Sie vergeudeten nicht viel Zeit damit, Verpflegung einzupacken. Das meiste der haltbaren Lebensmittel war weg, somit gab es wenig Auswahl. Das Wichtigste waren die Waffen und Munition, die ihr Vater für sie hiergelassen hatte. Sie nahmen auch alles mit, das sie wärmen würde: Decken, Flanellhemden, die Thermo-Unterwäsche ihres Vaters. In den Bergen konnte es kalt werden.
Während sie packten, ging Carl regelmäßig zum Fenster, sah zum Auto um sicher zu sein, dass nicht mehr Tollwütige angekommen waren. Der Himmel begann, seine Farben zu wechseln; weiche Blau- und kräftige Orangetöne. Licht strömte durch eine Reihe Apfelbäume, die Haufen von weißen Blüten auf dem Boden geweht hatten.
“Wie sieht’s draußen aus?” fragte Taylor.
“Gut soweit. Es wirkt sicherer wenn es hell ist.”
Tina saß am Küchentisch. Sie hielt die Fahrt zu den sogenannten “Bergen” für eine schlechte Idee. Sie musste sich selbst daran erinnern, dass sie sich den Jungs angeschlossen hatte und es sich nicht leisten konnte, etwas zu verlangen. Sie hatte keine Ängste, verlassen zu werden, aber genau das könnte jetzt passieren. Sie warf verstohlene Blicke auf die Brüder als diese durch das Haus wuselten.
Die Frage, die du dir stellen musst, dachte sie, ist: wären sie dazu fähig, dich hierzulassen?
Fähig? Ja. Aber würden sie es tun? Sie glaubte es nicht.
Sie trugen die Gewehre und Munition zum Auto und legten alles auf den Boden vor dem Rücksitz. Taylor stopfte die Glock zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, so dass nur der Griff sichtbar war. Alles andere befand sich im Kofferraum.
“Ist das alles?”
Tina nickte. “Ich denke schon.”
“Ich habe das hier. Für Notfälle,” sagte Carl und lächelte als er ihnen eine Flasche Wild Turkey zeigte.
“Alkohol?”
“Yep. Ist vermutlich älter als die Götter. Könnte aber nützlich sein.”
“Inwiefern?”
“Als Schlafmittel.”
Carl zwinkerte ihr zu und wickelte das Flanellhemd um die Flasche. “Wir haben genug Sachen, denke ich.”
Tina glitt auf den Rücksitz, vorsichtig damit sie nicht auf die Gewehre trat. Ein Bündel Schlafsäcke war auf der anderen Seite des Sitzes auf dem Karton mit Verpflegung aus dem Haus ihres Vaters gestapelt. Sie rutschte hinüber und lehnte ihren Kopf gegen das Bündel. “Wie lange dauert die Fahrt dorthin?” fragte sie und schloss die Augen.
“Ein paar Stunden. Unter normalen Umständen. Jetzt wird es länger dauern.”
Carl ging herum zur Beifahrerseite des Autos als er sie sah. Coldwater. Einwohnerzahl: 1579. Mindestens die Hälfte davon kam die Straße herunter als wären sie Teilnehmer eines Marathons. Es war einer der Momente, wo die Zeit sich wie Kaugummi hinzieht.
Taylor sah, wie sein Bruder beim Einsteigen erstarrte und schaute in den Rückspiegel. “Hey. Hey! Steig ins Auto!
Carl agierte immer noch in Zeitlupe, konnte sich aber umdrehen. Er plumpste auf den Sitz und zog die Tür zu.
Taylor startete den Motor, eine Hand wanderte an das Ende der Glock und blieb dort. Er beobachtete, wie die Tollwütigen ihnen folgten. Es vergingen einige quälende Sekunden als der lethargische Motor des Escort debattierte ob er weiter laufen sollte, so dass er dachte, die Meute würde sie überwältigen, dass er sie im Spiegel näherkommen sah, doch dann machte das Auto einen dramatischen Sprung und brachte sie vorwärts und weg von der Gefahr.
