Wahrscheinlich würde es meinen Mann freuen zu wissen, dass Sie wissen, was für ein unglaubliches Ausmaß an verächtlichem Schnauben und Grunzen er in der Phase der Vorarbeiten zu diesem Kapitel aushalten musste: Mehrere Wochen lang, während derer ich mich durch die populärwissenschaftlichen Bücher über Genderunterschiede arbeitete, ähnelte unsere üblicherweise stille Stunde der Bettlektüre, bevor das Licht ausgeknipst wird, eher der Futterzeit im Schweinestall. Das Ergebnis dieser meiner Forschungen sind vier fundamentale Regeln für jeden, der sich anschickt, Erkenntnisse der Neurowissenschaft in eine Veröffentlichung (sei es ein Buch oder ein Artikel) für das breitere Publikum zu packen: 1. Wenn Sie keine Zeitmaschine haben und in eine Zukunft reisen können, in der Neurowissenschaftler Umkehrschlüsse ziehen können ohne das Gefühl nagender Angst, das den vernünftigeren Vertretern ihrer Zunft den Nachtschlaf raubt, dann behaupten Sie gefälligst nicht, dass Eltern oder Lehrer Jungen und Mädchen deshalb unterschiedlich behandeln, weil sie Unterschiede in deren Gehirn beobachtet haben. 2. Wenn Sie nicht wissen, was ein Umkehrschluss ist, lesen Sie das vorige Kapitel dieses Buchs. 3. Lassen Sie äußerste Vorsicht walten, wenn Sie den riskanten Sprung von einer Gehirnfunktion zu einer mentalen Funktion machen; und 4. Faseln Sie kein haltloses Zeug.
Wenn man sich nach Beispielen umschaut, die es verabsäumt haben, der einen und/oder anderen dieser vier schlichten Regeln zu folgen, hat man reiche Auswahl. Mein wahrscheinlich liebstes Zeugnis für die skrupellose Projektion von Vorurteilen auf den Gehirnforschungsjargon ist ein Abschnitt in John Grays Mars und Venus – Die Liebe siegt, in dem er sich über den unteren Parietallappen (Lobus parietalis inferior, LPI) auslässt. Gray behauptet, der linke LPI sei bei Männern stärker ausgebildet, bei Frauen hingegen sei die rechte Seite größer. Es wird wohl keinen überraschen zu erfahren, dass »die linke Seite des Gehirns mehr mit linearem, vernünftigem, rationalem Denken zu tun hat, während die rechte Gehirnhälfte eher emotional, gefühlsbetont und intuitiv ausgerichtet ist«. Was allerdings doch überrascht, ist, welch unterschiedliche Dienste der LPI seinem Herrn bzw. seiner Herrin leistet. Der ausgedehnte linke LPI bei Männern, der unter anderem auch mit »Zeitwahrnehmung« befasst ist, erklärt, warum ein Mann ungeduldig wird, wenn eine Frau zu lange redet. Andererseits ermöglicht es der LPI »dem Gehirn, Informationen von den Sinnesorganen zu verarbeiten, vor allem bei selektiver Wahrnehmung, wenn etwa Frauen in der Nacht fähig sind, auf das Weinen eines Babys zu reagieren«.490 Werden wir absichtlich darüber im Unklaren gelassen, ob der männliche untere Parietallappen auch den Mann zu einer solchen Leistung befähigt?
In Leadership and the Sexes erhalten Führungskräfte von den Autoren Michael Gurian und Barbara Annis die Information, dass »die Gehirne von Frauen normalerweise einen größeren Anteil der gefühlsbezogenen Aktivität, die in der Mitte des Gehirns (im limbischen System) stattfindet, mit Gedanken und Wörtern im oberen Teil des Gehirns (der Großhirnrinde) verbinden. Ein Mann braucht also möglicherweise mehrere Stunden, um eine einschneidende emotionsgeladene Erfahrung zu verarbeiten [Ich … wurde … grade … gefeuert … Ich … bin … unglücklich … und … verärgert], wohingegen eine Frau das Gleiche in relativ kurzer Zeit schafft [So ein Mist aber auch!].«491 Ein weiteres neurophysiologisches Handicap bei Männern findet sich in einem anderen Buch von Gurian mit dem Titel What Could He Be Thinking? Implizit legt er als Arbeitsmetapher das Bild vom Gehirn als einer Flipperanlage zugrunde, wenn er erklärt, wie bei Männern das »Signal« eines Gefühls, das es bis in die rechte Hirnhälfte geschafft hat, »womöglich gestoppt wird und im Abgrund neuronaler Vergessenheit versinkt, weil es keinen Zugang zu einem Rezeptor im Sprachzentrum in der linken Seite des Gehirns fand«. Im weiblichen Gehirn passiert so etwas nicht, denn, so Gurian, Männer haben in der linken Gehirnhälfte lediglich ein oder zwei Sprachzentren, während Frauen sage und schreibe sieben haben, die über das gesamte Gehirn verteilt sind, und außerdem ein 25 Prozent größeres Corpus callosum. (Trotz dieser unverschämt üppigen Ausstattung mit neurologischen Reichtümern bleibt mir angesichts des Unterschieds, den Gurian zwischen männlicher und weiblicher Gehirnfunktion konstatiert, die Spucke weg.) Deshalb hat es ein Gefühlssignal beim Mann viel schwerer, das große Los eines Kontakts mit einem für Sprachverarbeitung zuständigen Neuron zu ziehen.492
