Kapitel 4: Die Flucht
Hinterher ist man immer klüger.
Erst als er auf dem Gehweg war, nass vom Regen und einer Meute von über hundert blutdürstigen Kreaturen gegenüberstand, die man kaum menschlich nennen konnte, dämmerte es him, dass er einfach in die andere Richtung hätte laufen können. Anstatt sie in den Laden zu locken, hätte er nach rechts und um die erste Straßenecke rennen können. Hätte Carl und Lisa anweisen können, dreimal links abzubiegen statt zweimal. Er wäre zweimal rechts abgebogen und sie hätten sich getroffen.
Jetzt schien es so einfach. So klar. Aber es war zu spat um etwas zu ändern.
Sein Mut nahm ab als würde er vom Regen weggewaschen. Der überfürsorgliche Teil seines Gehirns, der an Selbsterhaltung und weiteres Überleben interessiert war, schrie ihn an, den Unsinn sofort zu beenden. Argumentierte mit ihm. Sie hatten ihn noch nicht bemerkt. Leise in den Laden zurückgehen, die Tür hinter ihm abschließen und das Ganze abblasen. Noch war Zeit dafür.
Aber es war keine Zeit dafür. Einer von ihnen drehte sich um und sah ihn. Es war, als würde man von Mutter beim Onanieren erwischt. Du erstarrst für einen Augenblick, dein Glied in deiner Hand, schaust darauf und dann zu deiner Mutter als es sofort flach wurde, ein Ausdruck in deinem Gesicht, der sagt, Wo kam das auf einmal her?
Taylor spürte, wie seine Logik schwand. “Kommt, ihr Hundesöhne! Kommt und schnappt mich! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!”
Er rannte zurück in den Laden, zog die Tür hinter ihm zu und verfluchte den Pneumatikarm, wodurch sie schmerzlich langsam ins Schloß fiel. Er hatte den Schlüssel in der Hand um sie abzusperren. Er rief Carl und Lisa zu, “Lauft! Raus hier! Jetzt!”
Er drehte den Schlüssel um und riss ihn aus dem Schloß.
Hände hämmerten auf die Fensterscheibe, hinterließen schleimige Handabdrücke. Taylor fiel nach hinten, die Machete vor sich haltend. Er hörte, wie die Hintertür zufiel. Er dachte zu hören wie Tinas Escort startete, konnte sich aber nicht sicher sein.
Er stand vom Boden auf und lief ins Hinterzimmer. Hinter ihm brach Glas. Er musste sich zwingen, nicht zurück zu schauen; weiter in den hinteren Teil des Ladens zu laufen. Als Carl ihm die Machete gab, wirkte sie wie eine beeindruckende Waffe. Jetzt schien sie nur unpassend.
Taylor hörte, wie sie durch die Scheibe … kamen, der Laden wurde zerstört als sie ihn verfolgten.
Er erreichte die Tür und riss sie auf. Das Auto war fort. Gut, dachte er. Danke wenigstens für das.
Kalter Regen biss in seine Haut als er die Gasse hinauf rannte. Er erreicht die Straße und hielt an. Dutzende der tollwütigen Gestalten saßen noch im Eingang zu Dave’s Hardware fest und versuchten, sich durch den Engpass, der sich gebildet hatte, ins Ladeninnere zu drängen. Ein weitere Übersicht in seinem Plan. Trotzdem drängten sie weiter in den Laden und bemerkten nicht, dass er nun am Eingang zur Gasse stand.
Er hörte das Geräusch der Hintertür, Metall prallte auf Ziegelsteine; Füsse platschten in Pfützen. Er wandte sich nach links und rannte.
Seine Beine schmerzten fast sofort, aber er vergaß den Schmerz einfach indem er seine Gedanken fokkusierte. Der Regen behinderte die Sicht nach vorne, doch er konnte die reflective grüne Oberfläche eines Straßenschildes ausmachen.
Rote Streifen reflektierten von der regennassen Straße. Taylor war sich zuerst nicht sicher was er sah. Doch als er näherkam, erkannte er, dass es sich bei dem roten Licht
um das Bremslicht des Escorts handelte.
Er fasste nach dem Griff der hinteren Autotür und zog. Sie war verschlossen. Er hämmerte ans Fenster. Tina lehnte sich zum Rücksitz und entsperrte sie.
“Los!”
