sag schon.«
Er blieb einen Augenblick bewegungslos stehen und sah sie an, als würde er sich eine Antwort überlegen, dann schoss seine Hand vor. Er war schnell, aber Moira war schneller, und außerdem war ihm der Tisch im Weg. Mit einem jauchzenden Aufschrei sprang sie zurück, drehte sich um und lief in den hinteren Bereich des Kutschenhauses.
An der Leiter, die zum Heuboden führte, holte er sie ein. Sie versteckte den Hammer hinter ihrem Rücken.
»Hol ihn dir, wenn du ihn wiederhaben willst!«
Er umfasste sie von vorn und versuchte, den Hammer zu erwischen. Lachend und keuchend wand sie sich in seinem Griff, dann gab sie plötzlich den Widerstand auf. Ihr Gesicht reckte sich ihm entgegen, und für einen Moment abgelenkt, ließ er den Hammer Hammer sein und küsste sie. Hungrig erwiderte sie den Kuss, doch im nächsten Augenblick wand sie sich aus seiner Umarmung und kletterte schnell die Leiter hinauf.
»So einfach kriegst du ihn nicht! Komm schon! Hol ihn dir!«
Sie warf einen Blick zurück, um zu sehen, ob er ihr folgte, dann rettete sie sich nach oben. Nach wenigen Augenblicken war er bei ihr. Sie lag leise glucksend auf seiner Decke im Heu, den Hammer hatte sie neben sich geworfen.
Sie war wunderschön mit ihrem zerzausten schwarzen Haar. Ihr Brustkorb hob und senkte sich rasch, die zarte Haut ihres Dekolletés war rosig überhaucht. Der Saum ihres Rocks war etwas hochgerutscht und zeigte eine weiß bestrumpfte Wade.
»Komm zu mir.« Sie breitete ihre Arme aus.
Im nächsten Moment war er neben ihr. Sie schlang die Arme um ihn, zog sein Hemd hoch und küsste ihn auf die Brust. Dann hatte sie es plötzlich sehr eilig. Mit fliegenden Fingern nestelte sie an seiner Hose und strampelte sich den Rock nach oben. Als er in ihren warmen Schoß glitt, krallte sie sich in seinen Rücken. Sie reckte sich ihm entgegen, keuchte in sein Ohr und biss ihn schließlich in die Schulter, um ihren Schrei zu ersticken.
Danach lagen sie schweigend nebeneinander. Duncan lauschte seinem Herzschlag nach, der sich allmählich wieder beruhigte, und spürte, wie der Schweiß auf seiner Haut trocknete.
Moira streifte ihren Rock, der ihr bis über die Hüften hochgerutscht war, wieder über ihre Beine.
»Hier oben schläfst du also?« Sie blickte sich auf dem Heuboden um, streifte das aus zwei kurzen Aststücken gefertigte Kreuz, das er an der Bretterwand aufgehängt hatte. »Es ist ziemlich niedrig. Man kann ja nicht einmal stehen.«
Er hob die Schultern. »Es ist tausendmal besser als mit knapp zwanzig Mann in einer Sträflingshütte. Niemand stört mich hier. Nur eine kleine Wildkatze.«
Sie grinste über das Kosewort und versetzte ihm einen kleinen Stoß. Dann rollte sie sich auf die Seite, stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete ihn. Ihre kristallblauen Augen schienen zu leuchten. »Warte«, hielt sie ihn zurück, als er sich aufsetzen wollte. »Wir haben Zeit. Erzähl mir etwas über dich. Ich weiß so gut wie nichts über dich.« Ihre Finger glitten spielerisch über die mit drahtigen Härchen bedeckte Haut unterhalb seines Nabels.
