»Sie können nicht leugnen, R'gul, dass vor einer halben Stunde die Sonne hinter dem Felsfinger aufging und gleichzeitig der Rote Stern im Felsöhr sichtbar war«, erklärte F'lar ein wenig ruhiger.

Die übrigen Drachenreiter nickten und murmelten zustimmend. R'guls ständige Skepsis F'lars Politik gegenüber ging ihnen allen auf die Nerven. Selbst der alte S'lel, einst ein glühender Anhänger von R'gul, hatte sich der Mehrheit angeschlossen.

»Wir hatten seit vierhundert Planetendrehungen keine Fäden«, wiederholte R'gul. »Es gibt keine mehr..

»Dann waren alle Ihre Lehren verlogen«, entgegnete F'lar gelassen. »Die Barone haben mit ihrer Behauptung recht, dass wir Drachenreiter keine Existenzberechtigung mehr besitzen.

Der Weyr ist ein Anachronismus.

Ich beabsichtige keineswegs. Sie gegen Ihren Glauben hier festzuhalten, R'gul. Ich gestatte Ihnen, jederzeit den Weyr zu verlassen und anderswo Ihren Wohnort aufzuschlagen.«

Jemand lachte.

R'gul war von F'lars Ultimatum so betäubt, dass er nicht darauf achtete. Den Weyr verlassen? War der Mann wahnsinnig? Wohin sollte er gehen? Er kannte nichts außer dem Weyr. Seine Vorfahren lebten seit Generationen hier.

Zugegeben, nicht alle als Bronzereiter, aber auch daran hatte es nicht gefehlt. Sein Vater beispielsweise war Weyrführer gewesen wie er selbst - bis F'lar ihn verdrängte.

Drachenreiter verließen niemals den Weyr, außer sie verloren durch Ungeschicklichkeit ihren Drachen wie dieser Lytol von Ruatha. Aber er besaß seinen Hath noch.

Was wollte F'lar von ihm? Genügte es nicht, dass er jetzt Weyrführer war? Blähte er sich nicht vor Stolz, weil es ihm gelungen war, die Armee der Barone zurückzuweisen? Musste F'lar jeden einzelnen Drachenreiter in die Knie zwingen? Er starrte ungläubig in die Runde.

»Ich glaube nicht, dass wir Schmarotzer sind«, unterbrach F'lar das lange Schweigen. »Es hat schon früher lange Intervalle gegeben. Der Rote Stern zieht nicht immer nahe genug vorbei, um die Silberfäden auf Pern abzuwerfen. Aus diesem Grunde errichteten unsere klugen Vorfahren das Felsöhr. Und noch eines ...«

Seine Miene wurde ernst.

»Es gab auch in der Vergangenheit Zeiten, in denen das Drachenvolk nahezu ausstarb - weil Skeptiker wie Sie am Werk waren.«

Lächelnd lehnte sich F'lar zurück.

Im Beratungsraum herrschte angespanntes Schweigen. R'gul merkte, dass er rasselnd atmete. Er sah in das harte Gesicht des jungen Weyrführers und wusste, dass der Mann keine leere Drohung ausstieß. Er musste die Überlegenheit F'lars anerkennen oder den Weyr verlassen.

Und wohin konnte er gehen, außer zu einem der anderen Weyr, die seit ewigen Zeiten leerstanden? R'guls Gedanken schweiften weiter. Fünf verlassene Weyr! War das nicht Beweis genug dafür, dass es keine Fäden mehr gab? Beim Ei von Faranth, er musste sich in Geduld üben. Wenn dieser junge Schwachkopf dann vor den Trümmern Perns stand, konnte er eingreifen und retten, was noch zu retten war.

»Ein Drachenreiter verlässt den Weyr nicht«, erklärte R'gul würdevoll.

»Und akzeptiert die Politik des Weyrführers?«

Das klang nicht wie eine Frage, sondern wie ein Befehl.

R'gul nickte kurz, um sich nicht zu verraten. F'lar sah ihn durchbohrend an, und einen Moment lang fragte sich R'gul, ob der Mann seine Gedanken lesen konnte. Es gelang ihm, den Blick ruhig zu erwidern. Seine Zeit kam noch. Und bis dahin würde er warten.

F'lar schien seine Kapitulation zu akzeptieren. Er erhob sich und teilte die Patrouillen für den Tag ein.

»T'bor, Sie beobachten das Wetter und kümmern sich nebenbei ein wenig um die Wagenzüge mit den Abgaben.

Haben Sie den Morgenbericht?«

»Keine Regenfälle in Telgar und Keroon; Temperaturen unter dem Durchschnitt. T'bor grinste. »Die Wege sind hart und trocken, so dass die Abgaben bald eintreffen müssten.«

Man sah ihm an, dass er sich bereits auf das Festmahl freute, das der Ankunft der Wagenzüge folgen würde. Auch die Mienen der übrigen Drachenreiter hatten sich aufgehellt.

F'lar nickte.

»S'lan und D'nol, ihr setzt die Suche nach geeigneten Halbwüchsigen fort. Achtet darauf, dass sie eine rasche Auffassungsgabe besitzen. Natürlich wäre es besser, für die Gegenüberstellung nur Jungen auszuwählen, die in der Tradition des Weyrs erzogen wurden.«

F'lar lächelte schwach.

»Aber in den Unteren Höhlen gibt es wenig Nachwuchs.

Auch wir haben unsere Pflichten vernachlässigt. Zudem entwickeln sich die jungen Drachen rascher als ihre Reiter.

Kinder nützen uns wenig. Seht euch vor allem im Süden um, in Ista, Nerat, Fort und Boll. Dort reifen die Jugendlichen früh.

Ach ja, und nehmt einen kleinen Vorrat an Feuersteinen mit, um das Grün, das seit Jahren auf den Höhen wuchert, zu versengen. Damit könnt ihr eure Mission verheimlichen - und ein Feuerspeiender Drache beeindruckt die jungen Leute.«

F'lar beobachtete R'guls Gesichtsausdruck.

Der frühere Weyrführer hatte sich energisch dagegen ausgesprochen, außerhalb des Weyrs nach zusätzlichen Kandidaten zu suchen. Zum einen war er der Ansicht, dass die achtzehn Burschen, die in den Unteren Höhlen aufwuchsen, völlig ausreichten, auch wenn einige von ihnen noch sehr jung waren. Aber R'gul wollte auch nicht eingestehen, dass Ramoth mehr Eier legen würde als Nemorth, die sich immer mit einem Dutzend begnügt hatte. Zum zweiten beharrte R'gul in seiner Auffassung, dass man die Barone nicht reizen durfte.

R'gul meldete keinen Widerspruch an, und so fuhr F'lar fort:

»K'net, Sie überprüfen die Bergwerke. Sorgen Sie dafür, dass die Feuersteingruben jeder Burg gereinigt werden und einen ausreichenden Vorrat besitzen. R'gul, Sie üben weiterhin mit den Jungreitern das Ansteuern bestimmter Bezugspunkte.

Wenn es einmal nötig wird, sie als Boten einzusetzen, dürfen sie keine langen Fragen mehr stellen.

F'nor, T'sum - F'lar wandte sich an die braunen Reiter seines eigenen Geschwaders - »ihr durchsucht heute den Ista-Weyr.«

Er grinste, als er ihre misstrauischen Gesichter sah. »Räumt die Brutstätte frei und nehmt alle Aufzeichnungen mit, die ihr finden könnt. Sie dürfen nicht verloren gehen.

Das ist alles, Drachenreiter. Einen guten Flug!«

Damit erhob sich F'lar und verließ den Beratungsraum. Er steuerte auf die Höhle der Königin zu.

