Ich ließ mir das eine Weile durch den Kopf gehen. Wieviel er mir denn für meinen Scheck geben würde, fragte ich dann.
»Ich kann dir gar nichts dafür geben«, erwiderte er. »Wir lösen hier keine Schecks ein.«
Nun, meinte ich, dann würde ich ihn eben woanders einlösen müssen, auf einer Bank zum Beispiel.
Wieder schüttelte er den Kopf. »Sieh dir den Scheck doch einmal an«, sagte er. »Er gilt nur als Anzahlung für einen Pierce Arrow. Du kannst kein Bargeld dafür bekommen.«
Ich war ziemlich enttäuscht, und Brookie begann, ungeduldig zu werden. Aber eine letzte Idee hatte ich noch. Wenn er nichts dagegen hätte, sagte ich, würde ich warten, bis der nächste Kunde kam, um einen Pierce Arrow zu kaufen. Dem würde ich den Scheck geben, und er konnte mir dann vierhundertneunzig Dollar in bar dafür geben.
Und schon wieder schüttelte der Mann den Kopf. »Das geht nicht«, erklärte er. »Dein Scheck ist nicht übertragbar. Das steht doch drauf. Sieh ihn dir an.«
Ich wollte den verflixten Scheck überhaupt nicht mehr sehen. In meinem Ärger rief ich Brookie zu mir und wies auf den Weißwandreifen des nächststehenden, nagelneuen Pierce Arrow. Ehe der Mann etwas dagegen tun konnte, hatte Brookie, der für Autos sowieso nicht viel übrig hatte, sich den Reifen vorgeknöpft. Dann machten wir beide uns aus dem Staub.
Angesichts der Erkenntnis, daß ich hereingelegt worden war, bekam ich Zweifel an dem ganzen Wettbewerb. Sie konzentrierten sich auf die Gewinner des ersten und des zweiten Preises. Ich wollte wissen, wie es diesen beiden gelungen war, mehr Wörter zusammenzubringen als ich, und wie viele mehr es waren. Ihre Namen und Adressen standen in der Zeitung. Ich rief die Auskunft an, um ihre Telefonnummern zu erfragen, aber sie hatten offenbar beide kein Telefon.
Doch wie ich schon sagte, mit dreizehn ist man hartnäckig. Ein älterer Freund meines Bruders, der den Führerschein hatte, fuhr mich zu der ersten Adresse. Eine Person des Namens, der in der Zeitung angegeben war, wohnte dort nicht, und niemand in der Nachbarschaft hatte je von einer Person dieses Namens gehört.
Bei der zweiten Adresse war es nicht anders. Endlich hatte ich den Beweis. Der ganze Wettbewerb war Schwindel gewesen. In Wirklichkeit war ich der Sieger, aber gewonnen hatte ich nichts. Ein paar Wochen später erfuhr ich, daß die Firma, die bereits beschlossen hatte, ihre Geschäfte einzustellen, sich des Wettbewerbs nur dazu bedient hatte, die letzten Wagen, die noch bei den Händlern standen, an den Mann zu bringen.
Dieses Erlebnis hatte mich jeglicher Art von Wettbewerb gegenüber mißtrauisch gemacht, und als Mr. Cossette mir den Einfall präsentierte, den Darsteller Eisbärs durch einen Wettbewerb zu ermitteln, glaubte ich zwar nicht, daß er ein Schwindelmanöver plante, wollte jedoch Garantien dafür, daß etwas Derartiges auf keinen Fall vorkommen würde. Er beteuerte mir darauf erneut, daß jeder Bewerber nur mit Voranmeldung zugelassen werde, und bot mir einen Platz in der Jury an, der außer mir noch der Regisseur und er selbst angehören sollten.
Leider weckte auch das eine Erinnerung – und keine angenehme. Nur einmal habe ich bei einem Wettbewerb in der Jury gesessen, und neben diesem Erlebnis verblaßte selbst mein Pierce-Arrow-Debakel.
Es war im Jahr 1972, und es ging um die Wahl der Miß USA, die in einem Hotel in Puerto Rico abgehalten wurde. Zunächst erschien mir meine Berufung in die Jury als hohe Ehre – der Mann, der mich davon in Kenntnis setzte, machte mich sogar ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es eine hohe Ehre sei, zumal die Endausscheidung, wie er sagte, nicht nur live im Fernsehen übertragen, sondern über Satellit in die ganze Welt ausgestrahlt werden würde. Jeder von uns, der bei diesem Schauspiel mitwirke, erklärte er mir mit strengem Blick, sei für den Erfolg der Sache mitverantwortlich; kaum einer mehr als ich, der ich einer der Preisrichter war.
In Puerto Rico angekommen, wurde ich sogleich von einem geschwätzigen Delegierten in Empfang genommen. »Hallo«, sagte der Mann, »ich bin Mitch Porter.« Er bot mir die Hand. »Ich bin für die Preisrichter zuständig.«
Ich zog die linke Augenbraue hoch – ich kann nur die linke hochziehen, weil ich an der rechten kaum Haare habe, aber die Wirkung ist, wenn ich das mal sagen darf, durchschlagend.
»Sie haben selbstverständlich völlige Freiheit«, versicherte Mr. Porter. »Völlige Freiheit.«
Er hatte das Hochziehen der Augenbraue offensichtlich richtig verstanden.
Dann erklärte er mir die Aufgabe der Jury, die aufgerufen war, unter den »Mädels« – ich weiß noch, daß er niemals das Wort »Frauen« gebrauchte – die letzte Wahl zu treffen. Aus den 51 Siegerinnen der Bundesstaaten sollten wir die Miß USA küren, die dann im Wettstreit um den Titel der Miß Universum gegen die »Mädels« der anderen Länder antreten würde.
Die jungen Damen mußten sich der Jury einmal im Badeanzug und einmal im Abendkleid vorstellen; weitere Wahlkriterien waren persönliche Ausstrahlung und besondere Begabung.
Von den Gesprächen mit den Bewerberinnen erhielten die Mitglieder der Jury Informationsblätter mit den biographischen Daten jeder Teilnehmerin und einigen kurzen Angaben über ihr Zukunftsziel und die Gründe ihrer Teilnahme an dem Wettbewerb. Erstaunlich viele hatten, wie ich feststellte, die beiden Fragen in einem beantwortet: Ihr großes Ziel war es, Miß USA zu werden.
Als ich am Tag der Ausscheidung ins Hotel kam, sah ich, daß es von Hunderten von Streikposten der puertoricanischen sozialistischen Partei umstellt war. Fuera Yanqui! Fuera Miß USA! stand auf ihren Transparenten. Ihr Anführer erklärte der Presse und dem Fernsehen die Gründe des Protests. »Diese Miß-Wahl«, sagte er, »ist eine gemeine Ausbeutung von Frauen, die hier zu Sexualobjekten erniedrigt werden.«
Am Abend, als das Schauspiel in vollem Gange war und eben die Siegerin, Miß Hawaii, bekanntgegeben werden sollte, gab es ein fürchterliches Getöse. Erst später erfuhr ich, was dahintersteckte. Man hatte im Hotel einen Bombenanschlag verübt. Mitglieder einer zweiten puertoricanischen Partei, der Independencia, hatten die elektronischen Geräte im obersten Stockwerk des Hotels außer Betrieb setzen wollen, um so die Übertragung der großen Show zu verhindern. Da es dort oben jedoch von Polizei wimmelte, konnten sie nicht hinaufgelangen und bombardierten statt dessen das Stockwerk darunter, in dem sich die Zimmer der Preisrichter befanden.
Die Bombe explodierte in Zimmer 663 – ich hatte 662. Als die Polizei mir endlich gestattete, mein Zimmer zu betreten, erwartete mich ein Trümmerfeld. Der ganze Balkon war abgerissen, und mit ihm war meine neue Badehose in die Luft geflogen, die ich zum Trocknen hinausgehängt hatte. Während ich mir die Bescherung ansah und an den großen Ball dachte, der noch stattfinden sollte, versuchte ich, wie das meine Art ist, das Positive zu sehen. Im Badekostüm konnte ich mich jetzt nicht mehr präsentieren – aber da hätte ich sowieso keine Chance gehabt. Ich würde mir meine Punkte eben im Abendkleid und mit meiner persönlichen Ausstrahlung holen müssen.
Soviel zu meiner Richtertätigkeit bei der Wahl der Miß USA. Der von Mr. Cossette geplante Katzenwettstreit würde natürlich unter etwas anderen Voraussetzungen stattfinden. Eine Vorstellung im Badekostüm war beispielsweise nicht vorgesehen. Und das war gut so. Ich kenne zwar viele Katzen, die gern schwimmen, aber Eisbär gehört nicht zu ihnen. Im Gegenteil, er ist ausgesprochen wasserscheu, wie ich eines Morgens schmerzhaft erfuhr. Er spazierte, wie er das mit Vorliebe zu tun pflegte, auf dem Rand der Wanne umher, während ich mein Bad nahm, und schaffte es tatsächlich, ins Wasser zu fallen. Leider geriet er nicht nur fürchterlich in Panik, sondern plumpste auch noch direkt bei meinen, wie ich es einmal taktvoll nennen will, unteren Regionen ins Wasser. Ehe ich reagieren konnte, schlug er mir nach mehreren vergeblichen Schwimmversuchen die Krallen in den Leib, um bei mir Fuß zu fassen. Ich versuchte zwar, mich mit blitzschnellem Untertauchen und einer meisterhaften Rolle der schmerzhaften Umklammerung zu entziehen, dennoch war Eisbär an diesem Morgen nicht der einzige, der in Panik geriet.
Nicht nur würde es keine Vorstellung im Badekostüm geben, es würde auch keine Parade im Abendkleid stattfinden. Alle im Wettbewerb befindlichen Katzen würden genau wie Eisbär in weißem Fell erscheinen. Es blieben aber noch zwei andere wichtige Kriterien. Beim ersten ging es um die persönliche Ausstrahlung. Hier würde die Entscheidung zweifellos schwerfallen, da jede schlichte Katze mehr persönliche Ausstrahlung besitzt als der charismatischste Mensch. Beim zweiten, ebenso entscheidenden Punkt ging es um besondere Talente.
Nach den Briefen und Fotos zu urteilen, die in Massen ankamen, mangelte es den Bewerbern nicht an besonderen Talenten. Doch ehe ich mich diesen zuwandte, staunte ich erst einmal, welche Mengen an weißen Katzen es im Lande gab: Es mußten Tausende, ja Hunderttausende sein. Viele der Briefschreiber, deren weiße Katzen weiblichen Geschlechts waren, wollten wissen, ob ihre Tiere aufgrund des Geschlechts von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen seien. Ihnen schrieb ich unverzüglich, daß dem nicht so sei – Lassie, die Hündin, sei schließlich männlichen Geschlechts, warum sollte da Eisbär nicht weiblichen Geschlechts sein? Sexismus, versicherte ich allen, würde es bei einem Wettbewerb, an dem ich in richterlicher Funktion beteiligt war, nicht geben.
Noch erstaunter als über die Anzahl der weißen Katzen im Land war ich über die Zahl der Katzen, die, wie ihre Eigentümer es ausdrückten, »Kunststücke konnten.« Die Reihe der Kunststücke war schier endlos. Da gab es Katzen, die immer die Tageszeit wußten; andere, die ihre Eigentümer mit einem leichten Klaps ins Gesicht weckten; die schon, ehe es läutete, wußten, daß jemand an der Haustür war; die schon, ehe das Telefon klingelte, wußten, daß gleich jemand anrufen würde; die den Anrufbeantworter ausschalten konnten, wenn er sie störte. Es gab Katzen, die Pfötchen geben, Männchen machen, auf den Hinterbeinen laufen, durch Reifen springen, »toter Mann« spielen konnten. Andere konnten den Wasserhahn an der Spüle aufdrehen, die Toilette benutzen, Schranktüren und sogar schwere Türen öffnen, indem sie wiederholt zum Knauf hinaufsprangen, um ihn zu drehen; ja es gab sogar Katzen, die Fenster öffnen und schließen konnten. Andere Katzen wieder konnten Klavier spielen, Melodien erkennen, Bücher lesen – wenigstens Bilderbücher –, fernsehen, den Apparat selber ein- und ausschalten, sich im Spiegel ansehen und sogar ein »Spiegelgesicht« machen. Einige konnten tippen, und das nicht nur auf der Schreibmaschine, sondern auch auf dem Datenverarbeitungssystem. Schließlich gab es auch noch Katzen, die den Müll ausleeren konnten.
Und dennoch – je länger ich in dieser Litanei las, desto klarer erkannte ich, daß auch Eisbär »Kunststücke« konnte. Vieles, was diese fremden Katzen konnten, konnte er auch. Er wußte zwar nicht immer die Tageszeit, aber er wußte stets genau, wann es Zeit für etwas war, das er haben oder tun wollte. Auch er weckte mich gern mit einem Klaps ins Gesicht; nur wenn er besonders hungrig war, kitzelte er mich statt dessen mit dem Schwanz im Gesicht oder peitschte gar, wenn die Ungeduld zu groß wurde. Und auch er wußte schon, ehe es läutete, daß jemand an der Tür war – er wußte es schon, wenn der Betreffende im Hausflur aus dem Aufzug stieg.
Was die vielen anderen Kunststücke anging – Pfötchen geben, Männchen machen, auf den Hinterbeinen laufen, durch Reifen springen, »toter Mann« spielen –, so waren das nicht unbedingt Kunststücke, die er nicht konnte, er wollte sie nur einfach nicht machen. Er konnte Wasserhähne aufdrehen und auch Schranktüren öffnen und schließen, und wenn er die Fenster in Ruhe ließ, so nicht, weil er sie nicht öffnen und schließen konnte, sondern einfach, weil sie ihn nicht interessierten. Und was schließlich das Ausleeren des Mülls anging, so war Eisbär darin meiner Ansicht nach unschlagbar: Nicht nur leerte er nämlich den Müll regelmäßig aus, wenn er nach etwas suchte, er ging sogar noch einen Schritt weiter. Er verstaute Dinge, die er nicht haben wollte, wie zum Beispiel Medikamente, die ich für ihn besorgt hatte, oder die Nagelschere, mit der ich ihm die Krallen stutzte, im Abfalleimer oder Papierkorb, und mir war es bereits zur Gewohnheit geworden, dort als erstes nachzusehen, wenn ich diese Dinge nicht finden konnte.
Dennoch blieb eine große Frage bestehen: Würden diese Katzen, die so bemerkenswerte Kunststücke beherrschten, sie auch auf Kommando oder unter besonderen Bedingungen ausführen? Konnten und würden sie sie im Atelier ausführen – an einem ihnen völlig fremden Ort mit Dutzenden wildfremder Menschen und unzähligen Ablenkungen wie Scheinwerfern, Kamerawagen, Kabeln und vielleicht sogar über ihnen schwebenden Kameras, die zu Großaufnahmen zu ihnen hinunterschießen würden? Konnten sie diese Kunststücke machen, wenn ihr »Mensch« nicht selbst die Anweisungen gab – vielleicht sogar überhaupt nicht im Raum war – und sie einem Fremden gehorchen sollten?
Eines wußte ich mit Sicherheit: Eisbär würde nicht ein einziges seiner »Kunststücke« vorführen – selbst die nicht, die er regelmäßig machte –, wenn andere Menschen dabei waren; nicht einmal auf meine Befehle würde er dann hören. Und wenn er sich in der turbulenten Atmosphäre eines Filmateliers im Beisein zahlloser Fremder hätte produzieren müssen, so hätte ich der Filmgesellschaft nur raten können, vorher eine Katastrophenversicherung abzuschließen.
Aber ich machte mir von Anfang an nicht die Illusion, daß Eisbär den Eisbär spielen konnte. Ein Kater, der nicht einmal Wert darauf legte, zur Prominenz zu gehören, wenn ihm der Ruhm gewissermaßen auf dem Silbertablett angeboten wurde, hatte ganz gewiß keine Sehnsucht danach, ein Filmstar zu werden. Dennoch überkam mich ein Gefühl des Unbehagens, als ich sein Leben mit dem all dieser anderen Katzen verglich. Damit will ich nicht sagen, daß ich auch nur im mindesten unzufrieden mit ihm war. Nein, um mich ging es mir dabei – ausnahmsweise – überhaupt nicht; es ging mir einzig um ihn. Ich fragte mich ernsthaft, ob er nicht vielleicht etwas versäumte, das seinem Leben mehr Pfiff geben könnte. Zuviel Zeit, so schien mir, verbrachte er mit kleinen Nickerchen, die er nur sein ließ, wenn er sich richtig ausschlafen wollte.
Ohne groß zu überlegen und gewiß nicht mit dem Gedanken, ihn mit den anderen Katzen konkurrieren zu lassen, sondern nur, weil ich dachte, es würde ihm vielleicht Spaß machen, eines dieser Kunststücke zu lernen, beschloß ich, ihn in die Schule zu nehmen. Das einzige, was er in den langen Jahren seines Zusammenlebens mit mir gelernt hatte, war, an der Leine zu gehen – oder wenigstens dranzubleiben. Er konnte doch bestimmt noch etwas dazulernen.
Als erstes wollte ich mir einige gute Bücher zu dem Thema besorgen, und gleich das erste Buch, auf das ich stieß, schien mir sehr ermutigend. Es war The Complete Guide to Training Your Cat von Roy Berwick, und über dem Titel stand: »Wer sagt, daß man eine alte Katze keine neuen Tricks lehren kann?«
Eisbär durfte das nicht sehen – er reagiert auf das Wörtchen »alt« sehr empfindlich –, aber für mich, den reifen Lehrmeister, war diese Zeile, wie ich schon sagte, sehr ermutigend. Sie besagte doch klar und deutlich, daß man mit der Schulung einer Katze nicht in ihrer frühen Jugend anzufangen braucht.
Das zweite Buch, das ich entdeckte, von Paul und Jo Loeb, weckte ebenfalls Zuversicht. Es hieß You CAN train your Cat. Auch wenn das großgeschriebene »can« ein wenig trotzig anmutete, war die Gesamtwirkung doch eindeutig positiv.
Das dritte Buch jedoch, das mir in die Hände fiel, wirkte ziemlich bestürzend auf mich, zumindest vom Titel her. Es hieß nämlich Training You to Train Your Cat und war von einem Tierarzt namens Leon Whitney geschrieben. Nie wär ich auf den Gedanken gekommen, daß ich erst Schulung brauchen würde, um Eisbär in die Schule nehmen zu können. Anscheinend sollte mir hier von berufener Stelle beigebracht werden, wie ich mich mit einem Tier zu verständigen hatte, mit dem ich mich schon seit mehr als zehn Jahren glänzend verständigte. Aber um Eisbärs willen beschloß ich, mich der Mühe zu unterziehen.
Ein Buch über die Kunst der Kommunikation mit einem Tier brauchte ich nicht. Ich hatte das beste Buch zu diesem Thema seit langem in meinem Regal stehen. Meine Freundin Doris Day hatte es mir einmal geschenkt. Sie sagte mir damals, es sei ihr Lieblingsbuch, und ich weiß, daß es das heute noch ist. Es heißt Kinship with All Life, ist von J. Allen Boone und wurde schon 1954 veröffentlicht. Ich fand es nun, da ich es vielleicht mit einer Filmkatze zu tun bekommen würde, besonders interessant, weil es mit einem Filmhund begann. Der Hund war der berühmteste Filmhund aller Zeiten – bemerkenswerter als alle Rin Tin Tins und Lassies, die ihm folgten. Er hieß Strongheart und drehte seinen ersten Film, The Silent Call, bereits im Jahr 1921, zwei Jahre vor dem ersten Rin-Tin-Tin-Film und siebzehn Jahre vor dem ersten der vielen Lassie-Filme.
Es gab, im Gegensatz zu Rin Tin Tin und Lassie, nur einen Strongheart, aber der war ein großartiger Hund. Ursprünglich in Deutschland zum Polizeihund ausgebildet, wurde er als Dreijähriger von der Drehbuchautorin Jane Murphin und ihrem Mann, dem Regisseur Larry Trimble, nach Hollywood gebracht. Bis zu dem Tag, an dem Strongheart zum erstenmal vor der Kamera stand, hatte niemals ein Tier eine größere Filmrolle gespielt, doch schon mit seinem ersten Film, The Silent Call, wurde Strongheart über Nacht zum Star und Publikumsliebling. Während einer Pause zwischen zwei Filmen und mehr oder weniger durch Zufall erhielt Mr. Boone, Autor und Filmproduzent – ein Mann, der bis zu seiner Begegnung mit Strongheart von Hunden »praktisch keine Ahnung« hatte –, den Auftrag, sich während der Abwesenheit der Trimbles um den Hund zu kümmern.
Bezüglich der Behandlung Stronghearts erhielt Mr. Boone, wie er schreibt, drei grundlegende Anweisungen: Er solle Strongheart »nicht von oben herab behandeln«; er solle »nicht in Babysprache mit ihm sprechen« und, das Wichtigste, er solle »niemals etwas zu ihm sagen, was nicht aus ehrlichem Herzen kam.«
Mr. Boone erkannte bald, daß Strongheart nicht nur fähig war, die menschliche Rede zu verstehen, sondern auch »menschliche Gedanken« lesen konnte. Mit der Zeit jedoch bemerkte Mr. Boone auch, daß ihre ganze Kommunikation sich, wie er es ausdrückte, »nur in einer Richtung bewegte – von mir zu ihm.« Entschlossen, das zu ändern, entwarf er ein ganzes Programm, zu dem auch gehörte, daß von nun an nicht mehr er Strongheart, sondern Strongheart ihn spazierenführen würde. Wenn sie also auf der Straße waren, tat er gar nichts; er blieb einfach stehen und wartete, bis Strongheart beschlossen hatte, welchen Weg sie einschlagen würden.
Ich fand diesen Teil sehr ermutigend. Ich habe ja schon erzählt, daß ich Eisbär, wenn ich ihn an der Leine hatte, niemals zog – ich überließ stets ihm die Entscheidung, wohin er mich ziehen wollte. Wobei ich allerdings zugeben muß, daß es auch gar keinen Sinn gehabt hätte zu ziehen, daß ich also gewissermaßen aus der Not eine Tugend machte. Das Schlimme war nur, daß Eisbär nie ein Ziel hatte; er wollte immer nur einfach da bleiben, wo er gerade war.
Mr. Boone hat offenbar nie mit Katzen gearbeitet. Aber nach Strongheart nahm er mit einer großen Vielfalt anderer Tiere Kommunikation auf. Ja gegen Ende von Kinship with All Life beschreibt er sogar seinen Versuch, mit einem Ameisenvolk ins Gespräch zu kommen. Die Ameisen hatten seine Veranda besetzt, und mit Gift und Besen bewaffnet erklärte er ihnen, daß er, auch wenn sie es nicht gewahr seien, in der Lage sei, sie innerhalb von Minuten auszulöschen. Nur erschiene ihm das nicht als eine gute Lösung, da die Erfahrung der Menschen gezeigt habe, daß ein Gemetzel nur das nächste nach sich ziehe und man am Ende schlimmer dran sei als zuvor.
Dann, schreibt er, fiel ihm ein, wie gut es jedem lebenden Wesen tut, beachtet und gewürdigt zu werden, und er ging dazu über, den Ameisen Komplimente zu machen. Er lobte ihre Intelligenz, ihre Lebenslust, ihren Fleiß, ihr harmonisches Zusammenleben, ihre Fähigkeit, ohne Mißverständnisse und ohne die Notwendigkeit, ständig gesagt zu bekommen, was zu tun sei, gemeinsam zu schaffen.
Hier legte Mr. Boone eine Pause ein, um die Ameisen durch ein Vergrößerungsglas in Augenschein zu nehmen. Da die Situation, wie er schreibt, »schlimmer als zuvor« war, beschloß er, seine Ansprache zu beenden, und teilte den versammelten Ameisen mit, er habe sein Bestes getan, nunmehr sei es an ihnen zu entscheiden, wie sie sich verhalten wollten.
Als Mr. Boone an diesem Abend auf seine Veranda hinausging, war nicht eine einzige Ameise mehr da. Und seitdem, berichtet er, sei er weder zu Hause noch unterwegs je wieder von Ameisen belästigt worden. »Gelegentlich kommt eine Kundschafterameise auf dem Weg von draußen nach draußen vorbei und bleibt gerade so lange, daß wir einen schweigenden, freundlichen Gruß tauschen können.«
Im letzten Kapitel seines Buchs erzählt Mr. Boone von den Fliegen. Statt sie zu verjagen oder nach der Sprühdose zu greifen, wenn sie sich bei ihm niederlassen, hält er einen freundschaftlichen Schwatz mit ihnen. Er bemerkte, als eines Tages eine Fliege sich auf seinem Finger niederließ, daß sie anfing, ihre Beine über ihrem Kopf aneinanderzureihen, so daß der Kopf, wie Mr. Boone es beschreibt, »flink in meiner Richtung auf und nieder nickte.« In der Annahme, daß dies eine Begrüßung nach Fliegenart sei, verneigte er sich mehrmals höflich.
Nachdem er auf diese Weise mit der Fliege Freundschaft geschlossen hatte, taufte er sie Freddie und beschloß ein paar Tage später, als Freddie in seiner offenen Hand saß und sich die Flügel putzte, »mit Freddie als einem Mitgeschöpf zu sprechen, wie ich es mit Strongheart zu tun gelernt hatte.« Er stellte dem »kleinen Kerlchen« auf seiner Hand eine Frage und achtete dann sorgfältig auf alle neuen geistigen Eindrücke, die ihm zuflogen. Unerwarteterweise wurde jede seiner lautlosen Fragen mit einer Gegenfrage beantwortet. »Ich fragte Freddie, was er in meiner Welt zu schaffen habe, und beinahe augenblicklich kam die Gegenfrage, was ich denn in seiner Welt zu schaffen hätte. Ich fragte ihn, warum die Fliegen uns Menschen so schlecht behandelten; sofort fragte er dagegen, warum wir Menschen die Fliegen immer so schlecht behandelten.«
Wenn Mr. Boone nicht nur mit Strongheart, sondern auch mit Ameisen und Fliegen Gespräche führen konnte, dann mußte eine solche Verständigung doch auch zwischen mir und Eisbär möglich sein. Ich hatte immerhin zehn Jahre lang, wenn auch nicht telepathische, so doch sehr direkte Gespräche mit ihm geführt. Dennoch, wenn ich als blutiger Kommunikationsamateur jetzt Profi werden wollte, war es wahrscheinlich höchste Zeit für mich, mir bei anderen Professionellen Rat zu holen. Ich entschied mich, nachdem ich die Lektüre von Mr. Boones Buch abgeschlossen hatte, für Beatrice Lydecker, eine Frau, die mir einmal erzählt hatte, sie könne sich mit mehr Tieren verständigen als jeder andere.
