Cleveland Amory
Die Katze namens Eisbär
Bezaubernde Geschichten um eine besondere Katze
Scherz
1. Auflage 1991
Einzig berechtigte Übersetzung
aus dem Amerikanischen von Mechtild Sandberg.
Titel der Originalausgabe »The Cat and the Curmudgeon.«
Copyright © 1990 by Cleveland Amory.
Gesamtdeutsche Rechte beim Scherz Verlag, Bern, München, Wien.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen,
fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art und
auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Schutzumschlag unter Verwendung einer
Zeichnung von Klaus Holitzka
Dieses Buch ist mit der ganzen Zuneigung,
die ein Griesgram aufzubringen imstande ist,
all denen gewidmet,
die irgendwann und irgendwo einmal
von einem Tier besessen wurden –
ganz besonders aber all denen,
die durch eine Rettungsaktion in Feld oder Wald,
auf einer Straße, in einem öffentlichen Park
oder einer privaten Zufluchtsstätte
in diese Lage kamen.
1. Was heißt hier schon berühmt?
Manche Katzen, sagt Shakespeare irgendwo, kommen schon als Größen zur Welt, manche erringen Größe, und manchen wird sie aufgedrängt.
In Wirklichkeit hat Shakespeare das nicht von den Katzen gesagt, sondern von den Menschen, und bestimmt werden ein paar Puristen da auch sofort einhaken. Genaugenommen haben sie zwar recht, nur habe ich, ehrlich gesagt, immer gefunden, daß Shakespeare viel zu stark auf Menschen fixiert war. Was er über Katzen zu sagen hat, ist armselig. Ich könnte mir aber vorstellen, daß er sie, wenn er mehr über sie gewußt und sich eingehender mit ihnen befaßt hätte, sehr wohl in sein Werk einbezogen hätte.
Ich weiß nicht, ob Eisbär schon als Größe geboren wurde. Als ich ihn an einem verschneiten Weihnachtsabend vor zwölf Jahren aus einem New Yorker Hinterhof rettete, war er bereits ein ausgewachsener Kater. Aber seit ich ihn das erstemal zu Gesicht bekommen, seit ich gesehen hatte, daß er trotz Hunger und Kälte und all seiner Verwundungen nicht kapituliert hatte, war für mich zumindest der Beweis erbracht, daß er Größe errungen hatte und man ihm kaum noch mehr aufzudrängen brauchte.
Es war auch nicht Größe, die ihm aufgedrängt wurde. Aber da er der Held eines Buches war, sein Foto auf den Titelseiten verschiedener Zeitschriften erschien und er als Folge davon mit Fan-Briefen überschüttet wurde, wurde ihm, ob er es wollte oder nicht, etwas aufgedrängt, das in unserer modernen Welt häufig mit Größe verwechselt wird. Ich spreche von Prominenz.
Vor langer, langer Zeit war es auf der Erde kalt und dunkel. Dennoch bevölkerten viele verschiedene Arten von Geschöpfen das Land und die Gewässer. Es gab zum Beispiel Dinosaurier. Eines jedoch gab es nicht – Prominente. Weder zu Wasser noch zu Land wäre damals auch nur ein einziger Prominenter zu finden gewesen. Ganz einfach deshalb, weil das Wort noch gar nicht erfunden war. In jener Zeit hätte man über einen Dinosaurier, der bekannter war als die anderen, vielleicht sagen können, daß er berühmt sei oder Ruhm besitze; aber hätte man gesagt, er sei prominent, so hätte es keiner verstanden.
Früher machten die Leute einen deutlichen Unterschied zwischen Zeitgenossen, die berühmt waren, und solchen, die berüchtigt waren. Berühmt zu sein war etwas Positives, berüchtigt zu sein immer etwas Negatives. Ein berüchtigter Dinosaurier mag zwar weithin bekannt gewesen sein, aber er hätte in sehr schlechtem Ansehen gestanden.
Als jedoch das Wort »prominent«, wie wir es heute so gern verwenden, in Gebrauch kam, verwischte sich der alte Unterschied zwischen »berühmt« und »berüchtigt«; ob man gut oder schlecht angesehen war, spielte keine Rolle mehr, Hauptsache, man war »prominent.« Von nun an strebte praktisch jeder nach Prominenz. Gangster wollten zur Prominenz gehören, Bankräuber und Börsenspekulanten ebenso wie Immobilienhaie. Eltern wünschten sich, ihr Kind würde später einmal, wenn schon nicht Präsident der Vereinigten Staaten, so doch wenigstens prominent werden.
Doch eine bemerkenswerte Ausnahme gab es von dieser Regel, und das war, wie Sie wahrscheinlich schon erraten haben, Eisbär. Der legte überhaupt keinen Wert auf Prominenz. Schon deshalb nicht, weil man als Prominenter gezwungen ist, dauernd neue Menschen kennenzulernen, und er neue Menschen nicht mochte und gar keine Lust hatte, sie kennenzulernen. Er kannte bereits alle, die er kennen wollte, und schon das waren ihm eher zu viel. Außerdem hätte er als Prominenter sein Leben ändern müssen, und Eisbär hatte für Veränderungen nicht das geringste übrig. Er mochte es gar nicht, wenn etwas geschah, was vorher noch nicht geschehen war. Und drittens hätte Eisbär, das weiß ich, nicht den geringsten Unterschied zwischen echter und falscher Prominenz gemacht. Für ihn war jeder Prominente, ob berühmt oder berüchtigt, schlicht und einfach ein publicitygeiler Hund. Ich wußte auch, daß es zwecklos gewesen wäre, darüber mit ihm zu diskutieren. Er hätte mich höchstens gefragt, ob ich schon mal von einer publicitygeilen Katze gehört hätte.
Ich hätte natürlich kontern und ihm eine ganze Liste prominenter Katzen von Felix bis Garfield und von Sylvester bis Morris präsentieren können. Aber ich hütete mich, weil ich genau wußte, was er darauf sagen würde. Er hat nämlich auf alles eine Antwort. Er hätte erklärt, das wären überhaupt keine echten Katzen, und selbst wenn Morris einmal existiert haben sollte, so sei der derzeitige Morris eben doch nicht aus Fleisch und Blut; und er hätte wahrscheinlich hinzugefügt, er wisse mit Sicherheit, daß der wahre Morris 1978 gestorben war – seiner Meinung nach eindeutig an einer Überdosis Publicity.
Mir war also von Anfang an klar, daß es nicht einfach werden würde, diesem kleinen Querkopf den Gedanken nahezubringen, daß er ein Prominenter sei. Aber wie ich es anfing, das war, mit Verlaub gesagt, meisterhaft. Die schwierigen Aspekte des Prominententums ließ ich zunächst unberücksichtigt und setzte statt dessen bei einem relativ einfachen Aspekt an – nämlich beim Bekanntheitsfaktor. Ich begann mit Schmeichelei. Mit beruflicher Beweihräucherung konnte ich bei ihm nicht gut anfangen, aber ich wußte, daß Katzen persönliche Schmeichelei beinahe so sehr lieben wie Prominente berufliche und persönliche Komplimente.
Kurz gesagt, ich machte ihn darauf aufmerksam, wie schön er sei – mit seinem schneeweißen Fell (das nach seiner Errettung nur einer gründlichen Reinigung bedurft hatte), dem imposanten Löwenkopf, den großen, äußerst ausdrucksvollen grünen Augen, den langen, tadellos gepflegten Schnurrhaaren am einen Ende und dem buschigen, beweglichen Schweif am anderen. Geradeso wie ihn die Vorstellung, das Leben eines Prominenten zu führen, mit tiefer Skepsis erfülle, sagte ich, hätten viele andere Prominente – und darunter einige, die nicht halb so gut aussähen wie er – ebenfalls ihre Zweifel. Insbesondere, erklärte ich ihm, hegten sie dem Faktor Bekanntheit gegenüber sehr zwiespältige Gefühle.
Einerseits, sagte ich, mochten sie das öffentliche Aufsehen und genossen es, wenn sie erkannt wurden, sogar, mit ihren Bewunderern ein paar Worte zu wechseln und ihnen Autogramme zu geben. Andererseits gab es Zeiten, wo sie lieber nicht erkannt wurden, zum Beispiel, wenn sie gerade beschäftigt oder in Eile waren oder etwa mit einer Person des anderen Geschlechts, von deren Existenz ihr Ehepartner nichts wußte, in einem Restaurant speisten. Darum, erklärte ich ihm, trugen Prominente dunkle Brillen. Dann konnten sie stets sicher sein, zwar als wichtige Persönlichkeit, nicht aber als jemand Bestimmtes erkannt zu werden. Außerdem wirkten dunkle Brillen anscheinend auch einschüchternd auf andere, und das sei gerade zu solchen Zeiten, wo man nicht gestört werden wollte, sehr angenehm.
Ich merkte sofort, daß Eisbär von der Vorstellung, eine dunkle Brille zu tragen, keineswegs begeistert war, und er zeigte es deutlich, als ich ihm – im Spiel wohlgemerkt – eine von mir aufsetzen wollte. Um ihm seinen Seelenfrieden wiederzugeben, sagte ich ihm zum Trost, ich sähe keinen Grund für ihn, eine dunkle Brille zu tragen, ganz gleich, ob er nun zur Prominenz gehöre oder nicht. Erstens würde sie ihm wahrscheinlich nicht richtig passen und völlig schief sitzen. Und zweitens, betonte ich, sei er nun so berühmt auch wieder nicht. Um ihm diese bittere Pille zu versüßen, fügte ich hinzu, daß auch ich, obwohl Verfasser des Buches, das ihn berühmt gemacht hatte, nicht so prominent sei, daß ich eine dunkle Brille tragen müsse. Ich hätte vielmehr bald entdeckt, daß ich nur selten erkannt wurde, und nur allzu häufig hätten solche Begegnungen enttäuschend geendet.
Um ihm ein Beispiel zu geben, erzählte ich ihm, daß ich nach zwei Auftritten in einer beliebten Fernseh-Show am anderen Morgen von vier Personen hintereinander auf der Straße erkannt worden war. Als mich wieder ein Mann anhielt, spielte ich bereits allen Ernstes mit dem Gedanken, mich um das Amt des Präsidenten zu bewerben. Aber als ich gerade zu meinem inzwischen schon routinierten leutseligen Winken ansetzen wollte, merkte ich plötzlich, daß das völlig fehl am Platz gewesen wäre. Der Mann hatte nämlich kein einziges Wort über meine Darbietung zu verlieren. Statt dessen gab er nur ein kurzes Statement ab. »Ihr Haar«, sagte er, »sah gut aus.«
Da erst erkannte ich ihn. Es war mein Friseur, der sich von mir, wie er sich des öfteren beklagte, im Lauf der Jahre viel Kritik an den steigenden Preisen seines »Stylings«, wie er es bezeichnete, hatte gefallen lassen müssen. Ich glaube wirklich, wenn ich ihm freie Hand gelassen hätte, wäre ich eines Tages mit einem Schleifchen im Haar aus seinem Laden gegangen. Ich bin zwar durchaus ein selbstsicherer Mensch, aber so selbstsicher bin ich nun auch wieder nicht.
Nachdem ich Eisbär diese Geschichte erzählt hatte, wies ich ihn darauf hin, daß er Begegnungen mit Fremden kaum zu fürchten habe, jedenfalls in weit geringerem Maß als jeder andere Prominente. Zu solchen Begegnungen auf der Straße, erklärte ich ihm, käme es schon deshalb nicht, weil er nie auf die Straße ginge, es sei denn, er hocke sicher in seinem Katzenkoffer oder marschiere an der Leine mit mir zum Central Park, und selbst dann trüge ich ihn ja beim Überqueren der Straße auf dem Arm und könnte aufdringliche Fremde jederzeit abwimmeln. Sollte er Angst haben, etwa auf einer Reise mit Fremden Umgang pflegen zu müssen, so ergäbe sich diese gefürchtete Möglichkeit kaum. Eisbärs Reisen und Wanderungen beschränkten sich im allgemeinen auf meine Wohnung – im Süden die Küche, im Westen das Wohnzimmer, im Norden das Schlafzimmer und im Osten sein Balkon –, und in diesen Räumen streifte er nur herum, wenn kein Mensch da war. Waren Besucher da, so zog er es vor, im Schlafzimmer mitten unter dem Bett zu verweilen. Und da begegnete er allenfalls ab und zu einer kleinen Spinne.
Der Balkon jedoch war eben der Ort, wo sich Eisbär dem Problem der öffentlichen Bekanntheit stellen und mit ihm umgehen lernen mußte. Er war nämlich dort oben für die Leute auf dem Bürgersteig gut sichtbar. Die Leser, die sich an mein erstes Buch über Eisbär erinnern, werden wissen, daß der geniale Einfall mit dem Balkon von mir und von mir allein stammt. Ich hatte fast die Hälfte meines Balkons an Eisbär abgetreten. Ich gelangte auf meine Hälfte durch die Balkontür, er auf seine, ganz mit Maschendraht umschlossene, nur durch das Schlafzimmerfenster. Der Maschendraht sollte gewährleisten, daß er sein lebenslanges Interesse an der Ornithologie verfolgen konnte – und er tat das im wahrsten Sinne des Wortes –, ohne dabei vom Balkon zu fallen und auf die Straße hinunterzustürzen.
Immer wieder bleute ich ihm ein, daß diese Lösung absolut genial und einzig zu seinem Schutz gedacht sei. Aber er weigert sich natürlich bis heute, die Sache aus diesem Blickwinkel zu sehen. In seiner kleinlichen Blindheit sah er den Balkon einzig als Gefängnis, das weniger ihm, als vor allem den Tauben Schutz bieten sollte, und er fand das Arrangement ausgesprochen unfair, da es die Tauben eindeutig bevorteilte. Sie konnten nach Herzenslust über ihm und um ihn herumflattern und ihre Kurzstreckengeschosse auf ihn hinuntersausen lassen, während ihm jede Möglichkeit zur Gegenwehr genommen war, nur weil ich lausiger Stratege ihm diesen Käfig verpaßt hatte.
Eines war mir klar: Wenn ich einen rechten Prominenten aus ihm machen wollte, mußte ich dafür sorgen, daß er seine negativen Ansichten über den Balkon und die Tauben aufgab und einsah, daß er sich, wenn auf seinem Balkon, von seiner besten Seite zu zeigen hatte – publikumswirksamste wagte ich nicht zu sagen, da er Publikum haßte. Kurz und gut, er würde Flagge zeigen müssen. Das mindeste, was ich erwartete, war, wie ich ihm erklärte, daß er, wenn ein Fremder von der Straße zu ihm heraufrief, angemessen reagierte. Ein kurzes, leutseliges Nicken oder Winken wäre genau richtig.
Ich erreichte natürlich nicht, was ich wollte. Wenn jemand seinen Namen rief, funkelte er entweder böse hinunter – so ziemlich das übelste Prominentenverhalten, das es gibt –, oder er ignorierte den Rufer einfach. Das Problem war, daß er schlicht und einfach nicht einen einzigen Funken liebenswürdiger Leutseligkeit im Leib hatte. Funkeln oder ignorieren – das war sein ganzes Repertoire. Und es fiel ihm außerdem gar nicht ein, mir zuliebe seinen ewigen Krieg mit den Tauben aufzugeben. Vergeblich beschwor ich ihn, selbst wenn er den Balkon als seine Domäne und die Tauben als Aggressoren betrachte, doch wenigstens die Tatsache anzuerkennen, daß viele Menschen, ich eingeschlossen, diese Vögel mochten und es ausgesprochen unerquicklich fanden, daß er sie weiterhin nur als saftige Beutestücke betrachtete. Für jeden Prominenten, hielt ich ihm vor, gelte ein gewisses noblesse oblige.
Aber diesen stolzen Ausdruck hätte ich mir ersparen können. Es war schwierig genug, mit Eisbär in schlichtem Englisch zu reden. In einer Fremdsprache brauchte man es gar nicht erst zu versuchen. Insgesamt mußte ich mir eingestehen, daß er nicht imstande war, auch nur die simpelsten Erwartungen, die man allgemein in einen Prominenten setzt, zu erfüllen.
Das Durchschnittsmitglied der großen Gemeinde der »Katzen-Besessenen« hätte vielleicht an dieser Stelle das Handtuch geworfen. Aber ich gehöre nicht zum Durchschnitt, wie jene unter Ihnen wissen werden, die mich kennen. Es liegt mir nicht, nach dem ersten Mißerfolg die Flinte ins Korn zu werfen. Gut, sagte ich mir, ich habe Eisbär in diesem Kampf, einen ordentlichen Prominenten aus ihm zu machen, noch nicht besiegt. Aber genaugenommen hatte ich ja nur eine Schlacht geschlagen, und die hatte ich nicht aus eigenem Verschulden verloren. Die Tauben waren an meiner Niederlage schuld; ich hatte an zwei Fronten zugleich kämpfen müssen, und das ist schon manchem großen Feldherrn zum Verhängnis geworden. Insgesamt – und mit meiner gewohnten Objektivität – betrachtet, hatte ich nur eine einzige Schlacht verloren. Noch lange nicht den ganzen Krieg.
Gewiß, ich hatte bei manchem Scharmützel mit ihm den kürzeren gezogen – aber diese Kämpfchen hatten eigentlich mit der Frage der Prominenz nichts zu tun gehabt. Einmal, das weiß ich noch, als er unbedingt auf seinen Balkon hinaus wollte und mir sein ungeduldiges »Ajau« ins Gesicht maunzte, beschloß ich, ihn, da der ganze Balkon verschneit war, in einen Pulli und Stiefel zu stecken. Gedacht, getan. Die Stiefel fertigte ich sogar aus meinen eigenen Socken. Dann sprang er hinaus, blieb aber nicht einmal eine Minute. Ich trat an sein Fenster, um zu sehen, wie er zurechtkam, aber sobald er mich erblickte, sauste er unter Zurücklassung des Pullis und der Stiefel wieder ins Zimmer. Und dann besaß er tatsächlich noch die Frechheit, mich neuerlich anzukreischen. Unverkennbar machte er mich für den Schnee verantwortlich, der anscheinend seiner Meinung nach den Tauben einen zusätzlichen Vorteil über ihn verschaffte.
Kurz und gut, die nächste Phase meiner Attacke startete ich mit dem freimütigen Eingeständnis, daß das Prominentendasein natürlich aus seiner Sicht auch eine negative Seite hatte. Ich wolle gar nicht leugnen, sagte ich, daß er von Zeit zu Zeit die unwillkommene Störung aufdringlicher Fotografen würde über sich ergehen lassen müssen – ich sagte ihm, man nenne sie paparazzi –, und daß vielleicht sogar Klatschkolumnisten versuchen würden, in seinem Privatleben herumzuschnüffeln. Gleichzeitig jedoch wies ich mit Nachdruck darauf hin, daß es auch viel Positives habe, zur Prominenz zu gehören, und daß ich ihn gut genug kenne, um zu wissen, daß vieles davon ihm sehr behagen würde.
Geduld, beispielsweise, niemals seine starke Seite, erklärte ich ihm, würde überhaupt kein Problem mehr sein. Er würde nicht mehr ewig herumsitzen und warten müssen, nicht einmal an jenem Ort, den er am meisten verabscheute – dem Wartezimmer des Tierarztes. Er würde vielmehr schon kurz nach seiner Ankunft mit Ehrerbietung ins Allerheiligste gebeten werden und hinfort nicht mehr die unangenehme Gesellschaft fremder Katzen oder, was noch schlimmer war, Hunde ertragen müssen. Und es gab auch noch andere positive Seiten, die ich nicht unerwähnt ließ. Niemand würde ihm jetzt mehr seine offenbar nicht auszumerzende schlechte Angewohnheit verübeln, Leute, die er hätte kennen müssen, wie Fremde zu behandeln; jetzt würde man ihm das mit der Begründung verzeihen, er käme zweifellos mit so vielen Menschen zusammen, daß man von ihm nicht verlangen könne, sich an jeden einzelnen zu erinnern. Er konnte ferner jede Gesellschaft und jeden Ort verlassen, wann immer es ihm beliebte, ohne daß man ihm das nachtragen würde. Er konnte es sich leisten, selbst Leuten, die mit ihm sprachen, keine Beachtung zu schenken. Mit anderen Worten, er konnte sich jederzeit »ausblenden«, wie ich das so häufig bei Prominenten beobachtet hatte, über die ich geschrieben hatte.
Und noch etwas, erklärte ich ihm, käme hinzu: Er brauche nicht mehr zu fürchten, daß Fremde ihn belästigen und ihm die Zeit stehlen würden, während er damit beschäftigt war, zum Fenster hinauszuschauen, sich zu putzen oder eines seiner zahlreichen über Morgen, Nachmittag und Abend verteilten Nickerchen zu machen. Solche Leute würden von nun an vorher einen Termin vereinbaren müssen, und all diese organisatorischen Angelegenheiten würde ich übernehmen. Ich würde ferner dafür sorgen, daß er ein Telefon mit Geheimnummer bekam – komplett mit Nummernspeicher und Anrufbeantworter, wenn ihm daran liegen sollte. Alle, die wünschen sollten, ihn persönlich zu sehen, würde ich zuvor gründlich unter die Lupe nehmen – und alle jene abwimmeln, die nur mit ihm sprechen wollten, um sich hinterher damit zu brüsten. Ich würde außerdem die Autogrammwünsche erledigen, nicht nur die Fotos, sondern auch das Porto bezahlen und einen Stempel seiner Pfote machen lassen, um alle Autogramme für ihn signieren zu können. Er würde also im wahrsten Sinne des Wortes keine Pfote rühren müssen.
Ich kann, ehrlich gesagt, bis heute nicht verstehen, warum er es nicht schaffte, das ganze Prominenz-Problem, das doch für ihn persönlich im Grunde gar kein Problem gewesen wäre, etwas rationaler zu sehen. Es war wirklich unfair von ihm und ausgesprochen undankbar. Ich meine, wo blieb denn ich, während er herumsaß und sich den Bauch vollschlug, sich putzte, sein Schönheitsschläfchen machte und sein Leben genoß? Ich sagte es ihm mit aller Deutlichkeit: Ich war an meinen Schreibtisch gekettet und mußte die ganze harte Arbeit leisten, die sein bequemes Leben überhaupt erst möglich machte. Ich erwartete keinen Dank, aber ich erwartete doch hin und wieder einen ermutigenden Klaps auf den Rücken und ein kleines Zeichen dafür, daß er wenigstens versuchte, sich mit dem Gedanken, prominent zu sein, anzufreunden.
Aber ich bekam natürlich nichts von alledem, und schließlich sagte ich ihm traurig, daß sein Verhalten mich am Ende auch noch in ein schlechtes Licht bringen würde. Man würde mir vorwerfen, ihn nicht gleich auf den richtigen Prominentenweg geführt und danach nicht darauf geachtet zu haben, daß er bei der Stange blieb. Selbst wenn es ihm schnurzegal sei, wie er in die Geschichte einginge, könne er doch wenigstens daran denken, daß er einen anderen – jemand, der weiß Gott Besseres verdiente – mit sich in den Schmutz zog.
Ich hatte kein sehr verlockendes Bild gemalt, aber das war auch nicht meine Absicht gewesen. Ich hatte ihm lediglich die Tatsachen des Prominentenlebens in unserer Zeit vor Augen geführt. Was er mit ihnen anfangen wollte, war ihm überlassen.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich sagen, daß er immerhin geruhte, ein ganzes Fernseh-Interview zu geben. Es fand an dem Weihnachtsabend nach der Veröffentlichung meines Buches in der Sendung »Entertainment Tonight« statt. Und es wurde natürlich in der Wohnung gedreht – ein anderer Ort wäre für Eisbär gar nicht in Betracht gekommen. Dennoch war ich von Anfang an unruhig. Ich wußte, daß wir alle uns da auf ein äußerst riskantes Unternehmen eingelassen hatten, das jederzeit schiefgehen konnte. Und genauso war es.
In dem Moment, als das Fernsehteam zur Tür hereinkam, ging Eisbär natürlich auf Tauchstation. Ich entdeckte ihn schließlich unter dem Bett und zog ihn hervor. Aber die Konfrontation mit der Fernsehkamera gehört mit zu dem, was Eisbär am Prominentendasein am meisten mißhagt. Ich glaube, es liegt an dem durchdringenden Surren beim Drehen. Wie dem auch sei, um ihn dahin zu kriegen, daß er sich wenigstens der Kamera zuwandte, mußte ich ihm mit eisernem Griff den Kopf festhalten. Ich gab mir unheimliche Mühe, freundlich zu lächeln und mich ganz locker zu geben, aber er zog ein Gesicht, kann ich Ihnen sagen, als hätte er keine Ahnung, was ein Fernsehlächeln ist. Er sah aus wie ein Todeskandidat vor dem Exekutionskommando. Und die freundlichen Schnalzer und Miez-Miez-Miez-Rufe des Kameramanns bewirkten nur, daß er so starr dreinschaute, als wäre er schon hinüber.
Aber irgendwie brachten wir die Sache hinter uns – während ich Eisbär im Schwitzkasten hielt, tapfer lächelte und fröhlich plaudernd erzählte, was für ein reizender Kater er sei, und dabei mannhaft versuchte, nicht zu wimmern, obwohl die Krallen seiner Vorderpfoten sich immer tiefer in meine Knie schlugen und die seiner Hinterpfoten sich in Regionen verirrten, wo Krallen absolut nicht hingehören.
Anfangs bemühte sich der Produzent nach Kräften, so zu tun, als liefe alles bestens, schließlich aber, offensichtlich um das Schicksal seiner Sendung besorgt, signalisierte er, daß das Interview vorüber sei. Zum Abschluß, meinte er, sollten wir wenigstens noch eine Einstellung mit etwas mehr Action drehen. Ich erklärte ihm, wenn ich noch mehr Action über mich ergehen lassen müsse, sei zweifelhaft, ob ich je Kinder bekommen würde. Aber das ignorierte er. Er hielt bereits nach einem geeigneten Aufnahmeort Ausschau.
Als nächstes erblickte ich ihn draußen auf dem Balkon, nicht auf meinem Teil des Balkons, sondern auf Eisbärs. Mit triumphierender Miene kam er wieder herein. »Das ist es«, sagte er und regte an, Eisbär für die letzte Einstellung aus dem Schlafzimmerfenster springen zu lassen. Auf dem Balkon würde ein Kameramann postiert sein, um den Sprung aufzunehmen, genau das richtige Bild, um die Sendung zu beschließen.
In der Theorie machte sich dieser Plan ausgezeichnet. In der Praxis jedoch, das wußte ich, würde es ganz anders kommen. Ich wies darauf hin, daß Eisbär den Kameramann bestimmt sehen und dann nicht nur nicht hinausspringen, sondern wie der Blitz in der entgegengesetzten Richtung davonflitzen würde. Ich wüßte zwar nicht, fügte ich hinzu, wie er sich dazu stelle, einen seiner Kameraleute in Ausübung seiner Pflicht zu verlieren, aber es spreche meiner Meinung nach einiges dafür, daß er von Glück sagen könne, wenn dieser hier mit ein paar Kratzern davonkäme.
Aber der Produzent wollte von solcher Unkerei nichts hören. Er meinte, ich solle Eisbär von der Seite her zum Fenster hinausstoßen, so daß dieser die Kamera erst entdecke, wenn er schon mitten im Sprung sei. Genau so einen Abschluß brauche die Sendung, erklärte er nochmals, und er sei sicher, es würde eine tolle Aufnahme werden.
Es wurde wirklich toll. Anfangs schien es, als sei alles unter Kontrolle. Die übrigen Mitglieder des Teams zogen – um Eisbär zu täuschen – unter lautem Getöse zur Tür hinaus, als gingen sie für immer. Gleichzeitig schlich sich ein Kameramann mit seiner Kamera ins Schlafzimmer und stieg durch das Fenster auf Eisbärs Balkon hinaus, wo er geduckt an seinen Posten kroch. Dann war ich an der Reihe. Eisbär noch immer fest mit beiden Händen haltend, ging ich ins Schlafzimmer und trat neben das Fenster. Hier wartete ich auf mein Stichwort. Als es kam, streckte ich beide Arme zum Fenster aus und schleuderte Eisbär mit einer schnellen, kräftigen Bewegung nach rechts. Während ich für die Kamera unsichtbar blieb, sauste Eisbär durch die Luft wie eine Rakete.
