In die Stadt der Zwerge!

An der Reling des Wüstenschiffs stand ein Sandlinger. Tücher aus fließendem Stoff waren um seinen Kopf gewickelt und bedeckten auch sein Gesicht. Nur die golden schimmernden Augen waren zu sehen.

Er trug weite Gewänder und darüber einen Harnisch aus dunklem Leder. Auf seinem Rücken steckte ein schlankes Schwert mit gerader Klinge in einer Scheide. Seine Handschuhe leuchteten so golden wie seine Augen und schmiegten sich vollkommen an, sodass es den Anschein hatte, als würden die Hände selbst aus Metall bestehen.

Auf dem Kopf hatte er einen metallenen Reif, in den ein funkelnder roter Stein eingearbeitet war, das Zeichen eines Kapitäns. Vor seiner Brust hing ein Amulett, das zeigte, welchem Admiral er diente und welchem Sandlinger-Stamm er angehörte.

»Wir werden nicht für euch anhalten!«, rief er und benutzte dabei die Zwergensprache von Ara-Duun.

Aus dem roten Stein an seinem Stirnreif schoss ein feiner Blitz, der zunächst kaum auszumachen war. Erst als er sich verästelte und mit einem Zischen an gut zwanzig Stellen zugleich auf das starre Segel traf, sah man ihn deutlicher. Das Schiff legte daraufhin ein wenig an Geschwindigkeit zu.

»Aber, Kapitän!«, rief Meister Saradul. »Ihr könnt uns doch nicht hier zurücklassen!«

Der Sand, den der Bug des Wüstenschiffs emporwarf, ließ Tomli die Hand vors Gesicht halten, um die Augen vor den Körnern zu schützen.

»Zurücklassen?«, rief der Kapitän. »Wer spricht denn von zurücklassen?« Er fügte noch ein paar Worte hinzu, von denen Tomli aber kaum eines verstehen konnte, denn das Schiff war schon halb an ihnen vorbei.

Vom Quermast entrollten sich im nächsten Moment zwei mächtige Seilschlangen. Sie sahen auf den ersten Blick aus wie ganz gewöhnliche Taue, waren aber lebende Wesen, die mithilfe von Magie dressiert werden konnten. Die Sandlinger benutzten sie zum Be- und Entladen ihrer Schiffe.

Jeweils eine dieser Seilschlangen umfasste Tomli und Meister Saradul. Die beiden Zwerge wurden regelrecht aus dem Sattel gerissen, schwebten einige Augenblicke lang in der Luft und wurden dann sanft auf dem Deck abgesetzt. Zwei andere und noch deutlich kräftigere Seilschlangen wanden sich um die Leiber der Laufdrachen, die zwar heftig strampelten und aus Protest brüllten, aber keiner von ihnen setzte sein Drachenfeuer ein. Offenbar begriffen sie, dass sie sich an Bord des Wüstenschiffs in Sicherheit befinden würden, auch wenn die Art, wie man sie an Deck brachte, ungewohnt und damit unangenehm für sie war.

Schließlich aber standen auch sie unversehrt auf den Planken, während sich die Seilschlangen wieder aufrollten und auf die Höhen des Quermastes zurückzogen.

Meister Saradul wandte sogleich eine Formel an, die dafür sorgte, dass sich die beiden Laufdrachen beruhigten. Nicht auszudenken, wenn einer von ihnen aus purer Nervosität mit seinem Drachenfeuer einen Teil des Schiffsdecks und der Aufbauten versengt hätte.

An der Reling standen Dutzende von Bogenschützen der Sandlinger. Sobald sie in der Ferne noch vereinzelte Wüsten-Orks entdeckten, schossen sie ihre Pfeile ab, die während des Fluges rot zu leuchten begannen.

Allerdings waren kaum noch Wüsten-Orks auszumachen. Erstens hatten fast alle Reißaus genommen, und zweitens erschwerte der Wüstensand, der aufgewirbelt worden war, die Sicht.

