|117|ZWEITER TEIL
Der Marschenkönig
|119|VIER
Ich liebe das Meer. Ich bin an der Küste aufgewachsen, doch in meinen Erinnerungen ist das Wasser, das die Bebbanburg umspült, meist grau und düster und nur selten von der Sonne überglänzt. Ganz anders die große See, die von den Toteninseln heranrollt und an Felsen im Westen Britanniens donnernd zerschellt. Dort heben sich die Wogen, als würden Meeresgötter ihre Muskeln spielen lassen. Ohne Unterlass kreischen die Seevögel, und der Wind treibt Gischt an die Klippen, und die Fyrdraca, die vor diesem Wind segelte, hinterließ einen schäumend weißen Pfad im Meer. Ich spürte den Druck des Steuerruders, als wäre es von eigenem Leben erfüllt, spürte, wie das Schiff dahinschoss, und überließ mich den Freuden der Fahrt. Iseult starrte mich an, erstaunt darüber, wie glücklich ich war. Aber dann ließ ich sie ans Ruder und beobachtete, wie sie sich mit ihrem schlanken Leib gegen die Gewalt des Meeres stemmte, bis sie verstand, wie mächtig das Ruder war, und begriff, wie man ein Schiff steuert. Und dann lachte sie. «Ich könnte auf dem Wasser leben», sagte ich ihr, obwohl sie mich nicht verstand. Ich hatte ihr einen Armreif aus Peredurs Schatz gegeben, dazu einen silbernen Zehenring und eine Kette aus langen spitzen Raubtierzähnen, aufgereiht an einem Silberdraht.
Ich wandte mich um und sah mit an, wie Sveins Weißes Pferd die Wellen durchschnitt. Sein Bug tauchte manchmal tief in eine Welle, und darauf schien es, als bäume sich das Schiff auf. Den Pferdekopf schnaubend der Sonne entgegengereckt, zeigte es seine mit Algen dunkelgrün |120|bewachsene Brust; dann stürzte es zurück in die Wellen und zerschmetterte das Wasser mit seinen Planken. Ihre Ruder waren, wie unsere auch, eingeholt und die Löcher in der Bordwand versiegelt. Wir segelten, vom Wind getrieben. Die Fyrdraca war das schnellere Schiff, nicht weil sie besser gebaut war, sondern weil sie einen längeren Rumpf hatte.
Es ist eine Lust, ein gutes Schiff zu steuern, und die Lust ist noch größer, wenn sich in seinem Kielraum geraubtes Silber häuft. Es ist die Lust der Wikinger, in wogender See den Drachenkopf auf Kurs zu halten, einer Zukunft entgegen, in der gefeiert und gelacht wird. Das brachten mir die Dänen bei, und dafür liebe ich sie, da können sie noch so gottlose Heiden sein. In diesem Moment, da wir vor Sveins Weißem Pferd dahinsegelten, war ich der glücklichste Mann der Welt, befreit von der Kirche, den Gesetzen und dem Dienst an Alfreds Wessex. Doch dann befahl ich, das Segel einzuholen, ein Dutzend Männer löste die Taue, und die Rah rauschte den Mast hinunter. Wir hatten den äußersten Rand Britanniens erreicht und würden umkehren. Ich winkte Svein, als das Weiße Pferd an uns vorbeisegelte. Auch er winkte und blickte noch lange zurück auf die Fyrdraca, die in der Dünung schaukelte.
«Genug gesehen?», fragte mich Leofric.
Ich starrte zum Westrand Britanniens, wo die Klippen dem Ansturm des Meeres trotzten. «Penwith», sagte Iseult und nannte mir damit den britischen Namen der Landspitze.
«Willst du nach Hause zurück?», fragte ich Leofric.
Er zuckte mit den Achseln. Die Mannschaft drehte die Rah längs zum Schiff, befestigte sie vorne und hinten auf den Halterungen und band das Segel zusammen, damit der Wind es nicht losriss. Die Ruder wurden bereitgemacht, |121|und während sich das Weiße Pferd in der Sæfern-See verlor, wollten wir Richtung Osten.
Ich schaute Svein nach und beneidete ihn. «Ich muss reich werden», sagte ich zu Leofric.
Er lachte.
«Ich muss meinem Weg folgen», erklärte ich. «Und der führt nach Norden, zurück zur Bebbanburg. Sie konnte noch niemals erobert werden. Also brauche ich viele Männer, um sie zu stürmen. Viele gute Männer und viele scharfe Schwerter.»
«Wir haben Silber», sagte er und deutete Richtung Kielraum.
«Aber nicht genug», entgegnete ich grimmig. Meine Feinde waren reicher. Außerdem behauptete Alfred, dass ich der Kirche Geld schuldete, und die Gerichte von Defnascir würden Wergeld von mir verlangen. Ich konnte erst nach Hause zurück, wenn ich genug Silber hatte, um die Kirche auszahlen, die Gerichte bestechen und Männer unter mein Banner rufen zu können. Ich starrte dem Weißen Pferd hinterher, das inzwischen kaum mehr war als ein weißes Segel auf der windzerwühlten See, und spürte wieder das alte Verlangen, mit den Dänen zu leben. Ich würde abwarten, bis Ragnar frei war und mich ihm anschließen, aber dann müsste ich gegen Leofric kämpfen, und selbst dann müsste ich weiter Geld auftreiben, Männer finden, nach Norden ziehen und um mein Geburtsrecht kämpfen. Ich berührte Thors Hammer und betete um ein Zeichen.
Iseult spuckte, genauer, sie sprach ein Wort aus, das klang, als räusperte sie sich und als hustete sie zugleich Schleim. Dabei zeigte sie über die Schiffsflanke und machte mich auf einen seltsamen Fisch aufmerksam, der sich im Wasser tummelte. Er war so groß wie ein Jagdhund und |122|hatte eine dreieckige Rückenflosse. «Ein Schweinswal», sagte Leofric.
«Llamhydydd», wiederholte Iseult den britonischen Namen des Fischs.
«Sie bringen den Seeleuten Glück», wusste Leofric.
Ich hatte einen solchen Schweinswal nie zuvor gesehen, doch jetzt tauchte gleich ein Dutzend von ihnen auf. Ihre grauen Rücken glänzten in der Sonne, und sie waren nach Norden unterwegs.
«Das Segel soll wieder gesetzt werden», sagte ich zu Leofric.
Er starrte mich an. Die Mannschaft hatte gerade die Ruder losgeschallt und nahm die Verschlüsse aus den Ruderlöchern. «Das Segel setzen?», fragte er.
«Wir fahren nach Norden.» Ich hatte um ein Zeichen gebeten, und Thor hatte die Schweinswale geschickt.
«In die Sæfern-See? Da gibt’s doch nichts zu holen», sagte Leofric. «Erinnerst du dich nicht, was Svein gesagt hat?»
«Svein hat gesagt, dass es dort nichts zu plündern gibt, weil sich die Dänen alles geholt haben, und das heißt, dass ihre Schiffe reich beladen sind.» Freude flutete in mir hoch wie eine Welle, das Gefühl war so stark, dass ich Leofric auf die Schulter klopfte und Iseult umarmte. «Und er sagte auch, dass diese Schiffe aus Irland kommen.»
«Na und?» Leofric rieb sich die Schulter.
«Männer aus Irland!», erklärte ich. «Die Dänen kommen mit irischen Mannschaften, um Wessex anzugreifen. Und wenn man eine Schiffsmannschaft aus Irland hierherbringen muss, was bringt man da mit?»
«Seinen gesamten Besitz», antwortete Leofric tonlos.
«Und sie ahnen nicht, dass wir in der Nähe sind. Wir werden als Feuerdrache über diese Hammel herfallen.»
|123|Er grinste. «Du hast recht», sagte er.
«Natürlich habe ich recht. Ich bin ein Herr. Ich habe recht und ich werde reich! Wir alle werden reich! Wir werden von goldenen Tellern essen, unseren Feinden ins Maul pissen und aus ihren Frauen unsere Huren machen.»
Während ich diesen Unsinn lautstark von mir gab, ging ich zur Mitte des Schiffs und löste das zusammengebundene Segel. «Wir tragen silberne Schuhe und goldene Hüte und werden reicher sein als die Könige! Wir waten durchs Silber, überschütten unsere Huren mit Gold und scheißen Bernsteinklumpen. Zieht die Ruder ein und stopft die Löcher! Wir fahren nach Norden und werden reich wie die Bischöfe. Jeder Einzelne von uns!» Die Männer grinsten und ließen sich von meiner Begeisterung nur allzu gern anstecken.
Wohl war ihnen bei unserem Zug nach Norden trotzdem nicht, denn wir würden das Land aus der Sicht verlieren. So weit hatte ich mich noch nie von der Küste entfernt, und auch ich fürchtete mich, denn Ragnar der Ältere hatte mir oft von Nordmännern erzählt, die sich aufs weite Meer hinausgewagt hatten, um immer weiter nach Westen zu segeln, noch über die Toteninseln hinaus, wo es Länder gab, wie Ragnar behauptete, in denen Geister wohnten. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Sicher weiß ich aber, dass er erzählt hatte, viele dieser Schiffe seien niemals zurückgekehrt. Sie waren der untergehenden Sonne nachgesegelt und immer weiter und konnten sich nicht zur Umkehr entschließen, und so segelten sie bis ans dunkle Ende der Welt, wo alle verlorenen Schiffe sterben.