Carl sah erschrocken aus. Er zog die Flasche Wild Turkey aus dem Flanellhemd und schraubte die Kappe ab. Er hob die Flasche an seine Nase und schnüffelte. Der Geruch ließ ihn erschauern, doch er nahm einen schnellen Schluck, versuchte, ihn nicht zu schmecken als ein Feuer in ihm brannte, das er bis in seinen Magen fühlen konnte. Er hielt Taylor die Flasche hin.
Taylor schüttelte den Kopf.
“Komm schon. Du bist nicht so alt.
Taylor nahm seine Hand vom Griff der Glock und ergriff die Flasche. Er ließ etwas von dem Alkohol in seinem Mund und dort ruhen, der schreckliche Geschmack war wie eine bittere Magie, die seine schweren Augenlider leichter machte. Nachdem das anfängliche Brennen verschwand, breitete sich eine angenehme Wärme in seinem Körper aus.
Er spürte ein Kitzeln im Hals. Es war nicht schmerzhaft, aber ein subtiler Vorbote, der schlimmere Dinge ankündigte. Sein Körper war erschöpft. Er brauchte Ruhe. Eine heiße Mahlzeit würde auch helfen, aber was sein Körper jetzt brauchte war Schlaf. Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche und gab sie Carl zurück.
“Das sind die meisten, die wir bisher sahen,” sagte Carl. “Sah verdammt nach fast der ganzen Stadt aus.”
“Es sah so aus.”
“Da fragt man sich, wie es in einer Großstadt aussieht. Überleg mal. Wie mag Denver aussehen?”
“Ich weiß nicht,” sagte Taylor. “Ich denke, Vater hatte die richtige Idee. Orte mit vielen Leuten meiden. Sich in der Natur verstecken. Das ist klug. Es spielt keine Rolle, wieviele Gewehre wir haben, es sind zuviel von denen um es anders zu versuchen.”
“Sie haben uns wieder gefunden. Das ist dir bewusst, ja? Ich dachte, sie würden uns bei mir finden, nachdem sie die Gewehrschüsse gehört haben, aber sie fanden uns bei unseren Eltern.”
“Das hat etwas zu bedeuten. Ich weiß nur noch nicht, was. Eine Art besonderer Sinn denn sie konnten uns so weit draußen nicht gehört haben. Wir dürfen das nicht vergessen.”
Carl hatte die Flinte im Winkel, gegen das Armaturenbrett gelehnt, der Lauf zeigte zur die Autodecke. Er hielt es zwischen seinen Knien damit es nicht herum rollte.
Taylor wartete bis die Tollwütigen komplett außer Sichtweite waren bevor links auf die Seymour abbog. Von zwei Orten in der Stadt, wo es Benzin gab, einer favon war eine verkohlte Ruine. Er betete, dass die andere funktionierte.
Der Laden war zwei Blöcke östlich der Hauptstraße, in einem gedrungenen Ziegelsteingebäude, schräg gegenüber der Werkstatt. Er sah die beiden Benzinpumpen nebeneinander stehen wie Grabsteine aus Metall, einhundert Yards vor ihnen.
Carl rollte das Fenster auf der Beifahrerseite herunter und nahm die Flinte hoch. “Ich halte dir den Rücken frei,” sagte er.
“Ja, also, jage uns nur nicht versehentlich in die Luft.”
“Wie wirst du tanken? Ich meine, sieht so aus als funktioniert das Ding, aber es ist keiner im Laden, um dir Zugang zu geben.”
Taylor, der aussteigen wollte, hielt inne. Er nahm seine Brieftasche heraus und entnahm ihr eine Plastikkarte. “Für Notfälle. Mutter gab sie mir vor einigen Jahren.”
Er ging um das Auto herum, schraubte die Tankkappe ab und steckte seine Schlüsselkarte in den Schlitz des Metall-Lesers neben der Pumpe. Nichts. Bitte, Gott, lass es funktionieren. Nur eine verdammte Sache. Das Verhältnis von gut zu schlecht ist zur Zeit wirklich durcheinander. Wie wäre es mit einem Ausgleich?
