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Sitzungen und Erweiterungspläne banden Brad für
ein paar Tage an HomeMakers. Er konnte sich nicht beschweren,
schließlich war es seine Idee gewesen, nach Pleasant Valley
zurückzukommen, um seine Geschäfte von hier aus zu führen und das
nordöstliche Viertel des Familienunternehmens vom Valley aus zu
leiten. Deshalb musste der Laden hier jetzt allerdings auch
beträchtlich erweitert werden.
Das bedeutete Papierkram, Konferenzschaltungen,
neue Stellen, Besprechungen mit Architekten und Bauunternehmern und
Diskussionen mit Zulieferern.
Es fiel ihm nicht schwer. Er war von Kindesbeinen
an daran gewöhnt, und die letzten sieben Jahre in der New Yorker
Niederlassung von HomeMakers hatten ihn zu einem Topmanager werden
lassen.
Er war ein Vane, die dritte Generation der Vanes
mit der größten Baumarktkette im Land. Und er hatte nicht die
Absicht, das Geschäft aufzugeben. Im Gegenteil, er wollte aus dem
ersten, ursprünglichen Laden den größten und prächtigsten von allen
machen.
Sein Vater war von seiner Entscheidung nicht
begeistert gewesen. B.C. Vane III. hielt sie für sentimental. Und
da hatte er natürlich in gewisser Weise Recht, dachte Bradley. Aber
warum eigentlich nicht? Sein Großvater hatte diesen kleinen Laden
aufgebaut und ihn dann mit großem Einsatz zu einem erfolgreichen,
kundenfreundlichen Baumarkt weiterentwickelt.
Seinem Instinkt und seinen Visionen hatten sie es
zu verdanken, dass daraus eine der größten Baumarktketten im Land
geworden war. Sein Konterfei war sogar auf dem Titel von Time
Magazine abgebildet worden.
Ja, es war sentimental, dass er wieder hierhin
zurückgekehrt war, aber es hatte auch viel mit dem legendären
Geschäftssinn der Vanes zu tun.
Während er durch die Stadt fuhr, betrachtete er
seinen Heimatort. Auf eine ruhige, stetige Art florierte das
Valley. Es gab einen gesunden Immobilienmarkt, denn die Leute, die
sich hier Häuser kauften, lebten sich ein und blieben. Und zu dem
überdurchschnittlichen Einkommen der Einwohner kamen noch die
Dollars der Touristen.
Das Valley pflegte seine Kleinstadtkultur, aber die
Nähe zu Pittsburgh verlieh ihm einen gewissen Glanz. Nach Brads
Meinung war es ein guter Ort zum Wohnen und ein ebenso guter Ort,
um Geschäfte zu machen.
Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, nach
seiner Rückkehr in die Suche nach magischen Schlüsseln verwickelt
zu sein. Und vor allem hatte er nicht erwartet, sich in eine allein
erziehende Mutter und ihren unwiderstehlichen Sohn zu verlieben.
Aber damit würde er fertig werden - er musste nur Prioritäten
setzen und auf die Details achten, genau wie er es in seinem
Unternehmen tat.
Und um sich um diese gewissen Details zu kümmern,
parkte er nun seinen Wagen vor dem Valley Dispatch und ging
hinein.
Er fand es großartig, dass sein Freund die
Lokalzeitung leitete. Flynn mochte zwar nicht den Eindruck eines
Mannes erwecken, der die Peitsche schwang, damit seine Redakteure
die Abgabetermine einhielten, der sich um die Werbung kümmerte oder
sich über den Papierpreis Gedanken machte. Aber genau das war der
Grund, warum sein alter Kumpel seine Sache so gut machte, dachte
Brad. Er hatte so eine subtile, unauffällige Art, seine Mitarbeiter
zu motivieren. Deshalb arbeitete jeder gerne für ihn.
Brad schlängelte sich an den Schreibtischen vorbei
durch das Großraumbüro. Um ihn herum war eine Kakophonie von
Geräuschen, die Stimmen der Reporter am Telefon und das Klappern
der Tastaturen. Es roch nach Kaffee und Backwaren.
Flynn saß in seinem mit Glaswänden abgetrennten
Chefredakteursbüro auf der Schreibtischkante. Er trug ein
gestreiftes Hemd, dazu Jeans und abgetragene Nikes und
telefonierte.