Ich hatte Mrs. Lydecker vor Jahren in Kalifornien kennengelernt – damals hatte ich Eisbär noch nicht, oder vielmehr, er hatte mich noch nicht –, aber ich erinnerte mich, daß Mrs. Lydecker mir erzählt hatte, sie sei zwar über Pferde mit Tieren ins Gespräch gekommen, habe aber auch mit Hunden und Katzen großen Erfolg gehabt. Eine ihrer ersten Klientinnen war eine Frau mit zwei Katern gewesen, von denen einer immer wieder ihre Möbel bespritzte. Die Frau hatte wissen wollen, wer von den beiden der Sünder war, und hatte sich mit dem Problem an Mrs. Lydecker gewandt. Ich fragte Mrs. Lydecker, wie sie es gelöst habe.
»Ich habe die beiden einfach gefragt«, antwortete sie, »und der Schuldige hat sofort gestanden.«
Ich machte kein Hehl aus meiner Verwunderung.
»Der Missetäter gibt seine Schuld immer zu«, erklärte mir Mrs. Lydecker. »Tiere sind sehr ehrlich, wenn man ihnen direkte Fragen stellt.«
Ich muß sagen, ich hatte schon damals meine Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptung. Seit ich Eisbär habe, sind sie gewachsen. Oft habe ich ihn ganz direkt gefragt, wenn er etwas angestellt hatte – zum Beispiel über den Mülleimer hergefallen war, weil er irgend etwas suchte –, aber nie hat er mir eine direkte Antwort gegeben. Der Schlaumeier bot mir, wie ich schon erwähnte, immer nur indirekt seine Hilfe bei der Suche nach dem geheimnisvollen Täter an. Kurz und gut, jetzt, da ich mich entschlossen hatte, die Kommunikation zwischen ihm und mir zu verbessern, nahm ich mir vor, mit Mrs. Lydecker bei ihrem nächsten Aufenthalt in New York einen Termin zu vereinbaren.
Als Mrs. Lydecker mit ihrer Assistentin in der Wohnung erschien, war das Eisbär natürlich zuviel. Er verzog sich augenblicklich ins Schlafzimmer. Verlegen wollte ich ihm nach, um ihn zurückzuholen, aber Mrs. Lydecker hielt mich auf.
»Nein«, sagte sie. »Ich werde Ihnen sagen, wo er ist. Das spart Ihnen Zeit.«
Sie schloß die Augen, als wolle sie sich in tiefe Meditation versenken. Aber schon einen Moment später öffnete sie sie wieder und sagte zu mir: »Ich sehe ihn in der Nähe von Wasser.«
Im Badezimmer vielleicht, meinte ich, aber Mrs. Lydecker schüttelte den Kopf.
»Nein«, erklärte sie. »Er ist zwar in der Nähe von Wasser, aber so nahe auch wieder nicht.«
Dann bliebe nur das Schlafzimmer, sagte ich.
Mrs. Lydecker strahlte. »Richtig, dort ist er«, bestätigte sie. Wieder wollte ich los, um ihn zu holen, und wieder hielt sie mich auf. »Nein«, sagte sie. »Ich brauche ihn nicht. Ich werde mit Ihnen darüber sprechen, wie Sie sich mit ihm verständigen können.«
Mrs. Lydecker erzählte mir, daß sie schon seit ihrer frühen Kindheit mit Tieren »gesprochen« habe. Kinder, erklärte sie, können sich mit Tieren besser verständigen als Erwachsene, weil sie, wie sie es ausdrückte, »nonverbale Sprache« besser verstehen und weil sie noch nicht gelernt haben, in Tieren Wesen zu sehen, die anders sind als wir. In der Schule, erläuterte sie mir, verlieren die Kinder ihre Fähigkeit zur nonverbalen Kommunikation weitgehend, sobald sie tiefer in die Möglichkeiten verbaler Kommunikation eingeführt werden.
Mrs. Lydecker machte kein Hehl daraus, daß ihrer Meinung nach Frauen Tiere besser verstehen können als Männer. »Männern«, sagte sie streng, »ist das nicht gegeben, weil sie nichts als Logik und Statistik im Kopf haben.«
Das wirkte wie eine Ohrfeige auf mich. Da versuchte ich, mich zu bilden, um Eisbär in die Schule nehmen zu können, und mußte mir anhören, daß Frauen und Kinder für diese Aufgabe weit besser geeignet waren. Zum Trost sagte ich mir, daß ich, da ich mit jeglicher Art von Statistik auf Kriegsfuß stand, vielleicht doch ein guter Gesprächspartner für Tiere werden konnte, auch wenn ich nur ein Mann war.
Ich teilte Mrs. Lydeckers Überzeugung, daß die meisten Erwachsenen bei der Kommunikation mit Tieren vor allem deshalb solche Schwierigkeiten haben, weil sie alle Handlungen und Reaktionen des Tieres einzig aus ihrer eigenen Sicht interpretieren und niemals versuchen, den Standpunkt des Tieres zu sehen.
»Wenn ein Hund im Park anfängt herumzuschnüffeln«, erklärte mir Mrs. Lydecker, »glauben wir im allgemeinen, er suche nach einem geeigneten Ort, um sein Geschäft zu machen. Das stimmt aber gar nicht. Er tut etwas ganz anderes – er liest die Tageszeitung.«
Sie war ferner felsenfest überzeugt davon, daß Tiere unsere Gedanken lesen können. Nach meinen persönlichen Erfahrungen mit Eisbär konnte ich ihr da nur zustimmen.
Ebenso der These, daß unsere Schwierigkeiten im Umgang mit Tieren vor allem daher kommen, daß wir nicht fähig sind, ihre Gedanken zu lesen. Mrs. Lydecker meinte, wir sollten versuchen, uns mit »Visualisieren« oder »mentalen Bildern« zu Behelfen. Für mich, erklärte sie, wäre es das beste, Eisbär in der Position zu fotografieren, die er einnahm, nachdem er einem meiner Befehle Folge geleistet hatte. Wollte ich ihn beispielsweise in der, wie sie es nannte, »Platz«-Position sehen, so sollte ich ihn in dieser Position fotografieren und mir das Bild dann einprägen, bis ich es klar und deutlich im Kopf hatte. Dann sollte ich das Foto wegwerfen. Mit etwas Übung werde es mir gelingen, das geistige Bild jederzeit heraufzubeschwören, und wolle ich das nächste Mal, daß er auf seinem Platz bleibe, so brauche ich mir nur dieses Bild vor Augen zu halten, wenn ich ihm den Befehl gab.
So, meinte Mrs. Lydecker, würde ich mit Eisbär gewissermaßen auf übersinnlichen Bahnen kommunizieren, und zwar in seiner eigenen Sprache. »Mit der Zeit«, sagte sie, »wird es Ihnen zur natürlichen Gewohnheit werden, mit ihm zu schwatzen.«
Ich konnte meinen nächsten richtigen »Schwatz« mit Eisbär kaum erwarten. Ehe Mrs. Lydecker ging, gab sie mir noch ein Beispiel aus der Welt ihrer besonderen Lieblinge, der Pferde.
»Wenn man ein Pferd dazu bringen möchte«, sagte sie, »ein bestimmtes Hindernis zu überspringen, visualisiert man das Pferd, wie es mit Leichtigkeit über das Hindernis hinwegsetzt.«
Die nächste Kapazität, an die ich mich in meinem Bemühen wandte, mich zu Eisbärs Lehrmeister auszubilden, war der bekannte englische Psychologe David Greene, Autor von Your Incredible Cat. Und siehe da, in dem Kapitel »Wie schnell lernt Ihre Katze« befaßte er sich tatsächlich mit Sprungtraining.
Dr. Greene schlug vor, man solle entweder einen Kinderreifen nehmen oder selbst aus einem »steifen Plastikschlauch und einer Wäscheklammer« einen Reifen konstruieren. Leider bin ich bei so etwas eine komplette Niete. Ich habe nie die Dinge im Haus, die alle anderen Leute offenbar immer sofort zur Hand haben, wenn sie etwas ausprobieren wollen; mir fehlten also natürlich der Plastikschlauch und die Wäscheklammer. Aber ich improvisierte: Ich nahm einfach einen Schlauch von meinem Fahrrad, und die Wäscheklammer ließ ich ganz weg.
Diesen Reifen brachte ich in der Türöffnung zur Küche an, blockierte die Freiräume rundherum und stellte dann Eisbär seinen Freßnapf wohlgefüllt auf die andere Seite. Er sprang durch den Reifen, wie von der Sehne geschnellt. Er machte seine Sache so gut, daß ich glaubte, auf sämtliche Zwischenschritte verzichten und gleich zur »Endphase«, wie Dr. Greene es nannte, des Intelligenztests übergehen zu können.
Allerdings durfte in dieser Phase Eisbär nicht mehr mit dem Freßnapf gelockt werden. Ich durfte, gemäß Dr. Greenes Anweisung, nur den Reifen hochhalten und »Komm!« rufen und dabei die freie Hand ausstrecken, als hätte ich eine Belohnung darin. Sinn der Übung sei es, schrieb er, diesen Befehl mit der erwünschten Handlung so fest zu verbinden, daß die Worte ausreichten, um das Tier zum Sprung zu veranlassen.
»Der Test ist abgeschlossen«, hieß es weiter, »wenn die Katze bei drei Befehlen mindestens zweimal korrekt den Reifen durchspringt.«
Eine Tabelle zur Feststellung des Intelligenzquotienten war auch dabei:
Anzahl der Befehle IQ-Bewertung
60 und mehr unter Durchschnitt
50-59 leicht unter Durchschnitt
40-49 Durchschnitt
30-39 über Durchschnitt
29 oder weniger sehr intelligent
Diesmal klappte es nicht. Ohne den gefüllten Freßnapf auf der anderen Seite sah Eisbär keinen Sinn darin, große Sprünge zu machen. Seine Punktzahl verschweige ich schamhaft. Meine Befehle überhörte er einfach. Nur ein einziges Mal folgte er und sprang – als er hoffte, damit mir und dem Reifen ein für allemal zu entkommen.
Was die Anzahl der Befehle angeht, so hörte ich bei hundert zu zählen auf. Eisbär schaffte nicht einmal eine unterdurchschnittliche Leistung; er rutschte total von der Tabelle. Und nach diesem Zirkus hatte er von allem, was einem Reifen auch nur im entferntesten ähnlich sah, die Nase so voll, daß ich glaube, er wäre selbst auf ein Kind mit einem Hula-Hoop-Reifen losgegangen.
Eines immerhin lernte ich von Dr. Greene – daß es offenbar sehr wichtig ist, welche Position man beim Gespräch mit seiner Katze einnimmt. Jahrelang hatte ich mich mit Eisbär unterhalten, wie es sich gerade ergab – vertraulich, von Angesicht zu Angesicht, aus einiger Entfernung oder sogar von Zimmer zu Zimmer, und seine »Ajaus« waren stets klar und deutlich zu mir durchgedrungen, und ich hatte nie Mühe gehabt, sie zu interpretieren. Aber wenn ich ein Profi im Dialog werden wollte, mußte ich, wie Dr. Greene sagte, vom hohen Roß herunterkommen. Und keinesfalls durfte ich Eisbär beim Gespräch ins Gesicht sehen.
Ganz langsam und gemächlich, hieß es da, solle man in Kauerstellung hinuntergehen, bis man auf gleicher Höhe mit der Katze sei. Erst dann solle man ihr langsam den Blick zuwenden, aber dabei unbedingt die Augen halb schließen.
»Wenn Ihr Blick dann dem Ihrer Katze begegnet«, ging es weiter, »zwinkern Sie mehrmals… Ist die Katze mit der Annäherung einverstanden, wird sie dies vielleicht zeigen, indem sie ebenfalls zwinkert oder eines der Begrüßungssignale gibt, die bereits beschrieben wurden.«
Leider klappte diese Form der Annäherung zwischen mir und Eisbär überhaupt nicht. Anstatt zurückzuzwinkern, starrte mich Eisbär mit einem Blick an, der klar sagte, ich solle mich ganz ruhig verhalten, bis die Männer in den weißen Kitteln kämen; dann sollte ich aufstehen und ihnen widerstandslos folgen.
Aber Dr. Greene hatte noch andere Vorschläge. Er meinte beispielsweise, ich solle wie eine Katze meine Stirn an die Eisbärs legen und reiben. Das drücke Herzlichkeit und Zuneigung aus.
Das ging mir denn doch zu weit. Ich hatte keine Lust, mir von irgendeinem dahergelaufenen Fremden vorschreiben zu lassen, wie ich mich meiner eigenen Katze anzunähern und ihr meine Zuneigung zu zeigen hatte. Im übrigen glaubte ich trotz aller Enttäuschungen, die ich erlebt hatte, keinen Moment lang, daß Eisbär dumm sei. Der Dumme war offensichtlich ich selbst; ich hatte kein Talent zum Katzendompteur. Und damit hatte Eisbär natürlich auch nicht die geringste Chance, es mit all den anderen, von weit begabteren Dompteuren gedrillten weißen Katzen aufzunehmen.
Ich hatte genug von dieser ganzen Katzenschulung – ich bin immer schon ein recht ungeduldiger Mensch gewesen – und rief kurz entschlossen eine Freundin an, Linda Hanrahan, die hervorragend mit Tieren umzugehen verstand. Ich bat sie, herüberzukommen und ihr fachmännisches Urteil abzugeben, nicht nur über mich als Dompteur, sondern auch über Eisbärs Chancen, sich im Film selbst zu spielen.
Als sie ankam, erzählte ich ihr erst einmal meine traurige Geschichte: daß es mir nie gelungen war, Eisbär mehr beizubringen, als an der Leine zu gehen und auf dem Platz zu bleiben – und daß er auch das nur tat, wenn er sich sowieso schon niedergelegt hatte.
Als Eisbär hereinkam, warf ihm Mrs. Hanrahan nur einen kurzen Blick zu und sagte: »Platz!« Und tatsächlich, er legte sich nieder. Danach setzte sich Mrs. Hanrahan.
»Wenn man einer Katze etwas beibringen möchte«, sagte sie, »muß man sie überlisten. Wir müssen sie glauben machen, das, was wir von ihr verlangen, sei nicht etwas, das sie für uns tun soll, sondern vielmehr etwas, das wir für sie tun wollen.«
Ich hatte gewisse Schwierigkeiten, das zu verstehen, darum fuhr Mrs. Hanrahan in ihren Erklärungen fort. Sie und ihr Mann Joe, erzählte sie, hatten drei abgerichtete Katzen, und alle drei arbeiteten nur gegen Belohnung. Tyrone, zum Beispiel, ihr grauer Tigerkater, konnte ganz außergewöhnliche Kunststücke. Aber obwohl er diese seit Jahren öffentlich vorführte, mußte man ihn jedesmal überlisten, wenn man ihn zu Aufnahmen in seinen Katzenkoffer kriegen wollte. Und auch dann tat er seine Arbeit, wie gesagt, nur gegen Belohnung, ein Röhrchen besonderer Vitamintabletten, die er mit Vorliebe fraß. Die anderen beiden Katzen waren genauso – Rhedd Butler, eine herrlich rote Katze, arbeitete nur, wenn sie wußte, daß sie hinterher sofort zu ihrem Lieblingsspielzeug sausen konnte; und Sally Seifi, wie sie wegen ihrer Arbeit in Seifenopern genannt wurde, bemühte sich nur, wenn sie hinterher ausgiebig gekrault und gebürstet wurde.
Mrs. Hanrahan bat mich, im Wohnzimmer zu bleiben, während sie sich mit Eisbär ins Schlafzimmer zurückziehen wolle.
»Ich möchte verschiedenes ausprobieren«, sagte sie.
»Viel Glück!« hätte ich beinahe gesagt, verkniff es mir aber.
Schon nach kurzer Zeit kam Eisbär wieder ins Wohnzimmer geflitzt, und Mrs. Hanrahan folgte dicht auf.
»Ich sag’s Ihnen lieber ehrlich«, meinte sie und setzte sich wieder. »Er wird es nicht schaffen.« Da sie wohl glaubte, ich sei enttäuscht – obwohl ich in Wirklichkeit erleichtert war –, fügte sie hinzu: »Nehmen Sie es nicht zu schwer. Das Schwierigste für uns Abrichter ist, daß praktisch jeder, der eine Katze hat, glaubt, sie gehöre zum Film oder ins Fernsehen. Was meinen Sie, wie oft die Leute zu uns kommen, um uns zu zeigen, was ihre Katzen alles können. Aber die Kunststücke, die sie können, machen sie dann nicht. Sie machen sie zu Hause, aber nicht im Atelier.« Sie hielt einen Moment inne. »Der beste Dompteur in Hollywood, ein Mann, der mit Löwen, Tigern, Bären und Elefanten und weiß der Himmel was sonst für Tieren arbeitet, erzählte mir einmal, die größte Mühe bei der Dressur überhaupt hätte er mit einer gewöhnlichen Hauskatze gehabt.«
So erleichtert ich persönlich über den Ausgang dieser Probe war, fragte ich mich doch, wie Eisbär das Ergebnis aufnehmen würde. Ich wußte zwar, daß ihm schon die Vorstellung, ein Filmkater zu werden, zuwider war, aber ich kannte ihn auch gut genug, um zu wissen, daß er in seiner widersprüchlichen kleinen Seele vielleicht immer noch die Illusion nährte, man würde ihn wenigstens für die Rolle in Betracht ziehen, auch wenn er sie am Ende natürlich ablehnen würde. Um ihn und vor allem mich zu beruhigen, hielt ich ihm schließlich einen kleinen Vortrag: Wenn schon ich, der seine Karriere überhaupt erst möglich gemacht hatte, nicht für geeignet gehalten werde, in dem Film mich selbst zu spielen, wie, um alles in der Welt, solle dann ausgerechnet er, dem alle Qualifikationen fehlten, als ernst zu nehmender Anwärter auf die Rolle des Eisbär angesehen werden? Ich hätte wenigstens eine gewisse Bühnenerfahrung. Ich hatte einmal im Krippenspiel in der Schule einen unvergeßlichen Hirten abgegeben – wenigstens so lange, bis sie ein echtes Schaf angeschleppt hatten und Brookie, der Schäferhund, meinen Part übernommen hatte.
Ich ging aber noch einen Schritt weiter. Ich stellte mit aller Sorgfalt eine Liste von Leuten, wenn auch nicht Katzen, zusammen, die in den Filmen, die über ihr Leben gedreht wurden, auch nicht selbst spielen durften. Hat etwa Charles Lindbergh, fragte ich Eisbär, Charles Lindbergh gespielt? Oder Glenn Miller Glenn Miller? Hatte Monty Stratton Monty Stratton gespielt? Eisbär kannte Monty Stratton nicht, aber das machte nichts. Die Antwort auf meine Fragen lag auf der Hand. Alle drei waren von James Stewart dargestellt worden. Spielte Thomas A. Edison sich selbst? Spielte Clarence Darrow Clarence Darrow? Natürlich nicht – Spencer Tracy verkörperte Edison und Darrow. Ich konnte ihm noch zahllose weitere Beispiele geben. Die Schauspielerin Frances Farmer wurde im Film von Jessica Lange verkörpert. Die Sängerin Loretta Lynn wurde von Sissy Spacek gespielt; selbst Boxer wie Rocky Graziano und Jake Lamotta mußten sich gefallen lassen, daß andere sie darstellten, nämlich Paul Newman beziehungsweise Robert DeNiro. Mindestens ein Dutzend Schauspielerinnen, erklärte ich ihm, waren schon Jacqueline Kennedy gewesen, und was Charlton Heston anging, der doch selbst schon jede Menge berühmter Persönlichkeiten verkörpert hatte, so würden sie den, wenn sie sein Leben verfilmen sollten, wahrscheinlich von Ronald Reagan spielen lassen.
Kurz, gerade als ich meinte, alles ein für allemal geregelt zu haben, so daß es zwischen uns keine Mißverständnisse geben würde, geschah etwas Verrücktes: Hollywood rief, wie es so schön heißt.
Ich will der Reihe nach erzählen. Ich arbeitete an einem Artikel über den verstorbenen John Huston und wollte mich dazu natürlich mit seinen Kindern unterhalten. Mit Anjelica und Tony hatte ich schon gesprochen, aber Danny, der Regisseur, fehlte mir noch. Als ich ihn anrief, schlug er mir vor, noch am selben Tag bei ihm vorbeizukommen. Er sei gerade mit der Besetzung seines neuen Films beschäftigt und würde noch am Abend nach England fliegen.
Als ich bei ihm ankam, in einer riesigen Dachwohnung auf der Westseite von Manhattan, saß dort ein halbes Hundert Schauspieler und Schauspielerinnen herum, und alle waren in Drehbücher vertieft.
Ich nannte dem jungen Mann, der hier für Ordnung zu sorgen hatte, meinen Namen, schwatzte ein wenig mit einigen der Schauspieler, die mir bekannt waren, und setzte mich dann, um zu warten. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür, und mein Name wurde aufgerufen.
Im Zimmer, an einem langen Tisch, saßen Danny Huston, ein Produzent, sein Assistent und der Aufnahmeleiter, der für die Komparserie zuständig war. Hinter ihnen saß noch ein halbes Dutzend anderer Leute, die wohl bei der Besetzung der verschiedenen Rollen ebenfalls ein Wörtchen mitzureden hatten.
Vor dem Tisch stand ein einziger Hocker. Mein Platz, schloß ich scharfsinnig und setzte mich. Etwas enttäuscht, daß es das Zweiergespräch mit Danny, wie es mir vorgeschwebt hatte, offensichtlich nicht geben würde, rettete ich mich zunächst einmal in einen Scherz. Ich klopfte mit meinem Spazierstock heftig auf den Boden und sagte: »Das ist wirklich unerhört. Jeder da draußen hat ein Drehbuch, nur ich nicht. Ich weiß nicht einmal, für welche Rolle ich vorgesehen bin. Ich weiß nicht einmal, ob dieser verdammte Film eine Komödie oder eine Tragödie werden soll. Aber eines weiß ich, ganz gleich, was es für eine Rolle ist, ich kann sie spielen.«
Allgemeines Unbehagen machte sich breit. An meine Scherze müssen sich die Leute immer erst gewöhnen – das ist das Problem. Zwei Männer in der hinteren Reihe standen sogar auf und kamen auf mich zu, als hätte jemand nach einem Rausschmeißer gerufen.
Aber Danny hielt sie zurück. »Machen Sie das noch mal«, sagte er zu mir.
Ich mache meine Witzchen nicht gern zweimal. Die meisten halten das nicht aus. Aber noch weniger gern habe ich es, wenn mein Esprit auf taube Ohren trifft. Darum, in der Annahme, Danny sei vielleicht ein wenig schwerhörig, sagte ich noch einmal mit gehöriger Lautstärke meinen Text auf. Diesmal stand Danny selbst auf, sagte den anderen, es sei Zeit für eine kurze Pause, und bedeutete mir, um den Tisch herumzukommen. Danach saßen wir einige Zeit beisammen und unterhielten uns über seinen Vater. Ich machte mir einige Notizen und zog nach angemessener Zeit befriedigt wieder ab.
Mehrere Wochen später, als ich gerade in Kalifornien war, rief mich eines Tages Marian aufgeregt an.
»Raten Sie mal, was passiert ist«, sagte sie.
Ihr Ton verriet mir, daß es sich um etwas Erfreuliches handelte, und ich tippte hoffnungsfroh auf ein Millionenvermächtnis für unseren Tierschutz-Fonds.
»Nein, falsch.«
Meine nächste Vermutung war, daß man eine Katze gefunden hatte, die den Eisbär spielen sollte.
»Auch falsch«, freute sich Marian. »Sie selbst sollen spielen – aber nicht den Eisbär, sondern eine Rolle in einem neuen Film.«
Ich meinte, das könnte nur ein Witz sein.
»Es ist kein Witz«, sagte Marian. »Sie haben die Rolle.«
»Welche Rolle?« wollte ich wissen.
»In einem neuen Film mit dem Titel Mr. North«, erklärte Marian. »Sie spielen einen alten Butler.«
»Einen reifen Butler«, korrigierte ich automatisch, aber Marian ging darauf gar nicht ein. Ich müsse am Dienstag in einer Woche in Newport, Rhode Island, sein, sagte sie und erzählte mir dann, es handle sich um eine Verfilmung von Thornton Wilders letztem Roman, Theophilus North. Die Hauptrolle spiele John Huston, Regie führe Danny Huston. Man habe das Drehbuch bereits herübergeschickt. Ob ich wüßte, wie mein erster Satz lautete.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Also – Sie schlafen, und da macht jemand eine Bemerkung über Newport. An der Stelle wachen Sie auf, klopfen mit Ihrem Stock auf den Boden und sagen: ›Verdammtes Newport! Keine Frau hat hier je ein Konzert von Anfang an gehört oder ein Buch bis zum Ende gelesen.‹«
Erst da dämmerte mir, was geschehen war. Was ich danach zu tun hätte, fragte ich, mittlerweile genauso aufgeregt wie Marian.
»Sie schlafen wieder ein«, antwortete sie.
Das gefiel mir nicht besonders, aber gleich war ich wieder ganz Schauspieler und fragte, wie lang mein Text denn überhaupt sei.
»Sechs Zeilen«, antwortete sie, »die, die ich Ihnen eben zitiert habe, nicht mitgezählt.«
Nun, die Rolle des Hamlet war das nicht gerade, aber jeder muß mal klein anfangen. Eines wußte ich jetzt immerhin – wie ich zu der Rolle gekommen war. Rein durch Zufall hatte ich mit meinem kleinen Gag vor der versammelten Besetzungsmannschaft ziemlich genau den Ton getroffen, der bei dem Filmbutler gefragt war. Und Danny, der nach England wollte, um unter anderem einen echt englischen Butler aufzutreiben, und der wie sein Vater immer gern sparte, hatte sich überlegt, daß mit ein bißchen Proben auch ich diese Rolle übernehmen könnte.