Er schob ihre Hand fort; so schön ihre Berührung auch war, jetzt, direkt danach, war es ihm zu viel. »Es ist nicht richtig, was wir hier tun.«
»Wer soll es schon herausfinden? McIntyre ist weg, und niemand hat mich gesehen.«
»Darum geht es doch nicht. Nicht nur.« Bei der Vorstellung, was mit Moira geschehen würde, wenn ihr Vergehen je herauskommen würde, krampfte sich etwas in ihm zusammen. Ganz abgesehen davon, was ihm selbst blühen würde. »Ehebruch ist eine Todsünde.«
Moira schien nicht sonderlich beeindruckt. »Bei euch Katholiken vielleicht. Aber ich bin nicht katholisch. Und du bist nicht verheiratet.«
Es war eine eigenwillige Logik, und doch war Duncan für einen Moment fast gewillt, sie anzunehmen. »Es steht schon in der Bibel«, wandte er dennoch ein. »Das sechste Gebot. Du sollst nicht ehebrechen.«
»Du hörst dich an wie ein Priester«, gab sie zurück. Dann blickte sie ihn mit einem neckischen Grinsen an. »Aber du benimmst dich nicht wie einer!« Sie legte sich wieder auf den Rücken. »Außerdem ist es das siebte Gebot.«
»Das sechste«, beharrte Duncan.
»Ach, vergiss doch die blöden Gebote. In der Bibel steht auch, dass man Vater und Mutter ehren soll. Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich das nicht tue?« Sie ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. »Meine Eltern haben gesündigt, als sie mich gegen meinen Willen verheiratet haben.«
»Gegen deinen Willen? Wieso haben sie das getan?«
»Um mich loszuwerden, natürlich. Damit ich ihnen nicht noch mehr Schande mache. Ich hasse sie!«
»So etwas solltest du nicht sagen. Ich wäre froh, wenn ich meine Eltern noch hätte.«
Sofort wurde Moira wieder ruhiger. »Dein Vater ist tot, nicht wahr?«
»Er war ein Pferdedieb. Sie haben ihn aufgehängt.«
»Oh, das … tut mir leid«, murmelte Moira betroffen. »Wie alt warst du?«
»Zwölf«, gab er leise zurück. »Manchmal habe ich mir vorgestellt, dass das alles nicht passiert ist. Dass er eines Tages zurückkommt und mich holt. Aber das ist nie geschehen.«
»Und dann hat dich dieser Pfarrer, Vater Mahoney, aufgenommen?«
Duncan schüttelte den Kopf. »Zuerst habe ich für einige Monate auf der Straße gelebt. Habe unter Büschen geschlafen und vor Hunger Wachskerzen gegessen. Irgendwann steckte man mich in ein Waisenhaus, wo ich den ganzen Tag arbeiten musste und wo es nur Schläge und Schreie gab. Ich bin weggelaufen, aber sie haben mich wieder eingefangen. Und dann kam Vater Mahoney.«
»Er scheint ein guter Mensch gewesen zu sein.«
»Das war er. Er hat mir viel beigebracht. Und mich gelehrt, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Keinen Hass zu empfinden.«
Sie richtete sich etwas auf und sah ihm ins Gesicht. »Sag bloß, du hasst niemanden?«
Duncan schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich dir nicht«, gab Moira zurück. »Wieso hast du dann Piken hergestellt?«
»Wieso nicht? Man kann doch die Ungerechtigkeit bekämpfen, ohne jemanden hassen zu müssen. Sogar Jesus hat sich gegen die Händler im Tempel aufgelehnt.«
Moira nickte, offenbar nicht sonderlich überzeugt. »Trotzdem. Was ist mit den Männern, die dich festgenommen haben? Oder die deinen Vater hingerichtet haben? Die Aufseher hier?«
»Sie haben bloß ihre Pflicht getan.«
»Du hast wirklich seltsame Ansichten. Du hättest Priester werden sollen.«
Er lächelte. »Vater Mahoney hat tatsächlich gehofft, dass ich in seine Fußstapfen trete. Aber das wäre nicht das Richtige für mich gewesen.«
»Wieso nicht?« Sie grinste. »Vater O’Sullivan. Das hört sich doch sehr ehrwürdig an.«
Er lächelte ebenfalls. »Vater O’Sullivan hätte es aber sicher an Demut gefehlt. Und an Gehorsam.«
»Und an Frauen«, setzte Moira schlagfertig nach. »Müssen sich eure Priester nicht zur Enthaltsamkeit verpflichten?«
»So ist es. Woher weißt du so viel über uns Katholiken?«
»Von einem Freund meines Vaters«, erwiderte sie. »Mr Curran. Er ist Anwalt und vertritt viele Katholiken.« Sie stöhnte wohlig auf, als Duncan mit einer Hand durch ihre Haare fuhr und begann, ihre Kopfhaut zu massieren.
