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Aaron machte nun schon zum x-ten Mal mit dem Ellbogen der Lady Bekanntschaft, die vor ihm auf seinem Pferd saß. Er unterstellte ihr bei dieser groben Behandlung keine Absicht. Aber das hieß nicht, dass er besonders glücklich darüber war, ständig in den Oberköper gestoßen zu werden. Auch ihre wenig betroffenen Entschuldigungen änderten nichts an dieser Tatsache. Er hatte den starken Verdacht, dass sie ihr Tun dennoch irgendwie genoss und nur darauf wartete, dass er seine Geduld verlor und sie schalt. Aber diesen Gefallen würde er ihr nicht tun.

Sie dafür zu rügen, dass sie versuchte, sich möglichst präsentabel herzurichten, indem sie ihre wirren Zöpfe öffnete und mit den Fingern durch ihr Haar strich, war schließlich auch in seinem Interesse.

Von seinem ersten Eindruck eines frechen kleinen Bauernmädchens blieb nach dieser Aktion wenig zurück. Bis vielleicht auf die Tatsache, dass sie wirklich ein ziemlich ungebührliches Verhalten an den Tag legte, wenn man bedachte, dass sie sich als Edelfräulein entpuppt hatte. Sich in eine halbwegs präsentable junge Lady zu verwandeln, änderte aber immer noch nichts daran, dass diese Maid irgendwie … aus dem Rahmen fiel.

„Wenn ich meine Rolle heute Nachmittag überzeugend spielen soll, müsst Ihr mir noch einige Informationen geben, Sir“, hörte sich diese Aufforderung nicht so an, als ob auch nur der kleinste Zweifel an ihrem Tun aufgekommen wäre, seit sie die Scheune verlassen hatten.

Aber da sie das Spiel weiter spielen wollte, war es wohl besser, ihr ein paar Informationen zu geben.

„Mein Vater erwartet, dass ich ihm heute eine Lady vorstelle, die bereit ist, meine Bewerbung anzunehmen.“

„Warum?“

„Warum was?“

„Warum erwartet Euer Vater das ausgerechnet heute von Euch? Warum wartet er nicht, bis Ihr die Lady Eurer Träume trefft und Euch Hals über Kopf verliebt?“

Das war eine Frage, die genau zu dieser jungen Dame passte. Vor allem war es eine Frage, die vollkommen unsinnig war, und das dürfte auch ihr bewusst sein. Liebe spielte bei einer Vermählung nur eine untergeordnete Rolle. Die Verbindung selbst war es, die zählte.

„Erwartet Ihr wirklich eine Antwort auf Eure Frage?“

Der Vorwurf klang deutlich in diesen Worten mit. Als Edelfräulein sollte sie wissen, wie eine Verbindung in ihren Kreisen zustande kam.

„Heiratsversprechen werden getroffen, um die eigene Position zu stärken, indem die Familie mit einem anderen einflussreichen Clan eine Allianz eingeht.“

Rebekka nahm sich diesen Vorwurf nicht zu Herzen. Sie konzentrierte sich lieber auf die Aussage selbst, und bohrte in dieser Richtung weiter.

„Warum stärkt Ihr dann die Position Eurer Familie nicht? Findet sich vielleicht kein Clan, der mit Eurer Familie eine Allianz eingehen will? Habt Ihr keinen Einfluss oder seid sogar mittellos?“

Diese Idee gefiel ihr ganz offensichtlich. Die hoffnungsvolle Begeisterung war kaum zu überhören. Kein Grund für Aaron, Rebekkas Frage zu beantworten. Er startete lieber zum Gegenangriff.

„Was wenn es so wäre? Würdet Ihr befürchten, dass ich Euch auf diese Komödie festnagle, um eine gute Verbindung einzugehen?“

Das war gemein von ihm, aber diese Maid machte es ihm wirklich schwer mit ihren ständigen haltlosen Vermutungen. Da konnte sich die Ritterlichkeit schon einmal kurz verabschieden.