Er nahm die Karte heraus und versuchte es erneut. Dieses Mal ertönte ein kurzes Ding! und Taylor konnte einen kleinen Metallhebel herunterziehen, der die Pumpe aktivierte. Er begann, den Tank zu füllen und sah zu, wie die Nummern auf dem altmodischen Display der Pumpe vorbei rollten.
“Es funktioniert,” sagte Carl. “Ich kann es nicht glauben. Ich hatte nicht damit gerechnet. Nichts hat bisher funktioniert.”
Taylor deutete auf die Reihe von Autos, die ordentlich Seite an Seite vor dem Schaufenster des Autoladens aufgereiht waren. “Wäre es so gewesen, hätten wir einige von denen hier umfüllen können. Das hätte allerdings viel länger gedauert.”
Als der Tank voll war, hängte Taylor die Düse wieder in seine Halterung. Er sah nach Westen und sah einige von ihnen um die Ecke kommen, immer noch eine große Menge, Teilnehmer einer Parade für Verrückte. “Zeit, auf die Straße zu kommen,” sagte er und stieg ins Auto.
“Du weißt, wieviele dieser Leute wir kennen?” fragte Carl. “Ich könnte die meisten beim Namen nennen.”
Taylor nickte. Er konzentrierte sich auf die Straße vor ihm, sah die Tachonadel auf sechzig springen. Er erkannte die meisten auch. Er war dankbar, dass die drei Einwohner von Coldwater, die ihm am Wichtigsten waren, hatten die Vernunft, in die Berge aufzubrechen. Ob sie es geschafft hatten oder nicht, war ein anderes Thema. Er schob diese Gedanken weit von sich; dafür war jetzt kein Platz. Der Trick war, dachte er, kleine Ziele zu setzen und eines nach dem anderen zu komplettieren. Man verwarf keine Möglichkeiten, aber man ließ sie wie Meilensteine am Straßenrand sitzen; Zeichen, auf die man nur gelegentlich einen Blick warf, da es größeren Zeichen zu folgen galt.
Taylor schielte in den Rückspiegel. “Wie geht es dir da hinten?”
Tinas Augen flatterten auf. Sie betrachtete die Welt außerhalb der Begrenzung des Escorts und sagte, “Okay, glaube ich. Wir fahren dieselbe Strecke, die wir gekommen sind?”
“Ja, wir fahren etwas zurück. Der Ort, zu dem wir fahren, ist etwa eineinhalb Stunden in Wyoming. Mit fünfundsiebzig wird es vermutlich eine vier Stunden Fahrt. Wie ich bereits sagte, unter optimalen Umständen. Höchst wahrscheinlich wird es länger dauern.”
Es herrschte dichter Morgennebel. Taylor war froh darum. Es war als hätte man eine Sicherheitsdecke; ein Kokon, der alles Gefährliche außerhalb seiner Begrenzungen abhielt. Er konnte die Straße bis zu zwanzig Yard vor sich sehen, dann wurde sie vom Nebel verschluckt.
“Sag mir Bescheid wenn ich fahren soll,” sagte Carl. “Ich fühle mich ganz gut.”
“Ich muss gerade einen neuen Aufschwung haben, da es mir gerade auch ganz gut geht. Aber ich werde dir Bescheid sagen.”
Carl drehte am Radio, spielte mit dem Wählknopf. “Immer nocht nichts.”
“Ich verstehe nicht, wie es sich so schnell verbreiten kann. Wenn es eine Krankheit ist. Das bedeutet, sie hat irgendwo angefangen. Ein Affe in Afrika oder sowas. Richtig? Wie kann also die ganze Welt über Nacht zumTeufel gehen? Hätten wir nicht etwas im Fernsehen sehen sollen oder in der Zeitung lesen? Dass Menschen krank werden?”