Das lag nicht nur daran, dass das Wüstenschiff noch einmal die Geschwindigkeit erhöht hatte und mit noch größerer Kraft durch den Sand fuhr, sondern auch daran, dass sich die meisten Wüsten-Orks in die Dünen gegraben hatten, wobei noch einmal eine Menge feiner Sand emporgeschleudert worden war.

Die Laufdrachen hatten sich inzwischen einigermaßen beruhigt, aber Meister Saradul traute offenbar weder der Vernunft dieser Geschöpfe noch seiner eigenen Magie, denn er band ihre Zügel an der Reling fest, was die Reittiere auch widerstandslos geschehen ließen. Tomli half seinem Meister dabei.

Als die Zügel fest verknotet waren, stand auf einmal die Furcht einflößende Gestalt des Sandlinger-Kapitäns vor Tomli und Saradul. Das Leuchten seiner goldfarbenen Augen wurde stärker, und als sein Blick Tomli traf, hatte der Zwergenjunge das Gefühl, als würde ihn eine Laterne anstrahlen.

»Habt Dank, dass Ihr uns mitnehmt«, sagte der ältere Zwerg und verbeugte sich tief. »Mein Name ist Saradul, und ich bin ein Zaubermeister aus Ara-Duun. Dies ist mein mal mehr und mal weniger gelehriger Schüler Tomli, aus dem ich hoffentlich eines Tages einen passablen Magier machen werde, der für seine Umgebung eher einen Nutzen als eine Gefahr bedeutet.«

Der Sandlinger nickte leicht. Sein durchdringender, magisch leuchtender Blick richtete sich auf Saradul. Eine ganze Weile lang ließ er kein einziges Wort verlauten. Dann aber sagte er: »Du sprichst mit Kandra-Muul, dem Kapitän der ›Wüstenblume‹. Und ich nehme euch nicht deshalb mit, weil ich euch beiden einen Gefallen tun will, sondern weil ihr mir dafür jeder fünf ara-duunische Goldtaler geben werdet.«

»Fünf ara-duunische Taler?«, entfuhr es Saradul empört. »Das ist Wucher! Für eine so kurze Strecke!«

»Wenn die Strecke bis Ara-Duun so kurz ist, dann brauchst du mein Schiff ja nicht zu nehmen«, erwiderte Kapitän Kandra-Muul ungerührt. »Wir setzen dich und deinen Schüler gern wieder in den Wüstensand, dann könnt Ihr auf dem Rücken eurer Laufdrachen versuchen, den Orks, die noch überall in der Gegend herumlungern, zu entkommen.«

»Du nutzt unsere Notlage aus«, ereiferte sich Saradul.

»So sind nun mal die Preise«, sagte der Sandlinger. »Und die richten sich nach Angebot und Nachfrage. Dass du die Summe nicht bei dir hast, wie ich annehme, ist nicht so schlimm. Wenn wir in Ara-Duun angekommen sind, werde ich die beiden Laufdrachen als Pfand behalten, bis ihr bezahlt.«

Saradul lief dunkelrot an. Die typische und überall berüchtigte Zwergenwut stieg in ihm auf, und Tomli wollte unbedingt verhindern, dass sein Lehrmeister noch ein weiteres Wort verlauten ließ, denn es wäre sicherlich unbedacht gewesen und hätte für sie unliebsame Konsequenzen gehabt.

Obwohl es sich eigentlich nicht schickte, mischte sich der Zwergenjunge also in den Disput ein: »Wir danken sehr für das großzügige Angebot und sind froh, dass Ihr uns auf diesem Schiff die Reise nach Ara-Duun ermöglicht.«

Saradul ließ nur ein wütendes Knurren hören, das eher zu einem Wüsten-Ork gepasst hätte.

»Es freut mich, dass wir uns einig sind«, erwiderte Kapitän Kandra-Muul. »Aber eine Frage müsst ihr beide mir noch beantworten: Wie können zwei Zwerge so dumm sein, die schützenden Mauern ihrer Stadt zu verlassen, und sich so weit in die Wüste wagen, als hätten sie noch nie etwas von der Gefahr durch die Wüsten-Orks gehört?«

Kapitän Kandra-Muul hob den Kopf, während seine Augen so stark aufglühten, dass Tomli blinzeln musste, und im nächsten Moment begann seine ganze Mannschaft laut zu lachen.