Taylor sprang auf den Sitz und zog die Tür zu. Das Auto schaukelte zur Seite als der erste in der Meute es erreichte und einer von ihnen sprang auf den Kofferraum. Er sah das Gesicht reinen Wahnsinns gegen das Rückfenster gepresst, die Nase flach auf der Scheibe, die Lippen zurückgeschoben, der Atem bildete einen nebligen Fleck auf dem Glas. Und trotz des starken Regens konnte er den aufgestickten Namen auf dem Arbeitshemd lesen: DAVE.
“Los!”
Carl trat auf das Gaspedal, das Ergebnis enttäuschte. Der Start war träge; er zeigte wovor Tina sie gewarnt hatte: kein von null auf hundert. Taylor beobachtete in Zeitlupe wie der Rest der Meute ankam und mit ihnen mithielt bis der Escort beschleunigte.
Das Auto kam ins Schlingern und die Kreatur, die sich am Kofferraum festklammerte, flog herunter und Wasser spritze auf als ihr Körper auf die Kurve aufschlug.
Bye, Dave. Danke, dass wir uns in deinem Laden verkriechen durften, dachte Taylor. Ich werde gut auf deine Tochter aufpassen.
Carl fand die Kontrollen für die Scheibenwischer und schaltete sie ein. Er sah in den Rückspiegel. Trotz schlechter Sicht hielt er das Auto beständig bei fünfundvierzig, beobachtete, wie die Meute kleiner und kleiner wurde als sie sich weiter entfernten. Nach mehreren Blöcken verlangsamte er an der Kreuzung und sagte, “Was jetzt? Wenn wir geradeaus fahren, kommen wir zurück auf den Highway.”
“Verschwinden wir von hier,” sagte Tina. “Aus dieser Stadt. Woanders kann es anders sein.”
Sie macht sich etwas vor, dachte Taylor. Sie könnte recht haben und das Radio unrecht, aber ich bezweifle es.
“Ich stimme dem zu,” sagte Carl. “Lasst uns schnell aus Dodge verschwinden.”
Taylor sagte, “Es wird eine lange Fahrt werden. Mindestens eineinhalb Stunden.”
“Ich kann uns schneller hinbringen. Haltet mich für verrückt, aber ich glaube nicht, dass wir ein Knöllchen bekommen würden.”
“Wir könnten ein paar Vorräte brauchen.”
“Die sind direkt neben dir. Alles, was du in das Tuch gepackt hast. Was willst du noch?”
“Für den Anfang? Nahrung.”
Carl dachte darüber nach. Sein Magen knurrte bei dem Gedanken. “Essen wäre gut. Aber keiner von uns wird während der eineinhalb Stunden Fahrt nach Hause verhungern. Ich bin hungrig, aber nicht so hungrig. Nicht genug um zu riskieren, in dieser Stadt festzusitzen.”
“Ich habe hier nichts mehr verloren,” sagte Tina. “Ich hoffe nur, mein Vater konnte hier weg bevor es schlimm wurde.”
Taylor starrte aus dem Fenster. Was du nicht weißt, kann dir nicht wehtun, dachte er, und fragte sich, ob er ein moralisches Gesetz brach indem er Tina verschwieg, dass er ihren Vater gesehen hatte. Er fragte sich, ob er es wissen wollte wenn es umgekehrt wäre. Er entschied, in diesem Fall stimmte der alte Spruch: Ignoranz ist ein Segen.
“Es geht nicht darum, wie lange wir es aushalten können. Ich denke an all die Möglichkeiten. Zum Beispiel, dass wir auf eine Straßensperre treffen. Was, wenn wir irgendwann zu Fuß weiter müssen? Was, wenn wir nicht nach Hause können? Mir fällt da einiges ein.
Es könnte klug sein, hier anzuhalten und etwas zu essen zu finden. Ein Haus und dann plündern wir den Kühlschrank wenn es sein muss.” Er drehte sich im Sitz um damit er aus dem Rückfenster sehen konnte. “Die Dinger sind nicht mehr zu sehen. Auch wenn sie versuchen, uns zu folgen wird es eine Weile dauern bis sie es so weit schaffen. Wir können das Auto verstecken.”
“Sie könnten uns finden,” sagte Tina. “So wie sie uns im Laden fanden.”
Carl sagte, “Ja, ich will nicht wieder eingekesselt werden.”