Da sie seit dreißig Jahren miteinander befreundet
waren, trat Brad einfach ein.
»Ich kümmere mich persönlich um die Sitzung, Herr
Bürgermeister«, sagte Flynn gerade.
Brad steckte grinsend die Hände in die Taschen und
wartete, bis Flynn sein Telefonat beendet hatte.
»Entschuldige, ich hatte gar nicht bemerkt, dass du
telefonierst.«
»Und was führt so einen viel beschäftigten
Geschäftsmann wie dich in mein unbedeutendes Büro?«, fragte
Flynn.
»Ich bringe dir das Layout für die Anzeige nächste
Woche vorbei.«
»Für einen Botenjungen bist du aber reichlich
elegant angezogen«, zog Flynn ihn auf und betastete den feinen
Wollstoff von Brads Anzug.
»Ich habe nachher noch einen Geschäftstermin in
Pittsburgh.« Brad legte die Unterlagen auf Flynns Schreibtisch.
»Und außerdem wollte ich mit dir über eine zehnseitige, vierfarbige
Beilage für die Woche vor Thanksgiving sprechen. Ich möchte ganz
groß herauskommen.«
»Da bin ich dabei. Sollen sich meine Leute mit
deinen Leuten in Verbindung setzen? Ich sage so etwas gerne«, fügte
Flynn hinzu. »Es klingt so nach Hollywood.«
»Genau das soll es, aber ich möchte es lieber hier
vor Ort machen, statt vom Unternehmen aus. Es geht vor allem um den
Laden hier im Valley. Die Werbebeilage soll vermitteln, dass er
Klasse hat und etwas Besonderes ist. Und es soll exklusiv sein und
im Dispatch an einem Tag erscheinen, an dem es keine anderen
Werbeanzeigen gibt.«
»In der Woche vor Thanksgiving erscheint eine ganze
Flut von Anzeigen«, wandte Flynn ein.
»Ich weiß. Exakt deswegen soll meine Beilage ja
exklusiv sein, sonst geht sie unter.«
Flynn rieb sich die Hände. »Das wird dich eine
Stange Geld kosten.«
»Wie viel?«
»Ich rede mit der Werbeabteilung, und wir überlegen
uns einen Preis. Zehn Seiten, vierfarbig?« Flynn machte sich
bereits Notizen. »Ich sage dir morgen Bescheid.«
»Gut.«
»Na, sieh mal einer an, wie wir zwei flott
Geschäfte miteinander machen können. Möchtest du einen
Kaffee?«
Brad blickte prüfend auf seine Armbanduhr. »Ja. Ich
möchte auch noch über etwas anderes mit dir reden. Kann ich die Tür
schließen?«
»Klar«, erwiderte Flynn achselzuckend. Er schenkte
ihnen Kaffee ein und setzte sich auf die Schreibtischkante. »Geht
es um den Schlüssel?«
»Ich habe schon seit ein paar Tagen nichts mehr
gehört. Als ich Zoe das letzte Mal gesehen habe, hatte ich den
Eindruck, sie wolle nicht darüber sprechen, zumindest nicht mit
mir.«
»Also willst du wissen, ob ich über Mal etwas
erfahren habe. Auch nicht besonders viel«, erwiderte Flynn. »Malory
meint, dass Zoe auf Kanes nächsten Schritt wartet.«
»Ich habe mir den Hinweis noch mal angesehen, und
meiner Meinung nach muss Zoe etwas unternehmen. Ich sehe sie am
Freitag, aber wir könnten uns vorher schon zusammensetzen und uns
Gedanken machen.«
»Freitagabend?« Flynn trank einen Schluck Kaffee.
»Ist das ein gesellschaftlicher Anlass?«
»Simon kommt zum Spielen.« Brad ging unruhig hin
und her. »Er bringt seine Mutter mit.«
»Geschickt.«
»Man tut, was man kann. Der Junge ist prima und vor
allem nicht so kompliziert wie seine Mutter.«
»Ich glaube, sie hat es schwer gehabt und deshalb
eine Mauer um sich errichtet. Was uns direkt zum Motiv ihres
Schlüssels führt.«
»Sie ist eine erstaunliche Frau.«
»Wie arg hat es dich eigentlich erwischt?«
»Restlos.« Brad lehnte sich gegen das Fensterbrett.