»Was soll das?«, fragte Tomli erbost.

»Es scheint wohl zu stimmen«, raunte ihm Saradul zu.

»Was?«

»Die Geschichten, dass sich die Sandlinger, die zu einer Schiffsmannschaft gehören, mittels ihrer Gedanken untereinander verständigen können.« Saradul klopfte Tomli mit einer seiner groben Zwergenpranken auf die Schulter. »Sie machen sich über uns lustig!«

Mächtige Felsen ragten vor ihnen aus dem Wüstensand empor. Sie sahen aus wie Türme oder Säulen. Bei manchen glaubte man im Gestein sogar Gesichter zu erkennen. Der ewig über die Dünen streichende Wind hatte sie in vielen Zeitaltern so gestaltet.

Auf manchen der Felsentürme hatte der Zwergenkönig von Ara-Duun Wachen postiert. Leuchtfeuer gaben den Wüstenschiffen der Sandlinger die Richtung vor, damit sie die Stadt der Zwerge inmitten all dieses schroff aufragenden Gesteins auch fanden.

Ara-Duun selbst war gewaltig und in den Stein eines hoch aufragenden Berges gehauen. Ursprünglich hatte die Stadt vollständig unter der Erde gelegen, wo sich der eigentliche Lebensraum der Zwerge befand, denn sie waren Bergleute und schürften nach Metallen und Edelsteinen. Doch der Wind hatte in Äonen einen Teil der unterirdischen Stadt freigelegt.

Aber so eindrucksvoll der oberirdische Teil von Ara-Duun auch war und so gewaltig er wirken mochte, gut neun Zehntel befanden sich weiterhin unter der Erde. Niemand wusste genau, wie tief die Stollen der Stadt reichten, zumal viele fleißige Zwerge sie immer noch tiefer ins Gestein trieben. So wuchs die Stadt unterirdisch immer weiter, und man sagte, dass niemand alle ihre Bereiche kenne.

Der frei liegende Teil von Ara-Duun hatte zahllose Türme und Balkone. Überall waren Fenster und Türen in das Gestein eingelassen. Die Fenster waren sogar mit Glas verschlossen, denn die zwergischen Handwerksmeister waren nicht nur für ihre Schmiedekunst, sondern auch für die Herstellung von Glas bekannt.

Tomli hatte gehört, dass inzwischen auch viele Adlige und reiche Kaufleute unter den Menschen ihre Paläste oder Prachthäuser mit bunten Glasfenstern aus den Werkstätten der Zwerge von Ara-Duun schmückten, vor allem in den Rhagar-Städten Shonda und Hiros und in dem Küstenland Cosanien. Besucht hatte Tomli diese Gegenden jedoch noch nicht, denn von diesem einen Mal abgesehen hatte er die Zwergenstadt noch nie verlassen.

Dutzende von Wüstenschiffen drängten sich an den Anlegestellen der Stadt, wo sie von Kränen entladen wurden, die mit Seilschlangen bestückt waren. Anschließend wurden die Waren von Lasttieren weitertransportiert, von großen karanorischen Echsen oder anderen Laufdrachen, deren Zischeln und Gebrüll bis weit in die Wüste hallten. Die Wüsten-Orks konnten anhand dieses Brüllens darauf schließen, ob sich bei einem abfahrenden und frisch beladenen Wüstenschiff ein Überfall lohnte oder nicht.

Früher einmal, so hatte man Tomli erzählt, hatte es in Ara-Duun nur Zwerge gegeben. Aber das war schon lange nicht mehr so. Außer Zwergen und Menschen lebten in der Stadt auch noch Dutzende anderer Völker.

Menschen traf man vor allem an den Anlegestellen der Sandlinger an. Sie waren meist Händler oder Krieger, manche aber versuchten auch von den zwergischen Handwerkern zu lernen. Andere arbeiteten als Schreiber oder Verwalter für den Zwergenkönig von Ara-Duun.