Eine weitere Information aus Leadership and the Sexes: Wenn eine weibliche Führungskraft ihre Kollegen fragt: »Was meint ihr nun dazu?«, dann ist das eine typisch weibliche »Weiße-Substanz«-Frage. Offenbar hat die weiße Substanz nicht nur die Funktion, Informationen von diversen Teilen des Gehirns, sondern auch von diversen Mitarbeitern im Büro zu sammeln.493 Wahrscheinlich stehen Unterschiede in der Gehirnstruktur auch hinter dem typisch weiblichen Problemlösungsstil weiblicher Führungskräfte: Wenn eine weibliche Führungsperson »weiß, was getan werden muss, dann ist es ihr im Vergleich zu Männern nicht so wichtig, das mit Daten zu belegen«. Nach Meinung von Gurian und Annis liegt wohl »ein Grund für dieses intuitive Vorgehen darin, dass eine Frau über ein größeres Corpus callosum verfügt, das beide Gehirnhälften verbindet«. Männliche Führungskräfte hingegen bevorzugen einen Problemlösungsstil, der zum großen Teil »eher auf lineare Daten und Beweise aufbaut«.494
Vielleicht ist ja mein Corpus callosum kleiner als das anderer Frauen – jedenfalls kann ich die intuitiven Sprünge vom Gehirnaufbau zu mentalen Prozessen, wie bereits im vorigen Kapitel bemerkt, überhaupt nicht nachvollziehen. Warum sollte der Umstand, dass die Lösung eines Problems durch Analyse von Daten und Beweisen bewerkstelligt wird, eine weniger ausgeprägte Verbindung zwischen den Gehirnhälften voraussetzen? Die Annahme, ein stärker lateralisiertes Gehirn sei weniger für Multi-Tasking geeignet, ist weit verbreitet. Ein Beispiel dafür, wie irreführend unsere Intuition in solchen Fällen sein kann, lieferte die Neurobiologin Lesley Rogers und ihr Team: Sie stellten nämlich bei Hühnern fest, dass genau das Gegenteil der Fall ist.495 Hühner mit stärker lateralisierten Gehirnen konnten besser gleichzeitig Körner picken und nach Raubvögeln Ausschau halten (das ist erwiesenermaßen in der Hühnerwelt das Äquivalent für gleichzeitiges Steak-Braten und Salat-Anmachen).
Nun muss es uns ja bei solchen selbsternannten »Vordenkern« vielleicht gar nicht so sehr überraschen, dass sie Genderstereotype mit neurowissenschaftlichem Glitter aufbrezeln; bedeutend mehr erschreckt uns ein solches Verhalten allerdings bei einer Person mit Abschlüssen von der Harvard Medical School, der University of California-Berkeley und der Yale School of Medicine. Auftritt Louann Brizendine, Leiterin der Women’s Mood and Hormone Clinic an der University of California-San Francisco! Ihr Buch Das weibliche Gehirn zitiert buchstäblich Hunderte akademischer Beiträge. Auf den arglosen Leser machen sie und ihr Werk einen absolut verlässlichen und kompetenten Eindruck. Eine Besprechung des Buchs in Nature warnt allerdings, dass »The Female Brain trotz der zahlreichen akademischen Qualifikationen der Autorin nicht einmal den elementarsten Anforderungen an wissenschaftliche Genauigkeit und Ausgewogenheit gerecht wird. Das Buch wimmelt nur so von Fehlern und ist im höchsten Maße irreführend, was den Vorgang der Entwicklung des Gehirns und des neuroendokrinen Systems sowie das Wesen der Geschlechtsunterschiede im Zusammenhang mit der Genderproblematik angeht.« Im weiteren Verlauf heißt es: »Das Buch führt jede Menge ›Fakten‹ an, die in den jeweils mitgelieferten Belegstellen aus der Fachliteratur überhaupt nicht vorkommen.«496 Leser, die sich der Mühe unterziehen, die von Brizendine angeführten Quellen für ihre Behauptungen zu überprüfen, machen diese Beobachtung immer wieder. Mark Liberman, Professor an der University of Pennsylvania, der eigentlich an Genderthemen gar nicht sonderlich interessiert ist, fühlte sich von Brizendines pseudowissenschaftlichen Behauptungen derart provoziert, dass er dazu zahlreiche ebenso detaillierte wie humorvolle kritische Anmerkungen auf seinem Sprachlog ins Netz stellte. Er kommt sich bei seinen geduldigen Verbesserungen der vielen falschen Behauptungen von Brizendine manchmal vor wie »der Clown im Zirkus, der die Aufgabe hat, hinter dem Elefanten mit einer Schaufel durch den Ring zu laufen«.497