„Würdet Ihr?“, fragte sie begeistert zurück. „Mich und meine Familie auf dieses gespielte Versprechen festnageln? Ist das Eure Methode, um an eine Braut zu kommen?“

Warum hatte Aaron jetzt den Eindruck, als ob diese Maid ein solches Verhalten seinerseits als großes Abenteuer sehen würde? Wohl darum, weil sie sich genau so anhörte. Nur würde er ihr diesen Gedanken ganz schnell wieder austreiben.

„Selbst wenn ich bereits tot und begraben wäre, würde ich mich auf eine Verbindung mit Euch nicht einlassen. Ihr seid vor mir so sicher, als hätte man Euch in ein Kloster gesteckt und zur Nonne gemacht.“

Darüber schien die Maid eine Weile nachzudenken. Vielleicht hatte es Aaron aber auch nur ein wenig übertrieben, und sie nun ernsthaft beleidigt. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die kurze Sprechpause des Mädchens nichts mit dieser Äußerung zu tun hatte. Sie machte sich über etwas ganz anderes Gedanken.

„Wenn ich vor Eurem Vater Eure Braut spiele, soll ich da vielleicht so tun, als ob ich Euch mit Haut und Haaren verfallen bin?“

Aaron seufzte in leichter Verzweiflung. Die strahlende Begeisterung, die die Maid erneut ergriffen hatte, war ein wenig Nerv tötend. Und sie fuhr noch dazu fort, ihm ihre weiteren Überlegungen zu diesem Spiel mitzuteilen.

„Ich könnte Euch wie eine liebeskranke Kuh anhimmeln“, schlug sie begeistert vor. „Ich seufze ab und zu einfach Euren Namen.“ Sie hielt kurz inne.

„Euer Name“, fiel ihr ein. „Ich kenne Euren Namen ja noch gar nicht. Und wenn ich nur Mylord seufze, könnte sich ein anderer angesprochen fühlen.“

Rebekka drehte ihren Kopf ein wenig und versuchte mit dem Ritter, der hinter ihr auf dem Pferd saß, Blickkontakt aufzunehmen. Nur sah der stur über sie hinweg und nahm den Wink nicht zur Kenntnis.

„Euer Name, mein Herr. Wenn ich Eure Auserwählte spielen soll, dürfte ich wenigstens Euren Namen kennen“, erinnerte Rebekka noch einmal ganz deutlich.

Aaron hätte gerne gesagt, dass diese Komödie nicht sein Werk war. Aber dieser Hinweis würde wohl kaum auf fruchtbaren Boden fallen, jetzt da er mitmachte.

„Aaron.“

Bei dieser Maid war es besser, sparsam mit Worten umzugehen. Außerdem hatte sie ihn ja nur nach einem Namen gefragt, nicht nach der Zugehörigkeit einer Familie oder einen Titel. Diese einsilbige Antwort war es jedoch nicht, was sie an seiner Auskunft störte.

„Da kann man ja gar nichts abkürzen oder verniedlichen“, war Rebekka enttäuscht. Und sie wies ihren Begleiter auch gleich darauf hin, dass das bei ihrem Namen sehr wohl der Fall war.

„Also, wenn Ihr mich anstatt Lady Rebekka einfach Bekky nennt, dann können wir Euer kleines Handicap wieder ausgleichen.“

Aaron verzichtete auf eine Erwiderung. Zum Glück musste er auch nichts weiter erwidern, da das Waldstück, durch das sie seit dem Verlassen der Scheune geritten waren, sich nun lichtete. Nun bot sich der jungen Lady ein freier Blick auf Aarons heimatliche Burg.

Die Enttäuschung des Fräuleins dämpfte einigermaßen ihre optimistische Grundeinstellung. Ein Gefühl, dem sie auch mit Worten Ausdruck verlieh.