Sobald er sah, daß sein Refugium okkupiert war und er dem Feind buchstäblich in die Fänge flog, schaffte er es irgendwie, mitten im Sprung eine Reihe unorthodoxer, rasch aufeinanderfolgender Bewegungen zu vollziehen – so rasant, daß sie fließend ineinander überzugehen schienen. Zuerst geriet sein Körper in wilde Zuckungen, dann kam die Wendung in die entgegengesetzte Richtung, ein kurzer Aufsetzer erst mit der linken, dann mit der rechten Pfote, eine blitzschnelle rechte Gerade ans Kinn des Kameramanns und schließlich ein Riesensatz direkt zurück in meine Arme. Er schaffte es sogar, mir noch einen saftigen linken Haken in den Magen zu verpassen, nur um mir klarzumachen, was er von meiner Hinterhältigkeit hielt. Zum Glück bekam mein Fernsehpublikum das nicht mit, Eisbärs bösartige rechte Gerade ans Kinn des Kameramanns aber war für alle zu sehen. Und das ausgerechnet am Heiligen Abend, der Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen verheißt.
Interviews, bei denen keine Fernsehkameras zugegen waren, gestalteten sich kaum glücklicher. Früher oder später wurde immer ein Foto gemacht, und für Eisbär war mittlerweile jeder Fotograf zum roten Tuch geworden. So kam zum Beispiel eines Tages eine Reporterin vom Toronto Star zu uns. Zunächst verlief das Interview ganz friedlich. Eisbär blieb brav auf meinem Schoß und versuchte noch nicht einmal zu verschwinden. Doch das war nur die Ruhe vor dem Sturm. Als es draußen läutete und der Fotograf erschien, der die Reporterin begleitete, sprang Eisbär prompt von meinem Schoß und flüchtete sich unter das Bett, noch ehe der Mann überhaupt seinen Apparat gezückt hatte. Und unter dem Bett war er, wie ich dem Fotografen erklärte, als ich ihm das Schlafzimmer zeigte, praktisch unerreichbar.
»Keine Sorge«, meinte der Fotograf. »Ich habe selbst eine Katze. Ich weiß, wie ich ihn da rausbringe.« Vergeblich warnte ich ihn. Selbst geübte Robber wie mein Bruder, der ehemalige Soldat, sagte ich, hätten sich hier erfolglos bemüht.
»Unsinn«, entgegnete der Fotograf. »Sie werden sich wundern, wie schnell ich den Burschen da rausbekomme.« Und schon robbte er los.
Augenblicklich begann Eisbär drohend zu fauchen. Gelegentlich sah ich flüchtig seine Nase oder die Schuhe des Fotografen, aber eine ganze Weile fand offenbar kein direkter Kontakt statt. Schließlich hörte ich, wie die Hand des Mannes auf den Boden klatschte; er hatte offenkundig versucht, Eisbär zu grapschen. Darauf folgte augenblicklich ein lauter Schlag – Eisbärs Pfote, wie ich wußte – und danach eine lange, ominöse Stille. Ich fürchtete das Schlimmste.
Aber dann kroch der Fotograf endlich und sehr verlegen unter dem Bett hervor. Ich musterte ihn aufmerksam von oben bis unten und stellte erleichtert fest, daß er nicht blutete und alle seine Glieder noch gebrauchen konnte.
»Wissen Sie, was ich tu?« sagte er. »Ich hole meinen Apparat und fotografiere ihn da unten. Das wird sowieso eine viel originellere Aufnahme.«
Ich stimmte ihm aus tiefster Überzeugung zu.
Von Anfang an wurde von vielen Seiten der Wunsch geäußert, Eisbär solle mich auf einer Reise zur Vorstellung meines Buches begleiten. Tatsache ist nämlich, daß Eisbär weit begehrter war als ich.
Ich weiß, die Leute behaupten, ich hätte die Tour nur deshalb ohne Eisbär angetreten, weil ich die Konkurrenz scheute. Aber das stimmte ganz und gar nicht. Ich habe keine Angst vor Konkurrenz.
Nein, etwas ganz anderes hielt mich davon ab, Eisbär auf die Reise mitzunehmen. Ich ließ ihn, wie ich den Leuten vom Verlag geduldig erklärte, zu Hause, weil das ständige Umherziehen von Stadt zu Stadt, von Flugzeug zu Flugzeug, von Hotel zu Hotel, ja von Taxi zu Taxi für ihn ungesund und qualvoll gewesen wäre und er mich dabei wahrscheinlich an den Rand des Wahnsinns getrieben hätte. Ich erklärte ihnen, daß dieses Herumzigeunern nach Eisbärs Meinung vielleicht für Hunde, Pferde, Vögel, Mäuse und Menschen akzeptabel wäre, aber absolut nicht für ihn.
Ich gab den Leuten vom Verlag zwei Beispiele. Ich erzählte ihnen, wie ich einmal erwogen hatte, Eisbär in eine andere Wohnung zu bringen, während die meine gestrichen wurde – es war ein so grauenhaftes Unterfangen gewesen, daß ich schließlich aufgegeben hatte. In den zehn Jahren meines Zusammenlebens mit Eisbär hatte ich das Wohnzimmer und selbst die Küche streichen lassen, berichtete ich ihnen, aber nie das Schlafzimmer. Solange die Maler an der Arbeit waren, blieb Eisbär im Schlafzimmer, hockte wütend fauchend über das Lärmen im Nebenzimmer hinter der verschlossenen Tür, quittierte den Farbengeruch mit angewidertem Niesen und sah mich von Zeit zu Zeit an, als verstünde er die Welt nicht mehr.
Ein andermal, erzählte ich weiter, hatte ich kurze Zeit mit dem Gedanken gespielt, mit Eisbär zusammen in einem kleinen Haus am Meer Urlaub zu machen. Ich hatte mir die Idee schnell wieder aus dem Kopf schlagen müssen. Ein Blick ins Haus hatte mir gezeigt, daß es nur einen einzigen Raum gab, wo er sicher eingesperrt werden konnte und keine Möglichkeit hatte, hinaus zu entwischen und auf Fischfang zu gehen, und das war eine stickige kleine Kammer. Mir war nichts anderes übriggeblieben, als meinen Sommerurlaub zu streichen.
Der Verlag gab sich noch nicht geschlagen. Man sei zwar überzeugt, daß ich mein Bestes tun würde, um das Buch zu verkaufen, glaube aber, um ganz ehrlich zu sein, daß Eisbär mehr Talent besäße, das Buch an den Mann zu bringen. Das, klärte ich die Leute auf, sei ein arger Irrtum. Eisbär sei schon schwierig genug, wenn er im eigenen Revier mit fremden Menschen zu tun hätte; außerhalb sei er eine wahre Geißel Gottes. Und die Vorstellung, er habe Verkaufstalent, sei einfach absurd.
Der langen Rede kurzer Sinn, am Ende waren die Leute vom Verlag widerwillig damit einverstanden, mich allein »auf Tour gehen« zu lassen, wie sie es nannten. Solche Touren sind, das habe ich aus harter Erfahrung gelernt, für den Autor niemals einfach. Bei Antritt der Reise bildet man sich, von den Ermutigungen des Verlags gestärkt, ein, man würde das Land im Sturm erobern. Die Ernüchterung kommt im allgemeinen schnell. Die Verlage raten ihren Autoren klugerweise, in den Städten, die sie besuchen, Buchhandlungen möglichst fernzubleiben. Das hat einen einfachen Grund: Die Chancen, daß ein reisender Autor sein Buch in einer Buchhandlung findet, sind etwa so groß wie die, daß einem in New York ein Taxifahrer die Wagentür öffnet. Es soll zwar schon vorgekommen sein, aber man selbst wird es wahrscheinlich nie erleben.
Das schlimme ist, daß Autoren dazu neigen, wütend zu werden und dem Verlag die Schuld daran zu geben, daß ihre Bücher nicht in den Buchhandlungen liegen. Das ist sehr unfair. Schließlich kann ja der Verlag nicht einfach die Bücher in den Laden legen; das müssen schon die Buchhändler selber besorgen. Und die Buchhändler können die Bücher erst in ihren Laden legen, wenn sie sie vom Verlag gekauft haben. Aber es wäre auch unfair von den Autoren, den Buchhändlern Vorwürfe zu machen, denn diese können ja die Bücher nicht einfach kaufen und in ihre Regale stellen, solange sie nicht wissen, ob die Leute das Buch überhaupt haben wollen. Es wäre aber gleichermaßen unfair von den Autoren, den Leuten Vorwürfe zu machen. Die können ja nicht wissen, ob sie das Buch kaufen wollen oder nicht, solange es in keiner Buchhandlung liegt.
Darum sind natürlich nicht nur Buchbesprechungen wichtig, sondern ebensosehr Auftritte des Autors im Fernsehen und Rundfunk. Der Gastgeber oder die Gastgeberin der Show kann den Leuten dann empfehlen, das Buch zu kaufen; die Leute können in die Buchhandlungen gehen und sagen, daß sie das Buch haben wollen; die Buchhändler können sich an die Verlage wenden und ihnen mitteilen, daß sie das Buch kaufen wollen; die Verlage können das Buch an die Buchhandlungen schicken; und am Ende liegen die Bücher dann in den Buchhandlungen, und alle sind glücklich und zufrieden.
Allerdings müssen die Autoren bedenken, daß die Moderator(inn)en von Fernseh- und Radiosendungen Unmengen von Büchern zugeschickt, aber nur sehr wenige davon in die Hände bekommen. Das liegt daran, daß die Bücher von den Verlagen an die jeweiligen Sender geschickt werden und nicht direkt an die Moderator(inn)en; das heißt, sie wandern erst einmal in die Postabteilung des betreffenden Senders. Der wichtige Mann hier ist der Postverteiler. Leider ist der Postverteiler selten eine Leseratte. Er kann zwar lesen, aber er liest keine Bücher. Er liest Schlagzeilen, die Sportseite und Comics, aber angesichts eines Stapels von Büchern wird er nervös und wirft die Bücher entweder weg oder verschenkt sie. Da kann man dann nur hoffen, daß er das Buch, das man im Schweiße seines Angesichts geschrieben hat, seiner Freundin schenkt. Dann liegt es zwar nicht mehr im Sender, aber wenn der Freundin das Buch gefällt, wird sie dem Postverteiler vielleicht sagen, er soll es zum Sender zurückbringen und dem Moderator oder der Moderatorin der Show weitergeben.
Mit anderen Worten, man soll die Freundin des Postverteilers keinesfalls unterschätzen. Dennoch, selbst wenn das alles klappt und sie dem Postverteiler aufgetragen hat, das Buch zum Sender zurückzubringen und dem Moderator oder der Moderatorin zu geben, geschieht das wahrscheinlich gerade eine Stunde vor Ankunft des Autors beim Sender, und der Moderator oder die Moderatorin kann sich nur noch anhand des Klappentexts über das Buch informieren. Und das führt natürlich zu Problemen: Moderatoren und Moderatorinnen von Fernseh- und Rundfunksendungen müssen zwar schnell lesen können und versuchen im allgemeinen auch, sich einen Klappentext einzuprägen, aber vor der Sendung werden ihnen so unendlich viele Dinge ans Herz gelegt, die sie auf keinen Fall vergessen dürfen, daß der Inhalt eines Buches nicht auch noch dazu gehören kann. Ich weiß, daß mein Buch viele Male als Roman vorgestellt wurde. Einmal wurde es als neues Weihnachtsspiel präsentiert. Und mehrmals, das war das schlimmste, wurde es als Kinderbuch eingeführt. Soviel zur Fernseh- und Rundfunkwerbung.
Wenn man auf seiner »Tour« in einer Buchhandlung vor einem Stapel seiner eigenen Bücher sitzt, werden einem beinahe unweigerlich Erlebnisse beschert, die man so schnell nicht vergißt. Ein solches, das bestimmt nur mir allein widerfuhr, hatte ich in Detroit. Ich stellte fest, daß eine recht ansehnliche Menschenschlange sich angesammelt hatte und zum Glück Bücher genug da waren. Dafür waren natürlich in den anderen Buchhandlungen keine Bücher, nur deshalb waren die Leute ja hier, aber das erfuhr ich glücklicherweise erst später. Mit einem bescheidenen Gruß begab ich mich an meinen Platz, setzte mich und ging daran, den Leuten die gekauften Bücher zu signieren. Ich arbeitete so schnell wie möglich, aber es nahm dennoch einige Zeit in Anspruch, da die Leute nicht nur ihren und meinen Namen in ihren Büchern sehen wollten, sondern auch den oder die Namen ihrer Katzen. Die meisten hatten zwei oder drei, einige aber noch mehr – eine Frau hatte sogar siebzehn Katzen. Der am häufigsten vorkommende Name war übrigens Samantha. Ich versuchte, das auf »Sam« abzukürzen, aber das fand keinen Anklang. Wie dem auch sei, ich gab mir alle Mühe, kleine Anekdoten von Eisbär zu erzählen und gleichzeitig zu verhindern, daß es bei den Wartenden zur offenen Meuterei kam.
Plötzlich fielen mir zwei Frauen auf, die das Buch gekauft hatten und es nun gemeinsam lasen, während sie warteten. Ich unterstelle einmal, daß es wenige Autoren gibt, die es sich verkneifen können, jemanden anzusprechen, der tatsächlich dabei ist, ihr Buch zu lesen. Insbesondere möchte man immer gern wissen, welche Stelle in dem Buch der Betreffende gerade liest.
Ich stand also auf, als wolle ich mich ein bißchen strecken und einen Moment Pause machen, und pirschte mich unauffällig ein paar Schritte an die beiden heran. Sie waren, wie ich zunächst mit Genugtuung feststellte, ganz vertieft in meine Ausführungen; aber bei näherem Hinsehen stellte ich fest, daß sie, obwohl sie das Buch offensichtlich gerade erst gekauft hatten, nicht den Anfang, sondern das Ende lasen.
Laut und deutlich sagte ich ihnen, ich wüßte genau, was sie täten – sie läsen zuerst das Ende des Buchs, um zu sehen, ob Eisbär am Schluß stürbe. Und wenn das der Fall sein sollte, dann würden sie das Buch zurückgeben, richtig? Verlegen gaben sie zu, daß ich recht hatte.
Wenn ich nach einem normalen Arbeitstag nach Hause komme, verläuft das Schlafengehen immer nach dem gleichen Muster. Ich lege mich lang, mit dem Kopf nach Norden. Sobald ich mich ausgestreckt habe, springt Eisbär herauf und legt sich, den Kopf nach Süden, mitten auf meinen Bauch. Dann fängt er an, mit seinen Pfoten nach Herzenslust zu treten und zu kneten. Das ist für ihn natürlich gesunde Bewegung, und ich habe das Gefühl, daß meine Muskeln ein bißchen durchgearbeitet werden, ohne daß ich mich dazu erst aufs Fahrrad schwingen oder in gymnastische Übungen stürzen muß, was ja alles sehr zeitaufwendig ist. Danach zettle ich im allgemeinen eines unserer kleinen Kämpfchen an. Wenn es kalt ist, lege ich ihm eine Wolldecke über, wenn es warm ist, nur ein Leintuch. Dann stupse ich ihn, immer aus verschiedenen Richtungen kommend, von außen mit den Fingern, und er versucht unter der Decke, mich zu schnappen. Wenn ich ihn mit einer Hand unterwerfen kann, ehe er mir eine blutende Wunde beigebracht hat, bin ich der Sieger. Gelingt es ihm, einen meiner Finger richtig zwischen die Zähne zu bekommen – ohne mir eine blutige Wunde zu reißen –, gilt das als Unentschieden. Wie auch immer das Kämpfchen ausgeht, hinterher legen wir uns hin und schlafen, wobei ich gern eine Hand auf seinem weichen Körper liegen habe, ganz gleich, wo er sich befindet. Aber ehe wir das tun, gibt er mir meistens, besonders wenn er Sieger war, noch einen gründlichen Gute-Nacht-Schlecker.
Kehre ich aber von einer Reise nach Hause zurück, so läuft der Abend ganz anders ab. Wenn ich nach einer Reise ins Schlafzimmer gehe und mich hinlege, können Stunden vergehen, ehe Eisbär auch nur hereinzukommen, geschweige denn zu mir aufs Bett zu kommen geruht. Seine Reaktion richtet sich jeweils nach der Dauer meiner Abwesenheit: Nach einer kurzen Reise ignoriert er mich kurze Zeit. Nach einer langen Reise ignoriert er mich lange Zeit. Als ich damals von meiner Buchtour zurückkam, übertraf er sich jedoch selbst. Nicht nur lief er davon, als ich ihn hochheben wollte, er weigerte sich sogar, auch nur den kleinsten Bissen des köstlichen Mahls zu sich zu nehmen, das ich ihm zubereitete. Statt dessen sah er erst auf seinen Napf hinunter, dann zu mir herauf und bedachte mich schließlich mit einem höhnischen Lächeln, wie nur er es fertigbringt. Dann ging er, nein, stolzierte er davon.
Schließlich ging ich zu Bett und tat nach angemessener Zeit so, als sei ich fest eingeschlafen. Ich glaubte, nun würde er, auch wenn er mir noch so böse war, aufs Bett springen und ebenfalls schlafen. Solange ich schlief, konnte er das ja ohne weiteres tun, ohne gegen seine Prinzipien zu verstoßen. Ich mußte lange warten. Endlich hörte ich sein vertrautes »Ajau!« und spürte seinen Sprung auf das Fußende des Bettes. Die nächste Etappe konnte ich kaum erwarten – den bedächtigen Gang bettaufwärts, den Plumps auf meinen Bauch. Dann wollte ich ihn mir schnappen.
Aber er gab mir nie die Chance dazu. Er marschierte vielmehr über das Bett zur äußersten Ecke, die am weitesten von meinem Kopf entfernt war, und blieb dort. Er war entschlossen, mir ein für allemal klarzumachen, daß seine Abneigung gegen völlig unnötige Reisen für mich noch lange kein Grund war, ohne ihn herumzuziehen. Ich brauchte nur – und das zu begreifen, müßte doch eigentlich selbst ich fähig sein – dort zu bleiben, wo ich hingehörte, dann konnten wir Zusammensein, soviel wir wollten. Einfache Katzenlogik.
2. Katzenzauber
Das einzige, was Eisbär, soweit ich je feststellen konnte, an seiner Prominentenrolle wenigstens halbwegs gefiel, war der Zuwachs an Post, die wir bekommen. Vorher hatte er sich nie sonderlich für die Post interessiert, und ich bin sicher, so wäre es auch geblieben, hätten wir auf dem Land gelebt, wo einem die Post noch wie in der guten alten Zeit zur Tür gebracht wird.
Eisbär hat nämlich ganz entschieden etwas dagegen, daß fremde Leute an »seine« Tür kommen. Man kann die paar Menschen, denen er solche Annäherung erlaubt, an den Fingern einer Hand abzählen, und selbst da hätte man noch ein oder zwei Finger übrig. Und ganz bestimmt hätten zu den akzeptablen Personen keine Briefträger gehört. Eisbärs Verhältnis zu Briefträgern entspricht dem von Briefträgern zu Hunden.
Das weiß ich mit Sicherheit, weil sich eine gelegentliche Begegnung Eisbärs mit einem Briefträger selbst in der Stadt, wo einem die Post einfach unten in den Kasten geworfen wird und man sie selbst herausholen muß, nicht vermeiden läßt. Er trifft beispielsweise mit dem Briefträger zusammen, wenn der wegen der Unterschrift für einen eingeschriebenen Brief heraufkommt oder kurz vor Weihnachten mit einem Päckchen läutet.
Einen dieser vorweihnachtlichen Briefträgerbesuche werde ich gewiß nie vergessen. Irgend jemand, der wahrhaftig kein Verpackungskünstler war, schickte da Eisbär eine Ladung frischen Baldrian von einem Bauernmarkt. Der Briefträger mußte die Geschenksendung heraufbringen, weil sie per Eilboten aufgegeben worden war. Als ich ihm öffnete, stand er mit einem notdürftig verpackten Korb vor mir, in dem etwas wie ein Blumenstrauß steckte. Ich hatte keine Ahnung, daß es sich um Baldrian handelte, aber Eisbär wußte es praktisch schon von dem Moment an, als es läutete. Als er mit einem Satz abhob, versuchte ich, mich zwischen den Postboten und den Baldrian zu schieben, und ich dachte schon, ich hätte es ganz gut geschafft. Aber es kam buchstäblich zu einem Kampf auf Biegen und Brechen, und als alles vorbei war, stand Eisbär eindeutig als Sieger da. Er hatte den Baldrian, obwohl der Briefträger ihn, wie ich sah, nach diesem Überfall weit dringender gebraucht hätte. Ich bin überzeugt, der gute Mann hat von da an Hunde bevorzugt.
Dies jedoch war ein Einzelereignis. Mit wachsenden Poststapeln und dank seltenen Zusammentreffen mit Briefträgern begann Eisbär, wie ich schon sagte, zunehmendes Interesse an der Post zu zeigen. Er schien irgendwie zu riechen, daß viel mehr Briefe an ihn als an mich adressiert waren.
Ich erinnere mich an einen Tag, als ich zwei Päckchen heraufbrachte, das eine für ihn, das andere für mich. Er machte seines auf, während er auf dem meinen hockte. Seine Fähigkeit, sofort die für ihn bestimmten Päckchen auszumachen, war wirklich bemerkenswert. Dabei war es nicht etwa so, daß alle von ihnen verräterische Geschenke wie Baldrian oder ähnliche Delikatessen enthielten, die mit der Nase leicht zu wittern waren. Es kamen viele andere, die weniger leicht identifizierbare Dinge enthielten – Spielzeug, zum Beispiel, oder Dosenfutter. Ich weiß bis heute nicht, woher er jedesmal sofort wußte, daß sie für ihn waren.
Und sobald er eines ausgemacht hatte, das für ihn bestimmt war, ging er damit um, als könnte es ihm entwischen, wenn er nicht sogleich mit Zähnen und Krallen wie ein Raubtier darüber herfiel. Oft begann er, sobald er ein Päckchen mit einer Dose aufgerissen hatte, wie ein Wilder zu maunzen, nach mir zu schlagen und kurze Sprints in Richtung Küche hinzulegen.
Ich entwickelte mit der Zeit folgenden opus moderandi: Zunächst einmal machte ich alle Päckchen auf. Hatte er dann nach Herzenslust geschnuppert und gefressen, konnte ich mich darauf verlassen, daß er ein Nickerchen würde machen wollen, und ich konnte mir endlich den Genuß gönnen, in Ruhe meine restliche Post zu lesen, ohne daß er seine egoistische kleine Nase in Dinge hineinsteckte, die ihn, auch wenn er vielleicht anderer Meinung war, nichts angingen.
Ein Schreiben aus der großen Postflut schien mir die allgemeine Einstellung meiner Brieffreunde zu Katzen anschaulich zusammenzufassen:
»Ich sitze hier, umgeben von Pervis, die im Alter von drei Wochen einem Hund entrissen wurde, Eloise, die mit knapper Not dem Katzenfänger entging, und Bill, meinem achtzehnjährigen Kater.
Mir ist aufgefallen, daß Sie Katzenbesitzer als ›katzenbesessen‹ bezeichnen. Hier sprechen wir von ›Katzenzauber‹. Ich kann es nicht richtig definieren, aber ich merke deutlich, daß Sie genauso unter seinem Einfluß stehen wie meine ganze Familie, besonders mein Vater. Was mich selbst angeht, so können mein Freund und ich, seit ich Pervis und Eloise habe, überhaupt nicht mehr bei ihm zu Hause bleiben. Wir müssen immer auf eine ›Dosis Katze‹ zu mir.«
Ich weiß nicht, ob dieser Freund vielleicht nicht unter dem Einfluß des Katzenzaubers stand oder eigene Katzen hatte, die mit Pervis und Eloise nicht auskamen, oder ob vielleicht die Familie Pervis und Eloise nicht aus dem Haus lassen wollte und die junge Briefschreiberin nicht ohne die beiden leben konnte. Eines stand jedoch fest: Auch wenn die Schreiberin den »Katzenzauber« nicht recht definieren konnte, drückte sie doch die Gefühle vieler anderer Menschen aus, die mir schreiben. So auch die einer Frau, die den Katzenzauber am Fallbeispiel einer Mann-Frau-Beziehung aufzeigte:
»Mein Mann war kein Katzenliebhaber, aber für mich gab es nur eines: Willst du mich lieben, dann mußt du meine Katze lieben. Und er hat gelernt, sie zu lieben. Obwohl er gegen Katzen allergisch ist, erlaubt er ihr freien Auslauf im ganzen Haus. Es war ein ordentlicher Lernprozeß für ihn, der ihn schließlich zu der Schlußfolgerung führte, daß wir ›Katzendiener‹ sind und unsere Existenzberechtigung in den Augen der Katze einzig darin besteht, daß wir sie füttern, streicheln, beschützen und von vorn bis hinten bedienen.«
Andere Schreiber entdeckten Beispiele für den Katzenzauber in einigen meiner Lieblingssprüche, die ich zitiert hatte, und versorgten mich mit neuen Katzensprüchen. Einer, den ich mit am liebsten habe, wurde mir von nicht weniger als vier Briefschreibern zitiert. »Leg dir eine Katze zu«, lautete er, »und aller Liberalismus ist für die Katz.« Da Eisbär ein Erzkonservativer ist, gefiel mir der Spruch ausgesprochen gut. Er fand Bestätigung durch eine andere Briefschreiberin, die mir erzählte, sie habe eine Katze aufgenommen und sie »Liberal« getauft.
»Meine Katze ist schwarzweiß. Erst wollte ich sie Schneeweißchen nennen, aber das war dann doch zu niedlich. Ich beschloß also, über meine Katze ein Statement meiner politischen Einstellung abzugeben. Ich gebe zu, ich mogelte ein bißchen, indem ich sie Libby oder einfach Lib nannte, aber damit hörte ich auf, als eine Freundin mir sagte, man solle Katzen nie bei einem Spitznamen rufen – sie hätten für solche Formlosigkeiten nichts übrig. Das Ironische an der Geschichte ist, daß Liberal zwar meinen politischen Standpunkt verkündet, aber daß sein Name auf ihn selber bisher nicht den geringsten Eindruck gemacht hat. Er ist konservativ bis ins letzte Schnurrhaar. Vor ein paar Monaten, als ich umzog, war er eine Woche lang krank und sah mich einen ganzen Monat lang nicht an. Jetzt, in der neuen Wohnung, erlaubt er mir nicht die geringste Veränderung. Als ich neulich ganz zaghaft versuchte, das Wohnzimmer ein bißchen anders zu stellen, wurde er absolut sauer und schnitt mich so lange, bis ich alles wieder an den alten Platz geschoben hatte.«
Sehr gern habe ich auch den Ausspruch des verstorbenen Adlai Stevenson: »Katzen hexen niemals dort, wo Menschen nicht daran glauben.«
Ein weiterer Spruch, der mir gefiel, lautete: »Katzen sind wie Baptisten. Sie machen einem die Hölle heiß, aber sie lassen sich nie dabei erwischen.«
Bis zum Empfang dieses Briefes hatte ich nicht gewußt, welcher Konfession Eisbär angehörte. Jetzt aber glaube ich es zu wissen. Wie oft macht er mir die Hölle heiß, indem er sich im Dunkel der Nacht, während ich tief schlafend in meinem Bett liege, in die Küche stiehlt und dort wie ein Berserker wütet, wobei er niemals vergißt, den sauber zugeschnürten Müllbeutel in Fetzen zu reißen. Wenn ich dann morgens mit ihm in die Küche gehe und fassungslos vor dem Trümmerfeld stehe, sieht er mich mit einem Blick an, in dem sich nichts anderes spiegelt als eine Kombination aus Verwunderung und Unschuld, und dazu zeigt seine Miene einen – wie ich meine – Ausdruck eiserner Entschlossenheit, in konzertierter Aktion mit mir die gesamte Wohnung nach dem Übeltäter zu durchsuchen.