»Das Problem ist nur, dass sie mir nicht traut. Ich mache
allerdings Fortschritte. Zumindest erstarrt sie nicht mehr völlig,
wenn ich in ihre Nähe komme oder sie nur anschaue. Manchmal jedoch
sieht sie mich an, als käme ich von einem anderen Planeten, und das
nicht in friedlicher Absicht.«
»Sie hat ein Kind, und wenn sie klug sind, müssen
Frauen dann vorsichtiger agieren. Und Zoe ist klug.«
»Ich bin verrückt nach dem Jungen, ich könnte
ständig mit ihm zusammen sein. Mich würde interessieren, wer sein
Vater ist.«
Flynn schüttelte verneinend den Kopf, als Brad ihn
fragend anblickte. »Tut mir Leid, aber meine Quellen sind äußerst
zugeknöpft bei diesem Thema. Du könntest sie höchstens mal direkt
fragen.«
Brad nickte. »Ach ja, noch was, bevor ich fahren
muss. Schreibst du nun die Geschichte?«
»Die Glastöchter«, sagte Flynn laut und schaute
gedankenverloren vor sich, als stünde die Schlagzeile in der Luft.
»Pleasant Valley, Pennsylvania. Zwei keltische Götter statteten den
Laurel Highlands einen Besuch ab, um drei Frauen aus dem Ort
aufzufordern, die Schlüssel zum legendären Kasten der Seelen zu
finden.« Leise lachend hob er seine Kaffeetasse. »Das wäre eine
Wahnsinnsgeschichte. Abenteuer, Intrigen, Liebe, Geld, Gefahr,
Triumph und die Macht der Götter. Und das alles hier in unserem
stillen Heimatstädtchen. Ja, ich habe daran gedacht, die Story zu
schreiben. Natürlich könnte es sein, dass man mich in die
geschlossene Anstalt sperrt, aber das würde mich nicht davon
abhalten.«
»Was dann?«
»Ich würde sie damit der Öffentlichkeit preisgeben.
Manche Leute würden es glauben, viele nicht, aber alle würden
Fragen stellen und Antworten und Erklärungen verlangen. Sie - nein,
wir alle - würden danach kein normales Leben führen können.«
Achselzuckend blickte er auf seinen Kaffee. »Und
darum geht es im Grunde genommen doch nur. Wir wollen alle so
leben, wie wir es uns vorstellen. Wenn Jordan darüber schreibt, ist
es etwas anderes. Er macht ein Buch daraus, und dann ist es
Fiktion. Aber für die Zeitung möchte ich es nicht schreiben.«
»Du warst immer der Beste von uns.«
Flynn blickte ihn verblüfft an. »Hä?«
»Du hast Dinge immer am klarsten gesehen. Deshalb
bist du auch im Valley geblieben, obwohl du eigentlich weg
wolltest. Vielleicht konnten Jordan und ich ja deshalb gehen, weil
wir wussten, du würdest da sein, wenn wir zurückkommen.«
Flynn war selten verlegen, aber jetzt hatte er
glatt einen Kloß im Hals. »Hmm«, war alles, was er herausbrachte.
»Ich muss nach Pittsburgh.« Brad stellte seine Kaffeetasse ab und
stand auf. »Ruf mich auf dem Handy an, wenn in der Zwischenzeit
irgendetwas passiert.«
Nach wie vor sprachlos nickte Flynn nur.
Zoe mischte die einzelnen Zutaten zu Mrs. Hansons
Farbe. Ihre Nachbarin liebte kräftige rote Strähnen in ihren
braunen Haaren. Zoe war es gelungen, eine Kombination von Farbtönen
zu finden, die ihnen beiden gefiel, und jetzt schnitt und färbte
sie Mrs. Hansons Haare schon seit drei Jahren einmal im
Monat.
Sie war die einzige Kundin, die Zoe zu Hause
frisierte. In Erinnerung an die Haare auf dem Boden und den
ständigen Geruch nach Chemikalien in ihrer Kindheit hatte sie sich
geschworen, ihren Beruf nie zu sich nach Hause zu holen.