Taylor lehnte sich nach vorne. “Vielleicht waren wir zu laut. Sonst nichts. Sie hatten Glück. Es heißt nicht unbedingt, dass sie besondere Fähigkeiten haben.” Taylor bemerkte wie Carl ihn im Rückspiegel anstarrte. “Ich schlage nicht vor, uns hier niederzulassen. Wir nehmen nur etwas zu Essen mit und was wir sonst noch brauchen können. Das schaffen wir in weniger als zwanzig Minuten. Dann sind wir weg.”
Carl starrte wieder in den Rückspiegel und dieses Mal war Taylor sicher, dass die Aufmerskamkeit seines Bruders ihm galt.
“Hört zu, Leute, überlegt mal. Es ist das klügste, das wir tun können.”
Carl seufzte und trat leicht auf die Bremsen. “Schön.” Er deutete aus dem Fenster auf die Häuser entlang der Straße. “Also welches? Oder spielen wir Ene-Mene-Mu?”
Taylor legte seine Hand auf Tina’s Schulter. Er spürte, wie ein Angstschauer sie durchlief. “Ist das in Ordnung für dich?” fragte er.
“Was immer ihr für das Beste haltet. Ich habe euch gebeten, mich mitzunehmen. Ich will auf keinen Fall Ansprüche stellen.”
“Ich schätze das, aber wir haben immer noch eine Demokratie. Du hast immer noch Mitspracherecht bei Entscheidungen.”
“Das ist gut zu wissen,” sagte sie und starrte aus dem Fenster in den Regen. Zumindest in dem Moment schien sie weit weg und unerreichbar zu sein.
“Entscheide dich schnell, Bruder, denn das ist keine große Stadt. Wenn ich zum Highway komme, kann ich nicht garantieren, meine Meinung zu deiner Halte-Idee nicht doch noch zu ändern.”
“Wähl einfach ein Haus.”
“Du willst einfach irgendeines aussuchen? Sollten wir nicht das größte nehmen?”
“Nein. Das größte hat nicht unbedingt das meiste Essen. Ich denke, wir suchen nach dem heruntergekommensten Haus, das wir finden können und sehen uns darin um.”
“Siehst du? Er ist ein Spinner.”
“Essensmarken,” Taylor sagte.
“Was ist damit?”
“Wir suchen ein Haus unter dem Mittelstand. Wer immer dort wohnt, sollte arm sein. Oder zumindest eine schwere Zeit durchmachen. Jetzt denke weiter: sie sind arm und erhalten deshalb Essensmarken. Wenn du Geld geschenkt bekommst, was würdest du damit machen? Du gibst es aus. Also haben diese Leute wahrscheinlich einen gut gefüllten Kühlschrank.”
Carl fuhr langsamer und blinzelte um den Zustand der Häuser durch den Regen unterscheiden zu können. “Das ist eine bekloppte Begründung, aber du könntest Recht haben.”
Tina drehte sich in ihrem Sitz damit sie beide Jungs sehen konnte. “Oder es gibt vielleicht eine Alternative.”
“Die da wäre?” fragte Taylor.
“Wir fahren zu meinem Haus. Also, das Haus in dem ich aufgewachsen bin. Jetzt lebt dort nur noch mein Vater. Er füllt den Kühlschrank immer auf, wenn ich ihn an manchen Wochenenden besuche. Nichts besonders aber ich bin sicher, wir würden etwas finden, das wir mitnehmen können.”
“Das ist sogar besser,” sagte Taylor.
“Hat er Waffen im Haus?”
“Nicht das ich wüsste,” sagte Tina. “Ich glaube nicht, dass er Waffen im Haus hatte als ich hier aufwuchs. Er könnte seitdem welche haben. Aber wenn, würde ich nicht wissen, wo er sie aufbewahrt.”
“Wie kommen wir hin?”
Sie beugte sich näher zur Windschutzscheibe, zog das Gesicht kraus. “Der Regen macht es schwer. Okay. Siehst du die Straße, auf die wir zufahren? Wenn du dort bist, fahr nach rechts.”
Carl fuhr langsamer und bog rechts ab. Zwei Blöcke weiter wies sie ihn an, erneut rechts abzubiegen.
“Das Haus meines Vaters ist am anderen Ende der Stadt von wo wir jetzt sind. Fahr weiter geradeaus bis du zur Ampel kommst. Es ist eine von nur zwei in der Stadt. Ziemlich armselig, eh?”
“Unsere Stadt hat keine,” Carl sagte. “Wir haben immer noch Einwahl-Internet.”