Wenn Eisbär seine Post aufgefressen hatte, pflegte er, wie ich bereits erzählte, ein Nickerchen zu machen, während ich mich nun meiner Post widmete. Das paßte mir vor allem dann gut, wenn ich es mit schwierigen Briefen zu tun hatte, da ich sicher war, daß gerade die ihm im Tiefsten seiner kleinen schwarzen Seele sehr gefallen würden. Einige dieser Briefe nämlich waren sehr kritisch, und er wäre bestimmt der Ansicht gewesen, diese Kritik geschehe mir ganz recht.
Die Beanstandungen begannen häufig schon bei dem Namen, den ich Eisbär gegeben hatte.
»Ich möchte mit diesem Brief wirklich nicht an Ihnen herumnörgeln«, schrieb mir eine Frau, »sondern ich schreibe Ihnen, weil ich glaube, daß Sie dringend Hilfe und Rat brauchen, damit Sie lernen, wie man eine Katze richtig benennt. Ich gestehe Ihnen zu, daß Sie versucht haben, zwischen der Farbe Ihrer Katze und dem Namen ›Eisbär‹ eine Verbindung herzustellen, da ja Eisbären im allgemeinen weiß sind; aber eine Katze nach einem anderen Tier zu benennen! Niemals! Das gehört sich einfach nicht.
Wenn einen bei dem Bemühen, seiner Katze einen Namen zu geben, die Phantasie im Stich läßt, sollte man zu einem guten Konversationslexikon greifen. Schlagen Sie die Namen von Kaisern und Kaiserinnen, Königen und Königinnen nach. Katzen, und ganz besonders männliche Katzen, mögen große Namen, die Assoziationen zu Heldentaten herstellen.
Wenn Sie unter den Monarchen nichts Akzeptables finden, suchen Sie bei den Künstlern weiter. Picasso beispielsweise ist ein sehr hübscher Name für eine scheckige Katze, während Mondrian besser zu einer zwei- oder dreifarbigen passen würde. Aber auch gegen so schlichte Namen wie John, James oder William ist nichts einzuwenden, im Gegenteil, sie haben etwas sehr Gediegenes. Ich hoffe sehr«, schloß die Schreiberin, »diese Tips werden Ihnen helfen. Was sollen denn die Freunde Ihres Katers denken, wenn sie hören, daß er ›Eisbär‹ gerufen wird? Da wäre es ja noch besser, Sie nennen ihn Dickerchen, denn dazu scheint er sich ja Ihrer Schilderung nach sehr schnell zu entwickeln.«
Diese letzte persönliche Spitze fand ich ausgesprochen gemein – besonders da gerade zu jener Zeit Eisbär, der mehr als eine Woche lang jeden Tag eine herzhafte Geschenksendung verschlungen hatte, mehr denn je aus dem Leim gegangen war. Noch immer wie vor den Kopf geschlagen von diesem Brief, sah ich ihn an und hatte das unheimliche Gefühl, daß er sich über mein Mißvergnügen königlich amüsierte. Kein Wunder, er war ja auch nie stolz genug auf seinen Namen gewesen, um sich dazu herabzulassen, in Gegenwart anderer auf ihn zu reagieren – was, wie er sehr wohl wußte, für mich besonders peinlich war.
Der nächste Brief war, wie ich mit Erleichterung sah, wesentlich höflicher. Eine Frau, die von dem Namen Eisbär offensichtlich nicht viel hielt, schlug mir taktvoll vor, meinen Kater doch »Wilhelm der Eroberer« zu nennen. Den Preis jedoch trug die Frau davon, die mir berichtete, daß sie einen ihrer Kater Samuel Moses Beauregard Napoleon Bonaparte König Tut I. getauft hatte. »Kurz Moses genannt«, wie sie hilfreich hinzufügte.
Zum Abschluß noch den Auszug aus einem Brief, in dem ich auf eine Passage aus Ivy Compton-Burnetts Buch Mutter und Sohn aufmerksam gemacht wurde. Es geht hier um ein Gespräch zwischen den Damen Burke, Wolsey und Greatheart über Miß Wolseys Kater Plautus.
»…als Miß Burke sie fragte, warum sie ihn Plautus getauft habe, meinte Miß Wolsey, weil er eben Plautus sei, den Geist des Plautus in sich trage. Und Miß Greatheart fügte hinzu, der menschliche Plautus sei ein römischer Schriftsteller gewesen, der ihres Wissens Stücke geschrieben habe. Allerdings keine sehr guten. ›Warum haben Sie den Kater nach ihm benannt?‹ fragte daraufhin Miß Burke. ›Nun, er hat auch keine guten Stücke geschrieben‹, antwortete Miß Wolsey.«
Aber man kritisierte mich nicht nur wegen meiner Unüberlegtheit bei der Namensgebung, sondern auch wegen anderer Fehlverhalten, beispielsweise wegen meiner absoluten Unfähigkeit, Eisbär Tabletten zu verabreichen, die mich schließlich dazu trieb, ihm die bittere Pille im Zuge eines nächtlichen Überfalls mit Gewalt hineinzustopfen. Dafür erhielt ich eine strenge Zurechtweisung aus den eigenen Reihen, dem »Verein zur Bekämpfung von Grausamkeit gegenüber Tieren.« Sie erreichte mich in Form eines Briefs, der von Lia Albo unterzeichnet war, der Leiterin unseres New Yorker Rettungsdienstes.
»Das ganze Dilemma kommt nur daher«, schrieb sie, »daß Sie sich nicht mental eingestellt haben. Man muß sich erst mental einstellen und fest daran glauben, daß das Werk gelingen wird. Wenn man das geschafft hat, überträgt sich diese mentale Einstellung auf die Katze.«
Als sie sich freundlicherweise erbot, bei mir vorbeizukommen und höchstpersönlich Eisbär in ihren mentalen Bann zu schlagen, konnte ich schlecht in seinem Namen ablehnen. Gleich am folgenden Tag erschien also Mrs. Albo bei uns in der Wohnung. Nicht ohne gewisse Befürchtungen hob ich Eisbär auf und legte ihn ihr in die Arme. Sie hielt ihn fest an sich gedrückt, und ich störte sie nicht, während sie offensichtlich an ihrer mentalen Einstellung arbeitete. Als diese Arbeit abgeschlossen war, steckte sie ihm schnell und bestimmt die Tablette ins Maul und blies ihm gleichzeitig kräftig ins Gesicht. »Ihnen dabei kräftig ins Gesicht zu blasen«, erklärte sie mir, »ist ebenfalls sehr wichtig. Sie werden sehen, jetzt muß er einfach schlucken.«
Eisbär jedoch, ob er nun unter Mrs. Albos mentalem Bann stand oder nicht, hatte offensichtlich noch nie erlebt, daß ihm jemand ins Gesicht blies. Würde ich sagen, daß es ihm nicht gefiel, so wäre das sehr milde ausgedrückt. Tatsache ist, daß er augenblicklich zurückblies, und zwar mitten in Mrs. Albos Gesicht. Er spitzte dabei sein kleines Maul so gekonnt, daß es wie ein Blasrohr wirkte. Und traf genau ins Schwarze. Die Tablette sauste Mrs. Albo pfeilgerade zwischen die Augen. Hinterher dankte ich ihr für ihre Bemühungen, fügte jedoch hinzu, daß ich es insgesamt gesehen für besser hielt, bei meinen nächtlichen Überfällen zu bleiben, ganz gleich, ob das meinen Kritikern paßte oder nicht.
Um Mrs. Albo Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich sagen, daß es noch diverse andere Leute gab, die auf die Blas-und-schluck-Methode schworen. Eine Frau schrieb mir, ich solle mich nur nicht entmutigen lassen. »Ich habe seit meiner Kindheit immer Katzen gehabt«, berichtete sie, »aber bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr habe ich es nicht geschafft, auch nur eine von ihnen dazu zu bringen, freiwillig eine Tablette zu schlucken. Der schlechteste Rat, den mir jemand gab, war, die Tablette auf den Radiergummi am Ende eines Bleistifts zu legen.«
Das war wenigstens tröstlich. Hingegen unterwies mich ein langjähriger Manx-Katzen-Fan sehr ausführlich in einer, wie er behauptete, narrensicheren Methode, die anscheinend bei dem widerspenstigsten aller Kater namens Thumper Wunder gewirkt hatte:
»Weiße Kater scheinen es wirklich in sich zu haben. Thumper ist ein goldäugiger weißer Manx-Kater, der jedesmal prompt die Maulsperre bekommt, wenn er hört, daß ich eine Pillenflasche entkorke. Aber nach vielen leidvollen Jahren habe ich endlich eine Methode entdeckt, ihn dazu zu bringen, seine Tabletten zu schlucken. Man muß ihn überlisten, und das ist nicht einfach. Ich muß mich buchstäblich auf ihn drauf setzen. Man praktiziert das besser nicht in Gegenwart anderer; man sieht nämlich dabei nicht gerade elegant aus. Also: Sie knien sich auf den Boden und stopfen sich Ihren Kater zwischen die Knie, so daß gerade noch sein Kopf zwischen Ihren Oberschenkeln herausschaut. Achten Sie darauf, daß Sie die Füße hinter sich fest geschlossen halten, damit er nicht nach rückwärts ausbüxen kann. Ich brauchte mehrere Probeläufe, ehe mir klar wurde, daß Katzen auch einen Rückwärtsgang haben. Dann ›setzen‹ Sie sich vorsichtig auf ihn, gerade so fest, daß er Ihnen nicht entwischen kann. Sie können ihn ablenken, indem Sie so tun, als wäre das ein neues Spiel, aber das klappt nur die ersten paar Male. Wenn möglich, schnappen Sie ihn sich genau in dem Moment, wo er um Hilfe schreit. Packen Sie ihn beim Schlafittchen, so daß er das Maul nicht mehr schließen kann, stopfen Sie ihm die Tablette hinein, klappen Sie ihm das Maul zu und streichen Sie mit der Hand seinen Hals abwärts… Wenn Sie mehr als eine Katze haben, ist es wahrscheinlich das beste, Sie lassen die anderen bei der Operation nicht zusehen. Ich fürchte, sie würden lachen, und das wäre für die Katze, die Sie gerade verarzten, sehr peinlich.«
Und der einfachste Rat, den ich von einer meiner Leserinnen erhielt: »Unser Tierarzt füllt eine Spritze mit Vitaminsaft und nimmt dann vor Shaddow selbst etwas davon, ehe er es ihm einflößt.« Sie schrieb nicht, ob ihr Tierarzt Shaddow Tabletten auf die gleiche Weise verabreichte, aber sie ließ es durchblicken.
Viele Briefe machten mich auf andere Fehler aufmerksam, die ich im ersten Jahr meines Zusammenlebens mit Eisbär begangen hatte – in jenem einen Jahr, das das Buch umfaßt. Ein Brief jedoch übertraf alle anderen; er begnügte sich nicht mit der Bemängelung nur eines Fehlers, sondern zählte eine ganze Litanei von Fehlern auf, die ich mir geleistet hatte. Und er war von einer promovierten Soziologin geschrieben.
»Ich habe Ihr Buch gelesen und muß Ihnen sagen, daß es Ihnen in einem einzigen kurzen Band gelungen ist, sämtliche bekannten Katzentabus zu verletzen. Sie haben Eisbär in eine Situation kultureller Anarchie hineingezwungen, die ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben haben muß. Die meisten Menschen wissen nicht, daß die Kultur der Katzen auf den Stolz gründet. Sie ist von strengen Tabus, zum Beispiel in bezug auf den Blickkontakt mit anderen Tieren, und von Regeln bestimmt, die den Status nach Alter, Geschlecht, Profil, Haarlänge, Farbe und Musterung definieren. Die soziale Struktur ist mit der der Navajos insoweit identisch, als sie matriarchal ist und von äußerst strengen Tabus geregelt wird.
Auf der Jagd wird die Beute immer von der Leitkatze, die weiblichen Geschlechts ist, gestellt. Erst danach nehmen die anderen Katzen teil; würden sie sich vorher in die Jagd einmischen, so würden sie den gesamten Ablauf durcheinanderbringen. Als Sie Eisbär dazu animieren wollten, das Wollknäuel zu holen, verdrängten Sie ihn aus seiner Führerrolle, und er machte ganz natürlich einen Rückzieher und ließ, durch Ihren krassen Mangel an Sensibilität dazu gezwungen, Sie sein Werk vollenden. In Zukunft sollten Sie abwarten und bewundernd zusehen, während er das Knäuel jagt und stellt, und sich erst dann annähern.
Weiter: Als Eisbär Kamikaze, das Kätzchen, das Sie aufgenommen hatten, Ihrer Ansicht nach nicht freundlich genug empfing, störten Sie ihn mit Ihrem Versuch, ihn zur ›Höflichkeit‹ zu zwingen, 1. in seinem Rollenverhalten gegenüber einem jüngeren, weiblichen Tier anderer Färbung, das verlangt, daß das erwachsene Tier passiv und langmütig, aber würdevoll bleibt, bis die andere Katze sich so weit beruhigt hat, daß man anfangen kann, sie zu erziehen; 2. verstießen Sie gegen das strengste Tabu in der Katzenwelt, als Sie Eisbär zwangen, Ihnen in die Augen zu sehen, während Sie ihm Vorhaltungen machten. Das Feindseligste überhaupt, was eine Katze tun kann, ist, einem anderen Tier in die Augen zu sehen. Sie zwangen Eisbär nicht nur, dem Kätzchen gegenüber aus der Rolle zu fallen, sondern auch noch dazu, mit seinem besten Freund Blickkontakt aufzunehmen, obwohl er doch nur den grundlegenden Normen der Katzenwelt gehorchen wollte. Sie sollten sich schämen!«
Als ich diesen Brief gelesen hatte, fand ich, er rieche förmlich nach feministischer Voreingenommenheit gegen alles Männliche – die »matriarchalen Navajos«, »die Leitkatze, die weiblichen Geschlechts ist«, »das Rollenverhalten gegenüber einem jüngeren, weiblichen Tier« und der ganze andere Quark. Immerhin hatte ich insofern Glück, als der Brief an einem Tag eintraf, an dem Eisbär geschäftlich abwesend war. Er hatte nämlich drüben im anderen Zimmer Männergeschäfte zu erledigen – die Bemannung der Barrikaden zum Kampf gegen Rosa, die Zugehfrau, und ihre abscheulichste Waffe, den Staubsauger. Ich war wirklich froh, daß er meine Reaktion auf diesen Brief nicht mitbekam – ich glaube, ich hätte seine Genugtuung darüber nicht ausgehalten.
Aber nun entwarf ich einen Plan, um diese Soziologin in die Schranken zu weisen, ohne mich dabei jedoch auf ihr Niveau herabzulassen und die Mann-Frau-Polarität zu bemühen. Mit einem Wort, ich beschloß, sämtliche Briefe, die ich auf Lager hatte, durchzusehen, um Beispiele dafür zu finden, daß Männer genauso fähig waren, ihren Katzen gerecht zu werden, wie jeder verdammte »matriarchale« Navajo, den sie auftreiben konnte.
Ich muß ehrlich sagen, es kostete mich einiges an Zeit; ich fand nämlich nur zwei oder drei Briefe, die meinen Standpunkt stützten, und um die hundert oder mehr, in denen man ihr die Stange hielt. Aber ich fand es überflüssig, eine regelrechte Abstimmung zu veranstalten. Wenn ich recht habe, habe ich recht, und basta.
Der Brief, für den ich mich schließlich entschied, weil er mir am besten zu beweisen schien, daß Männer bessere Katzenhalter sind, lautete folgendermaßen:
»Am 14. Februar 1975 brachte mir mein Mann, mit dem ich damals gerade sieben Monate verheiratet war, am Valentinstag ein Geschenk mit, das er in seiner Jackentasche trug. Es war ein winziges weißes Kätzchen mit großen grünen Augen und den größten Ohren, die ich je gesehen hatte. Er hatte es aus dem Tierheim, und da Rob nie ein Haustier besessen hatte, argwöhnte ich von Anfang an, daß dieses Geschenk mehr für ihn als für mich gedacht war.
Ich kann leider nicht behaupten, daß es Liebe auf den ersten Blick war. Ich hatte für Katzen nichts mehr übrig, seitdem ich in der Kindheit einmal mitangesehen hatte, wie eine Katze ein Streifenhörnchen gefressen hatte. In unserer Mietwohnung waren Katzen nicht erlaubt, wir mußten also damit rechnen, gekündigt zu werden, wenn der Hauswirt unsere Katze je zu Gesicht bekommen sollte. Ich saß außerdem gerade über meiner Magisterarbeit, und die kleine Katze hatte die lästige Angewohnheit, an meinem Bein wie an einem Baum hochzuklettern, um so auf meinen Schoß zu gelangen. Wenn sie das geschafft hatte, schlug sie, sobald ich zu schreiben begann, nach meinem Kugelschreiber, brachte mir alle meine Karteikarten durcheinander und richtete auf meinem Schreibtisch ganz allgemein das reinste Chaos an. Außerdem ließ sie uns keine Nacht schlafen; aber sie weinte nicht etwa nach ihrer Mutter – das hätte ich noch verstanden –, nein, sie versuchte ständig, uns zum Spielen zu animieren. Dabei hatte ich immer gehört, daß Katzen die meiste Zeit schlafen. Ich beschwerte mich bei meinem Mann. Wir könnten uns ja ein Haustier anschaffen, sagte ich, wenn ich mit dem Studium fertig sei und wir ein eigenes Haus hätten, dann aber am besten einen Hund. Die Katze sei so niedlich, daß sie uns sicher sofort jemand abnehmen würde. Rob ist an sich immer zu Kompromissen bereit und bemüht sich meistens, auf meine Wünsche einzugehen, aber diesmal war nichts zu machen; er weigerte sich, das Kätzchen wegzugeben. Ich schrieb diese Entscheidung seiner durch Schlaflosigkeit zerrütteten Vernunft zu und nahm an, früher oder später werde er zur Einsicht kommen.
Aber am Ende flogen wir doch wegen der Katze aus der Wohnung, und ich machte meine Magisterarbeit in der Unibibliothek fertig. Abbey hatte sich längst einen festen Platz als vollwertiges Familienmitglied erobert und entwickelte sich langsam so weit, daß sie zu ihren Augen und Ohren paßte – ich würde sogar zu behaupten wagen, daß sie es an Größe mit Eisbär aufnehmen konnte. Sie wurde zehn Jahre alt, und ich kann mir nicht vorstellen, was unser Leben ohne sie gewesen wäre. Wir haben jetzt wieder eine Katze und außerdem ein Kind, dem unser würdevoller und nicht unbedingt toleranter Kater Achtung vor Tieren und Verantwortungsbewußtsein beigebracht hat.«
Nachdem ich mit Hilfe dieses Briefes die hochnäsige Soziologin in die Schranken gewiesen hatte, ging ich daran, das gleiche mit Eisbär zu tun. Gleich das nächste Mal, als wir gemeinsam die Post öffneten, hielt ich ihm alle Briefe über solche Katzen unter die Nase, die regelmäßig all die Dinge taten, die ihm beizubringen ich vergeblich versucht hatte. Den Briefen nach gab es Katzen genug, die mit ihren Herren oder Herrinnen brav im Geschirr und an der Leine spazierengingen; mir hingegen war es nie gelungen, aus Eisbär einen gesitteten Spaziergänger zu machen. Ich erklärte ihm, wenn ich das nächste Mal zum Schachspielen in den Park ginge, würde er an der Leine mitmarschieren, ob ihm das nun paßte oder nicht. Er antwortete mir mit einem Blick, den wohl alle »Katzen-Besessenen« kennen – viel Glück, sagte dieser Blick, du wirst es brauchen.
Ich zeigte ihm ferner Briefe über Katzen, die mit ihren Besitzern regelmäßig Fernsehsendungen anschauten. Ich hatte das mit Eisbär versucht, aber festgestellt, daß er mit zunehmendem Alter dem Fernsehangebot gegenüber immer kritischer wurde. Je häufiger er in den Werbespots junge Katzen sah, desto stärker wurde ganz offensichtlich seine Geringschätzung für sie. Er schien der Ansicht zu sein, sie verstünden rein gar nichts von ihrem Handwerk. Auch Sendungen, in denen andere Tiere gezeigt werden, finden seinen Beifall nur in sehr beschränktem Maß. Soweit ich feststellen konnte, mochte er bloß Sendungen über Vögel und Fische; mich ärgerte erstens, weil sie ihm unverkennbar aus den falschen Gründen zusagten, aber vor allem, weil dadurch unsere Programmauswahl drastisch beschnitten wurde. Er unternahm nie auch nur den geringsten Versuch zu begreifen, warum ich mir so gern Sportsendungen ansah. Der einzige Sport, der ihn interessierte, war Tischtennis. Soweit ich es beurteilen kann, gefiel ihm nicht nur das schnelle Hin und Her – das er gespannt verfolgte –, sondern er empfand das einsame Klick-Klack des Balls als angenehme Geräuschkulisse. Der Haken dabei war leider, daß Tischtennis lediglich während der Olympiade groß herauskam; da konnte er zwar zusehen, bis er viereckige Augen bekam, aber das eben nur alle vier Jahre.
Mir tat das für Eisbär so leid, daß ich hocherfreut war, als mir ein Briefschreiber vorschlug, ich solle mir doch einige Videos besorgen, die extra für Katzen gedacht waren und die Eisbär und ich uns zusammen ansehen könnten. Ich bestellte sofort mehrere Videofilme, und gleich der erste, der kam, ließ mich hoffen. Ein Katzenhäppchen hieß er. Das, meinte ich, würde garantiert wirken: Eisbär konnte genau wie wir Menschen fernsehen und dabei knabbern. Aber das Video von der Firma PetAvision enthielt überhaupt keine Häppchen, sondern drei Kassetten mit den Titeln Laß uns einen zwitschern, Der Federvieh-Report und Pirsch im Park. Hingerissen war ich nicht gerade von diesen Titeln, aber ich pflanzte Eisbär sofort vor den Apparat und schaltete ein. Ich muß sagen, mir gefiel der Film sehr gut – tirilierende Vögel, die Würmer aus der Erde zogen, Eichhörnchen, die von Baum zu Baum sprangen und Nüsse knackten, Streifenhörnchen, die durch die Gegend sausten und futterten –, aber nach einer Weile bekam ich Appetit. Ich ging also in die Küche und holte für Eisbär und mich etwas zu knabbern. Als ich wieder ins Zimmer kam, entdeckte ich, daß er überhaupt nicht zugesehen hatte – er schlummerte selig. Ich weckte ihn sofort. Es mache mir ja nichts aus, erklärte ich ihm, wenn er bei den regulären Sendungen schlafe, aber das hier waren Filme, die ich extra für ihn gekauft hatte, die Sache koste also Geld, und da hätte er gefälligst zuzuschauen, ob es ihm passe oder nicht. Worauf er natürlich prompt wieder einschlief.
Ähnlich verlief die Sache bei dem zweiten Video, mit dem ich mein Glück bei Eisbär versuchte. Es hieß Katzenvideo und stammte von der Firma Cat Productions. Bei diesem Versuch endlich wurde mir klar, wo die Katze im Pfeffer lag. Ich hasse es, Gebrauchsanweisungen zu lesen, und natürlich hatte ich die Beilage, die man uns mit dem Katzenvideo geschickt hatte, nicht gelesen. Der erste Teil trug die Überschrift Wie Sie Ihrer Katze das Fernsehen beibringen. »Die meisten Katzen«, hieß es, »sind fernsehen nicht gewöhnt und brauchen Anweisung, um diese menschliche Fertigkeit zu erlernen!«
Am liebsten hätte ich den Zettel in den Papierkorb geworfen. Menschliche Fertigkeit! Das konnte doch nur ein Witz sein.
Aber es war keiner.
»Laute Musik, zu viele Menschen oder die Anwesenheit anderer Tiere können störend wirken und Ihre Katze in der Konzentration beeinträchtigen. Nehmen Sie Ihre Katze auf den Schoß und schalten Sie den Apparat ein. Streicheln Sie die Katze und drehen Sie ihren Kopf zum Bildschirm (kraulen Sie sie unter der rechten Backe, um den Kopf nach links zu schwenken). Sie dürfen eine Katze nie zum Fernsehen zwingen. Sie muß es von selbst entdecken. Manchmal hilft es, die Aufmerksamkeit der Katze auf den Film zu lenken, indem man leicht an den Bildschirm klopft.«
Ich probierte das alles an Eisbär aus – selbst das mit dem »Kopf nach links«, das ich gar nicht verstand. Aber nichts wirkte. Vielleicht, dachte ich mir, sollte er lieber allein fernsehen, ohne mich. Aber ein großes »Vorsicht!« auf der Anweisung belehrte mich eines Besseren:
»Lassen Sie Ihre Katze nicht allein, solange das Video läuft. Wenn die Katze gegen den Bildschirm springen sollte, könnte sie sich selbst und dem Apparat Schaden zufügen. Ihre Katze muß lernen, beim Fernsehen passiv zu bleiben. Mit ein bißchen Übung kann Ihre Katze zu einem harmlosen Sofahocker werden.«
Das war für Eisbär genau das richtige – nur schnarchte er diesmal schon, ehe ich die Anweisungen überhaupt fertiggelesen hatte. Am Ende gab ich die Bemühungen mit den Katzenvideos auf und stellte bei der Lektüre der nächsten Briefe mit Erleichterung fest, daß es Unmengen Katzen gab, die keine »Sofahocker« waren, sondern äußerst aktiv und unternehmungslustig. Es gab sogar eine Katze, die Klavier spielen konnte, und wenn ihre Herrin etwas spielte, was sie nicht mochte, sprang sie einfach aufs Klavier und setzte sich ihr auf die Hände, so daß sie zu spielen aufhören mußte.
Aber das war nicht die einzige Katze, die die Dinge selbst in die Hand nahm. Am sympathischsten unter all diesen aktiven Katzen war mir ein Kater namens Bogart, der, wie mir seine Besitzerin schrieb, sie und ihren Mann teuer dafür bezahlen ließ, als sie eine streunende Katze bei sich aufnahmen. Er veranstaltete einen solchen Wirbel, »daß wir die beiden Katzen schließlich getrennt halten mußten«, berichtete die Frau. »Mein Mann und ich mußten in getrennten Zimmern schlafen, damit jede Katze eine Bezugsperson hatte, bei der sie unterkriechen konnte.«
Das waren doch Geschichten, die einem Junggesellen wie mir etwas sagten! Während ich Eisbär betrachtete, der zu anderen Katzen so abscheulich sein konnte, fragte ich mich, ob ihm eigentlich klar war, zu welch bitterem Ende sein Egoismus führen konnte. Gerade als ich versuchte, mit ihm darüber zu sprechen, was nicht ganz einfach war, da sein Blick starr auf den Balkon gerichtet war, sprang er plötzlich auf, schoß durchs Schlafzimmer, flog durch das Fenster hinaus auf seinen Balkon und knallte mit aller Wucht gegen das Drahtgitter, um sich auf ein Taubenpärchen zu stürzen, das gerade mitten im Turteln war.
Er war, sagte ich mir, eben unverbesserlich; nichts war ihm heilig, nicht einmal wahre Liebe. Da konnten höchstens noch ein paar Briefe aus der Rubrik »Katzenschläue« helfen. Wenn es überhaupt etwas gab, worauf Eisbär stolz war, so war es seine Schläue, und ich dachte mir, es würde ihm guttun, zu erfahren, daß es auf der Welt Katzen gab, die ihn an Schläue weit überboten.