Aber bei Mrs. Hanson war es etwas anderes, und die
gute Stunde, die sie einmal im Monat in ihrer Küche verbrachte,
glich eher einem Besuch als Arbeit.
Sie dachte an den Tag, als sie in dieses Haus
gezogen war. Mrs. Hanson, deren Haare damals noch pechschwarz
gewesen waren - was ihr nicht stand -, war zu ihr gekommen, um sie
und Simon als Nachbarn willkommen zu heißen. Sie hatte
Schokoladenplätzchen mitgebracht und nach einem langen, prüfenden
Blick auf Simon zustimmend genickt. Dann hatte sie ihre Dienste als
Babysitter angeboten und erklärt, da ihre eigenen Söhne erwachsen
seien, habe ihr ein Junge in der Nachbarschaft gefehlt.
Sie wurde Zoes erste Freundin im Valley und war
nicht nur eine Ersatzgroßmutter für Simon, sondern für Zoe wie eine
Mutter geworden.
»Ich habe kürzlich Ihren jungen Mann gesehen.« Mrs.
Hansons blaue Augen funkelten in ihrem hübschen Gesicht.
»Ich habe keinen Mann, weder einen jungen noch
einen alten.« Zoe teilte die Haare ab und betupfte die grauen
Stellen mit Farbe.
»Ein gut aussehender junger Mann«, fuhr Mrs. Hanson
unbeeindruckt fort. »Er sieht ein bisschen aus wie sein Vater, den
ich recht gut gekannt habe, als er im selben Alter war. Die Rosen,
die er Ihnen mitgebracht hat, halten sich gut. Sehen Sie nur, wie
schön sie aufgegangen sind.«
Zoe nickte. »Ich habe die Stiele abgeschnitten und
ihnen frisches Wasser gegeben.«
»Sie sehen aus wie ein Sonnenstrahl auf dem Tisch.
Gelbe Rosen passen gut zu Ihnen, und das kann nur ein kluger Mann
wissen. Simon redet pausenlos von Brad, Brad hier und Brad da.
Offensichtlich kann er gut mit dem Jungen umgehen.«
»Ja, sie verstehen sich blendend.« Stirnrunzelnd
arbeitete Zoe weiter. »Bradley scheint Simon sehr zu mögen.«
»Ich glaube, er mag auch Simons Mama sehr
gerne.«
»Wir sind befreundet, oder vielmehr arbeite ich
darauf hin. Er macht mich nervös.«
Mrs. Hanson lachte auf. »Männer, die so aussehen,
machen eine Frau nahezu zwanghaft nervös.«
»Aber nicht so. Na ja, doch so.« Lachend gab Zoe
mehr Farbe auf den Pinsel. »Aber er macht mich allgemein
nervös.«
»Hat er Sie schon geküsst?« Als Zoe schwieg, gab
Mrs. Hanson ein zufriedenes Kichern von sich. »Gut. Er kam mir auch
nicht zögerlich vor. Wie war es?«
»Ich musste mich danach vergewissern, ob mein Kopf
noch auf meinen Schultern saß, weil ich völlig neben mir
stand.«
»Das wurde aber auch langsam Zeit. Ich habe mir ein
bisschen Sorgen um Sie gemacht, Schätzchen. Sie haben ja Tag und
Nacht nur gearbeitet und sich nie Zeit für sich genommen. Und es
hat mir von Herzen gut getan, als ich letzthin beobachten konnte,
dass diese netten Mädchen, mit denen Sie sich angefreundet haben,
und Brad Vane Sie besuchen kamen.«
Sie griff nach hinten und tätschelte Zoes Hand.