Mir waren diese Warnhinweise zwar bekannt, und dennoch: Als ich beschloss, Brizendines Behauptung nachzuverfolgen, das weibliche Gehirn sei von Natur aus auf Einfühlung angelegt, beförderte diese Aufgabe eine Überraschung nach der anderen zutage. Ich ging jeder einzelnen neurowissenschaftlichen Studie nach, die Brizendine als Beleg für weibliche Überlegenheit in Sachen Empathiefähigkeit angeführt hatte. (Neinnein, Sie brauchen mir nicht zu danken. Mir macht so was Spaß.) Es gab auf nur wenigen Seiten Text eine ganze Menge solcher Belege, mit denen der Eindruck erweckt wird, dass es sich bei der physiologischen Überlegenheit des weiblichen Gehirns, wenn es um Einfühlung geht, nicht lediglich um eine Meinung, sondern um ein wissenschaftlich vielfach erhärtetes Faktum handelt. Bei der Überprüfung der Quellen traten jedoch einige reichlich irreführende Vorgehensweisen zutage. Arbeiten wir uns, damit Sie sehen, was ich meine, doch nur einmal von Seite 191 bis Seite 193 oben durch. Wir legen los mit einer Psychotherapeutenstudie, die ergab, dass Therapeuten zu ihren Klienten einen guten Kontakt herstellen, indem sie deren Handlungen spiegeln.498 En passant lässt Brizendine die Bemerkung fallen: »… bei denen, die sich so verhielten, handelte es sich ausschließlich um Frauen.«499 Aus irgendeinem Grund vergisst sie zu erwähnen, dass das daran lag, dass für diese Studie lediglich Frauen – und zwar aus Branchenfernsprechbüchern – ausgewählt worden waren.
Brizendines nächste Behauptung – dass Mädchen die Gefühle anderer besser verstehen – wird gestützt durch die von ihr zitierte Arbeit von Erin McClure und Judith Hall. Beide Forscherinnen stellten Meta-Analysen an und kamen zu dem Ergebnis, dass Frauen eine bessere Leistung zeigen, wenn es darum geht, nonverbale Gefühlsausdrücke zu entschlüsseln.500 Der Vorsprung ist allerdings nur bescheiden. McClures Meta-Analyse ergab, dass ungefähr 54 Prozent der Mädchen beim Erkennen von mimisch ausgedrückten Gefühlen überdurchschnittlich abschneiden, und 46 Prozent der Jungen. Halls Überprüfung der Forschungsergebnisse mit Tests wie etwa dem PONS-Test (Profile of Nonverbal Sensitivity, Test zum nonverbalen Sensibilitätsprofil; er ist uns im 2. Kapitel des I. Teils schon begegnet) ergab, dass bei mehrmaliger zufälliger Auswahl eines Jungen oder eines Mädchens der Junge in mehr als einem Drittel der Fälle besser abschneidet als das Mädchen. Da kann wohl von einer Untertreibung dieses Befunds nicht die Rede sein, wenn Brizendine schreibt, in diesen Fähigkeiten seien »Mädchen den Jungen um Jahre voraus«.501 Es folgt die Spekulation, dass diese Fähigkeiten auf Spiegelneuronen beruhen, die es den Mädchen ermöglichen, die nonverbalen Hinweise ihres Gegenübers zu beobachten, zu imitieren und zu spiegeln und sich so in ihre Gefühle hineinzuversetzen. (Spiegelneuronen reagieren auf die Handlung eines anderen Lebewesens so, als würde der Beobachter die Handlung selbst ausführen. Einige Wissenschaftler nehmen an, dass Spiegelneuronen die neuronale Grundlage für das Verstehen mentaler Prozesse bei anderen ist. Andere stehen dem ganzen Konzept eher skeptisch gegenüber.) Die Studie, die Brizendine in diesem Zusammenhang zitiert, erforscht die mögliche Rolle des Spiegelungssystems, wenn es darum geht, sich in den mentalen Zustand anderer hineinzuversetzen – allerdings streng genommen nicht bei Frauen.502 Die Testpersonen (von denen einige an einer Störung aus dem Autismusspektrum litten) waren durchweg Männer.