Am bemerkenswertesten fand ich zu diesem Thema den Brief einer Witwe aus Kalifornien, die einen Kater namens José besaß. Im Herbst, berichtete sie, habe sie eines Tages versucht, das welke Laub von ihren Obstbäumen herunterzuholen, um es dann zusammenzurechen. Leider war sie zu den obersten Wipfeln der Bäume nicht hinaufgekommen. »Nun ja«, sagte sie laut zu sich selbst, »dann muß ich eben warten, bis das Laub von selbst herunterfällt.« Da sauste José, der ihr bei der Arbeit zugesehen hatte, wie der Blitz in den Wipfel eines der Bäume hinauf und begann, die Hinterbeine in den Stamm gekrallt, mit den Vorderpfoten einen Zweig nach dem anderen zu schütteln, bis alles Laub zur Erde gefallen war. Danach nahm er sich den nächsten Baum vor, und so ging es weiter, bis sämtliche Bäume kahl waren. »Versteht dieser Kater die englische Sprache?« erkundigte sich die Briefschreiberin. »Ist er vielleicht die Reinkarnation eines Menschen, den ich einmal gekannt habe? Können Sie sich vorstellen, daß ich mich sogar so weit herabließ, ihn zu fragen, wer er sei? Aber da rieb er nur seinen Kopf an meinem Bein und gab mir keine Antwort.«
Nach dem Rest des Briefes zu urteilen, hatte José vielleicht guten Grund, nicht zu antworten.
»Wenn er mich zum Frühstück wecken möchte, necke ich ihn immer erst ein wenig und tue so, als hörte ich sein Miauen nicht. Er versucht es dann jedesmal mit einer anderen Taktik. Aber eines Tages, nachdem er mich vergeblich unter der Decke gestupst und schmeichelnd seinen Kopf an meinem Gesicht gerieben hatte, hörte er plötzlich auf, wie ein Wilder herumzusausen. Statt dessen drückte er mir seine Schnauze ans Ohr, holte einmal tief Atem und kreischte dann wie am Spieß. Woher wußte er, daß dort mein Gehör sitzt? Abends, wenn er ins Haus will, springt er gegen das Fliegengitter – ich lasse die ganze Nacht ein großes Fenster offen – und miaut. Einmal fand ich, er könne ruhig noch ein bißchen draußen bleiben, und ignorierte ihn einfach. Ich sah ihn an und sagte: ›Mich bekommst du nicht aus dem Bett‹. Da hob er nur ganz gelassen eine Vorderpfote, fuhr seine Krallen aus und zog sie langsam am Fliegengitter abwärts. Es war ein Geräusch, wie wenn jemand mit den Fingernägeln an der Schultafel entlangkratzt, und natürlich konnte ich es nicht ertragen. Ich stand auf und ließ ihn herein.«
Mir lag natürlich überhaupt nichts daran, daß Eisbär durch diesen Brief etwa auf dumme Gedanken gebracht und noch größenwahnsinniger wurde.
Aber gerade hatte ich diesen Brief fertiggelesen, da kam Eisbär von der Taubenjagd zurück und fegte einen Brief zu Boden – er liebt es, Dinge auf den Boden zu fegen –, den ich noch nicht unter »Katzenschläue« abgelegt hatte. Als ich ihn mir ansah, stellte ich fest, daß er gar nicht an mich adressiert war, sondern an ihn, und angeblich von einer Katzendame namens Kitty geschrieben war, die ihm mitteilte, ihr Tierarzt hätte erklärt, in den langen Jahren seiner Praxis sei ihm zwar gelegentlich ein dummer Hund untergekommen, nicht ein einziges Mal jedoch eine dumme Katze.
Das schmeckte Eisbär natürlich. Ich ließ mich dennoch nicht von meinen Bemühungen abhalten, ihm zu beweisen, daß er längst nicht der war, für den er sich hielt – der schlaueste Kater der Welt nämlich. Es war wirklich seltsam, so wenig es ihn interessierte, der berühmteste Kater der Welt zu sein, so viel lag ihm daran, als schlauester Kater der Welt anerkannt zu werden.
Aber um ihm seine Größenphantasien auszutreiben, würde ich, das war mir klar, schweres Geschütz auffahren müssen, und das hieß, ich mußte meine Siamesenakte greifen. Selbst eine flüchtige Lektüre der dort gesammelten Briefe zeigte klar, daß die meisten Besitzer von Siamkatzen die Siamesen für die schlauesten Katzen überhaupt halten – es ging allenfalls darum, ob sie selbst oder ihre Katzen die Briefe schreiben sollten, um den Beweis zu erbringen.
Hier mein Lieblingsbrief zu diesem Thema:
»Wir hatten zwanzig Jahre lang einen Siamkater, der (mit seiner Zustimmung) Arthur hieß. Das einzige, was dieses Tier nicht konnte, war sprechen. Sein ganzes Leben lang führte er natürlich in unserem Haus das unumschränkte Regiment. Alle akzeptierten es. Ich könnte Ihnen Dutzende von Geschichten über Arthur erzählen, aber ich begnüge mich mit einer, weil ich glaube, daß sie Ihnen ganz besonders gefallen wird. Sie zeigt, wie er mit Besuch umging.
Unser Haus wurde vor mehr als hundert Jahren von einem exzentrischen Universitätsprofessor geplant und gebaut, und der geschwungene Sims des hohen, offenen Kamins war von einem niedrigen Gitter umgrenzt, das ein wenig an die Reling eines Schiffs erinnerte. In der Mitte hatte das Sims eine Ausbuchtung nach vorn, und wir vermuteten, daß auf diesem Platz zu Zeiten des Professors die Büste Shakespeares gestanden hatte. Jetzt hatte sich Arthur diesen Platz erobert. Am Kamin war es schön warm, und die Ausbuchtung war von Form und Größe gerade so, daß er sich bequem hinter dem Gitter zusammenrollen konnte. Dort pflegte er mit Vorliebe zu liegen. Aber wehe, es klopfte jemand an die Tür! Dann setzte er sich sofort auf, kerzengerade und absolut reglos – wie eine Statue. Wer zum erstenmal in unser Haus kam, bemerkte ihn nie. Er wartete, bis die Leute es sich mit einem Glas in der Hand bequem gemacht hatten, das Gespräch in Gang gekommen und alles hübsch harmonisch war, dann sprang er mit einem Riesensatz und gellendem Kriegsgeschrei mitten ins Zimmer. Selbst die gesetztesten (manchmal spießigen?) Gäste fuhren jedesmal wie von der Tarantel gestochen aus ihren Sesseln, ließen vor Schreck Gläser und Brötchen fallen und gaben Ausdrücke von sich, die gar nicht zu ihrer Gesetztheit paßten. Wir lächelten nur und sagten: ›Oh, Sie haben Arthur noch nicht kennengelernt?‹, worauf sich das Gespräch, ganz gleich, in welch philosophischen Bahnen es sich vorher bewegt hatte, unweigerlich Arthur zuwandte, was genau seiner Absicht entsprach. Er saß gelassen dabei, genoß die Aufmerksamkeit, musterte die Leute und entdeckte mit tödlicher Sicherheit den einen, der Katzen nicht mochte. Dem sprang er dann (schmeichelhafterweise?) auf den Schoß und rollte sich dort laut schnurrend zusammen.«
Wenn ich auch von der Schläue der Siamkatzen überzeugt war, so hielt ich sie doch nicht für die absolut schlauesten.
Sie werden meiner Ansicht nach von beinahe jeder wild lebenden Katzenmutter, gleich welcher Rasse, übertroffen. Ich fand unter meinen Briefen einige schlagende Beispiele, von denen ich nur zwei anführen möchte. Das erste lieferte mir der Brief einer Frau, die in einer Winternacht eine sehr wilde herrenlose Katze rettete, die sie Lady Jane nannte:
»Eines Abends hörte ich den Hilfeschrei eines jungen Kätzchens; zuerst glaubte ich, es sei ein Vogel gewesen. Ich ging nach vorn, um nachzusehen, und da stand Jane. Ungefähr drei Schritte entfernt war ein junges Kätzchen. Seine Augen waren schon offen, aber es konnte noch nicht richtig laufen. ›Jane‹, sagte ich, ›ist das dein Kleines?‹ – ›Ich habe dieses Kätzchen nie vorher in meinem Leben gesehen‹, antwortete sie. ›Jane, es ist aber keine andere Katze in der Nähe, und dieses Kleine ist bestimmt nicht von selbst hierher gekommen.‹ – ›Nichts da‹, erklärte sie. ›Mir gehört’s nicht‹. Ich seufzte nur und nahm das Kätzchen mit ins Haus. Weniger später, als ich meinem Mann gerade das Kleine zeigte, hörte ich wieder dieses durchdringende Schreien.
Und wieder ging ich hinaus. Diesmal waren noch zwei kleine Katzen da, und Jane stand ihnen viel näher. Ich sah sie an, und sie sah mich an. ›Jane‹, sagte ich, ›wenn du dir einbildest, daß ich drei junge Katzen durchfüttere, dann täuschst du dich‹. Ich nahm die Kätzchen auf den Arm, ich nahm Jane auf den Arm (das erste und einzige Mal, daß sie sich das gefallen ließ) und ging ins Haus. Jane sagte: ›Ach, da ist ja mein anderes Kleines!‹ Mutter und Kinder ließen sich in unserem damaligen grünen Zimmer nieder (Sie werden nie erraten, in welcher Farbe es heute gestrichen ist) und gediehen prächtig.«
Im zweiten Beispiel ging es um eine herrenlose Katze namens Shady, die sich ein Ehepaar zu ihren Wohltätern erkoren hatte. Zu Beginn war Shady nicht bereit, ihre Freiheit aufzugeben. Sie pflegte ab und zu im Haus zu erscheinen, um sich füttern zu lassen, ließ sich hin und wieder auch einmal säubern und bürsten, aber das war auch alles. Niemals blieb sie über Nacht. Bald zeigte sich jedoch, daß Shady trächtig war. Und eines Abends verschwand sie und ließ sich lange nicht mehr blicken. Erst viele Tage später tauchte sie wieder auf – viel zu spät zum Abendessen –, diesmal schlank und rank. Und wieder verschwand sie jeden Abend nach dem Abendessen, zweifellos, um sich um ihre Jungen zu kümmern.
Das Ehepaar suchte überall nach Shadys Jungen, aber ohne Erfolg.
»Mit der Zeit begannen wir uns zu fragen, ob die kleinen Katzen überhaupt noch am Leben seien. Aber eines Tages, genau sechs Wochen nachdem sie geworfen hatte, erschien Shady zu völlig ungewohnter Stunde bei uns, nämlich morgens um Viertel vor neun. Und ihr folgte ein entzückendes, pummeliges kleines Kätzchen. Sie brachte ihr Kleines direkt zu uns, bat miauend um ein Frühstück und verbrachte dann den Nachmittag bei uns. Aber am Abend verschwand sie wieder. Das Kleine ließ sie uns zurück.
Wir glaubten, sie hätte nur ein Junges. Aber da täuschten wir uns. Als sie das nächste Mal kam, brachte sie noch zwei Kätzchen mit. Und dann noch einmal drei. Endlich blieb Shady für immer.«
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Zwei der jungen Katzen waren deformiert, der einen fehlte das rechte Vorderbein, der anderen das rechte Hinterbein. Der Tierarzt erklärte, solche Katzen würde kein Mensch nehmen; es wäre das beste, sie einschläfern zu lassen. Das Ehepaar ging zu einem anderen Tierarzt – ja sie suchten insgesamt vier weitere Tierärzte auf, und überall bekamen sie das gleiche zu hören. Es sei das beste, die deformierten Katzen einzuschläfern. Aber sie waren anderer Meinung. Sie inserierten in mehreren Zeitungen und hängten überall Zettel auf.
»Eine Kundin des Kosmetiksalons, in dem ich arbeitete, bemerkte einen unserer Zettel mit dem Foto der beiden deformierten Katzen. Sie rief uns an und sagte, sie wolle vorbeikommen und sich die Kleinen ansehen. Sie erzählte mir, sie sei mit ihrer Familie erst vor kurzem aus einer Wohnung ausgezogen, wo Haustiere nicht erlaubt gewesen waren, und nun suche sie ein Tier für ihre zwölfjährige Tochter. Mutter und Tochter kamen wie vereinbart zur Katzenbesichtigung und waren sofort hingerissen von Peg und Chester. Nach einer kurzen Besprechung beschlossen sie, beide mitzunehmen. Wir erfuhren später, daß der Ehemann dieser Kundin und der Vater des kleinen Mädchens armamputiert war, und das Kind, das Peg und Chester unbedingt hatte haben wollen, ihn nie anders gekannt hatte.«
Letztendlich jedoch gelangte ich zu der Überzeugung, daß nicht Siamesen und nicht wild lebende Katzenmütter die schlauesten ihrer Rasse sind. Zwei Kater ungewisser Herkunft liefen ihnen den Rang ab. Die Geschichte des einen wurde mir von einer Frau erzählt, die eine Freundin des Katzenbesitzers war. Der Kater pflegte jeden Dienstagabend um die gleiche Zeit, nämlich Punkt sieben, zu verschwinden. Und jedesmal kehrte er genau um Mitternacht zurück und verlangte Einlaß. Der Mann wurde immer neugieriger; zu gern hätte er gewußt, was ein Kater dienstags trieb. Am Ende beschloß er, ihm einmal zu folgen.
»Einfach war es nicht. Der Kater durchquerte fremde Gärten, sprang über Zäune und lief durch kleine Seitenstraßen bis zu einem großen, einstöckigen Haus. Dort kletterte er die Feuerleiter hinauf und setzte sich vor ein Fenster. Der Besitzer, dem es mit Mühe und Not gelungen war, ihm auf den Fersen zu bleiben, sagte sich, als er seinen Kater da oben auf der Feuerleiter vor dem Fenster sitzen sah, der kleine Bursche habe dort wahrscheinlich eine Freundin und warte auf sie. Neugierig wartete er ebenfalls. Er sah auf seine Uhr. Es war zehn vor acht. Die Zeit dehnte sich. Aber plötzlich begann der Kater wild mit dem Schwanz zu schlagen. Wieder sah der Mann auf die Uhr. Es war genau zehn nach acht. Und im selben Moment schallte aus dem Zimmer hinter dem Fenster eine Stimme: ›Bingo!‹«
Die zweite Geschichte war vielleicht noch bemerkenswerter.
»Wir kauften unser Haus in Kalifornien im Oktober 1965. Mit dem Haus erwarben wir einen wunderschönen, zutraulichen Kater, der offensichtlich schon längere Zeit dort gelebt hatte. Wir verstanden uns glänzend bis zu dem Tag des Erdbebens im San Fernando Valley. Während die Erde zitterte, verschwand unser Kater. Nach einiger Zeit erschien er wieder – aber nicht bei uns. Er ließ sich im Haus gegenüber nieder und betrat nie wieder unsere Schwelle.«
Der Kater hatte natürlich schon das Zeitliche gesegnet, als 1989 das große Erdbeben San Francisco erschütterte, aber es ist gut möglich, daß eines der kleineren Beben, die dem von 1965 folgten, ihn zu einem weiteren Umzug trieb.
Wie dem auch sei, während ich mir diese beiden Geschichten durch den Kopf gehen ließ, überlegte ich, was Eisbär wohl in vergleichbaren Situationen tun würde. Ich spielte zwar nie Bingo, aber ich fragte mich, ob er es, wenn ich spielen würde, nicht im Vergleich zu einer meiner hochinteressanten zweistündigen Schachpartien unglaublich langweilig finden würde, mir dabei zuzusehen. Was die Erdbebentheorie angeht, so wußte ich, daß auch Eisbär mich verantwortlich für jedes Wetter machte, das ihm mißhagte. Wenn es im Winter zu kalt war und auf seinem Balkon Schnee lag, war es meine Schuld. War es im Sommer zu heiß, gab es ein Gewitter, so war auch das meine Schuld. Konnte ich wirklich gewiß sein, daß er mir nicht auch an einem Erdbeben die Schuld geben würde?
3. Hund und Katz
Bis heute weiß ich nicht, wie alt Eisbär ist; ganz gleich jedoch, welches Alter er hat, er benimmt sich keineswegs entsprechend. Noch immer saust er durch die Wohnung, tobt herum, amüsiert sich mit seinen Spielsachen und jagt sein Wollknäuel, als sei er ein kleines Kätzchen.
Aber gerade das ist eine der faszinierendsten Seiten der Katzen. Sie spielen eigentlich ihr Leben lang. Ich muß allerdings ehrlich sagen, manchmal habe ich den Eindruck, daß Eisbärs Benehmen für einen Kater seines Alters nicht mehr ganz angemessen ist. Ab und zu wünsche ich mir, er würde sich ein bißchen mehr Mühe geben, mir nachzueifern, und versuchen, mit Grazie alt zu werden.
Als er damals zu mir kam, meinte Susan Thompson, seine Tierärztin, er sei ungefähr zwei Jahre alt; heute glaubt sie, er könne auch älter gewesen sein, bis zu fünf Jahren. Er ist also jetzt, während ich dies schreibe – zehn Jahre später, wie gesagt –, zwischen zwölf und fünfzehn.
Ich meinerseits bin zwischen sechzig und siebzig. Ich habe keine Probleme mit meinem Alter und wünschte nur, Eisbär nähme sich ein Beispiel an mir und würde nicht jedesmal, wenn ich Besuch habe, wie ein Verrückter in der ganzen Wohnung herumtoben. Ich hatte gehofft, mit den Jahren würde er umgänglicher werden. Von wegen! Er ist ein richtiger alter Griesgram geworden, und jeder weiß, daß das Wort »umgänglich« im Vokabular eines Griesgrams, der auf sich hält, keinen Platz hat.
Anfangs fand ich es hochinteressant, daß Eisbär sich zum Griesgram entwickelt hatte. Ich weiß noch genau, wo wir uns befanden, als es mir das erstemal auffiel – es war schließlich beinahe ein historisches Ereignis. Ich war in der Küche und hatte gerade seine Dose aus dem Kühlschrank geholt – mit dem Futter, das er am Morgen verweigert hatte. Und anstelle des unwirschen »Ajau«, das ich erwartete, hörte ich ganz eindeutig ein Knurren. Ich drehte mich um und sah ihn an. Ich sagte, ich traue meinen Ohren nicht, worauf er – als hätte er genau verstanden, was ich sagte – zuerst sein Futter beäugte, dann mich und dann nochmals knurrte. Diesmal war ich völlig verdattert. Ich hatte tatsächlich richtig gehört. Er hatte geknurrt – und da er ein Kater war und kein Hund, konnte das nur eines bedeuten: Er war ein Griesgram geworden.
Wie ich vorhin schon sagte, fand ich diese Tatsache zuerst hochinteressant. Ich hatte noch nie von einer griesgrämigen Katze gehört und fand, dies wäre ein weiterer Beweis für Eisbärs Einmaligkeit. Aber als ich dann etwas eingehender darüber nachdachte, wurde mir klar, daß sich hieraus ein Problem ergab: Da ich nämlich selbst auch ein Griesgram bin, lebten nun zwei Griesgrame unter einem Dach, und das kann nicht gutgehen. Dabei ist es meiner Ansicht nach gleichgültig, ob es sich um zwei menschliche Griesgrame handelt oder einen Menschen- und einen Katzengriesgram – es ist einfach einer zuviel an Bord.
Ich habe zwei Griesgrame gekannt, die unter einem Dach lebten, und sie sind mir bis heute warnendes Beispiel geblieben. Es waren zwei meiner Onkel, die im selben Haus wohnten. Obwohl sie getrennte Wohnungen hatten, tat es nicht gut. Sie sprachen kein Wort miteinander. Sie hatten schon jahrelang kein Wort miteinander gesprochen.
Höchstens ließen sie sich bei Familienfesten, wie einem Geburtstag oder an Weihnachten, einmal dazu herab, über einen Dritten miteinander zu kommunizieren. Wenn zum Beispiel das Salz vor dem einen stand und der andere es haben wollte, dann forderte er mich auf – meine Mutter setzte mich unweigerlich zwischen die beiden –, »meinen Onkel« zu bitten, das Salz herüberzureichen. Das klappte immer bestens: Der eine Onkel reichte das Salz herüber – aber nicht etwa dem anderen Onkel, sondern mir, und ich gab es dann weiter.
Ich muß der Gerechtigkeit halber hinzufügen, daß einer der Onkel immerhin versuchte, gewisse Regeln für Begegnungen in der Öffentlichkeit aufzustellen. Eines Tages brach er das bis dahin zehnjährige Schweigen, als sie vor ihrem Club zusammentrafen. »Sir«, sagte er zu dem anderen Onkel, »sollen wir uns verneigen, wenn wir einander begegnen? Mir persönlich ist es völlig gleichgültig – ich überlasse die Entscheidung Ihnen.« Der andere Onkel war so verdutzt über diesen plötzlichen Wortschwall nach Jahren der Stille, daß er sich zwar nicht verneigte, aber immerhin kurz nickte. Von da an pflegten sie einander stets kurz und höflich zuzunicken, wenn sie einander begegneten. Aber gesprochen haben sie nie miteinander, und als sie schließlich starben, hatten sie einen Rekord aufgestellt, der, glaube ich, heute noch steht.
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum Griesgram wurde, aber ich glaube, es war in den letzten Jahren meiner verflossenen Ehe. Und ich glaube, ich weiß auch den Grund dafür: Als ich eines Tages in der Zeitung von einer Preisringerin las, ging mir plötzlich auf, daß ein Griesgram wenigstens nur ein Mann sein kann. Frauen können Nörglerinnen sein, aber niemals Griesgrame. Heutzutage können Frauen Pilotinnen und Gewichtheberinnen, Hammerwerferinnen und Jockeys werden; aber Griesgrame niemals! Das soll nicht heißen, daß sie es nicht versuchen. Im Gegenteil! Ich kenne sogar eine Frau, die sich alle Mühe gegeben hat, ein Griesgram zu werden – meine Tante Lolla; aber sie hat nichts weiter erreicht, als ihren Exmann, übrigens einer der beiden Onkel, zum Junggesellen zu machen.
Im Lexikon heißt es, ein Griesgram sei ein »unfreundlicher und reizbarer alter Mann.« Das stimmt natürlich nicht ganz. Gewiß, eine gewisse Reife gehört zur Griesgrämigkeit dazu, aber »alt« – das ist nun wirklich blanker Unsinn. Ursache ist wahrscheinlich, daß Lexika von jungen Leuten verfaßt werden – wer sonst hätte die Zeit dazu? Aber man sollte doch meinen, daß jemandem mit mehr Reife der Fehler aufgefallen wäre und er den jungen Spritzern erklärt hätte, daß zwischen »Alter« und »Reife« ein Riesenunterschied besteht.
Wie dem auch sei, das Lexikon ist wenigstens so anständig, zuzugestehen, daß nur ein Mann ein Griesgram sein kann. Als jedoch Eisbär zum Griesgram wurde, fragte ich mich, ob unter Katzen die Griesgramwürde ebenfalls den männlichen Artgenossen vorbehalten ist. Wenn ich es mir recht überlege, sind mir mehr unfreundliche Katzendamen als Kater begegnet, und es ist gut möglich, daß viele von ihnen, genau wie meine Tante Lolla, danach strebten, Griesgrame zu werden. Ob es ihnen gelungen ist, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, daß es viel saure Arbeit kostet, ein waschechter Griesgram zu werden. Obwohl Eisbär den Bogen im Nu heraus hatte, bezweifle ich, daß eine weibliche Katze die Kunst der Griesgrämigkeit so locker meistern würde wie er.
Da ich in der Woche immer stark eingespannt bin mit meiner Arbeit für den Tierschutz-Fonds, tue ich am Wochenende aus Prinzip nur das, was mir Spaß macht: Ich spiele Schach. Von meiner Wohnung bis zum sogenannten »Schachhaus« im Central Park ist es nicht weit. Das Haus steht auf einem kleinen Hügel, leider in der Nähe des alten Karussells, das immer die gleichen drei schrecklichen Musikstücke herunterleiert, ist aber ansonsten ein sehr angenehmer Ort. Es gibt eine ganze Anzahl Steintische mit Schachbrettplatten, die im Freien stehen, und dort treffen wir alten Schachfans uns zum Spiel. Die Figuren bringt jeder selbst mit. Es gibt auch ein Haus, in das wir uns bei sehr unfreundlichem Wetter zurückziehen, aber das kommt selten vor. Ich habe oft im strömenden Regen draußen gespielt. Wenn man im Vorteil ist, merkt man ihn vor lauter Begeisterung gar nicht. Der Gegner, der auf der Verliererstraße ist, bemerkt den Regen natürlich sehr wohl und möchte dann immer abbrechen. Aber man muß ihn einfach ignorieren und den nächsten Zug machen.
Kurz und gut, eines Samstags machte ich mich wieder einmal für den Park fertig und war nach der Lektüre all der Briefe von Leuten, die ihre Katzen gelehrt hatten, an der Leine zu gehen, fest entschlossen, Eisbär mitzunehmen.
Kaum sah er mich nach dem Geschirr greifen, verschwand er unter dem Bett. Als ich ihn unter Ächzen und Stöhnen hervorgezogen hatte, mimte er den Kranken, röchelte und hustete, als hätte er die galoppierende Schwindsucht. Aber das kenne ich schon. Ohne viel Federlesens steckte ich ihn in sein Geschirr; dann nahm ich ihn in den einen Arm, den Beutel mit meinen Schachfiguren in den anderen und machte mich auf den Weg. Im Park setzte ich Eisbär auf den Boden und vollführte einen kleinen Sprung, um ihm zu zeigen, daß es jetzt Zeit zum Marschieren war. Aber er funkelte mich nur empört an.
Vergeblich machte ich ihn auf Jogger und Radfahrer und andere sportliche Leute aufmerksam. Wir lebten in einer Welt, erklärte ich ihm streng, in der allen die Bedeutung körperlicher Fitneß von Tag zu Tag bewußter würde – selbst ich ginge samstags und sonntags zu Fuß zum Schachspiel und zurück, ohne Rücksicht auf das Wetter –, und jetzt hocke er hier herum und weigere sich, die Füße zu heben. Gut, sagte ich schließlich, wenn er es nicht anders wolle, könne er ja den ganzen Nachmittag auf meinem Schoß sitzen und mir beim Schachspiel zusehen und dabei von Minute zu Minute dicker und kurzatmiger werden.
Ich nahm den Widerspenstigen also wieder auf den Arm, ging zum Schachhaus hinauf und sah verwundert, daß kein Mensch draußen bei den Steintischen war. Ich konnte es nicht fassen – an einem Samstagnachmittag! Drinnen konnten die Spieler doch nicht sein, es fiel ja kein Tropfen Regen.
Da ich wissen wollte, was los war, ging ich bis zur Tür des Schachhauses. Und siehe da, alle waren sie drinnen, obwohl es schönstes Wetter war, und eine Frau von der Parkverwaltung war auch da. Sie klärte mich auf: Die Spieler hatten sich drinnen versammelt, weil ein besonderes Ereignis bevorstand – ein ungarischer Großmeister wurde erwartet, der sich bereit erklärt hatte, gegen uns alle in einer Simultanpartie anzutreten. Als sie mich fragte, ob ich auch teilnehmen wolle, fiel mir ihr merkwürdiges Lächeln auf.
Natürlich würde ich teilnehmen, sagte ich in bestimmtem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, daß ihr ihr komisches Lächeln bald vergehen würde. Ich würde diesem ungarischen Großmeister eine Partie liefern, die er so bald nicht vergessen würde. Ich müsse allerdings, sagte ich, vorher noch meine Assistentin anrufen, da Eisbär keine Lust habe, den ganzen Nachmittag im Schachhaus zu sitzen. Ich sah keinen Grund, diesem ungarischen Großmeister dadurch einen Vorteil zu verschaffen, daß ich während der Partie ständig auf Eisbär achten mußte.
Ich rief also Marian an, meine Mitarbeiterin beim Tierschutz-Fonds, und erklärte ihr, es handle sich um einen Notfall. Ich bat sie, herzukommen und sich um Eisbär zu kümmern, bis ich meine Partie gegen den Großmeister beendet hätte, und versicherte ihr, daß es nicht lange dauern würde.