Ihm war ganz leicht zumute, so gut tat es, mit ihr zu reden. Er hatte lange nicht mehr so viel von sich preisgegeben. Es hatte sich ja auch schon lange niemand mehr für ihn interessiert.
»Du hast magische Hände, weißt du das?«, seufzte Moira. »Dir lagen die Mädchen sicher reihenweise zu Füßen.«
»Das nicht gerade. Mit einem Tinker-Waisenjungen wollte kaum jemand zu tun haben.«
Er hielt die Luft an, als er das Wort aussprach, stand das fahrende Volk doch am Rand der Gesellschaft, geächtet von den anständigen Leuten. Aber zu seinem Erstaunen nickte sie nur.
»Deswegen also bist du so geschickt mit den Pferden.« Sie nahm seine rechte, nicht allzu saubere Hand in ihre und fuhr die Linien auf seiner Handfläche nach.
»Aber …« Moira fiel es sichtlich schwer, ihm diese Frage zu stellen. »Also hast du kein … Mädchen … zu Hause?«
Er seufzte. »Doch. Ich hatte. Wir wollten heiraten.«
»Was ist passiert?«
»Sie hat einen anderen gefunden«, sagte er knapp.
Nelly hatte ihn nie im Gefängnis besucht. Kein einziges Mal in den vier Wochen, während er auf seinen Prozess gewartet hatte. Als sei er mit seiner Verhaftung ein Aussätziger geworden. Erst nach seiner Verurteilung hatte sie ein paar dürre Zeilen geschickt, in denen sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie sich nicht in der Lage sehe, noch länger auf ihn zu warten. Und dass sie gedenke, sich demnächst erneut zu verloben. Er hatte den Brief mehrmals gelesen und dann in winzig kleine Fetzen zerrissen.
Der einsetzende Regen, der mit plötzlicher Gewalt auf das Dach prasselte, riss ihn zurück in die Gegenwart. Es hörte sich an, als werfe jemand kleine Steine darauf.
Er zog Moira einen Strohhalm aus dem Haar. »Du solltest jetzt gehen.«
Diesmal sah sie es ein. Er fing sie auf, als sie die letzten Stufen der Leiter hinuntersprang, und hielt sie fest, umschloss sie ein letztes Mal.
»Ich komme wieder«, murmelte sie an seinem Ohr.
Er sah ihr nach, wie sie ihre Kleider ordnete, ein paar Strohhalme wegwischte und schließlich aus dem Kutschenhaus trat, so unbekümmert, als hätte sie nur kurz nach dem Rechten gesehen. Einen Augenblick blieb sie im Regen stehen, richtete ihr Gesicht mit geschlossenen Augen nach oben und lächelte. Er wartete, bis sie aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Dann holte er den Hammer aus dem Stroh, ging zurück zu dem kleinen Tisch und machte sich erneut ans Werk.
Das hier würde Teil seiner Buße werden.
*
Ningali verharrte reglos im Schatten des großen Hauses, während der Regen ihre Decke aus Kängurufell benetzte. So nah hatte sie sich lange nicht mehr an die Häuser der Weißen herangewagt. Nicht mehr, seit der Mann, den die Weißen Major nannten, auf sie geschossen hatte. Kurz berührte sie die fast verheilte Wunde an ihrem Arm. Es tat nicht mehr weh, aber sie konnte die wulstige Narbe spüren.
Sie ließ ihren Blick über den schlammigen Platz schweifen, hinüber zu dem langgestreckten Gebäude, in dem die Weißen nachts ihre Pferde stehen hatten. Er war auch oft dort. Zu ihrer Freude trat eben Mo-Ra hinaus. Wie verändert sie wirkte! Als ginge eine Art inneres Leuchten von ihr aus.