Etwas später erfährt der Leser dann, dass »man mit bildgebenden Verfahren tatsächlich nachweisen konnte, dass jemand in einem bestimmten Gefühlszustand einen anderen Menschen nur zu beobachten oder sich in der Fantasie vorzustellen braucht, und schon entstehen in seinem Gehirn automatisch ähnliche Muster – und Frauen beherrschen diese Form der emotionalen Spiegelung besonders gut«.503 Als Beleg für diese Überlegenheit von Frauen in punkto emotionaler Spiegelung wird eine Neuroimaging-Studie der Kognitions- und Neurowissenschaftlerin Tania Singer und Kollegen angeführt, die die Gehirnaktivität einer Versuchsperson, die einen schmerzhaften Elektroschock in die Hand erhielt, mit derjenigen einer anderen Versuchsperson verglichen, die mit ansah, dass eine ihr nahe stehende Person ihrerseits denselben schmerzhaften Elektroschock versetzt bekam.504 Singer und ihr Team stellten fest, dass dieselben Gehirnregionen aktiviert wurden, ganz gleich ob der Schock selbst empfangen wurde oder ob beobachtet wurde, dass ein anderer ihn empfing. Jetzt glauben Sie bloß nicht, dass ich hier wie ein Erbsenzähler die Geschlechtsunterschiede und ihre Interpretation gegeneinander halten werde. Das Interpretationsproblem ist viel handfester. Gescannt wurden nämlich ausschließlich Frauen.
Brizendine vertieft das Thema der ausgeprägteren weiblichen Sensibilität für den Schmerz anderer im nächsten Absatz, wo sie uns darüber in Kenntnis setzt, dass eine Frau, die beispielsweise empathisch darauf reagiert, dass ein anderer Mensch sich den Zeh anstößt, »nur in Extremform einen Vorgang erlebt, der sich im weiblichen Gehirn von Natur aus schon in der Kindheit und noch stärker im Erwachsenenalter abspielt: Sie durchleidet die Schmerzen eines anderen Menschen.«505 Als Beleg für diese Behauptung führt Brizendine zwei fMRI-Studien an: zum einen die Studie von Singer aus dem Jahr 2004, die die Empathiereaktionen von Frauen auf Schmerz untersucht, außerdem eine Studie von Tetsuya Iidaka und ihrem Team, bei der es darum ging, die Geschlechtszugehörigkeit von Gesichtern zu nennen, die einen positiven, einen negativen oder einen neutralen Gesichtsausdruck zeigten. Verglichen wurden dabei die Gehirnaktivitäten bei den jungen im Vergleich zu den alten Teilnehmern, nicht aber die von Frauen im Vergleich mit Männern.506 (Der dritte Hinweis bezieht sich auf einen Artikel über Angst und Depression bei Kindern und Jugendlichen. Es geht darin nicht um die Reaktion auf die Schmerzen anderer oder um Genderunterschiede bei dieser Fähigkeit, allerdings merken die Autoren immerhin an einer Stelle an: »Weil Frauen bekanntermaßen gefühlsmäßig stärker auf die Probleme anderer reagieren, fühlen sie sich möglicherweise von einem breiteren Spektrum interpersoneller Kontexte angesprochen.«507)
Im letzten Teil dieses Abschnitts behandelt Brizendine Singers Studie von 2004 und stellt fest, dass »… trotz allem im Gehirn der Frauen bei einem starken Elektroschock des Partners die gleichen Schmerzzentren aktiv wurden, die auch aufgeleuchtet hatten, als sie selbst Stromschläge erhielten«.508 Natürlich verweist sie an dieser Stelle auf die Studie von Singer 2004, aber außerdem auch auf eine andere fMRI-Studie vom selben Forschungsteam, die im Jahr 2006 veröffentlicht wurde.509 Die Studie war ähnlich angelegt, allerdings wurde nicht der Partner/die Partnerin aus einer Zweierbeziehung geschockt, sondern ein Spielpartner, der in einem unmittelbar zuvor gespielten Spiel ehrlich gespielt oder aber geschummelt hatte. Für diese Studie wurden Männer und Frauen gescannt. Es zeigten sich auch hier Anzeichen für empathische Reaktionen auf den Schmerz anderer, allerdings bei Männern nur dann, wenn der Partner fair gespielt hatte. Brizendine beschließt ihren Verweis auf diese beiden Studien mit der Bemerkung: »Die Frauen spürten also die Schmerzen ihrer Partner, … Bei Männern wurden ähnliche Gehirnaktivitäten bisher nicht ausgelöst.«510 Dabei hat sie ja unmittelbar zuvor eine Studie zitiert, bei der durchaus ähnliche Gehirnaktivitäten von Männern auftraten, wenn auch nur dann, wenn es um Menschen ging, die sie gut leiden konnten.