Im Norden aber hatte die Welt kein Ende. Das wusste ich, wenn ich auch nicht sagen konnte, was uns tatsächlich dort erwarten würde. Irgendwo lagen Dyfed, Irland und andere Inseln mit barbarisch klingenden Namen, und an |124|ihren rauen Küsten lebten wilde Menschen wie ausgehungerte Hunde. So rau wie das Land war auch das Meer mit seinen unermesslichen Fluten. Als das Segel gesetzt war und der Wind die Fyrdraca nordwärts trieb, stemmte ich mich gegen das Ruder, um einen östlicheren Kurs einzuschlagen, damit wir uns nicht in den Weiten des Ozeans verirrten.
«Weißt du, wohin es geht?», fragte mich Leofric.
«Nein.»
«Kümmert es dich überhaupt?»
Statt zu antworten, grinste ich nur. Der Wind drehte von Süd auf Südwest, und die Strömung drückte ostwärts. Also dachte ich, als am frühen Nachmittag Land in Sicht kam, es müsse das Land der Britonen am Nordufer der Sæfern-See sein. Doch als wir näher kamen, sah ich, dass es eine Insel war. Später erfuhr ich, dass sie von den Nordmännern Lundi genannt wurde, was ihr Name für Papageientaucher ist. Und tatsächlich war die Steilküste von großen Schwärmen dieser Vögel bevölkert, deren schrilles Gekreische uns in den Ohren klang, als wir in eine Bucht am Westrand der Insel einliefen. Zum Ankern war die Bucht jedoch nicht geeignet, denn schwere Seen rollten hinein, sodass wir das Segel absenkten, die Ruder herausholten und um die Klippe ruderten, bis wir eine geschützte Stelle auf der Ostseite erreichten.
Ich ging mit Iseult an Land, um in den Nestern der Papageientaucher nach Eiern zu suchen. Doch die ganze Brut war offenbar schon geschlüpft, und so begnügten wir uns damit, zwei Ziegen für das Abendessen zu schlachten. Menschen sahen wir nicht, wohl aber die Überreste einer kleinen Kirche und einen Friedhof. Die Dänen hatten alles niedergebrannt, die Kirche zerstört und die Gräber auf der Suche nach Gold ausgehoben. Wir stiegen auf einen |125|Hügel und schauten in die Runde, konnten aber kein Schiff entdecken. Im Süden waren Wolken aufgezogen, doch glaubte ich dahinter einen Streifen Land zu erkennen, den ich für die Küste Cornvalums oder den äußersten Westen von Wessex hielt.
Iseult sang vor sich hin. Ich betrachtete sie. Sie weidete die toten Ziegen aus, war aber an solche Arbeit nicht gewöhnt und stellte sich sehr ungeschickt an. Sie war dünn, dünn wie eine Elfe, aber offenbar war sie glücklich. Mit der Zeit sollte ich erfahren, wie sehr sie Peredur gehasst hatte. Er hatte sie geschätzt und sie zu seiner Königin gemacht, gleichzeitig aber wie eine Gefangene gehalten, um der einzige Nutznießer ihrer magischen Kräfte zu sein. Die Leute bezahlten Peredur für ihre Prophezeiungen, und einer der Gründe, aus denen Callyn gegen seinen Nachbarn zu Felde gezogen war, hatte darin bestanden, dass er Iseult selbst haben wollte. Schattenköniginnen wurden von den Britonen hochgeschätzt, denn sie verkörperten die alten Mysterien, welche die Geschicke des Landes bestimmt hatten, ehe die Mönche gekommen waren. Iseult war eines der letzten dieser magischen Wesen, geboren, während sich die Sonne verfinsterte. Jetzt aber war sie frei, und ich sollte noch erfahren, dass ihre Seele so wild war wie die eines Falken. Mildrith, die arme Mildrith, für sie galten nur Ordnung und Gleichmaß. Immer sollte der Fußboden gefegt werden, die Wäsche gewaschen, die Kühe gemolken, die Sonne aufgehen und untergehen, und niemals sollte sich etwas ändern. Aber Iseult war anders: dunkel und rätselhaft. Nichts von dem, was sie während der ersten Tage geäußert hatte, ergab irgendeinen Sinn, denn wir sprachen nicht dieselbe Sprache. Doch als ich ihr an diesem Abend auf der Insel das Messer aus der Hand nahm, um die Ziegen auszunehmen, sammelte sie ein paar |126|Zweige und flocht daraus einen kleinen Käfig. Sie zeigte mir den Käfig, zerschlug ihn und ahmte dann mit ihren langen weißen Fingern den freien Flug eines Vogels nach. Dann zeigte sie auf sich, warf die zerbrochenen Zweige weg und lachte.
Am nächsten Morgen sah ich Schiffe. Es waren zwei, und sie segelten im Westen der Insel nach Norden, kleinere Boote, vielleicht mit Händlern aus Cornwalum an Bord. Vom Südwestwind getrieben, steuerten sie der verborgenen Küste entgegen, wo ich Svein und sein Weißes Pferd vermutete.
Wir folgten den beiden kleinen Schiffen, die schon fast außer Sicht waren, als wir endlich zur Fyrdraca hinausgewatet waren, den Anker gelichtet hatten und losgerudert waren. Doch kaum war das Segel gesetzt, verringerte sich der Abstand schnell. Angesichts eines Drachenschiffes, das plötzlich hinter der Insel auftauchte, muss es ihnen angst und bange geworden sein. Ich ließ das Segel ein wenig absenken, um die Fahrt zu verlangsamen, und so folgten wir ihnen den ganzen Tag, bis sich schließlich am Horizont ein blaugrauer Streifen zeigte. Land. Das Segel wieder voll hochgezogen, rauschten wir an den beiden klobigen Booten vorbei, und so erreichte ich zum ersten Mal die Küste von Wales. Bei den Britonen hieß dieses Land anders, wir aber nannten es Wales, was so viel wie «Fremde» bedeutet. Erst später stellte sich heraus, dass wir in Dyfed an Land gegangen waren, jenem Königreich im äußersten Westen von Wales, das nach dem Gottesmann benannt worden war, der die Britonen christianisiert hatte.
In einem tiefen Küsteneinschnitt, der zu beiden Seiten von Felsen bewacht wurde, fanden wir Schutz vor Wind und Wellen. Die Bucht war so eng, dass der Bug und das |127|Heck unseres Schiffes über Steine kratzten, als wir es drehten, damit wir der See zugewandt lagen. Anschließend legten wir uns unter den Ruderbänken schlafen. Wir hatten ein Dutzend Frauen an Bord, alles Gefangene aus Peredurs Siedlung. Einer von ihnen gelang in dieser Nacht die Flucht. Sie hatte sich unbemerkt von Bord gleiten lassen und war ans Ufer geschwommen. Iseult war es nicht. Sie lag neben mir unter der Steuerplattform in einer kleinen dunklen Nische, die wir mit einem Umhang abgedeckt hatten. Leofric weckte uns früh am Morgen, besorgt darüber, dass die geflohene Frau die Küstenbewohner gegen uns aufhetzen könnte. Ich zuckte mit den Achseln. «Wir sind hier bald wieder weg.»
Doch wir blieben den ganzen Tag in der Bucht. Ich hoffte darauf, ein vorüberziehendes Schiff überfallen zu können, und tatsächlich kreuzten zwei auf, allerdings segelten sie gemeinsam, und zwei Schiffe auf einmal anzugreifen war zu gefährlich. Sie segelten vor dem Südwestwind, und beides waren dänische Schiffe, vielleicht auch welche von den Nordmännern, und beide waren voller Krieger. Wahrscheinlich kamen sie von Irland oder von der Ostküste Northumbriens, um sich Svein anzuschließen, gelockt von der Aussicht, gutes westsächsisches Land besetzen zu können. «Burgweard sollte die ganze Flotte hier zusammenziehen», sagte ich. «Dann könnte er diesen Bastarden die Hölle heißmachen.»
Am Nachmittag zeigten sich zwei Reiter. Der eine trug eine glänzende Halskette, die ihn als einen Mann von hohem Rang auswies, doch keiner von ihnen kam herunter auf den Kiesstrand. Sie beobachteten uns vom Eingang einer Senke aus, die zur Bucht hinabführte, und nach einer Weile verschwanden sie wieder. Die Sonne stand schon tief, aber es war Sommer und lange hell. «Wenn sie Verstärkung |128|holen …», Leofric führte den Gedanken nicht aus.
Ich betrachtete die hohen Felskuppen zu beiden Seiten der Bucht. Von dort könnte man Steine auf uns herabregnen lassen und die Fyrdraca versenken. «Wir könnten da oben Wachen aufstellen», schlug ich vor, doch in diesem Augenblick rief Eadric, der die Männer auf den vorderen Steuerbordbänken führte, ein Schiff sei in Sicht. Ich rannte nach vorn, und da war sie.
Die vortrefflichste Beute.
Das Schiff war nicht ganz so groß wie die Fyrdraca, aber doch stattlich, und es war so schwer beladen, dass es tief im Wasser lag. Es waren sogar so viele Menschen an Bord, dass die Besatzung es nicht gewagt hatte, das Segel zu setzen. Zwar war der Wind nicht stark, doch mit dieser Last konnte er das Schiff gefährlich tief zur Seite drücken. Also wurde gerudert, dicht an der Küste entlang. Offenbar suchten sie nach einem Ankerplatz für die Nacht, und die Mannschaft wähnte sich mit unserer kleinen Bucht am Ziel, bis sie erkennen musste, dass wir schon hier lagen. Ich sah, wie ein Mann in ihrem Bug weiter die Küste hinaufzeigte, und während sich meine Männer bewaffneten, forderte ich Haesten auf, das Steuerruder zu übernehmen. Er wusste, was zu tun war, und ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er es gut machen und keine Rücksicht auf seine eigenen Landsleute nehmen würde. Während wir die Leinen kappten, die unser Schiff sicherten, brachte mir Leofric mein Kettenhemd, Helm und Schild. Ich rüstete mich zum Kampf, während die Ruder eingeholt wurden, und zog dann meinen Helm auf, sodass plötzlich die Ränder meines Sichtfeldes von seiner Gesichtsplatte verdunkelt wurden.