Als ich wieder in New York war, fragte ich mich, wie ich Eisbär diese Wendung der Dinge beibringen sollte. Da hatte ich ihm erzählt, einer der Gründe, warum er nicht im Film spielen könne, sei, daß auch ich nicht spielte, und nun war ich – genaugenommen hinter seinem Rücken – ohne ihn unter die Schauspieler gegangen. Mein erster Gedanke war, ihn nach Newport mitzunehmen, um ihm an Ort und Stelle zu beweisen, daß ihm das Filmemachen überhaupt nicht liegen würde. Doch dieser Plan fiel flach, als Marian mir sagte, daß wir in einem Motel wohnen würden.
Eisbär und ich waren nur einmal in einem Motel abgestiegen, und er war davon überhaupt nicht angetan gewesen. Schon als ich bei der Bestellung seiner abendlichen Portion Katzenkräcker erst des langen und breiten erklären mußte, was Katzenkräcker waren, war mir klar, daß ein Motelaufenthalt für uns nicht wieder in Frage kam. Aber ganz abgesehen von Eisbärs Ansichten über Motels fand ich die Vorstellung, in einem Motel zu wohnen, unerhört. Und das auch noch in Newport – einem Ort, wo man zu meiner Zeit sogar ein Hotel verschmäht hatte. Einfach undenkbar! Ich beschloß daher, keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden.
Alles in allem war ich froh, daß ich Eisbär nicht mitgenommen und gleicher Demütigung unterworfen hatte. Ich merkte allerdings bald, daß meine Vorurteile nicht ganz berechtigt gewesen waren. Tatsächlich nämlich hatten Marian und ich vom Moment unserer Ankunft an großen Spaß. Die Schauspielerei ist einfach amüsanter als das Schreiben – einerseits, weil alles amüsanter ist als Schreiben, andererseits, weil man dabei nicht ständig mutterseelenallein vor sich hin ackert. Man gehört zu einer Gemeinschaft.
John Huston war zu krank, um seine Rolle übernehmen zu können, und Robert Mitchum war für ihn eingesprungen; aber wenn zum Beispiel Lauren Bacall sich bei den Aufnahmen über ihren Text aufregte, nun, dann war ich da, um sie zu beruhigen. Wenn Anjelica Huston einen Rat brauchte, dann war ich da, um ihn ihr zu geben. Wenn Robert Mitchum einen schwarzen Tag hatte – tatsächlich hatte er gerade an den Tagen, als ich da war, nichts zu tun –, wäre wieder ich da, um in die Bresche zu springen.
Innerhalb weniger Stunden hatte ich sogar so viel Selbstbewußtsein gewonnen, daß ich es wagte, mit Harry Dean Stanton zu konkurrieren, der als Cockney-Kumpel des Helden, Tony Edwards, eindeutig der komischste Typ der ganzen Truppe war. Und ich war nicht einmal gekränkt, als er mir riet, ich solle während des Drehens nicht auf die Monitore schauen und mir auch abends die Muster nicht ansehen.
»Wenn Sie es tun«, sagte er, »bringt Sie das für morgen aus dem Tritt.«
Aber ich hatte längst das Gefühl, daß nichts mich aus dem Tritt bringen könnte. Besonders vergnüglich fand ich die Picknicks mit den Komparsen, die in Bussen aus Boston angekarrt wurden. Manche konnten noch Geschichten über Greta Garbo und Rudolph Valentino erzählen. Nur einmal saß ich mittags einsam und allein, aber weil ich es so wollte. Ich mußte, wie ich erklärte, an meinem Text arbeiten – auch wenn er an diesem Nachmittag nur eine einzige Zeile umfaßte.
Monate später, als der Film in die Kinos kam, bildete ich mir ein, nun würde mir der Briefträger meine Post in Waschkörben bringen müssen. Aber das war Illusion. In Wirklichkeit bekam ich ganze zwei Briefe, und in dem einen schrieb man mir, ich hätte nicht gerade geglänzt. Aber ein Star kann selbstverständlich seine Leistung nicht nach seiner Fan-Post beurteilen. In dem anderen Brief stand, ich sei hervorragend gewesen. Böse Zungen behaupteten natürlich, er sei von meiner Schwester gewesen, aber das war nur der Neid. Er war nicht von meiner Schwester – er war von meiner Schwägerin.
Ich wartete geduldig darauf, daß William Morris und ICM und all die anderen renommierten Agenturen mit neuen Angeboten bei mir anrufen würden, aber es rührte sich nichts. Es gab nicht einmal jemanden, der vorgeschlagen hätte, ich solle doch in dem Film über Eisbär mich selbst spielen. Ich konnte mir das nur damit erklären, daß sie alle fürchteten, ich würde nun zuviel kosten. Resigniert begann ich zu überlegen, wer denn sonst die Rolle übernehmen könnte, und entschied mich nach langem Grübeln für George C. Scott. George C. Scott war zwar nicht ich, aber wer war das schon? Und er hatte zweifellos Möglichkeiten.
Als ich das nächste Mal in Hollywood war, machte ich daher George einen Besuch. Wenn wir zusammenkommen, spielen wir gern eine Partie Schach. Das war diesmal nicht anders. Mitten in der Partie packte ich den Stier bei den Hörnern – ein Ausdruck, den ich eigentlich gar nicht mag – und fragte ihn, ob er, falls man Die Katze, die zur Weihnacht kam verfilmen würde, bereit wäre, mich darzustellen. Ich stellte die Frage übrigens ganz bewußt, bevor ich am Zug war.
George dachte einen Augenblick nach und sah mich an. »Du kannst ihnen sagen«, meinte er, »daß ich interessiert bin.«
Wir spielten weiter. Kurz vor dem Ende der Partie – als George der Sieg sicher war – sah er mich wieder an. »Sag nicht, ich wäre interessiert«, sagte er. »Das heißt überhaupt nichts. Sag ihnen, ich bin sehr interessiert.«
Froh und dankbar, wollte ich mich natürlich erkenntlich zeigen. Als wir später gemeinsam essen gingen – George, seine Frau Trish, eine Bekannte und ich –, beschloß ich, die ganze Gesellschaft einzuladen. Wir waren im Ginger Man, und während die anderen sich unterhielten, winkte ich die Kellnerin heran und sagte ihr, sie solle mir die Rechnung bringen.
»Tut mir leid, Sir«, entgegnete sie. »Mr. Scott hat mir schon aufgetragen, ihm die Rechnung zu bringen.«
Hm, da war anscheinend nichts mehr zu machen. Aber ein paar Minuten später ergab sich noch einmal Gelegenheit, mit der Kellnerin zu sprechen. »Hören Sie«, sagte ich, »ich bin mit Ihrem Chef befreundet, und er möchte, daß Sie die Rechnung mir bringen.«
»Tut mir leid, Sir«, sagte sie wieder, »davon hat Mr. O’Connor mir nichts gesagt. Sie kenne ich nicht; Mr. Scott dagegen ist Stammgast bei uns.«
Aber vor dem Nachtisch bot sich noch eine letzte Chance. Diesmal setzte ich Verschwörermiene auf, als ich mit ihr sprach. Ich wolle die Rechnung deshalb haben, erklärte ich flüsternd, weil heute Mr. Scotts Geburtstag sei.
»Ach so«, flüsterte sie gleichermaßen verschwörerisch zurück. »Jetzt verstehe ich.«
Und tatsächlich, wenig später schob sie mir, unbemerkt von George, die Rechnung zu.
Doch als wir gerade aufstehen wollten, um zu gehen, verdunkelte sich plötzlich das ganze Restaurant, und die Kellnerin trat mit einer riesigen Geburtstagstorte voll brennender Kerzen in den Saal. Rundherum standen die Leute auf, begannen zu klatschen und stimmten – den Blick direkt auf George gerichtet – »Happy Birthday to You« an.
Beim dritten »Happy Birthday«, als der Schein der Kerzen unseren Tisch erreichte, sah ich Georges Gesicht. Es war hochrot vor Zorn, und seine Augen funkelten mich wütend an. Dem Mann, der einen Oscar ausgeschlagen hatte, war es zutiefst zuwider, sich in einem öffentlichen Lokal als Geburtstagskind feiern zu lassen. Er wohnt in einem Haus hoch oben in der Wildnis der Hügel von Malibu, hat eine geheime Telefonnummer und eine geheime Adresse in einer Straße, die keinen Namen hat. Wenn es einem dennoch irgendwie gelingt, das Haus ausfindig zu machen, und man dann die Kühnheit besitzt zu läuten, wird man nicht von George oder Trish empfangen, sondern von zwei englischen Doggen, die das Format kleiner Dinosaurier haben.
Kurz und gut, als die Torte unter Gesang und Applaus auf unseren Tisch gestellt wurde, hörte ich, wie George mit seiner General-Patton-Stimme wütend zu mir sagte: »Verdammt noch mal, Amory – er ist im Oktober!«
Sehr peinlich – es war gerade erst Mai. Vergeblich versuchte ich auf dem Weg hinaus ihm zu erklären, daß ich keine Ahnung gehabt hatte, wann sein Geburtstag war, und daß ich mir diese Kriegslist nur ausgedacht hatte, um die Kellnerin dazu zu bewegen, mir die Rechnung zu geben. Meine Erklärungen halfen nichts. Fast ein Jahr lang hörte ich nichts mehr von George.
Ich habe übrigens auch nie mehr etwas von einem Film namens Die Katze, die zur Weihnacht kam gehört. Was, wie ich hinzufügen möchte, ganz in Eisbärs Sinn war.
6. Ein Herz für Tiere
Als kleiner Junge hatte ich eine Lieblingstante. Sie hieß Lucy, und zu ihren, wie wir damals fanden, Eigenheiten gehörte es, daß sie überall streunende Hunde und Katzen aufzulesen pflegte. Viele von ihnen behielt sie bei sich im Haus, und wenn ich sie besuchte – was ich mit Leidenschaft tat –, durfte ich mit ihnen allen spielen.
Diese Tante schenkte mir zu Weihnachten einmal ein Buch. Es hieß Black Beauty und wurde sofort mein Lieblingsbuch. Ich las diese bemerkenswerte Geschichte von der Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber Pferden so oft, daß ich sie am Ende praktisch auswendig hersagen konnte.
Nicht weniger bemerkenswert ist die Geschichte seiner Autorin, einer englischen Quäkerin namens Anna Sewell. Black Beauty ist das einzige Buch, das Miß Sewell je geschrieben hat. Sie war schon über fünfzig, als sie es zu schreiben begann, und so krank, daß sie sieben Jahre dazu brauchte und die letzten Kapitel diktieren mußte, weil sie vor Schmerzen keinen Bleistift mehr halten konnte. Sie verkaufte ihr Buch mit allen Rechten für lumpige zwanzig Pfund und starb wenige Monate nach seiner Veröffentlichung. Seinen ungeheuren Erfolg – es wurde zu einem der meistgelesenen englischen Bücher – konnte sie nicht mehr genießen.
Die Geschichte, wie Black Beauty nach Amerika kam, wurde mir von meiner Tante Lu erzählt. Im Jahr 1868, zehn Jahre vor Erscheinen des Buches, wurden zwei Traber mit Namen Empire State und Ivanhoe vierzig Meilen über holprige Straßen von Brighton nach Worcester gehetzt. Das Rennen ging um ein Preisgeld von tausend Dollar. Die Pferde liefen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fünfzehn Meilen pro Stunde – und beide starben nach dem Rennen. Sie waren buchstäblich zu Tode gehetzt worden.
Am folgenden Tag erschien im Boston Daily Adviser ein Brief mit folgendem Text:
»Mir scheint, es ist höchste Zeit, daß jemand sich dieser Sache mit allem Ernst annimmt und zusieht, ob wir hier in Boston, wie andere in New York, nicht auch etwas unternehmen können, um dieser Grausamkeit gegen Tiere Einhalt zu gebieten… Ich jedenfalls bin bereit, Zeit und Geld beizutragen. Wenn es in Boston einen Verein oder einen Menschen gibt, mit dem ich mich in dieser Angelegenheit zusammentun kann oder der bereit ist, sich mit mir zusammenzutun, würde ich mich freuen, persönlich oder brieflich davon in Kenntnis gesetzt zu werden.«
Der Brief war von einem Urgroßonkel von mir, einem gewissen George Thorndike Angell, unterzeichnet. Er war ein Großonkel meiner Tante Lu. In Reaktion auf diesen Brief des prominenten Anwalts und Philanthropen fand sich bald eine beeindruckende Gruppe angesehener Bürger zusammen, unter ihnen nicht nur bekannte Bostoner Kaufleute, sondern auch einige hervorragende Literaten. Schon vor Angell hatten Emerson, Thoreau, Oliver Wendell Holmes und John Greenleaf Whittier Grausamkeiten gegen Tiere angeprangert. Aber Angell ging weiter. Die »American Humane Education Society«, die nach seinem Brief an die Zeitung gegründet wurde, war die erste ihrer Art in den USA, und die erste Publikation der Gesellschaft war das Buch Black Beauty, das Angell als »das Onkel Toms Hütte der Pferde« bezeichnete. Es dauerte nicht lange, bis dieses Buch seinen Weg zu mehr als drei Millionen amerikanischer Leser und in praktisch jede Schulbibliothek des Landes fand.
Auf mich machte das Buch einen so tiefen Eindruck, daß ich davon träumte, eines Tages eine solche Zufluchtsstätte für Tiere zu errichten, wie das Pferd Black Beauty sie schließlich findet. Heute hat der Tierschutz-Fonds in der Tat ein solches Refugium für Tiere. Es heißt nach dem Buch »Black Beauty Ranch«, und unter dem Namensschild über dem Tor der Ranch stehen folgende Zeilen:
Ich habe nichts zu fürchten,
Und hier endet meine Geschichte.
Alle meine Kümmernisse sind vorbei,
Und ich bin zu Hause.
Die letzten Zeilen von Black Beauty, Anna Sewell
Die »Black Beauty Ranch« in Murchison, Texas, im östlichen, grünen Teil des Staats gelegen, verdankt ihre Gründung nicht nur meinem Kindertraum, sondern auch ganz praktischen Erwägungen. Nachdem wir es uns einmal zur Aufgabe gemacht hatten, Tiere zu schützen und vor Grausamkeit zu retten, brauchten wir dringend einen Ort, wo wir diese Tiere entweder bis zu späterer Abgabe oder für immer unterbringen konnten. Ich denke nur an unsere Rettungsaktion der Burros, der Wildesel im Grand Canyon. Wir hatten gehofft, sie, nachdem wir sie zuerst zusammengetrieben und mit Hubschraubern herausgeholt hatten, in Koppeln unmittelbar an den Rändern des Grand Canyon absetzen zu können. Doch das hatte sich aus zwei Gründen als undurchführbar erwiesen. Erstens hatten wir viel zu viele Tiere heraufgeholt – nämlich genau 577 –, um für alle einen guten Platz finden zu können; und zweitens waren viele der kleinen Esel gar nicht in einem Zustand, der es erlaubt hätte, sie sofort abzugeben. Wir brauchten einen Ort, wo wir sie unterbringen und tierärztlich versorgen konnten, um sie wieder auf die Beine zu bringen.
Unsere Rettungsunternehmen dehnten sich mit der Zeit auch auf Wildpferde und wilde Ziegen sowie eine große Vielfalt anderer Tiere aus. Während ich dies schreibe, leben auf der »Black Beauty Ranch«, einem Areal von über sechshundert Morgen, mehr als sechshundert Tiere, unter ihnen Rennpferde, Waschbären, Maultiere, Affen, Füchse, Elefanten und Lamas. Zu ihnen zählen auch solche Berühmtheiten wie Nim, der »singende« Schimpanse, und Shiloh, das letzte der beklagenswerten »Taucher«-Pferde von Atlantic City, die Tag für Tag sechsmal aus einer Höhe von fast zwanzig Metern in ein drei Meter tiefes Wasserbecken springen mußten.
Ich weiß nicht, wie ich auf die Schnapsidee kam, Eisbär mit auf die Ranch zu nehmen. Ich wußte schließlich nur zu gut, wie er zu reagieren pflegte, wenn man seine Abneigung gegen Reisen mißachtete. Aber in diesem Fall ließ ich es einfach darauf ankommen. Er brauchte ja auf der Ranch nichts weiter zu tun, als sich von mir herumtragen zu lassen.
Wenn ich verreise, packe ich niemals am Abend zuvor. Ich lasse Eisbär den Koffer immer erst in letzter Minute sehen, weil ihm dann weniger Zeit bleibt, seine übliche Schau abzuziehen, die stets nach dem gleichen Schema verläuft: Erst wird er unwirsch, dann zornig und schließlich fuchsteufelswild. Ich halte das auch so, wenn er mit mir reist; im Gegensatz nämlich zu glücklicheren »Katzen-Besessenen« kann ich es mir nicht leisten, seinen Korb herauszuholen und ihm zu zeigen, daß er mitkommen darf – es ist ihm schnurzegal, wohin die Reise geht, ihm paßt sie auf keinen Fall, er möchte nur zu Hause bleiben.
Also packte ich wie gewöhnlich erst am Morgen der Reise in aller Eile, vergaß natürlich diverse Dinge, schob Eisbär dann mit eiserner Hand in seinen Katzenkoffer und machte mich auf den Weg zum Flughafen. Wollte ich behaupten, er hätte sich besser benommen als auf früheren Reisen, so wäre das nicht wahr. Aber er war auch nicht schlimmer als sonst. Er schien mir nur schlimmer zu sein, weil ich die schauerlichen Erinnerungen an frühere Reisen mit ihm verdrängt hatte.
Sie meldeten sich jedoch sofort wieder, als ich seine ersten, fein abgestimmten »Ajaus« zu hören bekam. Sie fingen ganz zaghaft an, als wir im Taxi saßen, und steigerten sich zu voller Lautstärke, sobald wir in der Maschine waren. Nachdem er mir zunächst mit einem besonders durchdringenden »Ajau!« bekundet hatte, daß er aus dem verhaßten Katzenkoffer genommen zu werden wünschte, um wenigstens sein Leben aushauchen zu können, wo er wollte, stimmte er, sobald ich einen Spalt aufgemacht und er ein wenig Luft hatte, ein wahrhaft schmetterndes »Ajau!« an, um mich wissen zu lassen, daß er aus dem Flugzeug herauswollte. Er kreischte so ohrenbetäubend, daß sogar die Stewardeß mir voller Mitleid Trost zusprach.
Nach der Landung setzte ich, Eisbär immer noch sicher und wohlbehalten in seinem Katzenkoffer, die Reise mit einem Mietwagen fort. Es war Sommer, und im Sommer ist es heiß in Dallas. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß alle Wagenfenster fest geschlossen waren, schaltete ich die Klimaanlage ein und ließ Eisbär aus seinem Koffer. Er war erstaunlich brav – weit braver als im Flugzeug – und zeigte großes Interesse an seiner Umwelt, insbesondere, als wir die kahle, wüstenähnliche Ebene hinter uns ließen und allmählich in welliges grünes Land vorstießen, auf dem Pferde und Rinder weideten. Mit Pferden kennt Eisbär sich aus, er begegnet ihnen oft genug im Central Park, aber Rinder hatte er noch nie gesehen. So fremd sie ihm jedoch waren, sie schienen ihm, da bin ich sicher, ein äußerst angenehmes Leben zu führen. Wenn sie nicht gerade fraßen oder kauten, lagen sie faul im Gras und schöpften Kraft, um erneut nach Herzenslust fressen und kauen zu können.
Ich bog wie immer mit wachsender Vorfreude und Erregung in die ungeteerte Straße ein, die zur Ranch führt. Am Tor hielt ich erst einmal an, wie ich das stets tue, um mir das Schild anzusehen, fuhr dann ein Stück hinein, hielt wieder an, schaltete den Motor aus und blickte mich in aller Ruhe um. Überall waren Tiere. Dort drüben in der Ferne konnte ich den mächtigen Kopf Congas, des Elefanten, erkennen. Noch ein Stück weiter jagte eine Herde wilder Mustangs über die Weide. Und näher bei mir waren alle möglichen Arten von Tieren, deren Kümmernisse, wie auf dem Schild über dem Tor stand, vorüber waren und die hier ein Zuhause gefunden hatten.
Es dauerte nicht lange, da kam einer der Rancharbeiter angefahren, begleitet von der Mischlingshündin Lady, die wir auf der Ranch nur unseren Oberhund nennen. Fröhlich rannte sie neben dem Wagen her. Eisbärs Meinung über sie sank auf den Nullpunkt, als sie es irgendwie schaffte, ihm mitzuteilen, daß sie nicht für die Bewachung von Menschen, sondern von Tieren zuständig war. Aber er brauchte ihre Anwesenheit nicht lange zu ertragen, da wir nach kurzer Begrüßung mit dem Mann die Fahrzeuge tauschten und zu einer Besichtigungstour der Ranch aufbrachen.
Ein Tier besuche ich immer zuerst, wenn ich auf die Ranch komme. Es ist ein ganz besonderer kleiner Burro namens Friendly. Als wir die große Burro-Weide erreicht hatten, kurbelte ich erst die Wagenfenster hoch, damit Eisbär nicht entwischen konnte, dann stieg ich aus, und noch ehe ich Friendly auf der Weide entdeckt hatte, entdeckte sie mich und kam zu mir gelaufen. Sie galoppierte nicht – Burros galoppieren selten –, sie trabte, was für einen Burro Höchstgeschwindigkeit ist. Als Friendly so nah herangekommen war, daß ich nur den Arm auszustrecken brauchte, um sie zu streicheln, warf ich einen Blick zum Wagen und sah, daß Eisbär nicht nur neugierig herüberschaute, sondern mir durch heftiges Kratzen am Fenster zu verstehen gab, daß er herauswollte. Ich ging sofort zurück, um ihn zu holen und mit dem ersten Burro bekannt zu machen, den er je gesehen hatte.
Friendly ist ein Rauhbein, wenn sie es mit Tieren ihrer Größe oder solchen zu tun hat, die größer sind als sie. Aber kleineren Geschöpfen gegenüber benimmt sie sich stets absolut damenhaft, und Eisbär, diesem Zwerg, zeigte sie sich von ihrer freundlichsten Seite. Er hielt es nicht einmal für nötig, eifersüchtig zu werden. Während Friendly mir freundschaftlich ihren Kopf in den Bauch stieß und Eisbär keck ihren Hals mit seiner Pfote erkundete, dachte ich, wie so oft, daran, welch wichtige Rolle dieser kleine Esel bei unserer ersten größeren Rettungsaktion gespielt hatte.
Friendly war unter der ersten Gruppe Burros, die wir aus dem Grand Canyon retteten. Fest angeseilt wurde sie von einem Hubschrauber aus den Tiefen heraufgetragen. Ich war auf der Koppel, als sie über den Rand gehoben und sachte zu Boden gesetzt wurde. Anders als die übrigen Burros bisher, ergriff Friendly nicht augenblicklich die Flucht vor uns, sondern blieb stehen und betrachtete uns mit diesem nachdenklichen und philosophischen Blick, der, wie ich bald lernte, typisch für sie war. All das, was ihr zugestoßen war – die Jagd auf sie und ihre Genossen, die Gefangennahme, der donnernde Flug durch die Lüfte, die Landung mitten unter Hunderten neugieriger Menschen –, das alles war sicherlich beängstigend und unverständlich gewesen; kein Wunder, daß sie uns jetzt ansah, als hätte sie eine Bande Verrückter vor sich. Aber sie spürte, daß wir ihr nicht weh tun wollten, und damit stand für sie fest, daß wir nicht durch und durch schlecht sein konnten.
An jenem ersten Tag ging ich nach Einbruch der Dämmerung noch einmal auf die Koppel hinaus. Zum erstenmal wagte ich mich unter die Burros, die vor Stunden noch völlig »wild« gewesen waren, und suchte nach Friendly. Hinter mir auf dem Zaun hockten ein paar Cowboys, die bei dem Rettungsunternehmen mitgewirkt hatten. Ich hörte sie lachen und hatte den Eindruck, daß sie über mich lachten. Als ich mich nach ihnen umdrehte, wußte ich, warum. Während ich nach Friendly gesucht hatte, war sie die ganze Zeit in der Dunkelheit auf leisen Hufen hinter mir her getrottet, und ich bin sicher, sie wußte genau, wie komisch das wirkte.
Wir hatten lange vorher in der Öffentlichkeit bekanntgemacht, daß Burros leicht zu zähmen und als Haustiere für Kinder gut geeignet seien; sie seien, behaupteten wir, noch gutmütiger als Pferde, und rieten allen Eltern, ihren Kindern statt eines Ponys einen Burro zu schenken. Wir rührten die Werbetrommel, weil wir Plätze für unsere Burros brauchten; in Wirklichkeit wußten wir nicht, ob sie tatsächlich so gut zu haben waren; wir hatten keinerlei Beweis für die Richtigkeit unserer Behauptung. Den Beweis lieferte jetzt Friendly. Eben darum hatte ich ihr in jenen ersten Minuten auf der Koppel, als sie nur ruhig dagestanden und uns angesehen hatte, ohne davonzulaufen, den Namen Friendly gegeben. In meinen Augen hatte sie nicht nur dem Rettungsunternehmen im Grand Canyon und dem nachfolgenden Unterbringungsprogramm zum Erfolg verhelfen, sondern auch den weit umfangreicheren späteren Aktionen im Naval Weapons Center am China Lake und im Death Valley, bei denen mehr als fünftausend Burros insgesamt gerettet wurden.
Ich konnte nicht sehen, ob Eisbär doch noch eifersüchtig wurde, als ich Friendly, wie ich das zur Begrüßung stets zu tun pflegte, fest umarmte, wenn auch diesmal nur mit einem Arm, da der andere ja von Eisbär besetzt war. Mir fiel aber dabei eine Episode ein, die sich zugetragen hatte, als Friendly hatte zusehen müssen, wie ich einen anderen Burro umarmte.