An dieser Stelle von Brizendines Buch hat der arglose Leser dann wohl bereits eine ziemlich negative Vorstellung vom Einfühlungsvermögen der Männer – vor allem weil die Autorin schon zuvor in diesem Kapitel behauptet hatte, Frauen hätten möglicherweise mehr Spiegelneuronen: »Die meisten Untersuchungen zu dem Thema wurden zwar an Primaten durchgeführt, aber die Fachleute vermuten, dass es auch beim Menschen im weiblichen Gehirn mehr Neuronen für die Spiegelung gibt als im männlichen.«511 In Brizendines Endnoten werden Sie nicht weniger als fünf Verweise auf wissenschaftliche Veröffentlichungen finden, die diese Behauptung bestätigen. Die erste Veröffentlichung liegt in russischer Sprache vor. Sie enthält zwar einen Vergleich der Geschlechter, allerdings würde ich nach Lektüre des Abstracts meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sie hinsichtlich der Genderunterschiede bei Spiegelneuronen nicht sonderlich ergiebig ist, handelt es sich doch um eine Postmortem-Studie zu Neuronen in den Frontallappen. (Ich möchte doch meinen, dass man Spiegelneuronen in Aktion sehen muss, um sie identifizieren zu können.) Drei weitere Untersuchungen beschäftigten sich tatsächlich mit bestimmten Aspekten des Phänomens, das man als Spiegelneuronensystem zu bezeichnen pflegt. Allerdings wurden in keiner dieser Studien Männer und Frauen verglichen oder Spekulationen über mögliche Geschlechtsunterschiede angestellt. Übrig bleibt also lediglich ein Zitat, eine »persönliche Mitteilung« der Kognitions- und Neurowissenschaftlerin Lindsay Oberman, die da lautet: »Möglicherweise gibt es einen Unterschied in der Spiegelneuronenfunktion bei Männern und Frauen.« Als ich eine E-Mail an Dr. Oberman schickte und um eine Bestätigung des Zitats bat, teilte sie mir mit, dass es nicht nur keinen Kontakt zwischen ihr und Brizendine gegeben habe, dass sie vielmehr, wie sie weiter schrieb, »im Gegenteil viele meiner Veröffentlichungen durchgeschaut habe und an keiner Stelle einen Beleg für eine effektivere Spiegelneuronenfunktion finden konnte«.512 (Wenn Sie Ihren Unterkiefer wieder vom Boden hochgehievt haben, dann denken Sie doch bitte auch noch einmal kurz an die Fünf-Prozent-Regel, die ich im vorigen Kapitel erwähnt habe, dass lediglich Geschlechtsunterschiede thematisiert werden.)
Und bei all dem präsentiert sich Brizendine dann ironischerweise auch noch als unerschrockene, wenn auch innerlich zerrissene Streiterin für die Wahrheit:
Während ich dieses Buch schrieb, hörte ich in meinem geistigen Ohr zwei widerstreitende Stimmen: auf der einen Seite die wissenschaftliche Wahrheit, auf der anderen die politische Korrektheit. Ich habe mich entschlossen, der wissenschaftlichen Wahrheit gegenüber der politischen Korrektheit den Vorrang einzuräumen, auch wenn wissenschaftliche Wahrheiten vielleicht nicht immer willkommen sind.513
Wenn ich ordentlich in Wallung kommen will, dann blättere ich Brizendines Buch durch. Am meisten ärgert mich – wahrscheinlich aufgrund der Lebensphase, in der ich selbst mich gerade befinde – ihre Behauptung, dass erst »wenn mit dem Auszug der Kinder die Nabelschnur ein zweites Mal durchschnitten wird, es den Schaltkreisen des Mamihirns endlich freisteht, sich um neue Ziele, neue Gedanken und neue Ideen zu kümmern«.514 Letztlich am meisten verstört mich allerdings der Sexismus, der sich, clever mit neurowissenschaftlichem Glanz verbrämt, in Vorschulen und Schulen breitmacht. Während die Methode des Neuroimaging gerade einmal die ersten Schritte auf der langen Reise zu einem echten Verständnis des Verhältnisses zwischen Neuronenaktivität und mentalen Fähigkeiten macht, treten scharenweise sogenannte Experten auf, die mit den pädagogischen Auswirkungen der physiologischen Unterschiede zwischen Jungen- und Mädchengehirnen hausieren gehen. Die Goldmedaille in Dreistigkeit muss wohl an einen amerikanischen Bildungsberater gehen. Mark Libermans Language Log erhielt mehrere Berichte des Inhalts, dieser Mann habe seine Zuhörer dahingehend informiert, dass Mädchen Details, Jungen hingegen eher das große Ganze sehen, weil der »Crockus« – eine Gehirnregion, die es schlicht nicht gibt – bei Mädchen viermal so groß ist wie bei Jungen.515
Ich darf Ihnen versichern, dass sich die meisten Leute, die über die pädagogischen Implikationen von Geschlechtsunterschieden im Gehirn reden, auf Gehirnregionen beschränken, die von der Mehrheit der Wissenschaftsgemeinde als existent anerkannt sind. Ich bezweifle auch eigentlich nicht, dass viele in ihrem Umgang mit den fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen nur von den hehrsten Motiven geleitet werden. Ihr Ziel ist es, die Ausbildungsbedingungen für Kinder beiderlei Geschlechts effektiver zu gestalten. Bestimmt haben die Vertreter der Idee von getrenntgeschlechtlichen Schulen gute Gründe für ihr Anliegen, die mit der Beschaffenheit des Gehirns gar nichts zu tun haben. Will man diese Idee allerdings dadurch vorantreiben, dass man Genderstereotype auf Gehirndaten projiziert, dann ist das nicht nur sinnlos, sondern schädlich.