«Los!», rief ich. Die Ruder tauchten ein, und die Fyrdraca |129|schoss aus der Bucht. Manche Ruder krachten gegen die Felsen, doch keines brach. Ich starrte auf das Schiff, das einen zähnefletschenden Wolfskopf auf dem Steven trug, und war so nah, dass ich die ungläubigen Blicke der Männer und Frauen an Bord erkennen konnte. Sie meinten, ein dänisches Schiff vor sich zu haben, eines aus den eigenen Reihen, doch wir waren bewaffnet, und wir griffen sie an. Nach einem Warnruf liefen sie eilig zu ihren Waffen. Leofric trieb unsere Männer an, sich mit aller Kraft in die Riemen zu legen, und die langen Ruderschäfte bogen sich, als die Fyrdraca über die niedrigen Wellen schnellte, bis ich alle Mann von den Rudern nach vorn in den Bug rief, wo Cenwulf und die zwölf Männer unter seinem Kommando schon in Bereitschaft standen. Und dann fuhren wir mit voller Fahrt in die feindlichen Ruder und zerschmetterten sie.
Haesten hatte gute Arbeit geleistet und, nach meinem Auftrag, auf das niedrige Freideck im vorderen Teil des Schiffes zugehalten. Unser Bug bäumte sich über ihrem Plankengang auf und drückte ihr Schiff tief ins Wasser. So wuchtig war der Aufprall, dass wir fast von den Füßen gerissen worden wären, aber dann sprang ich hinunter auf das wolfsköpfige Schiff. Cenwulf und seine Männer folgten mir, und dann begannen wir mit dem Töten.
Zahlenmäßig war uns der Gegner wohl überlegen, nicht aber an Kampfkraft, denn die Männer waren nach einem langen Tag in den Rudern bis in die Knochen erschöpft und hatten nicht mit einem Angriff gerechnet. Wir dagegen waren heute hungrig, wir hatten schon oft Schiffe überfallen, und meine Mannschaft war gut ausgebildet. Ihre Schwerter und Äxte schwingend, hackten sich die Männer ihren Weg über das Schiff frei, und das Meer schwappte über die Bordkante, sodass wir durch das Wasser |130|waten mussten, als wir über die Ruderbänke stiegen. Das Wasser färbte sich rot. Manche unserer Opfer sprangen über Bord, um uns zu entkommen, und klammerten sich an die zertrümmerten Ruder. Ein Mann mit dichtem Bart und wilden Augen warf sich uns mit einem großen Schwert entgegen, doch Eadric bohrte ihm seinen Speer in die Brust, und Leofric hieb mit der Axt auf seinen Kopf ein. Wieder schlug er zu, und das Blut spritzte hinauf bis an das Segel, das an der langen Rah zusammengerollt war. Der Mann sank in die Knie, und Eadric bohrte den Speer noch tiefer in seinen Körper, sodass das Blut in Stößen ins Wasser lief. Fast hätte mich eine Welle von den Beinen geworfen, die das halbgesunkene Schiff ankippte. Ein Mann schleuderte mir schreiend seinen Speer entgegen, doch ich wehrte ihn mit dem Schild ab und rammte dem Mann Schlangenhauch ins Gesicht. Fallend wollte er meinem nächsten Stoß ausweichen, doch da stieß ich ihn mit dem schweren Schildbuckel von Deck. Als ich eine Bewegung zu meiner Rechten spürte, schwang ich meinen Schlangenhauch wie eine Sichel herum und traf eine Frau am Kopf. Ein Schwert in der Hand, sackte sie in sich zusammen wie ein abgestochenes Kalb. Ich trat das Schwert beiseite und rammte ihr meinen Fuß in den Bauch. Vor mir stand ein schreiendes Kind; ich stieß es zur Seite, warf mich einem Mann mit ledernem Wams entgegen, den Schild gehoben, um seinen Axthieb abzuwehren, und spießte ihn mit Schlangenhauch auf. So tief drang mein Schwert in seine Brust ein, dass es in den Knochen steckenblieb und ich mich über ihn stellen musste, um es wieder herauszuziehen. Cenwulf hastete mit erhobenem Schwert an mir vorbei, das wutverzerrte Gesicht voller Blut. Das Wasser reichte mir jetzt bis an die Knie, und ich schwankte und wäre fast gefallen, als ein Ruck durch das Schiff ging. Ich |131|bemerkte, dass wir ans Ufer getrieben und auf Felsen gelaufen waren. Zwei Pferde waren im Schiff angebunden, und die Tiere wieherten voller Angst bei dem Geruch des Blutes. Eines riss sich los, sprang über Bord und schwamm mit schreckgeweiteten Augen, in denen das Weiße zu sehen war, aufs offene Meer hinaus.
«Tötet sie! Tötet sie!», hörte ich mich brüllen. Nur so ließ sich ein Schiff einnehmen: Alle Kämpfer mussten von Bord verschwinden. Doch jetzt verschwanden sie von selbst, denn die Überlebenden sprangen auf die Felsen und kletterten durch die saugende Rückströmung der vom Blut gefärbten Wellen davon. Ein halbes Dutzend unserer Männer war auf der Fyrdraca geblieben und hielt das Schiff mit ausgefahrenen Rudern von den Felsen weg. Dann traf eine Klinge von hinten meinen rechten Knöchel, und als ich mich umdrehte, sah ich einen verwundeten Mann, der versuchte, mich zu lähmen, indem er mir mit einem kurzem Messer die Sehne durchschnitt. Ich hieb auf ihn ein, immer und immer wieder, schlachtete ihn ab in dem wogenden Wasser. Ich glaube, er war der letzte Mann, der an Bord starb. Ein paar Dänen klammerten sich zwar noch an die Außenflanke des Schiffs, doch die schnitten wir einfach ab.
Die Fyrdraca lag ein Stück seewärts von dem Unglücksschiff, und ich rief meinen Männern zu, längsseits anzulegen. Sie schaukelte auf und ab, viel höher als das halbgesunkene Schiff. Wir warfen unsere Beute aufwärts über die Bordwand der Fyrdraca. Säcke, Kästen und Fässer. Viele waren schwer, und in manchen klirrten Münzen. Den Toten nahmen wir alles ab, was von Wert war. Sechs Kettenhemden und ein Dutzend Helme kamen so in unseren Besitz. In dem überfluteten Kielraum fanden wir drei weitere Kettenhemden. Ich streifte acht Reifen von den |132|Armen toter Männer. Als auch alle Waffen an Bord der Fyrdraca geschafft worden waren, zerschnitten wir alles Tauwerk des feindlichen Schiffes. Dann band ich das zweite Pferd los, das zitternd im weiter ansteigenden Wasser stand. Unter den Augen der Überlebenden, die sich auf die Felsen gerettet hatten, nahmen wir auch noch die Rah und das Segel. Auf dem Schlafdeck fand ich schließlich noch einen großen Kriegshelm, ein prächtiges Stück mit verzierter Gesichtsplatte und einem silbernen Wolfskopf als Kamm. Ich warf meinen eigenen Helm auf die Fyrdraca, setzte den neuen auf und reichte Beutel mit Münzen weiter. Unter den Beuteln lag etwas, das mir ein kleiner Schild, eingewickelt in schwarzes Tuch zu sein schien. Ich wollte ihn schon liegenlassen, bückte mich aber dann doch und warf ihn ebenfalls an Bord der Fyrdraca. Wir waren reich.
«Wer seid Ihr?», rief ein Mann vom Ufer aus.
«Uhtred», antwortete ich.
Er spuckte aus, und ich lachte. Unsere Männer kletterten zurück auf die Fyrdraca. Manche fischten Ruder aus dem Wasser, während Leofric mit einer langen Stange gegen die Strömung ankämpfte, die unser Schiff auf die Felsen zutrieb. «Komm an Bord!», rief er mir zu, und ich sah, dass ich als Letzter noch auf dem Dänenschiff war. Ich setzte einen Fuß auf eines der Ruder, hielt mich am Aftersteven der Fyrdraca fest und schwang mich über die Bordwand ins Schiff. «Rudern!», brüllte Leofric, und bald hatten wir uns von dem Wrack entfernt.
Zwei junge Frauen, die wir mit der Beute an Bord genommen hatten, kauerten weinend am Mast. Eine stammte, wie sich später herausstellte, aus Irland; die andere jedoch war Dänin, und kaum war ich neben ihr in die Hocke gegangen, schlug sie mir ins Gesicht und spuckte mich an. |133|Ich schlug zurück, worauf sie erneut handgreiflich wurde. Sie war jung, groß und kräftig, mit einem Wust blonder Haare und hellblauen Augen. Sie versuchte, mit den Fingern durch die Sehschlitze meines neuen Helms zu stoßen, sodass ich mich gezwungen sah, sie ein weiteres Mal zu schlagen. Meine Männer lachten. Manche stachelten sie auf, sich gegen mich zu wehren, doch stattdessen brach sie plötzlich in Tränen aus und lehnte sich zurück an den Mast. Ich nahm den Helm ab und fragte sie nach ihrem Namen, aber als einzige Antwort schluchzte sie, dass sie sterben wolle. Als ich ihr sagte, sie könne sich jederzeit vom Schiff stürzen, rührte sie sich trotzdem nicht vom Fleck. Sie hieß Freyja und war fünfzehn Jahre alt. Ihrem Vater gehörte das Schiff, das wir versenkt hatten. Es war der große Mann mit dem Schwert gewesen, er hatte Ivar geheißen und Land bei Dyflin besessen, wo immer das sein mochte. Und dann fing Freyja wieder an zu weinen, als sie meinen neuen Helm bemerkte, der ihrem Vater gehört hatte. «Er starb, ohne sich die Nägel geschnitten zu haben», sagte sie vorwurfsvoll, als wäre ich für dieses Pech verantwortlich. Und ein böses Geschick war es in der Tat, denn nun würden die dunklen Mächte der Unterwelt mit Ivars Fingernägeln das Schiff bauen, das am Ende der Zeit die Welt verheeren soll.