Die Geschichte lag mittlerweile mehr als zehn Jahre zurück. Friendly war trächtig, als wir sie aus dem Grand Canyon holten, und brachte ihr Junges, das wir Friendly Zwei tauften, später auf der Ranch zur Welt. Ich sah ihr Kleines das erstemal, als sie mir mit ihm über die Weide entgegenkam. Bei mir angekommen, wollte sie mich wie gewohnt mit Kopfstoß begrüßen, aber plötzlich hielt sie inne, trat etwas zurück und schob mir ihr Kleines zu. Ich umarmte und streichelte das Eselchen, bis Friendly sich plötzlich – schneller, als sie vorher zurückgetreten war – dazwischendrängte, ihr Fohlen wegschubste und nun selbst ihren Kopf in meinen Bauch stieß. Es war geradeso, als wollte sie sagen, sie habe mir ja ihr Kleines gern gezeigt und auch nichts dagegen gehabt, daß ich es liebkoste, aber nun sei es wirklich genug. Ich solle gefälligst nie vergessen, daß sie Friendly Eins war und ihr Kleines Friendly Zwei.
Diesmal jedoch war es Eisbär, der es für nötig hielt, meinem Austausch von Zärtlichkeiten mit Friendly Einhalt zu gebieten. Er strampelte und boxte so unmißverständlich, daß mir nichts anderes übrigblieb, als Friendly loszulassen und ihm zu erlauben, mich auch einmal in den Bauch zu stoßen.
Es war sowieso Zeit geworden, die Tour fortzusetzen. Es waren noch viele andere Burros hier, die ich persönlich begrüßen wollte, einen im besonderen, der – ein seltener Fall – nach seiner Übernahme zu uns zurückgebracht worden war. Die Vorschriften des Tierschutz-Fonds zur Übernahme von Tieren sind streng. In unserem Vertrag heißt es, daß jedes Tier von uns wieder zurückgenommen werden kann, wenn »das Tier nach subjektiver Beurteilung des Fonds nicht ordnungsgemäß versorgt, getränkt, gefüttert, betreut wird usw.« und »nicht glücklich« ist. Dieser Burro war uns zurückgebracht worden, weil er, wie die Leute, die ihn aufgenommen hatten, behaupteten, »zu wild« und »überhaupt nichts mit ihm anzufangen« war. Um zwei Uhr eines Nachmittags kam er wieder hier auf der Ranch an, schon am Abend fraß er dem Knecht aus der Hand und ging auf alle Besucher, selbst völlig fremde, zutraulich zu.
Nach den Burros kamen die Maulesel an die Reihe. Wir haben Dutzende auf der Ranch, und ihnen gilt unsere besondere Wertschätzung, weil ohne sie schwierige Rettungsaktionen nicht durchführbar gewesen wären. Mußten zum Beispiel die Esel von den Höhen herabgetrieben werden, auf die sie sich, wenn sie gejagt wurden, flüchteten, so verfolgten die Cowboys sie auf Mauleseln, die nicht nur klüger sind als Pferde, sondern auch wesentlich wendiger auf schwer begehbarem Höhengelände.
Die Erklärung für die größere Klugheit und Wendigkeit des Maulesels ist einfach: Er ist dem Pferd überlegen, weil seine Mutter ein Burro war. Noch klüger als der Maulesel, behaupteten die Leute auf der Ranch, sei das Maultier, das ein Pferd zur Mutter und einen Burro zum Vater hat.
Es waren aber auch, dachte ich mir, während ich sie betrachtete, wirklich außergewöhnliche Tiere. Mein besonderer Liebling ist Ghostly, ein rein weißer Maulesel, in dem Klugheit und Sanftmut so ideal gepaart sind, daß er unser aller Herzen gewonnen hat und selbst Eisbärs Wohlwollen eroberte, als ich versuchte, die beiden Weißen zusammen zu fotografieren. Einfach war das nicht – einen Arm um Eisbär und einen um Ghostly –, und leider ist das Foto auch nichts geworden.
Nach den Mauleseln machten wir uns auf den Weg zu den Pferden. Es gibt auf der Ranch so viele verschiedene Arten von Pferden, daß es schwierig ist, sich unter ihnen einen Liebling zu wählen. Aber ich glaube, Eisbär verlor sein Herz an einen liebenswerten kleinen Burschen, der in seinen frühen Jahren Schreckliches erlitten hatte und beinahe Hungers gestorben wäre. Infolge der andauernden Unterernährung hatte sich das Pferd nie zu seiner vollen Größe entwickelt. Pilgrim, wie wir das Pferd nach seiner Rettung tauften, konnte sich an dem Tag, an dem er gefunden wurde, kaum noch bewegen und versuchte dennoch verzweifelt und mit letzter Kraft, sich zu einem Baum zu schleppen, dessen Borke ihm Nahrung gewesen wäre. Er, der anfangs keinem traute, geht jetzt vertrauensvoll auf jeden zu, da machte auch Eisbär keine Ausnahme. Während ich mit Eisbär im Arm abwartend dastand, näherte sich Pilgrim gemächlich und begann freundlich zu wiehern. Eisbär antwortete zunächst mit einem zaghaften »Ajau«, und nach einem kurzen Zwiegespräch streckte er in eindeutig freundlicher Absicht Pilgrim die Pfote entgegen.
Als nächstes besuchten wir einen Schimmel namens Cody, dem ich Eisbär jedoch vorsichtig fernhielt. Ich glaube, kein Pferd auf der Ranch hat Schlimmeres erlebt als Cody; was er durchgemacht hat, ist ein wahrhaft empörendes Beispiel menschlicher Grausamkeit gegen Pferde. Sein früherer Eigentümer, ein Arzt, war so aufgebracht darüber, daß das Pferd ihm nicht mit dem gleichen Zutrauen begegnete wie dem Jungen, der es versorgte, daß er es eines Tages in einem Wutanfall ins Knie schoß. Aber damit nicht genug, kettete er das verletzte Tier an und ließ es zehn Tage lang ohne ärztliche Betreuung. Eine Gruppe Frauen verklagte den Arzt. Er wurde zwar verurteilt, doch es gelang den Frauen nicht, das Sorgerecht für das Pferd zu bekommen. Aber sie ließen nicht locker: Zunächst kauften sie Cody auf einer Versteigerung – bei der er sonst sicher dem Schinder in die Hände gefallen wäre –, dann sammelten sie genug Geld, um ihn auf die »Black Beauty Ranch« bringen zu lassen.
Als ich Cody das erstemal sah, wie er mit seinem kaputten Vorderlauf herumzuhumpeln versuchte, war ich überzeugt, er leide so heftige Schmerzen, daß es barmherziger wäre, ihn einzuschläfern. Der Tierarzt meinte jedoch, ich solle die Entscheidung wenigstens bis zum Nachmittag vertagen. Und als ich Cody am Nachmittag das nächste Mal sah, war er auf der Weide, weit entfernt von der Stelle, wo ich ihn zuerst gesehen hatte. Wenn er wirklich so von Schmerzen geplagt gewesen wäre, wie ich glaubte, meinte der Tierarzt, hätte er es sicher nicht geschafft, einen solchen Weg zurückzulegen. Ich stimmte ihm zu, hatte aber dennoch Sorge, daß Cody sich bei der Fütterung gegen die wilden Mustangs nicht würde durchsetzen können. Einer der Knechte ließ mich später bei der Fütterung zusehen. Cody erwies sich als äußerst wehrhaft. Mit zurückgelegten Ohren und gefletschten Zähnen verteidigte er seinen Futteranteil gegen jedes Pferd, das versuchte, ihm etwas wegzunehmen, und bald sahen auch die wildesten Rowdys unter ihnen ein, daß es nichts einbrachte, sich mit Cody anzulegen.
Es wäre viel zu gefährlich gewesen, ihm mit Eisbär auf dem Arm zu nahe zu kommen, zumal ich längst gelernt hatte, daß man sich ihm am besten nur näherte, wenn jemand dabei war, der regelmäßig mit ihm zu tun hatte.
Nur einer meiner Lieblinge fehlte – Whitey, das Pferd, das beinahe zu uns gekommen wäre. Whitey war zum Symbol der leidenden Kutschpferde geworden, die überall im Land ausgebeutet und mißhandelt wurden. Eines Sommers vor einigen Jahren war er in New York in der 62. Straße plötzlich ins Taumeln geraten und dann, buchstäblich betäubt von der Hitze, umgefallen und auf die Straße gestürzt. Dort wäre er zweifellos verendet, wären nicht eine Krankenschwester und zwei Studenten der Tiermedizin, die das zufällig mitansahen, ihm zu Hilfe gekommen. Obwohl ein Gesetz in New York vorschrieb, daß Kutschpferde bei Temperaturen über dreißig Grad nicht eingesetzt werden durften – einer der wenigen Siege, die der Tierschutz-Fonds bis dahin für diese Tiere errungen hatte –, wurde gegen diese Vorschrift immer wieder verstoßen. Eine Frau, die Whitey besuchte, stellte fest, daß dies dasselbe Pferd war, das, wie sie selbst gesehen hatte, bereits sechs Wochen zuvor in der Hitze zusammengebrochen und dann von seinem Kutscher mit Fußtritten und Peitschenhieben wieder auf die Beine gezwungen worden war.
Der New Yorker Rundfunksprecher Barry Gray sorgte dafür, daß der Fall Whitey zum öffentlichen Skandal wurde, und bewirkte, daß das Pferd, nachdem sein Eigentümer das Angebot des Tierschutz-Fonds, Whitey zu kaufen, ausgeschlagen hatte, doch aus der Stadt fortgebracht wurde. Eine weitere positive Folge der allgemeinen Empörung war der Erlaß neuer Gesetze, die den Einsatz von Kutschpferden während der Hauptverkehrszeiten verbieten und ihren Arbeitsbereich im wesentlichen auf den Central Park beschränken.
Zum Abschluß unserer Pferderunde fuhren wir auf die weiter draußen liegenden Weiden hinaus, wo der Fonds seine Wildpferde hält. Das sind vielleicht die Tiere, für die sich der Fonds am nachdrücklichsten eingesetzt hat. Ich persönlich hatte große Hoffnungen für das Wohl der Wildpferde, als Präsident Reagan ins Amt kam. Er hatte immerhin einmal erklärt, »das Beste für die Seele eines Menschen ist das Herz eines Pferdes.« Doch Präsident Reagans Gefühle beschränkten sich anscheinend auf republikanische Pferde. Obwohl weniger als siebzigtausend Wildpferde auf staatlichem Gebiet weideten – im Vergleich zu viereinhalb Millionen Rindern und Schafen, deren Eigentümer die staatlichen Ländereien natürlich zu lachhaft niedrigen Tarifen pachten konnten –, setzten die Rancher des Westens und die Politiker, die nur ihre Handlanger waren, sich durch.
Zusammentreibung nach Zusammentreibung wurde vom Kongreß genehmigt, und allein in den achtziger Jahren wurden dem »Bureau of Land Management« Millionen zusätzlicher Mittel für seine brutale Arbeit bewilligt. Es tat diese Arbeit, nebenbei bemerkt, fast nie selbst, sondern delegierte sie an irgendwelche Gesinnungsgenossen. Als ich einmal auf einem ihrer Weideplätze in Nevada war, fragte ich den Mann, der diese Verwahranstalt betrieb, ob ich seine Krüppel sehen könnte. »Ach, die sollten Sie sich besser nicht anschauen«, antwortete er, »und haben wollen würden Sie die bestimmt nicht. Manche können nicht mal laufen, und andere haben keine Augen mehr.« Dieser Mann, der nicht einmal einen Tierarzt in seinem Betrieb hatte, erhielt jeden Tag zehntausend Dollar.
Ich möchte an dieser Stelle bemerken, daß Wildpferde auf der »Black Beauty Ranch« nicht »zugeritten« werden. Sie werden vielmehr »gezähmt.« Niemals nähert man sich ihnen während dieses Prozesses mit Autos oder auch nur zu Pferd; denn so wurden sie ursprünglich zusammengetrieben und eingefangen. Man nähert sich ihnen einzig zu Fuß. Nach dem ersten persönlichen Kennenlernen bringt man ihnen das Futter – das Getreide wird nur hingeworfen und liegen gelassen. Einen oder zwei Tage später bietet man dem Pferd mit der Hand einen Apfel oder eine Karotte an. Und erst nach mehreren Tagen, wenn das Pferd etwas Vertrauen gefaßt hat, kommt das erste, sehr sanfte Streicheln. Von dem Moment an, behaupten die Knechte, könnte ein Kind den Rest erledigen.
Nach dieser Einführung in das Leben auf der Ranch meinte ich, es wagen zu können, Eisbär mit den größten Bewohnern bekannt zu machen – den Elefanten. Als wir uns Conga näherten und sie langsam auf uns zukam, hielt ich Eisbär ein wenig nach rückwärts – nicht, um ihn zu verunsichern, sondern um einen Blick in seine Augen werfen zu können. Sein Blick hatte, wie oft, wenn er müde war, etwas Eulenhaftes, aber abgesehen davon zeigte er zu meiner Erleichterung nur eine Art resignierter Bereitschaft, sich brav alles anzusehen, was ich ihm präsentierte. Conga, die auf Eisbär zweifellos noch gewaltiger wirkte als auf mich, zeigte sich, das muß ich sagen, ganz als die sanfte Riesin. Mit Eisbär in den Armen stellte ich mich an den Zaun, und selbst als Conga mit ihrem Rüssel herüberlangte, war Eisbär mehr fasziniert als geängstigt. Ich bin sicher, er fand es hochinteressant, daß Elefanten an beiden Körperenden Schwänze haben.
Conga ist eigentlich immer freundlich, zu vertrauten ebenso wie zu fremden Besuchern, zu Menschen genauso wie zu Tieren, und läßt jeden an ihre Weide heran. Sie hat allerdings etwas dagegen, wenn Fremde sich auf ihren Zaun setzen; das ist nur Freunden erlaubt. Als sie noch allein war, vernarrte sie sich so sehr in einen Burro auf der Nachbarweide, daß sie ihm jeden Abend eine Ladung Heu brachte. Nachdem sie es abgelegt hatte, streckte sie den Rüssel über den Zaun und umarmte den Burro kräftig, dann trat sie ein paar Schritte zurück und zeigte das einzige Kunststück, das sie konnte – sie kniete auf einem Vorderbein nieder und streckte dabei ein Hinterbein nach rückwärts.
Normalerweise halten wir auf der Ranch nichts davon, ehemalige Schautiere dazu anzuhalten, weiterhin ihre Kunststücke vorzuführen, aber in diesem Fall machten wir eine Ausnahme. Wir stellten im übrigen fest, daß die alte Mär, Elefanten hätten vor kleineren Tieren Angst, zumindest in Congas Fall nicht zutraf. Sie hat überhaupt keine Angst vor den Feldmäusen, und Hunde und Katzen können ungehindert auf ihrer Weide herumstrolchen. Da ich dies alles wußte, war ich sicher, daß sie Eisbärs Gegenwart gelassen hinnehmen und ihn nicht erschrecken würde. Und so war es auch.
Bei meinen regelmäßigen Besuchen auf der Ranch krieche ich sonst immer unter dem Zaun hindurch und decke Conga mit einem gerüttelt Maß an Streicheleinheiten ein, wobei ich auch ihren Bauch nicht auslasse. Immer greife ich ihr auch ins Maul und tätschle ihre Zunge – das hat sie besonders gern. Diesmal jedoch verkniff ich mir das. Erst später, nachdem ich Eisbär wieder in den Wagen gesetzt hatte, gab ich Conga ein paar liebevolle Klapse, jedoch mit gebotener Zurückhaltung, um Eisbär nicht eifersüchtig zu machen.
Bald trabte auch Nora, Congas Gefährtin, an den Zaun. Nora ist ein sechsjähriges afrikanisches Elefantenkind, und ich war überzeugt, sie würde Eisbär gefallen. Schon deshalb, weil sie kleiner ist als Conga. Aber meine Vorstellung, daß die Begegnung ungezwungen und freundlich verlaufen würde, erwies sich als falsch. Ich hätte daran denken sollen, daß Nora ein sehr junger Elefant ist und Eisbär, schon fremden Erwachsenen gegenüber mißtrauisch, für kleines Kroppzeug, das er nicht kennt, überhaupt nichts übrig hat. Da bildeten Elefantenkinder, wie ich schnell feststellte, keine Ausnahme. Nora, die mit dem Rüssel weit flinker ist als Conga, tat auch nichts dazu, die Begegnung harmonisch zu gestalten. Sie erwartete offenbar die Leckerbissen, die wir sonst meist mitbringen – Äpfel, Orangen, Bananen, Wassermelonen, Süßkartoffeln und dergleichen –, und hielt Eisbär, als sie ihn erblickte, wohl für eine Kreuzung aus Banane und Süßkartoffel. Sehr plötzlich und blitzschnell griff sie mit dem Rüssel nach ihm. Eisbär parierte mit einem mutigen Prankenschlag. Eins zu null für Eisbär! Ich war stolz auf ihn.
Beide Elefanten waren auf dem nur allzu typischen Weg zu uns gekommen. Conga kam von einer Straßentierschau in Florida, wo sie, nachdem man einen jüngeren Elefanten aufgetan hatte, der mehr Kunststücke zeigen konnte als sie, nur noch den Tod zu erwarten gehabt hatte. Nora war bei einem Zirkus gewesen, dessen Betreiber wegen Grausamkeit gegen Tiere verurteilt worden war.
Während wir dort mit Conga und Nora am Zaun standen, mußte ich an meine ersten Begegnungen mit Elefanten in Kenia, Tansania und Mozambique zurückdenken. Schon ehe das große Wildern begann, hatte der Fonds anderen Tierschutzgruppen Infrarotgeräte und hochentwickelte Geräte zum Einsatz gegen Wilderer in Afrika gespendet. Heute, nach dem grausamen Gemetzel, sind wir trotz des endlich zustande gekommenen Verbots des Elfenbeinhandels immer noch weit davon entfernt, das Schicksal dieser Tiere optimistisch zu sehen.
Aber wer glaubt, daß nur die Elefanten in Afrika leiden, täuscht sich. Ich erinnere an einen Zwischenfall im Zoo von San Diego, der mindestens bis zu diesem Zeitpunkt als einer der besten zoologischen Gärten des Landes gegolten hatte. Die Sache begann damit, daß Dunda, ein afrikanischer Elefant wie Conga und Nora, aus ihrem langjährigen »Zuhause« im Zoo selbst in den Wildtierpark des Zoos gebracht wurde, um dort an einem »Zuchtprogramm« teilzunehmen. Einsam und verängstigt griff Dunda hier, den Aussagen der Zooleitung zufolge, einen Wärter mit dem Rüssel an. Nachgewiesen jedoch wurde das nie. Daraufhin verfügte der für die Elefanten zuständige Oberwärter eine, wie er es nannte, »Disziplinarsitzung.« Erst Monate später wurde öffentlich bekannt, was sich dabei abspielte. Einen vollen Tag nach dem angeblichen Angriff fand die Strafaktion statt. Dunda wurde zu Boden gezwungen und angekettet, und während der Oberwärter mit lauter Stimme das Kommando gab, schlugen andere Wärter, die zu beiden Seiten ihres Kopfes standen, abwechselnd und in unterschiedlichen Intervallen zwei Tage lang mit Axtstielen auf sie ein.
Man sollte es nicht für möglich halten, daß diese Sache sich verheimlichen ließ, aber die Verbindungen der Zooleitung funktionierten gut, und Dunda selbst, den Kopf voller Striemen und Blutergüsse, wurde versteckt. Dennoch kam die Geschichte schließlich vor allem dank zwei Elefantenwärtern ans Licht. Und als sie herauskam, wurden auch alle Einzelheiten publik, darunter auch, daß Dunda ein ausgesprochen gutmütiges Tier war und niemals mit dem Rüssel geschlagen hatte. Zum Helden der Geschichte wurde schließlich Dan McCorquodale, ein kalifornischer Senator und Vorsitzender des Naturschutzausschusses im kalifornischen Senat. Trotz heftiger Opposition nicht nur von Seiten des Zoos von San Diego, sondern praktisch aller zoologischen Gärten im Staat, forderte er ein Hearing über den »Fall Dunda«, das er selbst leitete.
Der Zoo präsentierte unzählige Zeugen, von den Verwaltungsratsmitgliedern bis zu seinen Tierärzten, die samt und sonders ein persönliches Interesse daran hatten, die Sache zu vertuschen, und die durchweg mit drei Behauptungen arbeiteten – daß die Prügel nicht schlimm gewesen seien; daß strenge disziplinarische Maßnahmen beim Umgang mit Elefanten notwendig wären; und daß der Fall Dunda ein Einzelfall sei. Keine dieser Aussagen ließ sich durch Beweise untermauern, und was die Behauptung anging, die brutale Bestrafung Dundas sei ein isolierter Einzelfall gewesen, so war das glatt gelogen. Es stellte sich sehr bald heraus, daß solche Prügelstrafen in dem Zoo gang und gäbe waren und häufig keinen anderen Grund hatten, als die Tiere schneller zu dressieren.
Trotz aller Opposition wurde Senator McCorquodales Gesetzesvorschlag, das Prügeln von Elefanten zu verbieten, mit großer Mehrheit angenommen.
Nachdem wir uns von den Elefanten verabschiedet hatten, fuhren wir zum Haus zurück, um zu Abend zu essen. Hier sollte Eisbär jenes Tier kennenlernen, mit dem ich ihn besonders gern bekannt machen wollte und das alle auf der Ranch ins Herz geschlossen hatten – mit Peg, der Katze. Sie ist die älteste Bewohnerin der Ranch; sie war schon hier, als wir Haus und Grundstück kauften. So wie Lady der Oberhund der Ranch ist, so ist Peg die Oberkatze, auch wenn sie nur drei Beine hat. Das vierte, das rechte Vorderbein, fehlt ihr. Sie hat es, wie man uns erzählte, in einer Falle auf einem Nachbargrundstück verloren.
Vom ersten Moment ihres Zusammentreffens an bestand zwischen Eisbär und Peg ein Einverständnis, wie ich es bei Eisbär mit einem anderen Tier noch nie erlebt hatte. Vielleicht kam es daher, daß er nach einem Tag der Begegnung mit so vielen anderen Tieren froh war, endlich eine Artgenossin zu treffen. Vielleicht aber kam es auch daher, daß er, wie mir schien, augenblicklich Pegs Invalidität erkannte und nicht nur respektierte, sondern zugleich sicher war, daß hier keine Kampfansage drohte, wie sie ihm normalerweise beim Eindringen in fremdes Revier geblüht hätte. Wie dem auch sei, es war ungewöhnlich, die beiden zu beobachten.
Ohne langes Zögern sprang Eisbär aufs Sofa und nahm seine Meditationshaltung ein, wobei er Peg, die ihm gegenübersaß, direkt in die Augen starrte. Ganz langsam stand Peg auf, sah sich einen Moment um und hoppelte dann zu Eisbär hinüber. In dem Moment, als sie zu ihm hinaufsprang, drehte sie sich ein wenig zur Seite und landete so direkt neben ihm. Als Eisbär den Kopf drehte, um sie anzusehen, wandte auch sie sich ihm zu, aber weder in ihrem noch in seinem Blick war auch nur eine Spur von Feindseligkeit zu erkennen.
Nach einer Weile rollte sich Eisbär bedächtig auf die Seite und streckte alle vier Pfoten nach Peg aus. Und Peg machte es genauso. In dieser Haltung, jeder seine Pfoten auf dem Bauch des anderen, schloß zuerst Eisbär, der ja einen sehr langen Tag hinter sich hatte, die Augen und dann Peg. Friedlich schlummernd lagen sie beieinander.
Eine ganze Weile saß ich da und betrachtete die beiden Katzen – vor allem aber Peg. Sie ist für mich der lebende Beweis für die Grausamkeit des Pelzhandels. Kein Tier mit Ausnahme des Menschenaffen, des Waschbären und des Otters gebraucht seine vorderen Extremitäten geschickter als die Katze. Es muß schlimm sein für Peg, ihr Leben lang ohne ihre Vorderpfote auskommen zu müssen. Wenn man sich vorstellt, daß buchstäblich Millionen von Tieren sich aus den Fallen der Menschen nur befreien können, indem sie ihr eigenes Bein abnagen, kann man wohl leicht einsehen, daß die Fallenstellerei zu den gemeinsten Grausamkeiten gehört, die Menschen Tieren antun.
Am folgenden Morgen waren wir schon frühzeitig auf den Beinen. Es sollte ein ganz besonderer Morgen für Eisbär werden, er sollte nämlich ein Tier kennenlernen, das wie er zu den Prominenten gehörte, eines der bekanntesten Tiere der Welt.
Er ist ein Schimpanse und heißt Nim. Geboren wurde er 1973 im »Institute for Primate Studies« in Oklahoma. Im Alter von zwei Wochen wurde er auf Anweisung von Dr. Herbert Terrace, einem Psychologen an der Columbia University, von seiner Mutter getrennt und nach New York gebracht. Hier sollte er im Heim einer von Dr. Terraces Schülerinnen, Stephanie LaFarge, in menschlicher Gemeinschaft aufwachsen, nachts in einem Kinderbett schlafen, bei Tag Kleider tragen, im Babystühlchen am Mittagstisch mit der Familie zusammensitzen, lernen, die Toilette zu benützen.
Genau wie jedes andere Kleinkind wurde Nim mit dem Fläschchen gefüttert, mußte Bäuerchen machen, wurde gewickelt und gewiegt, es wurde mit ihm gescherzt und gespielt; und wie jedes andere Kleinkind lächelte und lachte er, krähte und weinte. Doch von Anfang an, praktisch von seinem ersten Lachen an, sprachen alle Menschen rund um Nim in Zeichensprache mit ihm, in der Sprache der Taubstummen. Und geradeso, wie ein kleines Kind allmählich Wörter verstehen lernt, lernte Nim Zeichen verstehen.
Eines Tages, als Nim noch sehr jung war, geschah etwas, woran ich mich jetzt, da er mit Eisbär zusammentreffen sollte, erinnerte. Eine seiner Lehrerinnen, immer bedacht darauf, Nim eine Freude zu machen, brachte etwas in einem Tragekorb mit in den »Unterricht.« Nim spähte durch die Öffnung und sah, daß eine weiße Katze in dem Korb war. Sofort wurde er sehr aufgeregt. »Aufmachen«, bedeutete er der Lehrerin und zeigte auf die Tasche.