Ramoth schlief noch. Ihre Schuppen glänzten - ein Zeichen für ihre gute Gesundheit. Allerdings hatten sie einen kupfernen Ton angenommen, seit die Drachenkönigin schwanger war. Als er an ihr vorüberging, zuckte ihr Schwanz unruhig.

Merkwürdig, dachte F'lar, auch die anderen Drachen zeigten sich rastlos. Aber wenn er Mnementh fragte, konnte ihm der Bronzedrache keinen Grund nennen. Er könne eben nicht schlafen, und das sei alles. Mehr brachte F'lar nicht aus ihm heraus. Offenbar war die Unruhe eine Art Instinktreaktion.

Lessa war weder im Schlafgemach noch in der Badehöhle.

F'lar runzelte die Stirn. Das Mädchen würde sich noch die Haut vom Leibe schrubben. Gewiss, auf Ruatha hatte sie jahrelang im Schmutz gelebt, um unentdeckt zu bleiben. Aber musste sie deshalb zweimal täglich baden? Allmählich fragte er sich, ob sie auf versteckte Weise ihn kränken wollte.

F'lar seufzte. Dieses Mädchen! Würde sie sich ihm niemals freiwillig zuwenden? Sie verschloss ihr Inneres vor ihm. Zu F'nor, seinem Halbbruder, und K'net, dem jüngsten Bronzereiter, hatte sie mehr Vertrauen als zu ihm, der ihr Lager teilte.

Er rückte verärgert den Vorhang zurecht. Wohin war sie gegangen, ausgerechnet heute, da es ihm gelungen war, sämtlich Geschwader außerhalb des Weyrs zu beschäftigen?

Er hatte auf diesen Augenblick gewartet, um ein Versprechen zu erfüllen, das er der Weyrherrin gegeben hatte und an das sie ihn ständig erinnerte. Lessa sollte lernen, das Dazwischen zu überwinden.

In Kürze war Ramoth zu schwerfällig für solche Übungen.

Aus gewissen Bemerkungen Lessas hatte er geschlossen, dass sie nicht gewillt war, noch sehr viel länger Mitahnzusehen, wie die Jungreiter übten. Sie hatte es sich sogar angewöhnt. Reitkleidung zu tragen.

Er verließ die Wohnräume und warf einen Blick in den Archivraum, der am Ende des Korridors lag. Hier saß sie oft stundenlang über den modrig riechenden Häuten. Ihm fiel ein, dass er sich selbst einmal um die Aufzeichnungen kümmern musste. Einige davon waren so brüchig geworden, dass man sie kaum noch lesen konnte. Seltsam genug befanden sich die älteren Schriften in einem ausgezeichneten Zustand. Wieder eine Technik, die man vergessen hatte.

Er schob sich mit einer Geste, die typisch für ihn war, das Haar aus der Stirn. Lessa befand sich nicht im Archiv.

Er wandte sich an Mnementh, der sich auf dem Felsvorsprung sonnte.

»Was macht dieses Mädchen nur?« erkundigte er sich.

Lessa, erwiderte der Bronzedrache mit besonderer Betonung ihres Namens, spricht mit Manora. Nach einer kleinen Pause fügte er an: Sie trägt ihre Reitkleidung.

F'lar bedankte sich und betrat den Korridor, der zu den Unteren Höhlen führte. Als er um die letzte Biegung kam, stieß er beinahe mit Lessa zusammen.

Du hattest nicht gefragt, wo sie ist, bemerkte Mnementh auf F'lars scharfen Tadel.

Lessa wich gerade noch aus. Sie funkelte ihn wütend an.

»Weshalb bekam ich nicht die Gelegenheit, den Roten Stern durch das Felsöhr zu betrachten?« fragte sie mit harter, spröder Stimme.

F'lar schob nervös die Stirnlocke zurück. Eine schwierige Lessa das hatte ihm gerade noch gefehlt.

»An der Klippe oben herrschte ein starkes Gedränge«, erwiderte er vorsichtig. Er wollte sie auf keinen Fall verärgern.

»Und du glaubst ohnehin an die Gefahr.«

»Ich hätte es dennoch gern erlebt«, sagte sie unwirsch. »Und sei es nur in meiner Eigenschaft als Weyrherrin und Archiv-Verwalterin.«

Er nahm sie am Arm und spürte, wie sie sich versteifte.

Achselzuckend ließ er sie los. Er musste Geduld mit dieser Frau haben.

»Ein Glück, dass du bereits deine Reitkleider trägst. Sobald die Geschwader fort sind und Ramoth erwacht, möchte ich mit dir ins Dazwischen fliegen.«

Selbst im Halbdunkel des Korridors sah er das Aufleuchten ihrer Augen. Sie atmete tief ein.

»Ich kann es nicht länger hinausschieben, sonst ist Ramoth zu schwerfällig zum Fliegen«, fuhr er liebenswürdig fort.

»Du meinst es ernst?« fragte sie leise, und mit einemmal war der spröde Ton aus ihrer Stimme verschwunden.,»Du willst uns heute mitnehmen?« Es war nur schade, dass er ihren Gesichtsausdruck nicht genau erkennen konnte.

Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, kam ein weicher, zärtlicher Blick in ihre Augen. Er hätte viel darum gegeben, wenn sie ihn so angesehen hätte. Aber er konnte froh sein, dass sie ihre Zärtlichkeit Ramoth zuwendete und nicht einem anderen Mann.

»Ja, meine Liebe - schon damit du nicht auf die Idee kommst, es auf eigene Faust zu versuchen.«

Er verbeugte sich leicht.

»Aber vorher muss ich etwas essen. Wir waren unterwegs, bevor die Mägde das Frühstück zubereitet hatten.«

Sie verließen den Korridor und betraten den hell erleuchteten Weyrraum. Ihm entging nicht der scharfe Blick, den sie ihm zuwarf. Sie verzieh ihm immer noch nicht, dass er es versäumt hatte, sie zum Sternstein mitzunehmen.

Während sie Frühstück bestellte, sah F'lar sich in der Felskammer um. Wie verändert alles war, seit Lessa die Führung des Weyrs übernommen hatte! Während Joras Herrschaft hatten sich Schmutz und Schlamperei eingenistet.

Der Zustand des Weyrs war von Jahr zu Jahr schlechter geworden, denn Jora hatte der Verwahrlosung keinen Einhalt geboten.

Wenn er, F'lar, beim Tode seines Vaters F'lon nur ein paar Jahre älter gewesen wäre ... Jora hatte ihn angewidert, aber wenn die Drachen zum Paarungsflug aufstiegen, achtete man nicht auf das Aussehen und den Charakter der Partnerin.

Lessa brachte ein Tablett mit Brot, Käse und frischem Klah.

Sie bediente ihn geschickt.

»Du hast auch noch nichts gegessen?« fragte er.

Sie schüttelte heftig den Kopf, so dass die schweren Flechten hin und her flogen. Die Frisur war viel zu streng für ihr schmales Gesicht, aber sie nahm Lessa nichts von ihrer Weiblichkeit. Wieder einmal wunderte sich F'lar darüber, wie es möglich war, dass in einem so zarten Körper soviel Intelligenz und Durchtriebenheit steckte - ja, Durchtriebenheit war das richtige Wort. F'lar beging nicht den Fehler, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen.

»Manora rief mich, damit ich die Geburt von Kylaras Kind eintragen konnte.«

F'lar sah sie mit einem Ausdruck höflichen Interesses an. Er wusste recht gut, dass Lessa in ihm den Vater des Kindes vermutete, und er konnte die Möglichkeit nicht ausschließen, auch wenn er sie stark bezweifelte.