»Jetzt arbeiten Sie zwar immer noch Tag und Nacht, da Sie ja das
Geschäft aufbauen wollen, aber es gefällt mir besser so.«
»Ohne dass Sie so oft nachmittags auf Simon
aufpassen, könnte ich keinen eigenen Salon haben.«
Mrs. Hanson schnaubte abwehrend. »Sie wissen doch,
dass ich den Jungen wirklich gerne bei mir habe. Er ist für mich
wie ein eigenes Kind. Meine Enkelkinder bekomme ich ja kaum zu
Gesicht, seit Jack nach Baltimore gezogen ist und Deke in
Kalifornien lebt. Ich weiß nicht, was ich ohne Simon tun würde. Er
bringt mir einfach Freude.«
»Er betrachtet Sie und Mr. Hanson als seine
Großeltern, und Sie nehmen mir damit eine große Last von den
Schultern.«
»Erzählen Sie mir doch, welche Fortschritte der
Salon macht. Ich kann es kaum erwarten, dass Sie eröffnen und diese
verknöcherte Carly grün vor Neid wird, wenn deren Kunden in Scharen
zu Ihnen überlaufen. Ich habe von Sara Bennett gehört, dass das
neue Mädchen, das sie für Sie eingestellt hat, nichts taugt.«
»So ein Pech aber auch«, sagte Zoe kichernd. »Ich
wünsche ihr ja nichts Schlechtes, aber es war absolut unfair von
ihr, dass sie mich unter dem Vorwand gefeuert hat, ich hätte Geld
aus der Kasse genommen. Mich eine Diebin zu nennen«, fügte sie
empört hinzu.
»Vorsichtig.«
»Oh, Entschuldigung.« Zoe hatte sich so in Rage
geredet, dass sie Mrs. Hanson unwillkürlich an den Haaren gezogen
hatte. »Ich sehe immer noch rot, wenn ich daran denke. Dabei habe
ich echt gute Arbeit geleistet.«
»Sie waren sogar zu gut, weil zu viele Stammkunden
nur noch von Ihnen bedient werden wollten. Das hat sie eifersüchtig
gemacht.«
»Kennen Sie Marcie? Die bei ihr Maniküre macht? Ich
habe sie vor ein paar Tagen angerufen, und sie wird für mich
arbeiten.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Wir müssen es allerdings noch geheim halten, bis
es so weit ist. Ich will nicht, dass Carly sie hinauswirft, bevor
ich eröffne. Aber dann will sie sofort kündigen. Sie wiederum ist
mit einer Friseurin, die in der Mall arbeitet, befreundet. Diese
hat Anfang des Jahres geheiratet und möchte jetzt näher an der
Stadt arbeiten. Marcie will sie fragen, ob sie sich bei mir
vorstellen will. Sie soll sehr gut sein.«
»Das hört sich an, als ob sich alles ineinander
fügt.«
»Ja, es fühlt sich einfach richtig an, wissen Sie?
Chris ist zuständig für die Massagen und Körperbehandlungen. Und
meine Freundin Dana hat doch diese Frau für ihre Buchhandlung
eingestellt, und die hat eine Freundin, die gerade hierher gezogen
ist und in Colorado in einem Spa gearbeitet hat. Mit ihr werde ich
ebenfalls reden. Es ist alles so aufregend - solange ich nicht an
die Personalkosten denke.«
»Es wird schon alles gut gehen. Nein, besser als
gut.«
»Heute war der Installateur da und hat meine
Waschbecken eingebaut. Strom habe ich, und die Bedienungsplätze
sind fast fertig. Manchmal schaue ich mich um und denke, es ist
alles nur ein Traum.«
»Träume erarbeitet man sich nicht, Zoe. Und Sie
haben sich das erarbeitet.«
Ja, das war wohl tatsächlich so, dachte Zoe
später, als sie die Färbepinsel und die Schüssel auswusch. Und doch
kam es ihr manchmal wie ein Geschenk vor. Insgeheim gelobte sie
sich, ihren Erfolg niemals als selbstverständlich zu
betrachten.
Sie würde ihre Arbeit gut machen. Sie würde eine
faire Geschäftspartnerin und Arbeitgeberin sein. Sie wusste
schließlich, was es bedeutete, für jemanden zu arbeiten, dem das
Auftragsbuch wichtiger war als seine Angestellten. Jemand, der
vergessen hatte, wie es war, so lange auf den Beinen zu sein, bis
sie brannten und bis man es vor Rückenschmerzen kaum noch
aushielt.
Aber sie würde das nicht vergessen.
Als junges Mädchen hatte sie sich etwas anderes von
ihrem Leben erträumt. Sie hatte hübsche Dinge haben, ein ruhiges
Leben führen und ihr Geld mit Geistesarbeit verdienen wollen. Doch
nun hatte sie diesen Weg eingeschlagen, und es sollte ein schöner
Weg werden.
