Mitteilungen über das Eheleben

 

 

 

 

 

Gnazio wachte ein wenig später auf als gewöhnlich, dennoch war der Tag gerade erst angebrochen. Maruzza lag nicht neben ihm, sie war bereits aufgestanden.

War sie vielleicht schon hinuntergegangen, um ein bisschen Ziegenmilch zu trinken oder ein eben frisch gelegtes, noch warmes Ei auszuschlürfen?

Doch dann hörte er sie mit lauter Stimme singen. Sie musste auf der oberen Etage sein und das Meer betrachten.

Er stand auf, stieg nach oben, betrat das Zimmer, ging aber nicht weiter, denn der nächste Schritt hätte ihn gezwungen, das Meer anzuschauen.

Stattdessen konnte er von da, wo er etwas zurückgezogen stand, Maruzza in ihrer ganzen Nacktheit betrachten, mit ihrem blonden Haar, das ihr bis zu den Füßen reichte, ans Balkongeländer gelehnt und ihm mit dem Rücken zugewandt.

Hungrig und gierig, wie er nach ihrem Fleisch war, hatte er in der vergangenen Nacht nicht gewusst, ob er sie zuerst ausgiebig, Zentimeter für Zentimeter streicheln oder sie Handbreite um Handbreite beschnuppern sollte, ob es besser war, sie Stückchen für Stücken genießerisch abzuschlecken oder sein Auge von Hautfalte zu Hautfalte wandern zu lassen, oder ob er am Ende nicht doch eher mit dem Ohr ihren Körper abhorchen sollte, wie ihr Herz schlug, wie sie atmete.

Kurzum, es war ein einziges Drängen gewesen, ein atemloses Rein und Raus, ein unablässiger Aufruhr. Genau wie bei einem großen Fressen, wenn man irgendwann nicht mehr mitbekommt, ob man sich Schweine- oder vielleicht doch eher Lammfleisch in den Mund schiebt.

Nun, da er seine Begierde ein wenig gestillt hatte, aber wirklich nur ein wenig, und sie in Ruhe betrachten konnte, bewahrte er sich mit Mühe davor, auf die Knie zu sinken und vor Maruzzas Körper ein feierliches Dankesgebet zu sprechen, wie man es bei einem Wunder tut, bei einem Gnadenbeweis des Himmels. Er betrachtete sie wie eine Landschaft, die einen verzaubert, die sanften Linien ihrer Hüften, die beiden nur durch eine schmale Schlucht voneinander getrennten Hügel, den Rücken, der wie eine Ebene war, auf der man sommers wie winters aussäen konnte, die Rückseite ihrer Beine, die an den geraden Wuchs junger Bäume erinnerten.

In der rechten Hand hielt Maruzza die große Muschel und sang in sie hinein.

Sie sang leise und ohne Worte.

«O Wasser, o Meer», sang sie, «ich will von meinem Glück dir erzählen, von meiner Nacht in den Armen eines Mannes, der ein echter Mann ist. Ich will dir sagen, dass ich nun endlich weiß, was die Liebe ist, ein Geben und Nehmen, Zurückhalten und Verschwenden, Süße und Bitternis … Und sich der Liebe hingeben ist wie deine Welle, wenn sie sachte, sachte brandet, vor und zurück, vor und zurück, ein Wogen, das leider nicht ewig ist wie das deine, es währt nur kurz, doch dieser Moment reicht aus, uns zu beglücken …»

Dann musste sich Gnazio wohl geregt haben, denn Maruzza brach ab und drehte sich um. Sie lächelte ihm zu, kam herein, stellte die Muschel ab, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Bett.

Eines Abends im Oktober, als sie sich gerade hingelegt hatten und Gnazio gleich nach Maruzza suchte, weil er nie genug von ihr bekommen konnte, sagte sie zu ihm:

«Heute Nacht nicht.»

«Warum?»

«Es würde mir Schmerzen bereiten.»

«Wieso sollte es dir Schmerzen bereiten?»

«Weil ich fühle, wie ich mich verschließe.»

«Was soll das heißen?»

