14.
Natürlicher Nebel ist nicht ganz so dicht und es ist gefährlich und anstrengend, das Haus über einen längeren Zeitraum in diesen dichten Nebel zu hüllen, aber mir graut bei dem Gedanken, ins Haus zu gehen. Ich fühle mich dort eingesperrt«, sagte Hannah.
Nachdem er gesehen hatte, wozu das Haus fähig war, wollte Jonas, dass sie im Haus blieb. Er ließ eine Fingerkuppe über ihr Gesicht und die Schnitte auf ihrem Hals gleiten. Während ihr Angreifer sie verunstaltet hatte, hatte er ihr zugeflüstert, es täte ihm leid. Vielleicht hatte er sie nicht verunstalten wollen. Vielleicht war es um etwas ganz anderes gegangen.
Jonas ließ seine Handfläche über ihren schmalen Arm gleiten und fühlte die Abwehrwunden. Er erinnerte sich wieder daran, wie sie die Hände gehoben hatte, ein dürftiger Schutz gegen den brutalen Angriff. Seine Finger schlangen sich um ihre und er zog sie mit sich. »Am Strand unter eurem Haus ist der Nebel noch von Natur aus dicht. Dort können wir spazieren gehen. Kameras mit Zoomobjektiven könnt ihr doch problemlos unschädlich machen, du und deine Schwestern, oder nicht?«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich glaube, das wird uns keine große Mühe bereiten.«
Sie stiegen schweigend die Stufen hinunter, die zum Strand führten. Hannah trug eine kurze Jeansjacke, die sie offensichtlich nicht gegen den kühlen Wind schützte, der vom Meer kam. Sie schien zu frösteln. Sowie sie den Sand erreichten, trat sie sich die Schuhe von den Füßen und wartete, bis er seine Schuhe ausgezogen hatte.
Jonas schälte sich aus seiner dickeren Jacke. »Nimm sie, die wird dich warm halten.«
Hannah schüttelte den Kopf. »Ich bin das Wetter gewohnt. Ich sitze meistens draußen, oder hast du das vergessen? Ich möchte nicht, dass du frierst.«
»Das ist meine Chance, dir zu zeigen, wie männlich ich bin, nachdem ich wie ein Feigling dagestanden haben muss.«
Sie ließ sich von ihm in die Wärme seiner Jacke einhüllen. »Ein Feigling? Wann hast du wie ein Feigling dagestanden?«
»Du weißt doch, dass sich mir bei Horrorfilmen der Magen umdreht. Und genauso hat es mich gegruselt, als ich gesehen habe, was das Haus getan hat. Deine Schwestern haben es gemerkt und mich damit aufgezogen. Dein männlicher Mann hat sich wie ein kleines Kind angestellt. Das war demütigend. Ich muss eine Möglichkeit finden, es wieder wettzumachen. «
Sie lachte leise und das Geräusch trieb über die endlosen Wellen hinaus. Die Wasseroberfläche kräuselte sich, als reagierten die Geschöpfe des Meeres, die darunter verborgen waren. Sie zwängte ihre Hand in seine Armbeuge und ihre blauen Augen funkelten belustigt. In Jonas’ Augen erschuf Hannah um sich herum eine magische Welt, in die sie ihn immer mitnahm. Es gab so viel Schönheit in dieser Welt, und wenn er mit ihr zusammen war, konnte er sie deutlich sehen.
»Ein Mann, auf den schon so oft geschossen worden ist wie auf dich, braucht sich niemals Sorgen zu machen, jemand könnte ihn für einen Feigling halten«, hob sie hervor.
» Wenn ich angeschossen werde, heißt das, dass ich langsam bin. Nicht mutig.«
»Du bist mutig. Ich mag auch keine Horrorfilme. Davon bekomme ich Alpträume. Joley ist noch schlimmer. Wenn sie einen gruseligen Film sieht, muss sie beim Schlafen alle Lichter anlassen, und meistens weigert sie sich, hinterher allein zu schlafen.«
» Warum seht ihr euch dann überhaupt erst solche Filme an?«
»Joley gruselt sich gern und sie kann sich diese Filme nicht allein ansehen.«
»Ich weiß nicht, wie du es fertig bringst, diesen Tatbestand so hinzustellen, dass er vollkommen logisch klingt.«
Ihr Gelächter zauberte ein silbernes Glitzern auf die Wasseroberfläche. Weiße Gischt schäumte an den Rändern der Wellen, wenn sie sich vom Ufer zurückzogen, sprühte an den Felsen auf und drang in Höhlen, die schon vor Jahrhunderten von der tosenden Brandung ausgeschwemmt worden waren. Jonas atmete tief ein und fühlte sich von innerem Frieden erfüllt.
»Weißt du was, Hannah? Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich ausgeglichen. Mein Verstand kann langsamer treten und ich kann die Welt um mich herum genießen. Das ist mir schon klar geworden, als ich noch ein kleiner Junge war und es meiner Mom so schlecht ging. Ich habe sie ständig weinen hören, nie in meiner Gegenwart, aber nachts und hinter geschlossener Tür. Ich konnte nichts für sie tun, überhaupt nichts … mein Gott, ich habe mich so verdammt hilflos gefühlt, und dann bin ich zu euch gekommen. Ich bin durch sämtliche Zimmer gelaufen, bis ich dich gefunden habe. Du brauchtest nicht mit mir zu reden, aber solange du da warst, habe ich innere Ruhe gefunden und der Zorn hat nachgelassen. «
Sie legte ihre Hand in seine und umschlang seine Finger mit ihren. »Es wundert mich zwar, dass du nicht zu Libby gegangen bist, aber ich bin dankbar dafür, dass ich es war.«
»Damals habe ich mir keine Gedanken über die Gründe gemacht, dazu war ich viel zu verwirrt. Ich wollte nicht, dass Mom stirbt. Ich wollte sie immer an meiner Seite haben, aber sie hatte so große Schmerzen und ich wusste, wie egoistisch ich war und dass ich die Kraft finden sollte, ihr zu sagen, es sei in Ordnung, wenn sie das Leben loslässt.«
»Jonas.« Hannah berührte mit zarten Fingern sein Gesicht. »Sie wollte bei dir sein. Das weiß ich ganz genau. Ich war oft mit meiner Mutter bei euch und ich kann dir versichern, dass ihr Wille ungebrochen war.«
Er zog ihre Fingerspitzen in seinen Mund und küsste sie, bevor er sie losließ. »Deshalb finde ich sogar dann, wenn du mich um den Verstand bringst, immer noch diesen … diesen …« Das einzige Wort, das ihm einfiel, war »Frieden« und sie blickte mit Sternen in den Augen zu ihm auf und er verspürte nur noch den einen Wunsch, sie zu küssen.