Marian war nicht begeistert – sie hat bis heute nicht begriffen, daß in der guten alten Zeit jedermann am Samstag den halben Tag zu arbeiten pflegte. Und die Leute waren damals vergnügter. Ich mußte ziemlich lang warten, aber schließlich kam Marian, ich übergab ihr Eisbär und ging hinein zu den anderen, die schon an dem langen Tisch Platz genommen hatten, auf dem etwa zwanzig Schachbretter aufgereiht lagen. Auf der einen Seite, dort wo wir plaziert waren, gab es Stühle; auf der anderen Seite gab es keine, weil ja der Großmeister ständig von Brett zu Brett wandern würde.
Wir warteten gespannt, und dann kam er endlich, der ungarische Großmeister. Ich traute meinen Augen nicht. Ich wußte sofort, warum die Frau von der Parkverwaltung so seltsam gelächelt hatte, als sie mich fragte, ob ich mitmachen wolle.
»Ihr Gegner«, sagte sie zur Einführung, »ist zwölf Jahre alt.« Aber das war noch nicht alles. Der Gegner war nämlich eine Gegnerin.
Die ganze Sache war einfach zu albern. Ich habe wirklich nichts gegen Frauen, die Schach spielen; im Gegenteil, ich finde, das tut dem Spiel gut, und ich habe mich nie geweigert, gegen eine Frau zu spielen oder ihr nützliche Ratschläge zu geben. Aber eine Zwölfjährige – das ging denn doch zu weit. Aber da ich nun einmal zugesagt hatte, wäre es unhöflich gewesen, in letzter Minute einen Rückzieher zu machen.
Ich setzte mich also, wenn auch widerwillig, auf meinen Platz und wartete, bis das Kind zu meinem Brett kam. Ich bemühte mich, nicht gönnerhaft oder selbstgefällig zu sein, aber es fiel mir schwer. Die Kleine konnte kaum auf den Tisch hinaufsehen. Ihre Augen waren gerade auf gleicher Höhe mit den Figuren.
Irgend etwas – ich weiß nicht, was – ging schief. Zuerst verlor ich einen Bauern. Darüber war ich gar nicht glücklich, aber ich schrieb es einem gewissen Leichtsinn zu, der entweder übertriebener Selbstsicherheit oder Geringschätzung oder beidem zusammen entsprang. Ich riß mich jedenfalls schleunigst zusammen. Warum sollte ich der Kleinen diesen Bauern nicht lassen, irgendwann im Lauf des Spiels würde meine männliche Logik sich ja doch als überlegen erweisen. Aber da verlor ich unversehens und einfach unerklärlicherweise einen Springer. Ich konnte es nicht glauben. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Diese Fehlleistung konnte nur auf einer Art geistiger Abwesenheit beruhen, die durch unbewußtes Mitleid mit der Kleinen verursacht war. Schließlich hörte ich, gewissermaßen aus heiterem Himmel, ein winziges Stimmchen, das »Schach!« flüsterte. Und tatsächlich, ich stand im Schach. Ich machte einen Befreiungszug, und da zog sie mit ihrer Dame praktisch über das ganze Brett – ihr dünner kleiner Arm war kaum lang genug – und sagte, wieder mit diesem gräßlich dünnen Stimmchen, leise: »Schachmatt.« Ich war fassungslos. Ich war von einer Zwölfjährigen matt gesetzt worden.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß ich beim Schach ganz gut verlieren kann. Ich meine, weder schmeiße ich die Figuren nach dem Gegner noch werde ich sonstwie tätlich. Es kann nach einem Spiel, das ich wegen eines leichtsinnigen Fehlers verloren habe – wir verlieren immer wegen eines leichtsinnigen Fehlers, nie weil der andere besser ist –, vorkommen, daß ich auf dem Heimweg durch den Park an die umstehenden Bäume ein paar Fußtritte verteile, aber ich tue es immer möglichst dann, wenn niemand mich dabei beobachtet. Diesmal benahm ich mich wie der vollendete Sportsmann. Ich stand auf und schüttelte diesem verflixten kleinen Ding die Hand. Und hinterher stand ich herum und sah zu, wie alle meine Schachkumpel einer nach dem anderen ebenfalls verloren. Ich will nicht behaupten, daß ich genau das erhoffte, aber ich mußte doch an das denken, was Somerset Maugham einmal gesagt hatte: »Wir alle sehen es gern, wenn unsere Freunde vorwärtskommen, aber nicht zu weit.«
Ich kann nicht leugnen, daß ich, als ich hinausging, gegen die Tür trat – aber nur, weil die Tür mir im Weg war. Draußen saß Marian mit Eisbär an einem der Tische in der Sonne. »Ich war ein Weilchen drinnen und hab zugesehen«, sagte sie, »aber Sie haben mich gar nicht bemerkt. Sie haben nicht einmal Eisbär bemerkt.«
Ich erklärte ihr, daß einem das beim Schachspiel immer so geht – man hört und sieht nichts um einen herum.
»Und wie ist es gelaufen?« fragte sie munter.
Ich gab brummig zu, daß ich verloren hatte. »Was, Sie haben verloren?« rief sie. »Gegen dieses kleine Mädchen! Die gegen euch alle gleichzeitig angetreten ist.«
Ich bat sie, doch bitte ihre Stimme etwas zu senken. Es bestand keinerlei Notwendigkeit, meine Niederlage im ganzen Park herumzuposaunen. Im übrigen, erklärte ich ihr, hatte die Kleine in Wirklichkeit gar nicht gegen uns alle zu gleicher Zeit gespielt. Es war eine sogenannte »Simultanpartie« gewesen, und das ist etwas ganz anderes. Ich versuchte, ihr den Unterschied zu erklären, gab es aber gleich wieder auf. »Ich fühle mich nicht wohl«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin krank.« Aber Marian ließ es damit nicht gut sein.
»Naja«, sagte sie, »wenigstens haben Sie das nicht schon gesagt, ehe das Turnier losging. Da konnte sie hinterher nicht behaupten, sie hätte in vierzig Jahren Turnierpraxis noch nie einen Mann besiegt, der völlig gesund war. Außerdem ist sie dazu ja auch noch nicht alt genug.«
Das ist das Schlimme an Marian, sie hat ein Gedächtnis wie ein Elefant und erinnert sich an alles. Ich kann bis heute nicht verstehen, warum Gott so vielen Frauen ein gutes Gedächtnis und so vielen Männern ein absolut schlechtes Gedächtnis mitgegeben hat. Wo wir Männer ein gutes Gedächtnis doch viel dringender brauchen. Frauen erinnern sich ja sowieso immer nur an Dinge, die für uns peinlich sind. Das hier war wieder mal ein typisches Beispiel. Es ist schlimm genug, daß Marian meine Lieblingsanekdötchen samt und sonders im Kopf hat, aber dann auch noch in einem solchen Moment auf eine davon anzuspielen – zumal sie von Schach keine Ahnung hat –, das war wirklich die Höhe. Wenn Frauen schon ein so gutes Gedächtnis haben, warum können sie dann nicht daran denken, daß es manchmal gut ist, sich gewisser Dinge nicht zu erinnern?
Wie dem auch sei, auf dem Weg nach Hause versuchte ich ihr zu erklären, daß der Spieler, der gegen eine ganze Gruppe von Gegnern antritt, im Vorteil ist. Erstens nämlich bekommt der Einzelherausforderer die weißen Figuren, und das ist an sich schon ein Vorteil. Zweitens muß er seinen Zug erst dann machen, wenn er an das nächste Brett herantritt, wogegen der andere ziehen muß, sobald der Herausforderer kommt. Das heißt, der ganze Druck lastet auf den Gruppenspielern und nicht auf dem Einzelherausforderer – oder in diesem besonderen Fall der Herausforderin.
Ich hatte mich gerade so richtig in Hitze geredet, als plötzlich ein wuscheliges weißes Tier auf uns zusprang, das Marian und ich, aber bestimmt auch Eisbär, im ersten Augenblick für ein Schaf hielten.
Wir befanden uns gerade in einem Teil des Parks, der Schafswiese genannt wird, obwohl dort seit Menschengedenken kein Schaf mehr gesichtet worden ist. Und das Tier, das uns gewissermaßen in den Schoß gesprungen war, war natürlich auch kein Schaf, sondern ein altenglischer Schäferhund – beinahe das genaue Abbild des allerersten Hundes, den ich besessen hatte. Ich beugte mich über ihn, um ihn zu streicheln, obwohl mir das einige Mühe machte, da Eisbär mir bei der zutraulichen Annäherung des jungen Hundes buchstäblich auf den Kopf gesprungen war und sich nun mit beiden Vorderpfoten in meine Ohren krallte, während er in höchster Empörung fauchte. Ich glaube, er war vor allem deshalb so außer sich, weil er noch nie in seinem Leben einen altenglischen Schäferhund gesehen und nicht die blasseste Ahnung hatte, was das für ein Wesen war. Auf jeden Fall aber war es ihm viel zu groß und zu ungestüm, und er fand wohl, es hätte in der Nähe eines kultivierten Katers nichts zu suchen.
Das Tier war offensichtlich entlaufen, und Marian und ich sahen unsere erste Aufgabe darin, seinen Besitzer zu finden. Da der Hund weder Halsband noch Leine trug, schlug Marian vor, ich solle meinen Gürtel abnehmen und ihn dem Hund umlegen. Ich protestierte. Zwar halte ich mich, wie ich schon sagte, durch regelmäßige Märsche zum Schachhaus fit, aber ich bezweifelte stark, daß meine Hose ohne den Gürtel nicht abwärts sausen würde, zumal ich ja keine Hand frei hatte, da ich Eisbär halten mußte.
Aber Marian wollte von meinen Protesten nichts hören. Sie nahm mir Eisbär ab und wies mich an, nun endlich den Hund an die provisorische Leine zu nehmen. Und so machten wir uns schließlich wieder auf den Weg, voran der Hund – von dem wir hofften, er führe uns in die Richtung, aus der er gekommen war –, und ich hinterher, die eine Hand krampfhaft um den Gürtel, die andere ebenso krampfhaft um meinen Hosenbund gekrallt. Unterwegs unterhielt ich Marian zu ihrer Erbauung mit einer kurzen Zusammenfassung all der prächtigen Eigenschaften des altenglischen Schäferhunds, die auf meinen Erinnerungen an meinen ersten Hund, Brookie, basierte. Ich erzählte, wie lieb diese Hunde seien, wie kinderfreundlich und wie lustig anzusehen, wenn sie vor Freude statt mit dem Stummelschwanz gleich mit dem ganzen Hinterteil wackelten. Man hätte zwar den Eindruck, sagte ich, sie könnten vor lauter Zottelhaar, das ihnen ins Gesicht hing, gar nichts sehen, tatsächlich jedoch besäßen sie sehr scharfe Augen. Ich mußte allerdings zugeben, daß Brookie nie sehr gut gesehen hatte; alles Gute, das ihm begegnete, pflegte er unweigerlich anzubellen oder anzuknurren, alles Schlechte hingegen mit freudigem Hinterteilgewackel zu begrüßen und abzulecken. Zum Schluß erwähnte ich noch, daß diese Hunde ausgesprochen mutig seien und sehr loyal, aber dennoch sehr wanderfreudig, gern streunten und sich daher immer wieder einmal verliefen.
Da es, wie wir wußten, im Park nicht viele altenglische Schäferhunde gab, bestand eine gute Chance, daß wir, wenn schon nicht den Besitzer des Hundes, so doch jemanden finden würden, der ihn kannte und uns zu seinem Besitzer führen konnte. Leider jedoch begann es schon dunkel zu werden, und da der Central Park sehr groß ist, wurden unsere Chancen, den Besitzer des Hundes oder einen seiner Bekannten zu finden, immer geringer. Wir begegneten ganz im Gegenteil nur Leuten, die an uns herumkritisierten. Eine Frau sagte voller Empörung zu mir: »Sie sollten sich schämen! Diese Leine ist für einen so großen Hund viel zu kurz!« Und ein Mann regte sich über Marian und Eisbär auf. »Sehen Sie denn nicht, daß die Katze vor dem Hund Todesangst hat?« sagte er. »Bringen Sie sie doch nach Hause.«
Am Ende entschieden wir uns, den Rat des Mannes zu befolgen. Es war gut möglich, daß der Hundebesitzer längst zu Hause am Telefon saß und sämtliche Tierheime und die Polizei über das Verschwinden seines Hundes informierte. Wir hielten es für das beste, uns ebenfalls ans Telefon zu hängen und den geeigneten Stellen das Auftauchen eines entlaufenen Hundes zu melden.
Eisbär vermerkte mit unverhohlener Entrüstung, daß wir mitsamt dem Hund ins Haus traten und im Aufzug nach oben fuhren. Ihm schwante wohl schon, daß dieses Untier dubioser Herkunft in sein Allerheiligstes eingelassen werden würde. Marian hatte ihn auf dem Arm, als wir in die Wohnung traten, und ich hatte noch immer den Hund an der provisorischen Leine – aber nicht mehr lang. Kaum waren wir im Flur, riß der Hund sich los und rannte schnurstracks in die Küche. Dort schlabberte er erst einmal Eisbärs Wasser auf und machte sich dann über den Napf mit den Katzenbiskuits her, die Eisbär am liebsten fraß. Als Eisbär das mitbekam, stieß er sich laut fauchend mit voller Kraft von Marians Busen ab und sprang mit einem wütenden Satz und langen Krallen auf den Schäferhund los.
Ich bewährte mich auch in dieser Krise. Nicht umsonst war ich einer der besten Fänger der Baseballmannschaft unserer Schule gewesen. Meine Hose völlig vergessend, ging ich instinktiv in die Hocke und streckte blitzschnell ein Bein aus, um den Napf oder, genauer gesagt, den Kopf des Hundes zu schützen, der noch im Napf hing. Gleichzeitig streckte ich mit geöffneten Händen, als wolle ich einen Ball fangen, beide Arme aus, um den durch die Luft fliegenden Angreifer, nämlich Eisbär, zu stoppen. Und ich schaffte es. Eisbär kam nie bis zum Napf, nur mein Fuß donnerte gegen den Kopf des Schäferhunds. Dafür fing ich Eisbär ohne Handschuh und bekam natürlich an beiden Händen einige saftige Kratzer ab.
Dennoch versicherte ich Marian, während ich Eisbär hoch über meinem Kopf hielt, es wäre nichts, nur ein kleiner Kratzer. Nicht einmal der verdiente Moment des Triumphs wurde mir zuteil, da der Hund, der inzwischen das letzte Biskuit verschlungen hatte, nun auch mitspielen wollte und mit beiden tolpatschigen Pfoten nach Eisbär schlug. Immerhin hatte ich meine Pflicht getan und gestattete Marian großzügig, den Rest zu tun, da mein Anzug dank der gürtellosen Hose immer noch äußerst risque war. Auch sie machte ihre Sache gut. Sie schob sich zwischen mich und den Hund, packte das Ende des Gürtels und zog ihn zum Kamin.
»Bringen Sie Eisbär ins Schlafzimmer«, befahl sie. »Ich bleibe mit dem Hund hier und fange schon mal an zu telefonieren.«
Der Schäferhund folgte ihr gehorsam, drehte sich nach Hundeart vor dem Kamin einmal im Kreis und legte sich dann hin. Ich glaube, er war schon fest eingeschlafen, noch ehe Eisbär, der ihn von meiner Schulter aus scharf beobachtete, überhaupt begriffen hatte, was er da tat. Aus irgendeinem Grund machte Eisbär die Selbstverständlichkeit, mit der der Hund sich vor dem Kamin zusammenrollte, noch wütender als der Überfall auf sein Futter. Er fing wieder an, lauthals zu fauchen und dazu, wenn ich nicht irre, zornig zu spucken. Ich ermahnte ihn, gefälligst seine Manieren nicht zu vergessen – der Hund sei immerhin unser Gast. Aber es war verlorene Liebesmüh, und das wußte ich auch. Ohne weiteres Theater nahm ich Eisbär mit ins Schlafzimmer und schloß die Tür. Während er dort wutschnaubend hin und her rannte, ging ich zum Bett und legte mich hin. Ich fühlte mich reif für ein Nickerchen. Schachspielen ist sehr anstrengend – besonders wenn man verliert.
Beinahe augenblicklich war ich im Traumland. An dieser Stelle möchte ich ein Wort über meine Träume sagen. In jüngeren Jahren hatte ich nicht immer gute Träume, jedenfalls nicht in dem Sinn, daß sie gut ausgingen. Aber sie waren immer gut in dem Sinn, daß sie gut inszeniert waren. Sie hatten einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluß. Immer waren sie mit großem Ensemble besetzt, man kam viel herum in ihnen, und immer war ein hübsches Mädchen dabei. Zwar kriegte man sich am Ende nicht immer, aber was machte das schon aus.
Heute sind meine Träume – wie viele Dinge meiner Erfahrung nach – nicht mehr das, was sie einmal waren. Sie sind eigentlich nur noch Vergeudung wertvoller Schlafenszeit. Ich habe seit Jahren keinen Traum mehr gehabt, der nicht eine völlig neue Dramaturgie, einen neuen Regisseur und wahrscheinlich auch einen neuen Produzenten hätte vertragen können.
Der Traum dieses Nachmittags war ein typisches Beispiel. Ich erwartete, vom Schach zu träumen, aber das geschah natürlich nicht. Statt dessen träumte ich von meinem alten englischen Schäferhund. Dagegen hätte ich überhaupt nichts einzuwenden gehabt, wäre es ein Traum der guten altmodischen Art gewesen. Aber so einer wurde es nicht. Der Traum, der mir beschert wurde, war von Anfang bis Ende nichts weiter als eine Komödie der Irrungen, voller Verleumdungen über mich und Brookie.
Er fing damit an, daß Brookie aus dem Laderaum eines Lastwagens sprang, mich umriß und attackierte. Ausgerechnet Brookie! Der Hund, der nie in seinem Leben mich oder sonst jemanden angegriffen hatte, der es nicht verdiente und den ich vom ersten bis zum letzten Tag seines Lebens von Herzen geliebt habe, ja den ich heute noch liebe. Der Traum wollte mir wohl eine Erinnerung an den Tag von Brookies Ankunft bei uns vorgaukeln, aber in Wirklichkeit ereignete sich alles ganz anders. In Wirklichkeit kam Brookie an einem Weihnachtsmorgen, als ich acht Jahre alt war, in einer großen Kiste in einem Lieferwagen bei uns an. Meine Großmutter hatte ihn mir geschenkt, nachdem ich ihr in einem Bilderbuch über Hunde gezeigt hatte, welcher von den Hunden mir am besten gefiel. Sobald der Lieferwagen vor dem Haus hielt, rannten wir alle hinaus, ich, meine Großmutter, die ganze Familie, und als der Mann mit Hammer und Schraubenzieher den Deckel der Kiste aufstemmte und ich Brookie das erstemal sah, bekam ich vor lauter Aufregung einen Asthmaanfall. Meine Mutter legte mich kurzerhand auf die Straße, und ehe ich’s mich versah, stand Brookie über mir und leckte mir das Gesicht. Aber von einem Angriff konnte keine Rede sein. Es war vielmehr einer der glücklichsten Augenblicke meiner Kindheit.
Die nächste Szene in meinem verdammten Traum zeigte meinen Bruder und mich bei einem bewaffneten Überfall auf unsere frühere Köchin, und gleich darauf standen wir wegen Aktienschwindels vor Gericht.
Wieder war in Wirklichkeit alles ganz anders gewesen. Eines Sommers waren mein Bruder und ich knapp bei Kasse und gingen zu meinem Vater, um ihn um ein höheres Taschengeld zu bitten. Mein Bruder bekam 35 Cents die Woche, und ich bekam 25. Eine Erhöhung wurde uns nicht gewährt. Daraufhin beschlossen wir, nach Boston zu fahren und unseren Onkel zu besuchen, der Börsenmakler war. Wir dachten, er könnte uns vielleicht weiterhelfen. Er schlug uns vor, Aktien zu kaufen, aber uns war sofort klar, daß wir bei 35 und 25 Cents die Woche auf keinen grünen Zweig kommen würden, zumal Aktien, wie unser Onkel uns erklärte, auch fallen konnten. Da wir den Eindruck hatten, daß unser Onkel recht gute Geschäfte machte, fragten wir ihn, was für Aktien er denn kaufe – wir hofften, wenn wir seinem Beispiel folgten, würden wir schneller zu Vermögen kommen. Als er uns verriet, daß er immer verdiente, ganz gleich, ob die Aktien stiegen oder fielen, stand für uns fest, was wir werden wollten – Börsenmakler.
Der einzige Haken war natürlich, daß wir keine Aktien zu verkaufen hatten. Dem halfen wir ab, indem wir selbst Aktien herstellten. Wir verwendeten viel Zeit darauf, Zertifikate zu zeichnen, und machten uns sogar die Mühe, Börsenzulassungsanträge herzustellen, die wir allen unseren Kunden kostenlos überließen. Für einige der Aktien zahlten wir sogar Dividenden; Nahrungsmittelpapiere, zum Beispiel, die wir steigen oder fallen ließen, je nachdem, ob uns das Essen zu Hause schmeckte oder nicht, zahlten einen Cent die Woche, und wir bezahlten diese Dividende aus eigener Tasche. Brookie zu Ehren kreierten wir auch eine Aktie für Tiernahrung. Auch hier richtete sich der Kurs danach, ob Brookie sein Futter schmeckte oder nicht. Aber da Brookie sein Fressen eigentlich immer schmeckte, beschlossen wir nach einer Weile, den Kurs dieser Aktie ebenfalls davon abhängig zu machen, ob unser Essen uns zusagte oder nicht. Wir schufen noch ein ganzes Bündel anderer Aktien – Wetter, Haus und Heim, Automobil, Schule und Sport.
Natürlich brauchten wir Abnehmer für unsere Aktien, aber es war nicht etwa so, daß wir die Dienstboten ausraubten, wie es im Traum dargestellt wurde, nein, wir gaben ihnen lediglich eine Chance, in ein gutes Geschäft einzusteigen. Der Köchin beispielsweise verkauften wir Nahrungsmittelaktien – sie begriff sehr schnell, was wir am liebsten aßen; dem Gärtner verkauften wir Wetteraktien, dem Chauffeur Automobilaktien, und es gelang uns sogar, das Zimmermädchen mit ein paar Haus- und Heimpapieren zu beglücken, obwohl das großer Überredungskunst bedurfte, da sie noch nie von Aktien gehört hatte. Von unseren Schulfreunden stiegen einige mit einer Schulbeteiligung, andere mit Sportaktien ins Geschäft ein. Und ruckzuck mußten wir nicht mehr mit lumpigen fünfundzwanzig beziehungsweise fünfunddreißig Cents in der Woche auskommen, sondern schwammen im Geld. Ab und zu kam es vor, daß irgendein Spielverderber seine Aktien abstoßen wollte; wir pflegten den Betreffenden dann sorgfältig darüber aufzuklären, daß dies gegen gute amerikanische Wirtschaftstradition verstieße, aber wenn er bei seinen Verkaufsabsichten blieb, ließen wir ihn gewähren, solange er selbst sich um den Verkauf kümmerte und wir eine kleine Provision bekamen. Wir hauten nun aber keinesfalls wie ein paar neureiche Parvenüs auf die Pauke – wir kauften nur das Lebensnotwendigste. Ich erinnere mich, daß wir uns beispielsweise per Nachnahme zwei neue Baseballhandschuhe zulegten. Am Abend, als wir mit Brookie draußen Baseball spielten, sah mein Vater bei seiner Heimkehr die neuen Handschuhe und wollte wissen, woher wir sie hätten. Wir sagten ihm die Wahrheit – wir sagten, wir hätten sie durch Aktienverkauf erworben.
Das Ende der Geschichte wurde im Traum völlig entstellt. Was nämlich am Ende passierte, war in Wirklichkeit ganz einfach verdammtes Pech. Das Zimmermädchen, das in irgendeiner dringenden Familienangelegenheit nach Hause reisen wollte, bat meinen Vater um ein kleines Darlehen. Mein Vater fragte, ob sie denn für solche Fälle nichts gespart hätte. Daraufhin brach sie in Tränen aus und sagte, doch, aber es wäre alles in Aktien angelegt. Er gab ihr einen tröstenden Klaps auf die Schulter und meinte, da solle sie sich keine Sorgen machen, sie könne die Aktien jederzeit verkaufen. Worauf sie neuerlich zu weinen anfing und sagte, das hätte sie schon versucht, aber niemand wolle sie haben. Da fragte mein Vater, wer ihr denn die Aktien verkauft habe, und dabei kam natürlich heraus, daß wir es gewesen waren und uns jetzt weigerten, die Aktien zurückzunehmen.
Nach eingehender Beratung mit unserem Vater beschlossen wir, den Dienstboten ihr Geld zurückzugeben. Wir fanden, unser Vater zeige herzlich wenig Verständnis in dieser Situation, und sein Verständnis nahm weiter ab, als wir ihm erklärten, durch die von ihm angeordneten Maßnahmen würde ein Börsenkrach heraufbeschworen, der vielleicht auch unsere Schulfreunde in Mitleidenschaft ziehen würde. Daraufhin mußten wir denen ihr Geld auch zurückgeben, und die schönen Baseballhandschuhe mußten wir verkaufen.
Um auf diesen hanebüchenen Traum zurückzukommen, so war der dritte Teil genauso absurd wie die beiden ersten Teile. In diesem dritten Teil fuhren Brookie und ich auf hoher See; ich rammte ein feindliches Schiff, das ruhig vor Anker lag, und Brookie stürzte über Bord. Alles Verleumdung. Erstens war das Boot, das ich rammte, ein Motorboot; zweitens ist Brookie nie über Bord gegangen. Und drittens habe ich nicht einfach absichtlich ein vertäutes Boot gerammt. Ich tat es aus einem zwingenden Grund. Ich tat es, um Brookie zu retten.
Die wahre Geschichte begann in Peaches Point, in der Nähe von Marblehead, wo wir, wiederum in einem der fetten Jahre, den Sommer verbrachten. Mein Vater hatte ein großes Rennboot, eine »Q«, wie die Boote dieser Klasse hießen, und einen Mann dazu, der das Messing des Steuerrads, der Winden und der Spannschrauben polieren mußte. Ich meinerseits hatte ein kleines Katboot und hatte mich in diesem Sommer mit einem anderen Katbootskapitän zu einem Rennen verabredet. Der Verlierer würde den ganzen Sommer über der Schiffsjunge des Siegers sein. Ich gewann das Rennen.
Tja, nun hatte ich zwar einen Schiffsjungen, aber ich wußte nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. An meinem Boot gab es nämlich kein Messing, das er hätte putzen können. Einem geringeren Skipper wäre dieses Problem vielleicht unlösbar erschienen, aber nicht mir. Mit Brookie an Bord hißte ich die Segel der Eagle, so hieß mein Boot, und nahm Kurs auf den Hafen von Marblehead und die berühmte Graves-Werft.
Als ich anlegte, kam Selden Graves, der Eigentümer der Werft, persönlich an das Pier, um mich zu begrüßen. Er war ein hoch aufgeschossener, wortkarger Mensch, aber in dem verwitterten Gesicht spielte immer der Anflug eines Lächelns.
»Hallo, Käpt’n Amory«, sagte er und gab Brookie einen freundlichen Klaps. »Was kann ich für dich tun?«
Ich erklärte ihm, ich wolle für die Eagle ein Steuerrad mit viel Messing haben, weil ich bei einem Rennen einen Schiffsjungen gewonnen hätte und der jetzt nichts zu polieren habe. Mit ernster Miene sah Graves sich mein kleines Boot an.