«Wohin wolltet ihr?», fragte ich sie.
Natürlich waren sie auf dem Weg zu Svein gewesen. Ivar hatte sich in Dyflin nicht wohl gefühlt; in dem irischen Ort lebten mehr Nordmänner als Dänen, und es hatte dort immer wieder Schwierigkeiten mit kampflustigen einheimischen Volksstämmen gegeben. Die Aussicht auf Landbesitz in Wessex hatte ihn verlockt, also hatte er seine irische Wohnstatt aufgegeben, alles Hab und Gut auf seine Schiffe geladen und war ostwärts gesegelt.
|134|«Schiffe?», fragte ich nach.
«Es waren drei, als wir aufbrachen», antwortete Freyja. «Aber die beiden anderen haben wir letzte Nacht aus den Augen verloren.»
Ich vermutete, dass es sich um jene beiden Schiffe handelte, die wir tags zuvor gesehen hatten. Doch die Götter waren uns hold, denn Freyja bestätigte mir, dass ihr Vater die wertvollsten Besitztümer auf das Schiff geladen hatte, auf dem er selbst gefahren war, und das hatten wir mitsamt seinen Fässern voller Münzen und Kästen voller Silber gekapert. Da waren auch Bernstein, Jett und Elfenbein, Waffen und Rüstungen. Wir stellten eine grobe Schätzung an und konnten unser Glück kaum fassen. Eine Kiste enthielt schieres Gold, zu groben, kleinen Quadern geformt, doch das Beste von allem steckte in dem schwarzen Bündel, denn was ich für einen Schild gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein großer Silberteller, auf dem eine Kreuzigung dargestellt war. Auf dem schweren Rand des Tellers waren rund um dieses Todesbild Heilige zu sehen. Es waren zwölf. Ich vermutete, dass es die Apostel waren und dass der Teller in Irland zu einem Kirchenschatz oder Klosterschatz gehört hatte, bis er von Ivar geraubt worden war. Ich zeigte ihn meinen Männern. «Das», sagte ich in ehrfürchtigem Ton, «gehört nicht zur Beute. Das muss an die Kirche zurückgegeben werden.»
Leofric sah mich an, verzog aber keine Miene.
«Es geht an die Kirche zurück», bekräftigte ich und sah, dass einige meiner Männer – die frommeren unter ihnen – einverstanden waren. Ich wickelte den Teller wieder ein und verstaute ihn unter der Steuerplattform.
«Wie viel schuldest du der Kirche?», fragte Leofric.
«Was du im Kopf hast, fällt den Ziegen aus dem Arsch», antwortete ich.
|135|Er lachte und schaute an mir vorbei. «Was machen wir jetzt?», wollte er wissen.
Ich dachte, er fragte danach, was wir mit dem Rest unseres schönen Lebens anfangen sollten, doch er starrte zur Küste, wo auch ich jetzt bewaffnete Männer sah, die den Klippenrand säumten. Die Britonen von Dyfed verfolgten uns, doch sie waren zu spät gekommen. Allerdings war uns nun die Rückkehr in unsere kleine Bucht verwehrt, und so befahl ich, die Ruder zu besetzen und nach Osten zu steuern. Die Britonen folgten uns entlang der Küste. Anscheinend hatten sie von der Frau, die in der Nacht geflohen war, erfahren, dass wir Angelsachsen waren, und gehofft, wir würden an Land Zuflucht suchen und ihnen in die Hände fallen. Nur wenige Schiffe blieben über Nacht auf See, sofern sie nicht dazu gezwungen waren. Uns aber blieb jetzt keine andere Wahl, und so drehten wir bei und ruderten in südlicher Richtung von der Küste weg, während die untergehende Sonne die Wolken in rotes Licht tauchte, sodass es aussah, als verströme ein Gott sein Blut am Himmel.
«Was hast du mit dem Mädchen vor?», fragte Leofric.
«Mit Freyja?»
«Heißt sie so? Willst du sie für dich?»
«Nein», antwortete ich.
«Dann nehm ich sie.»
«Sie wird dich bei lebendigem Leibe auffressen», warnte ich ihn. Sie war einen Kopf größer als er.
«Solche Frauen gefallen mir.»
«Du kannst sie haben», sagte ich. So ist das Leben. Gestern noch war Freyja die verwöhnte Tochter eines Grafen, heute eine Sklavin.
Unter den tüchtigsten meiner Männer verteilte ich die erbeuteten Kettenhemden. Wir hatten zwei Kämpfer |136|verloren, und drei weitere waren schwer verwundet, doch das war ein geringer Preis. Wir hatten zwanzig oder dreißig Dänen getötet und alle anderen in die Flucht geschlagen. Vielleicht würden sie an Land von den Britonen gut behandelt werden. Vielleicht aber auch nicht. Das Beste aber war, dass wir reich geworden waren, und mit diesem Gedanken trösteten wir uns, als die Nacht hereinbrach.
Hoder ist der Gott der Nacht, und zu ihm betete ich. Ich warf ihm meinen alten Helm als Geschenk über Bord, denn wir alle fürchteten uns vor der Dunkelheit, die uns verschluckte, und es war pechfinster unter den Wolken, die den Himmel von Westen her bezogen hatten. Kein Mond, keine Sterne. An der Küste im Norden leuchtete für kurze Zeit ein Feuerschein, doch auch der war bald verschwunden, und wir waren wie blind. Der Wind frischte auf, der Seegang nahm zu. Wir holten die Ruder ein und ließen uns in der Strömung treiben, denn zu steuern hatte keinen Sinn. Ich blieb an Deck und starrte ins Dunkle. Iseult schmiegte sich unter meinem Umhang an mich, und ich erinnerte mich an ihren wohligen Gesichtsausdruck, als wir den Kampf aufnahmen.
Trüb dämmerte der Morgen. Das Meer war ein weißgestreiftes Grau, der Wind kalt und kein Land in Sicht. Dass zwei weiße Vögel vorüberflogen, deutete ich als ein Zeichen und steuerte in die Richtung, in die sie verschwunden waren. Erst spät am Nachmittag, als wir lange im kalten Regen über eine raue See gefahren waren, sahen wir Land. Wir waren wieder bei der Insel der Papageientaucher. Wir fanden Schutz in der Bucht und entzündeten am Ufer ein Feuer.
«Wenn die Dänen erfahren, was wir getan haben …», hob Leofric an.
|137|«Werden sie uns suchen», beendete ich für ihn den Satz.
«Zuhauf.»
«Also ist es Zeit für uns, nach Hause zurückzukehren», sagte ich.
Die Götter waren uns gnädig gewesen, und am nächsten Morgen ruderten wir auf ruhiger See nach Süden, bis wir das Festland erreichten, und folgten dann der Küste nach Westen, um die wilde Landzunge zu umschiffen, wo sich die Schweinswale tummelten, und in östlicher Richtung nach Hause zu fahren.
Sehr viel später erfuhr ich, wie es Svein ergangen war, nachdem wir uns getrennt hatten, und weil er mein Leben beeinflusst und meine Feindschaft gegenüber Alfred vertieft hatte, will ich seine Geschichte hier erzählen.
Ich vermute, dass ihn der Gedanke an den goldenen Altar bei Cynuit nicht mehr losgelassen und ihn nach Glwysing gelenkt hatte, wo er seine Männer versammelte. Glwysing, ein weiteres britonisches Königreich, lag im Süden von Wales. Es gab dort sichere Häfen, und der König hieß die Dänen willkommen, denn ihre Anwesenheit hielt Guthrums Männer davon ab, über die Grenze von Mercien plündernd in sein Land einzufallen.
Verstärkt um ein zweites Schiff und seine Mannschaft, segelte Svein gen Cynuit. Sie erreichten den Ort früh morgens und wurden durch dichten Nebel erst spät bemerkt. Ich kann mir gut vorstellen, wie ihre beiden tierköpfigen Schiffe aus dem fahlen Grau der Dämmerung auftauchten, wie Monster aus einem Albtraum. Sie ruderten schnell durch die Mündung flussaufwärts, landeten, und dann strömten die Mannschaften ans Ufer, Männer in Kettenhemden und Helmen, Speer-Dänen und Schwert-Dänen, |138|und bald darauf hatten sie Kloster und Kirche vor sich, an denen noch gebaut wurde.
Odda der Jüngere hatte den Platz für die Kirche ausgesucht, doch er wusste, dass sie gefährlich nah am Meer lag, und hatte deshalb entschieden, sie zur Festung auszubauen. Der Kirchturm sollte so hoch gemauert werden, das sich von oben das Gelände ringsum überwachen ließ. Außerdem sollten eine Palisade und ein Wassergraben die Priester und Mönche schützen. Doch als Svein kam, war keine dieser Arbeiten abgeschlossen, sodass der Ort kaum zu verteidigen war, und außerdem konnten die wenigen Kämpfer gegen die Dänen ohnehin nichts ausrichten. Sie waren im Handumdrehen niedergemacht oder in die Flucht geschlagen. Anschließend brannten die Dänen alles nieder, was gerade erst gebaut worden war, und sie hackten das hohe Holzkreuz ab, das man als Erstes aufgestellt hatte, denn damit wurden Klöster üblicherweise kenntlich gemacht.