»In der Tasche ist eine Katze«, gestikulierte die Lehrerin.
Nim wußte das natürlich schon, aber als seine Lehrerin die Tasche nicht gleich öffnete, begann er heftig mit den Händen zu arbeiten und überschüttete sie mit einer Fülle anderer Zeichen wie zum Beispiel »Katze aufmachen«, »Katze liebhaben« und »Katze ich.«
Schließlich durfte Nim zu seiner Freude vorsichtig mit der Katze spielen und sie ganz behutsam streicheln. Aber nun gab es ein Problem: Immer wenn die Lehrerin die Katze in den Arm nahm, wurde Nim eifersüchtig. Die Frau konnte nicht erkennen, ob er auf sie eifersüchtig war, weil er selbst gern die Katze halten wollte, oder ob er auf die Katze eifersüchtig war, weil er sich von seiner Lehrerin vernachlässigt fühlte. Dennoch verlief die Begegnung insgesamt freundlich, und als die Lehrerin mit ihrer Katze wieder ging, umarmte Nim das Tier zum Abschied sehr sanft und gab ihm einen Kuß.
Nach beinahe vier Jahren Ausbildung war Nim der berühmteste aller »sprechenden« Schimpansen geworden. Zahllose Zeitschriften brachten Berichte über ihn, und zwei Bücher wurden über ihn geschrieben. Doch dann wurde Nim erneut von den Menschen, die er kannte und liebte, getrennt und kehrte nach Oklahoma zurück. Von dort aus wurde er an ein Versuchslabor in New York weitergegeben. Dieser Schimpanse, der wahrhaftig das Seine getan hatte, den Menschen zu dienen – weiß Gott wie viele der Studenten, die mit ihm gearbeitet hatten, hatten ihre Magisterarbeiten oder Dissertationen über ihn geschrieben oder sich sonstwie durch die Arbeit mit ihm profiliert –, sollte nun einfach in ein Versuchslabor abgeschoben werden.
Wir waren nicht bereit, das zu dulden, und beschlossen sofort, alle Hebel für Nims Rettung in Bewegung zu setzen. Viele andere, ähnlich eingestellte Gruppen taten sich mit uns zusammen, und als schließlich ein Prozeß drohte, der zweifellos von der Presse ausgeschlachtet worden wäre, erklärte sich die Universität von Oklahoma endlich bereit, Nim aus dem New Yorker Labor zu holen und an den Ort zurückzubringen, wo er geboren war. Solange er dort war, sollte wieder sein erster Besitzer, Dr. William Lemmon, ihn betreuen.
Ich wußte, daß Dr. Lemmon viele lukrative Angebote für Nim erhalten hatte – von bekannten zoologischen Gärten ebenso wie von Zirkusunternehmen –, aber ich wußte auch, daß ich einen Vorteil hatte: Dr. Lemmon war kein Zirkusfreund und hatte auch für die meisten zoologischen Gärten nicht viel übrig. Nach einer langen Sitzung mit ihm in Oklahoma erwirkte ich schließlich seine Zustimmung, Nim uns zu überlassen. Er knüpfte jedoch eine Bedingung daran: die »Black Beauty Ranch« müsse für immer Nims Zuhause bleiben. Nun stellte ich meinerseits eine Bedingung. Ich erklärte Dr. Lemmon, auf der »Black Beauty Ranch« sei es wie auf der Arche Noah – es sollten zwei Geschöpfe jeder Tierart da sein. Dr. Lemmon müsse uns also eine passende Gefährtin für Nim suchen.
Dr. Lemmon erfüllte die Bedingung sehr zu unserer Zufriedenheit. Er vermittelte uns eine ehemalige Zirkusschimpansin namens Sally, die über das Alter hinaus war, in dem sie noch Junge bekommen konnte, und die ihrem Temperament nach so ausgeglichen war wie Nim wechselhaft. Der Tag, an dem sie auf der Ranch ankam und Nim zum erstenmal begegnete, war aufregend und schön. Wenn es auch nicht Liebe auf den ersten Blick war, so doch Liebe nach dem ersten Biß. Gleich von diesem Tag an bewies Sally, daß sie Nim, selbst wenn er völlig außer Rand und Band war, zwar nicht behexen, aber wenigstens beruhigen konnte.
Als wir uns der Veranda von Nims und Sallys Haus näherten, sah ich schon von weitem, daß sie beide Eisbär neugierig anstarrten. Und als wir noch näher kamen, war mir klar, daß wir es hier nicht mit der typischen Zoosituation zu tun bekommen würden – in der die Besucher nach den Schimpansen grapschen. Diesmal war es genau umgekehrt – die Schimpansen wollten gern nach den Besuchern grapschen. Aber das wollte ich nicht. Ich wußte, daß Nim ein unglaubliches Gedächtnis hatte und sich an viele Erlebnisse seiner Kindheit erinnerte, und wenn ich es auch für unwahrscheinlich hielt, daß er sich jener ersten weißen Katze seines Lebens erinnern konnte, so wollte ich doch keinerlei Risiko eingehen. Aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Kaum waren wir da, holte Nim seinen Reifen und fing an, sich zu produzieren. Nachdem ich ein Weilchen gewartet hatte, bis Sally ihn beruhigt hatte, wagte ich mich mit Eisbär vorsichtig näher heran und beobachtete dabei, daß Eisbärs Blick fasziniert Nim folgte, der immer noch auf seinem Reifen herumrollte.
Plötzlich rollte Nim zu uns heran und machte sein Zeichen für »Zahnbürste.« Gehorsam ging ich mit Eisbär, seine Bürste und die Zahnpasta zu holen. Doch er schien noch etwas anderes zu wollen – er bedeutete es mir mit einem Zeichen, das ich nicht verstand. Dann fiel es mir plötzlich ein.
Nim wollte seinen Spiegel haben. Ich ging ihn holen, und nachdem ich ihn ihm gegeben hatte, sah Eisbär völlig fasziniert zu, wie Nim zuerst den Spiegel hochhielt, dann gründlich seine Zähne putzte und sich schließlich sehr höflich erbot, Eisbär die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen. Aber davon wollte Eisbär nichts wissen und verkroch sich schleunigst unter meiner Jacke.
Ich war neugierig gewesen, ob Nim bei der Begegnung mit Eisbär nicht seine alten Handzeichen wie »Ich Katze« und »Ich liebhaben« einfallen würden, aber das geschah nicht. Ich verstehe einige von Nims Zeichen, und andere auf der Ranch verstehen weit mehr als ich, aber keiner von uns macht viel Aufhebens darum. Nim versteht die menschliche Sprache so gut, daß Zeichen oft überflüssig sind. Wenn ich ihn treffe, stelle ich ihm meistens irgendeine Frage, zum Beispiel, ob er glaubt, daß es regnen wird. Dann hebt er augenblicklich den Kopf in die Höhe und schaut zum Himmel hinauf, und dann nickt er entweder oder schüttelt den Kopf, je nachdem, was er meint. Bei solchen Gesprächen erscheinen mir Zeichen wirklich überflüssig. Und uns auf der Ranch kommt es vor allem darauf an, daß Nim hier ein Leben ohne Druck und ohne Forderungen genießen kann. Wenn er Zeichen geben will, dann tut er das. Wenn nicht, dann nicht – und damit hat sich’s.
An unserem letzten Nachmittag auf der Ranch gab es für Eisbär noch Dutzende verschiedener Tiere kennenzulernen. Als erstes machte ich ihn mit einer Gruppe von Tieren bekannt, die normalerweise im Wildgehege der Ranch frei herumlaufen; diese hier jedoch waren entweder zu behindert oder hatten zu schlimme Mißhandlungen erlitten, um das noch zu können. Ich spreche von Kaninchen. Für mich sind die Kaninchen die Tiere, die Gott vergessen hat. Sie scheinen mir ihr ganzes Leben in Furcht und Schrecken zuzubringen. Als Haustiere – und sie können hinreißende Haustiere sein, wenn man verständig mit ihnen umgeht – passiert es ihnen allzu häufig, daß sie einfach an die Luft gesetzt werden, und das nicht nur nach Ostern, sondern auch zu anderen Zeiten des Jahres. Im Labor müssen sie grauenhafte Experimente über sich ergehen lassen, nicht zuletzt den berüchtigten Draize-Test am nackten Auge, der nichts anderem dient als der Erprobung kosmetischer Artikel. Und in der Wildnis fehlen ihnen einfach die Waffen, um sich erfolgreich zu schützen, und sie sind ihren zahlreichen Feinden leichte Beute.
Eisbär benahm sich den Kaninchen gegenüber sehr freundlich; einerseits wohl, weil sie, abgesehen von Peg, die ersten Tiere hier waren, die von gleicher Größe waren wie er; andererseits wohl auch, weil sie offensichtlich vor ihm mehr Bange hatten als er vor ihnen.
Mir kam bei dieser Beobachtung der Einfall, ihn eines Tages nach Simpsonville in Südkarolina mitzunehmen, wo wir ein ganzes Kaninchenschutzgebiet haben – das einzige im Land, soviel ich weiß. Es wird von einer Frau namens Caroline Gilbert betreut, die über Kaninchen genauso denkt wie ich und dabei zehnmal soviel über sie weiß. Sie hat Hunderte von Kaninchen – ehemalige Hauskaninchen, solche, die zum Training der Greyhounds eingesetzt wurden, ehemalige Versuchskaninchen. Ihre zwei Lieblinge sind Benny und Abbit.
Benny entdeckte sie auf einer Kaninchenschau, wo er sich wie ein Wilder gegen drei Männer zu verteidigen suchte, die unter dem Gelächter der Zuschauer dieses »blöde« Kaninchen aus dem Käfig zu zerren versuchten. Abbit wurde als Streicheltier auf einem Flohmarkt an eine Frau mit elf Kindern verkauft. Eine Woche später rief die Mutter beim Tierschutzverein an, weil Abbit »nicht mehr spielen« wollte, sondern nur noch dalag. Sie wollte wissen, ob sie, wie sie sich ausdrückte, »ein Ersatzkaninchen« haben und dieses hier zurückgeben könne.
Nach dem Besuch bei den Kaninchen fuhren wir weiter zu den Neuankömmlingen auf der Ranch. Es war dies eine Gruppe von Tieren, die neun Tage lang ohne Futter und Wasser überlebt hatten. Sie waren, nachdem Mitchell Fox und die »Progressive Animal Welfare Society« erfolgreich für sie gestritten hatten, aus dem Staat Washington zu uns gekommen. Eisbärs Liebling in dieser Gruppe war zu meiner großen Überraschung eins unserer vier Lamas.
Ein solches Tier hatte Eisbär noch nie gesehen, und ich hatte noch nie erlebt, daß er etwas Neuem gegenüber solche Neugier zeigte. Aber seine nachdrücklichen »Ajaus« waren eindeutig freundlich. Deshalb setzte ich ihn bei dieser Begegnung nicht auf die Erde, sondern behielt ihn auf dem Arm, damit er die Lamas von Angesicht zu Angesicht sehen konnte. Im Gegensatz zu dem, was man uns glauben gemacht hat, spucken nämlich unsere Lamas nicht. Ab und zu allerdings, wenn sie irgend etwas partout nicht tun wollen, was man von ihnen erwartet, können sie bockig sein wie ein Esel und ebenso kräftig ausschlagen. Aber bei guter Laune sind sie die kußfreudigsten Tiere, die man sich vorstellen kann, und darum war ich überhaupt nicht überrascht, als zwei von ihnen angetrottet kamen und Eisbär sofort mit einem Kuß beglücken wollten. Doch so sympathisch sie ihm offensichtlich waren, hier zog er die Grenze. Nachdem er erst warnend mit der Pfote geschlagen hatte, steckte er flugs seinen Kopf unter meine Jacke. Derartige Freiheiten durften sich neue Freunde bei ihm nicht herausnehmen.
Und noch eine Gruppe Tiere wollte ich ihm zeigen – unsere Wildziegen. Schon als wir uns ihrer Weide näherten, merkte ich, daß Ziegen für Eisbär unbekannte Wesen waren. Noch ehe wir nämlich bei ihnen waren, hörte er sie und spitzte die Ohren auf jene besondere Art, wie er das stets zu tun pflegt, wenn er, wie ich gelernt hatte, Geräusche aufnimmt, die er noch nie gehört hat. Präriehunde zeichnen sich durch ihr klagendes Geheul aus, Esel durch ihr lustiges I-aa, Pferde und Maulesel durch ihr ausdrucksvolles Wiehern und Schnauben; das Meckern der Ziege jedoch ist, wenn auch nicht das melodischste, so doch zweifellos das hartnäckigste Geräusch. Als wir mit ihnen zusammentrafen – sie näherten sich uns so rasch wie wir uns ihnen –, hatte ihr meckernder Willkommenschor eine solche Lautstärke erreicht, daß Eisbär das Gefühl bekam, nicht zurückstehen zu dürfen, und ihnen eines der kräftigsten »Ajaus!« entgegenschmetterte, die ich je von ihm gehört hatte. Danach jedoch bekam er Angst vor der eigenen Courage und zog sich weit in meine schützende Jacke zurück, auch wenn er ab und zu ein Auge riskierte.
Ich fand seine Reaktion ganz verständlich. Ziegen sind Herdentiere, man trifft selten eine allein. Eisbär fand ihre Zahl und ihre Nähe offensichtlich ziemlich überwältigend. Er hat mehr für Tiere von der feinen englischen Art übrig, die Distanz halten, solange sie ihm noch nicht in aller Form vorgestellt worden sind.
Unsere Wildziegen stammen von der Insel San Clémente und gehören einer seltenen Art spanischer Bergziegen an. Ihre Leiden begannen, als Präsident Roosevelt im Zweiten Weltkrieg in einer Anwandlung typischen Marinefanatismus die ganze Insel San Clémente in Bausch und Bogen der Marine vermachte. Die Marine erkor die Insel unverzüglich zum Versuchsgelände, um vom Wasser und aus der Luft neue Waffen auszuprobieren – und das ging auch nach dem Krieg so weiter. Wie es den Ziegen gelang, vierzig Jahre ständiger Bombardierung zu überleben, ist ein Rätsel, das nur teilweise durch die Bodenbeschaffenheit der Insel mit ihren zerklüfteten Felsen zu erklären ist. Entscheidender war wohl ihre unglaubliche Fähigkeit, bei Angriffen augenblicklich Schutz zu finden und in Deckung zu gehen. Sie waren darin so geübt wie erfahrene Frontsoldaten.
Über sechs Jahre lang führten wir mit der US-Marine vor Gericht und auf der Insel Krieg, um diese Tiere – mehr als fünftausend insgesamt – zu retten.
Am letzten Abend auf der Ranch durfte Eisbär an einem Ritual teilnehmen, das sich hier jeden Abend wiederholt – der Verteilung der Betthupferl. Jedes Tier auf der Ranch bekommt abends mindestens zwei große Scheiben frisch gebackenes Proteinbrot, eine Leckerei, die uns freundlicherweise eine einheimische Bäckerei aus ihrem Ausschuß spendet. Ich werde damit häufig geneckt – man wirft mir vor, meine Tiere müßten von Wasser und Brot leben –, aber tatsächlich fressen die Tiere dieses Brot lieber als Heu, Hafer oder anderes Getreide oder sonst etwas, und selbst bei Conga und Nora sowie bei Nim und Sally erfreut es sich großer Beliebtheit.
Die Pferde und Burros, die Maultiere und die Ziegen, die Lamas und alle anderen Tiere brauchen keine Aufforderung, um sich zu ihrem Abendimbiß einzufinden. Sobald sie das vertraute Brummen des Lastwagens hören, der von Weide zu Weide fährt, kommen sie angelaufen wie der Wind. Und es gibt dabei nicht etwa ein großes Gedränge, sondern sie versammeln sich erstaunlich ordentlich, da sie aus Erfahrung wissen, daß selbst die größten Drängler nicht mehr bekommen, als ihnen zusteht, und daß keiner, auch der Zaghafteste nicht, leer ausgeht.
Die Tiere werden vom Laderaum des Lastwagens aus gefüttert, und an jenem Abend folgte ich mit Eisbär dem Futtermeister, als er nach hinten ging. Ich habe der Theorie, daß Katzen bei Dunkelheit genauso gut sehen wie bei Tag, immer mißtraut – schon deshalb, weil Eisbär, wenn er bei Finsternis vom Balkon ins Schlafzimmer springt, häufig irgendwo anstößt, obwohl er doch das Zimmer und seine Einrichtung genau kennt. Dennoch war ich an diesem besonderen Abend, der recht dunkel war, etwas besorgt, wie Eisbär auf all diese begierig schnappenden Mäuler reagieren würde, und darum besonders darauf bedacht, ihn fest und sicher zu halten. Aber ich sah bald, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Er war inzwischen an den Umgang mit großen Tieren gewöhnt.
Weit mehr als die Tiere schien ihn der Mann zu interessieren, der sie fütterte. Immer wieder sah er zu ihm auf, und als der Mann zu ihm hinunterblickte, sah er sofort mich an.
»Ich weiß, was er will«, sagte der Mann. »Er will auch was haben.«
Ich erwiderte, ein wenig besserwisserisch, wie ich zugeben muß, daß er sich da irre. Katzen, sagte ich, fräßen kein Brot. Daraufhin brach der Mann eine Brotscheibe in katzengerechte Happen und legte sie auf seine offene Hand. Nein, sagte ich wieder. Das ist sinnlos. Ich kenne doch Eisbär. Der rührt das Brot nicht an.
Aber der Mann hatte seinen eigenen Kopf. Ohne auf meine Einwendungen zu achten, bot er Eisbär das Brot an. Und was tat Eisbär? Raten Sie mal.
Sie haben recht – und ich sage Ihnen, er schnappte das Brot sogar einem großen Mustang weg, der auch an die Krippe wollte. Eisbär hat eben auch seinen eigenen Kopf. Nicht nur tut er nie, was ich will – er tut auch nie nicht, was ich den Leuten sage, das er nicht tut – sogar wenn es etwas ist, das er sonst niemals tut.
7. Verlorene Liebesmüh
Durch die Veröffentlichung meines Buches Die Katze, die zur Weihnacht kam im Ausland lernte ich nicht nur viel Neues über Katzen in anderen Ländern, sondern ich erfuhr auch, wieviel in fast allen Ländern über die Katze geschrieben worden ist und immer noch geschrieben wird. Ganz besonders gut gefiel mir das Geschenk einer amerikanischen Schriftstellerin. Sie schickte mir ein Buch mit dem Titel A Cat’s Guide to Shakespeare. Zuerst wußte ich nicht, ob dies ein Buch für Menschen war, die Shakespeare aus dem Blickwinkel der Katze kennenlernen wollten, oder ob es ein Buch für Katzen über Shakespeare war. Als ich es aufschlug, sah ich, daß es keins von beiden war. Es war ein sehr origineller kleiner Band mit Shakespeare-Zitaten, die mit Katzenzeichnungen illustriert waren. Am witzigsten fand ich ein Katzenzitat aus Julius Cäsar. »Im Ernst, Herr, ich bin ein Wundarzt für alte Schuhe…« Eisbär ist nicht nur für alte Schuhe ein Wundarzt, sondern auch für neue. Wenn er welche von mir findet, die ihm gefallen, verarztet er sie schnell und gründlich.
Unter anderem lernte ich aus diesen Katzenbüchern fremder Länder, daß die Anfänge der Katzenliteratur auf Fabeln zurückgehen, die es in nahezu jedem Land gibt. Bei den Skandinaviern, Deutschen und Schweizern ebenso wie beispielsweise in Irland und Rußland und sogar in arabischen Ländern. Die meisten dieser Fabeln geben erheiternde Geschichten wieder, in denen die Katze fast immer als Bösewicht fungiert, und fast alle haben sie – von Aesop bis La Fontaine – eine Moral. Aber die Katze, ob nun als Bösewicht oder als Held, zum Träger der Moral zu machen, ist in meinen Augen verlorene Liebesmüh. Jack Smith von der Los Angeles Times hat sich zu dieser heiklen Frage meiner Ansicht nach recht treffend geäußert. »Ich kann ehrlich behaupten«, schreibt er, »daß ich nie eine moralische Katze gekannt habe.«
Dennoch habe ich an dieser Behauptung etwas auszusetzen. Eisbär besitzt eine Art der Moral, die meiner Meinung nach in vieler Hinsicht ehrlicher ist als die meine. Das puritanische Gewissen hält einen, wie ich oft gesagt habe, nicht davon ab, etwas zu tun, das man nicht tun sollte – es hält einen nur davon ab, es zu genießen. Eisbärs Gewissen hält ihn nicht nur davon ab, etwas zu tun, das er nicht tun sollte, es hält ihn auch nicht davon ab, es gründlich zu genießen.
Beispiele dafür werde ich zu gegebener Zeit anführen, für mich schmerzhafte Beispiele, da sie zum jähen Abbruch zweier verheißungsvoller Liebesbeziehungen führten. Aber bleiben wir zunächst beim Thema – bei der Katzenliteratur. Der französischen Literatur gebührt eindeutig der Preis dafür, die Katze über den Rang eines bloßen Fabelwesens hinausgehoben zu haben. Der französische Dichter und Romancier Théophile Gautier reduzierte mit einem kurzen Wort die gesamte internationale Auseinandersetzung mit der Katze auf nationalistische Dimensionen, als er schrieb: »Nur ein Franzose konnte die feinen und subtilen Eigenschaften der Katze verstehen.«
Eine ganze Schar französischer Autoren gab sich größte Mühe, Monsieur Gautier zu bestätigen, unter ihnen Montaigne, Chateaubriand, Balzac, Baudelaire, Zola, Cocteau, Colette und Vater und Sohn Dumas. Von allen war Colette sicherlich die produktivste Schriftstellerin, vielleicht dank ihrer häufig verkündeten Überzeugung, daß man, wie sie es ausdrückte, »durch den Umgang mit der Katze einzig riskiert, reicher zu werden.«
Die englische Katzenliteratur steht der französischen kaum nach. Die berühmteste Katze ist hier ohne Zweifel Lewis Carrolls wohl vertraute »Edamer« – die Katze, die einmal »ein Grinsen ohne Katze« ist und ein andermal eine Katze, mit der zu sprechen Alice sinnlos findet, »bevor die Ohren da sind oder doch wenigstens eins davon.«
Meine Lieblingsfigur in Alice im Wunderland ist allerdings nicht die Edamer Katze, sondern der Scharfrichter – der Mann, der, als ihm befohlen wird, die Edamer Katze zu köpfen, auf typisch britische Art argumentiert, daß sich ein Kopf nur köpfen lasse, wenn auch ein Leib da sei, von dem man ihn abhacken könne; daß so etwas noch nie jemand von ihm verlangt habe und daß er nicht im Traum daran denke, in seinen Jahren mit dergleichen noch anzufangen.
Aber Carroll war keinesfalls der hervorragendste britische Katzensatiriker. Diese Ehre gebührt dem schottischen Schriftsteller H. H. Munro, besser bekannt unter dem Namen Saki. In Burma als Sohn eines britischen Offiziers geboren, kam Saki im Alter von zwei Jahren nach England, wo er bei zwei englischen Tanten aufwuchs, deren Strenge und Verständnislosigkeit den Kern vieler seiner Satiren bilden. In diesen Erzählungen vergaß Saki auch die Katzen nicht, und in seiner Kurzgeschichte Tobermory hat er eine klassische Katzengeschichte von zeitloser Gültigkeit geschaffen.
Sie handelt von einem Mann, der entdeckt, daß er Tiere die menschliche Sprache lehren kann, und, nachdem er mit Tausenden von Tieren gearbeitet hat, beschließt, sich nur noch auf Katzen zu beschränken, die, wie Saki schreibt, »sich so großartig an unsere Zivilisation angepaßt und sich dabei doch ihre hochentwickelten wilden Instinkte bewahrt haben.« Der Mann engt seine Suche nach dem idealen Katzenschüler schließlich auf Tobermory ein, einen Kater, den er im Haus der Lady Blemly entdeckt, bei der wir zu Anfang der Geschichte anläßlich einer Gesellschaft eingeführt werden.
Wir merken sofort, daß Tobermory es faustdick hinter den Ohren hat, wenn uns Saki berichtet, daß sein »Lieblingsspaziergang« auf einer »schmalen, ornamentalen Balustrade« verläuft, die nicht nur an den Gästezimmern vorbeiführt, sondern Tobermory auch guten Ausblick auf die Tauben bietet – was mich natürlich sofort an Eisbär erinnerte. Kurz und gut, als die ganze Gesellschaft beim Nachmittagstee versammelt ist, wird Tobermory, den der Hausherr, Sir Wilfred, hereingeholt hat, als erstes gefragt, ob er etwas Milch haben möchte. Darauf antwortet Tobermory: »Ich hätte nichts dagegen.«
Auf die zweite Frage jedoch – was er von der menschlichen Intelligenz hält – hat Tobermory keine Antwort. »Es ist offensichtlich«, schreibt Saki, »daß langweilige Fragen außerhalb seines Denksystems lagen.« Aber nun hat Tobermory selbst eine Frage. »Von wessen Intelligenz im besonderen?« erkundigt er sich. »Nun, von meiner zum Beispiel«, antwortet eine Frau mit einem, wie Saki es beschreibt, »schwachen Lachen.«
»Sie bringen mich in eine peinliche Situation«, erwidert Tobermory und erklärt der Dame dann ohne die geringste Verlegenheit: »Als vorgeschlagen wurde, Sie zu dieser Gesellschaft einzuladen, protestierte Sir Wilfred, daß Sie die hirnloseste Frau seiner Bekanntschaft seien und daß zwischen Gastfreundschaft und Betreuung von Schwachsinnigen ein großer Unterschied bestehe.« Tobermory gibt danach noch weitere Beobachtungen und Charakterstudien zum besten, die schließlich nicht nur das Ende der Gesellschaft, sondern traurigerweise auch das Ende Tobermorys herbeiführen.