»Du könntest noch einmal zurück und alles anders
machen.«
Als sie sich umdrehte, stand Kane da. Die
Überraschung, der Schock und die Angst, die sie empfand, lagen wie
unter einem dichten Nebel verborgen und kamen ihr nicht wirklich zu
Bewusstsein.
Er war wunderschön in seiner dunklen Pracht. Die
schwarzen Haare und die tief liegenden Augen, die scharf
gemeißelten Knochen und die weiße Haut. Er war größer, als sie es
sich vorgestellt hatte, aber nicht so kräftig gebaut wie Pitte,
sondern eher anmutig und elegant. Vermutlich konnte er sich so
rasch bewegen wie eine Schlange.
»Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst.« Ihre
Stimme klang hohl, als ob sich die Worte eher in ihrem Kopf
formten.
»Ich habe dich beobachtet. Ein angenehmer
Zeitvertreib.« Er trat näher und streichelte flüchtig über ihre
Wange. »Du bist sehr hübsch. Viel zu hübsch, um so hart zu
arbeiten. Zu hübsch, um dein Leben damit zu vergeuden, das
Erscheinungsbild anderer zu verbessern. Du wolltest von jeher mehr,
aber niemand hat dich verstanden.«
»Nein. Mama war wütend darüber. Es verletzte ihre
Gefühle.«
»Sie hat dich nie verstanden. Sie hat dich wie eine
Sklavin gehalten.«
»Sie brauchte Unterstützung, und sie hat stets ihr
Bestes getan.«
»Und wenn du Hilfe brauchtest?« Seine Stimme war
sanft und sein Gesichtsausdruck voller Mitgefühl. »Armes junges
Ding. Missbraucht, betrogen, verlassen. Und ein Leben lang hast du
für einen einzigen gedankenlosen Akt bezahlt. Wenn es nun nie
geschehen wäre? Dein Leben wäre völlig anders verlaufen. Überlegst
du dir das nicht manchmal?«
»Nein, ich …«
»Sieh her.« Er hielt eine Kristallkugel hoch. »Sieh
dir an, was hätte sein können.«
Unwillkürlich blickte sie hin und wurde in die
Szene hineingezogen.
Sie drehte sich in einem tiefen Ledersessel, um aus
einem großen Eckfenster auf die Türme und Spitzen der Großstadt zu
schauen. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck telefonierte
sie.
»Nein, ich kann nicht. Ich fliege heute Abend nach
Rom. Ein bisschen Geschäft und viel Vergnügen.« Sie blickte auf die
schmale goldene Uhr an ihrem Handgelenk. »Das Vergnügen ist ein
kleiner Bonus von oben, weil ich ihnen Quatermain als Kunden
gebracht habe. Eine Woche im Hassler. Natürlich schicke ich dir
eine Ansichtskarte.«
Lachend schwenkte sie wieder zu ihrem Schreibtisch
zurück, weil ihre Assistentin gerade mit einer hohen Porzellantasse
hereinkam. »Ich rufe dich an, wenn ich zurück bin.
Ciao.«
»Ihre Latte, Ms. McCourt. Ihr Wagen fährt in einer
Viertelstunde vor.«
»Danke. Die Akte Modesto?«
»Schon in Ihrem Aktenkoffer.«
»Sie sind die Beste. Sie wissen ja, wie ich zu
erreichen bin. Aber ab Dienstag möchte ich nicht mehr gestört
werden. Wenn es also nicht ganz dringend ist, tun Sie am besten so,
als sei ich zur Venus geflogen.«
»Darauf können Sie sich verlassen. Niemand hat
einen Urlaub mehr verdient als Sie. Ich wünsche Ihnen einen
wundervollen Aufenthalt in Rom.«
»Danke, das habe ich vor.«
Sie trank einen Schluck von ihrer Latte und wandte
sich ihrem Computer zu, um in einer Datei letzte Details zu
überprüfen.
Sie liebte ihre Arbeit. Manche Menschen würden
sagen, es handele sich doch nur um Zahlen, Buchhaltung, schwarze
oder rote Tinte, aber für Zoe war es eine Herausforderung, ja sogar
ein Abenteuer. Sie leitete das Controlling in einem der größten,
komplexesten Unternehmen der Welt, und sie machte ihre Sache sehr
gut.