An dem Bau arbeiteten nur Mönche, mehrheitlich Novizen. Svein trieb sie zusammen, verlangte, dass sie ihm zeigten, wo die Kostbarkeiten versteckt waren, und versprach ihnen Gnade, wenn sie ihm die Wahrheit sagten. Und das taten sie. Wie sich herausstellte, gab es nicht viel zu erbeuten, geschweige denn einen goldenen Altar. Doch immerhin hatten die Mönche eine Truhe voller Silberpennys, die für den Kauf von Bauholz gedacht waren. Die Dänen gaben sich damit zufrieden, brachten dann den halbfertigen Kirchturm zum Einsturz, rissen die angefangene Palisade nieder und schlachteten einen Teil des Viehs. Schließlich wollte Svein wissen, wo Ubba begraben lag, worauf die Mönche verstockt schwiegen. Also wurden wieder die Schwerter gezogen, und die Frage wurde ein zweites Mal gestellt. Nun verrieten die Mönche, dass sich |139|das Grab des toten dänischen Anführers direkt unter dem Kirchenbau befand. Es war ein Erdhügel gewesen, doch die Mönche hatten den Leichnam ausgegraben. Als die Dänen das hörten, war es mit ihrer gnädigen Stimmung vorbei.
Die Mönche wurden gezwungen, im Fluss herumzuwaten, bis sie ein paar Knochen gefunden hatten, die dann auf einen Scheiterhaufen aus den Balken der halbfertigen Gebäude gelegt wurden. Allen Berichten nach hat es sich um einen riesigen Scheiterhaufen gehandelt, und als er angezündet war und als die Knochen in der Hitze glühten, wurden die Mönche in die Flammen geworfen. Während sie bei lebendigem Leib verbrannten, suchten die Dänen zwei der Mädchen aus, die sie im Lager der Soldaten gefangen hatten, vergewaltigten sie, erwürgten sie anschließend und schickten ihre Seelen auf diese Weise nach Walhall, damit sie Ubba dort Gesellschaft leisteten. Wir erfuhren all dies von zwei Kindern, die den Überfall, zwischen Brennnesseln versteckt, überlebt hatten, und von einigen Leuten aus dem Nachbarort, die von den Dänen herbeigezerrt und gezwungen worden waren, dem Ende der Feuerbestattung beizuwohnen. «Das hat Svein vom Weißen Pferd getan», wurde ihnen gesagt, und sie mussten die Worte wiederholen. Es war bei den Dänen so üblich, Zeugen ihrer Gräueltaten zurückzulassen, damit ihre Taten weitererzählt wurden und die Angst aus denjenigen Feiglinge machte, denen ein Überfall noch bevorstand. Und die Geschichte von den verbrannten Mönchen und den ermordeten Mädchen verbreitete sich natürlich wie ein Lauffeuer durch Wessex und wurde, wie es bei solchen Geschichten immer der Fall ist, um einiges übertrieben. Die Anzahl der toten Mönche stieg von sechzehn auf sechzig, aus den zwei vergewaltigten Mädchen |140|wurden zwanzig, und am Ende war nicht bloß eine Truhe voller Pennys, sondern ein unermesslicher Schatz geraubt worden. Alfred schickte Guthrum eine Nachricht mit der Drohung, alle Geiseln zu töten, worauf Guthrum dem König ein Goldgeschenk, zwei geraubte Bibeln und einen unterwürfigen Brief zukommen ließ, in dem er versicherte, dass die beiden Schiffe nicht zu seinen Streitkräften gehörten, sondern unter dem Befehl fremder Piraten stünden. Alfred glaubte ihm und ließ die Geiseln leben, und der Frieden hielt. Doch Alfred ordnete an, dass in jeder Kirche von Wessex ein Fluch gegen Svein ausgesprochen werde. Der Däne sollte bis in alle Ewigkeit verdammt sein, seine Männer sollten in der Hölle schmoren und seine Kinder und Kindeskinder das Kainsmal tragen. Ich fragte einen Priester, was es mit diesem Mal auf sich habe, und bekam zur Erklärung, dass Kain, ein Sohn von Adam und Eva, der erste Mörder der Menschheitsgeschichte gewesen sei; doch wie das Mal aussah, das er getragen hatte, wusste der Priester auch nicht. Aber er glaubte, Gott werde es bestimmt erkennen.
Svein also segelte mit seinen beiden Schiffen davon und ließ an der Küste einen noch immer schwelenden Scheiterhaufen zurück. Ich wusste damals nichts von alldem und erfuhr erst später davon. Ich war auf dem Weg nach Hause.
Wir ließen uns Zeit, gingen jede Nacht vor Anker, kamen an der verbrannten Hügelflanke vorbei, auf der noch bis vor kurzem Peredurs Siedlung gestanden hatte, und zogen, von der Sommersonne und Regenschauern begleitet, immer weiter, bis wir schließlich wieder die Mündung der Uisc erreichten.
Die Heahengel war wieder flott, der Mast aufgerichtet. |141|Leofric konnte mit ihr und der Fyrdraca, die nun wieder Eftwyrd hieß, nach Hamtun zurückkehren. Zuvor teilten wir die Beute auf, und obwohl Leofric und ich den größten Anteil nahmen, erhielt jeder Mann ein kleines Vermögen. Ich blieb mit Haesten und Iseult zurück und brachte sie nach Oxton, wo Mildrith vor Erleichterung darüber, dass ich noch lebte, in Tränen ausbrach. Ich sagte ihr, dass wir eine Erkundungsfahrt entlang der Küste unternommen hatten, was ja auch der Wahrheit entsprach, und dass uns ein dänisches Schiff voller Wertsachen in die Hände gefallen sei. Ich streute Münzen und Goldstücke auf den Boden und schenkte ihr ein Armband aus Bernstein und eine Halskette aus Jett, und die Geschenke lenkten sie von Iseult ab, von der sie aus großen, dunklen Augen beobachtet wurde. Falls Mildrith die Edelsteine des britonischen Mädchens bemerkte, verlor sie darüber kein Wort.
Unsere Rückkehr traf mit dem Zeitpunkt der Ernte zusammen, die jedoch mager ausfiel, weil es in diesem Sommer allzu viel geregnet hatte. Der Roggen war von einem schwarzen Pilz befallen, und deshalb ließ er sich nicht einmal an die Tiere verfüttern. Aber das Stroh konnte verwendet werden, um das Haus zu decken, das ich baute. Ich habe immer gern gebaut. Die dicken Wände des Hauses bestanden aus Lehm, Kies und Stroh, die miteinander vermengt wurden. Darüber lagen Eichenbalken, die den langen, hohen Dachstuhl trugen, der ebenfalls aus Eichenholz bestand und mit Stroh gedeckt wurde, weshalb das Dach anfangs golden schimmert. Zum Anstrich der Wände löste ich Kalk in Wasser, dem einer der Männer aus dem Nachbardorf Ochsenblut beimischte, sodass die Wände so rot wurden wie ein Abendhimmel im Sommer. Die große Eingangstür wies nach Osten in Richtung der Klippe, und ich bezahlte einen Mann aus Exanceaster dafür, dass er mir |142|die Pfosten und den Türsturz mit Schnitzereien verzierte. Mildrith wollte Heilige dargestellt sehen, doch sie bekam ineinanderverschlungene Wölfe. So wollte ich es, denn das Banner der Bebbanburg, mein Banner, trägt einen Wolfskopf. Ich entlohnte die Arbeiter gut, und als sich herumsprach, dass es bei mir Silber zu verdienen gab, kamen viele, die nach einer Beschäftigung suchten. Und obwohl sie nur meine Wohnhalle bauen sollten, wählte ich nur diejenigen aus, die auch zu kämpfen verstanden. Ich rüstete sie mit Spaten, Äxten, Hacken, Waffen und Schilden aus.
«Du stellst ein Heer zusammen», bemerkte Mildrith vorwurfsvoll. Ihre Erleichterung über meine Rückkehr war schnell verflogen, als deutlich wurde, dass ich mich immer noch nicht in einen Christen verwandelt hatte.
«Ein Heer? Aus siebzehn Männern?»
«Wir haben Frieden», sagte sie. Daran glaubte sie, weil es die Priester predigten, und die Priester sagten nur, was ihnen die Bischöfe zu sagen auftrugen, und die Bischöfe nahmen ihre Befehle von Alfred entgegen. Eines Nachts suchte ein reisender Priester Obdach bei uns und bekräftigte, dass der Krieg gegen die Dänen vorüber sei.
«Aber sie stehen doch immer noch an der Grenze», sagte ich.
«Gott hat ihre Herzen besänftigt», beharrte der Priester, der mir dann sogar noch einzureden versuchte, dass Gott die Lothbrok-Brüder Ubba, Ivar und Halfdan getötet habe und die übrigen Dänen so entsetzt darüber seien, dass sie es nicht mehr wagten, gegen Christen zu kämpfen. «Das ist die Wahrheit, Herr», sagte der Priester feierlich. «Ich habe selbst gehört, wie es in Cippanhamm gepredigt wurde. Der König war auch zugegen und lobte Gott für seine Weisheit. Wir sollen unsere Schwerter zu Pflugscharen und die Speerspitzen zu Sicheln umschmieden.»
|143|Ich lachte über den Gedanken, Schlangenhauch in ein Ackergerät zu verwandeln und die Felder von Oxton damit zu pflügen, denn ich glaubte nicht das Geringste von dem Unsinn, den der Priester erzählte. Die Dänen warteten einen günstigen Moment ab, das war alles, und dennoch schien wirklich Friede zu herrschen, als aus dem Sommer unmerklich Herbst wurde. Die Grenzen blieben ruhig, und kein feindliches Schiff kreuzte vor unseren Küsten. Das Korn wurde gedroschen, wir fingen Rebhühner, jagten in den Bergen Hirsche, legten im Fluss Netze aus und übten uns an unseren Waffen. Die Frauen spannen und sammelten Nüsse, Pilze und Brombeeren. Auch die Äpfel und Birnen waren reif, denn es war die Zeit der Ernte, und das Vieh wurde für die Winterschlachtung gemästet. Wir schmausten wie die Könige, und als mein Palas fertig war, gab ich ein Fest, und Mildrith sah den Ochsenkopf über der Tür. Sie wusste, dass ich damit Thor ein Opfer gebracht hatte, sagte aber nichts.