Saki, der große Satiriker, der so gekonnt alles Englische aufs Korn nahm, fiel im Alter von sechsundvierzig Jahren im Ersten Weltkrieg an der Westfront. Doch auch schon vor seiner Zeit war die Katze von vielen Autoren in anderen Ländern als Vehikel für die Satire eingesetzt worden. Japan zum Beispiel brachte einen Meister der Satire hervor, in dessen berühmtestem Werk der Protagonist eine Katze ist. Soseki Natsume, Dozent an der Kaiserlichen Universität, schrieb sein Buch mit dem Titel I am a Cat im Jahr 1905. Aber es wird noch heute viel gelesen, und sein Autor wird, wie sein Übersetzer in der Einführung schreibt, allgemein »als der beste Prosaschriftsteller« anerkannt, »den das Land in jenem Jahrhundert, nachdem der Kontakt mit der Außenwelt 1868 wiederaufgenommen worden war, hervorbrachte.«
In der Geschichte geht es um ein namenloses Straßenkätzchen, das im Heim eines, wie es im Klappentext heißt, »mißlaunigen Lehrers mit vielen Interessen, aber mittelmäßigen Fähigkeiten« Unterkunft findet. Während das Kätzchen heranwächst, teilt es uns seine Beobachtungen über die Mängel des japanischen Mittelstands mit und zieht zwischen dem prätentiösen Lehrer und dessen Freunden Vergleiche mit seinen eigenen Freunden, dem »smarten und kraftvollen Rickshah Blackie« und der »eleganten Miß Schildpatt«, die fast immer zu Ungunsten der Menschen ausfallen.
Auch dieses Buch bewegte mich zeitweise sehr, da wir ja alle, wie mir jeder bestätigen wird, der einer Katze gehört, liebend gern wissen würden, was unsere Katze eigentlich von uns hält. Mehr als einmal hatte ich den beunruhigenden Eindruck, daß die strenge Meinung des namenlosen Katers über seinen Lehrer den Ansichten Eisbärs über mich unbehaglich nahe kam. In dunklen Momenten stellte ich mir sogar vor, daß eines Tages, nachdem ich das Zeitliche gesegnet hätte, ein Buch über mich herauskommen könnte, von Eisbär geschrieben oder von irgendeinem anderen Autor, der Eisbär als Protagonisten und mich als albernen Antagonisten einsetzen würde, ohne daß darin meine Engelsgeduld, meine Seelenstärke und meine heldenhafte Selbstverleugnung auch nur mit einem Wort erwähnt würden.
In I am a Cat berichtet uns der Kater, daß der Lehrer seiner frischgebackenen Ehefrau als erstes mitteilt, er sei Gelehrter und müsse sich daher mit seinen Studien befassen. Er habe keine Zeit, sich mit ihr abzugeben, und lege Wert darauf, daß sie das von Anfang an verstehe. Als der Kater im Lauf der Geschichte beobachtet, daß der Lehrer jeden Abend regelmäßig über seinen Büchern einschläft, beginnt er, sich seine eigenen Gedanken zu machen. »Lehrer haben es leicht. Wenn man als Mensch geboren wird, wird man am besten Lehrer. Und wenn es möglich ist, soviel zu schlafen und dennoch Lehrer zu sein, nun, dann könnte selbst eine Katze unterrichten.«
Als der Lehrer seine künstlerischen Neigungen entdeckt und zu malen anfängt, bemüht sich der Kater, ihm ein gutes Modell zu sein und ganz still zu halten, aber schließlich muß er doch hinaus, um sein Geschäft zu machen. »Du Dummkopf!« beschimpft ihn sein Herr und droht ihm wütend, was den Kater zu weiteren Reflexionen veranlaßt. »Er hatte die feste Gewohnheit«, berichtet er uns, »stets ›Du Dummkopf!‹ zu rufen, wenn er jemanden beschimpfte. Er kann nicht anders, da er keine anderen Schimpfwörter kennt.« Bezüglich der Drohung seines Herrn gelangt er zu der Erkenntnis, daß alle Menschen über die Maßen aufgebläht seien von Selbstzufriedenheit über ihre eigene, primitive Macht und nicht abzusehen sei, wozu sie sich von ihrer törichten Überheblichkeit noch verleiten lassen würden, solange auf Erden nicht ein Geschöpf erscheine, das mächtiger sei als die Menschen und sie am Gängelband führen könne.
Der Kater wirft sogar hin und wieder einen heimlichen Blick in das Tagebuch seines Herrn und gibt uns einen Auszug zum besten, in dem der Lehrer einen Spaziergang mit einem Freund schildert:
»In Ikenohata spielten Geishas im Frühlingskimono Federball vor einem öffentlichen Haus. Ihre Kleider wunderschön; doch ihre Gesichter äußerst reizlos. Mir fällt ein, daß sie der Katze zu Hause ähneln.«
Dies fordert natürlich den Kater heraus, zu seinem Lieblingsthema zurückzukehren und sich über die Arroganz der Menschen lustig zu machen. »Wenn ich zu einem Barbier ginge«, meint er, »und mir das Gesicht rasieren ließe, würde ich auch nicht viel anders aussehen als ein Mensch.«
Eine dritte Katzensatire, die meiner Ansicht nach mit Tobermory und I am a Cat in einen Rang gehört, stammt aus der Feder von P. G. Wodehouse, einem britischen Autor, der später die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. In meinen frühen Jahren war ich so hingerissen von Mr. Wodehouses Jeeves-Geschichten und anderen witzigen Attacken auf den englischen Adel, daß ich mich bei meinen ersten schriftstellerischen Versuchen stark an ihm orientierte – so stark, daß manches, was ich schrieb, einem Plagiat gefährlich nahe kam.
Jahre später, als Mr. Wodehouse mir ein Freund geworden war und sich wie ich für die Rechte der Tiere einsetzte, schenkte er mir einen Band mit seinen Kurzgeschichten. Darin fand ich eine Geschichte über eine Katze, die einzige, glaube ich, die er überhaupt über eine Katze geschrieben hat.
Sie heißt The Story of Webster, und gleich zu Beginn werden wir mit einer Gruppe typischer Wodhouse-Figuren bekannt gemacht, die sich über die unangenehmen Eigenschaften der Katze unterhalten – ein, wie es scheint, stets beliebtes Thema bei den adeligen Hundeliebhabern Englands. Unerträglicher Hochmut wird ihnen vorgeworfen, arrogante Dreistigkeit, aufgrund der Tatsache, daß sie im alten Ägypten als Götter verehrt wurden, überhebliches Kritikastertum ihren Mitgeschöpfen gegenüber. »Sie starren einen tadelnd an«, heißt es weiter. »Sie beobachten mit Sorge. Und auf einen sensiblen Menschen hat das häufig die schlimmsten Auswirkungen, erzeugt einen Minderwertigkeitskomplex gravierendster Art.«
Das sollte der junge Herr Lancelot bald am eigenen Leib erfahren, der gegen den Willen seines Onkels Theodore, bei dem er aufgewachsen war, beschlossen hatte, Künstler zu werden und fortan ein Bohemeleben zu führen. Die Aussichten schienen, wie Mr. Wodehouse uns berichtet, günstig. Er hatte einen Porträtauftrag, der ihm bei Fertigstellung dreißig Pfund einbringen würde. Er konnte Schinken und Eier kochen, Ukulele spielen und war mit einer charmanten jungen Dichterin verlobt.
Doch das Idyll wird gestört, als Onkel Theodore zum Bischof von »Bongo-Bongo in West-Afrika« berufen wird. Da er seinen treuen Kater Webster dorthin nicht mitnehmen kann, vertraut er ihn Lancelots Fürsorge an.
Aber kaum ist Webster da, geht alles schief. Gleich nach seiner Ankunft beschließt Webster, sich gründlich zu putzen, und schraubt zu diesem Behuf sein linkes Bein steil in die Luft. Lancelot fällt dabei etwas ein, was eines seiner Kindermädchen ihm einmal erzählt hat: Wenn eine Katze das Bein in die Luft hebt, soll man sich leise anschleichen, an dem Bein ziehen und sich dabei etwas wünschen. Wenn einem das gelingt, wird der Wunsch innerhalb von dreißig Tagen in Erfüllung gehen. Und dem guten Lancelot fällt nichts Besseres ein, als das auszuprobieren.
Webster senkt augenblicklich das Bein, dreht sich um und hebt nunmehr statt des Beins die Augenbraue. Und von dieser ersten Differenz an betrachtet Webster alles, was Lancelot tut, wenn auch nicht gerade als hoffnungslos, so doch als dringend korrekturbedürftig, und Lancelot unterwirft sich seinem Urteil.
Als seine Braut Gladys ihn besucht, um Webster kennenzulernen, bittet Lancelot sie vor der Begegnung, doch die Tintenflecke von ihrer Nase zu entfernen. Als ein Freund sich eine Zigarre ansteckt, muß Lancelot ihn daran erinnern, daß Webster Zigarrenrauch nicht mag. Und was Lancelot selbst angeht, so darf er nun, wenn er allein ist, nicht mehr in Hausschuhen und Morgenrock herumlaufen. Er steht, wie er seinen Freunden erklärt, ganz unter dem Pantoffel von Webster.
Und leider darf er nun auch Gladys nicht mehr heiraten. Webster ist mit ihr nicht einverstanden und hat an ihrer Stelle Brenda Carberry-Pirbright auserwählt – eine junge Dame, von der er hellauf begeistert ist. Kaum erscheint sie in Lancelots Wohnung, zeigt er ihr seine Bewunderung, indem er ihr mit steil aufgestelltem Schwanz und hingebungsvoll schnurrend um die Beine streicht.
Doch Gladys setzt ihrem Lancelot, der nun praktisch schon mit Brenda auf dem Weg zum Altar ist, die Pistole auf die Brust: Entweder er holt sie Punkt halb acht zum Abendessen ab, oder sie wird entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Danach braucht Lancelot erst einmal einen Drink, und in seiner Hast verschüttet er ihn natürlich – was Webster mit einem Blick »stummen Tadels« vermerkt. Zunächst wendet sich Lancelot beschämt ab, dann aber wird er, wie Mr. Wodehouse schreibt, Zeuge »eines Schauspiels, das einen stärkeren Mann als Lancelot Mulliner umgeworfen hätte.« Der ehrenwerte Webster hockt nämlich neben der sich ausbreitenden Whiskypfütze auf dem Boden und schlabbert mit Genuß.
»Und dann, unvermittelt, einen flüchtigen Moment nur, hörte er auf zu schlürfen und sah zu Lancelot auf, und über sein Gesicht huschte ein rasches Lächeln – so warm, so vertraulich, so voll jovialer Kameraderie, daß der junge Mann unwillkürlich wieder lächelte und nicht nur lächelte, sondern zwinkerte. Und Webster zwinkerte in Antwort auf dieses Zwinkern ebenfalls.«
Da Lancelot Webster nun auf die Schliche gekommen ist, dürfen wir uns auf ein Happy-End freuen: Brenda Carberry-Pirbright ist endgültig abgeschrieben, und Lancelot und Gladys können endlich heiraten.
Was Mr. Wodehouse hier über Websters Feldzug gegen ein gemeinsames Glück von Lancelot und Gladys schrieb, war Dichtung. Was mir geschah, war grausame Wahrheit. Und es passierte nicht nur einmal, sondern zweimal. Und beidemal hatte Eisbär die Pfote im Spiel, das erstemal indirekt, das zweite Mal ganz direkt.
Etwa um die Zeit, als Eisbär zu mir kam, hatte ich mich ziemlich heftig in eine junge Kalifornierin verschossen. Es fing, wie das bei griesgrämigen Junggesellen in Herzensdingen meist der Fall ist, ganz harmlos an. Und ging über eine weite Wegstrecke auch so weiter. Es ist nicht etwa so, daß Griesgrame kein Herz haben – sie haben eines –, aber der Kopf hat bei uns Vorrang. Wir mögen unser Herz verlieren, aber wir lassen uns keinesfalls den Kopf verdrehen.
Kurz und gut, es war so: Ich lernte eines Tages ganz zufällig diese Kalifornierin kennen. Sie war eine schöne Frau. Nicht nur die Männer Kaliforniens umschwärmten sie, sondern auch Männer aus anderen Staaten, anderen Ländern und, nach dem Aussehen einiger unter ihnen zu urteilen, von anderen Sternen. Sie hatte langes schwarzes Haar, große braune Augen und eine atemberaubende Figur. Sie war amüsant und witzig, und das trug wesentlich zu ihrem Reiz bei. Außerdem mochte sie Katzen. Ich lud sie also kurz entschlossen nach New York ein, um sie mit Eisbär bekannt zu machen.
Zu ihrem Empfang plante ich ein intimes Dinner zu zweit in meiner Wohnung, das ich von einem New Yorker Party-Service liefern ließ. Ich möchte darauf hinweisen, daß das keinen anderen Grund hatte, als daß meine Kochkünste, so sehr Eisbär sie zu schätzen weiß, zur Vorbereitung eines solchen exquisiten Abendessens nicht ausreichten. Ich hielt es schlicht für bequemer, das Essen einfach vom Herd zu nehmen und auf den kerzenschimmernden Tisch zu stellen. Das Kerzenlicht plante ich übrigens auch nur, weil der Blick von meiner Wohnung auf den Central Park bei Kerzenschein viel romantischer ist als bei elektrischem Licht.
Endlich war der große Abend da. Sie kam, wie immer, mit Verspätung. Und fast gleichzeitig kam Eisbär. Sie kniete nieder, um ihn zu streicheln – genauso, wie ich es mir seit langem vorgestellt hatte. Aber dann folgte aus heiterem Himmel die kalte Dusche. »Oh«, sagte sie, während sie munter darauflosstreichelte, »ist der aber dick.« Und als reiche das nicht schon, machte sie es noch schlimmer. »Er ist wirklich viel zu dick.«
Eisbär traute seinen Ohren nicht. Er empfand diese Bemerkung nach so kurzer Bekanntschaft offenkundig als viel zu persönlich. Augenblicklich zog er sich zurück und äußerte statt seines gewohnten »Ajau« nur ein tief verletztes »Au.«
Im Gegensatz zu Eisbär wußte ich, da ich die Dame kannte, daß ich richtig gehört hatte, aber das machte die Sache nicht besser. Es ist wahr, daß Eisbär in jener Zeit, so bald nachdem ich ihn halbverhungert auf der Straße aufgelesen hatte, einiges an Gewicht zugelegt hatte. Und kalorienbewußt zu leben war, wie ich schon in meinem ersten Buch schrieb, nicht seine Sache. Dennoch – mich, der ich mir solche Mühe gegeben hatte, auf seine Linie zu achten – auch wenn er selbst nichts davon hielt –, machten ihre Bemerkungen einfach wütend. Ich erwartete gar nicht, daß sie ein so schönes, altmodisches Wort wie »stattlich« kannte, aber ein wenig mehr Taktgefühl hätte ich mir doch gewünscht. Ich denke, wenn sie zum Beispiel gesagt hätte: »Er ist wirklich ein kräftiger Bursche«, oder vielleicht auch: »Er ist gut im Futter, nicht?«, so hätte ich das hinnehmen können. Ich hätte die Bemerkung dann sicher einfach darauf zurückgeführt, daß für Kalifornierinnen Schlanksein das Wichtigste im Leben ist. Aber Eisbär dick zu nennen, und gleich zweimal, das ging zu weit. Der langen Rede kurzer Sinn: Sie war für mich erledigt.
Und kurze Zeit nach ihrem Besuch in New York tat die schöne Kalifornierin genau das, was ich erwartet hatte – sie heiratete.
Es wäre jedoch nicht gerecht, Eisbär für den Ausgang der Geschichte unmittelbar verantwortlich zu machen. Im übrigen hatte die Sache für mich auch ihre gute Seite. Sie bewirkte nämlich, daß ich hinfort noch mannhaftere Anstrengungen unternahm, Eisbär bei Linie zu halten. Was die junge Dame angeht, so entwickelten sich die Dinge auch bei ihr zum Guten. Glücklich geschieden jetzt, ernüchtert vielleicht, aber sicherlich auch klüger, ist sie heute eine gesuchte Drehbuchautorin. Und ich, ernüchterter und hoffentlich auch klügerer Griesgram, schaffte es immerhin nach angemessener Trauerzeit, die Freundschaft mit ihr zu erneuern.
Mag Eisbär an den kalifornischen Geschehnissen allenfalls mittelbar schuld gewesen sein; das Scheitern der zweiten hoffnungsvollen Beziehung geht eindeutig auf sein Konto.
Die Frau, der meine Neigung in jenem zweiten Fall galt, war das pure Gegenteil meiner Kalifornierin. Sie war groß und blond, mit blauen Augen und einem hinreißenden Lächeln. Aus Boston stammend, hatte sie dort gelernt, entweder von Mama oder in einer guten Mädchenschule, daß man im Beisein von männlichen Wesen niemals auch nur andeutungsweise zeigen darf, daß man ebenso viel an Intelligenz, Menschenkenntnis und Humor zu bieten hat wie diese. Die Folge war natürlich, daß sie ungemein umschwärmt war. Sie war im übrigen eine alte Liebe von mir, und wir waren eine Zeitlang »miteinander gegangen«, wie man damals zu sagen pflegte. Sie war der Typ von Mädchen, den man ohne Bedenken und ohne Vorwarnung den Eltern vorstellen konnte heute eine Seltenheit. Es ist gut möglich, daß wir geheiratet hätten, wenn sie nicht aus irgendeinem albernen Grund, genau wie meine Kalifornierin, einen anderen geheiratet hätte ein Fehler, den sie, davon bin ich überzeugt, bitter bereute.
Aber wie bei der Kalifornierin blieb auch bei ihr die Scheidung nicht aus. Da inzwischen auch ich geschieden war, gab es nun keinen Grund mehr, nicht erneut Kontakt aufzunehmen. Als sie mir schrieb, sie müsse demnächst geschäftlich nach New York reisen, war ich hocherfreut und träumte mit Genugtuung davon, wie sie sich an meiner Schulter über ihren Fehler, mich nicht geheiratet zu haben, ausweinen würde.
Auch diesmal wieder plante ich ein intimes Dinner zu zweit. Aber mitten in den Vorbereitungen fiel mir plötzlich ein, daß ich bei meinen Planungen ein wichtiges Detail vergessen hatte. Dieses Detail war natürlich Eisbär. Er merkte sofort, daß etwas vorging, und wenn Eisbär merkt, daß etwas vorgeht, geht er erst einmal in sich. Das heißt, er versenkt sich in Meditation, um sich genau zu überlegen, wie er mit dem Bevorstehenden umgehen soll. Da er nicht weiß, was das Bevorstehende sein wird, kann sich die Meditation hinziehen. Ich habe dieses Verhalten oft genug beobachtet, um zu wissen, daß er im allgemeinen über zwei mögliche Vorgehensweisen nachdenkt. Bei meiner Kalifornierin hatte er sich für die direkte Konfrontation entschieden – er hätte sich genausogut für das Gegenteil entscheiden können, schnellen und endgültigen Rückzug. Ich hatte keine Ahnung, welche Strategie er diesmal wählen würde.
Als meine Freundin kam, erwähnte sie Eisbär mit keinem Wort, und erst als wir beim Essen saßen, kam das Gespräch auf ihn. Sie sah sich plötzlich um und fragte: »Wo ist eigentlich Eisbär?«
Ich gab eine meiner gewohnt lahmen Erklärungen – er sei gewiß im anderen Zimmer, habe sich in letzter Zeit nicht recht wohl gefühlt –, worauf sie prompt verkündete, sie sei froh, daß er nicht da sei.
Ich fand das natürlich recht unsensibel von ihr, doch anstatt etwas zu erwidern, sah ich sie nur schweigend an und begnügte mich damit, eine Augenbraue hochzuziehen. Ich habe ja bereits gesagt, daß das meist an Wirkung nicht zu wünschen übrig läßt.
Aber sie ließ sich davon nicht beirren. »Du hast nie Katzen gehabt, soweit ich mich erinnere«, fuhr sie fort. »Du hattest früher immer Hunde.« Sie legte eine vielsagende Pause ein, und als ich immer noch schwieg, fügte sie erläuternd hinzu: »Ich bin nämlich gegen Katzen allergisch.«
Da verschlug es mir nun wirklich die Sprache. Ich hatte völlig vergessen, daß ich damals, als wir »miteinander gegangen« waren, tatsächlich nur Hunde gehabt hatte und keine Katze. Jetzt geriet ich in großen inneren Zwiespalt. Wenn ich klar und deutlich meine Meinung sagte, würde ich nicht nur die guten Manieren verletzen, die man mir in Boston mit soviel Sorgfalt beigebracht hatte, sondern ich konnte auch dieses zweite intime Abendessen vergessen. Wenn ich andererseits die Form wahrte und mich mit einer höflichen Bemerkung wie: »Ach, das ist aber schade«, begnügte, würde ich damit mich und meine Ansichten über Allergien verleugnen.
Eisbär erlöste mich aus meinem Dilemma. Er wählte genau diesen Augenblick für seinen großen Auftritt. Früher sagte man, wie Sie sich vielleicht erinnern werden, Kinder und Haustiere sollten gesehen, aber nicht gehört werden.
Von dieser Maxime hat Eisbär noch nie etwas gehalten. Ihm ist es das liebste, nicht gesehen zu werden, aber ja alles zu hören. Diesmal hatte er sich anscheinend ein Versteck ganz in der Nähe ausgesucht gehabt, und nun schoß er so blitzschnell aus ihm hervor, als könne er es nicht abwarten, diese Frau kennenzulernen. Kurz vor ihr bremste er ab und begann einschmeichelnd seinen Kopf an ihren Knöcheln zu reiben.
So schnell, wie er angeflitzt gekommen war, sprang meine Freundin von ihrem Stuhl, riß ein Kleenex aus ihrer Handtasche und starrte dann niesend und schniefend, hustend und prustend wie gebannt zu Eisbär hinunter.
Jetzt mußte ich mich entscheiden. Ich konnte nichts tun, oder ich konnte tun, was getan werden mußte. Ich tat, was getan werden mußte. Ich hob Eisbär auf, trug ihn ins Schlafzimmer und deponierte ihn auf dem Bett. Nach einem kurzen Versuch, ihm zu erklären, daß dies einzig in seinem eigenen Interesse geschah, ging ich wieder, schloß die Tür hinter mir und kehrte ins Wohnzimmer zurück, um zu sehen, ob meine Freundin etwa schon ausgelitten hatte.
Sie lebte noch, aber sie hatte sich in einen entfernten Sessel zurückgezogen, wo sie, nachdem das Husten und Prusten zwar aufgehört hatte, weiterhin nieste und schniefte, daß ihr die Tränen aus den Augen rannen.
Ich hatte keine Minute gebraucht, um Eisbär ins Schlafzimmer zu sperren, aber in dieser Zeit hatte ich gründlich nachgedacht. Wieder stand ich vor der Entscheidung: Ich konnte schweigen, oder ich konnte den Mund aufmachen und sagen, was ich von Allergien hielt. Ich tat das letztere. Aber ich tat es nicht etwa, weil mir klar war, daß aus dem intimen Abendessen bei Kerzenlicht nun sowieso nichts mehr werden würde; ich tat es, weil kaum etwas mich so sehr in Rage bringt – und einen Griesgram wie mich bringen täglich Dutzende von Dingen in Rage – wie Leute, die mit der Behauptung, unter einer Katzenallergie zu leiden, zum nächsten Arzt laufen, um sich von ihm sagen zu lassen, daß sie die Katze weggeben müssen, und das Tier dann ins Tierheim bringen, wo es natürlich eingeschläfert wird – obwohl es zahllose andere Möglichkeiten gäbe.
Mir war klar, daß die Auseinandersetzung mit meiner alten Freundin kein Spaziergang werden würde, aber ich war entschlossen, dennoch den Versuch zu machen, sie zu belehren. Da sie vor lauter Schniefen unfähig war, auch nur einen Ton hervorzubringen, konnte ich wenigstens damit rechnen, daß sie mich nicht unterbrechen würde. Ich erklärte ihr also, daß ich im Lauf meines Lebens an sämtlichen Allergien gelitten hatte, die dem Menschen bekannt sind. Schon als kleines Kind, berichtete ich ihr, hatte ich Heuschnupfen, Asthma, Ekzeme und Nesselfieber gehabt, war gegen so viele Dinge allergisch gewesen, daß man es aufgegeben hatte, mich zu testen. Ich sei wahrscheinlich, fuhr ich fort, noch heute gegen die meisten Dinge allergisch. Eines jedoch hätte ich inzwischen gelernt: Wenn man Allergien nicht nachgäbe, überwinde man sie mit der Zeit oder entwickle eine Abwehr, so daß sie einem nichts mehr anhaben könnten.
Ich wartete eine angemessene Zeit, um dies alles wirken zu lassen. Dann sagte ich streng, meistens rieten die Ärzte den Leuten, ihre Katzen wegzugeben, weil sie entweder selbst Katzen nicht liebten oder weil das einfacher sei, als den anderen Allergien des Patienten auf den Grund zu gehen. Ich erzählte ihr, daß ich während meiner schlimmsten Allgerieattacke einmal mehrere Monate lang in einer klimatisierten Kabine eingeschlossen worden war und von nur sechs verschiedenen Nahrungsmitteln gelebt hatte. Ich erwarte nicht, sagte ich, daß Ärzte heute noch zu solchen Verfahren griffen, aber wenn sie gewissenhaft genug wären, ihre Patienten zu testen, um festzustellen, wogegen genau sie allergisch sind, und dann gezielt dagegen impften, würden sie höchstwahrscheinlich in den meisten Fällen erfahren, daß damit auch das Katzenproblem erledigt war. Und wenn das nicht der Fall sei, solle man solche Ärzte daran erinnern, daß es spezielle Impfungen gegen Katzenallergie gibt. Ich würde zwar jemandem, der seiner Meinung nach an einer Katzenallergie leidet, nicht gerade raten, mit der Katze in einem Bett zu schlafen, sagte ich weiter – wenigstens so lange nicht, bis er eine Zeit des Zusammenlebens mit der Katze bei getrennten Schlafzimmern hinter sich hatte –, aber mit der Zeit würde selbst das möglich werden und sogar die Selbstimmunisierung beschleunigen.
Nach einer weiteren angemessenen Pause kam ich zum Schluß meiner Rede. Ich fragte sie rundheraus, ob sie wisse, wie häufig sich Katzenallergien als psychisch bedingt entpuppt hätten.