«Hast du noch nie eine Muschel im Meer gesehen? Sie öffnet sich und sie verschließt sich, dicht und fest. Jetzt beginnt das mit mir, was Donna Pina dir gesagt hat. Daher bereite dich vor, das zu tun, was du tun musst.»

Um sieben Uhr in der Frühe nahm Gnazio das Maultier und eilte zum Sohn von Aulissi.

«Richte eilig den Karren her und komm mit mir!»

Sie nahmen die vier Fässer und hievten sie auf den Karren. Maruzza sah ihnen vom Balkon aus zu, sie hielt die Muschel in der Hand, aber sie sang nicht.

«Solange sie leer sind», sagte Aulissi, «schaffe ich das, sie vom Karren auf den Strand zu setzen und sie mit Meerwasser zu füllen. Doch wenn sie voll sind, vermag ich sie nicht mehr allein wieder auf den Karren zu hieven. Sie werden zu schwer. Ich brauche mindestens einen, der mir zur Hand geht.»

«Aber ich kann nicht mit dir kommen.»

«Dann lasse ich mir von einem Fischer helfen, am Strand unten findet man immer einen. Was aber, wenn er bezahlt werden will?»

Gnazio gab ihm ein wenig Geld, und Aulissis Sohn machte sich auf den Weg.

«Wer ist dieser Junge mit dem Karren?», fragte Maruzza ihn.

«Das ist Aulissi, der Sohn von Aulissi Dimare. Du erinnerst dich, er nahm sich das Leben, indem er sich ins Meer …»

«Ich erinnere mich», unterbrach ihn Maruzza. «Er sieht ganz aus wie sein Vater.»

Sie redeten noch eine Weile miteinander, dann ging Gnazio seiner Arbeit nach. Und während er die Kartoffeln aushackte, fiel ihm wieder ein, was Maruzza gesagt hatte, nämlich dass Aulissi, Sohn des Aulissi, ganz so aussehe wie sein Vater. Doch wann hatte Maruzza Vater Aulissi kennengelernt? An jenem Tag, an dem Vater Aulissi gekommen war, um seine Bäume zu veredeln, und sich dann das Leben genommen hatte, konnte er unmöglich seiner Frau begegnet sein. Doch war er von der Urgroßmutter gesehen worden, die ihn für jemand anderen gehalten hatte. Vielleicht hatte Minica ja mit Maruzza über ihn geredet und ihr erzählt, wie dieser Mann beschaffen war. Und Gnazio dachte nicht mehr weiter daran.

Aulissi kehrte nach ungefähr drei Stunden zurück. Gnazio ging ihm auf der Straße entgegen, das eine Ende des Pumpenschlauchs in der Hand. Das andere Ende hatte er bereits in die erste Zisterne gesteckt.

«Halte hier an! Warum hast du so lange gebraucht?»

«Don Gnazio, ich habe so lange gebraucht, weil ich niemanden gefunden habe, der mir geholfen hätte. Dann kamen zwei Fischer, aber die wollten alles Geld, das ich bei mir hatte.»

Gnazio verstand augenblicklich, dass das so nicht stimmte. Die Fischer hatten ihm mit Sicherheit geholfen, ohne sich bezahlen zu lassen, und Aulissi hatte das Geld eingesackt. Er war schlau und durchtrieben wie sein Vater, dieser Sohn von Aulissi.

Wegen der starken Neigung ergoss sich das Meerwasser in die beiden Zisternen, dass es eine Freude war. Sie stellten die Fässer zurück an ihren Platz, und nachdem er den vereinbarten Lohn bekommen hatte, fuhr Aulissi mit dem Karren wieder davon.

«Marù, das Wasser steht bereit.»

Maruzza kam vom Schlafzimmer herunter, nur in ein Laken gehüllt und die Muschel in der Hand. Sie kam heraus, ging zur ersten Zisterne, stieg die Treppe hinauf, warf das Laken ab und setzte sich auf den Rand. Sie legte die Muschel zur Seite, glitt dann, sich mit beiden Händen haltend, ins Wasser hinein und verschwand. Gnazio, der ganz verzaubert dastand und sie betrachtete, sah, wie ihre Hand auftauchte, nach der Muschel griff und sie mit hinunter nahm. Nach einer Weile hörte er sie singen.