“Nicht, wenn du dich dort befunden hast,wo der eigentliche Ausbruch stattfand,” sagte Tina. Sie gähnte in ihre Hand und beugte sich vor. “Wir erfahren es im Voraus wenn es woanders zuerst passiert.”
Carl sagte, “Du sagst also, du glaubst es hat hier angefangen?”
Tina zuckte mit den Schultern. “Vielleicht.”
“Das erklärt immer noch nicht viel. Wie etwa, was bedeutet hier? Was ist der Maßstab? Unsere Stadt. Deine Stadt. Es geschah in beiden. Passiert es also nur in ein paar umgebenden Landkreisen oder nur in diesem Staat oder im ganzen Land?” Taylor verlangsamte plötzlich um einem LKW auszuweichen, der an der Schulter stand, das vordere Teil ragte in die Straße. “Eine Stadt, das könnte ich verstehen. Aber so ist es nicht. Wir wissen von mindestens zwei Städten und es wurde ihm Radio erwähnt bevor wir liegen blieben. Die Leute wussten davon, aber nicht lange im Voraus. Es geschah schnell. Vielleicht ist die Frage, wie es sich verbreitet?”
“Oder wodurch es ausgelöst wird,” sagte Tina. “Alles, das soviele Leute so rapide betrifft, muss in der Luft sein.”
“Vielleicht war es ein Meteor.” Carl drehte sich um damit er Tina ansehen konnte, er hielt mit beiden Händen den Gewehrlauf fest. “Er hat eingeschlagen und dabei irgendeine außerirdische Strahlung abgegeben.”
“Ihr habt gesagt, ihr habt es im Radio gehört. War es ein lokaler Sender?”
“Denver.”
“Nun…wenn es Strahlung war, dann hat sie einen ziemlich großen Radius. Ich denke, wir hätten etwas über die Auswirkung gehört.”
“Ich habe einen Witz gemacht.”
“Oh.”
Taylor begegnete ihrem Blick im Rückspiegel. “Er macht das.”
“Also passiert es in den Staaten, vielleicht weltweit. Es ist fast so, als muss es durch die Luft übertragen werden. Und es verbreitet sich schnell. Schnell genug um jeden in etwa…” Sie klappte ihr Handy auf und checkte die Uhrzeit. “Sechzehn Stunden. Gott, ist das alles? Ich fühle als ob wir nahezu ewig unterwegs sind. Es ist komisch wie schnell wir uns anpassen. Eine meiner ersten Klassen im College behandelte die Anpassung der Spezies. Wie Tiere sich über Millionen Jahre hinweg entwickelt haben um in einer sich verändernden Umwelt zu überleben. Gestern früh bin ich in meinem Auto auf einer normalen Straße in einer normalen Welt gefahren. Vom College nach Hause zu meinem Vater. Schaut, was jetzt los ist. Manche Leute denken, die Natur macht das mit Absicht. Wie eine natürliche Reinigung. Nur die Starken passen sich an und überleben.”
“Sechzehn Stunden,” sagte Taylor. Er sah wieder in den Rückspiegel, diesmal an Tina vorbei durch das Rückfenster. Er sah die Sonne niedrig am Himmel, ein verschleierter Himmelskörper, dessen Helligkeit vom Nebel verdeckt wurde.
Carl sagte, “Klingt es wie Tollwut?”
“Nur von den Symptomen ausgehend, sie haben viele von denen, die man bei Tollwut sieht,” sagte Tina. “Aber sonst passt nichts wirklich. Luftübertragung, das schneller Ausbreiten der Infektion, in Rudeln unterweg sein. Ich vermute, es muss nicht passen. Es ist etwas anderes. Normalerweise mutiert eine Krankheit oder ein Virus nicht so schnell. Es lässt mich fast denken…”
“Was?” fragte Carl. “Beende was du sagen wolltest.”
“Also, es lässt mich denken, dass es vielleicht menschengemacht war.”
“Terroristen?”