Natürlich gefällt es keinem, wenn man ihm sagt, sein körperliches Symptom sei psychischen Ursprungs, und meine Freundin bildete da keine Ausnahme.
Als Schniefen und Tränen so weit nachgelassen hatten, daß sie sprechen konnte, erklärte sie bestimmt: »Bei mir ist das nichts Psychisches. Ich kann nicht einmal ein Zimmer betreten, in dem vorher eine Katze war.«
Da holte ich zum entscheidenden Schlag aus. So höflich und so wenig sarkastisch, wie es mir möglich war, machte ich sie darauf aufmerksam, daß sie sich die ganze Zeit in genau einem solchen Raum befunden hatte; in einem Raum nämlich, in dem sich Eisbär tagsüber die meiste Zeit aufzuhalten pflegte und in dem er sich auch befunden hatte, und zwar nicht weit von ihr entfernt, als wir zu essen begannen. Aber erst als er herausgekommen war und sie ihn gesehen hatte, sagte ich, habe sie ihren Anfall bekommen. Das sei doch Beweis genug, in welchem Maß ihre Allergie psychisch bedingt sei.
Ich hätte natürlich noch ewig weiterreden können, aber ich tat es nicht. Es macht mir wirklich keinen Spaß, mit Leuten zu streiten, die über das strittige Thema nicht ausreichend informiert sind oder mir dauernd mit Informationen kommen, von denen ich nichts weiß. Außerdem war meine Freundin zumindest vorübergehend invalide, und es lag mir fern, das auszunützen. Im übrigen war sie ja auch mein Gast.
Als Niesen und Schniefen endlich völlig versiegt waren, schöpfte ich neue Hoffnung und sagte mir, daß ich das intime Abendessen vielleicht doch etwas zu schnell abgeschrieben hatte. Höflich wie immer bot ich ihr also meinen, Arm, und wir kehrten an den gedeckten Tisch zurück. Angeregt von Essen und Wein, unterhielten wir uns lebhaft über alte Zeiten. Die Allergie war vergessen, meine Freundin zeigte sich von ihrer bezauberndsten Seite, und von ihrem Charme und vom Wein ermutigt, schlug ich schließlich vor, auf den Balkon hinauszugehen.
Es war ein herrlicher Sommerabend, mild und lauschig, und gerade wollte ich sie zärtlich in die Arme nehmen, als sie von neuem zu niesen und zu schniefen, zu husten und zu prusten anfing.
Wenn Sie mein Balkonarrangement im Kopf haben, werden Sie sofort wissen, was geschehen war. Eisbär war genau in dem Moment, als ich meinen Annäherungsversuch wagte, mit einem Riesensatz durch das Schlafzimmerfenster auf seinen Balkonteil hinausgesprungen. Nicht nur hatte sie ihn über meine Schulter hinweg gesehen, sie hatte zudem keine Ahnung, daß er wegen des Gitters gar nicht zu ihr herüberkommen konnte.
Ein Kleinmütigerer als ich hätte an dieser Stelle das Handtuch geworfen. Aber kleinmütig war ich noch nie. Vielmehr faßte ich auf der Stelle einen Plan, der zwei Ziele hatte. Einmal wollte ich dieser Frau mit einer scheinbar schweren Katzenallergie beweisen, daß es gegen dieses Leiden noch andere Kuren gab als die Verbannung der Katze. Und zweitens wollte ich mich unter keinen Umständen um meine wohlverdiente Romanze bringen lassen. Wenn ich ein gutes Werk tun und zur gleichen Zeit bekommen kann, was ich will, fühle ich mich erst so richtig in meinem Element.
Wie immer, wenn ich einen Schlachtplan entworfen habe, handelte ich rasch. Als wir nach ihrem Anfall auf dem Weg hinaus waren, sagte ich, ich wüßte, daß sie vorhätte, drei Tage in New York zu bleiben. Wenn sie mir vor ihrer Abreise noch einmal die Freude ihres Besuchs machen würde – ich schlug ihren letzten Abend vor, um Zeit zu gewinnen –, würde ich nicht nur die ganze Wohnung allergiefrei machen, sondern auch Eisbär. Überrascht, daß so etwas überhaupt möglich sein sollte, sagte sie zu. Als nächstes schlug ich, da ich ein unverbesserlicher Spieler bin, eine Wette vor. Sie wollte natürlich zuerst wissen, worum es dabei gehen sollte. Falls sie an diesem zweiten Abend auch nur einen einzigen allergischen Anfall bekäme, erklärte ich, würde sie die Wette gewinnen, und ich würde ihr – sie war in der Werbebranche – nach ihren Wünschen eine ganzseitige Anzeige oder sonst einen vollständigen Text ausarbeiten. Sollte sie hingegen keinen Anfall bekommen, so würde ich gewinnen.
»Und was?« fragte sie, als ich die Tür öffnete.
»Dreimal darfst du raten«, antwortete ich und klappte die Tür hinter ihr zu.
Sobald sie gegangen war, ließ ich Eisbär aus dem Schlafzimmer und sah mich dabei aufmerksam um. Mir war klar, daß es ein Mammutunternehmen werden würde, das Wohnzimmer allergiesicher zu machen; das Schlafzimmer, Bett hin oder her, konnte ich mir nicht auch noch vornehmen. Allein die gründliche Reinigung des Bettes hätte bestimmt zwei Tage in Anspruch genommen und mich vielleicht am Ende doch nur davon überzeugt, daß ein nagelneues Bett her mußte. Nur wegen eines Bettes wollte ich die Wette auf keinen Fall verlieren. Ich würde mich auf das Wohnzimmer beschränken, und basta.
Ich muß gestehen, ich hatte keine Ahnung, was ich mir da aufgeladen hatte; aber wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe, lasse ich so leicht nicht locker. Immerhin sagte ich mir gleich zu Beginn, daß es keinen Sinn hatte, ganz allein loszuwursteln. Schließlich mußte ich die ganze Operation leiten; dazu brauchte ich einen klaren Kopf und durfte mich nicht in Details verlieren. Darum rief ich am nächsten Morgen in aller Frühe zwei Schachfreunde von mir an und bat sie, sofort zu mir in die Wohnung zu kommen. Ganz beiläufig erwähnte ich, daß neben dem Schachspiel eventuell einige Räumungsarbeiten anfallen würden, und empfahl ihnen, alte Kleider anzuziehen.
Während ich auf sie wartete, beschloß ich, ein paar Recherchen zum Thema anzustellen. Obwohl ich überzeugt war, praktisch alles zu wissen, was es über Allergien zu wissen gab, fand ich, es könne nicht schaden, meine Kenntnisse ein wenig aufzufrischen. Nach einiger Zeit entdeckte ich in der Zeitschrift Cats einen ausgezeichneten Artikel von Barbara Kolenda, der den Titel trug: Was tun bei Katzenallergie? Das war genau das, was ich gesucht hatte.
Mrs. Kolenda schlug ein Vier-Schritte-Programm vor, aber »Schritt eins« war gleich eine Enttäuschung. »Als erstes«, schrieb sie da, »müssen Sie Ihre Katze aus dem Schlafzimmer verbannen.« Genau das ist meiner Meinung nach doch das Problem, das man lösen möchte, wenn man eine Katze hat, gegen die man allergisch ist. Man möchte erreichen, daß sie zu einem ins Bett kriechen kann. Dahin gehört die Katze schließlich. Dennoch verstand ich, worauf Mrs. Kolenda hinauswollte – eben darum hatte ich das Schlafzimmer von meiner Großoffensive ausgenommen.
Als ich zu »Schritt zwei« kam, war ich überzeugt, den Stein des Weisen gefunden zu haben. Mrs. Kolenda empfahl mit allem Nachdruck, sich einen sogenannten HEPA-Filter anzuschaffen.
»Diese Filter«, schrieb sie, »wurden ursprünglich zur Verwendung in der Raumfahrt entwickelt. Sie reinigen die Luft von den winzigsten Partikeln einschließlich Staub und Pollen.«
Die Vorstellung, daß ich, ein Mann, der es all seinen Gaben zum Trotz bis dato nicht geschafft hatte, mit einem Computer umzugehen, nunmehr tatsächlich in High-Tech-Sphären aufsteigen sollte – Raumfahrt, wohlgemerkt! –, war berauschend, und ich beschloß, mir umgehend einen HEPA zu besorgen. Zumal Mrs. Kolenda noch mehr Erfreuliches über dieses Wundergerät zu berichten hatte:
»Ein guter HEPA kann die Luft in einem Zimmer durchschnittlicher Größe mehrmals innerhalb einer Stunde austauschen, und bei jedem Austausch werden mehr und mehr Allergene entfernt. Diese Apparate haben im allgemeinen einen oder mehrere Vorfilter zur Entfernung solcher Substanzen wie Pelz…«
Das war nun wirklich toll! Auf der Stelle mußte so ein Otto her, am besten gleich der größte auf dem Markt! Im Geiste sah ich mich schon eine Party geben und so eine gewissenlose Person im Nerz hereinrauschen – und wusch!, mein Riesen-HEPA zog ihn ihr vom Leib und verschlang ihn! Und während die Frau schrie und tobte, erklärte ich in aller Ruhe, es täte mir herzlich leid, aber auf Pelzmäntel reagiere ich nun mal allergisch.
Kurz und gut, als meine Schachfreunde ankamen und wir im Wohnzimmer ans Werk gingen, war ich bester Stimmung. Die Arbeit war schweißtreibend, und ich muß sagen, ich war stolz auf meine Freunde, die sich unter meiner Anleitung mächtig anstrengten. Nichts ließen sie aus – weder Sofa noch Sessel, Vorhänge oder Teppiche. Sogar die Bücher nahmen sie sich vor. Und was wir mit mehrmaligem Staubsaugen nicht absolut allergenfrei machen konnten, brachten wir einfach aus der Wohnung. Wir – oder besser, sie – gingen nach nebenan und überredeten eine Freundin von mir, »ein paar Sachen« bei sich unterzustellen. Als aus den »paar Sachen« ein Haufen Sachen wurden, zeigte sie allerdings eine gewisse Besorgnis, und als schließlich auch noch das Sofa anrückte und sie den Bauch einziehen mußte, um zu ihrer Wohnungstür vordringen zu können, fragte sie ziemlich entrüstet, was das eigentlich solle. Nur ein kleiner Frühjahrsputz, erklärte ich freundlich.
»Frühjahrsputz!« rief sie. »Im August?«
Ach was, meinte ich. August haben wir schon? Wirklich, wie die Zeit vergeht!
Aber selbst nach all diesen Mühen und nachdem ich einen meiner Freunde losgeschickt hatte, einen HEPA aufzutreiben – zur Miete natürlich nur –, blieben noch zwei Schritte, die ich allein bewältigen mußte. Und »Schritt drei« war mir nun wirklich zuwider. Er verlangte nämlich, daß ich Eisbär selbst allergenfrei machte. Die Verfahrensanleitung entnahm ich einem Prospekt der »Associated Humane Society.« Sie empfahl, die Katze zunächst gründlich zu bürsten und zu kämmen, dann mit einem Qualitätsshampoo für Haustiere zu baden – zweimal gleich –, und das Fell nach gründlichem Spülen gut abzutrocknen. Danach kam der Knüller: »Reiben Sie das Fell dann überall mit einer Mischung aus vier Teilen Wasser und einem Teil Weichspüler ein. Massieren Sie das Mittel gründlich ein und spülen Sie hinterher nicht.«
Wer diese Anweisung geschrieben hatte, kannte Eisbär nicht. Das letztemal hatte ich ihn, wie Sie sich vielleicht erinnern werden, am Tag nach seiner Rettung gebadet, dann nie wieder, auch wenn er sich in den Jahren, die seither vergangen sind, ein paarmal zähneknirschend von der Tierärztin in die Wanne tauchen ließ. Kurz, Eisbär war ein gebranntes Kind, und hinzu kommt, daß er ein phänomenales Gedächtnis hat. Kaum drehte ich den Wasserhahn der Badewanne auf, war er spurlos verschwunden. Woher er wußte, daß ich diesmal für ihn und nicht wie gewöhnlich für mich ein Bad einlaufen ließ, ist mir schleierhaft. Vielleicht hatte das Möbelrücken und endlose Staubsaugen im Wohnzimmer, das ihn alles sehr irritierte, ihn mißtrauisch gemacht. Wie dem auch sei, er verschwand und ward nicht mehr gesehen. Ich brauchte eine volle Stunde, um ihn aufzustöbern, und auch das glückte mir nur, weil meine Schachfreunde die Bücher nach dem Abstauben etwas nachlässig wieder eingereiht hatten. Zwischen zwei Büchern, das eine mit dem Titel Trost bei guten alten Büchern, entdeckte ich erst Eisbärs Schwanz, dann den Rest des kleinen Burschen dahinter.
Aber das war noch das einfachste an der ganzen Prozedur. Als ich ihn in die mit dem »Qualitätsshampoo für Haustiere« gefüllte Wanne setzte, mußte ich Hände und Füße zu Hilfe nehmen, um ihn dort festzuhalten. Naß von Kopf bis Fuß, wünschte ich, ich hätte mich wenigstens entsprechend an- beziehungsweise ausgezogen. Als ich zu dem Teil unserer Waschungen kam, bei dem ich ihn »einreiben« mußte, betete ich nur noch um Erlösung. Wir kämpften beide mit dem Mut der Verzweiflung. Aus seinem Miauen war wütendes Fauchen geworden, und seine Augen glühten. Was die »Lösung von einem Teil Weichspüler in vier Teilen Wasser« anging, so war ich angesichts meines wutschäumenden Katers nicht in Stimmung für Haarspaltereien mit dem Meßbecher. Als wir schließlich bei der letzten Anweisung angelangt waren – das Mittel gut ins Fell einzureihen und nicht zu spülen –, hatte ich restlos genug und nicht die geringste Absicht, Eisbär, wie angewiesen, ein zweites Mal zu baden. Wenn ich am Abend überhaupt noch fähig sein wollte, die Tür zu öffnen, brauchte ich jetzt dringend Ruhe.
Eines ist sicher, so erschöpft ich nach dieser Badekur war, so wütend war Eisbär. Nachdem ich ihm den Staub aus dem Fell gerubbelt hatte, machte er seinerseits sich, kaum daß ich ihn aus der Wanne gelassen hatte, aus dem Staub. Aber ich wußte genau, daß er sich nicht etwa verkriechen würde; nein, in seiner Wut sann er schon jetzt auf Rache. Sein Plan war einfach: Kaum war er aus der Wanne gesprungen, flitzte er ins Schlafzimmer, sprang aufs Bett und begann sich zu wälzen – wobei er mich, als er sah, daß ich ihm gefolgt war, unverwandt beobachtete, um sich an meinem Ärger zu ergötzen. Aber ich kenne ihn zu gut; diese Genugtuung gab ich ihm nicht. Ich ignorierte ihn einfach, und das mit gutem Grund: Ich konnte es mir nicht leisten, mich jetzt auf die faule Haut zu legen. Mit der gründlichen Reinigung des Wohnzimmers und Eisbärs war es noch nicht getan. Ich hatte noch eine Aufgabe vor mir, auf die ich mich vorbereiten mußte: Wenn meine Freundin kam, mußte ich ihr als erstes eine antiallergische Behandlung angedeihen lassen.
Die Informationen dazu, wie das zu bewerkstelligen sei, erhielt ich nicht aus klugen Büchern, sondern von einem klugen Bekannten, den ich am Morgen nach dem mißglückten Tête-à-tête mit meiner Bostoner Freundin zufällig im »New York Athletic Club« traf. Als John Henderson, ein bekannter Pressemann, sich erkundigte, wie es mir ginge, erzählte ich ihm prompt, was mich an diesem Morgen am meisten beschäftigte, die Wette nämlich, auf die ich mich eingelassen hatte. Als er Näheres wissen wollte, berichtete ich ihm die ganze unglückselige Geschichte und gestand, daß ich mich nun unheimlich unter Druck fühlte.
»Wollen Sie Ihre Wette wirklich gewinnen?« fragte er mich. Als ich das mit Nachdruck bejahte, meinte er: »Schön, dann haben Sie schon so gut wie gewonnen.«
Er erzählte mir, daß er selbst ebenfalls unter einer starken Katzenallergie leide und vor einiger Zeit bei einem Besuch bei einer Freundin, die er sehr verehre, die aber leider zwei Katzen hatte, total aus den Fugen geraten sei. »Es war mir ungeheuer peinlich«, sagte er, »aber ich mußte den Besuch abbrechen, weil ich buchstäblich keine Luft mehr bekam.«
Wieso er dann so sicher sei, wollte ich wissen, daß ich meine Wette gewinnen würde.
»Weil ich darüber hinweg bin«, erklärte er. »Vollkommen.«
Ob über seine Angebetete oder seine Allergie, fragte ich.
»Über die Allergie natürlich«, erwiderte er mit Entschiedenheit.
Ich versicherte ihm, ich sei aufs höchste gespannt.
»Die Sache ist etwas kompliziert«, erklärte er. »Am besten rufen Sie Maryann an.«
Maryann Lane war Telefonistin im »Athletic Club« und eine sehr nette Frau, die zu Hause neun Katzen und vier Hunde hatte. Am Abend rief ich sie an. Nachdem ich ihr mein Anliegen erklärt hatte, hörte ich, daß sie selbst, genau wie ihre Tochter Laura, einmal gegen Katzen allergisch gewesen war; dennoch lebte sie mit einer ganzen Schar von ihnen zusammen. Die beiden Frauen hatten, wie sie mir berichtete, einen Arzt nach dem anderen aufgesucht.
»Und jeder von ihnen riet uns, die Katzen wegzugeben.«
Schließlich jedoch waren sie an einen Arzt geraten, der ihnen empfahl, sich an einen Spezialisten für Erkrankungen der Atemwege am New Yorker Phelps Memorial Hospital zu wenden.
Und diesmal bekamen sie wirklich Hilfe.
»Sie können Ihre Katze ruhig behalten«, hatte der Arzt versichert. »Es liegt nicht an den Katzen, es liegt an Ihnen. Aber das werden wir schon hinkriegen.«
Damit drückte er Maryann und Laura zwei Flaschen in die Hand. Die erste enthielt ein Mittel namens Proventil, die zweite enthielt Vanceril. Beides waren Inhalationspräparate.
Der Arzt erklärte ihnen, sie sollten jedesmal vor Betreten von Räumen, in denen sich Katzen aufzuhalten pflegten, zwei Züge Proventil nehmen. Sollte sich dann dennoch eine allergische Attacke melden, so sollten sie zwei Züge von dem Vanceril nehmen.
Maryann und Laura hielten sich genau an die Anweisung, und es klappte. Heute müssen sie nur noch selten zu den Präparaten greifen, und nie wieder haben sie nach ihrer Einnahme einen ernsteren Anfall gehabt. Kein Wunder, daß beide seither von einem missionarischen Eifer beseelt waren, andere von der Wirksamkeit dieser Mittel zu überzeugen.
Als ich danach Maryann von meiner Wette erzählte und fragte, ob sie glaube, daß ich sie gewinnen könne, bejahte sie überzeugt. »Voraussetzung ist natürlich, daß Sie Ihre Bekannte dazu bringen können, die Mittel zu nehmen.«
Das, meinte ich, würde kein Problem sein. Medizin könnte ich jedem einflößen außer Eisbär.
Nachdem ich mir die Präparate besorgt hatte, beschloß ich, den Hausportier zu bitten, kurz bei mir anzuläuten, sobald meine Freundin eintraf. Ich wollte ihr dann in den Flur entgegengehen, um dafür zu sorgen, daß sie vor dem Betreten meiner Wohnung zwei Nasenvoll Proventil nahm.
Das Abendessen stand schon zum Warmhalten im Rohr, als es bei mir läutete. Ich öffnete nicht.
»Du kannst jetzt nicht hereinkommen«, rief ich durch die Tür. »Warte einen Moment und geh von der Tür weg. Ich komme gleich heraus.«
Als ich eilig die Tür öffnete, sah ich zu meiner Überraschung nicht meine Bostoner Freundin im Aufzug stehen, sondern den Eilboten. Er zeigte verständlicherweise eine gewisse Verwunderung, als er mir den an mich adressierten Expreßbrief überreichte.
Lia Albo, eine Mitarbeiterin des Tierschutz-Fonds, hatte ihn mir gesandt, wie ich sah, als ich ihn aufriß. Der Text des Schreibens, sauber getippt, war kurz und lautete:
Chinesische Kräuterkur gegen Katzenallergie
1/4 Unze koreanische Ginsengwurzel
1/4 Unze weiße Morcheln
1/4 Unze wei-shan
Im Keramikgefäß mit drei bis vier Tassen Wasser kochen, bis die Flüssigkeit auf zwei bis drei Tassen eingedickt ist.
Durchseihen und trinken.
Kann heiß und kalt getrunken werden – je nach Geschmack auch mit Zucker.
Muß täglich getrunken werden.
Es klang faszinierend, kam aber leider für meine Zwecke viel zu spät, da es sich offensichtlich um eine längerfristige Kur handelte. Damit hätte ich schon Tage vorher anfangen müssen, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß meine Bostoner Freundin, auch wenn sie normalerweise für jeden Spaß zu haben war, an diesem Trank Geschmack gefunden hätte. Dennoch hätte ich gern gewußt, ob dies tatsächlich Lia Albos eigenes Rezept war. Darum rief ich sie gleich an.
»Nein«, antwortete sie auf meine Frage, »von mir ist das nicht.«
Von wem dann? wollte ich wissen, worauf zunächst einmal ein längeres Schweigen folgte. Schließlich sagte Lia: »Wenn Sie es in Ihr Buch aufnehmen wollen, schreiben Sie doch einfach, daß es vom Exfreund der Schwester von Lias hoffentlich neuem Freund stammt.«
Wenig später läutete mich wie verabredet der Portier an, um mir zu melden, daß mein Besuch im Anzug war. Ich stand schon draußen im Treppenhaus am Aufzug, als meine Freundin kam. Sie könne jetzt nicht gleich in die Wohnung, erklärte ich ihr, sie müsse erst eine kleine Dosis Proventil inhalieren. Ein wenig überrascht, aber bereit, den Versuch zu machen, nahm sie zwei Züge von Präparat Nummer 1. Danach präsentierte ich ihr Präparat Nummer 2. Sie begann eine Spur ungeduldig zu werden, beruhigte sich aber wieder, als ich ihr erklärte, dieses Mittel brauche sie nicht gleich zu nehmen, solle es aber bei sich behalten und nur davon nehmen, wenn sie das Gefühl habe, daß eine Attacke drohe.
Jetzt erst öffnete ich die Tür zu meiner Wohnung und führte sie mit einem gewissen Zeremoniell hinein. Sie wollte kaum ihren Augen trauen, als sie die Veränderungen sah, die ich vorgenommen hatte. Ich nahm mir viel Zeit, um ihr all meine allergenfreien Möbel vorzuführen, und ließ sie, als wir vor dem HEPA standen, in tiefen Zügen die gereinigte Luft einatmen. Der Filter käme direkt aus dem Zentrum für Raumfahrt, schwindelte ich. Eine kleine Übertreibung, finde ich, darf man sich als Mann ruhig erlauben, wenn man eine Frau beeindrucken will.
Selbst Eisbärs Erscheinen, der von seinem Bad noch ganz mitgenommen aussah, konnte meine Zuversicht nicht erschüttern. Und es erschütterte, wie ich erleichtert feststellte, auch die ihre nicht. Als ich jedoch sah, daß sie Anstalten machte, sich zu Eisbär hinunterzubeugen, um ihn zu streicheln, bestand ich darauf, daß sie vorher von Präparat Nummer 2 inhalierte. Danach ging ich in die Küche, um unseren ersten Gang hereinzuholen, und warf nicht einmal einen Blick zurück, um zu sehen, wie die beiden zurechtkamen. Ich war überzeugt, meine Wette schon gewonnen zu haben.
Aber ich hatte meine Rechnung ohne den Wirt gemacht. Plötzlich nämlich, als ich gerade die Schüsseln auf den Tisch stellte, hörte ich nur allzu deutlich erste bedrohliche Ansätze zu Niesen und Schniefen. Einen Moment lang wollte ich es nicht glauben. Der Tisch versperrte mir die Sicht, so daß ich weder meine Freundin noch Eisbär sehen konnte. Ich horchte nur wie vom Donner gerührt. Und da mischten sich in das Husten und Schniefen ein Stöhnen und ein hüstelndes »Ajau.«
Ungläubig ging ich um den Tisch herum, und tatsächlich, nicht meine Bostoner Freundin gab diese erschreckenden Geräusche von sich, sondern Eisbär. Nicht etwa sie hatte sich von ihm zurückgezogen, sondern er sich von ihr. Sie war nicht mehr allergisch gegen ihn. Aber er, den ich so bearbeitet hatte, daß er praktisch zum wandelnden Antiallergetikum geworden war, und der diese reine HEPA-Luft atmete, reagierte nun allergisch auf sie.
Ich starrte ihn an, während er verzweifelt nieste und schniefte, und konnte es nicht fassen. Und ihm schien es genauso zu gehen. Eines allerdings stand für ihn fest: Schuld daran konnte nur ich sein.
Eine ganze Weile sahen wir einander nur an. Dann ging ich zu ihm, bückte mich genau wie drei Tage zuvor, hob ihn hoch und trug ihn ins Schlafzimmer.
Als ich zurückkam, wußten wir beide, meine Freundin ebenso wie ich, daß die Würfel gefallen waren. Alle Chancen auf eine glückliche Beziehung hatten sich in allergenfreie Luft aufgelöst. Das Abendessen ließen wir dennoch nicht verkommen. Und während wir mit Genuß aßen, wagte ich es sogar, die Wette aufs Tapet zu bringen.
Meiner Ansicht nach, erklärte ich, hätte ich sie gewonnen.
Sie lächelte. »Sagen wir unentschieden«, meinte sie.