»Heirate mich, Hannah.«
Sie blinzelte ihn an und der Schock ließ jede Spur von Farbe aus ihrem Gesicht weichen. »Jonas.«
»Nein, Hannah, denk nicht nach. Sag einfach nur ja. Sag, dass du meine Frau werden möchtest. Dass du Kinder von mir haben möchtest. Dass du willst, dass ich jeden Abend zu dir nach Hause komme. Sag es, damit ich mir nicht mehr zu sagen brauche, wenn ich etwas Falsches sage oder tue, werde ich dich verlieren.« Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, das ohnehin schon völlig zerzaust war. » Verdammt noch mal. In deiner Gegenwart laufe ich auf Eierschalen.«
»Ach ja? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
» Willst du all das? Willst du nachts mit mir ins Bett gehen? Morgens neben mir aufwachen? Mich damit um den Verstand bringen, wie sexy und verschlafen du aussiehst, wenn du deinen Tee trinkst? Verbring dein Leben mit mir, Hannah. Werde gemeinsam mit mir alt. Dann können wir in unseren Schaukelstühlen auf der Veranda sitzen, und ich schwöre es dir, Baby, wenn alles zu Ende geht, wirst du wissen, dass dich keiner mehr geliebt haben könnte als ich. Das kann ich dir geben. Ich schwöre dir, dass ich es kann, Baby. Erwidere meine Liebe, Hannah.«
Nie hatte Jonas so verletzbar und rührend gewirkt, dass es ihr das Herz erweichte. Er löste in ihr den Wunsch aus, in seinen Armen dahinzufließen, sich in seinen Augen zu verlieren und sich eng an seinen schützenden Körper zu schmiegen. Sie holte tief Atem und stieß ihn wieder aus. »Ich liebe dich mit jeder Zelle meines Körpers, Jonas. Von ganzem Herzen und aus ganzer Seele. Ich will all diese Dinge mit dir tun, aber nicht im Moment. Im Moment geht es nicht. Ich denke ständig, ich stehe kurz davor, den Verstand zu verlieren, und ich muss erst wissen, dass ich es schaffen werde, als ganzer Mensch zu dir zu kommen.«
Sie hob beide Hände und legte sie auf sein Gesicht. »Du musst das verstehen und Geduld mit mir haben. Es wird nie einen anderen Mann für mich geben. Es hat immer nur dich gegeben, aber ich muss dahinterkommen, warum ich jahrelang in einem Beruf gearbeitet habe, der mir verhasst war. Ich muss herausfinden, warum ich nicht sehen kann, was alle anderen in mir sehen. Ich fühle mich nicht schön. Wenn ich in den Spiegel schaue, habe ich nie eine Schönheit gesehen. Wenn jemandem wie mir so etwas zustößt, dann ist das verheerend, Jonas. Ich will nicht, dass du glaubst, es sei eine Frage der Eitelkeit, denn das ist es nicht. Ich kann meinen Anblick nicht ertragen und ich werde es lernen müssen. Ich muss herausfinden, wie ich wirklich bin und was ich will. Ich muss mich in meiner eigenen Haut wohl fühlen, bevor ich eine Beziehung eingehen kann, wie du sie dir wünschst.«
Jonas erstarrte innerlich. Er konnte sie nicht ansehen, nicht, wenn sie ihm sein Herz zurückgab. Es zurückwies. Seine Mundpartie spannte sich an und er schluckte den Kloß, den er plötzlich in der Kehle hatte.
»Tu das nicht.« Hannah presste ihre Fingerspitzen auf seinen Mund. »Du verstehst nicht, was ich sage. Ja, ich möchte dich heiraten. Unbedingt. Nur nicht gerade … jetzt.«
Jonas wich ein paar Schritte zurück, um zu verhindern, dass er sie an sich riss. Hannah war wie Wasser, das ihm durch die Finger rann. Er wollte sie schon so lange, hatte sie endlich für eine Nacht gehabt und jetzt war sie wieder fort. »Ich möchte es ja verstehen, Hannah, aber mir kommt es so vor, als machtest du alles kompliziert, wenn es doch in Wirklichkeit ganz einfach ist. Ich liebe dich. Ich will dich. Wenn du dasselbe für mich empfindest, sollten wir zusammen sein.«
»Ich könnte nicht mit dir schlafen. Ich weiß, dass ich es nicht könnte. Ich würde es wollen, Jonas, aber …«
»Du wirst nicht immer Schmerzen haben, Hannah, und das ist sowieso nicht das Wichtigste.«
Sie seufzte und wollte unbedingt das Richtige sagen, auch wenn es auf Kosten ihres Stolzes ging. »Du weißt doch, dass ich schon immer Schwierigkeiten hatte, meinen Körper so zu akzeptieren, wie er ist, schon bevor das passiert ist.« Verlegen schaute sie aufs Meer hinaus und beobachtete das Anrollen der Wellen. Wie immer beschwichtigten sie die Bewegung, die Geräusche und die Schönheit des Meeres und machten ihr Mut. »Ich kann noch nicht mal in den Spiegel sehen, Jonas, ganz zu schweigen davon, dass ich mir vorstellen könnte, von dir angesehen zu werden.«
»Ich habe dich angesehen, Hannah, vorher und hinterher. Du bist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe, und du bist unglaublich sexy. Ja, die Wunden sind frisch, aber sie heilen bereits und sie werden verblassen. Sie nehmen dir nichts und sie beeinträchtigen nicht, was du bist. Jedenfalls nicht in meinen Augen, das wäre undenkbar.«
»Aber in meinen Augen. Ich muss mich schön und sexy fühlen, aber ich fühle mich hässlich und abstoßend.«
Jonas sah sie finster an. »Mein Gott, Hannah, fühlst du dich wirklich so? Die Wunden werden verblassen. Der plastische Chirurg war einer der besten im ganzen Land und deine Schwestern …«
Sie trat dichter vor ihn. Wogen von Kummer und Schmerz entströmten ihm, nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen. Nicht etwa Mitleid, stellte sie erleichtert fest, sondern echte Sorge um sie. »Ich weiß, dass mein Gesicht und mein Körper sich mit der Zeit erholen werden, aber im Moment möchte ich nicht, dass du mich ansiehst.«
»Für mich brauchst du nicht perfekt zu sein, Hannah.« Seine Stimme war gesenkt und sie klang wütend. »Das hat dir dieser verfluchte Simpson angetan. Er wollte dir einreden, du seist nicht makellos und in deiner Unvollkommenheit nicht gut genug. Ich habe gehört, wie er dich angeschrien hat, dass du abnehmen sollst und dass deine Brüste zu groß sind. Der Teufel soll ihn holen. Und diesen verfluchten Job soll auch der Teufel holen. Du bist wunderschön. Verdammt noch mal, Baby, du brauchst nur über die Straße zu gehen, damit der Verkehr ins Stocken kommt. Es war schon immer so.«
» Worin auch immer das Problem besteht, Jonas, es ist etwas, womit ich fertig werden muss.«
Er machte den Mund auf, um sie davon zu überzeugen, dass er Recht hatte und sie schon jetzt an seiner Seite sein sollte. Doch dann schloss er ihn wieder und schluckte seine Forderung hinunter. Er liebte sie und er musste versuchen, sie zu verstehen. Er konnte sich nicht gerade besonders gut ausdrücken, aber er musste sich etwas einfallen lassen und die richtigen Worte zu ihr sagen.