Und noch jemand hatte Mo-Ra gesehen; das junge Mädchen, das bei ihr arbeitete. A-Nh hieß sie. Ningali sah, wie sich ihr Gesicht verzog. War sie etwa böse auf Mo-Ra?
A-Nh zog sich zurück, bevor Mo-Ra sie bemerken konnte. Als auch Mo-Ra in ihrem Haus verschwunden war, ging Ningali zurück in den Busch. Sie ging viele Schritte, bis sie die Häuser weit hinter sich gelassen hatte. Der Dingo folgte ihr durch das Dickicht. Erst als sie sicher war, dass niemand sie sehen oder hören würde, ließ sie sich an einer Stelle nieder, wo die Bäume einen natürlichen Regenschutz boten, und löste den aus Gräsern geflochtenen Beutel von ihrem Hüftband. Sie befreite ein Stück Erde von Blättern und schob den Dingo fort, der mit seiner feuchten Nase darin schnüffeln wollte. Dann leerte sie den Inhalt des Beutels auf die freigeräumte Fläche.
Ein blankpolierter kleiner Känguruknochen kam zum Vorschein, daneben ein paar Emufedern und einige Tabakblätter. Und ein golden glänzendes, mit Schnitzereien verziertes Behältnis, so groß wie eine Buschfeige. Es gehörte Major. Er hatte es verloren, als er fern von hier zuckend am Boden gelegen hatte.
Ningali hatte einmal beobachtet, wie die Männer der Weißen in solche Behältnisse hineingriffen, um sich ein dunkles Pulver in die Nase zu stecken. Manchmal mussten sie danach niesen.
Ob gelingen würde, was sie vorhatte? Normalerweise musste die betreffende Person anwesend sein. Aber vielleicht würde es auch funktionieren, wenn sie nur etwas hatte, was der Person gehörte.
Auch wenn sie nur wenig von der Sprache der Weißen verstand, so hatte sie doch begriffen, was die dicke Frau in jener Nacht behauptet hatte: Ningali habe Major verhext. Doch das hatte sie nicht.
Noch nicht.
Sie legte den Knochen so vor das glänzende Behältnis, dass er darauf zeigte, und stieß probeweise einen Summton aus. Sie benutzte ihre Stimme nur selten, aber diesmal brauchte sie sie. Dann kniete sie sich auf den Boden und begann mit dem Totsingen.
*
Ob das Licht ausreichen würde? Alistair warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster, dessen Vorhänge heute ausnahmsweise zurückgezogen waren. Der Himmel war bewölkt, die Sonne nicht zu sehen. Nicht die besten Voraussetzungen. Beim ersten Versuch mit dem neuen Rohr war sein Forschereifer jäh gebremst worden, als er beim Hindurchsehen nicht das Geringste hatte erkennen können. Diesmal war er besser vorbereitet. Auf seinem Schreibtisch lag griffbereit sein kleiner runder Reisespiegel. Damit müsste es gelingen, das Tageslicht entsprechend umzuleiten.
»Auf ein Neues.« Alistair lockerte seine Halsbinde, wischte die feuchten Hände an seinem Rock ab und wandte sich dem jungen Sträfling auf dem Stuhl vor ihm zu. O’Sullivan stellte sich inzwischen recht ordentlich an. Mit geschlossenen Augen legte er den Kopf in den Nacken.
»Und jetzt nicht bewegen!« Alistair beugte sich über ihn.
Mit dem linken Zeigefinger drückte er O’Sullivans Zunge nach unten und schob mit der Rechten das Rohr in die Rachenhöhle, bis er einen Widerstand spürte. Der Ringknorpel. O’Sullivans Körper versteifte sich. Er stemmte seine Beine gegen den Boden, stieß einen gequälten Laut aus und kämpfte sichtlich gegen den Würgereiz. Auf der Suche nach einem Halt fuhren seine Hände ziellos durch die Luft, bis er hinter sich griff und Alistairs Weste zu fassen bekam. Seine Finger krampften sich in den Stoff.