Der einflussreichste Mann dieser Gruppe pädagogischer Redner ist Leonard Sax von der National Association for Single Sex Public Education (NASSPE – Nationale Vereinigung für Monoedukation), Autor zweier Bücher, in denen der Bedarf nach getrenntgeschlechtlichen Schulen mit Argumenten aus der Hirnforschung begründet wird. Sax hat einen extrem dicht gepackten Terminkalender; er hielt Vorträge in den USA, in Kanada, Australien und Neuseeland sowie in einigen europäischen Ländern – und viele Schulen zeigen sich durchaus beeindruckt. NASSPE wurde bei der Erstellung von ungefähr der Hälfte der Bildungspläne der 360 Monoedukations-Schulen in den USA mit hinzugezogen, und Sax äußerte gegenüber Elizabeth Weil, einer Journalistin der New York Times, dass von diesen 360 Schulen ungefähr 300 »von der Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse ausgehen.«516 Schauen wir uns genauer an, was das bedeutet.
Ein schönes Beispiel bietet der Englischunterricht. In einer Mädchenklasse wird die Lehrkraft die Schülerinnen bitten, sich über die Gefühle und Motive der Protagonisten Gedanken zu machen, also Fragen zu stellen wie: Was würdet ihr empfinden, wenn …. In der Jungenklasse hingegen geht das nicht, weil »eine solche Frage von den Jungen verlangt, die emotionale Information aus der Amygdala mit der Sprachinformation in der Großhirnrinde zu verknüpfen. Das ist so ähnlich, wie wenn man versuchen würde, gleichzeitig ein Gedicht aufzusagen und drei Jonglierkeulen in der Luft zu halten. Sie müssen dafür zwei unterschiedliche Teile des Gehirns benutzen, die normalerweise nicht zusammenarbeiten.«517 Das Problem für Jungen und allgemein für jüngere Kinder besteht, so Sax, darin, dass Emotion in der Amygdala verarbeitet wird, einem primitiven Kerngebiet des Gehirns, »das nur wenige direkte Verbindungen zur Großhirnrinde hat«. (In Wahrheit ist die Amygdala offenbar auf vielfältige Weise mit der Großhirnrinde verknüpft.518) Deshalb seien sie unfähig, über ihre Gefühle zu sprechen. Bei größeren Mädchen hingegen wird Emotion in der Großhirnrinde verarbeitet, daher sind sie praktischerweise in der Lage, Sprache zu verwenden, wenn es um die Mitteilung ihrer Gefühle geht. Es ist klar, was für Lehrer und Lehrerinnen daraus folgt: Mädchen nach links, phylogenetisch primitive Affenhirne nach rechts!
Nun basiert diese »Tatsachen«-Behauptung über das männliche Gehirn – der ich in den Populärmedien in diversen Variationen wiederbegegnet bin – allerdings lediglich auf einer kleinen fMRI-Studie, in der Kinder passiv auf angsterfüllte Gesichter starrten.519 Ob im Verlauf dieses Versuchs irgendwelche negativen Emotionen (außer vielleicht Langeweile) aufkamen, kann bezweifelt werden;520 die Kinder waren nicht aufgefordert, auszusprechen, was sie fühlten; es wurde auch fatalerweise lediglich ein Teil der Gehirnregionen vermessen, die mit Emotionsverarbeitung und Sprachprozessen zu tun haben.521 Nach Mark Liberman ist »das Missverhältnis zwischen den vorliegenden Fakten und der Interpretation von Sax spektakulär«.522 Selbst wenn Studien tatsächlich zeigen würden, was Sax behauptet (was zweifelhaft ist),523 warum um alles in der Welt sollen wir glauben, dass die Sprachzentren des Gehirns nicht beteiligt sind, wenn ein Kind sprechen möchte? Schließlich ist es ja die Aufgabe von Axonen und Dendriten, Informationen von A nach B weiterzugeben. Sax hingegen beschreibt voller Bewunderung eine jungenhirnfreundliche Englischstunde, in der die Schüler den Herrn der Fliegen nicht daraufhin untersuchen, wie die Geschichte erzählt wird oder wie die Personen charakterisiert sind, sondern mit dem Ziel, eine Landkarte der Insel anzufertigen.