Einen Moment lang schwieg er und blickte in ihr Gesicht. Ihre Haut war so makellos, sogar mit den Wunden. Was genau wollte er eigentlich von ihr? Er hatte sich immer gewünscht, dass sie sich durchsetzte und selbst entschied, was sie tun wollte und mit wem sie zusammen sein wollte. Aber verhielt er sich auch dementsprechend? Er wollte, dass ihre Wahl auf ihn fiel und auch darauf, zu Hause zu bleiben, seine Kinder großzuziehen und seine beste Freundin und zugleich seine Geliebte zu sein.
Jonas seufzte. Er war stolz darauf, dass sie so mutig war, sich selbst anzusehen und ihre eigene Stärke finden zu wollen. Und er liebte sie mit jeder Faser seines Wesens und das hieß, wenn Hannah Zeit wollte und brauchte, würde er ihr diese Zeit lassen. Außerdem ließ ihr Eingeständnis viele interessante Schlupflöcher für ihn, die er alle erkunden würde.
Er ließ einen Finger von ihrer Augenbraue zu ihrem Mundwinkel gleiten. »Dann willst du damit also sagen, dass du mich liebst und dass es keinen anderen Mann gibt, aber dass du nicht glaubst, du könntest im Moment mit mir schlafen, weil du dich zu hässlich fühlst. Habe ich das richtig verstanden?«
»Das ist mit Sicherheit ein Teil des Problems.« Ihr Magen beruhigte sich wieder. Er war nicht wütend auf sie und er schien auch nicht mehr verletzt zu sein, sondern er rang darum, sie zu verstehen, und mehr konnte sie wirklich nicht verlangen. »Es ist sehr schwierig, Begehren zu empfinden, wenn man sich selbst nicht begehrenswert findet, Jonas.«
Seine Fingerkuppe glitt über ihren Mund und strich immer wieder über ihre volle Unterlippe, bevor sie über ihr Kinn und auf ihren Hals wanderte. Seine Handfläche legte sich behutsam auf ihre Kehle. »Dann willst du also im Moment körperlich nicht wirklich etwas mit mir zu tun haben, aber du glaubst, das könnte später kommen, wenn du dich wieder wohler in deiner Haut fühlst?«
Seine Berührungen waren elektrisierend und sandten kleine Stromstöße durch ihre Adern. Sie fühlte sich nicht begehrenswert, aber Jonas konnte trotzdem Begehren in ihr hervorrufen, wenn er ihr so nah war und sie besitzergreifend berührte. War das nicht der helle Wahnsinn? Sie hatte sich gerade noch überlegt, wie unmöglich es für sie wäre, sich vor seinen Augen auszuziehen und ihn ihre Wunden wieder sehen zu lassen, aber jetzt, als seine Handfläche auf ihr lag und seine Fingerkuppen ihre Haut verführerisch streichelten, erwachte ihr Körper zum Leben.
»Solange ich mich noch so labil fühle, könnte ich dir nichts anderes geben als Chaos und unberechenbare Stimmungsumschwünge, und du hast etwas Besseres verdient, Jonas.« Sie schenkte dem rasenden Verlangen, das seine Stimme, seine Hände und sein Gesichtsausdruck in ihr hervorriefen, keinerlei Beachtung.
Er strich eine Ringellocke hinter ihr Ohr und seine Hand glitt auf ihren Nacken, damit sie ihm nicht auswich. »Auch dann kann ich für dich da sein.«
»Das ist nicht die Beziehung zu dir, die ich mir vorstelle. Ich will nicht, dass du ständig die Scherben aufsammeln musst.« Jetzt wusste sie genau, was sie sagen wollte. »Ich will herausfinden, was ich will.«
Jonas’ Augen wurden dunkel und sein Blick senkte sich glühend auf ihre Lippen. Sengende Hitze breitete sich in ihrem Unterleib aus. »Mir macht es nichts aus, dir dabei zu helfen. Wir können gemeinsam herausfinden, was du willst, Hannah. Du kannst über alles mit mir reden.«
Seine Stimme war so unverblümt anzüglich, dass ihre Zehen sich im Sand krümmten. Seine Handfläche auf ihrem Nacken fühlte sich warm und sanft an und doch hielt er sie damit wirksam fest. Plötzlich war sein Körper dicht vor ihrem. Der Abstand betrug bestenfalls zwei Zentimeter und sie konnte die Glut spüren, die er verströmte. Sie fühlte die kräftigen Muskeln seiner Oberschenkel und seinen Brustkorb, obwohl sie einander bis auf die Hand, die auf ihrem Nacken lag, nirgends berührten. Sie fühlte, dass sie gemeinsam atmeten.
»Jonas.« Sie versuchte, eine Warnung und einen Tadel in ihre Stimme einfließen zu lassen, aber das war ganz ausgeschlossen, wenn seine Augen so gierig auf sie gerichtet waren.
Er machte sich nicht die Mühe, sein glühendes Verlangen vor ihr zu verbergen oder es ihr in einer ansprechenden Verpackung zu präsentieren. Er ließ sie sein Begehren sehen, die gewaltige Ausbuchtung in seiner Jeans, das Rasen seines Pulses und sein Lächeln, das sehr sexy war, als sein glühender Blick über ihr Gesicht glitt. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe und nahm damit augenblicklich seine Aufmerksamkeit gefangen.
»Du wirst mich nicht verführen.« Sie hob eine Hand zur Warnung und war innerlich hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis schleunigst wegzulaufen, dem Bedürfnis zu lachen und dem Bedürfnis, sich in seine Arme zu werfen.