«O Wasser des Meeres, gefangen wie ich», sang sie, «vielleicht sind wir eines Tages wieder frei wie einst … Weißt du noch, wie vor tausend Jahren du mit mir spieltest und einen Delphin mir schenktest, ich umarmte ihn, und er trug mich fort, weit, weit fort …»

Das war ein so wehmütiges Lied, dass Gnazio, um es nicht hören zu müssen, seine Hacke nahm und arbeiten ging. Doch auch in der Ferne erreichten ihn Maruzzas Worte deutlich und klar. Jetzt sang sie ein anderes Lied, in dem es hieß, wie schön es ist, wenn der Schlaf dich überkommt und die Welt um dich herum nach und nach ihre Farben verliert, sie wird grau, und die Augenlider werden schwer, so schwer, dass sie nicht länger offen bleiben können …

Es ist nicht klar, wie es kam, doch Gnazio wurde so sehr von Müdigkeit übermannt, dass er sich unter einen Baum legte und einnickte. Kurz bevor er jedoch ganz ins Dunkel des Schlafes hinüberglitt, hörte er, dass Maruzza ein anderes Lied begonnen hatte.

«O mein heißbegehrter Geliebter, o mein Geliebter, schön wie die Sonne, lass mich nicht länger warten, ich bin nackt im Meerwasser, das mich streichelt wie deine Hände …»

Als er aufwachte und die Sonne sah, erkannte er, dass er mindestens, allermindestens vier Stunden geschlafen haben musste und es nun Zeit war zu essen.

Maruzza hatte Pasta und Bohnen und Fleisch mit Tomatensoße bereitet. Aber sie hatte nur ein Gedeck aufgelegt.

«Isst du denn nicht?»

«Ich bin ganz satt», antwortete Maruzza.

Sie hatte ein zufriedenes, glückliches Aussehen. Wie war es nur möglich, dass sie noch schöner geworden war? War das die Wirkung, die das Bad im Meerwasser hervorrief? Hin und wieder fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen und lächelte dann, als würde sie einem Gedanken nachhängen. Sie saß vor ihrem Gatten, der angefangen hatte zu essen, und für Gnazio, der sie anblickte, war sie wie eine Katze, die gerade eine Maus verspeist hatte.

«Ist die Zisterne so, wie du sie wolltest?»

«Ganz so.»

«Hat dir das Wasser gereicht?»

«Es hat mir gereicht.»

«Dann werde ich, wenn ich mit dem Essen fertig bin, den Pfropfen herausziehen und die erste Zisterne leeren.»

«Nein», sagte Maruzza. «Das musst du heute Nacht tun, wenn es stockdunkel ist.»

Gegen fünf Uhr nachmittags ließ Maruzza sich in die zweite Zisterne hinab und blieb dort singend bis um acht.

«Brauchst du morgen wieder Wasser?», fragte Gnazio sie.

«Nein.»

«Kann ich die Zisterne leeren?»

«Diese hier wohl. Die andere erst, wenn es ganz dunkel ist.»

Als Gnazio vor dem Zubettgehen die erste Zisterne entpfropfte, schoss das Wasser zunächst heraus wie eine Fontäne, danach wurde es schwächer, so als wäre da etwas, das die Öffnung verstopfte. Der Mond schien nicht, und Gnazio konnte nichts sehen. Da beschloss er, den Pfropfen nicht wieder hineinzustecken, damit die Zisterne sich während der Nacht weiter entleeren konnte.

«Sei geduldig bis morgen», sagte Maruzza zu ihm mit schläfriger Stimme, als Gnazio sie mit seiner Hand suchte.

Am nächsten Morgen wachte Gnazio beim ersten Tagesdämmer auf. Maruzza, und das war sehr seltsam, schlief noch. Vielleicht hatten die sechs Stunden im Meerwasser sie so ermüdet. Durch das Fenster fiel ein Lichtstrahl, der sich genau auf Maruzzas entblößten Bauch legte, die wegen der Hitze das Betttuch zerwühlt hatte. Sie lag auf dem Rücken, die Beine leicht auseinander, ein Arm hinter dem Kopf, der andere hing am Bett herunter. Gnazio setzte sich auf und betrachtete sie aus der Nähe. Sie sollte eine Sirene sein? Sie war eine Frau, und was für eine! Ihre Weiblichkeit befand sich genau da, wo sie sein musste. Was für einen Unsinn erzählte ihm Maruzza da nur?