Und all das geschieht womöglich in einer Schule gleich bei Ihnen um die Ecke! In einer koedukativen Schule in einem Vorort ganz in meiner Nähe ist »Paralleledukation« für die Jungen und Mädchen bestimmter Jahrgänge vorgesehen. In einem Zeitungsartikel heißt es dazu: »Jungen Mathematik beizubringen hatte eher praktische Aspekte: Zeichnen, praktische Übungen. In einer Mädchenklasse dagegen stellt Davey [der Leiter der Middle School] zu Beginn des Unterrichts die Themen volle zehn Minuten lang im Frontalunterricht vor, und eine mathematische Kurve wird im Kontext einer Beziehung zwischen zwei Menschen präsentiert.«524 Vielleicht geht Davey dabei ja von einem weiteren der von Sax vertretenen »Neurofehlschlüsse« aus: Weil bei Jungen Mathematik im Hippocampus verarbeitet wird (schon wieder eines dieser primitiven Gehirnteile, die von Männern anscheinend so gern genutzt werden), während Geometrie bei Mädchen »im Großhirn« stattfindet (eine Feststellung, die ungefähr so unspezifisch ist, wie wenn man sagen würde: »Wir treffen uns zu einer Tasse Kaffee in der nördlichen Hemisphäre«), bedarf es höchst unterschiedlicher pädagogischer Strategien. Sax behauptet: Da der primitive Hippocampus »keine direkten Verbindungen zum Großhirn hat« [*hüstel* auch wieder nicht ganz korrekt], beschäftigen sich Jungen mit Mathematik »›um der Sache willen‹ schon in einem wesentlich jüngeren Alter als Mädchen«. Da andererseits die Mädchen ihre Großhirnrinde einsetzen, »muss für sie Mathematik in andere übergeordnete kognitive Funktionen eingebunden werden«.525 Das Ziel, Kinder für Mathematik zu begeistern, verdient natürlich allen Respekt. Andererseits ist Sax’ Behauptung, dass die Ergebnisse einer Bildgebungsstudie zur Orientierung in einem Labyrinth darauf schließen lassen, es sei notwendig, aus hirnphysiologischen Gründen Mädchen und Jungen in dieser Art unterschiedlichen Mathematikunterricht zu geben, schlichter Neurononsense.526
Mark Liberman hat viele dieser dubiosen, auf hirnphysiologische »Fakten« gestützten pädagogischen Forderungen akribisch analysiert. Die Art, wie sogenannte Bildungsexperten wie Sax und Gurian mit wissenschaftlichen Daten umgehen, bezeichnet Liberman als »schockierend leichtfertig, tendenziös, ja unlauter. Ihre Über- und Fehlinterpretation wissenschaftlicher Forschung ist so extrem, dass sie an Fälschung grenzt.«527 Es ist ja ganz amüsant, sich zur Unterhaltung der Mädchen romantische Geschichten mit dem bodenständigen Mister X. Achse und der flatterhaften Miss Y. auszudenken; auch wäre es sicher eine interessante Herausforderung, über ein Buch zu sprechen, ohne die geistig-seelischen Zustände der Protagonisten mit in Betracht zu ziehen. Die Gefahr dieser aufgepeppten Monoedukations-Lehrpläne besteht allerdings darin, dass sich selbst erfüllende Prophezeiungen gleich mitgeliefert werden.
Vicky Tuck argumentierte kürzlich in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der britischen Girls’ School Association, dass es »neurologische Unterschiede [zwischen den Geschlechtern] gibt, die sich in der Pubertät ankündigen«. Und was folgt daraus? »Mädchen müssen anders unterrichtet werden als Jungen.«528 Stimmt das? Nun – denken Sie nur daran, wie leicht zufällige Unterschiedsbefunde zu voreiligen Spekulationen führen können. Erinnern Sie sich an das, was Celia Moore und Geert de Vries zeigen: Geschlechtsunterschiede im Gehirn können eine Kompensation darstellen oder einen alternativen Weg zum gleichen Ziel. Denken Sie daran, dass Neurowissenschaftler sich immer noch nicht einig sind, wie ihre hochkomplexen Daten statistisch angemessen zu analysieren sind. Rufen Sie sich die mannigfaltigen Geschlechtsunterschiede im Gehirn in Erinnerung, die mehr mit der Größe des Gehirns zusammenhängen als damit, ob es ein männliches oder weibliches Gehirn ist. Erinnern Sie sich daran, dass Psychologie und Neurowissenschaft – wie auch die Art, wie ihre Forschungsbefunde präsentiert werden – eher auf Unterschiede und nicht auf Ähnlichkeiten abzielen. Männliche und weibliche Gehirne sind natürlich in viel höherem Maße ähnlich als verschieden. Es gibt nicht nur generell große Überschneidungen von »männlichen« und »weiblichen« Mustern – es gibt auch nichts auf der Welt, was einem männlichen Gehirn so ähnlich wäre wie ein weibliches Gehirn. Neurowissenschaftler, die nur ein einzelnes Exemplar vor sich haben, können nicht angeben, ob es sich um ein männliches oder um ein weibliches Gehirn handelt. Warum also sollen wir uns mit dem Unterschied beschäftigen? Wenn wir unser Augenmerk mehr auf die Ähnlichkeit richten würden, dann kämen wir zu dem Schluss, dass Jungen und Mädchen mit ein und derselben Methode unterrichtet werden können.