Kylara gehörte zu den zehn Kandidatinnen, die zusammen mit Lessa vor drei Jahren in den Weyr gekommen waren. Wie die anderen Mädchen hatte Kylara entdeckt, dass gewisse Aspekte des Weyrlebens ihr zusagten.

Sie hatte mit den verschiedensten Drachenreitern das Lager geteilt und sogar F'lar verführt - freilich nicht ganz gegen seinen Willen. Jetzt, da er Weyrführer geworden war, fand er es klüger, ihre Bemühungen zu ignorieren. T'bor hatte sie zu sich genommen, und sie war keine bequeme Gefährtin für ihn gewesen. Endlich, als sie schon hochschwanger war, hatte er es fertig gebracht, sie in die Unteren Höhlen abzuschieben.

Abgesehen von ihrer Liebestollheit war Kylara klug und ehrgeizig. Sie würde eine starke Weyrherrin abgeben, und so hatte F'lar Manora und Lessa damit beauftragt, ihr diesen Gedanken näherzubringen. Als Weyrherrin - auf einem anderen Weyr - konnte sie ihr Temperament zugunsten Perns einsetzen, auch wenn sie nicht Lessas Intelligenz und zähe Ausdauer besaß. Zum Glück hatte sie großen Respekt vor der Weyrherrin, und F'lar vermutete, dass Lessa sie darin bestärkte.

Nun, er hatte nichts dagegen.

»Ein kräftiger Sohn«, sagte Lessa.

F'lar trank seinen Klah. Sie würde ihn zu keinem Geständnis bringen.

Nach einer langen Pause fügte Lessa hinzu: »Sie will ihn T'kil nennen.«

F'lar unterdrückte mühsam ein Grinsen.

»Diskret von ihr.«

»Oh?«

»Ja«, erklärte F'lar freundlich. »Angenommen, sie hätte, wie üblich, die zweite Hälfte ihres Namens verwendet. Dann hieße der Kleine T'lar, und das könnte zu Verwechslungen fuhren.

Bei T'kil ist das nicht der Fall.«

Lessa räusperte sich. »Während ihr im Beratungsraum wart, überprüfte ich mit Manora die Vorratshöhlen. Die Abgaben, die uns die Burgherren Gütigerweise senden ...« ihre Stimme war scharf geworden - »... sollen noch diese Woche eintreffen.

Dann wird es endlich anständiges Brot geben.« Sie rümpfte die Nase, als sie das bröckelige graue Zeug auf ihrem Teller betrachtete.

»Eine erfreuliche Abwechslung«, pflichtete F'lar ihr bei.

Sie machte eine Pause.

»Der Rote Stern war, wie vorausberechnet, im Felsöhr zu sehen?«

Er nickte.

»Und R'guls Zweifel wurden zerstreut?«

»Mitnichten.« F'lar grinste sie an. »Aber er wird sich hüten, ihnen Ausdruck zu verleihen.«

Sie schluckte rasch ein paar Bissen hinunter. »Du musst seine ständige Kritik unterbinden«, sagte sie und stach mit dem Messer in die Luft, als wolle sie jemandem die Kehle durchschneiden.

»Er wird deine Entscheidungen immer bemängeln.«

»Wir brauchen jeden Bronzereiter«, erinnerte er sie. »R'gul ist ein guter Geschwaderführer. Vielleicht fängt er sich, wenn die Fäden fallen. Seine Zweifel lassen sich nur durch Beweise zer streuen.«

»Und der Rote Stern im Felsöhr ist ihm nicht Beweis genug?« Lessa sah ihn mit großen, ausdrucksvollen Augen an.

Insgeheim war F'lar Lessas Meinung. Man musste etwas gegen R'guls Streitsucht unternehmen. Aber er konnte keinen Geschwaderführer opfern, gerade jetzt, wo er jeden Reiter und Drachen so dringend benötigte.

»Ich traue ihm nicht«, fügte sie finster hinzu. Sie nippte an dem heißen Getränk und sah ihn über den Rand der Tasse an.

Als traute sie ihm ebenfalls nicht...

Und sie tat es nicht, über eine gewisse Grenze hinaus. Das hatte sie ihm deutlich zu verstehen gegeben, und wenn er ehrlich war, konnte er es ihr nicht einmal verdenken. Sie erkannte, dass F'lars ganzes Handeln auf ein Ziel hin gerichtet war - auf die Sicherheit und Erhaltung des Drachenvolkes und damit auf die Sicherheit und Erhaltung von Pern. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte er ihre volle Mitarbeit. Wenn Angelegenheiten des Weyrs oder die alten Balladen diskutiert wurden, gab sie die feindselige Haltung ihm gegenüber auf.

Bei Beratungen unterstützte sie ihn rückhaltlos und wortgewandt, aber er glaubte oft genug eine Doppeldeutigkeit in ihren Bemerkungen zu erkennen. Er benötigte nicht nur ihre Toleranz, sondern auch ihr Einfühlungsvermögen.

Nach einem langen Schweigen fragte sie: »Berührte die Sonne den Fingerfelsen, bevor sich der Rote Stern im Felsöhr abzeichnete oder danach?«

»Offen gestanden, das weiß ich nicht genau, da ich es selbst nicht sah ... die ganze Erscheinung dauerte nur wenige Sekunden. Aber es heißt, dass die beiden Ereignisse zusammenfallen.«

Sie sah ihn mit gekrauster Stirn an. »An wen hast du den Augenblick verschwendet? An R'gul?« Sie war gereizt. Ihre Augen blitzen.

»Ich bin Weyrführer«, erklärte er kurz angebunden. Sie war unvernünftig.

Lessa warf ihm einen langen, bohrenden Blick zu, bevor sie sich über ihren Teller beugte und fertig aß. Verglichen mit Jora nahm sie winzige Mahlzeiten zu sich. Aber es hatte keinen Sinn, Lessa in irgendeinem Punkt mit Jora zu vergleichen.

Er beendete sein Frühstück ebenfalls und schob geistesabwesend die beiden leeren Becher auf das Tablett. Sie erhob sich schweigend und brachte das Geschirr weg.

»Sobald die Geschwader fort sind, fliegen wir«, erklärte er.

»Das hast du bereits gesagt.«

Sie deutete mit dem Kinn auf die schlafende Königin, die in der äußeren Höhle lag. »Wir müssen uns noch um Ramoth kümmern.«

»Wacht sie nicht bald auf? Ihr Schwanz zuckt seit geraumer Zeit hin und her.«

»Das macht sie immer um diese Tageszeit.«

F'lar beugte sich über den Tisch und beobachtete mit umwölkter Stirn den gegabelten Schwanz der Drachenkönigin.

»Mnementh ebenfalls. Immer im Morgengrauen oder kurz nach Sonnenaufgang. Als würden sie diese Tageszeit mit unangenehmen Dingen in Verbindung bringen ...«

»Oder mit dem Aufgang des Roten Sterns?« warf Lessa ein.

Ihr Tonfall hatte sich irgendwie verändert. F'lar warf ihr einen raschen Blick zu. Sie dachte jetzt nicht mehr daran, dass sie an diesem Morgen die Erscheinung versäumt hatte. Ihre Augen starrten ins Leere; sorgenvolle Linien standen zwischen den Schöngeschwungenen Brauen.

»Alle Warnungen kommen im Morgengrauen«, murmelte sie.

»Was für Warnungen?« fragte er ruhig.

»Ein paar Tage, bevor du mit Fax nach Ruatha kamst, wachte ich plötzlich auf, Ich spürte einen schweren Druck ... so als drohte mir eine entsetzliche Gefahr.« Sie schwieg. »Und der Rote Stern war eben aufgegangen.«

Die Finger ihrer linken Hand öffneten und schlossen sich.

Sie zitterte wie im Krampf. Dann richtete sie den Blick wieder auf F'lar.