Mildrith hasste Iseult, was nicht verwundern konnte, denn ich hatte ihr erzählt, dass ich mir für Iseult, die eine Königin der Britonen sei, ein Lösegeld verspräche. So würde es natürlich niemals kommen, aber immerhin konnte diese Geschichte Iseults Anwesenheit erklären. Doch Mildrith nahm es mir übel, dass ich die Britonin in ihrem eigenen Haus wohnen ließ. «Sie ist eine Königin», sagte ich.
«Du nimmst sie mit auf die Jagd», grollte Mildrith.
Ich tat mehr als das mit Iseult, doch meine Frau verschloss die Augen davor. Sie begnügte sich mit ihrer Kirche, ihrem Kind und dem täglichen Einerlei. Ihr unterstanden die Mägde, die Kühe melkten, Butter stampften, Wolle verspannen und Honig sammelten, und Mildrith war immer sehr stolz, wenn diese Dinge gut gerieten. |144|Sooft sich ein Nachbar zum Besuch anmeldete, lief alles durcheinander, und jede Ecke wurde gereinigt, denn sie machte sich Sorgen darüber, was die Nachbarn über ihren Haushalt wohl dachten.
Sie drängte mich, Oswalds Wergeld zu zahlen. Dass ich ihn als Dieb überführt hatte, war für Mildrith unwichtig; sie wollte nur, dass mit der Entrichtung des Wergeldes auch im Tal der Uisc Frieden einkehrte. Sie verlangte sogar von mir, Odda den Jüngeren aufzusuchen. «Ihr könntet Freundschaft schließen», meinte sie.
«Mit dieser Schlange?»
«Und Wirken sagt, du hättest den Zehnten noch nicht bezahlt.»
Wirken war der Priester von Exanmynster, und ich hasste ihn. «Der versäuft den Zehnten doch nur», knurrte ich. Der Zehnte war eine Abgabe, die alle Landbesitzer an die Kirche entrichten mussten, und nach dem Recht hätte ich Wirken einen Teil meiner Ernte schicken müssen, doch ich hatte es nicht getan. Dennoch kam der Priester häufig nach Oxton, und zwar immer dann, wenn er mich auf der Jagd wähnte. Dann trank er mein Bier und aß sich an meinen Speisen dick und fett.
«Er kommt, um mit uns zu beten», sagte Mildrith.
«Er kommt, um zu fressen», entgegnete ich.
«Und er sagt, dass uns der Bischof das Land abnehmen wird, wenn wir die Schulden nicht begleichen.»
«Die Schulden werden beglichen.»
«Wann? Wir haben doch das Geld!» Sie deutete auf den neuen Palas. «Wann?»
«Wenn ich es will», knurrte ich. Ich sagte ihr nicht, wann und von welchem Geld, denn sonst hätten bald auch der Priester und der Bischof Bescheid gewusst. Mit der Bezahlung der Schulden war es nicht getan. Mildriths Vater, |145|dieser Dummkopf, hatte einen Teil der zukünftigen Erträge unseres Landes der Kirche vermacht, diese Last wollte ich los sein, und weil ich sonst bis an mein Lebensende verschuldet wäre, dachte ich daran, den Bischof mit einer Überraschung günstig zu stimmen. Aber davon sollte Mildrith nichts wissen, denn sie hätte unweigerlich nur wieder angefangen zu weinen. Ich war ihrer überdrüssig, und das wusste sie auch. Eines Tages erwischte ich sie dabei, wie sie Iseults Dienerin schlug. Das Mädchen war Angelsächsin, und ich hatte sie Iseult zur Dienstmagd gegeben, doch sie arbeitete auch in der Milchküche, und Mildrith schlug sie, weil nicht alle Käselaiber gewendet worden waren. Ich zerrte Mildrith von ihr weg, was natürlich einen weiteren Streit nach sich zog. Sie war offenbar doch nicht so blind gewesen, wie ich es vermutet hatte, und warf mir vor, dass ich von Iseult Bastarde haben wollte, und das stimmte auch. Aber dann erinnerte ich sie daran, dass ihr Vater auch jede Menge Bastarde in die Welt gesetzt hatte, von denen übrigens ein halbes Dutzend in unseren Diensten stand. «Lass Iseult und ihre Magd in Ruhe», sagte ich, und wieder fing sie zu weinen an. Es waren keine glücklichen Tage.
Mit der Zeit lernte Iseult Englisch zu sprechen, genauer gesagt: ein northumbrisches Englisch, denn sie lernte das meiste von mir. «Du bist mein Mann», sagte sie. Ich war Mildriths Mann und Iseults Mann. Sie sagte, dass sie an dem Tag, an dem ich in Peredurs Palas gekommen sei, neu geboren wurde. «Ich hatte von dir geträumt», sagte sie, «von dem großen Mann mit den goldenen Haaren.»
«Träumst du jetzt nicht mehr?», fragte ich, denn ich wusste, dass sie ihre Weissagungen aus ihren Träumen bezog.
«Doch», antwortete sie. «Von meinem Bruder. Er spricht zu mir.»
|146|«Dein Bruder?», fragte ich überrascht.
«Wir sind Zwillinge», erklärte sie. «Mein Bruder kam zuerst, und als ich dann geboren wurde, starb er. Er ging in die Schattenwelt und berichtet mir seitdem, was er dort sieht.»
«Und was sieht er?»
«Er sieht deinen König.»
«Alfred?», sagte ich missmutig. «Ist das gut oder schlecht?»
«Ich weiß es nicht. Die Träume bleiben unklar.»
Sie war keine Christin. Stattdessen glaubte sie, jeder Ort und jedes Ding sei von einem eigenen Gott oder einer Göttin beseelt: ein Bachlauf von einer Nymphe, ein Wald von einer Dryade, ein Baum von seinem Baumgeist, es gab einen Gott für das Feuer und einen für die See. Der Christengott war für sie, wie auch Thor oder Odin, nur eine von vielen Gottheiten in dieser unsichtbaren Schar der höheren Mächte, und wenn sie träumte, war es ihr, als belausche sie die Götter. Eines Tages, als sie neben mir über die Hügel ritt, sagte sie plötzlich, dass mir Alfred große Macht geben werde.
«Er verachtet mich», erklärte ich ihr, «er wird mir gar nichts geben.»
«Er wird dir Macht geben», beharrte sie einfach. Ich starrte sie an, und sie betrachtete den fernen Horizont, wo sich Meer und Wolken trafen. Ihr langes schwarzes Haar flog im Wind. «Mein Bruder hat es mir gesagt», erklärte sie. «Alfred wird dir Macht geben, und du wirst deinen Besitz im Norden zurückholen, und deine Frau wird ein Wesen aus Gold sein.»
«Meine Frau?»
Sie sah mich an, und in ihrem Blick lag Traurigkeit. «So», sagte sie, «jetzt weißt du es.» Und dann trieb sie |147|mit Tränen in den Augen ihr Pferd an und sprengte über die Hügelkuppe, und ihr Haar wehte im Wind. Ich wollte mehr wissen, doch sie erklärte, sie habe mir alles gesagt, was sie geträumt habe, und damit müsse ich mich zufriedengeben.
Zum Ende des Sommers trieben wir die Schweine in den Wald, um sie mit den herabgefallenen Bucheckern und Eicheln zu mästen. Ich besorgte Säcke voller Salz für die anstehende Schlachtung, denn das Fleisch der Schweine und Rinder musste mit dem Salz gepökelt und in Fässern aufbewahrt werden, damit wir im Winter genug zu essen hatten. Zur Versorgung mit Nahrungsmitteln würden auch unsere Pächter beitragen. Ich stattete ihnen einen Besuch ab und ließ sie wissen, dass ich Weizen, Roggen und Vieh von ihnen erwartete. Um ihnen klarzumachen, was sie erwartete, wenn sie mich zu betrügen versuchten, kaufte ich bei einem Schmied in Exanceaster zwölf gute Schwerter, die ich unter meinen Männern verteilte, und während die Tage kürzer wurden, übten wir uns im Kampf. Im Unterschied zu Mildrith glaubte ich nicht daran, dass Gott die Herzen der Dänen gewandelt hatte.
Der Spätherbst brachte außer viel Regen auch den Landvogt nach Oxton. Harald, so sein Name, war beauftragt, über den Frieden von Defnascir zu wachen. Er kam zu Pferde, begleitet von sechs weiteren Reitern, die mit Kettenhemden und Helmen gerüstet und mit Schwertern oder Speeren bewaffnet waren. Ich empfing ihn im Palas, sodass er vom Pferd absitzen und in die raucherfüllte, dunkle Halle treten musste. Anscheinend rechnete er mit einem Überfall, denn er kam sehr vorsichtig herein. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er mich neben der Feuerstelle in der Mitte der Halle stehen. «Ihr seid vor das Landgericht geladen», sagte er.
|148|Seine Männer waren Harald gefolgt. «Ihr kommt mit Schwertern in mein Haus?», fragte ich.
Harald sah sich um und bemerkte, dass meine Männer Speere und Äxte trugen. Ich hatte den Vogt kommen sehen und ihnen befohlen, sich zu bewaffnen.