Nach den Zwergen bildeten die Menschen die größte Gruppe in der Stadt, aber man traf in Ara-Duun auch Echsenmenschen aus dem Volk der Whanur, Blaulinge und hin und wieder sogar vierarmige oder sechsarmige Riesen, die beim Be- und Entladen der Schiffe halfen.

Nachdem die »Wüstenblume« angelegt hatte, wurde das Schiff mit Seilen gesichert, damit es kein Sturm mit sich reißen und zerstören konnte.

Ein Fallreep wurde hinabgelassen, und Tomli verließ das Schiff. Meister Saradul blieb noch an Bord, um die Laufdrachen zu beruhigen. Sie sollten ja erst einmal als Pfand bei den Sandlingern bleiben.

Tomli hatte den Auftrag erhalten, so schnell wie möglich zur Wohnung des Zaubermeisters zu laufen und die Goldtaler zu holen, die Kapitän Kandra-Muul für den Transport verlangte. Auch wenn fünf ara-duunische Goldtaler pro Mann Wucher waren für eine so kurze Strecke, war es nicht ratsam, dagegen aufzubegehren. Natürlich hätte Meister Saradul vor Gericht ziehen können, aber bei Prozessen gegen die Sandlinger neigte man in Ara-Duun dazu, letztendlich zu ihren Gunsten zu entscheiden. Niemand in der Stadt wollte es sich nämlich mit ihnen verderben, denn sie waren die Einzigen, die eine ständige Verbindung mit der Außenwelt garantierten. Ihre Wüstenschiffe fuhren überall dort, wo der Sand weich genug war, und hielten den Warenverkehr nach Ara-Duun aufrecht.

Rohstoffe und Erzeugnisse aus Hiros an der rhagardanischen Küste gelangten auf diese Weise ebenso nach Ara-Duun wie umgekehrt zwergische Werkzeuge und Waffen bis nach Cosanien und Shonda. Hin und wieder konnte man sogar Elbenseide aus dem fernen Elbiana auf den Märkten der großen Zwergenstadt erstehen, und die großen Echsen, die aus den Wäldern von Karanor hierher gebracht wurden, waren als Lasttiere sehr beliebt. Für ihren Einsatz hatte man eigens einige Korridore und Schächte vergrößert, die in das Innere von Ara-Duun führten.

Auf all das wollten weder Zwerge und Menschen noch die anderen in Ara-Duun lebenden Geschöpfe verzichten. Zwar hatte die Stadt vor vielen Zeitaltern auch völlig auf sich allein gestellt bestehen können, vor allem, als sie noch gänzlich unter dem Sand der Wüste begraben war. Aber diesen Zustand wünschte sich niemand zurück, und aus diesem Grund verdarb man es sich mit den Kapitänen der Sandlinger besser nicht.

Zusammen mit Tomli verließen auch einige andere Passagiere das Schiff. Sie hatten sich während der Reise unter Deck aufgehalten, wohl weil sie keinen Sand in Augen und Nase bekommen wollten. Ein Zentaur war darunter. Dieses Mischwesen aus Pferd und Mensch hatte seinen Rücken mit allerlei Taschen beladen, die so prall gefüllt aussahen, als würden sie jeden Augenblick platzen.

»Verzeih, wenn ich dich anspreche, Zentaur«, sagte Tomli. »Du siehst aus wie ein Händler und scheinst von weither zu kommen.«

»Das kann man wohl sagen«, bestätigte der Zentaur.

»Wo hast du das Wüstenschiff bestiegen?«

»Ich bin in Cosanien zugestiegen, dort, wo die Wüste beginnt. Soweit ich weiß, fährt Kandra-Muul die Strecke zwischen Cosanien und Ara-Duun regelmäßig, sodass ich davon ausgehen konnte, dass er ein erfahrener Kapitän ist und weiß, wie man den Wüsten-Orks und all den anderen Geschöpfen, die es dort draußen gibt, aus dem Weg geht.«

»Hast du während der Reise zufällig zwei Elben bemerkt, von denen einer rote Haare hat?«