“Könnte sein. Die Menschen haben so etwas schon seit Jahren befürchtet. Aber es hätte genausogut ein Unfall sein können. Das ist nicht so selten, wie ihr denken mögt. Es ist egal, wieviel Vorsichtsmaßnahmen man trifft um sie zu verhindern, Leute machen weiterhin Fehler. Ich bin nur froh, dass sie Angst vor Wasser haben.”
“Wo wir hinfahren, sind Seen. Zwei kleine und ein größerer.”
“Haben eure Eltern ein Boot?”
“Ja. Es ist nur ein kleines Angelboot. Platz für fünf oder höchstens sechs Personen. Ich habe nicht daran gedacht nachzusehen, ob sie es mitgenommen haben oder nicht,” sagte Carl.
“Bete, dass sie es bei sich haben. Ich wünschte, ich wüsste wo mein Vater hin ist. Wir könnten ihn finden und mitnehmen.”
Taylor überkam wieder ein Schuldgefühl. Es war eine erneute Gelegenheit, ihr die Wahrheit zu sagen, doch er blieb wieder stumm. Er brachte es nicht über sich. Je mehr er darüber nachdachte, umso richtiger schien es, es ihr zu sagen. Von dem, was er in kurzer Zeit erfasste, war Tina so besonnen wie man nur sein kann, aber ihr sagen, dass ihr Vater einer von ihnen war, das wäre für jeden eine heftige Nachricht. Wenn sie ausflippte, könnten sie Ärger haben. Sie könnte etwas Dummes tun und sich selbst in Gefahr bringen oder, noch schlimmer, sie alle. Und wenn man es nur dahingehend abwog, was das Beste für ihr aller Überleben war, sagte ihm sein Instinkt, sein Wissen für sich zu behalten. Manchmal musste die Moral in den Hintergrund treten.
Er sagte, “Vielleicht findet er einen Weg, mit dir Kontakt aufzunehmen,” und er fühlte sich trotz seiner guten Absichten total fies.
Sie so anzulügen, dafür landest du in der Hölle, dachte er, worauf sofort der Gedanke folgte: Oh, warte, da sind wir bereits.
“Schaut!”
Carl rief es so laut und plötzlich, dass Taylor beinahe die Kontrolle über den Wagen verlor und sofort hellwach war. “Was?”
Die I-80 war vom Highway aus sichtbar. Carl zeigte darauf und sagte, “Genau dort. Siehst du sie nicht?”
Taylor blinzelte in die Richtung der Interstate. “Wie kannst du etwas erkennen durch die…”
Doch dann sah er es. Er nahm seinen Fuß vom Gaspedal und das Auto verlangsamte zu einem Kriechen.
“Jetzt siehst du sie, huh?”
Er antwortete mit einem knappen Nicken. Sein Fuß berührte die Bremse und brachte das Auto sanft zum Stehen und er parkte. Er öffnete die Tür, stieg aus und trat auf die Straße.
Tina sagte, “Was machst du da? Bist du verrückt?”
Carl öffnete seine Tür. “Sie sind weit entfernt. Weit genug, dass wir abhauen könnten bevor sie in unsere Nähe kommen.”
Nach einigem Zögern verließ sie das Auto und trat zu ihnen.
Der Highway lag höher als die Interstate. Sie beobachteten sie von einem kleinen Hügel, schauten hinab auf die Masse. Es war unmöglich zu wissen, wieviel es waren. Carl dachte, er hatte noch nie so viele Menschen an einem Ort versammelt gesehen. Vor einigen Jahren, als er noch in der High School war, hatte Taylor ihn zu einem Def Leppart Konzert mitgenommen, und er war hatte all die Menschen im vollgepackten Stadion bestaunt. Dies hier war schlimmer.
“Glaubst du, sie sind normal?” fragte Tina. “So wie sie gehen kann ich es nicht beurteilen.”
“Nein. Sie sind nicht normal.”
“Woran kannst du das sehen?”
“Vertrau mir. Sie sind nicht normal.”
“Woher kommen sie, was denkst du?”