»Fax kam von Nordosten, aus Crom«, sagte sie scharf.

F'lar überlegte, dass der Rote Stern ebenfalls im Nordosten aufging.

»Allerdings«, sagte er mit einem Lochen. Er konnte sich noch lebhaft an jenen Tag erinnern. »Aber ich hoffe doch, dass ich dir damals einen guten Dienst erwies.«

Er deutete auf die Felskammer.

Ihr Blick war kühl und unergründlich.

»Die Gefahr kommt in mancherlei Gestalt.«

»Zugegeben«, erwiderte er liebenswürdig, ohne auf die Herausforderung einzugehen.

»War das die einzige Vorahnung?«

Ihr Schweigen ließ ihn aufsehen. Sie war schneeweiß geworden.

»Nein. Ich spürte sie auch damals, als Fax Ruatha eroberte.«

Sie sprach so leise, dass er ihre Worte kaum verstand. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie umkrampfte die Tischkante.

F'lar beobachtete sie besorgt. Mit dieser Reaktion auf seine beiläufige Frage hatte er nicht gerechnet.

»Weiter«, sagte er sanft.

Sie sprach unbewegt, sachlich, als berichte sie von einer Begebenheit, die sie persönlich nicht berührte.

»Ich war ein Kind.

Elf Jahre alt.

Ich erwachte im Morgengrauen ...«

Sie sprach nicht weiter. Ihre Blicke waren immer noch ins Nichts gerichtet. Sie betrachteten eine Szene, die sich vor langer Zeit abgespielt hatte.

F'lar spürte mit einemmal das Verlangen, Lessa zu trösten.

Er hatte niemals vermutet, dass ausgerechnet sie von so alten Erinnerungen gequält wurde.

Mnementh erklärte scharf, dass Lessa mit ihren Erinnerungen Ramoth aus dem Schlaf schrecke. Dann fügte er etwas versöhnlicher hinzu, dass R'gul endlich mit seinen Schülern aufgebrochen sei. Sein Drache Hath jedoch befände sich in einem Zustand völliger Verwirrung, was auf die Gedankengänge seines Reiters zurückzuführen sei. Ob F'lar denn den gesamten Weyr aufscheuchen müsse ...

»Ach, sei still!« sagte F'lar halblaut.

»Weshalb?« fragt Lessa. Sie hatte ihren normalen Tonfall wieder gefunden.

»Ich habe nicht dich gemeint«, erwiderte er lächelnd. Er tat, als hätte er ihre Sätze von vorher nicht gehört. »Mnementh erteilt mir laufend Ratschläge.«

»Wie der Reiter, so der Drache«, meinte sie spitz.

Ramoth gähnte gewaltig.

Lessa war sofort auf den Beinen und lief in die Schlafhohle der Drachenkönigin. Sie wirkte winzig neben dem goldenen Ungetüm.

Ein zärtliches Leuchten kam über ihre Züge, als sie in Ramoths schillernde Augen sah. F'lar biss die Zähne zusammen.

Neid erfüllte ihn, Neid auf Ramoth.

Er hörte Mnemenths Gelächter.

»Sie hat Hunger«, sagte Lessa, zu F'lar gewandt.

Ihr Mund war weicher als gewöhnlich, und ihre grauen Augen verrieten Wärme.

»Sie hat immer Hunger«, stellte er fest und folgte ihnen nach draußen.

Mnementh flog auf und schwebte ein Stück oberhalb des Felsvorsprungs, bis Lessa und Ramoth gestartet waren. Sie glitten in den Weyrkessel, über den dunstigen Badesee und auf die Futterstelle zu, die am anderen Ende des lang gestreckten Ovals lag. In den steilen Felswänden gähnten schwarze Höhleneingänge. Nirgends dösten an diesem Morgen Drachen in der blassen Wintersonne.

F'lar schwang sich auf Mnemenths glatten Nacken. Er hoffte, dass Ramoth das Vertrauen rechtfertigen wurde, das er in sie gesetzt hatte. Aber das war eigentlich nicht schwer. Nach dem wilden, langen Paarungsflug mit Mnementh legte sie sicher mehr Eier als Nemorth, die sich in den letzten Jahren mit einem schäbigen Dutzend begnügt hatte.

Der Bronzedrache stimmte ihm selbstgefällig zu, und sie beobachtete beide mit Besitzerstolz, wie die goldene Drachenkönigin landete. Sie war bereits jetzt doppelt so groß wie Nemorth und besaß eine mächtigere Flügelspannweite als Mnementh, der unter den sieben Bronzedrachen der kräftigste war. F'lar erwartete von Ramoth, dass sie die fünf verlassenen Weyr neu bevölkern würde, so wie er glaubte, dass er selbst mit Lessas Unterstützung den Stolz und das Vertrauen der Drachenreiter wiederherstellen konnte. Er hoffte nur, dass ihm Zeit genug blieb, um das zu tun, was notwendig war. Der Rote Stern hatte sich im Felsöhr gezeigt. Bald würden die Faden fallen. Irgendwo, vielleicht in den Archiven der anderen Weyr, musste es Aufzeichnungen über den genauen Zeitpunkt dieses Ereignisses geben.

Mnementh landete. F'lar sprang zu Boden und trat neben Lessa Die drei sahen Ramoth nach, die mit einem fetten Bock in den Klauen zu einem Felsensims flog.

»Wird sie ihre Gefräßigkeit nie verlieren?« fragte Lessa mit liebevoller Besorgnis.

Anfangs hatte Ramoth gefressen, um zu wachsen. Nun, da sie ihre volle Größe besaß, fraß sie natürlich für ihre Jungen, und sie gab sich dieser Aufgabe mit Feuereifer hin.

F'lar lachte vor sich hin. Er nahm kleine Schieferstückchen auf, ging in die Hocke und ließ sie flach über den Boden sausen. Dann zählte er kindisch die Staubwolken, die dabei hoch wirbelten.

»Sie wird sich schon noch mäßigen«, beruhigte F'lar sie.

»Aber sie ist jung ...«

»... und braucht ihre Kraft«, unterbrach ihn Lessa. Sie imitierte R'guls pedantischen Tonfall.

F'lar sah zu ihr auf. Er musste blinzeln, weil ihn die schräg einfallenden Sonnenstrahlen blendeten.

»Einen Vergleich mit Nemorth hält sie jederzeit aus.«

Er winkte verächtlich ab.

»Aber pass auf!«

Seine Stimme war mit einemmal gebieterisch. Mit einem spitzen Stein ritzte er eine Zeichnung in den Boden.

»Wenn ein Drache das Dazwischen durchquert, muss er sein Ziel ebenso kennen wie der Reiter.« Er grinste, als er sah, wie sich ihre Miene umwölkte. »Ein unvorbereiteter Sprung kann böse Folgen haben. Wenn man sich den Zielort ungenau vorstellt, bleibt man oft genug im Dazwischen. Sein Tonfall wurde drohend. »Daher gibt es bestimmte Erkennungs- oder Anflugpunkte, die man allen Jungreitern einschärft.

Das hier« er deutete auf seine Skizze und dann auf den echten Sternstein« ist der erste und wichtigste Bezugspunkt.

Wenn wir später aufsteigen, bringe ich dich zu einer Stelle über dem Sternstein, wo du das Loch des Felsöhrs ganz scharf erkennen kannst. Präge dir das Bild genau ein und übermittle es Ramoth. Dann wirst du immer heimfinden.«

»Das begreife ich. Aber wie lerne ich Erkennungspunkte von Orten, die ich noch nie im Leben sah?«

Er grinste sie an.

»Durch deinen Ausbilder!«

Er deutete mit dem Stein auf sich.