“Ihr tut mir leid.”
“Ich tue mir selbst leid. Es ist wie ein winziges schwarzes Loch in Amerika. Unsere Stadt wurde hineingesogen. Jetzt sitzt sie da, geht nirgendwo hin und nichts kann entkommen.”
Tina deutete nach vorne. “Die Ampel ist gleich dort oben. Sie funktioniert nicht, daher ist sie schwer zu sehen. Du biegst dort links ab. Es ist eine Art Rundweg, aber wir sind weiter weg von der Innenstadt wo diese Dinger sind.”
Taylor sagte, “Wer weiß wo die sind. Sie könnten uns weiter gefolgt sein.”
Carl bog an der toten Ampel links ab und dann wieder rechts für drei Blöcke bis Tina auf ihr Haus zeigte. Es gab keine Auffahrt, also parkte er an der Kurve und stellte den Motor ab. Taylor und Carl öffneten ihre Türen um auszusteigen. Tina blieb bewegungslos sitzen.
“Was ist los?”
“Ich habe Angst, hineinzugehen”, gab sie zu. “Meine hoffnungsvolle kleine Vision ist, dass mein Vater die Stadt verlassen hat. Dass er an einem sicheren Ort ist. Das hoffe ich. Aber meine Fantasie hat viele weniger schöne Möglichkeiten. Er könnte tot auf dem Küchenfußboden liegen. Oder zu einem dieser…Dinger geworden sein.”
“Das darfst du nicht denken,” sagte Taylor und fühlte sich dabei so beschissen wie nie zuvor. Sein Gewissen drängte löcherte ihn, ehrlich zu sein und, ihr die alte Wahrheit zur Situation zu sagen, nämlich dass ihr Vater tatsächlich eines dieser Dinger war, aber dass sie sich nicht sorgen mussten, ihm im Haus zu begegnen.
Hättest du es ihr gleich gesagt, würdest du jetzt nicht hier stehen und versuchen, sie zu überzeugen ins Haus zu gehen, dachte er.
Aber er ignorierte sein Gewissen erstmal. Innerlich wusste er, er verhielt sich wie ein Feigling und es passte ihm ganz und gar nicht.
“Woher weißt du das?”
“Ich sag dir was,” meinte Taylor. “Carl wird hier mit dir für eine Minute warten während ich das Haus checke. Ist es sicher, werde ich euch hereinwinken. Klingt das gut?”
Sie nickte zögernd.
“Bist du sicher, du willst alleine hineingehen?”
“Es wird nur eine Minute dauern.”
“Scheint als bist du derjenige, der alle Risiken eingeht,” sagte Carl.
“Kalkulierte Risiken.”
“Du bist ein Arschloch.”
“Große Brüder sollen Arschlöcher sein.”
Carl sah zu, wie Taylor eine Ecke des Tuches aufklappte und herumkramte bis er eine Taschenlampe fand.
“Sei vorsichtig.”
Taylor nickte und marschierte auf das Haus zu.
“Warte,” sagte Tina.
“Was?”
“Der Haustürschlüssel ist da ran,” sagte sie und zeigte auf den Schlüsselring, der von der Zündung des Escort baumelte.
Carl fummelte mit den Schlüsseln. “Welcher ist es?”
“Lass mich sehen.”
Sie ging den Schlüsselring durch, den Carl ihr reichte, bis sie den richtigen fand. “Der ist es,” sagte sie. “Ich erkenne ihn, denn er hat den kleinen unechten Rubin am breiten Ende aufgeklebt.”
Taylor beugte sich hinunter und steckte den Kopf durch das offene Autofenster. “Gibt es eine Hintertür?”
“Ja. Warum?”
“Ich werde nach hinten gehen. Frag mich nicht warum. Ich habe keinen guten Grund dafür. Es scheint sicherer. Lass den Schlüssel in der Zündung und lass den Motor aus denn er würde zu laut sein, aber seid bereit falls diese Dinger auftauchen.”
“Was ist mit dir?”
“Hupt. Ich werde wissen, es bedeutet ihr musstet abhauen. Fahrt zur anderen Seite des Blocks. Ich kann durch den Garten abkürzen, die Zäune…was immer, um auf die Straße hinter dieser zu gelangen.”
Es gab nur das Prasseln des Regens und das Geräusch seiner quietschenden Schuhe als er durch das durchweichte Gras stapfte.