»Ach nein? Bist du dir da ganz sicher?« Sein Daumen glitt über ihren pochenden Puls.
»Du lenkst mich ab, Jonas. Ich kann nicht dafür sorgen, dass die Nebeldecke dicht über uns schwebt, wenn ich abgelenkt bin, und ich wollte unbedingt am Strand spazieren gehen. « In ihrer Stimme schwang Verzweiflung mit; sie konnte es nicht verhindern, denn sie war verzweifelt. Wenn er sie küsste, würde sie nicht stark genug sein, sich ihm zu widersetzen. Sie würde klein beigeben. Jonas konnte bewirken, dass sie sich in seinen Armen auflöste, ganz gleich, ob sie sich schön fühlte oder nicht, und genau das wollte sie nicht. Sie wollte als ganzer Mensch zu ihm kommen, heil und gesund, und nicht als gebrochene Frau. Mehr als alles andere wünschte sie sich, dass in ihrer Beziehung zu Jonas alles stimmte.
Er senkte den Kopf und streifte ihre Lippen zart mit seinem Mund. »Ich werde dich lieben, Hannah. Immer und ewig. Sex gehört nun mal dazu und daher wirst du davon ausgehen müssen, dass ich dich ab und zu verführen werde. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich dir das Gefühl geben kann, wunderschön zu sein. Und ich kann dich auch dazu bringen, mich zu begehren, meinen Namen herauszuschreien und alles um dich herum zu vergessen. Es gibt sicher vieles, was ich nicht gut kann, aber das kann ich dir mit Gewissheit geben.«
Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und ließ ihren Daumen über seine Bartstoppeln gleiten. »Genau das möchte ich von dir. Lass mir nur noch ein bisschen Zeit.«
Seine Augen blickten forschend in ihre und fanden dort offenbar das, war er brauchte, denn er senkte den Kopf und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen, bevor er sie losließ. »Ich bin für alles, was du brauchst, zu haben.« Er setzte sich mit einem zufriedenen kleinen Lächeln auf seinem Gesicht in Bewegung, um den Spaziergang mit Hannah fortzusetzen.
Hannah zwängte ihre Finger in seine Gesäßtasche und lief neben ihm her. Der Druck, den sie derzeit ständig auf ihrer Brust fühlte, wurde plötzlich leichter. Er war für sie da, und obwohl sie nicht dumm war und ganz genau wusste, dass sich hinter diesen Worten viel mehr verbarg, als sie oberflächlich auszudrücken schienen, war Jonas bereit zu warten, bis sie ihr Leben im Griff hatte, und nur das zählte.
Möwen stießen ihre heiseren Schreie aus und das Wasser strömte zur Küste, schlug gegen Felsen und ließ weiße Tröpfchen in die Luft aufsprühen. Es schäumte und zischte und hinterließ winzige Löcher im Sand, wenn die Wellen sich zurückzogen. Sie schlenderten entspannt und schweigsam über den Strand, bis Hannah auf ihre Fußabdrücke im nassen Sand zurückblickte.
»Du hast große Füße, Jonas.«
Er sah auf sie hinunter, ohne eine Miene zu verziehen. »Alles an mir ist groß.«
Sie verdrehte die Augen und lachte gegen ihren Willen. Das Lachen tat ihr gut. »Ich habe mir gerade Gedanken über diese Situation gemacht.«
»Allmächtiger Gott, das klingt ja schaurig. Welche Situation? «
»Über uns. Dich und mich. Wir sind ein Paar, stimmt’s? Daran gibt es nichts zu rütteln. Aber Sex könnten wir im Grunde genommen nur dann miteinander haben, wenn ich dich überrumpele.«
Er musste sich abgewöhnen, das Wort »Sex« auszusprechen oder auch nur daran zu denken. Sie verabscheute ihren Körper. Und sie wollte schon gar nicht, dass er ihn ansah. Doch jedes Mal, wenn seine Augen mit diesem besitzergreifenden und gierigen Blick über sie glitten, jedes Mal, wenn er mit gesenkter Stimme mit ihr sprach und es so klang, als wollte er ihr damit sagen, er sei so heißhungrig, dass er sie verschlingen würde, schmolz sie dahin. Wenn sie noch etwas mehr schmolz, würde sie zerfließen. Er würde sie also in ihrer Ablehnung niemals ernst nehmen und sie brauchte dringend Zeit, um aus sich selbst klug zu werden.
»Du wirst mich nicht überrumpeln, Jonas, denn ich werde auf der Hut sein. Vielleicht möchte ich ja sogar …« Sie ließ ihren Satz abreißen und wurde rot.
»Sex. Mit mir ins Bett gehen«, warf er hilfreich ein und seine Stimme klang belustigt.
Sie sah ihn finster an, obwohl es unmöglich war, Jonas einzuschüchtern. »Ja. Genau das. Aber dann würde ich mich ausziehen müssen und ich wäre gehemmt und es wäre ganz grässlich und du wärest frustriert und würdest wütend auf mich sein. Daher ist es das Beste, die Finger davon zu lassen.«
Sein Grinsen wurde so breit, dass ihr Atem stockte. Warum musste er bloß so gut aussehen und so verflucht sexy sein? Warum musste er sie mit diesem Gesichtsausdruck ansehen, der deutlich sagte, dass er ein Raubtier war, das zum Sprung ansetzte, um sich auf seine Beute zu stürzen? »Zu dem Thema, dich zu lieben, ohne dich vollständig auszuziehen, fällt mir einiges ein. Und je länger ich darüber nachdenke, desto erotischer werden meine Fantasien. Du in einem hübschen langen Rock mit nichts darunter. Oder wenn du doch etwas darunter trägst, dann etwas, das ich zerreißen darf. Nein, sagen wir lieber, du bist darunter nackt und meine Hand gleitet ganz zufällig über deinen knackigen kleinen Hintern. Nur weil du zum Anbeißen aussiehst.«
Seine Hand legte sich auf den dünnen Stoff ihrer Jeans und glitt träge darüber, als suchte er nach einem Slip, der sich abzeichnete. Röte stieg in ihr Gesicht auf und tief in ihrem Innern regte sich feuchte Glut.
»Da sind keine Ränder zu fühlen. Ich würde sagen, du trägst einen Stringtanga. Ja, Baby, das ist sexy, aber unter diesem hübschen langen Rock, den ich mir vorstelle, trägst du gar nichts, nur nackte Haut.« Seine Hand glitt auf ihre Hüfte und von dort aus auf ihre Taille und unter ihre Bluse. Seine Finger waren behutsam, um ihr nirgends wehzutun. Schließlich legte sich seine Hand unter ihre Brust und wog sie auf seiner Handfläche. »Und du würdest nicht einmal diesen Hauch von Spitze tragen, den du als BH bezeichnest. Das heißt, wenn ich meinen Kopf senke …« Sein Mund schloss sich jetzt auf ihrer Bluse um ihre Brust und saugte zart daran. Seine Zähne zogen an ihrer Brustwarze und sandten sengendes Feuer durch ihren Körper.