Das alles überzeugt Sie nicht? Sie sind der Meinung, dass diese hirnphysiologischen Unterschiede im Schulalltag eine Rolle spielen sollten? Na gut. Dann teilen Sie Ihre Jungs und Mädchen mal in zwei Gruppen auf. Beziehungsweise, wenn Sie wirklich konsequent sein wollen – denn es gibt bei diesen Geschlechtsunterschieden ja Überschneidungen –, müssten Sie eigentlich separate Klassen für, sagen wir, Große Amygdalae und Kleine Amygdalae, oder hyperaktive versus hypoaktive Linke Frontallappen einrichten. Und jetzt sagen Sie mir, wie um alles in der Welt Sie Ihre Unterrichtsmethode auf die Größe der Amygdala zuschneiden oder auf Muster in der Gehirnaktivität, die sich während der Betrachtung eines ängstlichen Gesichts ergeben. Es gibt keine zuverlässige Methode, diese Gehirnunterschiede in pädagogische Strategien umzusetzen. Nach John Bruer ist die Brücke vom einen zum anderen Ufer zu weit gespannt: »Wir wissen derzeit nicht genug über die Entwicklung des Gehirns und über neuronale Funktionsmechanismen, um dieses Wissen auf sinnvolle, vertretbare Weise direkt mit Unterrichts- und Erziehungsmethoden verknüpfen zu können. Möglicherweise werden wir auch nie so weit kommen.«529 So landen wir eben im Handumdrehen wieder bei diesen erbärmlichen Genderstereotypen.
Anscheinend lernen wir nie dazu.
Keine Darstellung des Verhältnisses von Gehirn, Geschlecht und Erziehung wäre vollständig ohne Erwähnung der berühmt-berüchtigten Theorie von Professor Edward Clarke, Mitglied der Harvard Medical School. Er vertrat in seinem im 19. Jahrhundert äußerst erfolgreichen Buch Sex in Education (dt. Geschlecht und Erziehung) (mit dem, wie sich herausstellen sollte, doch eher ironischen Untertitel Or, A Fair Chance for Girls [Oder Gerechte Chancen für Mädchen]) die Auffassung, dass durch geistige Arbeit in bedenklichem Ausmaß Energie von den Eierstöcken ins Gehirn gesogen wird, was nicht nur die Fruchtbarkeit gefährdet, sondern auch andere ernsthafte Erkrankungen nach sich ziehen kann.530 Der Biologe Richard Lewontin kommentierte diese Hypothese mit den trockenen Worten: »Demnach verfügten Hoden damals offenbar über eine eigene Energiequelle.«531 Von unserem modernen Standpunkt aus ist es leicht, sich über das Vorurteil lustig zu machen, das zur Entstehung dieser Hypothese führte. Andererseits haben wir nur wenig Anlass, uns auf die Schulter zu klopfen.
Die oben bereits erwähnte Präsidentin der britischen Girls’ School Association Vicky Tuck meint, sie habe »den Eindruck, in 50, vielleicht sogar schon in 25 Jahren werden die Leute sich vor Lachen ausschütten, wenn sie Dokumentationen über die Geschichte der Pädagogik sehen und feststellen, dass man es früher tatsächlich für eine gute Idee hielt, Jungen und Mädchen zusammen zu unterrichten«.532 Wenn ich andererseits an das denke, was die populärwissenschaftlichen Bücher unserer Gegenwart mitzuteilen haben, dann vermute ich stark, die Menschen der Zukunft werden den Grund für ihre Heiterkeit an ganz anderer Stelle finden. Ich bin sicher, sie werden zu viel damit zu tun haben, mit ungläubiger Entrüstung über die Behauptungen der Wortführer des beginnenden 21. Jahrhunderts den Kopf zu schütteln, die genau wie ihre Vorgänger im 19. Jahrhundert Genderstereotype mit unausgegorenen Vergleichen zwischen männlichem und weiblichem Gehirn untermauerten; oder die wie Brizendine mit ihrem Gerede von »überlasteten Gehirnschaltkreisen« soziale Zwänge im Gehirn festmachen wollen. (Michael, ich hab’s! Ich hab endlich die neuronalen Schaltkreise für die Organisation der Kinderbetreuung, die Planung der Abendessen und die Sicherstellung sauberer Unterwäsche für alle gefunden! Siehst du, wie sie diese Schaltkreise für Karriere, Ehrgeiz und eigenständiges Denken in die Ecke drängen?)
Ich schließe mit einer Bitte. Natürlich hat, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, neurowissenschaftliche Forschung ihren Reiz, aber bitte: Lassen wir den Neurosexismus draußen! Orientieren Sie sich an den vier einfachen Regeln, die ich in der Einleitung dieses Kapitels formuliert habe, oder überlassen Sie Interpretationen einfach denen, die das berufsmäßig tun und dafür ausgebildet sind. Neurowissenschaft kann gefährlich werden, wenn sie in unbefugte Hände gerät, also: Wenn Sie sich nicht sicher sind, gehen Sie lieber auf Abstand.
Ein Blogger namens »Neuroskeptic« gibt allen, die mit Neurononsense hausieren gehen, den weisen Rat: »Tun Sie sich einen Gefallen … Lassen Sie Ihre Finger vom Gehirn und verschwinden Sie.«533