“Keine Ahnung. Aber ich möchte wissen, wo sie hingehen,” sagte Taylor. “Sie müssen irgendwo hingehen.”
“So viele von ihnen.”
“Hunderte?”
“Tausende.”
“Sie haben kein Zuhause mehr,” sagte Taylor. Er hatte fast Mitleid mit ihnen, aber es war ein flüchtiges Gefühl. “Sie sind alle heimatlos.”
Dazu gab es nicht mehr viel zu sagen.
“Glaubst du, sie wissen wohin sie gehen? Als hätten sie ein Ziel vor Augen,” sagte Carl. Er hatte sich ans Steur gesetzt als sie wieder ins Auto stiegen.
“Hätte ich es nicht gerade mit eigenen Augen gesehen, ich hätte es ihnen nicht zugetraut. Sie könnten gehen ohne zu wissen, wohin. Das ist möglich.”
“Warum sollten sie nach Osten wandern? In der Richtung kommt ewig lange nichts,” sagte Tina. “Nichts außer kleine Städte bis nach North Platte. Und das ist nicht sehr groß.”
“Omaha?” sagte Carl.
“Ich bezweifle es.”
“War nur ein Gedanke.”
Fünfundvierzig Meilen später hatte sich der Nebel aufgelöst. Der Himmel war mit dicken grauen Wolken bedeck.
“Wir kommen nach Cheyenne,” sagte Carl. “Wollt ihr auf dem Highway bleiben? Er bringt us direkt in die Innenstadt.”
Taylor sah zur I-80. Verlassene Fahrzeuge bildeten ein Labyrinth aus Metall und Glas auf vier Bahnen und dem Mittelstreifen. An manchen Stellen sah es so aus, als wäre es unmöglich, den Escort durch einige der am meisten verstopften Stellen zu zwängen. “Die Interstate ist unbenutzbar. Ich sehe keine andere Wahl als auf dem Highway zu bleiben. Sei nur vorsichtig.”
“Nachdem was vor kurzem gesehen haben, zweifle ich, dass noch jemand in der Stadt ist. Diese vielen Leute kamen von irgendwoher.”
“Sie sind wie ein reisender Karavan. Eine Gruppe geht los und unterwegs kommen mehr hinzu. Fast als würden sie sich für etwas versammeln.”
“Jetzt fällt es mir wieder ein!” Tina rutschte auf dem Rücksitz nach vorne. “Ich musste vorhin daran denken, als wir diskutierten, was all das verursacht haben könnte, doch dann habe ich es vergessen. Warum haben wir uns nicht infiziert? Was haben wir anders gemacht?”
Carl sagte, “Vielleicht haben wir eine natürliche Immunität. Ist das nicht in Filmen so? Gewisse Leute sind auf hwundersame, magische Art nicht betroffen.”
“Ja, aber in der Realität ist es nicht so plausibel. Ich will nicht sagen, es ist unmöglich,” Tina sagte, “aber es wäre ein großer Zufall. Ihr habt gesagt, ihr habt es im Radio gehört. Also seid ihr Auto gefahren als es passierte?”
“Ich vermute es.”
“Ich bin auch Auto gefahren. Ich habe es nicht im Radio gehört. Ich sah es als ich in die Stadt kam. Dann habe ich mich im Laden meines Vaters versteckt.”
“Du glaubst, wir sind nicht so wie diese Dinger geworden weil wir Auto fuhren? Das macht nicht besonders viel Sinn.”
“Es macht auch nicht viel Sinn, dass in so vielen Orten um etwa dieselbe Zeit der Strom ausfiel,” sagte Taylor. “Einige der Dinge, die ich bemerkte, lassen mich denken, was immer da vor sich geht, passiert nicht zufällig. Es kam nicht aus heiterem Himmel wie der Zorn der Natur oder sowas.”
“Ihr seid nach Osten gefahren um nach Hause zu kommen. Ich fuhr nach Westen. Keiner von uns hat bekommen was immer da umgeht.”