Der Drank zu rauchen überkam ihn wieder; das nagende Gefühl, das aus dem Nichts kam. Als er sich entschloss aufzuhören, war der Drang nicht so willkürlich. Er kam ganz natürlich wie andere tägliche Tätigkeiten oder Gefühle. Etwas einfaches wie das Telefonklingeln konnte ihn auslösen. Mit der Zeit wurden die Attacken weniger, aber hin und wieder, während besonders stressigen Situationen, fühlte er den Drang. Und im Moment war es schlimm. Er merkte, wie er hoffte, dass Tinas Vater ein Raucher gewesen war. Vielleicht würde e rim Haus eine Packung finden. Taylor dachte, falls ja, würde er evtl. der Versuchung nachgeben.
Als er den hinteren Teil des Hauses erreichte, war die Feuchtigkeit durch seine Sneaker gedrungen und durchnässte seine Socken. Er stieg die drei Zementstufen hoch, öffnete die Screen-Tür und drehte den Knopf der inneren Tür. Verschlossen. Er nahm den Schlüssel, den Tina ihm gegeben hatte (im Metall war tatsächlich ein kleiner künstlicher Rubin eingelassen), steckte ihn ins Schloß und er drehte sich probemlos.
Er schaltete die Taschenlampe ein und richtete den Strahl in das Haus. Er war in der Küche. In der Mitte des Raumes war ein viereckiger Tisch mit vier Stühlen, darauf ein Stapel gefalteter Zeitungen und darauf lagen einige ungeöffnete Briefe. In der Spüle befand sich ein Stapel Geschirr. Ich wette, Vatis kleines Mädchen kümmert sich darum wenn sie an den Wochenenden nach Hause kommt, dachte er.
Ein schnurloses Telefon hing an der Wand links vom Eingang zum Wohnzimmer. Taylor nahm es und drückte die Sprechtaste. Kein Wählton.
Er unterzog das Haus einer oberflächlichen Kontrolle. Er öffnete die Haustür, trat auf die Stufen hinaus, richtete die Taschenlampe auf den Escort und drehte den Strahl dreimal schnell an und aus. Er wartete bis er seinen Bruder und Tina aus dem Auto steigen sah bevor er ins Haus zurückging.
Als Tina in die Küche kam, sagte Taylor, “Ich wollte ohne deine Erlaubnis nicht zu viel herumsuchen.”
Tina öffnete den Kühlschrank. “Nicht schlecht. Ich habe es schon schlimmer erlebt. Hier ist ein fast volles Glas mit Weintraubengelee. Im Schrank ist Erdnussbutter.” Sie öffnete eine Schublade und entnahm ihr einen Laib Brot. “Das tut es.”
Carl half ihr beim Durchsuchen der Schränke. Sie teilten die Dosennahrung in zwei Gruppen: mitnehmen und nicht mitnehmen. Die “Mitnehmen” Gruppe enthielt Obst in Dosen, Gemüse, gebackene Bohnen und drei Dosen Sardinen. “Die schmecken ziemlich scheußlich, sind aber okay auf Cracker. Sardinen in Senfsoße sind besser.”
Taylor durchsuchte jeden Winkel im Haus. Keine Waffen. Das wäre zu verdammt vorteilhaft gewesen. Ein schwerer Safe befand sich hinten auf dem Boden im Schrank im Schlafzimmer ihres Vaters, aber es war nicht möglich, ihn zu öffnen.
Er sah in eines der anderen Zimmer. Leuchtete hinein und sah Stofftiere auf einem nett gemachten Bett, Poster von Boybands an der Wand. Tinas altes Zimmer. Taylor zweifelte nicht, dass ihr Vater es unberührt gelassen hatte. Seine Tochter war in der Schule, vermutlich steckte er hin und wieder den Kopf in das leere Zimmer, nur wegen der Erinnerungen. Dieses Zimmer zu sehen, fühlte als wäre das Haus der einsamste Platz auf der Welt.
Nachdem er das obere Stockwerk angemessen gecheckt hatte, ging Taylor die Treppe hinunter und fand Carl und Tina, die immer noch in der Küche arbeiteten. Tina hatte irgendwo eine großen Karton gefunden, setzte ihn auf die Küchenzeile und füllte ihn langsam mit den Sachen aus den Schränken.
Taylor sagte, “Ich meinte nicht, wir müssen für Wochen packen. Ich dachte, nur genug für einen Tag oder zwei vielleicht, aber ihr habt da eine ganz schöne Sammlung.”