Doch während er hinunterging, kam ihm ein Gedanke. Er hatte tags zuvor nicht die Möglichkeit gehabt, sie so zu betrachten. Daher war es ja durchaus möglich, dass die Weiblichkeit Maruzza am vorhergehenden Tag gefehlt hatte. Vielleicht hatte sie sich verschlossen und war erst über Nacht wieder zum Weib geworden. Jedenfalls, das wirklich Wichtige, ja, das einzig Wichtige war, dass ihre Weiblichkeit jetzt wieder da war.

Gegen Mittag, als er mit seiner Arbeit zugange war, hörte er, wie Maruzza ihn vom Balkon aus rief.

«Gnazio! Komm nach Hause, man will mit dir reden!»

Unter dem Olivenbaum standen zwei städtisch gekleidete Männer. Der eine war um die vierzig und untersetzt, mit goldener Brille, der andere war jünger.

Polizei!, dachte Gnazio auf der Stelle.

Denn die Polizei, ob in Vigàta oder in New York, sieht immer gleich aus. Und so war es.

«Ich bin der Amtsbevollmächtigte Pàmpina», sagte der mit der Brille. «Und das hier ist Wachtmeister Prestia. Seid Ihr Manisco Ignazio?»

«Ja doch, ja. Möchtet Ihr ein Glas Wein?»

«Nein.»

«Möchtet Ihr ins Haus kommen?»

«Ja.»

Sie gingen hinein, Pàmpina und Gnazio setzten sich, Prestia blieb stehen.

«Kennt Ihr einen jungen Mann mit Namen Dimare Ulisse?»

«Aber sicher.»

«Trifft es zu, dass Ihr gestern in aller Frühe zu ihm gegangen seid, weil Ihr ihn und seinen Karren gebraucht habt?»

«Das stimmt.»

«Erzählt mir, was Ihr gemacht habt.»

Gnazio erzählte ihm alles. Der Bevollmächtigte wirkte ein wenig verstört.

«Aber wozu braucht Ihr so viel Meerwasser?»

Gnazio erzählte ihm eine Halbwahrheit.

«Weil meine Frau hin und wieder Lust auf ein Bad in Meerwasser hat.»

«Warum geht sie dann nicht zum Strand, der ist doch in der Nähe?»

«Ich kann sie nicht dahin begleiten, und am Strand gibt es viele Fischer.»

«Verstehe … Und nachdem der Junge mit dem Karren wieder abgefahren ist, habt Ihr ihn danach nochmal gesehen?»

«Nein, nicht.»

«Und Eure Frau?»

Statt einer Antwort rief Gnazio Maruzza herbei. Und sobald sie auf der Holztreppe erschien, sagte er:

«Fragt sie selbst!»

Wie schön Maruzza war, merkte Gnazio daran, dass der Amtsbevollmächtigte von seinem Stuhl hochfuhr und aufrecht stehen blieb, fast schon in Habtachtstellung. Und Prestia zeigte sich ziemlich benommen und hielt sich am Tisch fest.

«Si… Si… Signora …», sagte der Bevollmächtigte. «Mir … mir … tut es leid, Euch zu stören, doch ich muss Euch fragen, ob Ihr gestern Morgen …»

«Ich habe alles gehört, was Ihr meinem Mann gesagt habt», unterbrach ihn Maruzza. «Nein, diesen Jungen habe ich nicht mehr gesehen, nachdem er das Wasser gebracht hat.»

«Danke», sagte Pàmpina.

«Bitte», sagte Maruzza.

Und sie stieg wieder nach oben.

«Darf ich erfahren, was geschehen ist?», fragte Gnazio.

«Der Junge ist mit dem Karren nach Hause zurückgekehrt, doch nach einer Weile sagte er zu seiner Mutter, er würde weggehen, weil er eine Stimme gehört hätte, die ihn rief, und danach ist er nicht mehr wiedergekommen. Zeigt Ihr mir, wo Eure Frau das Bad nimmt?»