»Ich übermittle Mnementh ein Bild, und er gibt es an Ramoth weiter. Dann befiehlst du Ramoth, dieses Ziel anzusteuern, und siehst dir den Erkennungspunkt selbst an.«

Der Bronzedrache senkte den keilförmigen Kopf, bis sein riesiges Auge dicht vor Lessa und F'lar war.

Lessa lachte und tätschelte ihm mit einer liebevollen Handbewegung die weiche Nase.

F'lar räusperte sich überrascht. Er hatte gewusst, dass Mnementh eine außergewöhnliche Zuneigung für die Weyrherrin besaß, aber ihm war entgangen, dass Lessa die Gefühle des Bronzedrachen erwiderte.

Irgendwie ärgerte er sich darüber.

»Wir schicken die jungen Reiter ständig von einem Bezugspunkt zum anderen, so dass sie ohne Gefahr überall in Pern landen können. Mit der Zeit wählen sie selbständig markante Wegzeichen, die sie bei ihren Übungsflügen kennen gelernt haben, und bekommen dadurch zusätzliche Sicherheit.

Man benötigt im Grunde also nur eines, um das Dazwischen zu durchqueren: eine klare Vorstellung des Ziels.

Und einen Drachen.«

Er grinste sie an.

»Zudem sollte man immer in der Luft über dem Bezugspunkt landen.«

Lessa runzelte die Stirn.

F'lar deutete zum Himmel.

»Wenn man sich in der Höhe verschätzt, könnte man gegen Hindernisse stoßen.« Er schlug mit der flachen Hand auf den harten Felsboden. Eine Staubwolke flog auf.

»Aber damals, als die Barone zum Weyr kamen, starteten die Drachenreiter innerhalb des Kessels«, erinnerte Lessa ihn.

F'lar bewunderte ihre rasche Auffassungsgabe.

»Ja, aber nur die erfahrensten unter ihnen. Einmal stießen wir auf einen Reiter mit seinem Drachen, die ihr Grab mitten in einem Felsen gefunden hatten. Sie waren beide ... sehr jung.«

Seine Augen starrten ins Leere.

Lessa nickte ernst.

Dann deutete sie zu Ramoth hinüber, die eben wieder mit einem Bock aufflog. »Das ist ihr fünfter«, sagte sie.

»Sie wird sich heute genug anstrengen müssen«, erwiderte F'lar. Er stand auf und klopfte seine staubigen Knie mit den Reithandschuhen ab.

»Aber allmählich kannst du sie bremsen.«

Lessa tat es mit einem: Nun reicht es!

Ramoth widersprach entrüstet.

Die Drachenkönigin holte sich noch eine fette Gans.

»Sie schwindelt dich an«, sagte F'lar lachend. »So hungrig kann sie nicht mehr sein.« Er sah, dass Lessa zu dem gleichen Schluss gelangt war, denn ihre Augen blitzten wütend.

Laut sagte sie jedoch: »Ramoth, komm sofort hierher, wenn du mit deinem Vogel fertig bist. Der Weyrführer hat die Absicht, mit uns ins Dazwischen zu fliegen, und ich möchte nicht, dass er es sich wieder anders überlegt.«

Ramoth hörte zu schlingen auf und warf einen Blick auf die beiden Menschen am Rande der Futterstelle. Ihre Augen leuchteten. Sie beugte sich zwar wieder über ihr Opfer, aber Lessa spürte, dass sie ihrem Befehl Folge leisten würde.

Lessa fror in der Höhe. Sie war froh um das Pelzfutter ihrer Reitkleidung und um die Wärme, die von Ramoth ausstrahlte.

Sie beschloss, nicht an die absolute Kälte des Dazwischens zu denken, die sie erst ein einzigesmal erlebt hatte.

Mnementh flog ein Stück unter Ramoth.



Lessa fing seine belustigten Gedanken auf.

F'lar lässt dir durch Ramoth ausrichten, dass du genau auf die Lage des Sternsteins achten sollst. Wir fliegen nun zum See und kehren durch einen Sprung ins Dazwischen genau an diese Stelle hier zurück. Hast du alles verstanden?

Lessa strahlte, als sie an das bevorstehende Abenteuer dachte. Sie nickte heftig. Wie viel Zeit sie sich dadurch ersparte, dass sie die Gedanken der Drachen verstand! Ramoth knurrte missgelaunt, und Lessa tätschelte sie beruhigend.

»Hast du dir alles gemerkt. Liebes«, fragte sie, und Ramoth bejahte versöhnt. Sie spürte Lessas Erregung und ließ sich davon anstecken.

Mnemenths Schwingen schillerten grünlichbraun im Sonnenlicht, als er elegant den See auf der Hochebene jenseits des Benden-Weyrs ansteuerte. Er flog so dicht über den Rand des Weyrs, dass er die Felsen zu streifen schien. Ramoth folgte ihm, und Lessa hielt den Atem an, als sie die schroffen Zacken unter den Schwingen der Drachenkönigin auftauchen sah.

Mnementh landete am entferntesten Seeufer, und Ramoth glitt neben ihm zu Boden.

Der Bronzedrache befahl Lessa, sich nun die Lage des Sternsteins vorzustellen und an Ramoth weiterzugeben.

Lessa gehorchte. Der nächste Augenblick war entsetzlich.

Tiefe, vollkommene Schwärze umgab sie. Die Kälte fraß sich bis zu ihren Knochen durch. Und dann, bevor sie einen Gedanken fassen konnte, schwebten sie über dem Sternstein.

Lessa stieß einen triumphierenden Schrei aus.

Das ist ja primitiv.

Ramoth schien enttäuscht Mnementh tauchte ein Stück über ihnen auf.

Kehrt auf die gleiche Weise zum See zurück, befahl er, und bevor er den Gedanken beendet hatte, war Ramoth verschwunden.

Mnementh schäumte vor Zorn, als er neben ihnen erschien.

Ihr habt euch das Bild vor dem Sprung nicht vorgestellt!

Glaubt ja nicht, dass eine geglückte Übung euch schon zu Meistern macht! Ihr habt keine Ahnung von den Gefahren, die im Dazwischen lauern.

Lessa warf einen Blick auf F'lar. Obwohl er zwei Flügelspannen von ihr entfernt war, konnte sie den Ärger in seinen Zügen erkennen und Angst. Angst um ihre Sicherheit.

Ihre oder Ramoths Sicherheit? dachte Lessa bitter.

Folgt uns, fuhr Mnementh ruhiger fort, und übt die beiden Bezugspunkte, die ihr gelernt habt. Wir werden sie als Ausgangspositionen für unsere nächsten Ausflüge benützen.

Sie übten.

Sie flogen bis zu den Handwerkerhütten am Fuße des Benden-Gebirges, wo die Klippe sich schwachblau gegen den Mittagshimmel abhob. Lessa versäumte es nicht mehr, sich die Bezugspunkte genau einzuprägen.

Lessa vertraute Ramoth an, dass sie diese Übungen herrlich und erregend fand. Die Drachenkönigin erwiderte, dass sie den normalen Flügen durchaus vorzuziehen seien, dass sie persönlich es aber langweilig fände, ständig zwischen Weyr und Handwerkerhütten hin- und herzuspringen.

Sie trafen wieder mit Mnementh über dem Sternstein zusammen. Der Bronzedrache übermittelte Lessa die Botschaft, dass die erste Lektion zufrieden stellend verlaufen sei und dass sie am nächsten Morgen weiter entfernte Ziele ansteuern würden.

Morgen, dachte Lessa düster, kommt unserem vielbeschäftigten Weyrführer bestimmt etwas dazwischen, und ich kann eine Ewigkeit warten, bis er sich wieder an sein Versprechen erinnert.

Aber es gab einen Sprung, den sie allein wagen konnte von jedem Punkt aus.