»Rote Haare? Das ist sehr ungewöhnlich. Bist du sicher, dass du Elben meinst?«

»Helle Haut, spitze Ohren. Na ja, ich gebe zu, dass ich sie nur sehr flüchtig sehen konnte. Doch am meisten gewundert hat mich, dass sie nur zu zweit und auf Pferden durch die Wüste unterwegs waren.«

Der Zentaur blieb stehen. »Du machst Witze, Zwerg!«

»Nein, nein, ich habe sie gesehen!«

»Ich kenne mich mit Elben aus. Wenn ich auf meinen Handelsreisen nach Elbenhaven komme, empfängt mich stets ihr König Daron, um Neuigkeiten zu erfahren.« Er tätschelte mit seiner kräftigen Zentaurenhand die Waren auf seinem Rücken. »Gerade komme ich von dort.«

Tomli hob die Augenbrauen und warf einen anerkennenden Blick auf die Lasten des Zentauren. »Ballen von Elbenseide?«, fragte er.

Der Zentaur schüttelte den Kopf und lächelte. Seine spitzen Ohren, die noch deutlich größer waren als die eines Elben, legten sich etwas nach hinten. »Nein, du Zwergen-Narr! Etwas viel Wertvolleres!«

»Was?«

»Getrockneter Extrakt der Sinnlosen! Das ist eine Heilpflanze, die im Schatten der Bäume blüht, wohin nie ein Lichtstrahl fällt. Daher rührt ihr Namen, denn eigentlich macht es keinen Sinn, dass sie Blüten hat, da sie doch kein Sonnenlicht braucht. Wenn man diesen Extrakt mit heißem Wasser aufgießt, erhält man einen Trank, der fast alle Krankheiten und Gebrechen lindert.« Er zwinkerte dem Zwergenjungen zu. »Wenn du jemanden kennst, der mir die ganze Ladung abkauft, sag mir Bescheid, und du bekommst einen Anteil für die Vermittlung.«

»Ich werde mich mal umhören, aber eigentlich wollte ich keinen Handel treiben. Mich interessieren die beiden Elben in der Wüste.«

»Trotzdem. Mein Name ist Ambaros. Du solltest ihn dir merken. Und abgesehen davon werden wir uns ja sicher auf dem einen oder anderen Markt wiedersehen, ob nun hier in Ara-Duun, in Cosanien oder sonst wo.«

»Ich denke, das ist eher unwahrscheinlich.«

Der Zentaur runzelte die Stirn, wobei sich seine sehr buschigen Augenbrauen zu einer gewellten Linie zusammenzogen und sich über seiner Nase eine tiefe Falte bildete.

Dann sah er zu einigen anderen Zwergen hinüber, die eine große karanorische Echse vor einen noch größeren Wagen spannten. »Ich kenne mich mit Zwergen nicht besonders gut aus«, gestand er. »Aber angeblich kommt ihr schon mit Bärten auf die Welt, und du bist kleiner als die Kerle dort.«

»Zwerge sind im Allgemeinen nicht für ihre Größe bekannt«, wich Tomli aus.

»Sag mal, kann es sein, dass du noch ein Kind bist?«

»Nun …«

»Und ich erzähle dir was über meinen Heiltrunk und halte dich für einen Händler, ich Narr.« Mit der flachen Hand schlug er sich gegen die Stirn.

»Ich bin ein Lehrling!«, erklärte Tomli mit stolz geschwellter Brust. »Und mich interessiert wirklich nur die Frage, was zwei Elben in der Wüste zu suchen haben.«

»Ganz einfach«, meinte Ambaros. »Es müssen zwei Verrückte sein, denn sonst würde das niemand wagen. Die Wüsten-Orks lauern überall. Und wenn die sie nicht kriegen, werden sie von den wilden Leviathan-Reitern gefangen, oder die großen Wüstenkäfer greifen sie an. Nein, die Wüste von Rhagardan ist wirklich kein Ort, an dem sich jemand aufhalten sollte, der dort nicht zu Hause ist oder sich bestens auskennt.«

Sie erreichten eines von insgesamt achtzehn Eingangstoren nach Ara-Duun. Die Wächterzwerge mit ihren riesigen Streitäxten sahen zwar furchterregend aus, ließen sie aber passieren, nachdem einer von ihnen Ambaros kurz ermahnt hatte: »Keine Zentaurenäpfel in der Stadt!« Er benutzte dabei nicht die Zwergensprache, sondern die Sprache der Rhagar, die nicht nur von den meisten Menschen, sondern auch von vielen anderen Geschöpfen verstanden wurde. »Das gibt nur unnötigen Ärger!«

Die Wächter waren zwar wie alle Zwerge nicht besonders groß, aber fast so breit wie hoch und so kräftig, dass sie es mit jedem Menschen oder Elb aufnehmen konnten.