»Hm«, meinte er, »ich kann mich nicht erinnern, daß wir ein Katboot schon mal mit einem Steuerrad ausgestattet haben, aber ich wüßte nicht, warum es nicht möglich sein sollte. Du und Brookie müßt aber auf den Draht achten. Er verläuft dann genau hier.«
Er zeigte mir den Verlauf des Drahts, der sich in der Mitte quer durch das Boot ziehen und an den Seiten nach rückwärts zum Ruder laufen würde. Ich versicherte ihm, der Draht werde mich nicht stören, und Brookie sicher auch nicht.
Noch am selben Nachmittag bekam ich mein Steuerrad und segelte bei einer schönen steifen Brise heimwärts. Brookie lag wie immer, die Nase in den Wind gereckt, in dem kleinen Raum zwischen einer der Fockstangen und dem Mast. Aber als wir uns Peaches Point näherten, hatte der Wind stark aufgefrischt, und während ich mit knatterndem Segel auf den Pier zuhielt, merkte ich zum erstenmal, daß sich mit einem Rad nicht so leicht steuern ließ wie mit einem Ruder. Gleichzeitig wurde mir klar, daß ich es bei diesem scharfen Wind nicht zu meinem Liegeplatz schaffen würde; ich mußte wenden und einen neuen Anlauf nehmen. Als ich das tat, steuerte ich genau auf ein großes Motorboot zu, das dem reichsten Bewohner von Peaches Point gehörte. Ich weiß nicht, was für einen Namen es trug; wir nannten es immer nur die Rote Gefahr, weil es knallrot war.
Daß mein Traum es mir so hinstellen wollte, als hätte ich das Boot absichtlich gerammt, war empörend. Ich hatte überhaupt keine Wahl. Wenn ich versucht hätte zu lavieren, um das Heck der Gefahr zu umrunden, hätte ich das bei diesen starken Böen niemals geschafft. Und wenn ich zu kreuzen versucht hätte, wäre Brookie, der auf der Leeseite hockte, über Bord gegangen. Kurz und gut, wir rumsten also gegen die Gefahr. Brookie prallte erst gegen die Bootswand und dann wieder zurück in mein Boot. Er wäre genau auf den Draht gefallen, wenn ich ihn nicht gepackt hätte. Ich hielt ihn fest, und wir schlugen ein paarmal krachend gegen die Gefahr, ehe wir zu ihrem Heck abgetrieben wurden. Ich hatte hinreichend Gelegenheit, mir ein Bild von dem Schaden zu machen, den ich angerichtet hatte. Die Eagle hatte genau an der Wasserlinie ein Loch in die Gefahr geschlagen, und es war kein kleines Loch. Ich sah, wie das Wasser glucksend hineinströmte.
Als guter Segler wußte ich, was ich zu tun hatte, und hielt direkt auf den Pier zu. Nachdem ich das Segel eingeholt hatte, machte ich das Boot einfach an einer Klampe fest und rannte mit Brookie an der Seite zum Haus des Eigentümers der Gefahr.
Er kam selbst zur Tür.
»Oh, hallo, Clippie«, rief er, meinen Spitznamen gebrauchend. »Und Brookie auch!« Er gab ihm einen Klaps. »Kommt herein, ihr beiden. Möchtet ihr etwas zu trinken? Ich werde James gleich sagen, daß er Brookie eine Schale Wasser holen soll.«
Ich sagte hastig, wir wären beide nicht durstig, ich müßte ihn dringend sprechen. Es sei etwas passiert.
Er tätschelte mir den Kopf. »Ach, so eilig wird das nicht sein, Clippie«, sagte er.
Ich entgegnete, es sei sogar sehr eilig, und während er James befahl, für Brookie Wasser zu bringen, gestand ich ihm, daß ich ein Loch in sein Boot geschlagen hatte.
Aber nicht einmal das schien ihn zu kümmern. »Mach dir keine Sorgen«, meinte er. »Ich sag meinem Mann Bescheid, und der repariert das morgen. Komm, setz dich.«
»Sir«, rief ich aufgeregt. »Das geht nicht. Das Boot sinkt.«
Erst da lief er zum Fenster und sah zu seinem Schiff hinaus, das zwar noch nicht sank, aber immerhin inzwischen ganz schön Schlagseite hatte.
»Du lieber Gott!« rief er und rannte, ohne weiter auf mich zu achten, zum Pier hinunter.
James, der inzwischen das Wasser für Brookie gebracht hatte, reichte mir ein Glas Orangenlimonade. Aber ich war überhaupt nicht durstig, und Brookie ebensowenig. Brookie wußte immer sofort, wenn etwas nicht in Ordnung war, und der Traum tat ihm genauso unrecht wie mir.
Der vierte Teil des Traums war so verlogen wie alles andere und schlug dem Faß wirklich den Boden aus. Brookie und ich befanden uns plötzlich in der Todeszelle, und wir saßen dort, weil wir beide des Mordes für schuldig befunden worden waren. Wir hatten angeblich die Erzieherin ermordet.
Die ganze Hintergrundgeschichte fehlte wie bei allen anderen Traumteilen. Ich hatte die Erzieherin nicht ermordet – ich hatte nur versucht, sie außer Gefecht zu setzen. Der Hintergrund war sehr wichtig. Es war nämlich so: Nachdem unsere letzte Erzieherin gegangen war, beschlossen meine Eltern, eine neue zu engagieren. Mein Bruder und ich waren mit diesem Beschluß absolut nicht einverstanden. Erzieherinnen mochten für Heulsusen ganz in Ordnung sein, auch noch für unsere Schwester – sie war vier –, aber zwei erwachsenen Männern von achtdreiviertel und elfeinviertel eine vor die Nase zu setzen, war eine Beleidigung.
Die Frauen, die sich um den Posten bewarben, wurden jeweils von meinen Eltern zu einem Gespräch gebeten, das im Wohnzimmer stattfand. Nachdem mein Bruder und ich Kriegsrat gehalten hatten, beschlossen wir, zunächst einen Späher nach unten zu schicken, der das Gespräch mit der Kandidatin belauschen sollte. »Wir müssen auf die Achillesferse achten«, erklärte mein Bruder mir streng. »Jede von ihnen hat eine Achillesferse, wir müssen sie nur finden.«
Ich hatte keine Ahnung, was eine Achillesferse war, aber ich dachte mir, wenn ich die Erzieherin dazu bringen könnte zu laufen und ihr dann Brookie hinterherhetzte, würde der sie schon in die Achillesferse zwicken. Das tat er nämlich mit Vorliebe.
Kurz und gut, bei den ersten beiden Erzieherinnen klappte unser Kriegsplan ausgezeichnet. Die eine ging gleich am ersten Tag wieder. Unsere Aufklärungstätigkeit hatte erbracht, daß sie vor Hunden Angst hatte. Wir rieten ihr also dringend, Brookie fernzubleiben, da er Frauen nicht möge und früher einmal Polizeihund gewesen sei. Bei der zweiten Erzieherin brauchten wir länger. Sie hatte nichts gegen Brookie, aber sie legte Wert auf ihre freien Abende. Keinesfalls wollte sie nach Arbeitsschluß von uns gestört werden, erklärte sie unseren Eltern. Unser Kriegsplan für diese Dame sah die Mitwirkung eines unserer Freunde vor. Joe Burnett hatte sich mit seinen Eltern gestritten und wollte durchbrennen. Er wollte in den Westen, erzählte mir mein Bruder, und würde sich irgendwie durchschlagen müssen, aber vor seinem Aufbruch wollte er bei uns vorbeikommen und Proviant laden.
Joe wollte in den frühen Morgenstunden aufkreuzen. Falls wir noch nicht auf sein sollten, würde er ein Steinchen an unser Zimmerfenster werfen, um uns zu wecken. Aber anstatt Joe zu sagen, wo unser Zimmer war, zeigte ihm mein Bruder das Zimmer der Erzieherin.
Es klappte alles wie am Schnürchen. Mein Bruder hatte herausgefunden, daß die Erzieherin einen sehr gesunden Schlaf hatte, und als Joe es, genau wie wir gehofft hatten, müde wurde, Kieselchen nach Kieselchen an die Scheibe zu werfen, ohne daß sich etwas rührte, schleuderte er schließlich einen richtigen Stein hinauf, der durch das Fenster mitten ins Schlafzimmer der Erzieherin flog. Joes Fluchtpläne waren damit leider vereitelt, da unsere Eltern sofort die seinen informierten, aber wir konnten uns ins Fäustchen lachen. Schon am Mittag hatte die Erzieherin unser Haus verlassen.
Die dritte Erzieherin allerdings war eine harte Nuß. Sie war Engländerin, hieß Miß Quince und schien überhaupt keine Achillesferse zu haben. Das einzige, was sie nicht mochte, waren, wie wir erkundeten, Spiele jeglicher Art. Aber obwohl wir sie stundenlang mit Domino und Mah-Jongg, mit Mühle und Dame, ja sogar mit Krocket auf Trab hielten, konnten wir sie nicht vertreiben.
Doch zurück zu dem Traum, der vorspiegelte, Brookie und ich hätten sie getötet und säßen nun deshalb in der Todeszelle. Das war natürlich absurd. In Wirklichkeit war es ganz anders: Eines späten Nachmittags, kurz vor dem Abendessen, spielten mein Bruder und ich mit Miß Quince Krocket. Ich hatte gerade ihre Kugel ins Gebüsch gestoßen und hatte noch zwei Schläge auf das letzte Tor. In diesem Moment verkündete Miß Quince – sie war eine echte Spielverderberin –, es sei Zeit zum Abendessen und das Spiel beendet. Ich tat gar nichts Schlimmes, ich sagte ihr nur, was ich von ihrer Entscheidung hielt, aber da stürzte sie schon auf mich los. Ich packte meinen Schläger, schwang ihn einmal im Kreis über meinen Kopf und zog ab. Ich zielte wirklich nicht auf ihren Kopf, ich zielte auf ihre Achillesferse. Aber da sie direkt auf mich zukam, konnte ich kaum damit rechnen, diese zu treffen. Ich traf sie statt dessen unter dem Knie, und sie fiel um wie ein gefällter Baum. Sie stand auch nicht wieder auf. Mein Bruder und Brookie waren zuerst bei ihr. Mein Bruder sah sie lange aufmerksam an. »Ich glaube«, sagte er dann sachlich, »du hast sie umgebracht.«
Das stimmte natürlich nicht. Der Traum übertrieb die ganze Geschichte maßlos und ließ den springenden Punkt völlig außer acht: daß mein Bruder und ich nämlich einen großen Sieg errungen hatten. Am folgenden Morgen ging Miß Quince, und meine Eltern beschlossen, nur noch für meine Schwester eine Erzieherin zu engagieren – da mein Bruder und ich dafür inzwischen zu groß seien. Sicher, ich bekam nach diesem Zwischenfall die schlimmste Tracht Prügel meines Lebens, aber mit einer Exekution war das keineswegs zu vergleichen. Und wäre Brookie bestraft worden, wie das im Traum dargestellt wurde, so wäre das ein schrecklicher Justizirrtum gewesen. Während mein Bruder und ich Miß Quince nur anstarrten, solange sie dalag, rannte Brookie schnüffelnd um sie herum und versuchte, ihr Gesicht zu finden. Und das brachte Miß Quince schließlich wieder auf die Beine. Sie hatte nichts gegen Brookie, aber seine Vorstellung von künstlicher Beatmung behagte ihr nicht sonderlich.
Das Finale des Traums war der absolut schlimmste Teil. Wieder sollten Brookie und ich hingerichtet werden, diesmal jedoch von einem Exekutionskommando, das aus lauter schwarzgekleideten Nonnen bestand. Eine von ihnen kam mit zwei Taschentüchern auf uns zu, um uns die Augen zu verbinden.
Und wieder fehlte die ganze Hintergrundgeschichte, wieder ging der Traum auf den wahren Konflikt nicht ein. Er spielte in meiner ersten Schule, die ganz in der Nähe unseres Hauses lag – darum war Brookie auch immer dort – und außerdem neben einem Nonnenkloster. Immer wieder beschwerten sich die Nonnen über den Lärm, den wir in der Pause machten, und eines Tages, als wir gerade wie immer »Gefangene befreien« spielten, kam es zur großen Krise. Brookie und ich hatten eben einen heldenhaften Lauf hingelegt und alle unsere Gefangenen durch Handschlag befreit, da standen plötzlich die Mutter Oberin und eine Schar Nonnen im Hof und redeten auf die Pausenaufsicht ein. Keine zwei Minuten später erklärte die Pausenaufsicht unser Spiel für beendet.
Da ich der Teamkapitän unserer Mannschaft war, oblag es mir zu protestieren. Sofort waren Brookie und ich von Nonnen umgeben, Brookie bellte, während ich versuchte, den Sachverhalt aus meiner Sicht zu erklären, aber noch ehe ich meine Argumente vorbringen konnte, landeten wir alle zusammen im Rektorat bei Miß Pitts, nur Brookie durfte nicht hinein.
Miß Pitts glaubte unbesehen alles, was die Mutter Oberin und die Nonnen ihr erzählten, und mir glaubte sie nicht ein einziges Wort.
Ich war zehn, als das alles passierte, und die Lehre, die ich für mich daraus zog, war, daß es Zeiten gibt, wo Gerechtigkeit nicht zu erwarten ist. Aber die Hinrichtung im Traum war der reine Unsinn. In Wirklichkeit fiel meine Strafe ganz anders aus. Ich mußte jeden Tag vor der Pause zu Miß Pitts ins Rektorat, wo sie mir dann ein Taschentuch vor den Mund band, das ich die ganze Pause nicht herunternehmen durfte. So ging das bis Weihnachten.
Aber die Augen wurden mir kein einziges Mal verbunden. Und so schlimm fand ich den verbundenen Mund gar nicht mehr, nachdem ich mich einmal daran gewöhnt hatte. Ich hatte zwar etwas Mühe, meiner Mannschaft ihre Befehle zu geben, aber sie hatten schnell begriffen, daß sie einfach ein bißchen näher herankommen mußten. Mir paßte das besonders gut, wenn meine Mitspieler Mädchen waren. Als Ausrede erzählte ich allen, ich hätte einen sehr empfindlichen Mund und müßte ihn vor Kälte schützen. Ich erzählte das nicht, weil ich Mitleid haben oder als Held gelten wollte. Ich erzählte es, weil ich nicht bereit war, mich von Miß Pitts und diesen Nonnen niedermachen zu lassen.
Beim Erwachen hatte ich das Gefühl, daß ich irgend etwas von meinen Augen oder meinem Mund wegschob, ich weiß nicht mehr genau. Wie dem auch sei, ich schaute mich um und sah, daß Eisbär immer noch an der Tür kratzte. Eine Zeitlang blieb ich ruhig liegen und fragte mich, wie lange er das schon tat – ich hatte gehört, daß man innerhalb von Sekunden unheimlich viel träumen kann. Das war wenigstens ein Trost. Es hätte mich geärgert, wenn ich einen Haufen Zeit an einen so unsinnigen Traum verschwendet hätte.
Dann kam Marian herein und erzählte aufgeregt, daß die Besitzerin des Schäferhundes gefunden sei. Marian hatte unter anderem beim Notdienst des Tierschutz-Fonds angerufen, und dort hatte wenig später die Besitzerin des Schäferhundes den Verlust ihres Hundes gemeldet. Marian hatte sie zurückgerufen, und die Frau hatte versprochen, sofort zu kommen und ihren Hund abzuholen.
Marian erbot sich, bei Eisbär zu bleiben, bis der Hund abgeholt war. Ich solle inzwischen hinübergehen, meinte sie, und mich von dem Hund verabschieden. Ich war einverstanden, nur leider klappte es nicht ganz so, wie uns die Sache vorschwebte. Kaum öffnete ich nämlich die Tür, um hinauszugehen, da schoß Eisbär wie der Blitz davon, und weg war er. Ich rannte ihm nach, aber ich wußte, daß er den Hund lange vor mir erreichen und es zu einem weiteren Nahkampf kommen würde, bei dem ich diesmal nicht würde eingreifen können.
Erstaunlicherweise geschah nichts dergleichen. Als der Hund Eisbär kommen sah, hob er nur spielerisch eine tapsige Pfote. Daraufhin zog Eisbär verdutzt die Bremse an und kam schlitternd zum Stehen. Der Hund seufzte einmal tief und rollte sich wieder zusammen. Eisbär musterte ihn mit einem kurzen, zornigen Blick, dann stieß auch er einen Seufzer aus – er sollte wahrscheinlich Resignation ausdrücken, enthielt aber viel mehr –, drehte sich um, ließ sich mit dem Rücken an den Bauch des Hundes sinken und schloß zu meiner ungläubigen Verwunderung die Augen. Einen Moment später war auch er eingeschlafen.
Lange Zeit stand ich da und beobachtete die beiden. Dann legte ich mich leise bei ihnen nieder und begann vorsichtig, um sie nicht zu wecken, beide zugleich zu streicheln. Ich dachte an die herrlichen Zeiten mit Brookie und war gerührt, daß Eisbär sich überwunden und mit diesem Hund Freundschaft geschlossen hatte. Ich nahm mir fest vor, mir eines Tages wieder einen Hund wie Brookie und eine Katze wie Eisbär anzuschaffen. Aber ich würde sie zu gleicher Zeit zu mir nehmen, so daß sie zusammen aufwachsen konnten.
Während ich sie beobachtete, sah ich, daß sie beide träumten. Die Pfoten des Hundes zuckten genau wie die von Eisbär. Ich wünschte ihnen süße Träume.
4. Astrologie für die Katz
Nach meiner Erfahrung können Katzen geschlossene Türen nicht ausstehen. Mir ist jedenfalls noch keine begegnet, die mit geschlossenen Türen einverstanden gewesen wäre. Eisbär haßt sie so sehr, daß er in seinem Zorn schon mit beiden geschlossenen Türen meines Schrankes zu gleicher Zeit den Kampf aufgenommen hat. Und er siegte. Ich öffnete ihm die Türen, weil ich wußte, er wollte nur sehen, ob es da drinnen vielleicht neues Schuhwerk gäbe, mit dem er ein bißchen Katz und Maus spielen könnte.
Trotz seiner Abneigung gegen geschlossene Türen ist Eisbär jedoch eine Katze, die völlig zufrieden ist, im Haus zu leben. Abgesehen von kurzen Abstechern auf seinen Balkon und gelegentlichen Ausflügen in seinem Katzenkoffer bleibt er in der Wohnung. Aber ich weiß natürlich, daß es genug Katzen gibt, die vornehmlich im Freien leben. Ich meine solche Katzen, die zwar von Menschen versorgt werden, sonst aber völlig wild leben und ihre Unterkunft in einem Schuppen oder sonst einem von Menschen bewohnten Gebäude haben. Ich bewundere diese Katzen, und ich bewundere auch die Menschen, die sie versorgen und sie hoffentlich kastrieren oder sterilisieren lassen.
Neben diesen Hauskatzen und wild lebenden Katzen gibt es noch eine dritte Sorte – jene Katzen, die zwar mit Menschen zusammenleben, aber auf Streifzüge gehen, wann immer sie die Lust dazu packt. Ich habe etwas gegen solche Katzen – oder genauer gesagt, gegen ihre Eigentümer, weil sie ihre Tiere nicht in einem umzäunten Auslauf halten, ähnlich dem Balkon etwa, den ich Eisbär gebaut habe. Gut, ich gebe zu, sein Balkon ist nicht der größte der Welt, aber ich komme ja auch mit meinem aus.
Ich bin aus zwei Gründen nicht mit denen unter Ihnen einverstanden, die ihren Katzen völlig freien Auslauf lassen: Erstens jagen Katzen Vögel – die in Ihrem Garten ebenso wie die im Garten Ihres Nachbarn, denen Vögel vielleicht genauso lieb sind wie Ihnen Ihre Katze. Und zweitens ist die Gefahr, daß Ihre Katze im Straßenverkehr oder von einem Hund oder anderen Tieren verletzt oder getötet wird, größer, als Ihnen anscheinend bewußt ist.
Man hat mir geschrieben, daß ein geschlossener Auslauf, wie ich ihn propagiere, für eine Katze zu beengend sei. Ich kann darauf nur sagen, daß dies nicht so sein muß. Es kann durchaus ein großer, interessanter Auslauf sein, vielleicht sogar mit ein, zwei Bäumen. Sie können ihn gestalten, wie Sie ihn für richtig halten. Die Hauptsache ist, Ihre Katze kann nur auf dem Weg hinaus, auf dem sie hineingelangt – am besten durch eine Klappe in Ihrer Küchentür. Das Entscheidende dabei ist doch, daß so nicht nur die Vögel, sondern auch Ihre Katze oder Katzen sicher sind. Der Straßenverkehr und feindliche Tiere können ihr nichts anhaben, und Sie brauchen keine Angst zu haben, daß sie eines Tages auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Das kann nämlich genauso schlimm sein wie die anderen Mißgeschicke, die Ihrer Katze zustoßen können, da Sie wahrscheinlich nie erfahren werden, was aus ihr geworden ist. Sie können nur raten und hoffen – und die Hoffnung ist ziemlich dünn, wie die nackten Zahlen der Statistik zeigen: Das Durchschnittsleben einer Hauskatze beträgt zwölf bis fünfzehn Jahre, das einer freilaufenden Katze zwei bis drei Jahre.
Und damit bin ich schon beim nächsten Punkt angelangt – die Entfernung der Krallen. Meine Meinung zu diesem Punkt ist genauso kompromißlos wie zu der Frage, ob Katzen uneingeschränkten Auslauf haben sollten oder nicht. Niemals sollten Katzen die Krallen entfernt werden, Punktum! Ich weiß, manche Tierärzte behaupten, sie würden sich nur deshalb dazu bereit finden, Katzen die Krallen zu entfernen, weil sonst die Eigentümer sie »abschieben« würden. Ich sage, sie sollten es dennoch nicht tun. Sie sollten die Katze dabehalten und ihr ein Heim suchen und lieber den Eigentümer »abschieben.«
Das gilt auch für Katzen, die niemals ins Freie kommen und ihre Waffen, das heißt ihre Krallen, daher scheinbar niemals brauchen werden. Tatsache ist nämlich, daß es immer vorkommen kann, daß Ihre Katze Ihnen einmal entwischt – durch die versehentlich offengelassene Tür, das schlecht vergitterte Fenster, aus dem Katzenkoffer mit dem defekten Deckel oder auf einer Autofahrt. Es kann sogar geschehen, daß Ihre Katze ausgerechnet beim Tierarzt ausbüxt. Wenn das passiert, ist Ihre Katze ohne Krallen absolut wehrlos.
Natürlich weiß ich, daß Katzen die Möbel ruinieren. Sämtliche Kratzbäume, die je erfunden wurden, und alle anderen Mittel, Katzen davon abzuhalten, sich die Krallen zu schärfen, können nicht verhindern, daß Ihre Katze sich früher oder später einmal über Ihr Mobiliar hermachen wird. Man mag ihr die Krallen schneiden, soviel man will, eines Tages oder eines Nachts wird sie sich ausgerechnet das schönste Stück in der Wohnung aussuchen, um daran ihre Krallen zu schärfen.
Aber läßt man ihr daraufhin die Krallen entfernen? Natürlich nicht. Man bestraft sie nicht einmal. Strafe ist sinnlos bei Katzen, wenn sie nicht augenblicklich erfolgt, und selbst dann hat sie meist keine Wirkung. Lieber sollten Sie einen Moment innehalten und sich nur eines überlegen – ist Ihnen dieses Möbelstück oder sogar Ihr gesamtes Mobiliar so wichtig wie Ihre Katze?
Die Antwort ist sicher ein schlichtes Nein. Und dazu kann ich gleich eine passende Geschichte erzählen. Sie handelt, wie Sie gewiß schon erraten haben, von Eisbär und seinem Angriff auf mein liebstes Möbelstück. Es ist, oder besser, war ein sehr schöner alter Schachtisch, der einst dem General der Konföderierten Armee, Robert E. Lee, gehörte.
Der Tisch ist mir so teuer, daß ich mit meinen Schachfreunden nie daran spiele – sie könnten ja etwas verschütten oder, was noch schlimmer wäre, mit der Zigarette ein Loch ins Holz brennen. Ich benutze den Tisch nur, wenn ich allein bin und mich mit irgendwelchen Schachproblemen befasse. Eisbär jedoch hat nie verstanden, daß mir dieser Tisch so wichtig ist, und eines Tages, als ich über einem Schachproblem brütete, sprang er herauf und sauste mit ausgestreckten Krallen über das edle Holz, bis er zum Stehen kam. Ich war entsetzt. Tiefe Kratzer in Robert E. Lees Schachtisch. Aber glauben Sie, ich hätte irgend etwas gegen Eisbär getan? Nein, ich tat gar nichts.
Nein, ich tat nichts, denn mir fiel etwas ein: Ich erinnerte mich an einen Tag, an dem ich in einer ähnlichen Situation gewesen war wie jetzt Eisbär. Das geschah vor vielen Jahren, als ich in Scottsdale im Staat Arizona beim Vater von Miß Nancy Davis zu Gast war.
Lassen Sie mich ein wenig ausholen: Ich hatte Nancy Davis Anfang der fünfziger Jahre kennengelernt, zu einer Zeit, als sie Ronald Reagan noch nicht begegnet war. Sie lebte damals als Schauspielerin in New York. Nachdem wir uns bei einer gemeinsamen Freundin kennengelernt hatten, gingen wir ab und zu miteinander aus. Einen Tag nach der Veröffentlichung meines zweiten Buches erzählte ich ihr, daß ich in Kürze auf Reisen gehen würde, um das Buch vorzustellen. Sofort wollte sie wissen, ob mich mein Weg auch nach Arizona führen würde, und als ich bejahte, meinte sie: »Dann müssen Sie dort bei meinem Vater wohnen. Er hat ein Haus in Scottsdale.«
Schon am nächsten Tag rief mich Miß Davis an, um mir zu sagen, daß sie mit ihrem Vater gesprochen hatte. Er sei zwar nur am Freitagabend da, da er am Wochenende nach Chicago müsse, aber er habe darauf bestanden, daß ich das ganze Wochenende bleibe. Das Mädchen und die Köchin würden mich versorgen, das ganze Haus stünde mir zur Verfügung. Ich fand, das mache doch alles viel zuviel Mühe, aber sie wollte von meinen Protesten nichts hören. Ihr Vater, erklärte sie, freue sich auf meinen Besuch.
Ich hatte ihren Vater nie kennengelernt, wußte aber, daß er ein hochangesehener Neurologe war, der bei Staat und Wirtschaft Millionen von Dollar für seine medizinische Fakultät an der Northwestern University in Chicago lockergemacht hatte.
Als ich Freitagabend in seinem Haus ankam, empfing er mich persönlich und nahm mich sehr herzlich auf. Nachdem er mir mein Zimmer gezeigt hatte, führte er mich durch das ganze Haus, um mich mit den übrigen Räumlichkeiten vertraut zu machen. Scottsdale, das später zu einer der vornehmsten Vorstädte aufsteigen sollte, war damals noch ein relativ schlichter kleiner Ort irgendwo in der Wüste. Das Haus der Familie Davis jedoch war keineswegs schlicht. Es war luxuriös eingerichtet und prunkte mit einer Sammlung kostbarer antiker Möbel und wertvoller Kunstgegenstände. Dr. Davis’ besonderer Stolz war der Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer, der, wie er mir erzählte, einmal Alexander Hamilton gehört hatte.
Beim Cocktail wurde mir bald klar, daß Dr. Davis selbst auch Alexander Hamilton gehörte, zumindest was seine politischen Ansichten anging. Als das Abendessen serviert wurde, war unser Gespräch recht mühsam geworden, und noch ehe wir unsere Suppe gegessen hatten, setzte sich in mir der starke Eindruck fest, daß ich für Dr. Davis weder intelligent genug noch erfolgreich, berühmt, reich und konservativ genug war, um ihn länger zu interessieren. Es genügt wahrscheinlich, wenn ich sage, daß es mich nicht im geringsten wunderte, als ich einige Jahre später hörte, daß Dr. Davis sich einer Gruppe Ultrakonservativer in Kalifornien angeschlossen hatte und dort bald zum Spitzengremium gehörte.
