Das Boot mit seinem verlässlich klopfenden Glühkopfmotor steuerte nach Westen. Bei der Insel Ärholmen legten sie an. Routiniert schlug Elin einen Spierenstich um den Ring im Felsen. Arvid sah bewundernd zu, wie sich das Seil gefügig in ihren Händen formte. Dann sprang sie graziös an Land, obwohl sie einen Korb trug. Sie drehte sich zu ihm um.
»Kommst du?«
»Sicher«, erwiderte er und griff nach der Bootskante.
»Was ist, geht’s dir nicht gut? Du siehst bleich aus.«
»Nein, nein, mir geht’s gut, bin nur zu schnell aufgestanden.«
Er fühlte in der Jackentasche nach, bevor er an Land ging. Elin bewegte sich mit sicheren Schritten über die Unebenheiten des Felsbodens und danach am Strand entlang. Es war eine Kunst, über einen steinigen bohuslänischen Strand zu gehen. Die schwarzen Flechten waren in nassem Zustand teuflisch glatt, sonst aber völlig ungefährlich. Elin konnte mit einem Blick feststellen, wo es sicher war, und hüpfte mit Leichtigkeit zwischen den unterschiedlich großen Steinen umher. Sie war wie ein Teil der Natur, als wären die Felsen extra so geformt, damit sie genau dort Platz nehmen und ihren Rücken anlehnen konnte.
Sie hatte die Decke ausgebreitet und mit dem Auspacken des Picknickkorbs begonnen.
»Liebste Elin«, begann er und kniete sich vor sie hin. Er hatte eigentlich »Pierina« singen wollen, wurde jedoch plötzlich nervös und hatte es so eilig mit seiner Frage, dass er den Text in der Tasche steckenließ. Er nahm ihre Linke zwischen seine beiden Hände.
»Willst du mich heiraten?« Seine braunen Augen blickten in die ihren und warteten auf Antwort.
Sie lächelte mit dem Mund, den Augen, ihrem ganzen Gesicht.
»Ja.«
Er zog die goldenen Ringe aus der Jackentasche und steckte ihr den einen an den Finger. Er liebte ihre Hände, sie waren schmal und geschmeidig, aber überraschend stark. Ihre Nägel waren unlackiert und nicht besonders lang. Der Ring saß perfekt. Sie nahm den zweiten und steckte ihn Arvid an, küsste ihn weich und lächelte.
»Unheimlich gern.« Sie fragte sich, ob ihre Mutter, die kürzlich verstorben war, oben auf einer Wolke saß und ihnen zuschaute. Sie hoffte es.
Er zog sie an sich und drückte sie zärtlich. Versuchte den Augenblick einzufangen, den Duft ihrer Haare, und dachte, dass es jetzt, genau jetzt geschah und er sich immer daran erinnern würde. Sie beide waren es, er und sie, und nichts anderes spielte eigentlich noch eine Rolle.
Karin war an Bord gegangen, bevor sie sah, dass jemand im Cockpit saß. Es war Göran in seiner grünen Daunenjacke.
»Hallo.« Er schaute sie an.
»Hallo. Wie geht’s?«, erwiderte Karin.
»Ich wollte fragen, ob ich dich zu einem kleinen Essen einladen darf.«
Er wies auf den Korb neben sich.
Karin war müde und wollte eigentlich ablehnen, doch ihr schlechtes Gewissen gewann die Oberhand.
»Natürlich. Warte, ich schließe auf.«
»Kann ich doch machen.« Er zog einen Schlüssel mit einem Schwimmer als Anhänger aus der Tasche.
Scheiße, dachte Karin. Das habe ich vergessen. Er hat noch den Schlüssel. Entweder muss ich versuchen, ihn zurückzubekommen, oder das Schloss auswechseln. Vielleicht hat er sich einen nachmachen lassen.
»Mama lässt dich grüßen. Ja, Papa auch, aber in erster Linie Mama. Sie vermissen dich.«
Hit me where it hurts, dachte Karin und vertrieb das Bild von Görans lächelnder Mutter aus ihrem Kopf. Laut sagte sie: »Danke. Grüße sie zurück.«
Er schloss auf und stieg ins Boot hinunter. Routiniert stellte er den Heizofen an und holte das Essen und eine Flasche Rotwein aus dem Korb.
»Keine Pizza?«, fragte Karin und bereute ihre Bemerkung sofort. Er hatte sich wirklich angestrengt, das sah sie. Es gehörte wohl mehr dazu als eine Pizza, wenn man seine Freundin zurückgewinnen wollte.