Gnazio brachte sie zur ersten Zisterne. Er bemerkte, dass sie sich während der Nacht völlig geleert hatte, und setzte den Pfropfen wieder ein.

«Warum habt Ihr kein Becken gebaut?», fragte Pàmpina.

«Weil jeder, der den Weg entlangkommt, meine Frau in einem Becken hätte sehen können.»

«Das ist richtig», sagte der Amtsbevollmächtigte. «Wir gehen jetzt. Meiner Ansicht nach verlieren wir hier nur unsere Zeit. Der Junge wird irgendeinem Mädchen nachgestiegen sein.»

Als der Amtsbevollmächtigte und der Wachtmeister gegangen waren, deckte Maruzza den Tisch nur für einen.

«Isst du denn nicht auch?», fragte Gnazio.

«Ich habe keinen Appetit.»

«Fühlst du dich nicht wohl?»

«Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen! Soll ich dir was sagen?»

«Aber sicher.»

«Ich habe dem Amtsbevollmächtigten nicht die Wahrheit gesagt. Aulissi kam zurück, kurz nachdem du arbeiten gegangen warst. Während ich in der Zisterne war, kam er plötzlich herein, nackt, und umarmte mich. Er wollte das Eine mit mir tun, er war wie von Sinnen.»

Gnazio fühlte sich unversehens wie ausgedörrt.

«Und weiter?»

«Da habe ich ihn mit aller Kraft gepackt und seinen Kopf lange unter Wasser gehalten. Danach habe ich ihn losgelassen. Halb ertrunken gelang es ihm, den Rand der Zisterne zu fassen, er kletterte hinaus und lief weg.»

«Wieso hast du mir das nicht gleich erzählt?»

«Weil du, wenn ich es dir erzählt hätte, auf der Stelle zu ihm gegangen wärst und ihn umgebracht hättest. Jetzt musst du jemand Neuen finden, der das Wasser holen geht.»

Nachdem der erste Zorn verflogen war, dachte Gnazio, wie glücklich er war, eine Frau zu haben, die vor nichts und niemandem Angst hatte.

Als er abends zum Essen zurückkehrte, fand er den Tisch nur für einen gedeckt.

«Noch immer?! Auch heute Abend isst du nichts?»

«Mach dir keine Gedanken!»

Dafür zeigte sich Maruzza, als sie zu Bett gingen, begierig auf andere Dinge. Doch sie aß erst nach fünf Tagen wieder normal.

Ist ja möglich, dass es so ist, nachdem sie sich wie eine Sirene gefühlt hat, sagte Gnazio sich.

Ein paar Monate nach ihrer Hochzeit sagte Maruzza ihm eines Abends, als sie zu Bett gingen, mit so leiser Stimme, dass er es zuerst gar nicht verstand:

«Bin schwanger.»

«Was?»

«Ich bin schwanger. Guter Hoffnung.»

Gnazios Gefühle waren derart, dass er vom Bettrand, auf dem er saß, herunterrutschte und auf seinem Hinterteil landete.

«Maria! Maria! Maria!», rief er immer wieder und konnte gar nichts anderes sagen.

Und dann fing er wie ein kleiner Junge vor Freude an zu weinen. Da packte ihn Maruzza mit einer Hand bei den Haaren, zog ihn wieder ins Bett und ließ ihn auf ihr liegen.

Am nächsten Morgen, als es noch dunkel war, kam Donna Pina vorbei, die hin und wieder ein bisschen verweilte, ein Gläschen Wein trank und einen kleinen Schwatz hielt. Maruzza gab ihr die schöne Nachricht.

«Gehen wir ins Schlafzimmer!», sagte Donna Pina.

Gnazio wollte den Frauen hinterhergehen.

«Ihr nicht!», herrschte die Alte ihn an.