Es war ein langer Weg von Mamas Buchhaltung bis
hierhin gewesen, dachte sie. Ein sehr langer Weg.
Sie hatte sich sehr angestrengt, um das Stipendium
fürs College zu bekommen, hatte hart für ihr Examen gearbeitet und
sich sofort eine Traineestelle an einer der angesehensten
internationalen Banken in New York gesichert.
Und dann hatte sie sich hochgearbeitet. Bis in ein
Eckbüro auf der fünfzehnten Etage, mit eigenen Angestellten, und
das alles noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag.
Sie hatte eine wunderschöne Wohnung, ein
aufregendes Leben und einen Beruf, der ihr Spaß machte. Und sie war
an all die Orte gereist, von denen sie als Mädchen geträumt
hatte.
Sie besaß das, was ihr ihre Familie niemals hatte
geben können. Respekt.
Zufrieden fuhr sie den Computer herunter und trank
den letzten Schluck ihrer Latte. Dann erhob sie sich, ergriff ihren
Aktenkoffer und warf sich ihren Mantel über den Arm.
Rom wartete auf sie.
Zuerst würde sie natürlich ein bisschen arbeiten
müssen, aber dann war es nur noch Vergnügen. Sie hatte sich
vorgenommen, ausgiebig einzukaufen. Etwas aus Leder, etwas aus
Gold. Ein Abstecher zu Armani oder zu Versace. Vielleicht auch zu
beiden. Das hatte sie sich redlich verdient.
Sie ging auf die Tür zu, aber plötzlich blieb sie
stehen und drehte sich um. Etwas hielt sie zurück.
»Ihr Wagen ist da, Ms. McCourt.«
»Ja, ich komme.«
Wieder ging sie auf die Tür zu. Aber nein. Sie
konnte nicht einfach wegfahren.
»Simon!« Sie musste sich an der Wand abstützen. »Wo
ist Simon?«
Sie rannte durch die Tür und rief nach ihm. Und
fiel durch Kristallglas auf ihren Küchenfußboden.
»Ich hatte keine Sekunde Angst«, sagte Zoe zu
Malory und Dana. »Noch nicht einmal, als ich auf dem Boden landete.
Ich dachte nur, hmm, was soll das denn?«
»Und mehr hat er nicht zu dir gesagt?«, fragte
Dana.
»Nein. Er war sehr höflich«, erwiderte Zoe, die
gerade einen ihrer Bedienungsplätze an der Wand befestigte. »Sehr
mitfühlend. Und überhaupt nicht Angst einflößend.«
»Weil er dich verführen wollte«, erklärte
Malory.
»Ja, das denke ich auch.« Zoe rüttelte prüfend an
dem Platz und nickte. »›Sieh dir an, was hätte sein können.‹ Bei
ihm klang es so, als ginge es nur darum, welchen Schritt man wohin
macht.«
»Die Weggabelung.« Dana stemmte die Hände in die
Hüften.
»Genau.« Dana setzte die letzte Schraube an und
drehte sie fest. »Hier ist die Gelegenheit, eine hochkarätige
Karriere zu haben, ein aufregendes Leben zu führen, für eine Woche
nach Rom zu fliegen. Du musst nur eine Kleinigkeit beachten: Du
darfst mit sechzehn nicht schwanger werden. Er hat gemerkt, dass er
an Simon nicht herankommt, deshalb hat er ihn ausgeblendet.«
»Er unterschätzt dich.«
Zoe schnaubte. »O ja, das tut er. Nichts in der
Kristallkugel kam dem gleich, was ich mit Simon habe. Und wisst ihr
was? Es ist ebenso nicht mit dem zu vergleichen, was ich mit euch
beiden hier tue.«
Grinsend stand sie auf. »Ich hatte allerdings echt
tolle Schuhe an. Sie waren bestimmt von Manolo Blahnik, so wie die,
die Sarah Jessica Parker zu tragen pflegt.«
»Hmm. Teure, sexy Schuhe oder ein neunjähriger
Junge.« Dana tippte sich mit dem Finger ans Kinn. »Schwere
Wahl.«
»Ich glaube, ich begnüge mich weitaus lieber mit
Sonderangeboten.« Zoe trat einen Schritt zurück und begutachtete
den Frisierplatz. »Er jagt mir keine Angst ein.« Lachend legte sie
den Schraubenzieher weg. »Ich war mir so sicher, dass er mir Angst
machen würde, aber es passierte nichts.«
»Werd bloß nicht unvorsichtig«, warnte Malory sie.