Karin betrachtete das italienische Büfett. So etwas war wirklich nicht typisch für Göran. Es war im Gegenteil so untypisch, dass in Karin der Verdacht aufkam, jemand habe ihm geholfen.
»Ich habe in der Markthalle eingekauft. Dort in der Nordhemsgatan, du weißt, wo wir früher gewohnt haben«, sagte er, als er Karins misstrauische Miene sah.
Die alte Feuerwache im Stadtteil Linnéstaden lag in der Nordhemsgatan und war inzwischen eine nette kleine Markthalle. Karin liebte es, dorthin zu gehen und die Gerüche von Blumen bis zu frischgebackenem Brot einzuatmen.
Göran öffnete eine Tür und nahm Teller heraus.
»Wo hast du die Weingläser?« Er drehte sich zu ihr um.
»Das waren doch deine, also habe ich sie in die Wohnung geschafft.«
»Ach so.« Er wandte sich wieder um und öffnete die Weinflasche.
Kein Bier, sondern wirklich Wein, dachte Karin, war aber diesmal vernünftig genug, ihren Kommentar zurückzuhalten.
»Müssen wir eben normale Gläser nehmen«, sagte sie.
Göran legte ein mitgebrachtes kariertes Tischtuch auf und zündete in zwei kleinen Kerzenhaltern neue Teelichter an, die er aus dem Fach unter dem Navigationstisch holte.
»Bitte sehr.« Er reichte Karin ein Glas.
Zinfandel. Ihr Lieblingswein. Warum hatte er nicht so sein können, als sie noch zusammen waren?
Karin schaute zu, als er ihr vom Essen auftat.
»Mann, schmeckt das toll!« Sie war positiv überrascht, als sie vom Hauptgericht, einem Auflauf, kostete.
»Was ist denn da drin?«
Göran hüstelte und schaute auf seinen Teller.
»Huhn, Champignons.«
»Ja«, sagte Karin, »aber welches Gewürz?« Sie kostete noch einmal. Was war das bloß für ein Geschmack?
»Ach so das«, antwortete Göran. »Meine geheime Zutat.«
»Mal im Ernst«, Karin ließ nicht locker. »Sag, was es ist.«
Er goss ihr Wein nach, und Karin ertappte sich dabei, dass sie dasaß und lächelte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich in seiner Gesellschaft das letzte Mal so wohl gefühlt hatte.
»Prost!«, sagte Göran.
Karin nickte und hob ihr Glas.
»Was sind das für Gewürze? Majoran, und könnte es vielleicht Estragon sein?«
Göran kniff ein Auge zu.
»Ich kann es leider nicht verraten.«
»Willst du nicht oder kannst du nicht?«, fragte Karin und stellte ihr Weinglas abrupt ab.
»Was macht das für einen Unterschied?« Die Veränderung seines Tons bestätigte nur ihren Verdacht.
»Wenn du es nicht kannst, liegt es vielleicht daran, dass jemand anders das Essen zubereitet hat …«, erwiderte Karin.
»Es spielt doch wohl keine Rolle, wer das Essen gekocht hat, oder?« Göran klang jetzt wütend.
»Doch, genau das tut es«, sagte Karin enttäuscht. Es war zu gut gewesen, um wahr zu sein.
»Verdammt, dass du dich niemals nur einfach freuen kannst, sondern immer alles kompliziert machen musst«, sagte Göran.
»Ich? Du bist es doch, der …«
»Jetzt sind wir wieder am selben Punkt angelangt. Begreifst du nicht, wie egoistisch es ist, wenn du dasitzt und mir Vorwürfe machst, wo ich doch hergekommen bin, um dich zum Essen einzuladen?«
»Gib mir den Schlüssel«, forderte ihn Karin auf.
»Was?«
»Den Bootsschlüssel. Als du gekommen bist, habe ich wirklich kurz geglaubt, es gäbe einen Weg zurück«, erklärte sie.
»Aber tut es das denn nicht? Bitte, Karin. Sag, wie du mich haben willst, und dann werde ich so. Ich verspreche es.«
Es war wohl dieser Satz, der ihre Beziehung endgültig beendete.
»Es geht nicht, Göran. Ich kann nicht sagen, wie du zu sein hast. Du bist, wie du bist.«
»Aber ich kann doch werden, wie du mich haben willst.«
Sie schüttelte den Kopf, ging zu ihm hin und umarmte ihn. Es ging nicht, sie hatte geglaubt, er wäre der Mann ihres Lebens, aber irgendwo auf dem Weg war die Liebe zu Ende gewesen. Lange standen sie so da, die Arme umeinandergeschlungen.