Sie stellte sich Ruatha vor, wie es von den Höhen aussah, und übermittelte Ramoth das Bild. Um ganz sicherzugehen, schloss Lessa die Anlage der Feuergruben ein. Ruatha war ein herrliches, blühendes Tal gewesen, bevor Fax eindrang und sie sich entschloss, es verwahrlosen zu lassen.

Sie befahl Ramoth den Sprung ins Dazwischen.

Die Kälte war grauenvoll und schien viele Herzschläge zu dauern. Eben als Lessa zu fürchten begann, sie könnte sich verirrt haben, tauchte Ruatha unter ihnen auf.

Jubel stieg in ihr hoch.

Soviel zu F'lar und seiner übergroßen Vorsicht!

Mit Ramoth konnte sie überallhin springen!

Die Anlage der Gräben und Feuergruben auf den Höhen war deutlich zu erkennen. Das erste Dämmerlicht stand am Himmel, und die Umrisse des Passes zwischen Crom und Ruatha hoben sich schwarz gegen den Horizont ab. Flüchtig kam ihr zu Bewusstsein, dass der Rote Stern nicht im Nordosten stand. Und flüchtig kam ihr zu Bewusstsein, dass die Luft lau war wie im Vorfrühling.

Verwirrt sah sie um sich.

Konnte sie sich doch getäuscht haben?

Aber nein, das war Ruatha. Der Wachtturm, der Innenhof, die breite Straße, die zu den Gehöften und Handwerkerhütten hinunterführte alles war so, wie es sein sollte. Rauchwolken stiegen aus den Kaminen. Die Bewohner des Dorfes bereiteten sich auf den neuen Tag vor.

Ramoth spürte ihre Unsicherheit und verlangte eine Erklärung.

Es muss Ruatha sein, erwiderte Lessa tapfer. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Steige etwas höher! Da... die Feuergruben und die Rinnen ...

Lessa keuchte. Ihre Muskeln verkrampften sich.

Im schwachen Frühlicht sah sie tief unten die winzigen Gestalten von vielen Männern, die sich von den Hügeln her verstohlen und heimlich Ruatha näherten.

Sie befahl Ramoth, ganz ruhig in der Luft zu schweben, um die Blicke der Männer nicht auf sich zu ziehen. Die Drachenkönigin wunderte sich, aber sie gehorchte.

Wer könnte Ruatha angreifen?

Es schien unglaublich. Lytol war schließlich ein ehemaliger Drachenreiter und hatte bereits einen Angriff überlegen abgewehrt. Lehnten sich die Barone erneut auf? Und welcher Burgherr war so leichtsinnig, dass er mitten im Winter einen Eroberungskrieg begann?

Nein, nicht Winter. Es war eindeutig Vorfrühling.

Die Männer hatten die Feuergruben erreicht und arbeiteten sich zum Kamm vor. Plötzlich erkannte Lessa, dass sie Strickleitern über die Steilwand der Klippe hinunterließen, zu den ungeschützten Eingängen der inneren Burg.

Wild umklammerte sie Ramoths Nacken. Sie wusste nun, welche Szene sie vor sich sah.

Das war der Überfall, den Fax vor dreizehn Planetendrehungen auf Ruatha gewagt hatte... Fax, der nun seit drei Planetendrehungen unter der Erde lag.

Ja, da war der Wachtposten. Er sah zur Klippe hinauf und beobachtete das Treiben, Man hatte ihn bestochen, so dass er keinen Alarm schlug.

Aber der Wachwher, der jeden Eindringling ankündigte weshalb trompete er nicht laut hinaus? Weshalb schwieg er?

Weil er meine und deine Gegenwart spürt, erwiderte Ramoth mit ruhiger Logik. Wie soll er da glauben, dass der Burg eine Gefahr droht?

Nein, nein! stöhnte Lessa.

Was kann ich jetzt tun? Wie kann ich sie wecken? Wo ist das Mädchen, das ich damals war? Ich schlief, und dann wachte ich plötzlich auf. Daran erinnere ich mich. Ich rannte vor Angst aus meinem Zimmer. Ich stürzte beinahe, so schnell lief ich die Treppe hinunter. Ich wusste, dass ich mich in der Hütte des Wachwhers verkriechen musste ... ich wusste es ...

Lessa suchte bei Ramoth Halt, als die Geheimnisse der Vergangenheit mit einemmal klar wurden.

Sie hatte sich selbst gewarnt, so wie ihre Anwesenheit auf dem Rücken der Drachenkönigin den Wachwher davon abgehalten hatte, Alarm zu schlagen. Denn noch während sie sprachlos und wie betäubt nach unten starrte, sah sie die winzige Gestalt, die nur sie selbst sein konnte, über die kalten Steine des Innenhofs laufen und in der hässlichen Hütte des Wachwhers verschwinden. Schwach hörte sie den verwirrten Aufschrei des Tieres.

Kaum hatte das Kind Lessa Zuflucht gefunden, als die Angreifer die Burg stürmten und ihre schlafende Familie niedermetzelten.

» Zurück ... zurück zum Sternstein! « rief Lessa.

Ihr Inneres klammerte sich an das Bild der vertrauten Felsen. Einen Moment lang hatte sie Angst, den Verstand zu verlieren.

Die beißende Kälte brachte sie wieder zur Vernunft. Und dann schwebten sie über dem stillen, winterlichen Weyr, als hätten sie niemals Ruatha aufgesucht.

F'Iar und Mnementh waren nirgends zu sehen.

Ramoth ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie war zu dieser Burg geflogen, wie Lessa es ihr aufgetragen hatte, und konnte nicht recht begreifen, weshalb Lessa nun so entsetzt war. Sie erklärte ihrer Reiterin, dass Mnementh ihnen vermutlich nach Ruatha gefolgt sei und dass sie ihn dort finden würden, wenn Lessa ihr diesmal die richtigen Bezugspunkte gäbe.

Ramoths vernünftige Einstellung war tröstlich.

Lessa zeichnete für die Drachenkönigin ein anderes Bild der Burg... grau, verwahrlost, wie sie es in Erinnerung hatte.

Und wieder schwebten sie im Morgengrauen über dem Tal.

Auf den Höhen wuchs Gras und überwucherte die Feuergrube.

Überall zeigte sich der Verfall, den sie selbst herbeigeführt hatte, weil sie Fax keinen Gewinn aus Ruatha gönnte.

Und dann tauchte eine Gestalt aus der Küche auf. Der Wachwher erhob sich und folgte dem zerlumpten Ding, so weit es seine Eisenkette zuließ. Die Gestalt erklomm den Wachtturm, starrte nach Osten und dann nach Nordosten.

Auch das war nicht das heutige Ruatha! Lessas Gedanken wirbelten. Diesmal hatte sie drei Planetendrehungen übersprungen und beobachtete die schmutzige Küchenmagd Lessa, die ihre Rache plante.

Sie spürte die absolute Kälte des Dazwischen, als Ramoth sie zurück zum Sternstein brachte. Lessa zitterte am ganzen Leib. Immer wieder betrachtete sie den Weyr, um sich zu vergewissern, dass sie wenigstens diesmal in der richtigen Zeit gelandet war. Mnementh tauchte plötzlich ein paar Längen von Ramoth entfernt auf. Lessa begrüßte ihn mit einem erleichterten Ausruf.

Zurück zum Weyr! Der Bronzedrache gab sich keine Mühe, seinen Zorn zu verbergen. Lessa gehorchte augenblicklich.

Ramoth glitt auf den Landevorsprung und zog sich sofort in ihre Höhle zurück, damit auch Mnementh aufsetzen konnte.