Bei jenem Abendessen allerdings schien er sich vor allem für meine Beziehung zu seiner Tochter zu interessieren und vermerkte mit sichtlicher Erleichterung, daß sie nicht bis zu einem Punkt gediehen war, an dem er sich hätte beunruhigen müssen. Ehe er sich zurückzog, wünschte er mir freundlich gute Nacht und ein, wie mir schien, endgültiges Lebewohl. Er wolle am nächsten Morgen schon in aller Frühe aufbrechen, erklärte er, ich solle mich dadurch aber nicht stören lassen, sondern meinen Aufenthalt in seinem Haus genießen; Mädchen und Koch würden zu meiner Verfügung stehen.
Demgemäß machte ich mich am folgenden Morgen nach dem Aufstehen sogleich auf den Weg in die Küche. Hier teilte mir das Mädchen mit, Dr. Davis nehme das Frühstück immer im Arbeitszimmer ein, ob ich es auch so halten wolle? Ich stimmte zu und bekam wenig später ein köstliches Frühstück serviert, über das ich mich mit Genuß hermachte. Gleichzeitig erledigte ich verschiedene Telefonate, um die mein Verleger mich gebeten hatte, und bald kamen auch Gespräche für mich herein, Verabredungen wurden getroffen, Termine vereinbart, kurz, ich steckte mitten im Publicity-Wirbel um den allseitig begehrten Autor, den man mit Wonne auszukosten pflegt. Und vor lauter Aufregung über meine eigene Wichtigkeit rauchte ich wie ein Schlot.
Gerade hatte ich wieder ein Telefongespräch beendet und wollte mir eine frische Zigarette anzünden, da sah ich mit Schrecken, daß meine vorherige Zigarette, die ich völlig vergessen hatte, vom Aschenbecher gerollt war und eine tiefe Brandfurche in Alexander Hamiltons Schreibtisch gesengt hatte.
Einen Moment lang saß ich wie erstarrt, den Blick auf die Brandwunde im Schreibtisch gerichtet, und genau da kam das Mädchen mit frischem Kaffee. Mir blieb nur eine Möglichkeit: Ich ließ mich mit ausgestreckten Armen und gesenktem Kopf über das Brandmal fallen.
»Ach, Mr. Amory«, sagte das Mädchen mitleidig, »Sie müssen ja ganz erschöpft sein – diese vielen Anrufe!« Ohne mich von der Stelle zu rühren, sah ich müde zu ihr auf und antwortete nur mit einem matten Nicken.
Nachdem das Mädchen gegangen war, überlegte ich, was zu tun war. Ich konnte das Mädchen rufen und ihr erklären, was ich angerichtet hatte; aber sie war nicht mehr jung, womöglich hätte sie der Schlag getroffen. Ich hätte die Sache auch vertuschen, bis zu Dr. Davis’ Rückkehr am Montagmorgen bleiben und tapfer sagen können: »Sir, ich habe eine schreckliche Nachricht für Sie. Ich habe eine Rinne in Alexander Hamiltons Schreibtisch gebrannt. Es tut mir in der Seele leid, Sir. Ich werde die Reparatur selbstverständlich bezahlen.«
Diese Möglichkeit zog ich nicht einmal vorübergehend in Betracht. Dr. Davis war kein Mensch, dem man so kommen konnte. Es blieb also nur eine durchführbare Möglichkeit – den Schreibtisch irgendwie vor Dr. Davis’ Heimkehr reparieren zu lassen. Das hieß aber, daß ich erst einmal das Mädchen und die Köchin loswerden mußte. Mutig rief ich beide ins Zimmer und teilte ihnen mit, daß ich den ganzen Samstag und voraussichtlich auch den Sonntag unterwegs sein würde. Sie sollten sich also die beiden Tage freinehmen, da ich sie erst am Montag wieder brauchen würde. Sie erklärten augenblicklich, das könnten sie auf keinen Fall tun. Dr. Davis hätte ihnen Anweisung gegeben, mich zu versorgen. Ich argumentierte dagegen. Ich sagte, es sei doch absurd, wenn sie das ganze Wochenende hier zubringen würden, obwohl ich sie gar nicht brauchte.
Die Diskussion zog sich in die Länge, doch schließlich erklärten sie sich mit meinem Vorschlag einverstanden und sagten, sie würden dann am Montag in aller Frühe zurück sein. Nein, bitte nicht in aller Frühe, flehte ich. Nach dem für mich zweifellos anstrengenden Wochenende würde ich am Montag gern ausschlafen wollen. Aber es half nichts. Trotz meiner inständigen Bitten konnte ich sie nur so weit erweichen, daß sie sich bereit erklärten, am Montag morgen nicht vor neun Uhr zu erscheinen.
Kaum hörte ich sie abfahren, griff ich mir die Gelben Seiten. Ich rief eine Möbelreparaturwerkstatt nach der anderen an – nirgends meldete sich jemand. Es war ja schließlich Samstagvormittag. Aber dann erreichte ich endlich doch eine Werkstatt, die offen hatte. Ich hätte hier einen Schreibtisch, sagte ich, bei dem eine kleine Reparatur notwendig sei. Sie baten um nähere Beschreibung des Schadens.
»Hm«, meinten sie, »da werden wir wohl die ganze Platte abschmirgeln und neu polieren müssen.«
Ich entgegnete, sie könnten tun, was sie wollten, Hauptsache, die Platte sähe hinterher möglichst wieder genauso aus wie vorher.
»Okay«, sagten sie, »wir holen den Schreibtisch am Montag ab. Die Reparatur dauert etwa eine Woche.«
Das sei ganz ausgeschlossen, sagte ich. Sie müßten das gute Stück sofort abholen und am Montag zurückbringen. In aller Frühe. Bei Tagesanbruch.
»Wochenendarbeit?« riefen sie. »Haben Sie eine Ahnung, was Sie das kosten würde?«
Ich versetzte, Geld spiele keine Rolle. Ich versuchte nicht einmal zu feilschen, obwohl der Preis, den sie mir schließlich nannten, so hoch war, daß ich mir für das Geld ein ganzes Wochenende in einer Luxussuite des Arizona Biltmore hätte leisten können. Ein Verdurstender in der Wüste feilscht nicht mit den Inhabern eines rettenden Brunnens.
Nachdem ich aufgelegt hatte, fertigte ich einen genauen Lageplan aller Dinge an, die sich auf dem Schreibtisch befanden. Dann legte ich einen Gegenstand nach dem anderen, sorgfältig gekennzeichnet, auf einen anderen Tisch. Als ich fertig war, hörte ich draußen schon den Lieferwagen vorfahren. Zwei kräftige Männer marschierten herein, um den Schreibtisch abzuholen. Ehe sie ihn packten, pfiff der eine leise durch die Zähne und sagte: »Mann, Sam, hast du das Brandloch gesehen? Das wird ’ne schöne Operation werden.«
Was auch immer, sagte ich in meiner Bedrängnis, der Schreibtisch müsse auf jeden Fall am Montag in aller Frühe wieder hier sein.
Sie warfen einen Blick auf ihren Auftragsschein. »In Ordnung.«
Und sie hielten Wort. Am Montag morgen, buchstäblich bei Tagesanbruch, fuhren die beiden Männer wieder mit ihrem Lieferwagen vor und schleppten den Schreibtisch herein. Ich sah ihn mir gründlich an. Die Brandfurche war mit bloßem Auge nicht mehr zu sehen; aber selbst Dr. Davis mit neurologischen Röntgenaugen hätte sie nicht mehr entdeckt. Man hatte offensichtlich die ganze Platte um die Tiefe des Brandlochs abgeschliffen und neu furniert. Aber Maserung und Farbe stimmten genau, eine bemerkenswerte Arbeit.
Als etwas später das Mädchen und die Köchin erschienen, saß ich vor dem Schreibtisch, auf dem ich alles wieder in der alten Ordnung arrangiert hatte, als wäre nichts gewesen. Das Mädchen fragte, ob sie mir das Frühstück bringen solle. Ich bejahte. Sie bemerkte, daß ich keinen Aschenbecher hatte. »Ich hole Ihnen einen«, sagte sie. Ich schüttelte den Kopf. Ich hätte das Rauchen aufgegeben, sagte ich, und würde ihr das gleiche raten, sonst würde sie vielleicht eines Tages noch etwas verbrennen.
Seitdem habe ich die Karriere von Miß Davis, der späteren Mrs. Reagan, mit Interesse verfolgt. Wenn ich etwas über sie las, kehrten meine Gedanken häufig zu Alexander Hamiltons Schreibtisch zurück, und nach dem Tod von Dr. Davis fragte ich mich manchmal, ob der Schreibtisch ins Haus der Familie Davis in Chicago zurückgekehrt sei oder die Reagans ins Weiße Haus begleitet habe. Jedenfalls dachte ich oft, daß sich mir vielleicht eines Tages Gelegenheit bieten würde, ihn wiederzusehen – und dann wollte ich Mrs. Reagan die Wahrheit über das gute Stück erzählen. Nicht die ganze Wahrheit, wohlgemerkt – dazu ist Mrs. Reagan ihrem Vater zu ähnlich. Ich hatte vor, mich auf einen Teil der Wahrheit zu beschränken, vielleicht ganz beiläufig zu sagen: »Oh, Mrs. Reagan, das ist wirklich ein schöner Schreibtisch, den Sie hier haben, aber, um ehrlich zu sein, ich verstehe etwas von alten Möbeln und halte es für richtig, Ihnen zu sagen, daß die Platte des Schreibtischs meiner Ansicht nach nicht das Original ist.«
Jahrelang wartete ich, wie gesagt, auf eine solche Gelegenheit, und sie schien sich endlich zu bieten, als ich den Auftrag bekam, nach Washington zu reisen und ein Interview mit Mrs. Reagan zu machen. Ich nahm den Auftrag sofort an. Hier endlich, dachte ich, bekam ich meine Chance, ihr meine Meinung über ihren Schreibtisch zu sagen.
Das Interview fand auch tatsächlich statt, aber irgendwie kam ich in dem ganzen Trubel nicht dazu, das zu tun, was ich mir vorgenommen hatte. Nicht etwa, daß Mrs. Reagan mich kurz abgefertigt hätte. Im Gegenteil – sie gewährte mir eine ganze Stunde. Aber das, was mir vorgeschwebt hatte – so eine Art duftig leichter Persiflage und dann ein Rundgang durch das Haus bis zu Alexander Hamiltons Schreibtisch –, kam nicht zustande. Während des ganzen Interviews waren Mrs. Reagan und ich ständig von zwei Sekretärinnen, einem Mann vom Geheimdienst und einer Stenographin umgeben, die jedes Wort, das wir sprachen, aufnahm; dazu kam noch ein Kameramann. Als ich ihn leise fragte, wozu er da sei, antwortete er mir nicht. Die Stenographin erklärte mir dafür in aller Kürze, sie sei hier, damit ich nicht etwa etwas schrieb, was nicht den Tatsachen entsprach. Kurz und gut, in dieser Atmosphäre einen freundschaftlichen kleinen Rundgang vorzuschlagen, um ein altes Möbelstück zu suchen, hätte ein Maß an Dreistigkeit verlangt, das ich der Familie Davis gegenüber, Vater wie Tochter, nicht aufbrachte.
Nach dem Interview mußte ich mir eingestehen, daß ich die große Gelegenheit hatte verstreichen lassen, ohne sie zu nutzen. Ich hatte versagt. Aber ich konnte nicht einfach abziehen, ohne das Geheimnis des Schreibtischs gelüftet zu haben. Nachdem ich mich von Mrs. Reagan verabschiedet hatte, machte ich daher einen kleinen Abstecher zu einer ihrer Sekretärinnen und weihte sie in die Sache ein. Würde sie, fragte ich, so gut sein, Mrs. Reagan die Geschichte bei Gelegenheit zu erzählen und sie zu fragen, was aus dem Schreibtisch geworden sei. Die Sekretärin versprach es. Wenige Tage später bekam ich einen Brief von ihr. »Was die Scottsdale-Sache angeht«, schrieb sie, »so hat Mrs. Reagan mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, daß sie sich an einen solchen Schreibtisch in dem besagten Zimmer nicht erinnern kann.«
Ich war verblüfft. Sollte ich etwa die ganze Geschichte nur geträumt haben? War es vielleicht auch einer dieser Träume, die dringend Bearbeitung brauchten? Oder war die Geschichte vielleicht doch wahr und Mrs. Reagan nur nicht bereit zuzugeben, daß eine ihrer kostbaren Antiquitäten nicht echt war? Oder, um eine dritte Möglichkeit in Betracht zu ziehen, hatte sie vielleicht einen ihrer Astrologen konsultiert und der ihr geraten, mir diese Antwort zu geben? Oder hatte ich – vierte Möglichkeit – etwa gar ein weiteres Verschleierungsmanöver des Weißen Hauses aufgedeckt? Hatte man den Schreibtisch vernichtet und wollte es nun nicht zugeben? Die letzte Lösung des Rätsels gefiel mir am besten, dennoch hoffte ich aufrichtig, die Angelegenheit würde nicht vor Gericht enden. Wie peinlich, wenn Nancy Reagan im Zeugenstand hätte aussagen müssen, daß sie Alexander Hamiltons Schreibtisch verramscht hatte.
Wie dem auch sei, als ich das nächste Mal an Mrs. Reagan dachte, war es in ganz anderem Zusammenhang. Ich erhielt als Reaktion auf mein erstes Buch über Eisbär einen höchst merkwürdigen Brief. Es ging darin um Astrologie – eine »Wissenschaft«, zu deren treuesten und vielleicht berühmtesten Anhängerinnen Mrs. Reagan gehört. Die Briefschreiberin riet mir dringend, Eisbär das Horoskop erstellen zu lassen. Sie verstand offenkundig nicht nur eine ganze Menge von Astrologie, sondern hatte auch eine recht gute Vorstellung von Eisbärs Charakter. Sie meinte, wenn er etwas dagegen hätte, sich sein Horoskop von einem Fremden stellen zu lassen, könne auch ich selbst es tun. Es gäbe viele Bücher über Katzenastrologie, die mir dabei helfen würden.
Ich muß gestehen, ehe mir dieser Brief in die Hände kam, hatte ich keine Ahnung, daß es so etwas wie Katzenastrologie überhaupt gibt, geschweige denn, daß Bücher zu dem Thema existieren. Ich wußte eigentlich überhaupt nichts über Astrologie, sei es für Menschen oder für Katzen.
Ich ließ den Brief dieser Frau erst einmal eine Weile liegen, ohne ihn zu beantworten. Schließlich aber bekam ich ein schlechtes Gewissen und begann, wenigstens im Geist eine Antwort zu entwerfen. Ich wollte der Frau schreiben, daß ihre Zweifel, ob Eisbär mit der Stellung seines Horoskops durch einen Fremden überhaupt einverstanden sein würde, absolut berechtigt waren. Das einzige, was er meiner Erfahrung nach je an Fremden gebilligt hatte, war ihr möglichst schnelles Verschwinden. Weiter wollte ich schreiben, ihre Vorstellung, ich selbst könne das Horoskop erstellen, sei leider völlig illusionär. Ich hätte nie auch nur die Anfangsgründe der Astrologie verstanden, auch wenn man noch so geduldig versucht hatte, sie mir zu erklären.
Während ich im Geist noch mit der Abfassung dieses Briefes beschäftigt war, rief die Frau eines Tages an. Ich beteuerte, es täte mir leid, ihr bisher nicht geantwortet zu haben, und berichtete ihr dann, was ich ihr hatte schreiben wollen.
»Aber ich habe Sie doch extra darauf aufmerksam gemacht«, erwiderte die Frau streng, »daß es eine Menge Bücher gibt. Sie brauchen nicht einmal einen blassen Schimmer von Astrologie zu haben.«
Das machte mich ärgerlich. Ich bilde mir zwar nicht ein, alles zu wissen, aber ich bin überzeugt, daß ich mehr als einen blassen Schimmer von den Dingen habe. Um ihr das zu beweisen, entgegnete ich, mir sei immerhin bekannt, daß ich Tag und Stunde der Geburt Eisbärs wissen müßte, um ihm sein Horoskop stellen zu können. Leider sei selbst die Tierärztin nicht imstande, mir auch nur das genaue Jahr anzugeben, geschweige denn Tag und Stunde. Schließlich sei Eisbär ja eine herrenlose Katze gewesen.
Die Frau ließ trotzdem nicht locker. »Sie brauchen Tag und Stunde der Geburt nicht zu wissen«, behauptete sie. »Sie werden schon sehen – besorgen Sie sich erst einmal einige der Bücher über Katzenastrologie, die ich Ihnen genannt habe.« Sie machte eine Pause – ich hatte bereits gemerkt, daß sie gern vielsagende Pausen einlegte. »Und wenn Sie schon dabei sind«, fuhr sie dann fort, »können Sie gleich auch ein paar astrologische Bücher für sich selbst besorgen. Ich könnte mir denken, daß sie Ihnen eine große Hilfe wären.«
Ich ignorierte die wenig schmeichelhafte Anspielung, aber sie redete unbeirrt weiter.
»Ich habe mich über Sie informiert«, sagte sie. »Sie sind am zweiten September geboren. Das heißt, daß Sie Jungfrau sind. Ihre Geburtsstunde weiß ich allerdings nicht.«
»Zwei Uhr morgens«, sagte ich. Sie wollte wissen, woher ich das wüßte. Ich antwortete: »Von meiner Mutter.« Sie habe es mir auf meine Frage selbst gesagt. Ich erläuterte nicht, daß ich meine Mutter danach gefragt hatte, weil das Thema Horoskop schon früher zur Sprache gekommen war.
»Aha«, sagte sie, und der Ton ihrer Stimme gefiel mir gar nicht. Ich ahnte schon, was als nächstes kommen würde. »Und in welchem Jahr war das?«
Ich tat so, als hätte ich sie nicht gehört, aber das nützte nichts.
»Aha«, sagte sie wieder. »Aber das läßt sich feststellen. An Ihrem letzten Geburtstag ist im Radio eine Sendung über Sie gekommen. Da wurde auch erwähnt, welcher Jahrgang Sie sind.«
Was man da gesagt habe, sei auf jeden Fall falsch, behauptete ich, und danach hielt sie endlich den Mund.
Aber ich war nach ihrem Brief und dem Anruf doch so neugierig geworden, daß ich gleich am folgenden Morgen losging, um mir ein paar Bücher über Katzenastrologie zu kaufen. Und da ich einmal in der Buchhandlung war, nahm ich auch gleich etwas über Menschenastrologie mit.
Doch meine Bemühungen, anhand der Bücher Eisbärs Horoskop zu erstellen, führten zu nichts. Davon allerdings ließ ich mich nicht entmutigen. Wenn man allein nicht weiterkommt, muß man sich eben Hilfe holen.
Der Freund, den ich um Hilfe anging, riet mir, mich an eine Frau namens Robyn Ray zu wenden, sie sei astrologische Beraterin. Normalerweise habe ich gegen Beratung durch Berater meine Vorbehalte, aber in diesem Fall, da ich gegen die Wissenschaft der Astrologie sowieso meine Vorbehalte hatte, beschloß ich, alle Vorbehalte über Bord zu werfen. Ich rief Mrs. Ray an und fragte, ob wir uns nicht zum Mittagessen treffen könnten.
Mrs. Ray war, wie sich herausstellte, eine charmante Frau. Nachdem ich ihr mein Problem dargelegt hatte, fragte ich sie, ob sie jemals ein Katzenhoroskop gestellt hätte.
»Nein«, antwortete sie lächelnd, »aber meinem Hund habe ich eines gestellt.«
Und wie, fragte ich nervös, habe er das aufgenommen? Eisbär sei leider ein sehr kritisches Tier.
»Oh, er war sehr angetan«, versicherte sie.
Erleichtert brachte ich wieder das Grundproblem meiner Schwierigkeiten bei der Horoskopstellung für Eisbär zur Sprache – die Tatsache, daß mir nicht nur Tag und Stunde, sondern sogar das Jahr von Eisbärs Geburt unbekannt war.
Mrs. Ray seufzte. »Da wird Ihnen natürlich vieles verschlossen bleiben«, meinte sie, »wenn Sie seinen Aszendenten nicht wissen.«
Ich seufzte brav mit, weil ich nicht zugeben wollte, daß ich keine Ahnung hatte, was ein Aszendent ist. Immerhin gestand ich ihr, daß ich die ganze Astrologie sehr kompliziert fand.
»Aber nein«, tröstete mich Mrs. Ray lächelnd. »Sie dürfen sich nur nicht entmutigen lassen.«
Aber ich hätte ja weder von Sternzeichen noch Planeten, Häusern oder Aspekten eine Ahnung.
»Ach«, meinte sie, »machen Sie sich da keine Sorgen. Vergessen Sie nicht, es geht nicht nur um den Einfluß der Gestirne auf uns – es geht vor allem darum, wie wir mit ihm umgehen. Die meisten Leute meinen, wenn sie etwas von Astrologie hören, alles sei vorbestimmt. Aber so ist es nicht. In meinen Augen jedenfalls nicht. Mein Ansatz ist so: Ich nehme Ihnen nicht die Verantwortung für Ihr eigenes Leben ab – Sie haben immer die Wahl. Wenn jemand Ihnen gegenüber persönlich wird, können Sie entweder beleidigt sein oder Sie können produktiv damit umgehen. Nehmen wir an, ein Astrologe sagt Ihnen, Sie hätten offenbar eine Neigung zur Destruktivität; dann können Sie ganz positiv damit umgehen, indem Sie beispielsweise beim Abbruch alter Häuser helfen.«
Ich gestand, daß ich das so nie gesehen hätte, aber New York sei natürlich dafür genau der richtige Ort.
Etwas später erklärte mir Mrs. Ray taktvoll, die astrologischen Bücher, an denen ich mich zu bilden versucht hatte, seien in dieser Phase meiner astrologischen Entwicklung einfach noch zu schwierig für mich. Sie habe darum, weil sie schon vor unserer Zusammenkunft diesen Verdacht gehabt hätte, ein Buch mitgebracht, von dem sie glaube, es sei für den Anfang das richtige für mich. Als wir uns nach dem Mittagessen voneinander verabschiedeten, drückte sie es mir in die Hand.
Das Buch hieß How to Learn Astrology und war von Marc Edmund Jones. Noch am selben Nachmittag begann ich mit der Lektüre. Zunächst einmal versuchte ich herauszufinden, was für eine Rolle »Häuser« und »Planeten« in der Astrologie spielen. Mr. Jones erklärte es ganz einfach. »Ein Haus ist ein Ort, wo jemand wohnt, und im Horoskop ist es der Ort, wo sich ein oder mehrere Gestirne befinden.«
Es gibt, wie Mr. Jones erläuterte, zwölf Häuser. Er riet dem Leser, sich als erstes ihre »fundamentale Bedeutung« einzuprägen. Ganz einfach war das nicht, aber ich ackerte mich durch und durfte mich danach, gemäß Mr. Jones’ Vorschlag, mit den verschiedenen Gestirnen und ihrer, wie er es nannte, »grundlegenden Bedeutung« befassen.
Von den Häusern und Gestirnen reisten wir weiter zu Aspekten und Aszendenten, Konjunktionen und Oppositionen, ja sogar Quadrat- und Sextilscheinen. Wenn dies wirklich ein Einführungsbuch war, so war ich im Fach Astrologie offenbar hoffnungslos unbegabt. Ich gab mir wirklich alle Mühe, Mr. Jones’ Ausführungen zu folgen, aber am Ende mußte ich mir schweren Herzens eingestehen, daß mir das alles viel zu schwierig war.
Doch in Bezug auf Eisbär hatte ich noch nicht aufgegeben. Weder die Tatsache, daß ich noch nicht in ein einziges der Bücher über Katzenastrologie hineingesehen hatte, noch meine Unwissenheit bezüglich Eisbärs Geburtsdatum konnten mich jetzt noch beunruhigen. Ich hatte nämlich im Lauf meiner Beschäftigung mit der Astrologie gemerkt, daß da eine ganze Menge paradox verläuft. Osten ist beispielsweise in der Astrologie Westen, und Westen ist Osten. Norden ist Süden, und Süden ist Norden. Gestirne und Häuser bewegen sich nicht im Uhrzeigersinn, sie bewegen sich in der entgegengesetzten Richtung. Je mehr von den einfachen Horoskopen in den Astrologiebüchern ich mir ansah, desto klarer wurde mir, daß die Astrologen sich in Wirklichkeit einfach das Leben einer berühmten Persönlichkeit, jene Einzelheiten, die allgemein bekannt sind, vorgenommen und dann ihre Sternzeichen, Häuser, Planeten, Aszendenten und das ganze übrige Zeug mit diesen bereits bekannten Fakten in Einklang gebracht, also auch hier im Grund genommen das Pferd von hinten aufgezäumt hatten.
Wenn diese Fachleute das so machten, dachte ich bei mir, warum dann nicht auch ich? Ich würde mir Eisbärs gute und schlechte Eigenschaften aufschreiben und sehen, zu welchem Sternzeichen sie am besten paßten. Dann würde ich am Ende genau wissen, unter welchem Zeichen er geboren war.
Und wer weiß – wenn ich zu den Aszendenten und Aspekten, den Konjunktionen und Oppositionen, Quadrat- und Sextilscheinen kam, würde ich vielleicht sogar auch noch Tag und Stunde seiner Geburt bestimmen können.
Ich hatte vier Bücher über Katzenastrologie daliegen. Das erste, zu dem ich griff, war sicherlich das bemerkenswerteste – wenn auch nur, weil es von einer Katze geschrieben war. Es trug den Titel Horoscopes for Pussycats, und die Autorin war eine Katze namens Bootsie Campbell. Der kurze Klappentext »Über die Autorin« informierte mich, daß Mrs. Campbell die Tochter eines rein weißen Katers namens Schneeball und einer wunderschönen Schildpattkatze war. Bootsie selbst, hieß es, sei im Zeichen der Zwillinge geboren. Auch ein Foto der Autorin wurde dem Leser geboten. Es schien bei Nacht aufgenommen zu sein und zeigte die Astrologin am Fenster, augenscheinlich in den Anblick des Sternenhimmels vertieft.
Ich zeigte das Foto Eisbär, der darauf mit seinem üblichen verächtlichen Naserümpfen reagierte. Seine Gleichgültigkeit den Bildern anderer Katzen gegenüber ist wirklich schlimm. Aber diesmal ließ ich ihm das nicht durchgehen. Ich sagte ihm in aller Deutlichkeit, diese Bootsie sei wenigstens kreativ und schreibe, während er ein Buch nicht einmal in die Pfote nähme. Ich hielt es für überflüssig hinzuzufügen, daß er, während ich den ganzen Tag am Schreibtisch fronte, nichts anderes tat, als faul herumzuliegen und es sich gutgehen zu lassen.
Das zweite Buch hieß The Cat Horoscope Book und stammte aus der Feder eines Mannes namens Henry Cole. Er wurde als ein »im ganzen Land bekannter Astrologe« bezeichnet. »Nicht nur«, versprach der Klappentext, »gibt dieses Buch Antwort auf Ihre drängenden Fragen, es wird Ihnen auch eine umfassende Charakteristik Ihrer Katze aufgrund streng vertraulicher Informationen liefern.«
Das gefiel mir. Ich würde also nicht nur ein vollständiges Bild von Eisbärs Persönlichkeit erhalten, sondern dazu eines, das auf vertraulichen Informationen basierte, die ich ihm ganz bestimmt nicht zugänglich machen würde. Daß er selbst anfangen würde, seinem in den Sternen liegenden Schicksal nachzuforschen, brauchte ich nicht zu fürchten. Im Gegensatz zu Bootsie Campbell war Eisbär bei seinen nächtlichen Ausflügen auf seinen Balkon viel zu intensiv an den Tauben interessiert, um an die Sterne oder gar an das, was sie ihm vielleicht verhießen, auch nur einen flüchtigen Gedanken zu verschwenden.