Ihre Augen verschleierten sich und wurden glasig und der Atem stockte in ihrer Kehle. Jonas achtete sorgsam darauf, seine eigenen Bedürfnisse zu ignorieren, und er zwang sich, nicht an die nahezu schmerzhafte Härte zwischen seinen Beinen zu denken. Hannah war alles, was für ihn zählte. Sie musste wissen, dass sie eine schöne, begehrenswerte Frau war und eigene Bedürfnisse hatte. Dieses Wissen würde im Moment für beide genügen. Er zog seinen Kopf zurück und hauchte warme Luft auf die kleine feuchte Stelle ihrer Bluse.
» Wenn ich den Kopf senke, könnte ich also diese hauchdünne Spitzenbluse, die mich um den Verstand bringt, mit meinem Mund aus dem Weg schieben.«
Sie hatte nicht gewusst, dass ihre Spitzenbluse ihn um den Verstand brachte. Sie brachten sein Mund und seine Hände um den Verstand. Sie sagte nichts, denn sie wollte, dass er ihr seine Fantasie in allen Einzelheiten schilderte, obwohl sie wusste, dass sie damit eine Gefahrengrenze überschritt. Aber es sollte noch nicht aufhören, denn sie würde schon früh genug der Realität wieder ins Auge sehen müssen. Sie verzehrte sich nach ihm und das gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein. Sie mochte sich der Narben in ihrem Gesicht, auf ihrem Hals und auf ihrem Körper übertrieben deutlich bewusst sein, aber wenn Jonas sie ansah, gelang es ihm, ihr das Gefühl zu geben, ihr Gesicht und ihre Haut seien makellos.
»Diesen Gesichtsausdruck liebe ich an dir, verträumt und sexy und ein kleines bisschen schalkhaft. Ich habe keine Ahnung, wie du es anstellst, verführerisch und unschuldig zugleich zu wirken.«
»Ich wünschte, ich könnte mich mit deinen Augen sehen.« Er gab ihr wahrhaftig das Gefühl, schön zu sein.
Jonas zog an ihrer Hand und sie liefen weiter, ließen Fußabdrücke im nassen Sand zurück und machten einen Bogen um Tang und etliche kleine Quallen, als sie die Höhle mit den Gezeitentümpeln umrundeten. Die Flut war eingelaufen und daher bahnten sie sich weiter oben am Strand einen Weg um die Felsen. Dabei beobachteten sie, wie die Wellen gegen die Höhlen und Felsblöcke schlugen, die mit Entenmuscheln verkrustet waren. Vögel schlugen ungeduldig mit ihren Flügeln und warteten darauf, dass die Sonne den Nebel durchdrang, bevor sie sich zum Frühstück in die Lüfte erhoben.
» Wenn ich mit dir ausgehe, Hannah, dann möchte ich, dass du diesen langen, wehenden Rock anziehst, der bei jedem Schritt flattert. Er ist hellblau mit Spiralen in einem dunkleren Blauton und er passt gut zu deiner Spitzenbluse.«
Sie war sehr angetan davon, dass er einen ihrer Lieblingsröcke beschreiben konnte. »Ich wünschte, du könntest es riskieren, mit mir auszugehen. Ich fühle mich, als sei ich eingesperrt und jemand hätte den Schlüssel weggeworfen. Und da ich jetzt weiß, dass die Gefahr immer noch nicht vorbei ist, werde ich noch eine Ewigkeit in meinem Zimmer sitzen müssen.«
»Du darfst nicht zulassen, dass dieser grauenhafte Vorfall dich zu einer Gefangenen in deinem eigenen Haus macht. Wir könnten morgen Abend zu mir gehen. Oder vielleicht zum Leuchtturm. Inez hat die Schlüssel.«
» Wie kommt es, dass Inez die Schlüssel zum Leuchtturm hat? Sie betreibt das Lebensmittelgeschäft.«
»Inez hat Schlüssel für so ziemlich alles. Woher soll ich wissen, wie sie die an sich gebracht hat? Wir beide könnten am Leuchtturm Picknick machen. Niemand braucht etwas davon zu erfahren. Die Stellung ist leicht zu verteidigen. Und du brauchst deine Taschen nicht zu packen, um fortzulaufen.«
Sie schämte sich jetzt ein wenig für diesen voreiligen Entschluss. Natürlich hatte das Haus sie alle beschützt. Sie hatte zwar oft davon gehört, aber es nie tatsächlich erlebt. Sie hatte sogar gelinde Zweifel daran gehabt, aber sie dachte gar nicht daran, sich dazu zu bekennen. »Du willst mit mir am Leuchtturm Picknick machen, während Leute, die mich töten wollen, frei herumlaufen?«
»Entweder wir tun es oder du bleibst in deinem Zimmer sitzen, Hannah, und in ein oder zwei Tagen wirst du an der Hauswand hinunterklettern und versuchen zu fliehen. Wir können uns heimlich davonschleichen. Deine Schwestern können alle ablenken, während wir uns in die Dunkelheit verziehen.«
Sein Vorschlag rührte sie. Sie hielt es kaum noch im Haus aus, doch angesichts all der Reporter und jetzt auch noch des Wissens, dass derjenige, der ihren Tod wollte, sich irgendwo in der Nähe aufhielt und Meuchelmörder auf sie ansetzte, erschien ihr die Vorstellung, den Schutz des Hauses zu verlassen, beängstigend. Sie wollte nirgendwohin allein gehen.
Jonas umfasste ihre Taille und hob sie über eine breite Rinne, in der kaltes Wasser durch den Sand zum Meer strömte. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und fühlte, wie die Muskeln hervortraten. Er schien sie mühelos durch die Luft zu schwenken. Es war ein bisschen so, als flöge sie und sei doch sicher auf dem Boden verankert. Dann stellte er sie wieder auf ihre Füße. Sie entfernten sich immer weiter vom Haus.
»Die Nebelbank wird nicht ewig halten, Jonas«, warnte sie ihn.