„Ihr seid ja gar nicht arm wie eine Kirchenmaus. Wenn Euch das da gehört, dann müssten Euch die Ladys eigentlich in Scharen nachlaufen.“

Das da, war eine Burg, deren Ausmaße mehr als nur beeindruckend waren. Alleine auf der ihr zugewandten Seite konnte Rebekka sechs Türme in der äußeren Ringmauer zählen. Auch sonst hatte man sich nicht damit zufrieden gegeben halbe Sachen zu machen. Wer auch nimmer diese Festung belagern wollte, musste sich mit dem Spott derjenigen auseinandersetzten, die sich sicher darin aufhielten. Für Rebekka sah es so aus, als ob es hier keine Angriffsfläche geben würde. Aber dennoch blieb die Maid weniger beeindruckt, als enttäuscht.

„Kein Wunder, dass es Euch so schwer fällt, kein Milchtopf zu sein. Von hier abzustammen, muss Euch ja als Kind mit Etikette schon erschlagen haben.“

Wenn die Lady wüsste! Nun ja, sie würde ganz schnell feststellen, dass Etikette in seinem Elternhaus keine Bedeutung hatte. Die Burg mochte zwar beeindruckend aussehen, aber deren Bewohner fehlte diese Eigenschaft. Zumindest wenn man Etikette erwartete.

Das zeigte sich schon darin, dass die Ankunft des Burgerben nicht großartig beachtet wurde. Kein Gruß richtete sich an Aaron, und es kam auch niemand zu Hilfe, um das Fräulein, das mit ihm ankam, aus dem Sattel zu heben. Um Rufus musste er sich selbst kümmern, denn keiner der Stallburschen nahm ihm diese Arbeit ab.

Rebekka faszinierte dieser Mangel an Freundlichkeit gegenüber einem Mitglied dieses Haushalts ganz gewaltig. Aber vielleicht hatte sie auch nur etwas angenommen, das gar nicht stimmte. Ganz sicher war der Ritter in ihrer Gesellschaft nicht der Erbe dieser großen Burg. Ein unbedeutender Verwandter vielleicht. Ihr war das eigentlich egal, solange sie ihren Spaß dabei hatte, ein kleines Schauspiel aufzuführen.

Der Spaß kündigte sich nicht so an, wie Rebekka erwartet hatte. Denn um zu Aarons Vater zu gelangen, mussten sie sich in der großen Wohnhalle der Burg erst einmal einen Weg durch die Anwesenden bahnen.

Das was Rebekka dabei gleich auffiel war die Abwesenheit von Frauen. Weder hatte sich ein Edelfräulein unter die Männer gemischt, noch saß eine in den breiten Fensternischen und beschäftigte sich mit einer Handarbeit. Dafür gab es ein Rudel Hunde, die sich vor und unter dem Tisch platziert hatten, auf den Aaron zusteuerte. Immer noch schenkte ihnen niemand besondere Aufmerksamkeit. Was vielleicht auch an dem Lärm liegen mochte, den die Männer hier machten.

Jedes Wort, jedes Argument, das einer dem anderen gegenüber äußerte, wurde lautstark kundgetan. Wahrscheinlich, um der eigenen Meinung Nachdruck zu verleihen, vermutete Rebekka. Sie versuchte aufzuschnappen, worüber sich die Männer hier ereiferten, konnte aber keinem der Worte lange genug folgen, um einen Sinn zu erkennen, da Aaron sie am Ellbogen gepackt hatte und durch die Tische zog, die hier einen Teil der Halle einnahmen.

Rebekka war gespannt, welcher dieser Herren wohl Aarons Vater war, dem sie eine potentielle Braut vorspielen sollte. Erste Hinweise auf ihr angestrebtes Ziel zeigten sich schon dadurch, dass sich der Ritter neben ihr mehr und mehr versteifte, je näher sie dem einstufigen Podium kamen, auf der der Burgherr seinen Platz hatte.