Doch Gnazio war von allzu großer Neugier ergriffen. Er wartete ein kurzes Weilchen, zog sich die Schuhe aus und schlich die Treppe bis zur Höhe des Schlafzimmers hinauf. Wenn er den Kopf ein Stückchen hob, konnte er hineinsehen. Er sah, wie Donna Pina die Schüssel nahm, etwas Wasser hineingoss und auf Maruzzas Bauch stellte, die nackt auf dem Bett lag. Dann steckte sie ihre Hand in die Tasche, zog ein winziges weißes Fläschlein heraus, drehte den Korken heraus, der ebenfalls aus weißem Glas war, und ließ fünf Tropfen einer grünen Flüssigkeit ins Wasser fallen. Sie verschloss das Fläschlein wieder mit dem Korken und steckte es in die Tasche zurück. Sie beugte sich weit nach vorne, blickte dann in die Schüssel und sagte:

 

Kindlein, das dir Gott bald sendet,

beantworte meine Frage, die alles wendet,

im Namen Josephs und Mariens bitt’ ich,

sag der Hex’ die Antwort schicklich.

Willst die Antwort mir nicht nennen,

sollst im ewigen Feuer brennen.

Willst du sie mir aber geben,

sollst im Frieden des Ewigen leben.

Zeit geb’ ich dir nun bis drei,

sag, ob’s so oder nicht so sei.

 

Sie richtete sich auf, breitete die Arme aus, schloss die Augen und machte eine Kreisbewegung in der Luft.

«Und eins.»

Zweite Kreisbewegung.

«Und zwei.»

Dritte Kreisbewegung.

«Und drei.»

Sie öffnete die Augen, blickte in die Schüssel und sagte:

«Es wird ein Junge!»

Gnazio wurde es schwarz vor Augen, er wurde ohnmächtig und stürzte die Treppe hinunter. Es fehlte nur wenig, und er hätte sich das Genick gebrochen.

Bevor sie ging, fragte Donna Pina Maruzza:

«Soll ich es deiner Urgroßmutter sagen?»

Da dachte Gnazio, dass er Minica seit dem Tag der Hochzeit nicht mehr gesehen hatte. Besser so.

«Sagt’s ihr», antwortete Maruzza.

Doch am Abend des nächsten Tages überbrachte Donna Pina die Antwort der Urgroßmutter:

«Wär’s ein Mädchen, käm’ ich wohl schnell, doch für einen Jungen rühr ich mich nicht von der Stell’.»

Ja, wie denn, was denn? Glänzen die Fische jetzt vom Ende her? Nicht mehr vom Maul, sondern vom Schwanz? Hat es nicht immer geheißen, ein Sohn würde Reichtum im Hause bedeuten? Während ein Mädchen wenig bis nichts wert war? Wie dachte diese törichte Alte eigentlich?

Als der Jahreszeitenwechsel einsetzte, sagte Maruzza zu ihrem Mann:

«In spätestens drei Tagen musst du mir die Zisternen füllen.»

Gnazio verabredete sich mit einem anderen Nachbarn, der Timpanaro hieß und einen Karren besaß.

«Aber ich brauche jemanden, der mir hilft», sagte Timpanaro.

«In Ordnung.»

«Ich bringe meinen Bruder Giurlanno mit.»

Als Maruzza ihm sagte, sie brauche das Wasser am folgenden Tag, gab er Timpanaro Bescheid und machte sich ans Säubern der Zisternen. Er fing mit der zweiten an. Mit einem gefüllten Eimer Wasser ließ er sich unter Schwierigkeiten in die Zisterne hinunter, hob vom Boden die Blätter auf und zwei tote Eidechsen und goss den Eimer aus. Dann ging er zur ersten Zisterne und tat das Gleiche. Blätter lagen darin und drei tote Skorpione. Doch gerade als er den Eimer Wasser auf den Grund ausschütten wollte, bemerkte er, dass aus dem Loch, das zur Entleerung der Zisterne diente, etwas Weißes hervorschaute. Er bückte sich und hob es auf. Es war ein großer Knochen, noch verhältnismäßig frisch und völlig abgenagt. Ratten mussten ihn da hineingeschafft haben. Er betrachtete ihn eine ganze Weile und versuchte zu verstehen, welchem Tier er wohl angehören mochte. Er kam zu keinem Schluss und warf ihn weg.