“Wie eine Erkältung,” sagte Carl und lächelte.
“Und was für eine versaute Erkältung.”
“Aber seht euch die ganzen Autos auf der Straße an. Eine Menge Leute wären gefahren. Wie hat es sie erwischt aber nicht uns?”
“Vielleicht hat es sie nicht erwischt. Vielleicht saßen sie da draußen fest und konnten nirgendwo hin.”
Taylor warf Tina einen Blick zu der sagte, er war nicht überzeugt.
“Okay,” sagte Tina. “Meine Theorie hat ein paar Fehler.”
“Du bist ein Scherzkeks,” sagte Carl.
Carl verlangsamte auf Dreißig, die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit. Verlassene Autos säumten die Straße. Ein silberfarbener Nissan war ordentlich auf dem Gehweg geparkt, die Haube war eingedrückt von der Straßenlampe mit der er kollidiert war.
Die Straße wurde verstopfter, je weiter sie in Cheyennes Innenstadt kamen.
“Da kommen wir nicht hindurch,” sagte Carl.
“Fahr drum herum.”
“Wie? Es ist kein Platz.”
“Bieg auf einer dieser Seitenstraßen nach rechts ab und fahr drum herum. Ein paar Blöcke weiter unten können wir wieder auf diese Straße zurück.
Carl bog rechts ab und fuhr eine Straße hinauf. Sie trafen auf mehr abgestellte Autos, aber er konnte den Escort vorbei manövrieren, nahm die nächste Straße links und fuhr wieder Richtung Westen.
“Es ist wie eine Geisterstadt,” sagteTina. “Eine wirklich große. Man kann fast fühlen, dass keiner mehr hier ist.”
Taylor sagte, “Wir können nicht die einzigen sein. Ich weigere mich, das zu glauben. Meine Eltern haben es überlebt.”
“Und Angie,” sagte Carl.
“Ja, und Angie. Ich bin sicher, es gibt noch andere. Sie sind einfach nur klug und suchen Zuflucht an den sichersten Orten, die sie finden können. Es ist vermutlich, was wir tun sollten. Was wir tun werden sobald wir in den Bergen sind.”
“Da vorne ist alles blockiert.”
“Tu was du vor einer Minute getan hast. Finde eine andere Straße.”
Wie Ratten in einem Labyrinth, dachte Carl.
Manchmal schien es, dass die Anzahl der Sackgassen unendlich war. Carl navigierte durch die Straßen und dachte, es wäre nicht ganz absurd, einen Pfad aus Brotkrümeln zu hinterlassen. Sie waren gezwungen, mehr als ein halbes Dutzend Umwege zu nehmen.
“Das gefällt mir nicht,” sagte Carl. “Sie könnten uns einkesseln und wir säßen fest.”
“Wir haben die Innenstadt fast hinter uns.”
“Du bist immer so weise.”
“Weiser als mein Alter.”
Tina war erfüllt mit nervöser Erwartung, als ob sie darauf wartete, dass etwas Bedeutsames passieren würde. In der Luft lag eine Spannung, die dichter war als der Nebel, durch den sie vor einer Weile gefahren waren.
Sie sorgte sich um ihren Vater. Taylor wusste etwas darüber. Sie war sich sicher. Er verschweigt mir etwas, dachte sie immer wenn sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah nachdem sie ihren Vater erwähnte. Sie hatte absichtlich in regelmäßigen Abständen davon angefangen um seine Reaktion zu sehen. Jedes Mal war er nahe daran, ihr etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Es war nichts Gutes, das wusste sie. Sie gab auf. FOR NOW.
“Glaubst du, sie hätten uns inzwischen gefunden?”
“Wahrscheinlich. Ich habe das Gefühl, die Stadt ist leer. Legt mich nicht darauf fest, aber ich glaube, die große Gefahr ist vorbei.”
“Das ist gut für uns.”
“Es erklärt immer noch nicht, wohin sie gingen,” sagte Taylor.