Der Mann, der dort oben saß war beeindrucken. Nicht unbedingt wegen seiner Größe oder seiner eleganten Erscheinung, sondern wegen seiner unritterlichen Manieren.

Im Grunde handelte es sich bei Aarons Vater um eine ältere Ausgabe seines Sohnes. Das gleiche schulterlange Haar, nur noch ein wenig heller, da sich bereits graue Strähnen darunter mischten. Ein durchtrainierter muskulöser Körper, und ganz offensichtlich auch eine beeindruckend große Gestalt. Was Rebekka allerdings noch nicht mit Sicherheit sagen konnte, da der Mann gerade beim Essen saß. Der einzige Unterschied zu seinem Sohn bestand darin, dass der Vater einen ziemlich struppigen Bart trug. Und natürlich nicht zu vergessen seine Manieren.

Denn das Stück Fleisch, das er sich gerade in den Mund geschoben hatte, als Aaron mit Rebekka vor ihn trat, wurde nicht der üblichen Behandlung des Kauens unterzogen, sondern einfach mit einem großen Schluck Met hinunter gewürgt. Da dieser große Schluck Flüssigkeit zusammen mit dem Fleischbrocken jedoch nicht genügend Platz im Mund seines Vertilgers fand, landete ein Teil davon in dem ungepflegten Bart. Kein Problem für den Lord, der dieses Malheur mit dem Ärmel seines Hemdes aus der Welt schaffte.

Rebekka störte sich an diesem Schauspiel kein bisschen. Sie war mehr fasziniert davon, wie wenig Gedanken sich dieser Edelmann darüber machte, was eine für ihn unbekannte Lady sich hier denken könnte. Eindruck wollte er mit diesem Verhalten ganz bestimmt nicht machen. Aber vielleicht war dieser Ansatz ihrer Überlegung auch verkehrt. Denn der Herr einer solch weitläufigen Burg, musste bei niemandem versuchen Eindruck zu schinden.

Aaron allerdings schien sich ganz gewaltig an dem Verhalten seines Erzeugers zu stören. Denn das einzige Wort, das er an den Burgherren richtete, klang steif und unterkühlt.

„Vater.“

Rebekka war neugierig, wie diese sparsame Begrüßung aufgenommen wurde. Um auszugleichen, was Aaron an Freundlichkeit fehlte, lächelte sie verbindlich in die Richtung des Lords.

Sie hätte auf diese Geste der Höflichkeit auch verzichten können, da sie hier scheinbar nicht von Bedeutung war. Denn Aarons Vater polterte ohne eine Begrüßung gleich einmal los.

„Du bist zu spät, und du hast Stroh im Haar!“, stellte er beide Tatsachen in einem Atemzug fest. Dann kniff er die Augen zusammen und blickte Rebekka kritisch an.

„Sie hat auch Stroh im Haar!“, machte er eine weitere wichtige Entdeckung, eher er sich von seinem Platz erhob, um den Tisch herum ging, und in dröhnendes Lachen ausbrach. Dann zog er Aaron in eine bärenstarke Umarmung und klopfte ihm nicht gerade zart auf die Schulter.

„Gut gemacht, Sohn!“

Rebekka wusste jetzt nicht so genau, ob sie sich wegen dieser Strohsache peinlich berührt fühlen sollte. Aber da Aaron sie nicht darauf hingewiesen hatte, dass sie nicht so ganz präsentabel war, wollte sie die Verantwortung dafür auch nicht übernehmen. Außerdem wurde sie zu Hause ständig dafür gescholten, nicht ganz so makellos von ihren Streifzügen zurückzukommen, wie sie aufgebrochen war. Darum fühlte sie sich anlässlich dieser berechtigten Rüge auch nicht beleidigt.

Allerdings hatten sich die Worte des Lords nicht wirklich nach einer Rüge angehört. Aus irgendeinem unersichtlichen Grund schien er ihrer beider unordentliches Auftreten zu begrüßen. Warum sonst hätte er Aaron so begeistert auf die Schulter geklopft. Und auch die nächsten Worte des beeindruckenden Mannes, hörten sich nach zufriedener Zustimmung an.