»Unentschieden«, versetzte ich automatisch, »das ist, wie wenn man seine Schwester küßt.«
Später, als sie gegangen war und Eisbär und ich miteinander im Bett lagen, stellte ich mit Erleichterung fest, daß er aufgehört hatte zu niesen und zu schniefen. Ich sprach lange mit ihm, und obwohl er im allgemeinen schnell abschaltet, schlief er diesmal nicht gleich ein, sondern gab sich ausnahmsweise Mühe, wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, wie besorgt ich war, auch wenn er es nicht verstand.
Ich selbst fand lange keinen Schlaf. Unablässig gingen mir die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf. Ich sah plötzlich einen Mann vor mir, der von einem Arzt zum anderen lief und immer dieselbe Frage stellte: Was soll man tun, wenn man seine Katze liebt und nicht im entferntesten daran denkt, sie herzugeben, obwohl die Katze gegen die Freundin allergisch ist? Aber da träumte ich schon, und im Traum stieß das alles mir zu. Ich rannte, wie ich schon sagte, von Arzt zu Arzt, wobei ich inständig hoffte, einer von ihnen würde mir den einzig möglichen Rat geben: Lassen Sie die Frau sausen. Aber nein, nicht einmal im Traum gab mir auch nur ein einziger von ihnen diesen Rat.
Aber Spaß beiseite, etwa um die Zeit dieses Fiaskos mit der Bostoner Freundin entwickelte Eisbär tatsächlich einige Allergien. Allerdings hatte er das Glück, nicht wie die meisten Katzen zum Tierarzt zu müssen, um sich seine Spritzen geben zu lassen; vielmehr kamen die Spritzen zu ihm. Es war mir mit List und Tücke gelungen, seine Tierärztin, Susan Thompson, zu überreden, bei ihm ausnahmsweise Hausbesuche zu machen.
Auf den ersten Blick schien dieses Arrangement sehr vorteilhaft, sowohl für Eisbär als auch für mich; Eisbär blieben die verhaßten Besuche bei der Tierärztin erspart, und mir blieben die Strapazen erspart, ihn in seinen Korb bugsieren und dann mit ihm im Wartezimmer sitzen zu müssen. Bei genauerem Hinsehen jedoch hatte auch dieses Arrangement gewaltige Haken. Den Spritzen konnte Eisbär dennoch nicht entkommen, und für mich hatte die Geschichte, wie sich gleich zeigen wird, traurige Konsequenzen.
Tief im Innern liebt Eisbär Dr. Thompson, aber die Tatsache, daß sie Tierärztin ist, hindert ihn daran, es zu zeigen. Als sie das erstemal zu uns kam, hatte er allerdings, vergeßlich wie er in bezug auf Menschen ist, keine Ahnung mehr, daß sie Tierärztin war, und zeigte sich sehr zutraulich. Doch das änderte sich schlagartig, als ihm aufging, daß sie nicht gekommen war, um ihm einen Freundschaftsbesuch zu machen, sondern um ihm eine Spritze zu verpassen. Da war es mit der Freundschaft aus, und sie wurde seine Erzfeindin. Das geschah, wie schon gesagt, nicht allmählich, sondern in unmittelbarer Reaktion auf die erste Spritze. Von Dr. Thompsons zweitem Besuch an pflegte er regelmäßig zu verschwinden, sobald sie erschien, und ich mußte ihn dann aufstöbern und zu ihr schleppen – eine äußerst mühsame Angelegenheit, da er dabei unweigerlich ein Theater machte, bei dem er all seine sängerischen und schauspielerischen Talente voll entfaltete und seine erbarmungswürdigen »Ajaus!« mit markerschütterndem Gezeter begleitete. Gleichzeitig sah er mich mit Blicken an, die deutlich seine Fassungslosigkeit darüber ausdrückten, daß ich es fertigbrachte, ihn der Folter dieser teuflischen Ärztin preiszugeben.
Und dieses ganze Getue wegen einer Spritze, die binnen weniger Sekunden erledigt war, die ihm kaum Schmerz bereitete und so wenig Eindruck hinterließ, daß er anschließend nicht nur blieb, sondern Dr. Thompson wieder uneingeschränkte Zuneigung zeigte.
Aber nicht mir. Es kam ihm gar nicht in den krausen kleinen Kopf, mich in Gnaden wiederaufzunehmen, als er merkte, daß alles nur halb so schlimm war. Nein, mir gegenüber blieb er unversöhnlich. Aber es kam noch schlimmer: Mit Dr. Thompsons regelmäßigen Besuchen bei uns setzte sich in ihm ein finsteres Mißtrauen gegen jede Frau fest, die mich, gleich, aus welchen Gründen, in meiner Wohnung aufsuchte. Marian allein war vor seiner Feindseligkeit sicher. Ich bin überzeugt, sie fiel nur deshalb nicht in Ungnade, weil sie sich von jeder Katze um den Finger wickeln läßt. Sie schafft es ja nicht einmal, ihrer eigenen Katze die Krallen zu schneiden oder schneiden zu lassen. Ich weiß nicht, ob diese Informationen Eisbär über das Buschtelefon erreichten oder ob er sich sein Urteil über sie aus eigener Anschauung bildete. Aber offensichtlich wußte er irgendwoher, daß Marian sich niemals zu der Gemeinheit verleiten lassen würde, ihm eine Spritze zu geben.
Wie gesagt, Marian war die einzige Ausnahme. Jede andere Person weiblichen Geschlechts, die an meiner Wohnungstür erschien, war in Eisbärs Augen eine Feindin, die es womöglich nur darauf abgesehen hatte, ihm eine Spritze in den Hintern zu verpassen. Es ist wohl klar, daß damit meine Aussichten auf weitere romantische Tändeleien für immer zerstört waren. Ich übertreibe nicht, glauben Sie mir. Die zweite Tragödie ist nämlich, daß die meisten Frauen, die zu mir kommen, dies nicht etwa tun, um mich zu besuchen, sondern, so schwer erträglich das für mich ist, um Eisbär zu sehen. Und wenn der Besuch dann so ganz anders ausfällt, als sie ihn sich vorgestellt hatten; wenn Eisbär ihnen nicht zutraulich entgegenkommt und sich schnurrend streicheln läßt, sondern statt dessen wie von Furien gehetzt verschwindet und sich nur fauchend aus seinem Versteck holen läßt; dann ist der Weg zu einem intimen kleinen Abendessen bei Kerzenschein ein für allemal versperrt. Ich denke, selbst Casanova wäre unter solchen Umständen zum Mönch geworden.
8. Griesgrame
Wie Sie sich vielleicht erinnern werden, behauptete ich früher in diesem Buch, daß zwei Griesgrame unter einem Dach keinen Platz haben, auch dann nicht, wenn der eine ein Mensch und der andere ein Kater ist. Nach den langen Jahren des Zusammenlebens mit Eisbär jedoch finde ich heute, daß ich in meiner recht kategorischen Aussage für mögliche Ausnahmen hätte Raum lassen sollen. Eisbär und ich haben schließlich bewiesen, daß zwei Griesgrame unter einem Dach glänzend miteinander auskommen können, wenn nur einer der beiden bereit ist, dem anderen gelegentlich ein wenig nachzugeben. Ich möchte hier nicht näher erörtern, wer von uns beiden häufiger zurücksteckt – ich habe schließlich auch meinen Stolz –, das Entscheidende ist doch, daß es so funktioniert. Nur beachten Sie bitte meinen Gebrauch des Wortes »gelegentlich.«
Ich glaube aber auch, daß sich im Zusammenleben zweier Griesgrame zwei grundlegende Probleme stellen. Ich beziehe mich hier nicht nur auf Eisbär und mich, sondern auf die ganze große Gemeinde »griesgrämlicher« Paare, bei denen der eine Partner ein Mensch, der andere eine Katze ist.
Problem Nummer eins: Es ist von großer Bedeutung, wer zuerst da ist – Menschengriesgram oder Katzengriesgram. Meiner Überzeugung nach ist es empfehlenswert, daß zuerst der Katzengriesgram da ist; er kann dann seinen menschlichen Partner in die Finessen der Griesgrämerei einführen. Schwierig wird es meiner Ansicht nach, wenn der Menschengriesgram zuerst da ist; Katzen sind nämlich – zu dieser Erkenntnis bin ich nach eingehender Beobachtung Eisbärs gelangt – prächtige Lehrmeister, aber absolut unfähig, selber zu lernen.
Problem Nummer zwei: das Alter. Man kann von einem alten Katzengriesgram so wenig erwarten, daß er einen kleinen Jungen in die Geheimnisse der Griesgrämerei einführt, wie man von einem jungen Katzengriesgram erwarten kann, daß er einen brummigen alten Großvater in der Griesgrämigkeit unterweist. Das gleiche gilt umgekehrt – kein kleiner Junge kann den alten Katzengriesgram, kein brummiger alter Großvater das Kätzchen lehren. Das würde einfach nicht klappen. Es muß, kurz gesagt, eine gewisse Ausgewogenheit in den Altersstufen von Mensch und Katze gegeben sein. Sie haben wahrscheinlich schon gehört, daß ein Jahr im Leben einer Katze sieben Jahren im Leben eines Menschen entspricht. Aber das ist falsch. Viele Katzen werden beispielsweise fünfzehn Jahre alt; aber wie viele Menschen kennen Sie, die hundertfünf geworden sind? Manche Katzen werden sogar zwanzig Jahre alt; und wie viele Menschen erreichen ein Alter von hundertvierzig Jahren?
Damit Sie sich ein klares Bild von den Altersverhältnissen zwischen Mensch und Katze machen können, sollten Sie sich die nachfolgende Tabelle ansehen, die vom Gaines-Forschungszentrum herausgebracht wurde. Ich habe mir viel Mühe gemacht, diese Tabelle zu beschaffen, sehen Sie sie sich also genau an.
Alter der Katze Alter des Menschen
6 Monate 10 Jahre
8 Monate 13 Jahre
12 Monate 15 Jahre
2 Jahre 24 Jahre
4 Jahre 32 Jahre
6 Jahre 40 Jahre
8 Jahre 48 Jahre
10 Jahre 56 Jahre
12 Jahre 64 Jahre
14 Jahre 72 Jahre
16 Jahre 80 Jahre
18 Jahre 88 Jahre
20 Jahre 96 Jahre
21 Jahre 100 Jahre
Bitte schweifen Sie jetzt an dieser Stelle nicht ab, um sich über das Alter Ihrer Katze im Vergleich zu Ihrem Gedanken zu machen. Konzentrieren Sie sich auf unser Thema und betrachten Sie die Tabelle ausschließlich im Hinblick auf eine Partnerschaft zwischen Katzen- und Menschengriesgram. Nehmen wir einmal an, daß ein Kater frühestens mit zehn ein anerkannter Griesgram, ein Mensch frühestens mit 56 einer werden kann. Wenn Sie sich jetzt im Hinblick auf diese Altersverhältnisse noch einmal die Tabelle ansehen, werden Sie verstehen, wovon ich spreche.
Ich selbst wurde allerdings bereits mit 49 zum Griesgram, aber ich war immer schon frühreif. Eisbär seinerseits konnte, selbst wenn man ihm Frühreife zugestand, frühestens mit neun die Stufe des Griesgrams erreichen. Er war zu dieser Zeit ein gestandener Kater, und ich, mit meinen 52 Jahren, noch ein junger Mann. Da er aber mittlerweile zwischen 12 und 14 ist – wir wissen ja nicht, welches Alter er hatte, als wir ihn fanden –, und ich zwischen 64 und 72 bin, nähern wir uns zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, beide mit Riesenschritten unserem gemeinsamen griesgrämlichen Höhepunkt und werden zweifelsohne fortan auf diesem Höhepunkt bleiben.
Ja, ich würde sogar sagen, wenn Eisbär erst einmal zwischen 16 und 18 ist und ich in den Achtzigern stehe, werden wir den absoluten Gipfel griesgrämlicher Partnerschaft zwischen Mensch und Katze erklommen haben. Bei einer Gemeinschaft von, sagen wir, einem Katzengriesgram um die Zwanzig und einem Menschengriesgram von knapp über Siebzig hingegen gäbe es ebenso Schwierigkeiten wie bei einer Partnerschaft zwischen einem Menschengriesgram von neunzig und einem Katzengriesgram von acht Jahren. Ich kann mir vorstellen, daß jetzt einige unter Ihnen etwas konfus werden, aber wenn Sie sich die Tabelle noch einmal ansehen und dann die letzten drei Absätze noch einmal durchlesen, werden Ihnen die Zusammenhänge klarwerden, und Sie werden eine Menge gelernt haben.
Für mich gibt es keinen Zweifel, daß ich Eisbär in seiner Entwicklung zum Griesgram ein sehr guter Mentor war, und ich beobachte mit Genugtuung, daß er immer häufiger an den gleichen modernen Torheiten Anstoß nimmt wie ich. Zwar ist er ihnen – da er nur höchst selten reist – nicht im gleichen Maß ausgesetzt wie ich, aber ich bin überzeugt, wenn er es wäre, würde er sich über die gleichen Dinge aufregen wie ich, als da sind Hotelfenster, die man nicht öffnen kann, Flugzeugsitze, die für einarmige Zwerge konstruiert sind, Kellner, Schalterbeamte, Telefonisten und Taxifahrer, die durchweg aus Ländern zu stammen scheinen, mit denen wir uns immer noch im Krieg befinden.
Meine Vermutungen gründen auf der unwiderlegbaren Tatsache, daß Eisbär über schlampige Arbeit, nachlässigen Service, Dosen, Flaschen und Konservengläser, die nur ein ausgebildeter Mechaniker öffnen kann, ebenso zornig wird wie ich, ganz zu schweigen von den neumodischen Sahnebechern und Getreideflockenkartons, die sündteuer sind und meistens nur zur Hälfte gefüllt. Einigen modernen Auswüchsen gegenüber ist er sogar noch unduldsamer als ich; auf Anhieb fallen mir da frühmorgendliche und spätabendliche Telefonanrufe ein und die endlosen, überlauten Fernsehwerbespots, im besonderen die, in denen Katzen auftreten, die weder ihr Handwerk von Grund auf gelernt haben, noch auch nur halb so schön sind wie er.
Es sind wahrhaft zwei Griesgrame nötig, um all diesen Unerhörtheiten die angemessene Empörung angedeihen zu lassen. Und diese Teamarbeit hat dazu beigetragen, daß wir uns im Lauf der Jahre immer näher gekommen sind. Ich glaube auch, in den letzten Jahren sichere Anzeichen dafür entdeckt zu haben, daß Eisbär sich in mancher Hinsicht größte Mühe gibt, mir immer ähnlicher zu werden. Das ist natürlich sehr schmeichelhaft. Ich wünschte zwar, er würde sich weniger auf meine wenigen Fehler und intensiver auf meine edlen Charakterzüge konzentrieren, aber mir ist auch klar, daß ich das Schlechte mit dem Guten nehmen muß und daß kein Mensch, wie Noël Coward einmal sagte, vor seinem Diener ein Held bleibt. Damit will ich selbstverständlich nicht sagen, daß Eisbär ein Diener ist, wenn ich mir auch wünschte, er wäre einer. Diener gehören zu den herrlichen altmodischen Einrichtungen, die rücksichtsloserweise aus unserem modernen Leben einfach verschwunden sind. Wie oft könnte ich morgens einen gebrauchen – und Eisbär ebenfalls! Er räumt nämlich überhaupt nichts auf, nicht einmal seine Spielsachen. In Wirklichkeit bin ich sein Diener – eine Absurdität bei einem reifen, vielbeschäftigten Biographen.
Aber das, worauf ich wirklich hinaus will, ist die Tatsache, daß zwischen Griesgramen, die in so enger Gemeinschaft zusammenleben, keine Prätentionen möglich sind. Ein gutes Beispiel dafür sind unsere Wehwehchen. Es ist eine Tatsache, daß mit wachsender Reife auch die Urteilsfähigkeit, die Einsicht und der gute alte gesunde Menschenverstand wachsen. Tatsache ist aber leider auch, daß dieser geistige Zuwachs häufig von einem gewissen körperlichen Verfall begleitet ist.
Bei mir zum Beispiel hat sich eine Arthritis der Hüfte entwickelt, und über Nacht wurde Eisbär von dem gleichen Leiden befallen. Aber während ich leide, ohne zu klagen, tut er das keineswegs. Glauben Sie etwa, wenn er zum Schlafzimmerfenster hinauf möchte, um auf den Balkon hinauszuspringen und nachzusehen, was die Tauben treiben, würde er sich, wie ich das täte, mannhaft und ohne Klage aus eigener Kraft hochhieven? Nie im Leben. Er trottet zum Fenster, bleibt stehen, sieht mich an, miaut wie am Spieß und wartet unerschütterlich, bis ich ihm alle Arbeit abnehme und ihn hochhebe. Und das, obwohl ich mit eigenen Augen gesehen habe, daß er springen kann wie ein Delphin, wenn er es eilig hat hinauszukommen.
Aber das ist noch nicht alles. Er besitzt tatsächlich die Frechheit, sich einzubilden, seine Schmerzen seien genauso quälend wie meine. Immer wieder habe ich ihn darauf hingewiesen, daß es absurd ist zu behaupten, sein winziges Beinchen, das mühelos in meine Hosentasche passen würde, könne ebenso stark schmerzen wie mein ausgewachsenes Menschenbein. Aber er glaubt mir nicht. Ich kann mir sein Festhalten an seiner Wahnvorstellung nur damit erklären, daß die Schmerzen einzig in seinem kleinen Hirn existieren – das wiederum nur etwa ein Zehntel der Größe meines Hirns hat.
Es liegt mir fern, Eisbärs geistige Fähigkeiten herabzusetzen, auch wenn das jetzt so klingt. Eisbär ist und war vom ersten Tag unseres Zusammenlebens an ein sehr kluger Kater. Er ist außerdem, falls ich das noch nicht klar genug zum Ausdruck gebracht haben sollte, ein sehr schöner Kater. Und er ist schließlich ein sehr liebenswerter Kater. Andere mögen davon wenig merken, mir wenigstens zeigt er es deutlich. Und das beweist mir, daß er nicht nur klug, schön und liebenswert ist, sondern auch über hervorragende Menschenkenntnis verfügt.
An dieser Stelle möchte ich noch erwähnen, daß ich mir vor kurzem eine zweite Katze zugelegt habe – besser, die Katze hat sich mich zugelegt. Es geschah auf einer Reise in das bevorzugte Urlaubsparadies der Bostoner, Martha’s Vineyard, wo ich einen Vortrag zu halten hatte. Am Abend nach dem Vortrag besuchten Marian und ich eine alte Freundin, die Künstlerin Ruth Emerson, die mit einer Schar Waschbären und Stinktieren in der Nähe von Martha’s Vineyard lebt und die Tiere auf eine Weise versorgt, wie wir es auf der »Black Beauty Ranch« nicht besser machen könnten.
Es war ein sehr erfreuliches Beisammensein, das sich bis in die frühen Morgenstunden meines letzten Aufenthaltstags hinzog. An diesem letzten Tag jedoch beging ich einen schweren Fehler. Ich besuchte das örtliche Tierheim. Und als ich dort zwischen den Käfigen in der Katzenabteilung hindurchging, klatschte mir plötzlich eine große Pfote auf den Hinterkopf. Als ich mich verdutzt umdrehte, sah ich direkt in die blauen Augen eines weißen Katers, und schon war es um mich geschehen.
Tatsächlich war diese scheinbare Zufallsbegegnung, wie ich später erfuhr, sorgfältig inszeniert worden. Freunde hatten, glaube ich, den Kater praktisch darauf dressiert, jedem weichherzigen Gimpel, der vorüberkam, hilfesuchend die Pfote entgegenzustrecken. Sie wußten natürlich, daß dieser kleine Kater das Abbild Eisbärs war, wie er mir an jenem verschneiten Weihnachtsabend das erstemal begegnet war. Der einzige Unterschied war, daß dieser Kater blaue Augen hatte und nicht grüne wie Eisbär, und daß er an den Vorderpfoten sechs statt fünf Zehen hatte. Meine raffinierten Freunde hatten genau gewußt, daß ich ihm unmöglich würde widerstehen können.
Eisstern, wie ich ihn taufte, war herrenlos hier draußen auf dem Land gefunden worden. Seine Familie hatte ihn nach Beendigung ihres Urlaubs kurzerhand ausgesetzt und ihre Tat, wie das solche Leute meist zu tun pflegen, vermutlich mit der Begründung gerechtfertigt, daß eine Katze sich überall irgendwie durchschlagen könne. Und irgendwie hatte Eisstern sich tatsächlich durchgeschlagen, wenigstens so lange, bis ein Tierfreund ihn gefunden und ins Tierheim gebracht hatte. So ähnlich er Eisbär rein äußerlich ist, so sehr unterscheidet er sich in seinem Temperament von ihm. Er ist zutraulich und geht ohne Hemmungen auf jeden zu. Manchmal ähnelt er fast mehr einem Hund als einer Katze.
Einige unter Ihnen, besonders diejenigen, die sich daran erinnern, wie wenig Eisbär für andere Katzen übrig hat, werden sich gewiß daran stoßen, daß ich plötzlich mein Herz für eine andere Katze entdeckte. Aber lassen Sie mich erklären: Ich hatte von Anfang an nicht einen Moment die Absicht, Eisstern zu mir in die Wohnung zu nehmen. Eisbär bringt zwar den herrenlosen Katzen, die gelegentlich eine Nacht oder ein Wochenende in meiner Behausung zubringen, nicht mehr ganz soviel Feindseligkeit entgegen wie früher, aber ich glaube, das kommt daher, daß er mittlerweile aus Erfahrung weiß, daß sie nicht bleiben. Niemals hätte ich ihm zugemutet, sein Zuhause mit einer zweiten Katze zu teilen. Darum brachte ich Eisstern in mein Büro beim Tierschutz-Fonds, wo unsere beiden Bürokatzen, Benedict und Little Girl, ihn erwarteten.
Ideal war dieses Arrangement zunächst nicht, das muß ich zugeben. Benedict und Little Girl reagierten feindselig und behandelten den damals noch kleinen Eindringling ausgesprochen schlecht. Vergeblich warnte ich sie, daß er größer werden würde, nach dem Format seiner sechszehigen Pfoten zu urteilen, um einiges größer als sie. Und genauso war es. Heute gibt Eisstern den beiden Maß für Maß zurück, was sie ihm damals antaten. Selbst kurze Friedensperioden aufrechtzuerhalten ist schwierig, aber immerhin sind mittlerweile die Waffenstillstände häufiger als die offenen Fehden.
Eines habe ich aus dem Umgang mit Eisstern gelernt – daß zwischen herrenlosen Stadtkatzen und herrenlosen Landkatzen ein grundlegender Unterschied besteht. Die Stadtkatzen haben im allgemeinen Scheu vor Menschen, da sie in der Regel unter den Taten der Menschen zu leiden hatten. Landkatzen hingegen sind vor allem anderen Tieren gegenüber mißtrauisch, da ihnen, während sie allein und auf sich gestellt waren, eben von anderen Tieren die meiste Gefahr drohte. Eisstern jedenfalls, der die Menschen liebt, hat für Tiere nichts übrig, leider auch nicht für Katzen; dafür kenne ich kaum eine Katze, die bei den Menschen, die ihr begegnen, mehr Gegenliebe findet als er.
Mir war klar, daß es Leute geben würde, die mir trotz aller meiner Erklärungen die Aufnahme Eissterns nicht verzeihen würden. Und ich wußte auch, daß zu diesen Leuten Rosa, die Zugehfrau, gehörte. Da Rosa auch unser Büro saubermacht, ist sie sowohl mit Eisbär als auch mit Eisstern bestens bekannt, und in ihrer Gluckenliebe zu Eisbär war sie anfangs Eisstern gegenüber beinahe genauso abweisend wie die Bürokatzen. Ich weiß noch, wie sie mich einmal aus meiner Wohnung anrief.
»Mr. Amory«, sagte sie in einem Ton, der nichts Gutes verhieß, »Eisbär ist heute sehr schwierig – er will einfach nicht fressen.«
Ich erwiderte, Eisbär sei an vielen Tagen sehr schwierig, das sei bei einem Katzengriesgram nicht anders zu erwarten. Wenn er das Futter verweigere, fügte ich hinzu, so sei das nicht weiter schlimm, sondern angesichts seiner Ausmaße ganz gesund.
Aber damit ließ Rosa sich natürlich nicht abspeisen. »Ich kann Ihnen sagen, warum Eisbär schwierig ist«, erklärte sie.
»Er weiß ganz genau, daß Sie da drüben noch einen weißen Kater haben. Er hat die Haare auf Ihren Kleidern gesehen.«
Ich entgegnete, Eisbär könne unmöglich von dem anderen Kater wissen, außerdem hätte ich immer schon die Haare diverser Tiere auf meinen Anzügen mit nach Hause gebracht.
»Aber wenn er nun glaubt«, fragte sie streng und vorwurfsvoll, »daß Sie einen anderen Kater genauso lieben wie ihn?«
Niemals, gab ich zurück, würde ihm dergleichen auch nur einfallen. Er sei schließlich ein kluges Tier und ganz bestimmt klug genug, um zu wissen, daß das nicht möglich sei. Ich ging sogar so weit zu sagen, daß ich wahrscheinlich nie wieder im Leben eine Katze so sehr lieben würde, wie ich Eisbär liebte.
Damit war Rosa nun wenigstens teilweise zufriedengestellt. Dennoch stellte sie mir die eine letzte Frage: »Mr. Amory, werden Sie über Eisstern auch was schreiben?«
Da ich wußte, daß sie sich schrecklich aufregen würde, wenn ich diese Frage bejahte, gab ich eine ausweichende Antwort. Normalerweise schrecke ich auch bei schwierigen Fragen nicht davor zurück, klar und deutlich zu antworten. Aber manchmal ist es einfach diplomatischer auszuweichen.
Nach Beendigung dieses Gesprächs jedoch ließ ich mir die Frage ernsthaft durch den Kopf gehen und gelangte wie immer zur richtigen Lösung. Ich würde von Eisstern erzählen, ja, aber erst ganz am Schluß des Buches. Dort nämlich würde der Bericht vor Eisbär absolut sicher sein.
Er hatte zwar mein erstes Buch gründlich beschnuppert und sich einiges davon sogar einverleibt. Aber er war nach allem, was ich für ihn getan hatte, nicht einmal so höflich gewesen, bis zum Ende dranzubleiben.