Die wutverzerrten Züge F'lars brachten Lessa in die Gegenwart zurück. Sie wich ihm nicht aus, als er sie an den Schultern packte und heftig schüttelte.

» Wie kannst du es wagen, dein Leben und das von Ramoth aufs Spiel zu setzen? Begreifst du nicht, was mit Pern geschehen würde, wenn wir Ramoth verlieren? Wo warst Du? «

Er konnte sich kaum beherrschen. Jede seiner Frage begleitete er mit einem erneuten Schütteln.

» Ruatha«, stieß sie hervor und versuchte sich aufzurichten.

Sie wollte seine Arme zur Seite schieben, aber er ließ ihre Schultern nicht los.

»Ruatha? Wir waren dort und haben dich nicht gesehen. Wo warst du?«

» Auf Ruatha!« rief Lessa lauter. Sie klammerte sich an ihm fest, da sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Sie konnte ihre Gedanken nicht ordnen, wenn er sie so schüttelte.

Sie war auf Ruatha, erklärte Mnementh bestimmt.

Sogar zweimal, fügte Ramoth hinzu.

Als die ruhigen Gedanken der Drachen F'lars Zorn durchdrangen, hörte er auf, Lessa zu stoßen. Sie hing schwach in seinen Armen, die Augen geschlossen, leichenblass. Er hob sie hoch und trug sie rasch auf das Bett, wo er sie in eine Felldecke wickelte. Die Drachen folgten ihm. Dann rief er nach einem Krug heißem Klah.

»Also gut, was ist geschehen?« fragte er.

Sie sah ihn nicht an, aber er erkannte das Entsetzen in ihren Augen. Sie blinzelte beständig, als versuche sie, das auszulöschen, was sie erblickt hatte.

Schließlich hatte sie sich einigermaßen gefasst. Sie sagte mit leiser, müder Stimme: »Ich ging nach Ruatha zurück nach Ruatha.«

» Zurück nach Ruatha?« F'lar wiederholte ihre Worte verständnislos.

Natürlich, bestätigte Mnementh und übermittelte F'lar die beiden Szenen, die er aus Ramoths Erinnerung geholt hatte.

F'lar ließ sich langsam auf den Bettrand sinken. Er war wie betäubt.

» Du hast einen Sprung zwischen den Zeiten gemacht? «

Sie nickte langsam. Allmählich wich das Entsetzen aus ihren Augen.

»Zwischen den Zeiten«, murmelte F'lar. »Ich möchte doch wissen ...«

In Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch. Diese Entdeckung konnte für den Weyr den endgültigen Sieg bedeuten. Er wusste noch nicht genau, wie er diese außergewöhnliche Fähigkeit der Drachen einsetzen sollte, aber sie musste einen Vorteil bringen.

Der Krug mit dem Klah erschien in der Essensnische. F'lar holte zwei Becher und goss sie randvoll.

Lessas Hände zitterten so stark, dass sie das Gefäß nicht an die Lippen führten konnte. F'lar half ihr. Er überlegte, ob der Sprung zwischen den Zeiten immer einen derartigen Schock hervorrufen würde. Wenn ja, dann brachte er kaum einen Vorteil - außer dass Lessa in Zukunft diese Befehle vielleicht besser befolgte.

Mnementh schnaubte verächtlich, aber F'lar ignorierte ihn.

Lessa zitterte jetzt am ganzen Leib. Er legte den Arm um sie und wickelte sie noch fester in die Decke. Dann zwang er sie, ein paar Schlucke zu trinken. Er spürte, wie der Schüttelfrost nachließ. Das Mädchen zwang sich zur Ruhe. Immer wieder atmete sie tief durch. Sobald er spürte, dass sie sich in seinen Armen versteifte, ließ er sie los. Er überlegte, ob Lessa je einen Menschen besessen hatte, an den sie sich wenden konnte. Als Fax die Burg ihres Vaters überfiel, war sie elf Jahre alt gewesen. Hatte sie sich schon damals von Hass und Rachsucht lenken lassen?

Sie umklammerte den Becher, als habe er eine besondere Bedeutung für sie.

»So... nun berichte!« befahl er ruhig.

Sie begann zu sprechen. Ihre Finger umkrampften immer noch den Becher. Der Aufruhr in ihrem Innern hatte sich noch nicht gelegt, aber sie hielt ihn jetzt unter Kontrolle.

»Ramoth und ich langweilten uns bei den Übungsflügen«, gestand sie freimütig.

Düster stellte F'lar fest, dass der Ausflug ihre Halsstarrigkeit nicht gebrochen hatte. Vermutlich war sie in Zukunft vorsichtiger, aber nicht gehorsamer.

»Ich übermittelte ihr das Bild von Ruatha, um ihr einen Anhaltspunkt für den Sprung zu geben.« Sie sah ihn nicht an.

Ihr Profil hob sich scharf gegen die dunkle Decke ab.

»Ich stellte mir das Ruatha vor, das ich am besten kannte - und schickte sie zufällig genau an jenen Tag zurück, als die Invasion stattfand.«

Jetzt begriff er ihr Entsetzen.

»Und ...« Er bemühte sich, seiner Stimme einen neutralen Klang zu geben.

»Und ich sah mich selbst...« Sie konnte nicht weitersprechen. Nach einer Weile fuhr sie mühsam fort: »Ich hatte Ramoth das Bild von der Feuergrube und den Verteidigungsanlagen gezeichnet.

Wir tauchten genau dort auf.

Die Morgendämmerung zog heraus «

Sie hob nervös das Kinn »und der Rote Stern stand nicht am Himmel.«

Sie warf ihm einen trotzigen Blick zu, als erwartete sie seinen Widerspruch.

»Und ich sah, wie Männer über den Kamm schlichen und Strickleitern zu den Eingängen der inneren Burg hinunterließen. Der Wachtposten beobachtete sie ... tatenlos.«

Sie biss die Zähne zusammen, als sie an diesen Verrat dachte, und ihre Augen glühten hasserfüllt.

»Und dann sah ich, wie ich selbst ins Freie lief und mich in der Hütte des Wachwhers verkroch.«

hre Stimme senkte sich zu einem tonlosen Flüstern.

»Weißt du, weshalb der Wachwher keinen Alarm schlug?«

»Weshalb?«

» Weil ein Drache am Himmel schwebte und ich, Lessa von Ruatha, auf seinem Rücken saß! «

Sie schleuderte den Becher von sich, als könnte sie dadurch die Gewissensbisse vertreiben.

»Der Wachwher glaubte, alles sei in Ordnung, weil ein Drache den Überfall beobachtete.« Wieder versteifte sie sich.

»Ich trage also die Schuld am Untergang meiner Familie. Nicht Fax! Wenn ich mich heute nicht wie eine Närrin benommen hätte, wäre alles anders ausgegangen ...«

Die letzten Worte stieß sie mit einem hysterischen Kreischen hervor. Er schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht und schüttelte sie von neuem. Das Leid in ihren Zügen ließ ihn vergessen, dass er noch Minuten zuvor über ihre Widerspenstigkeit empört gewesen war. Man nahm ihr die Persönlichkeit, wenn man ihren freien Willen unterdrückte. Ihr Unabhängigkeitsgefühl hatte heute einen harten Schock erlebt, und er musste alles tun, um ihr Selbstvertrauen wiederherzustellen.

»Im Gegenteil, Lessa«, sagte er streng. »Fax hätte deine Familie auf alle Falle ermordet. Es war alles sorgfältig vorbereitet. Sogar den Wachtposten hatte er bestochen. Und du vergisst, dass im Morgengrauen der Wachwher sich in seine Hütte zurückzieht, da ihn das Tageslicht blendet. Deine Nähe war nicht der entscheidende Faktor. Du hast durch deine Warnung dem Kind Lessa das Leben gerettet. Begreifst du das nicht?«

»Ich hätte schreien sollen«, murmelte sie, aber allmählich wich die Blässe von ihren Lippen.