„Endlich bist du einmal meinem Rat gefolgt!“, nickte der Lord anerkennend. „Nur wenn man aufs Ganze geht, dann bekommt man auch den Preis“, erklärte er für Rebekka unverständlich.

„Es gab ein Gewitter“, stellte Aaron klar, und sah seinen Vater anlässlich dessen Feststellung stirnrunzelnd an. „Wir mussten uns in einer Scheune unterstellen, bis der Regen vorbeigezogen war.“

Da sein Vater diese Worte ganz offensichtlich nicht zu Kenntnis nehmen wollte, machte sich Aaron daran, die junge Frau in seiner Begleitung vorzustellen.

„Vater, das ist Lady Rebekka. Mylady, das ist mein Vater, Lord Waldo Danber.“

Diesen Namen hatte Rebekka schon einmal gehört, auch wenn sie im Augenblick nicht wusste, wo sie ihn einordnen sollte. Dafür erinnerte sie sich nun erneut an ihre gute Erziehung und setzte zu einem höflichen Knicks an. Ein Versuch, der damit endete, dass sie genauso in Lord Danbers begeisterte Umarmung gezogen wurde, wie zuvor schon sein Sohn. Zum Glück verzichtete er aber darauf, ihr kräftig den Rücken zu klopfen.

„Du solltest sie ein bisschen füttern“, stellte der Lord fest, nachdem er Rebekka aus seinem überraschenden Griff entlassen hatte. „Mit ein wenig mehr Fleisch auf den Rippen, wird sie kräftig genug sein, um dir ein paar stramme Söhne zu gebären.“

„Vater“, klang dieses eine Wort ausgesprochen ärgerlich. Was er damit sagen wollte war klar. Ein solches Gespräch sollte nicht an die Ohren einer jungen Lady dringen.

Rebekka empfand das nicht so. Nur Aaron, dieser Spielverderber, hatte wohl etwas dagegen, dass sie einmal etwas Interessantes hörte.

„Schon gut, schon gut“, lenkte Lord Waldo erstaunlich schnell ein. „Ich beschwer mich doch gar nicht. Immerhin hast du es geschafft, eine Lady von dir zu überzeugen.“

Das zufriedene Lächeln des Lords stachelte Rebekka dazu an zu widersprechen.

„Überzeugt ist ein bisschen zu hoch gegriffen, Mylord. Sir Aaron hat ein paar vielversprechende Ansätze gezeigt“, dämpfte sie die Erwartungen des älteren Mannes ein wenig. Schließlich wollte sie nicht den Eindruck erweckten, sie wäre so leicht zu erobern gewesen.

„Ansätze?“, brauste Lord Waldo auf. Dann schnappte er sich sogleich seinen Sohn, hielt ihn an seinem Wams fest und zog ihn so nahe zu sich, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.

„Wenn du nicht zu mehr fähig bist, als zu Ansätzen, Bürschlein, dann gehörst du bei Wasser und Brot ins Verließ gesperrt!“

Rebekka kicherte. Einen ausgewachsenen Mann, mit sehr beeindruckenden Muskeln, als Bürschlein zu schelten wie einen Zwölfjährigen, war aus ihrer Sicht einfach zum Lachen. Um Sir Aaron nicht noch einer weiteren Herabsetzung auszusetzen, rückte sie ihre Aussage lieber in ein besseres Licht.

„Nun ja, Mylord. Ihr wisst doch, dass ein Edelfräulein nur selten mehr als ein Zipfelchen von dem zu sehen bekommt, was einen Mann ausmacht. Dennoch ist mir die beeindruckende Kraft aufgefallen, die sich unter all dem höflichen Auftreten Eures Sohnes verbirgt. Das meinte ich mit Ansatz“, erklärte Rebekka zu Lord Waldos Zufriedenheit und Aarons Missfallen.