»Keine Zentaurenäpfel, Ehrenwort«, versicherte Ambaros.

»Dann sei willkommen«, sagten die Zwergenwächter wie aus einem Mund.

Als Tomli so dicht bei ihnen stand, fiel der Unterschied zwischen dem Zwergenjungen und den erwachsenen Zwergen deutlich auf.

Nachdem Tomli und Ambaros das am Tag stets offen stehende Tor hinter sich gelassen hatten, verzweigte sich der breite, hohe Gang, der dahinter lag, und Tomli sagte: »So, nun trennen sich unsere Wege, denn Ihr wollt gewiss zu den Händlerquartieren am Großen Markt, und ich muss in die andere Richtung.«

»Eine Frage wirst du mir noch beantworten müssen, bevor wir unserer Wege gehen«, forderte Ambaros energisch.

»Ehrlich gesagt, ich bin schon spät dran, und mein Lehrmeister ist nicht gerade für seine übergroße Geduld bekannt.«

Ambaros überging den Einwurf einfach und verlangte zu wissen: »Seid ihr du und dein Begleitzwerg vielleicht der Grund dafür gewesen, dass es am Ende unserer Fahrt ein großes Getöse gab, das wie Kampfeslärm klang?« Er musterte den Zwergenjungen mit durchdringendem Blick, verschränkte dabei die überaus kräftigen Arme vor der Brust und scharrte mit seinem linken Vorderhuf auf dem Steinboden. »Ich habe euch zuvor nicht unter den Passagieren gesehen, und da es sonst keine Zwerge an Bord gab, wärt ihr mir aufgefallen.«

Tomli atmete tief durch. Eigentlich hatte er nicht verraten wollen, welche Art Lehrling er war. Denn daraus ergab sich zumeist eine Flut von neugierigen Fragen, und Tomli hatte keine Zeit, sie alle zu beantworten. Aber nun konnte er wohl nicht mehr anders, denn der Zentaur würde nicht lockerlassen, bis er es herausgefunden hatte.

»Kann man so sagen. Eine Horde Wüsten-Orks war hinter uns her, die ich versehentlich angelockt hatte.«

»Wie ist dir denn dieses Missgeschick passiert?«, fragte Ambaros.

»Ich bin ein Zauberlehrling und habe versucht, eine magische Linse zu erschaffen, durch die man ferne Dinge sehen kann. Auf diese Weise habe ich die beiden Elben entdeckt, die zurzeit irgendwo inmitten der Sandlande hierher unterwegs sind.«

»Ah«, murmelte Ambaros. »Zwergische Magier. Davon gibt es nicht viele, wird behauptet.«

»Weswegen mein Meister auch hohe Preise für seine Dienste verlangen kann«, erklärte Tomli nicht ohne Stolz.

»Dann sag mir bitte, wo ich ihn finden kann, falls ich mal die Künste eines Zwergenzauberers brauche.« Ambaros tätschelte noch einmal sein Gepäck. »Kann sein, dass es Probleme mit der Heilwirkung meiner Ware gibt, und einen Elbenmagier werde ich hier in Ara-Duun wohl kaum antreffen.«

»Wir wohnen in der Oberstadt am Gewölbe der Gaukler. Wenn Ihr Euch dort nach Meister Saradul erkundigt, wird man Euch den Weg zu ihm weisen.«

»Ich danke dir, Kleiner«, sagte Ambaros freundlich und galoppierte den Gewölbegang entlang.

Tomli seufzte. Das hätten ihm die Wächter besser auch noch gesagt: kein Galopp in den Korridoren!