Das dritte Buch hatte den Titel Cat Astrology. Die Verfasserin war Mary Daniels, die als Autorin eines Buches über den Kater Morris bekannt geworden war. Mrs. Daniels berichtete in ihrem Vorwort von einer »zufälligen Begegnung mit einem jungen buddhistischen Mönch in einer dunklen, verstaubten Buchhandlung.« Buddhisten, erklärte sie, seien der Überzeugung, Haustiere hätten in ihrem Prozeß ständiger Wiedergeburt die letzte Stufe vor der Menschwerdung erreicht und würden in ihrem nächsten Leben wahrscheinlich als Menschen geboren werden; indem sie in dieser letzten Phase mit Menschen zusammenlebten, würden sie lernen, was den Menschen ausmacht. Sie berichtete, der buddhistischen Auffassung zufolge habe jedes lebendige Wesen ein Karma – ein Lebensschicksal, das vom Verhalten in einem früheren Leben bestimmt wird. Bei den Tieren sei der Sinn für Gut und Böse sehr schwach ausgebildet, und ihre Fähigkeit zu wählen sei gering. »Aber wenn Sie richtig damit umgehen«, habe der junge Mönch ihr erklärt, »weist der allgemeine Trend aufwärts.«
Ob es sich auf Eisbärs Wahrnehmungsfähigkeit von Gut und Böse förderlich auswirken würde, wenn ich ihm sein Horoskop stellte, wagte ich zu bezweifeln. Gleichermaßen zweifelte ich daran, daß seine Menschwerdung bei seiner nächsten Wiedergeburt einen Schritt nach oben darstellte. Ich war, wie sich die Leser meines ersten Buchs erinnern werden, in dieser Hinsicht ganz der Auffassung Mark Twains, der sagte: »Wenn man den Menschen mit der Katze kreuzen könnte, würde das den Menschen verbessern, die Katze aber verderben.«
Erst in der Einleitung des vierten Buchs über Katzenastrologie – Catsigns von William Fairchild, einem englischen Roman- und Theaterschriftsteller – entdeckte ich etwas, womit ich wirklich etwas anfangen konnte. Ich sah mich hier in meinem Vorhaben unterstützt, Eisbärs Horoskop von hinten aufzurollen. Mr. Fairchild schlug nämlich vor, man solle, falls man das Geburtsdatum seiner Katze nicht kenne, ganz einfach ihre Haupteigenschaften feststellen, sehen, unter welches Tierkreiszeichen sie paßten, und dann nachlesen, was noch zu diesem Zeichen gesagt wurde. Sollten diese zusätzlichen Informationen nicht zutreffen, so könne man davon ausgehen, daß die Katze sich entweder verstelle, um einen hinters Licht zu führen, oder daß einen die Liebe ihren wahren Stärken und Schwächen gegenüber blind gemacht habe.
»Sehen Sie sich Ihre Katze dann noch einmal genau an und machen Sie einen neuen Versuch«, schrieb Mr. Fairchild. »Ihr Tierkreiszeichen wird Ihnen nicht alles über sie verraten… Es wird Ihnen aber vieles sagen, was Sie zum beiderseitigen Wohlergehen und Einvernehmen wissen müssen. Und wenn Sie die Beschreibung gelesen haben, können Sie versuchen, sie Ihrer Katze vorzulesen.«
Mir war gleich klar, daß das schwierig werden würde. Eisbär hat noch nie gern zugehört, wenn ich vorlese. Ich versuchte es dennoch, und natürlich klappte es nicht. Alles, was auch nur im entferntesten nach Arbeit riecht, lehnt Eisbär strikt ab.
Eines erfuhr ich dennoch aus Mr. Fairchilds Buch: Welche Verhaltensweisen im Umgang mit Katzen der verschiedenen Tierkreiszeichen empfehlenswert und welche nicht geraten waren. Hatte man es beispielsweise mit einer Widder-Katze zu tun, so war es ratsam, Humor zu zeigen und keinesfalls die Überzeugung der Katze von ihrer eigenen Brillanz in Frage zu stellen. War die Katze hingegen Krebs, so solle man im Beisein der Katze dem Ehepartner stets lächelnd begegnen und auf keinen Fall den Märtyrer spielen – ein Märtyrer in der Familie sei genug, meinte Mr. Fairchild. Bei einer Löwe-Katze wiederum solle man die Katze zwar ruhig in dem Glauben lassen, sie säße auf dem Thron, sich andererseits keinesfalls von ihr als kleiner Untertan behandeln lassen. Und bei der Schütze-Katze schließlich solle man anerkennen, daß sie sich für ein Genie hält, gleichzeitig jedoch um keinen Preis zugeben, daß man selbst keines war.
Ich ließ mir diese Empfehlungen gründlich durch den Kopf gehen; aber so hilfreich sie im Prinzip waren, blieb dennoch die Tatsache bestehen, daß ich Eisbärs Tierkreiszeichen immer noch nicht wußte. Schließlich legte ich mir alle vier Bücher über Katzenastrologie nebeneinander auf den Tisch, um mir ihre Kommentare über die Charaktereigenschaften der verschiedenen Tierkreiszeichen aufzuzeichnen und sie dann Zeichen um Zeichen mit Eisbärs Eigenschaften zu vergleichen. Das würde nicht einfach werden, aber was war an der Astrologie schon einfach!
Ich beschloß, Eisbär bei jedem Zeichen Punkte von 0 bis 5 zu geben; das Zeichen, bei dem er die höchste Punktzahl erreichte, mußte dann das seine sein.
Mit dem Widder (22. März – 19. April) fing ich an, weil ich mittlerweile wenigstens gelernt hatte, daß das Jahr in den astrologischen Büchern immer mit dem Widder-Zeichen beginnt. Ich fand in den vier Büchern viel Übereinstimmung über die Widder-Geborenen. Mr. Cole, beispielsweise, nannte die Widder-Katze den »Egoisten unter den Katzentieren.«
»Versuchen Sie gar nicht erst«, riet er, »Ihren Widder Ihren menschlichen Vorstellungen anzupassen; er sieht nämlich im Menschen lediglich ein Mittel zum Zweck.« Das hörte sich nach Eisbär an.
Mrs. Daniels bezeichnete die Widder-Katze als »Paten« und »Boßkatze« und wies darauf hin, daß der Widder vom Mars beherrscht sei, dem »roten Planeten des Krieges.« Auch hier konnte ich Eisbär sehen, aber was Mrs. Daniels schrieb, machte mir bange vor weiblichen Widder-Katzen – das mußten ja die reinsten Amazonen sein. »Das ist die Katze«, schrieb sie weiter, »die sich unweigerlich auf den einen unter Ihren Gästen stürzt, der Katzen nicht mag.« Auch hier wieder hatte sie mir Eisbär aufs I-Tüpfelchen beschrieben.
Mr. Fairchild wiederum erklärte, die Tatsache, daß bei Widder-Katzen aller Unternehmungsgeist verpuffe, sobald es hart auf hart gehe, könnte der Wirkung des Mondes (Wasser) auf das Feuerzeichen (Widder) zugeschrieben werden. Die Katze Bootsie schließlich sprach ihre Artgenossen vom Zeichen Widder direkt an. »Ihr seid schnell gerührt«, schrieb sie, »auch wenn ihr es nicht zeigt.« Sie gab den Katzen auch einen Rat zum Verhalten in Gesellschaft. »Macht keinen Buckel«, empfahl sie, »und ignoriert die Gäste.«
Diese letzte Bemerkung im Verein mit einigen anderen Charakteristika, die in den vier Büchern aufgeführt waren, brachten mich auf den Gedanken, daß Eisbär Widder sein könnte, und ich war schon nahe daran, ihm hier vier Punkte zu geben. Doch eine Bemerkung Mr. Coles hielt mich dann doch davon ab. Er schrieb nämlich, die Widder-Katze sei nicht nur »der Egoist unter allen Katzentieren«, sondern auch »der Hippie im Katzenbereich.« Eisbär ein Hippie!
Allein die Vorstellung war absurd – er hatte ja nicht einmal langes Haar. Ohne weiteres Überlegen gab ich Eisbär in der Widder-Kategorie nur einen Punkt.
Stier (20. April – 20. Mai) war Henry Cole zufolge ein »von Natur aus weibliches Zeichen« – was ich absolut verblüffend fand –, das, wie er erläuterte, »von der Venus beherrscht« wurde. Eines war sicher – für Eisbär kam das nicht in Frage. Doch als Mr. Cole ferner ausführte, die Stier-Katze sei einem »Bär im Winterschlaf« vergleichbar und ihr Lieblingsgeräusch sei das »Quietschen der Kühlschranktür«, fragte ich mich, ob ich in meinem ersten Urteil nicht vorschnell gewesen war.
Mrs. Daniels bestätigte die Sache mit dem Kühlschrank und bezeichnete die Stier-Katze sogar als »unersättlichen Vielfraß.«
»Wenn Sie«, fuhr sie fort, »einen geistigen Gefährten suchen, dann ist dies nicht die Katze für Sie.« Das machte mich so ärgerlich, daß ich die Möglichkeit, dieses Zeichen könne für Eisbär in Frage kommen, beinahe ohne weitere Nachforschungen gestrichen hätte.
Aber dann schrieb Mr. Fairchild, Stier-Katzen würden sich, »sobald das emotionale Klima sich mit Spannungen auflädt, unter die nächste Decke verkriechen«, und ich wurde wieder schwankend. Ich kannte keine Katze, die es mehr haßte, wenn sich ein Klima, gleich welcher Art, mit Spannungen auflud, als Eisbär. Bei Gewittern ist er wirklich fürchterlich.
Schließlich kam noch Bootsie mit ihrem direkten Rat: »Laß dich von unerfreulichen Nachrichten über andere Katzen nicht aus der Ruhe bringen oder in deiner Selbstsicherheit beeinträchtigen.« Nun, in der Hinsicht brauchte ich mir bei Eisbär meiner Erfahrung nach wahrhaftig keine Sorgen zu machen. Den konnten eher erfreuliche Nachrichten über andere Katzen aus der Ruhe bringen. Ich gab ihm schließlich in der Stier-Rubrik nur zwei Punkte.
Als nächstes war der Zwilling (21. Mai – 20. Juni) an der Reihe, von Mr. Cole als ein »etwas männliches Zeichen« definiert. Zunächst hatte ich den Eindruck, dies könne das Zeichen sein, nach dem ich suchte – Eisbär war ja kastriert worden –, aber Mr. Coles folgende Ausführungen hatten mit Eisbär überhaupt nichts zu tun. »Die Zwilling-Katze«, schrieb er, »gedeiht am besten in einem Haus voll kreativer Menschen, bei denen geselliges Beisammensein großgeschrieben wird. Er wird Ihren Schreibtisch usurpieren und sich auf zuvorkommende Art bemühen, Hausgenossen und Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen.« Da Eisbär, wenn ich schon mal eine Einladung gebe, unweigerlich damit reagiert, daß er morgens dem Mann vom Party-Service ins Genick springt und abends den letzten Gast in die Achillesferse zwickt, hielt ich es für höchst unwahrscheinlich, daß er im Zeichen der Zwillinge geboren war.
Eine Bemerkung von Mrs. Daniels jedoch weckte mein Interesse von neuem. »Während die Stier-Katze beim Schachspiel einschläft«, schrieb sie, »wird eine Zwilling-Katze mit wachem Interesse und mühsam gezügelter Spannung jeden Ihrer Züge verfolgen und mit dem Pfötchen die Figur anschlagen, mit der Sie als nächstes ziehen sollten.« So ideal eine solche Katze für mich gewesen wäre, Eisbär war leider nicht von diesem Schlag. Für ihn bestand die ganze Spannung beim Schachspiel darin, sämtliche Figuren mit einem Wisch vom Brett zu fegen – was einen, wenn man am Gewinnen ist, natürlich an den Rand des Wahnsinns treibt.
Mr. Fairchild schrieb, seine Zwilling-Katze erschiene auf Festlichkeiten stets auf den Fersen des Erstankömmlings, stünde dann mit aristokratisch erhobener Nase herum und warte darauf, mit den anderen Gästen bekannt gemacht zu werden. »Nach einer Weile«, schrieb er weiter, »pflegt sie mit einer ganzen Gesellschaft neugewonnener Freunde aufzubrechen und bedenkt uns zum Abschied mit einem Blick, der besagt: Ein reizender Abend. Auf bald hoffentlich.« Das war von Eisbärs Verhalten bei ähnlichen Gelegenheiten Welten entfernt.
Bootsie wiederum erklärte den Zwilling-Katzen kategorisch: »Ihr seid von Natur zwiespältig. Ihr seid großzügig, gerecht, wankelmütig und sprunghaft – eurer Liebe kann man nicht trauen.« Auch das entsprach überhaupt nicht Eisbärs Wesen, so daß ich ihm schließlich unter der Rubrik Zwillinge glatte null Punkte gab.
Über den Krebs (21. Juni – 22. Juli) hatte Mr. Cole folgendes zu sagen: »Bald höchste Ausgelassenheit, bald tiefste Schwermut.« Er warnte, daß eine Krebs-Katze es fertigbrächte, sich bei der Ankunft von Gästen ohne jeden Grund beleidigt in eine Ecke zu verziehen, und selbst der Eigentümer, den sie am besten kenne, bei solchen Gelegenheiten vor einer kräftigen Kralle oder einem Anfaucher nicht sicher sei. Beim Vergleich mit Eisbär kam ich zu dem Schluß, daß hier gewisse Ähnlichkeiten bestanden.
Vorsichtig wandte ich mich Mrs. Daniels zu. Sie nannte die Krebs-Katze einen »Angsthasen« und behauptete, er neige zu eiligen Rückzügen. Ich mußte zugeben, daß auch Eisbär, obwohl man von ihm wirklich nicht behaupten konnte, daß er ein Angsthase sei, vor Dingen, die ihn erschreckten – wie Gewitter, Feuerwerkskörper, Regengüsse und der Staubsauger –, in der Tat zu eiligem Rückzug neigte.
Mr. Fairchild erzählte von der besonderen Mimik der Krebs-Katzen: »Sieh doch, wie ich leide, aber ich will mich ja nicht beklagen.« Für äußerste Notfälle halten sie, so behauptete er, noch einen anderen Ausdruck parat: »Mich versteht natürlich wieder mal keiner, ich bin ja auch nur eine Katze.« Ich mußte zugeben, daß Eisbär sich ganz hervorragend darauf verstand, gerade dieses Märtyrerbild zu vermitteln.
Bootsies Rat an die Krebs-Katze war auch sehr interessant. »Ihr müßt offen bleiben«, schrieb sie, »und anderen gestatten, euch in der richtigen Richtung zu beeinflussen.« Ein guter Rat, den ich Eisbär gern ans Herz gelegt hätte; aber wie hätte ich ihm sagen können, er solle offen bleiben, wenn ich ihn offen nur erlebt hatte, solange er sich noch keine feste Meinung über etwas gebildet hatte? Dennoch entsprach ihm das Krebs-Zeichen mehr als alle anderen, und ich gab ihm drei Punkte.
Der Löwe (23. Juli – 22. August) schien auf den ersten Blick das Zeichen zu sein, das am besten zu Eisbär paßte, schon wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeit mit einem Löwen. Und Henry Cole schrieb: »Alle Katzen ›besitzen‹ ihre Menschen, aber die Löwe-Katze ergreift totalen Besitz von ihnen.«
Mrs. Daniels’ Charakteristik der Löwe-Katze schien meinen Verdacht, daß dies Eisbärs Sternzeichen sein könnte, zu bestätigen. »Die Löwe-Katze«, behauptete sie, »ist die katzenhafteste aller Katzen.«
Mr. Fairchild hingegen warnte: »Sie ist eine große Katze und gibt sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Hüten Sie sich davor, Versprechungen zu machen, die Sie nicht halten können. Sie ist nämlich auch eine Idealistin, und wenn Sie einmal von dem Piedestal gestürzt sind, auf das sie Sie gestellt hat, wird es lange dauern, ehe Sie wieder in Gnaden aufgenommen werden.« Das traf nun wirklich den Nagel genau auf den Kopf, und ebenso Bootsies Rat an die Löwe-Katzen, der sich anhörte, als wäre er ausdrücklich für Eisbär geschrieben worden. »Keine Angst vor Donner und Blitz«, schrieb sie. »Denkt daran, daß ihr selbst gelegentlich Laute der Einsamkeit und der Angst von euch gebt, mit denen ihr die Menschen erschreckt.« Für mich gab es keine Frage, daß Löwe noch besser zu Eisbär paßte als Krebs. Ich gab vier Punkte.
Als nächstes war das Zeichen der Jungfrau (23. August – 22. September), mein eigenes Sternzeichen, an der Reihe, und ich begann die Lektüre mit großen Hoffnungen, zumal Mr. Fairchild darauf hingewiesen hatte, daß Jungfrau-Menschen mit am besten zu Jungfrau-Katzen passen.
Henry Cole gab meinen Hoffnungen weitere Nahrung. »Das sechste Haus des Tierkreises«, schrieb er, »steht für ›Ich analysiere.‹« Wenn es je eine Katze gegeben hat, die die Dinge gründlicher analysierte als Eisbär, dann müßte man, glaube ich, selbst in Analyse gehen, um sie zu finden. Selbst wenn ich Eisbär erlaubt hätte, Mäuse zu jagen, was ich natürlich nicht tat, hätte er sie, davon bin ich überzeugt, nicht zu schlagen brauchen – er hätte sie schlicht und einfach zu Tode analysiert. Auch über den Hang der Jungfrau zu Kritik und Nörgelei ließ Mr. Cole sich ausführlich aus, ebenso über ihre »Pingeligkeit« und die »Neigung, in jeder Suppe ein Haar zu finden.«
»Der Jungfrau-Katze«, schrieb er, »ist nicht bewußt, daß die Katze ein in sich vollendetes Geschöpf ist; die Folge davon ist, daß sie unablässig nach einem höheren Grad der Perfektion strebt.« Ich fühlte mich geschmeichelt.
Mrs. Daniels wies daraufhin, daß die Jungfrau vom Merkur regiert werde, dem Zeichen der Kommunikation. Das gefiel mir ausgezeichnet. Eisbär und ich sind einmalig in Kommunikation. Mrs. Daniels vergaß allerdings nicht, auch auf unsere Pedanterie und Spitzfindigkeit hinzuweisen. »Leider«, schrieb sie, »gehören die unter diesem Zeichen Geborenen nicht zu denen, mit denen sich leicht leben läßt.« Aber wie, hätte ich sie gern gefragt, hätte es denn anders sein können? Wie ich den Leuten, mit denen ich arbeite, oft gesagt habe: Es ist nie einfach, mit jemandem auszukommen, der immer recht hat.
Mr. Fairchild schließlich gab den letzten Ausschlag dafür, daß ich Eisbär unter dem Zeichen Jungfrau einstufte. »Die Jungfrau-Katze«, schrieb er, »von Geburt an kritisch und heikel, zeigt sich jeglicher Art von Tabletten gegenüber mißtrauisch im höchsten Grad und wird praktisch vor nichts zurückschrecken, Kratzen und Beißen eingeschlossen, um nur ja keine schlucken zu müssen.« Das war nun wahrhaftig Eisbär in Reinkultur.
Wenn ich danach noch Bestätigung brauchte, erhielt ich sie von Bootsie. »Es braucht nur eine Taube zu gurren, und eure Augen werden groß wie Untertassen«, schrieb sie.
Keine Frage, ich hatte mein Ziel erreicht – ich wußte nun, daß Eisbär im Zeichen der Jungfrau geboren war. Ich gab ihm fünf Punkte und sah mir die Waagen, Skorpione, Schützen, Steinböcke, Wassermänner und Fische gar nicht mehr an. Jetzt brauchte ich nur noch den Tag seiner Geburt zu errechnen.
Ich bin mir klar, daß einige Leute behaupten werden, ich hätte den zweiten September nur gewählt, weil es mein Geburtstag ist, aber sie täuschen sich. Mittlerweile zum astrologischen Fachmann geworden, errechnete ich das Datum auf eine Weise, auf die selbst Nostradamus stolz gewesen wäre. Zunächst einmal war für mich klar, daß Eisbär näher dem Löwen geboren sein mußte, der von der Sonne regiert wird, dem mächtigsten der Gestirne. Nicht umsonst hatte ich schon in den verschiedenen Beschreibungen der typischen Löwe-Katze viele Gemeinsamkeiten mit Eisbär entdeckt.
Mit der Waage (24. September – 23. Oktober), die von der Venus beherrscht wird, dem Planeten der Schönheit, der Liebe und der Harmonie, hatte er wenig gemein. Der Einfluß des edlen Löwen überwog bei Eisbär eindeutig. Im übrigen habe ich bei meinen Berechnungen natürlich weder die Aszendenten noch die Konjunktionen oder Oppositionen in Betracht zu ziehen vergessen. Sogar auf die Quadrat- und Sextilscheine habe ich geachtet. Und heraus kam der zweite September – ganz genau, der zweite September zwei Uhr morgens.
Sicher werden jetzt einige von Ihnen neben Tag und Stunde auch noch das Jahr wissen wollen. Aber das werde ich Ihnen nicht verraten. Eisbär ist in bezug auf sein Alter so empfindlich wie jeder andere, und ich sehe keine Veranlassung, es in die Welt hinauszuposaunen.
5. Kunststücke
Einer der aufregendsten Momente im Leben eines Autors ist der, in dem er erfährt, daß man beabsichtigt, sein Buch zu verfilmen. Aber als mir das mit meinem ersten Buch über Eisbär geschah, geriet ich jedoch gar nicht in so große Aufregung, wie mancher erwartet hätte.
Gewiß, einen Moment lang hatte ich einen Traum von einem Haus mit Swimming-pool – genauer gesagt, mit zwei Swimming-pools, einem für mich und einem für Eisbär, aber ich blieb auf dem Teppich.
Der Grund dafür ist einfach: Schon des öfteren hat man mir verkündet, man werde aus diesem oder jenem meiner Bücher einen Film oder ein Theaterstück machen, aber nicht ein einziges Mal ist etwas daraus geworden. Ich rannte darum nicht postwendend zur Bank, als ich die Neuigkeit über die geplante Verfilmung meines Katzenbuchs hörte. Mein Traum von einer Luxusvilla war äußerst kurzlebig.
Der Produzent, der Die Katze, die zur Weihnacht kam herausbringen wollte, hieß Pierre Cossette. Ich kannte ihn nicht, hörte aber von verschiedenen Seiten, er sei der Produzent der hervorragenden Grammy Shows. Ich hatte zwar noch nie eine Grammy Show gesehen, aber man versicherte mir, er würde aus meiner Katzengeschichte garantiert einen phantastischen Film machen. Wie dem auch sei, als einen ersten Schritt zur Verwirklichung seines Projekts gab Mr. Cossette ein Presse-Interview, in dem er ankündigte, er werde einen landesweiten Wettbewerb veranstalten, um die Katze zu finden, die den Eisbär spielen könne; es solle die größte derartige Aktion seit »Vom Winde verweht« werden, als man Hunderte von Schauspielerinnen getestet hatte, um die richtige Scarlett O’Hara zu finden. Die Endausscheidung werde im Madison Square Garden stattfinden.
Ich war von diesem Plan weit weniger begeistert als Mr. Cossette. Ich sah schon Hunderte von Katzen im Madison Square Garden herumtoben und Tausende auf den Straßen rundherum; Katzen, die sich fauchend in die Haare gerieten, die von Autos überfahren wurden, die spurlos verschwanden. Mr. Cossette hielt mir vor, ich hätte eben keine Ahnung vom Wert kostenloser Publicity. Doch, entgegnete ich, davon hätte ich sehr wohl eine Ahnung, aber statt kostenloser Publicity würden wir uns auf diese Weise höchstens einen Haufen toter Katzen einhandeln. Schließlich einigten wir uns auf eine ganz andere Art des Wettbewerbs – nur nach vorheriger Terminvereinbarung.
Je länger ich über diese ganze Idee eines Wettbewerbs nachdachte, desto weniger gefiel sie mir. Ich habe nämlich eine Abneigung gegen Wettbewerbe, die auf ein Erlebnis in meiner Kindheit zurückgeht. In dem Sommer, als ich dreizehn Jahre alt war, hatte eine Bostoner Zeitung einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem es darum ging, mit den Buchstaben aus den Wörtern »Pierce Arrow« möglichst viele neue Wörter mit drei oder mehr Buchstaben zu bilden. Die Teilnahme war auf Neu-England beschränkt; ausgerichtet wurde der Wettbewerb von der Firma Pierce Arrow, Hersteller des Automobils gleichen Namens, das damals mehr Prestige besaß als selbst ein Cadillac oder Packard.
Der erste Preis war ein Pierce Arrow, der, soweit ich mich erinnere, zweitausend Dollar kostete, eine astronomische Summe für damalige Verhältnisse. Der zweite Preis war ein Gutschein über tausend Dollar zum Erwerb eines Pierce Arrow, und der dritte Preis ein Fünfhundert-Dollar-Gutschein. Die Annonce erschien, wenn ich mich recht erinnere, im Juni; Einsendeschluß war der letzte Augusttag.
Mein treuer Brookie und ich verzichteten auf alle sommerlichen Vergnügungen wie Schwimmen, Segeln, Baseball und Tennis, um an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können. Tag für Tag, Abend für Abend hockte ich mit Brookie an meiner Seite an der Schreibmaschine und tippte Wort um Wort auf Blatt um Blatt. Mit dreizehn besitzt man eine ungeheure Hartnäckigkeit, und wenn auch Brookie mit seinen acht Jahren vielleicht nicht über das gleiche Maß an Ausdauer verfügte wie ich, so bemühte er sich doch nach Kräften und wich mir nicht von der Seite. Ich arbeitete mit einem Dutzend oder mehr Lexika und tippte wie ein Wilder. Wenn ich auf ein Wort stieß, das nicht mindestens in zwei Lexika verzeichnet war, fügte ich eine Notiz an – zum Beispiel »fremdsprachliches Wort, in den meisten amerikanischen Lexika nicht aufgeführt«, oder »australischer Vogel, nur im englischen Lexikon, nicht im amerikanischen.«
Ende August hatte ich die Arbeit endlich abgeschlossen und schickte die sauer erarbeiteten Früchte meines Mühens ein. Ich wartete geduldig und voller Hoffnung. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß jemand mehr Wörter gefunden hatte als ich, es sei denn, er hatte mit einer noch größeren Anzahl fremdsprachlicher Lexika gearbeitet. Kurz und gut, Anfang September wurden die Namen der Gewinner in der Zeitung veröffentlicht, und siehe da, ich hatte den dritten Preis gewonnen.
Die ganze Familie einschließlich Brookie teilte meine Aufregung. Und als ich von der Firma nicht nur einen Brief, sondern auch einen Scheck über fünfhundert Dollar erhielt, war ich restlos glücklich. Ich brauchte, wie es in dem Schreiben hieß, Brief und Scheck nur beim nächsten Pierce-Arrow-Händler vorzulegen.
Brookie und ich gingen zusammen hin. Zuerst wollten sie Brookie nicht in den Ausstellungsraum hineinlassen, wo die Autos standen, aber ich nahm ihn trotzdem mit. Nachdem ich den zuständigen Mann aufgestöbert hatte, zeigte ich ihm Brief und Scheck. Er sah sich beides eine Weile an, dann reichte er sie mir zurück.
»Und?« fragte er.
Ich sagte, wenn es ihm recht sei, hätte ich gern das Bargeld für den Scheck. Ich hätte zwar überhaupt nichts gegen einen Pierce Arrow, erklärte ich höflich, aber da ich erst dreizehn sei, müßte ich noch drei Jahre warten, ehe ich mir meinen selbst abholen könnte – und das, fügte ich verständnisvoll hinzu, wäre doch für ihn wenig interessant. Wenn er mir für den Scheck vierhundertfünfundneunzig Dollar gäbe, wolle ich damit zufrieden sein.
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er, »das geht nicht. Der Scheck hat nur als Anzahlung auf einen Pierce Arrow Gültigkeit.«