„Ein wahres Wort“, nickte der Lord und ließ seinen Sohn los. „Kraft überzeugt eher als gutes Benehmen. Das sag ich schon immer.“ Der zufriedenen Zustimmung folgte eine Frage. „Also war es die Kraft meines Sohnes, die Euch eingenommen hat?“

Rebekka ahnte, dass Aaron die Richtung, die das Gespräch nahm, nicht besonders zusagte. Und gerade deshalb führte sie es, nach einem kurzen Seitenblick, auch weiter.

„Stärke ist ausgesprochen wichtig bei der Wahl eines Mannes, Mylord“, brachte Rebekka diese Überzeugung erfolgreich an den Mann. Und sie nahm die Gelegenheit gleich wahr, einen kleinen Seitenhieb in Aarons Richtung abzufeuern.

„Obwohl ich natürlich nicht weiß, ob Sir Aaron seine Kraft einsetzen würde, um um meine Gunst zu kämpfen.“

„Nicht kämpfen?“ ereifert sich der vermeintliche Vater des Bräutigams. Eine solche Aussage konnte er als Ehrenmann nicht stehen lassen. Ein ohrenbetäubender Pfiff durch die Zähne, lenkte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf ihn.

„Männer, mein Sohn hat eine Lady mitgebracht, die noch ungebunden ist. Wer sie sich schnappen kann, der bekommt sie.“

Ein vernichtender Blick traf Rebekka, die von Aaron für diese Wendung der Geschichte verantwortlich gemacht wurde. Allzu lange konnte er sie allerdings nicht vorwurfsvoll ansehen, da der Ankündigung seines Vaters bereits die ersten Männer versuchten nachzukommen.

„Ist Euch das abenteuerlich genug?“, zischte Aaron seiner Begleiterin zu, bevor er sich das Schwert seines Vaters vom Tisch schnappte, und mit drei Gegnern zur gleichen Zeit die Klinge kreuzte.

Eher neugierig, als erschrocken beobachtete die junge Maid die Kampfhandlungen, die mitten in der Wohnhalle ausgeführt wurden. Und weil sie gar nicht auf die Idee kam, sich von den Kämpfenden in Sicherheit zu bringen, um nicht aus Versehen verletzt zu werden, zog sie Lord Danber beiseite.

Wie sich sein Sohn schlug war nicht das, was ihn bei der Geschichte interessierte, die er angezettelt hatte. Er hatte keine Bedenken, dass Aaron mit jedem Gegner fertig wurde, der sich ihm nähern sollte. Selbst dann, wenn ihn mehrere Männer zur gleichen Zeit angingen. Waldo Danber interessierte mehr, was die Maid davon hielt, dass sich sein Sohn für sie schlug. War sie von dem angetan was sie sah, oder wie die meisten edlen Damen von so einem brutalen Schlagabtausch angewidert?

„Was sagt Ihr, Kindchen? Schlägt er sich gut?“

Diese Frage hätte sich Lord Danber auch selbst beantworten können, wenn er dem Kampf, zwischen seinem Sohn und seinen Leuten einen Blick gegönnt hätte. Aber hier ging es nicht um Aaron, sondern um das Fräulein, das sein einziger Spross in die Familie bringen wollte. Denn eine wahre Danber-Braut fand sich nicht an jeder Ecke.

Von dieser Überlegung bekam Rebekka, die das Geschehen aufmerksam beobachtete nichts mit. Sie wollte sich nicht einen Augenblick dieses Spektakels entgehen lassen. Vor allem, da es weitaus interessanter war, als die Turnierkämpfe, denen sie schon beigewohnt hatte. Hier gab es ganz offensichtlich keinen Ehrenkodex, an den sich die Männer halten mussten. Nur das Ergebnis zählte, wie dieses Ergebnis zustande kam, spielte wohl keine Rolle.