“Das Glück ist auf unserer Seite. Schau einem geschenkten Gaul nicht ins Maul, Bruder. Sei einfach dankbar.”
“Ich habe nicht gesagt, dass ich das nicht bin.”
“Also stell es nicht in Frage. Zumindest nicht laut. Nicht bis wir aus der Stadt sind. Wenn wir in den Bergen sind und Mutter und Vater und Angie finden, kannst du spekulieren soviel du willst. Was wir gesehen haben…es war einfach unheimlich. Und ich kann es mir nicht erklären. Ich werde es nicht einmal versuchen. Ich werde dem Mann im Himmel dafür danken, dass er uns ein bißchen Glück geschickt hat und mich dann wieder um meinen Kram kümmern. Wenn du versuchst, es zu analysieren, wirst du uns verhexen.”
“Das ist lächerlich.”
“Ich bin abergläubisch.”
“Auf einmal?”
“So ziemlich. Ja.” Carl schielte zu ihm hinüber und sah, wie er die Augen verdrehte. “Denk daran, ich weiß verschiedenen peinliche Dinge über dich.”
Zwanzig Minuten vergingen bis sie den Highway wieder erreichten.
Carl pfiff und lockerte seinen Griff um das Lenkrad. Seine Handflächen schwitzten und er wischte sie an seinen Jeans ab. “Ich bin froh, dass wir das hinter uns haben.”
“Anti-klimatisch,” sagte Taylor.
“Alter, ich habe dich bereits gewarnt. Sprich so einen Unsinn nicht laut aus.”
“Ich sage doch nur. Das muss fast die ganze Stadt gewesen sein, die die Straße entlang wanderte. Was ist die Einwohnerzahl von Cheyenne?”
Tina sagte, “Ziemlich genau fünfzigtausend, denke ich.”
“Du glaubst, es waren fünfzigtausend von ihnen auf der Straße,” fragte Carl.
“Ich weiß nicht, ob es so viele waren, aber eine Menge.”
“Wichtig ist, dass sie in die entgegengesetzte Richtung gehen.”
“Wenn das alle tun, müssten wir noch viele mehr sehen,” sagte Tina. “Als ob es in den gesamten USA passiert und wenn irgendeine Macht sie nach Osten zieht, werden es noch viel mehr sein.”
“Darüber brauchen wir uns jetzt keine Gedanken machen,” sagte Taylor.
Cheyenne verschwand so abrupt als hätte ein unsichtbarer Zaun den Übergangspunkt markiert. Ein Restaurant, Hotel und Läden für Heimbedarf waren einige der letzten Anzeichen einer zivilisierten Welt. Danach schlängelte sich ein langer, gewundener Highway so weit man sehen konnte. Nach einigen Meilen kamen sie an einem Atomkraftwerk vorbei das aussah wie die Ruinen eines futuristischen Königreiches, dass man nach einer Apokalypse vergessen hatte. Ineinander geschobene Metallhaufen zeigten in den Himmel wie Turmspitzen.
“Meine Damen und Herren,” sagte Carl und beschrieb mit seiner Hand einen Bogen, “das Ende der Welt.”
Und Tina dachte, genauso sah es aus: das Ende der Welt. Sie berührte die Tasche ihrer Jeans, die Form ihres Handys war sichtbar. Läute, dachte sie. Ruf mich an und lass mich wissen, dass es dir gut geht.
Taylor sagte, “Vergiß Buford nicht. Das ist das wahre Ende der Welt.”
“Damit könntest du recht haben,” sagte Carl.
“Es erinnert mich an unsere Kindheit. Vater hat uns hierher gebracht. Das waren gute Zeiten.”
“Himmel, ja, das waren sie.”
Tina, auf dem Rücksitz, began zu weinen aber leise und für sich damit Taylor und Carl es nicht sahen. Sie hatten noch Hoffnung und sie wollte das nicht ruinieren weil ihre eigene Hoffnung, das bißchen, das sie noch hatte, immer mehr schwand.