»Nein, aber du und deine Schwestern, ihr werdet doch wohl noch mit ein paar Fotografen fertig werden.«
Sie zog ihre Schultern zurück. Das stimmte. Warum hatte sie solche Angst gehabt? Jonas setzte großes Vertrauen in sie. Er glaubte an sie und es fiel ihr schwer, nicht an sich selbst zu glauben, wenn er diese tiefe Überzeugung besaß. » Wenn ich meinen blauen Rock und die Spitzenbluse tragen würde und wir zum Leuchtturm gingen, was genau täten wir dort?«
»Ich brächte Musik mit, damit wir tanzen können.«
Sie wusste, dass er ein wunderbarer Tänzer war. Das hatte zu den Dingen gehört, durch die er sich in der Schule hervorgetan hatte. Er hatte mit den Drakes getanzt und alle erdenklichen Tänze von ihnen erlernt, von den Gesellschaftstänzen bis hin zum Salsa. Daher war er bei jeder Tanzveranstaltung in der Schule wie eine Bombe eingeschlagen. Sie tanzte schrecklich gern und Jonas wusste das. Schon als Kind war sie durch das Haus geschwebt und hatte so getan, als sei sie eine Ballerina oder nähme an einem Tanzturnier teil. Jonas hatte sogar den Lindy und den Jitterbug mit ihr getanzt.
»Dieses Picknick klingt wirklich recht verlockend.«
»Italienische Erdbeerlimonade«, versuchte er sie zu bestechen, da er ihre Schwächen kannte. »Und Baguette.« Beides fand sie unwiderstehlich.
Kein Mensch würde sich am Leuchtturm aufhalten und Jonas konnte problemlos die Genehmigung einholen, die sie brauchen würden. Wenn sie sich heimlich aus dem Haus schleichen konnten, würde es eine ungeheure Wohltat für sie sein, sich ein paar Stunden lang nicht eingesperrt zu fühlen. Und sie war so gern mit Jonas zusammen. Es würde sich ganz leicht machen lassen. Sie brauchte Zeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, aber sie war froh über jeden Moment, den sie in seiner Gesellschaft verbrachte. »Glaubst du, das ließe sich wirklich machen?«
In ihrer Stimme schwang Hoffnung mit. Jonas grinste sie schon wieder verschmitzt an. »Morgen Abend werde ich dich aus dem Haus schmuggeln«, versprach er ihr.
»Sarah kriegt einen Anfall«, warnte ihn Hannah.
»Nein, ganz bestimmt nicht. Sie weiß selbst, dass du nicht immer nur im Haus rumhocken, dich andererseits aber auch nicht in der Öffentlichkeit zeigen kannst, also ist diese Lösung immer noch die beste. Niemand wird auf den Gedanken kommen, am Leuchtturm nach dir zu suchen. Du kannst dich dort sicher fühlen, Sarah wird ihre Zustimmung geben und ich werde mich fragen, ob du unter deinem Rock einen Stringtanga trägst oder gar nichts.«
»Meine Unterwäsche wächst sich bei dir zur Besessenheit aus«, spottete sie.
»Oder ihr Nichtvorhandensein«, gab er zu. »Ich denke öfter darüber nach, als mir guttut.«
Die Ehrlichkeit, die sie aus seiner Stimme heraushörte, ließ sie aufblicken. Wie um alles in der Welt konnte dieses schlichte Eingeständnis Hitzewallungen bei ihr auslösen? »Ich kann dir versichern, dass ich fast immer Unterwäsche trage.« Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut zu lachen, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
»Fast immer? Das hättest du nicht sagen sollen, Hannah. Jetzt werde ich nie mehr auch nur einen Moment Ruhe in deiner Gegenwart finden.«
Sie blickte selbstgefällig auf. »Ich weiß.«
Jonas lachte schallend. Sein Gelächter klang so echt und drückte eine solche Belustigung aus, dass ihr Herz sich emporschwang. Sie machte ein paar kleine Tanzschritte auf dem Sand, breitete ihre Arme weit aus und vergaß einen Moment lang vollständig, dass sie entstellt war und dass jemand sie genügend hasste, um Mörder auf sie anzusetzen. Sie blickte zum Himmel auf. »Wir könnten noch eine Sandburg bauen, bevor der Nebel sich auflöst.«
» Wir haben kein Werkzeug.«
»Werkzeug?« Sie rümpfte geringschätzig die Nase. »Du Amateur. «
»Du hast mich doch nicht etwa als Amateur bezeichnet?«
»Oh doch, das habe ich getan. Du baust deine Sandburg dort drüben. Du hast genau zwölf Minuten Zeit. Dann müssen wir gehen.«
Er hatte sich bereits hingehockt und grub, um an nasseren Sand zu gelangen. Sie war auf den Knien und tat dasselbe. Als Jonas ein paar Minuten später aufblickte, schummelte sie gerade und dirigierte kleine Windstöße, um die Mauern der Burg gekonnt herauszuarbeiten. Er machte den Mund auf und wollte sie schimpfen, aber sie wirkte so versunken, wie ein unbeschwertes und glückliches Kind beim Spielen, dass er sie nicht einmal mit einer spöttischen Bemerkung stören wollte.
Hannah grub mit den Händen im Sand und dirigierte geistesabwesend und ohne es zu merken kleine Windstöße, um die Burgmauern zu formen. Der Sand fühlte sich gut an, körnig und grob, und ihre Sandburg nahm schnell Gestalt an. Sie konstruierte eine Brücke über den Burggraben, indem sie den Wind zu einem Speer formte, der einen Tunnel in den Sand grub. Als er auf der anderen Seite herauskam, wurde der Sand so heftig gegen Jonas gesprüht, dass die Körner auf seiner Haut brannten.
Hannah schlug sich eine Hand auf den Mund, um ihr Gelächter zu ersticken, als Jonas sich so schnell umdrehte, dass er das Gleichgewicht verlor und in den nassen Sand fiel. »Mein armer Kleiner. Und deine Sandburg wirkt auch etwas schmächtig. « Sie beugte sich vor, um einen Finger in die schräge Seitenwand zu stecken. Dort stürzte der Sand immer wieder ein. »Du musst ihn fest zusammendrücken, Jonas.«
Er packte ihre Arme und zog daran, bis sie das Gleichgewicht verlor und auf ihn fiel. Er rieb seine nassen, sandigen Hände an dem Jeansstoff auf ihrem Hintern trocken. Feuchte Spuren blieben zurück. »Das hast du verdient, weil du geschummelt hast.«
»Ich habe nicht geschummelt.«
»Du hast den Wind zu Hilfe genommen.«
»Ich kann nichts dafür, wenn er mich mag und dich nicht.« Sie blieb auf ihm liegen und stützte sich auf ihre Arme, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. »Du bist ein gut aussehender Mann, Jonas Harrington. Du siehst wirklich sehr gut aus.« Sie strich ihm das Haar aus der Stirn.