“Vorsicht ist besser als Nachsicht,” erwiderte Tina. “Ich glaube, ich müsste am Verhungern sein bevor ich etwas davon essen würde, aber es ist essbar.” Sie stellte Gläser mit Erdnussbutter und Marmelade dazu und setzte den Brotlaib vorsichtig oben drauf. Es fühlte sich fast an, als würden sie ein Picknick vorbereiten. “Einer von euch beiden wird das zum Auto tragen müssen. Der Karton ist schwer.”
“Glück gehabt?” fragte Carl.
Taylor schüttelte den Kopf. “Nee.”
“Ich habe nicht angenommen, dass er ein Gewehr im Haus hat,” sagte Tina. “In einer Stadt wie dieser werden Gewehre nur zum Jagen benutzt. Mein Vater war kein Jäger. So gut wie keiner hat eine Waffe zum Schutz. Es ist wahrscheinlich einer der seltenen Orte wo die Leute ihre Haustüren nicht abschließen.”
Taylor dachte ständig, dass sie in einer alternativen Version von Coldwater gelandet waren. Eine Stadt wie diese oder Coldwater waren vermutlich vom Aussterben bedroht, aber er nahm an, es gab noch einige davon. Es ließ einen fast denken, es wäre ein Glücksfall. Als würde man ein Geheimnis kennen, das nur einige Auserwählte kannten.
Taylor ging ins Wohnzimmer und teilte die Jalousien. Die Straße schien leer zu sein. Der Escort parkte auf der Straße und sah eher wie ein müdes prähistorisches Tier aus. Der Regen hatte aufgehört.
Hinter ihm sagte Carl, “Nun? Ist das alles?”
“Ja, außer dir fällt noch etwas ein.”
“Ein Bazooka vielleicht,” sagte Carl mit einem nervösen Lachen.
“Zu groß um durch die Gegend zu tragen. Ich würde eine Flinte nehmen.”
“Oder ein Super Soaker.”
“Ein beschissenes Teil.”
“Hey, es würde den Job tun.”
Tina sagte, “Es ist so offensichtlich, dass ihr Brüder seid. Ihr seht euch nicht ähnlich, aber man muss kein Genie sein, um das zu merken.” Sie versuchte, den Karton mit den Lebensmitteln zu nehmen, doch er war zu schwer.”
“Lass mich das machen,” sagte Carl.
“Nimm die Taschenlampe.”
Tina verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit der Taschenlampe zurück, den Strahl auf den Boden gerichtet. Sie gab sie Taylor. Er schaltete sie aus und schielte wieder durch die Jalousien.
“Lasst uns gehen.”
Taylor öffnete die Haustür, hielt sie den anderen beiden auf und folgte ihnen zum Auto. Er öffnete die hintere Tür, nahm den vollen Karton von Carl, bedeutete Tina, einzusteigen. Er setzte den Karton neben sie. “Du bist keine Besserwisserin, stimmts?”
“Nein. Wieso?”
“Ein schlechter Witz.”
“Ist ein schwieriges Publikum heute nacht.”
“Aber echt!” meinte er. Er mochte das Mädchen. Sie war anders als viele der Mädchen, die er kannte. Sie tat nicht so, als müsste sie gerettet werden. Zumindest nicht im übertragenen Sinn, denn in ihrer Situation hätten sie alle ein wenig Rettung gebraucht.
Er lächelte sie an und schloss die Tür.
“Ich nehme an, du fährst?” fragte Carl.
Als Antwort glitt Taylor hinter das Steuer. “Tina?”
“Ja?”
“Tu mir einen Gefallen. Gib Carl die Machete.”
Ich wette, du hättest nie gedacht, du würdest das mal sagen, dachte Taylor.
Er lenkte den Wagen herum und sie fuhren in die Nacht. Er erwartete, dass irgendeine unsichtbare Macht sie am Verlassen der Stadt hindern würde, doch sie erreichten den Highway ohne Zwischenfall.
Es herrschte minutenlang Schweigen. Als Tinas Haus mehrere Meilen hinter ihnen lag, sage Carl schließlich, “Es sind über einhundertfünfzig Meilen.”
“Etwa zwei Stunden.”
“Haben wir genug Benzin?”
Taylor drückte das Gaspedal durch bis der Tacho siebzig anzeigte. “Ich hoffe es,” sagte er.