Allerdings fand es Rebekka ein bisschen ungerecht, dass aus den anfangs drei Gegnern, inzwischen fünf geworden waren. Eine Tatsache, die sie gegenüber dem Burgherren anprangerte.

„Sir Aaron schlägt sich ausgezeichnet“, begann Rebekka erst einmal mit einem Lob. Aber die Kritik folgte dann auch sofort nach. „Fünf gegen einen ist nur…“, sie suchte nach den richtigen Worten, fand aber irgendwie nichts Passendes. Deshalb hörte sich die Erklärung auch ein wenig sehr mädchenhaft an. „…ein bisschen gemein.“

„Gemein wollen wir natürlich nicht sein“, lachte sie der Lord aus. Er legte ihr eine seiner rauen Hände von hinten auf die Schulter, und pfiff wieder einmal durch die Zähne, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu erhalten.

„Schluss Männer!“, beendete er ganz einfach die von ihm herbeigeführte Auseinandersetzung. „Die Lady möchte nicht, dass ihr gemein zu meinem Sohn seid.“

Das dröhnende Gelächter, das auf diese Mitteilung folgte, brachte Rebekka einen tödlichen Blick von Aaron ein. Und für einen kleinen Moment vergaß der Ritter seine guten Manieren so weit, dass er ihr den Angriff auf seine Ehre mit Worten heimzahlte.

„Göre!“

Rebekka strahlte angesichts dieses einen, fast lautlos geäußerten Ausdrucks, der Aarons Ärger bekundete. Sie hatte ihn tatsächlich dazu gebracht, ein kleines bisschen aus der Rolle zu fallen, die er versuchte aufrecht zu erhalten.

Nun ja, eigentlich war es nicht wirklich sie, die ihn dazu gebracht hatte. Denn dieser Erfolg war wohl eher Lord Danber zuzuschreiben, da er ihre Worte so großzügig mit seinen Untergebenen geteilt hatte. Darum konnte sie vielleicht doch nur ein wenig von diesem Erfolg beanspruchen. Obwohl Sir Aaron seinen Unmut an sie gerichtet hatte, und nicht an seinen Vater. Er wusste also ganz genau, wen er für diesen Angriff auf seine Integrität als Ritter verantwortlich machen musste.

Für Rebekka bestätigte sich damit, dass man diesen Edelmann aus seinem Verließ aus Anstand und Manieren befreien konnte, wenn man ihn nur genügend reizte. Eine Aufgabe, die Rebekka mit Freuden erfüllen würde. Nichts machte mehr Spaß, als die Reaktion aus einem Menschen zu kitzeln, die er absolut nicht zeigen wollte.

Warum sich Sir Aaron solche Mühe gab, etwas anzustreben, dem sie ständig versuchte zu entfliehen, konnte sich Rebekka nicht vorstellen. Es machte das Leben doch so viel einfacher, wenn man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen musste, bevor man es über seine Lippen entlassen konnte.

Lord Danber war über das Ergebnis, das ihm dieser Kampf seines Sohnes offenbart hatte, mehr als nur zufrieden. Er übersah dabei auch großzügig, dass Aaron ihm das geliehene Schwert ziemlich ärgerlich auf seinen Tisch warf. Die Maid lockte etwas in Aaron hervor, dem er schon seit Jahren nicht mehr nahe gekommen war.

Was Waldo Danber zu der Frage brachte, was Aaron damit bezweckte, ihm eine Braut vorzuführen, die seine wilde Danber-Seite weckte. Aber das war nicht wirklich wichtig, solange das Ergebnis stimmte.

„Du hast eine äußerst interessante Wahl getroffen, Sohn.“

So konnte man es natürlich auch ausdrücken. Solange er seinen Vater mit diesem Spiel ruhigstellen konnte, nahm Aaron jede weitere Bemerkung darüber auch noch hin.

„Für deine Verhältnisse ein wenig gewagt, aber durchaus vielversprechend. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Lady es schafft, aus dir einen echten Danber zu machen.“