»Es freut mich, dass du dieser Meinung bist, Miss Drake.«
» Wenn ich dich jetzt doch küsse, wirst du dann glauben, ich hätte den Verstand verloren?«
»Küsse müssen nicht zwangsläufig Sex nach sich ziehen, Hannah.«
»Ich weiß, aber du hast mir …« Sie ließ ihren Satz abreißen. Er hatte ihr Hoffnung gegeben. Das Wort schimmerte in ihrem Geist und sie sandte es an seinen Geist weiter. Lachen. Sie beugte sich hinunter, um flüchtig sein Kinn zu küssen. Mir das Leben zurückgegeben. Sie küsste seinen Mundwinkel und rieb ihre Lippen an seinen. Ich habe mich zerbrochen gefühlt, Jonas, und du gibst mir das Gefühl, heil und ganz zu sein.
Ihre Lippen legten sich auf seinen Mund und ihre Zunge glitt schüchtern darüber. Es machte ihr nichts aus, dass er ihr Gesicht sehen konnte. Sie musste ihn unbedingt küssen, eine Möglichkeit finden, ihm zu zeigen, dass sie ihn liebte. So war es nämlich. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Mit jeder Faser. Bis in die Knochen. Sie ließ all ihre Liebe in den Kuss einfließen und öffnete ihren Geist ein wenig, da sie wollte, dass er fühlte, wie viel er ihr bedeutete. Er sollte wissen, wie gut er ihr tat. Ihm hatte sie zu verdanken, dass sie sich ihrer Zukunft stellen konnte. Und dass sie selbst dann stark sein konnte, wenn sie sich am liebsten in einer dunklen Höhle verkrochen hätte.
»Das gibst du mir«, murmelte sie mit den Lippen an seinem Mund. »Ich danke dir.«
Er streckte die Hände aus, um sie auf ihren Kopf zu legen. »Ich liebe dich, Hannah. Ich werde alles für dich sein, was du brauchst.«
Sie sah ihm lächelnd in die Augen. »Dann war dieses ganze herrische Benehmen also nur gespielt?«
»Natürlich, Hannah, um dich zu beeindrucken. Und es hat funktioniert.« Er hob den Kopf, um ihr die wenigen Zentimeter, die ihre Gesichter voneinander trennten, entgegenzukommen, nahm ihre Unterlippe zwischen seine Zähne und knabberte zart daran. »Küss mich noch einmal.«
Er wartete nicht darauf, dass sie die Initiative ergriff, sondern nahm die Dinge selbst in die Hand, küsste sie immer wieder sanft und zärtlich, neckte ihre Mundwinkel mit seiner Zunge, kostete ihren Geschmack. Schmelzende Glut begann als leises Brennen und wurde zunehmend heißer.
Seine Finger gruben sich in ihr Haar, um sie festzuhalten, während er die Führung übernahm. Als sie sich nicht von ihm losriss, stürmte er voran, vertiefte den Kuss mit forderndem Mund und riss ihre gesamte Abwehr ein. Er hatte sich so lange Zeit damit gelassen, Ansprüche auf sie zu erheben. Erst war sie noch zu jung gewesen, dann war er jahrelang fort gewesen, dann war er sich zu hart und zu unbarmherzig vorgekommen und dann hatte er sich zu viele Feinde gemacht. Aber er hatte von ihr geträumt und sein Körper hatte geschmerzt, weil er sich nach genau dem verzehrte, was er jetzt hatte – er konnte sie auf seiner Zunge schmecken und ihre seidige Haut unter seinen Händen fühlen und ihr weicher, anschmiegsamer Körper gehörte ihm.
Er fand, sie roch himmlisch und fühlte sich sogar noch besser an, wenn sich ihre Brüste eng an seinen Brustkorb pressten und seine dicke, harte Erektion gegen ihren zarten Bauch stieß, von Verlangen nach ihr erfüllt. Von glühendem Verlangen, das ihn wie eine Flutwelle mitriss. Ihr Mund war so weich wie Samt und so glühend heiß wie sein Verlangen. Er ließ eine Hand von ihrem Gesicht auf ihre Brust gleiten, dicht gefolgt von seinem Mund. Sie zuckte zusammen, als sich seine Zähne über ihre Brust bewegten.
Er schreckte augenblicklich zurück und schlug seinen Hinterkopf in den Sand. »Tut mir leid, Baby. Ich habe mich mitreißen lassen und nicht aufgepasst. Ich bin ein Vollidiot.«
Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und beugte sich zu ihm hinunter, um einen Kuss auf seine Lippen zu hauchen. »Weißt du was, Jonas? Ich habe es auch vergessen. Einen Moment lang war ich heil und ganz. Du hast mir einen vollkommenen Moment geschenkt. Ich danke dir.«
Er konnte ihr nicht antworten. Das Verlangen ließ seinen Körper pulsieren und er verfluchte sich dafür, dass er ein unsensibler, selbstsüchtiger Idiot war. Die Großzügigkeit, mit der sie ihm verzieh, wäre fast sein Untergang gewesen.