Harald galt als vernünftiger und gerechter Mann, und er wusste, dass bei zu vielen Waffen in einem Haus ein Gemetzel drohte. «Wartet draußen», befahl er seinen Männern, worauf ich meinen Leuten mit einer Geste zu verstehen gab, dass sie ihre Waffen ablegen sollten. «Ihr seid vor das …», hob Harald wieder an.
«Ich habe Euch gehört», sagte ich.
«Ihr habt eine Schuld zu begleichen und den Tod eines Mannes zu sühnen.»
Ich erwiderte nichts. Einer meiner Hunde knurrte leise, und ich legte ihm eine Hand auf den Kopf, um ihn zu beruhigen.
«Das Gericht tritt an Allerheiligen zusammen», sagte Harald. «In der Kathedrale.»
«Ich werde da sein», erklärte ich.
Er nahm den Helm ab und entblößte einen nahezu kahlen Kopf mit einem Kranz aus braunen Haaren. Er war mindestens zehn Jahre älter als ich, ein großer Mann. An seiner Schildhand fehlten zwei Finger. Als er auf mich zukam, bemerkte ich, dass er leicht hinkte. Ich beruhigte die Hunde und wartete.
«Ich war bei Cynuit», sagte er leise.
«Genau wie ich», entgegnete ich, «obwohl anderes behauptet wird.»
«Ich weiß um Eure Verdienste.»
«Genau wie ich.»
Er störte sich nicht an meinem mürrischen Gehabe und schien mir wohlgesinnt, doch ich war zu stolz, um |149|erkennen zu lassen, wie wohl mir das tat. «Der Aldermann hat veranlasst, Euer Haus zu besetzen, sobald das Urteil gesprochen ist», warnte er mich.
Im Hintergrund schnappte jemand hörbar nach Luft, und erst jetzt bemerkte ich, dass Mildrith den Raum betreten hatte. Harald verbeugte sich vor ihr.
«Das Haus soll uns genommen werden?», fragte sie.
«Wenn die Schuld nicht bezahlt wird», sagte Harald, «geht Euer Besitz an die Kirche.» Er starrte zu dem neu errichteten Dach hinauf und schien sich zu fragen, warum ich einen Palas auf ein Stück Land gebaut hatte, das schließlich der Kirche zufallen würde.
Mildrith hatte sich neben mich gestellt. Sie war merklich erschüttert von Haralds Vorladung, gab sich aber alle Mühe, ihre Haltung zu bewahren. «Es tut mir leid um Eure Frau», sagte sie.
Der Vogt bekreuzigte sich, und auf seinem Gesicht flackerte Schmerz auf. «Sie war lange krank, nun hat Gott sie in seiner Gnade zu sich genommen.»
Ich hatte nicht gewusst, dass er Witwer war, noch kümmerte es mich besonders. «Sie war eine gute Frau», sagte Mildrith.
«Ja, das war sie», bestätigte Harald.
«Ich bete für sie.»
«Ich danke Euch», sagte Harald.
«So wie ich auch für Odda den Älteren bete», fuhr Mildrith fort.
«Er lebt, Gott sei gepriesen.» Harald bekreuzigte sich abermals. «Aber er ist noch sehr schwach und leidet Schmerzen.» Er berührte seinen kahlen Schädel und zeigte die Stelle, an der Odda der Ältere verletzt war.
«Und wer ist der Richter?», unterbrach ich die beiden gereizt.
|150|«Der Bischof», antwortete Harald.
«Nicht der Aldermann?»
«Der ist in Cippanhamm.»
Mildrith bestand darauf, Harald und seine Männer mit Bier und Speisen zu bewirten. Die beiden sprachen noch lange miteinander und tauschten Neuigkeiten über Nachbarn und Familienangehörige aus. Beide stammten aus Defnascir, ich jedoch nicht, sodass mir kaum jemand, über den sie sich unterhielten, bekannt war. Trotzdem spitzte ich die Ohren, als Harald sagte, Odda der Jüngere würde eine junge Frau aus Mercien heiraten. «Sie ist mit ihrer Familie hierhergeflüchtet», erzählte er.
«Ist sie von hoher Geburt?», wollte Mildrith wissen.
«Von sehr hoher Geburt», antwortete Harald.
«Ich wünsche ihnen alles Gute», sagte Mildrith, und es schien, als meinte sie es ernst. Sie war in guter Stimmung an diesem Tag, froh über Haralds Gesellschaft, doch als er sich schließlich verabschiedet hatte, tadelte sie mich für mein ruppiges Verhalten. «Harald ist ein guter Mann», sagte sie, «ein freundlicher Mann. Er hätte sicher einen guten Rat für dich gehabt. Er hätte dir helfen können!»
Ich hörte nicht auf sie, ging aber zwei Tage später nach Exanceaster, begleitet von Iseult und all meinen Männern. Einschließlich Haesten unterstanden mir jetzt achtzehn Kämpfer. Ich hatte sie mit Waffen, Schilden und Lederpanzern ausgerüstet und führte sie über den Markt, der immer abgehalten wurde, wenn das Gericht tagte. Es gab Stelzengänger und Jongleure zu sehen, einen Mann, der Feuer schluckte, und einen tanzenden Bären. Da waren Bänkelsänger, Harfner, Geschichtenerzähler, Bettler, jede Menge Federvieh und Pferche voller Schafe, Ziegen, Kälber und Schweine. Käselaiber, Räucherfisch, mit Schmalz gefüllte Schweinsblasen, Töpfe voll Honig, Stiegen mit |151|Äpfeln und Körbe mit Birnen. Iseult, die zum ersten Mal in Exanceaster war, staunte über die Größe der Stadt mit ihren dicht an dicht gebauten Häusern und das geschäftige Leben. Ich sah Leute, die sich bei ihrem Anblick bekreuzigten, denn es hatte sich herumgesprochen, dass auf Oxton eine fremde, heidnische Schattenkönigin lebte.
Die Bischofspforte wurde von Bettlern belagert. Da waren eine verkrüppelte Frau mit einem blinden Kind und an die zwei Dutzend Männer, die im Krieg Arme oder Beine verloren hatten. Ich warf ihnen eine Handvoll Pennys hin und ritt, den Kopf unter dem Torbogen geduckt, in den Hof neben der Kathedrale, wo etliche Häftlinge in Ketten lagen und auf ihr Urteil warteten. In einer Ecke kauerten, eingeschüchtert von den Häftlingen, mehrere Mönche, die Bienenkörbe flochten, während etwa zwölf bewaffnete Männer um drei Feuer saßen. Sie warfen argwöhnische Blicke auf meine Begleiter, und ein junger Priester kam aufgeregt gestikulierend durch die Pfützen herbeigelaufen. «Waffen sind auf dem Domplatz nicht gestattet!», erklärte er streng.
«Die sind auch bewaffnet», sagte ich und nickte in Richtung der Männer, die sich am Feuer wärmten.
«Das sind die Männer des Landvogts.»
«Je eher meine Sache geregelt ist», sagte ich, «desto schneller sind meine Waffen wieder verschwunden.»
Er blickte ängstlich zu mir auf. «Eure Sache?»
«Ich muss mit dem Bischof reden.»
«Der Bischof betet gerade», entgegnete der Priester, brüskiert, als ob ich das hätte wissen müssen. «Außerdem empfängt er nicht jeden. Ihr könnt mit mir reden.»
Ich lächelte und sagte mit leicht erhobener Stimme: «Vor zwei Jahren war Euer Bischof einer jungen Frau namens Eanflæd äußerst zugetan. Sie hat rotes Haar und |152|arbeitet im Wachtelkönig, das ist ein Gasthaus. Sie ist eine Hure.»
Der Priester gestikulierte wieder in einem Versuch, mich dazu zu bewegen, leiser zu sprechen.
«Ich war bei Eanflæd», fuhr ich fort, «und sie hat mir viel vom Bischof erzählt. Sie hat gesagt …»
Die Mönche hatten aufgehört, ihre Körbe zu flechten und hörten zu, doch der Priester unterbrach mich halb schreiend: «Vielleicht hat der Bischof doch einen Moment Zeit für Euch.»
«Dann meldet ihm, dass ich gekommen bin», sagte ich freundlich.
«Seid Ihr Uhtred von Oxton?», fragte er.
«Nein», entgegnete ich. «Ich bin Graf Uhtred von Bebbanburg.»
«Ja, gnädiger Herr.»
«Mitunter auch bekannt als Uhtredærwe», fügte ich hämisch hinzu. Uhtred der Böse.
«Ja, Herr», wiederholte der Priester und hastete davon.
Alewold war eigentlich der Bischof von Cridianton, aber weil dieser Ort als nicht so sicher wie Exanceaster galt, lebten die Bischöfe von Cridianton schon seit vielen Jahren in der größeren Stadt, was jedoch, wie ihnen Guthrum zeigte, nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen war. Guthrums Dänen hatten die Kathedrale geplündert und auch den Bischofssitz nicht verschont, der, wie ich nun sah, immer noch nur aufs Notdürftigste eingerichtet war. Alewold saß an einem Tisch, der aus einem Schlachthaus zu stammen schien. Die dicke Tischplatte war übersät mit Kerben und Flecken alten Blutes. Der Bischof musterte mich empört. «Ihr solltet nicht hier sein», sagte er.
«Warum nicht?»
|153|«Weil Ihr morgen vor Gericht zu erscheinen habt.»
«Morgen», sagte ich, «seid Ihr Richter. Heute seid ihr Bischof.»
Alewold nahm meine Bemerkung mit einem kleinen Kopfnicken hin. Er war ein älterer Mann mit fülligem Gesicht und stand im Ruf, ein strenger Richter zu sein. Als die Dänen über Exanceaster hergefallen waren, hatte er sich mit Alfred in Scireburnan aufgehalten. Diesem Umstand verdankte er sein Leben. Wie alle Bischöfe in Wessex war er ein glühender Anhänger des Königs, und ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass Alewold wusste, wie sehr mich Alfred ablehnte, und das bedeutete: Vor Gericht konnte ich von ihm keine Milde erwarten.