Wie nah er ihm war! Eine Kaskade der Erregung flutete über Alistair hinweg, es klopfte heiß in seinen Lenden. Nicht jetzt! Vorsichtig presste er seine Körpermitte gegen die Stuhllehne, um jede verräterische Regung zu unterdrücken, und zwang sich, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
Der Anfang war immer der schwierigste Teil, dann, wenn die Muskulatur des Kehlkopfs sich krampfhaft zusammenzog und der Würgereiz am schlimmsten war. Alistairs linke Hand lag unter O’Sullivans Kinn, um ihn an plötzlichen Bewegungen zu hindern. Wahrscheinlich wäre es mit einem Helfer besser gegangen. Aber mit diesem Gedanken konnte Alistair sich nicht anfreunden. Niemand sollte wissen, woran er forschte. Außerdem wäre es für eine dritte Person zu eng in dem kleinen Raum.
Sein Daumen lag an O’Sullivans Halsschlagader, er spürte den Puls hämmern. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er bemerkte, dass er dem jungen Sträfling sanft über die Haut strich. Sofort hörte er damit auf.
Er wartete, bis der Krampf nachließ und O’Sullivan nicht mehr ganz so stoßweise atmete.
»Ganz ruhig«, murmelte er und schob die starre Röhre unendlich vorsichtig weiter. Seine Weste spannte unter O’Sullivans Griff, aber diesmal ließ er sich davon nicht ablenken.
Als er auf ein Hindernis stieß, hielt er inne. Er durfte nicht das Risiko eingehen, den jungen Gefangenen zu verletzen. Vorsichtig griff er mit der Rechten nach dem Spiegel, hielt ihn an die obere Öffnung des Rohrs, drehte ihn zum Fenster und blickte hinein.
Er sah nichts. Oder zumindest fast nichts. Nur eine düstere, verwaschene Fläche. »Es ist immer noch zu dunkel«, brummte er, mehr zu sich selbst als an O’Sullivan gerichtet. »Das Licht ist zu schwach.«
Er drehte den Spiegel noch einmal in alle möglichen Richtungen, dann gab er auf und zog das Rohr vorsichtig wieder zurück.
O’Sullivan hustete und fuhr sich mit dem Ärmel über sein schweißnasses Gesicht, in das nur langsam wieder etwas Farbe zurückkehrte. Dankbar nahm er den Becher mit Wasser, den Alistair ihm reichte, und trank mit kleinen Schlucken.
Alistair beobachtete ihn verstohlen. Wie es wohl wäre, diese feuchte, gebräunte Haut noch einmal zu berühren, diese sehnigen Muskeln zu spüren? Dann ballte er die Faust. Nein! Diesen schändlichen Begierden durfte er nie wieder nachgeben!
Eine weitere Szene kam ihm mit Macht in den Sinn – kein Wunschtraum, sondern Erinnerung. Schimmerndes Kerzenlicht, ein großes Bett voller Kissen, verbotene Gelüste im Schutz der Masken, der herbe Duft eines anderen männlichen Körpers, dann das unbeschreibliche Gefühl, als –
»Sir?«
Alistair zuckte zusammen.
»Sir, könnte man nicht …« O’Sullivan räusperte sich, seine Stimme war rau. »Würde eine Kerzenflamme genug Licht geben? Oder eine Laterne?«
Es brauchte einen Augenblick, bis Alistair zurückfand in die Gegenwart. Wo war seine ärztliche Sachlichkeit? Dann nickte er. »Eine Kerzenflamme?« Er lief ein paar Schritte auf und ab, um wieder klar denken zu können. »Nun, das könnte möglicherweise funktionieren. Sehr gut, O’Sullivan. Du denkst mit. Das gefällt mir.«
Der junge Mann blickte auf. »Wollt Ihr … jetzt gleich noch einmal?«
Alistair sah den Sträfling an, der offensichtlich gewillt war, seinen Vorschlag sofort in die Tat umzusetzen. Was doch die Aussicht auf Begnadigung alles bewirken konnte …
Er ballte erneut die Fäuste, um das Zittern zu unterdrücken, seine Lenden schmerzten vor unterdrücktem Begehren. So konnte er unmöglich weiterarbeiten.
»Nein«, sagte er. »Für heute ist Schluss. Wir machen ein andermal weiter. Morgen.«