Hannah rollte sich herum und blieb neben ihm im Sand liegen. Sie atmete tief ein und ihre Hand fand seine. Auf der Suche nach etwas, das sie gefahrlos sagen konnte, blickte sie zu dem Dunst auf, der dicht über ihren Köpfen hing und tapfer versuchte, ihre Privatsphäre zu wahren. » Was wirst du heute tun?«
»Jackson und ich werden überprüfen, ob jemand eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat. Wir werden mit einem Boot rausfahren und nach Leichen suchen. Er wird versuchen, am Haus und am Zaun Spuren zu finden, um zu sehen, ob wir einen der Männer, die letzte Nacht hier waren, identifizieren können. Wir werden uns in der näheren Umgebung umsehen. Damon und Sarah sind eure nächsten Nachbarn. Sarah war hier und Damon hat gesagt, er hätte geschlafen. Somit gibt es keine Zeugen.«
»Und das ist auch gut so. Es steht nicht wirklich in unserer Macht, Leute vergessen zu lassen, was sie gesehen haben. Ich weiß, dass dir die Vorkommnisse der letzten Nacht ein Gräuel waren.«
»Es kam mir nicht richtig vor.«
»Ist es wirklich besser, wenn du sie erschießt? Warum sollten das Haus und das Grundstück uns nicht beschützen dürfen?«
Er blickte finster. »Mir gefällt es nicht, das, was ihr tut, Magie zu nennen. Ihr seid magisch, aber alles Übrige … ihr besitzt Gaben. Und ihr alle versucht, mit diesen Gaben Gutes zu bewirken, aber letzte Nacht kam es mir vor wie Magie. Und die Geister im Haus … wir werden uns nie wieder dort lieben. Was ist, wenn einer von ihnen bei uns umherschwebt?«
Sie kniff die Lippen zusammen, um ihr Lächeln zu verbergen. »Es war dir wirklich unheimlich, stimmt’s?«
»Mit einer sauberen, anständigen Kugel kann ich viel besser umgehen.« Er schwieg einen Moment lang. » Andererseits habe ich mir nie Gedanken über diejenigen gemacht, die es abgekriegt haben, als ich in San Francisco war und du den Wind zu meiner Hilfe geschickt hast. Ohne dich wäre ich in dieser dunklen Gasse gestorben. Ich war derart darauf fixiert, in Bewegung und auf den Füßen zu bleiben und zu tun, was ich kann, damit der arme Jackson mich nicht tragen muss, dass ich mir über alles Weitere gar keine Gedanken gemacht habe.«
»Ich mir auch nicht. Jemand hat versucht, dich zu töten, Jonas, und ich habe alles getan, was erforderlich war, um dich zu beschützen. Letzte Nacht hättest du alles getan, was erforderlich gewesen wäre, um uns zu beschützen. Und das Haus und unsere Ahninnen haben alles getan, was erforderlich war, um den Fortbestand unserer Familie zu gewährleisten.«
»Ich weiß, Baby.« Er seufzte leise, sprang mit fließenden Bewegungen und großer Anmut auf und zog an ihrer Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.
»Stört dich das, was ich tun kann?« Ein Anflug von Furcht drückte sich in ihrem Gesicht aus und sie machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Gefühle vor Jonas zu verbergen. Er kam ohnehin immer dahinter.
Er beugte sich vor, um ihr einen weiteren zarten Kuss auf den Mund zu geben. »Es ist so sehr ein Teil von dir und ein Teil deiner Familie, dass sich das eine nicht vom anderen trennen lässt, Hannah. Es macht einen großen Teil dessen aus, was du bist. Glaube mir, Liebling, mir macht es gar nichts aus, von deinen Gaben zu profitieren, wenn Kugeln durch die Luft schwirren.«
Hannah klopfte den Sand von seinem Rücken und von seinem Hosenboden und drehte sich dann um, damit er den Sand aus ihren Kleidungsstücken klopfen konnte. Seine Hand blieb etwas zu lange auf ihrem Hinterteil liegen und massierte sie, statt einfach nur den Sand abzuklopfen. Als sie gerade glaubte, Einwände erheben zu müssen, da ihr Körper mit zu viel Glut reagierte, nahm er seine Hände von ihr, strich ihr das Haar hinter die Ohren und sah sie unschuldig an.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, es hat dir Spaß gemacht. «
»Ja, großen Spaß. Brauchst du vorn auch Hilfe?« Er hatte sorgsam darauf geachtet, den Sand von ihren Wunden fernzuhalten. »Vielleicht sollte ich mir das mal genauer ansehen.«
»Vielleicht solltest du dir allmählich überlegen, wie wir die Treppe zum Haus hinaufsteigen können, ohne von hundert Zoomobjektiven aufgenommen zu werden.« Sie zog seine Jacke enger um sich.
»Dafür bist du zuständig, Hannah.« Er legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an sich, als sie sich auf den Rückweg zum Haus machten. »Ich könnte mir dich über die Schulter werfen wie ein Feuerwehrmann und mich schleunigst mit dir aus dem Staub machen, aber dann würden sie dein süßes Hinterteil knipsen und das Foto in jede Zeitung bringen. Darüber würde ich in Wut geraten und dann würde ich einem der Männer eine reinhauen und meinen Job verlieren. Daher vermute ich, du wirst es auf deine Weise regeln müssen, Frau, und sehen, wie du uns hier rauskriegst.«
»Deinen Job verlieren?« Sie grinste ihn an. »Dann bräuchte ich mir nie mehr Sorgen zu machen, dass auf dich geschossen wird.«
»Aber wir würden verhungern.«
»Jonas, ich habe ziemlich gut verdient und das Geld liegt größtenteils auf der Bank oder ist in sehr sichere Aktien investiert. Wir werden nicht verhungern.«
»Das hat überhaupt nichts zu sagen. Ich will auch gar nichts davon wissen, dass du mehr Geld hast als ich.«
Sie versetzte ihm einen kräftigen Rippenstoß. »Du bist ein solcher Chauvinist.«
»Bis ins Mark. Ich komme für deinen Unterhalt auf, während du zu Hause bleibst und unsere Kinder großziehst. Ich will nicht, dass sie von Fremden erzogen werden. Und ich will auch nicht, dass sie bloß deshalb, weil sie klug sind, sträflich früh in die Schule geschickt werden. Wir behalten sie zu Hause und kümmern uns selbst um sie.«
»Ach ja, das haben wir also vor?«
Er sah auf sie hinunter. »Ja. Es sei denn, du hast eine bessere Idee?«
»Das war doch ursprünglich meine Idee. Ich habe es dir gesagt, als ich acht war. Damals hast du mich ignoriert und dich mit dieser schrecklichen kleinen Sherrie Rider abgegeben. Gott sei Dank ist sie von hier weggezogen, als sie zehn war. Und sie hat andauernd gerülpst. Ich habe keine Ahnung, warum du dich für sie interessiert hast.«
»Sie war gut in den meisten Sportarten. Und du wolltest mit Puppen spielen oder so was. Meine Güte. Basketball oder Barbie-Puppen, da liegt die Entscheidung doch wohl auf der Hand.«
Ihr Gelächter hüllte ihn ein und er hätte am liebsten gelächelt. »Wir nähern uns der Gefahrenzone und deine Schwestern warten schon auf uns. Bist du bereit, Baby? Ich werde dich nämlich tragen, selbst wenn es bedeutet, dass ich deinen süßen Hintern mit den Fotografen teilen muss.«
»Mein Held. Aber das wird nicht nötig sein.« Sie hob ihre Arme zum Himmel empor und begann mit den Händen komplizierte Muster zu beschreiben.
Er hörte weibliche Stimmen im Wind, der vom Meer herbeiströmte und die dichte Nebelbank auf dem Weg zu den Klippen vor sich hertrieb. Vögel stoben in die Luft auf und flogen landeinwärts. Sie flogen in Schwärmen den Klippen und Bäumen entgegen, als Hannah und Jonas Hand in Hand die Treppe hinaufsprangen, die zum Haus der Drakes führte.