«Ich habe zu tun», sagte Alewold und deutete auf die Schriftstücke, die über den fleckigen Tisch verteilt lagen. Mit am Tisch saßen zwei Schreiber, und hinter dem Stuhl des Bischofs hatten sich sechs Priester zusammengeschart, die aus ihrer Abneigung mir gegenüber kein Hehl machten.
«Meine Frau», sagte ich, «hat eine Schuld an die Kirche geerbt.»
Alewold warf einen Blick auf Iseult, die als Einzige mit mir in das Gebäude gekommen war. Sie sah wunderschön aus, stolz und vermögend. Am Hals und im Haar trug sie silbernen Schmuck, und der Umhang wurde von zwei Broschen zusammengehalten, die eine aus Jett, die andere aus Bernstein. «Eure Frau?», fragte der Bischof abfällig.
«Ich bin gekommen, um die Schulden abzutragen», sagte ich, ohne auf seine Frage einzugehen, warf einen Sack auf seinen Schlachtertisch, und der große Silberteller, den wir auf Ivars Schiff gefunden hatten, rutschte heraus. Das Silber machte ein sattes Geräusch, als es auf den Tisch prallte, und plötzlich wurde es in dem engen |154|düsteren Raum, dessen Licht nur von drei Binsenlampen und einem kleinen, holzvergitterten Fenster kam, so hell, als wäre die Sonne aufgegangen. Alewold starrte wie gebannt auf das schwere, glänzende Silber.
Es gibt gute Priester. Beocca und Willibald zählen dazu, doch habe ich in meinem langen Leben die Erfahrung gemacht, dass die meisten Kirchenmänner Armut predigen, selbst aber dem Reichtum verfallen sind. Sie lieben das Geld, und die Kirche zieht Geld an, wie eine Kerze die Motten. Ich wusste, dass es Alewold nach Geld gelüstete, mindestens ebenso sehr wie nach den Freuden, die eine rothaarige Hure aus Cippanhamm zu spenden vermochte. Er konnte seinen Blick nicht von dem Teller abwenden. Er streckte die Hand aus und streichelte den dicken Rand, als könne er seinen Augen nicht trauen. Dann zog er den Teller zu sich und musterte die zwölf Apostel. «Eine Patene», sagte er ehrfurchtsvoll.
«Ein Teller», sagte ich lässig.
Einer der Priester beugte sich über die Schultern eines Schreibers. «Irische Arbeit», bemerkte er.
«Sieht ganz danach aus», bestätigte Alewold. Dann blickte er mich argwöhnisch an. «Den wollt Ihr der Kirche zurückgeben?»
«Zurückgeben?», fragte ich unschuldig.
«Dieser Hostienteller ist offensichtlich gestohlen worden», sagte Alewold, «und Ihr tut gut daran, Uhtred, ihn zurückzubringen.»
«Ich habe ihn eigens für Euch anfertigen lassen», erklärte ich.
Er hob den Teller hoch und drehte ihn herum, was ihn einige Mühe kostete, denn er war schwer. Dann zeigte er auf ein paar Kratzer auf der Rückseite. «Er ist alt», sagte er hochnäsig.
|155|«Ich habe ihn in Irland machen lassen», entgegnete ich. «Anscheinend sind die Männer, die ihn übers Meer gebracht haben, nicht sorgfältig mit ihm umgegangen.»
Er wusste, dass ich log, doch das kümmerte mich nicht. «Es gibt auch in Wessex Silberschmiede, die in Eurem Auftrag eine Patene hätten anfertigen können», schnauzte einer der Priester.
«Ich hatte gehofft, Euch eine Freude machen zu können», sagte ich, und dann beugte ich mich vor und nahm dem Bischof den Teller aus den Händen. «Wenn Ihr aber eine Arbeit aus Westsachsen bevorzugt, könnte ich …»
«Gebt ihn mir zurück!», sagte Alewold, und als ich seinem Wunsch nicht eilfertig entsprach, schlug er einen geradezu flehentlichen Ton an. «Er ist wunderbar.» Er sah ihn wohl schon in seiner Kirche oder vielleicht sogar im eigenen Haus ausgestellt, und er wollte ihn. Es herrschte Schweigen, während er ihn erneut betrachtete. Hätte er im Vorhinein von dem Teller gewusst, hätte ich Mildrith davon erzählt, wäre er um eine passende Antwort nicht verlegen gewesen. So aber überwältigte ihn der glühende Wunsch, den kostbaren Silberteller zu besitzen. Eine Magd kam mit einem Trinkgefäß in den Raum, doch er scheuchte sie gleich wieder hinaus. Sie hatte, wie mir auffiel, rote Haare. «Ihr habt diese Patene also anfertigen lassen», wiederholte der Bischof zweiflerisch.
«In Dyflin», sagte ich.
«Seid Ihr mit des Königs Schiff dorthin gefahren?», erkundigte sich der Priester, der mich angeschnauzt hatte.
«Wir haben eine Erkundungsfahrt an der Küste gemacht», antwortete ich, «mehr nicht.»
«Der Wert dieses Tellers …» Alewold führte den Satz nicht zu Ende.
«Er übersteigt die von Mildrith geerbte Schuldlast bei |156|weitem», ergänzte ich. Ob dies tatsächlich der Fall war, wusste ich nicht, doch ungefähr kam es vermutlich hin, außerdem konnte ich Alewold ansehen, dass ihn diese Frage nicht kümmerte. Ich würde also bekommen, was ich wollte.
Die Schuld war getilgt. Ich bestand auf einer schriftlichen Erklärung in dreifacher Ausfertigung und überraschte Alewold und seine Priester damit, dass ich lesen und somit entdecken konnte, dass im ersten Pergament keine Rede davon war, dass die Kirche auf ihre Ansprüche an meinen zukünftigen Ernteerträge verzichtete. Doch das wurde verbessert, und ich ließ dem Bischof eine Abschrift und nahm die beiden anderen an mich. «Wegen der Schuld wirst du nicht angeklagt», sagte der Bischof, während er seine Siegel in das Wachs der letzten Abschrift drückte, «aber da wäre noch Oswalds Wergeld.»
«Ich vertraue auf Euer weises Urteil, Bischof», sagte ich, öffnete den Beutel, der unter meinem Wams hing, und entnahm ihm ein kleines Goldstück. Als ich es auf den Teller legte, ließ ich ihn absichtlich sehen, dass noch mehr Gold in dem Beutel steckte. «Oswald war ein Dieb.»
«Seine Familie wird seine Unschuld beschwören», entgegnete der Priester.
«Und ich kann Männer bringen, die schwören, dass er gestohlen hat», sagte ich. Über einen Streit vor Gericht entschieden meist Schwüre, aber auf beiden Seiten wurde auf Biegen und Brechen gelogen, und gewöhnlich wurde den besseren Lügnern recht gegeben. Wirkten beide Seiten gleichermaßen überzeugend, setzte sich die Seite durch, die die Zuschauer für sich hatte gewinnen können. Es war also das Beste, sich die Gunst des Richters zu sichern. Oswalds Familie würde in der Gegend von Exanceaster viele Fürsprecher aufbieten können, doch auch ein |157|Gericht lässt sich mit Gold immer noch am schnellsten überzeugen.
Und so war es auch diesmal. Zu Midriths Überraschung war die Schuld beglichen, und Oswalds Familie konnte sich mit ihrer Forderung von zweihundert Schillingen Wergeld nicht durchsetzen. Im Vertrauen auf die Überzeugungskraft des Goldes verzichtete ich sogar darauf, vor Gericht zu erscheinen, und tatsächlich entschied der Bischof in meinem Sinne. Oswald sei, so sagte er, ein bekannter Dieb gewesen. Ich hatte gewonnen, meine Beliebtheit wurde dadurch allerdings nicht gesteigert. Für die Bewohner des Uisc-Tals war und blieb ich ein Fremdling aus Northumbrien und schlimmer noch, ein Heide. Doch niemand wagte es, mir die Stirn zu bieten, denn ich verließ Oxton nie ohne die Begleitung meiner Männer, und meine Männer verließen Oxton nie ohne ihre Waffen.
Die Ernte war eingebracht. Die Dänen hätten bei uns jetzt ausreichend Verpflegung für ihre Kämpfer gefunden, doch weder Guthrum noch Svein überquerte die Grenze. Statt ihrer kam der Winter. Wir schlachteten das Vieh, pökelten Fleisch, gerbten das Leder und kochten Sülze aus Kalbsfüßen. Ich war ständig darauf gefasst, die Kirchenglocken zu ungewöhnlichen Zeiten läuten zu hören, was einen Angriff der Dänen bedeutet hätte, doch die Glocken blieben stumm.
Mildrith betete, dass der Friede andauern möge. Ich aber, jung und gelangweilt wie ich war, betete um das Gegenteil. Während sie den Christengott um Beistand bat, ging ich mit Iseult tief in die Wälder, um Hoder, Odin und Thor Opfer darzubringen. Und die Götter erhörten uns, denn im Dunkel unter dem Weltenbaum, wo die drei Spinnerinnen über unsere Geschicke entscheiden, wurde ein roter Faden in mein Leben gewebt. Dem Schicksal |158|entrinnt nichts und niemand, und kurz nach dem Julfest schickten die Spinnerinnen einen königlichen Gesandten mit einem Ruf nach Oxton. Iseults Traum, der mir Alfreds Gunst verheißen hatte, schien Wirklichkeit zu werden, denn der König berief mich in seinen Witan nach Cippanhamm.