»Mit einem einfachen ›Nein, danke‹ kommst du bei ihm nicht
durch.«
»Aber etwas anderes wird er von mir nicht zu hören
bekommen. Na ja, auf jeden Fall habe ich danach noch mal über den
Hinweis nachgedacht. Entscheidungen. Du hast es den Moment der
Wahrheit genannt, Malory. Ich habe vermutlich in der Nacht, als ich
Simon empfangen habe oder als ich beschlossen habe, ihn zu
bekommen, eine Entscheidung getroffen. Aber es muss noch eine
andere geben, eine, die ich entweder schon getroffen habe oder die
noch aussteht.«
»Wir können ja eine Liste machen«, setzte Malory
an. Dana musste lachen.
»Woher wusste ich bloß, dass du das sagen
würdest?«
»Eine Liste«, fuhr Malory fort und warf ihrer
Freundin einen verweisenden Blick zu, »wichtiger Ereignisse und
Entscheidungen, die Zoe getroffen hat. So wie sie sich das Valley
als einen Wald mit vielen Wegen vorgestellt hat, nur dass dieses
Mal ihr Leben der Wald ist. Wir suchen nach Abzweigungen,
Verbindungen, danach, wie eins zum anderen führte und was es mit
dem Schlüssel zu tun hat.«
»Damit habe ich schon herumgespielt, und ich habe
mir gedacht …« Zoe stellte den nächsten Platz auf und zog ihr
Maßband aus der Tasche. »Eure Entscheidungen, die euch zu den
Schlüsseln geführt haben, hatten etwas mit Flynn und Jordan zu tun.
Brad und ich sind als Einzige noch übrig, also schließe ich daraus,
dass er wohl eng zu meiner Entscheidung gehört. Damit steht er mit
mir zusammen in der Schusslinie.«
»Brad kann auf sich alleine aufpassen«, versicherte
Dana ihr.
»Das weiß ich. Und ich kann ebenfalls auf mich
aufpassen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich mit ihm klarkomme.
Ich kann es mir nicht leisten, einen Fehler zu machen, weder bei
dem Schlüssel noch in meinem und Simons Leben.«
»Hast du Angst, dass eine Beziehung zu Brad ein
Fehler sein könnte?«, fragte Malory.
»Nein, eigentlich fürchte ich eher, dass es ein
Fehler sein könnte, keine Beziehung mit ihm zu haben.«
»Ihr besucht ihn doch heute Abend«, sagte Malory.
»Nimm dir einmal ein Beispiel an deinem Sohn und genieße es, mit
jemandem zusammen zu sein, der dich offensichtlich so gern
hat.«
»Ich werde es versuchen.« Zoe griff erneut nach dem
Maßband. »Auf jeden Fall ist es gut, dass ich einen Aufpasser habe.
Eigentlich sogar zwei, wenn man Moe mitzählt.«
»Früher oder später wird sich Brad auch mal allein
mit dir treffen wollen, unabhängig davon, wie gern er Simon
hat.«
Zoe reichte Malory das Maßband und ergriff den
Schraubenzieher. »Darüber mache ich mir dann Gedanken, wenn es so
weit ist.«
Was bald der Fall sein würde, dachte Zoe, als ihre
Freundinnen gegangen waren.
Ihr war klar, dass Brad und sie sich körperlich so
sehr anzogen, dass sie einfach zusammenkommen mussten. Aber sie
würde den Zeitpunkt, den Ort und das Tempo bestimmen. Die Regeln.
Regeln musste es geben, ebenso wie sie vor diesem intimen Schritt
eine gemeinsame Basis finden mussten.
Wenn Bradley Vane tatsächlich eine ihrer
Weggabelungen war, dann musste sie sich völlig sicher sein, dass
keiner von ihnen verirrt, blutend und allein am Ende des Weges
zurückblieb.