»Wenn du dich unbedingt selbst zerfleischen willst ... bitte!«

sagte er absichtlich schroff.

Ramoth warf den Gedanken ein, dass der Flug bereits in der Vergangenheit seine Wirkung gezeigt habe und daher unvermeidlich gewesen sei. Wie sonst wäre Lessa in den Weyr gekommen, um sich der hilflosen Drachenkönigin anzunehmen.

Mnementh wiederholte die Botschaft wörtlich und vergaß auch die egozentrischen Nuancen nicht. F'lar beobachtete Lessa scharf, um zu sehen, welche Wirkung Ramoths Gedankengänge auf sie hatten.

Lessa zuckte lächelnd mit den Schultern.

»Sie muss immer das letzte Wort haben«, meinte sie.

F'lar atmete auf. Sie würde darüber hinwegkommen. Aber er durfte jetzt nicht lockerlassen. Sie musste sich alles von der Seele reden, um die Angelegenheit in der richtigen Perspektive zu sehen.

»Du warst zweimal dort?« Er lehnte sich zurück und betrachtete sie aufmerksam. »In welche Zeit fiel dieser zweite Besuch?«

»Kannst du es dir nicht denken?«

»Nein«, log er.

»Es war jener Morgen, an dem ich erwachte und spürte, dass eine Gefahr aus dem Nordosten heraufzog ... drei Tage, bevor du mit Fax nach Ruatha kamst.«

»Offenbar hast du dich beide Male selbst gewarnt«, stellte er trocken fest.

Sie nickte.

»Hattest du noch mehr dieser Vorahnungen ... oder Warnungen?«

Sie zuckte zusammen, aber als sie antwortete, war sie wieder die Lessa von früher.

»Nein.

Und wenn es so wäre, würde ich dich hinschicken. Ich möchte das nicht noch einmal durchmachen.«

F'lar grinste boshaft.

»Aber es interessiert mich, wie und warum das geschehen konnte«, fuhr sie fort.

»Ich fand bisher noch nirgends eine Erwähnung dieses Phänomens«, gestand er offen.

»Natürlich, wenn dir dieser Sprung geglückt ist...»

Er sah ihre entrüstete Miene und fügte hastig hinzu: »Ich bezweifle es ja nicht! Wenn dir also dieser Sprung geglückt ist, dann müssen ihn auch andere schaffen. Du sagst, dass du an Ruatha dachtest ... aber in Wirklichkeit dachtest du daran, wie Ruatha an einem ganz bestimmten Tag aussah ... im Vorfrühling, früh am Morgen, als der Rote Stern noch nicht am Himmel stand. Man muss also einen Bezugspunkt in der Vergangenheit haben, um dorthin zurückkehren zu können.«

Sie nickte langsam und nachdenklich.

F'lar klatschte sich mit einer energischen Handbewegung auf die Schenkel und erhob sich.

»Ich komme gleich wieder«, sagte er und verließ den Raum, ohne auf ihren warnenden Ausruf zu achten.

Ramoth lag zusammengerollt in ihrer Kammer, als er an ihr vorbeiging. Sie hatte trotz der Anstrengung des Vormittags eine gesunde Farbe.

Mnementh erwartete seinen Reiter am Landevorsprung und flog auf, sobald F'lar sich auf seinen Nacken geschwungen hatte. Der Drache kreiste über dem Sternstein.

Du möchtest Lessas Trick ausprobieren, meinte Mnementh eifrig.

F'lar tätschelte ihn liebevoll. Du hast verstanden, worum es geht?

Soweit man so etwas verstehen kann, erwiderte Mnementh.

Welche Zeit wäre dir am liebsten?

Bis zu diesem Augenblick hatte F'lar noch nicht darüber nachgedacht. Nun aber kehrten seine Gedanken unaufgefordert zu jenem Sommertag zurück, als R'guls Bronzedrache Hath mit der grotesken Nemorth zum ersten Paarungsflug aufgestiegen war und R'gul die Nachfolge seines verstorbenen Vaters F'lon angetreten hatte.

Nur die Kälte des Dazwischen zeigte, dass tatsächlich ein Sprung stattgefunden hatte; sie schwebten immer noch über dem Sternstein. Dann erkannte F'lar, dass die Sonne aus einem anderen Winkel einfiel und die Luft nach Sommer roch. Der Weyr unter ihnen war leer; keine Drachen sonnten sich auf den Felsvorsprüngen, nirgends arbeiteten Frauen. Und dann drangen Geräusche an sein Ohr: Schreie, wildes Gelächter und ein dunkles Summen, das alles andere übertönte.

Aus den Hütten der Jungreiter tauchten zwei Gestalten auf ein halbwüchsiger Bursche und ein Bronzedrache. Der Junge hatte den Arm um den Nacken des Tieres geschlungen.

Niedergeschlagen blieben sie am See stehen und starrten in das klare blaue Wasser. Dann sahen sie hinauf zur Felskammer der Drachenkönigin.

F'lar erkannte den Jungen, und Mitleid überkam ihn. Er wollte seinem jüngeren Ich zurufen, dass alles nur halb so schlimm sei, dass er eines Tages doch noch Weyrführer sein würde.

Abrupt befahl er Mnementh die Umkehr. Die schneidende Kälte des Dazwischen war wie ein Schlag ins Gesicht. Und dann tauchten sie über dem winterlichen Weyr auf.

Langsam flog Mnementh zum Höhleneingang zurück. Er war ebenso in Gedanken versunken wie F'lar.


Ihr Drachenvolk - im hellen Glanz,

steigt auf vereint -, zum Paarungstanz.

Drei Monate harrt - und fünf Wochen heiß, Ein Tag des Ruhmes - und dann ... wer weiß?

Ein Silberfaden - es wallt das Blut.

Und neues Leben - reift in der Glut.

»Ich begreife nicht, weshalb du darauf bestanden hast, dass F'nor all diese lächerlichen Schriften aus dem Ista-Weyr herbeischafft«, rief Lessa erschöpft. »Sie enthalten doch nur banales Zeug -beispielsweise, wie viel Mehl man täglich zum Brotbacken verbrauchte.«

F'lar sah von den Schriftrollen auf, die er studierte. Mit einem Seufzer lehnte er sich zurück.

»Und ich dachte immer, diese Aufzeichnungen seien der menschlichen Weisheit letzter Schluss.«

Unmut überflog Lessas schmales Gesicht.

»Zumindest hat man mir das eingehämmert.«

F'lar lachte vor sich hin.

»Man muss sich diese Weisheiten selbst erarbeiten.«

Lessa zog die Nase kraus.

»Und wie das riecht! Das einzig Vernünftige wäre es, den ganzen Plunder wieder zu vergraben.«

»Danach suche ich auch schon lange... nach den alten Konservierungsmethoden, die es verhindern, dass die Häute hart werden und zu riechen beginnen.«

»Es ist überhaupt idiotisch, Häute für die Schriften zu verwenden. Sicher gäbe es etwas Besseres.«

Unvermittelt sprang sie auf und ging nervös hin und her.

»Und das, wonach du suchst, findest du ohnehin nicht! Es steht nicht in den Aufzeichnungen.«

»Wie meinst du das?«

»Es wird Zeit, dass wir mit dem Versteckspiel aufhören.«

Er sah sie forschend an, und sie fuhr fort: »Wir spüren beide, dass der Rote Stern eine Drohung darstellt und dass die Fäden fallen werden. Aus dieser Überzeugung heraus kehrten wir zu entscheidenden Stationen unseres Lebens zurück und beeinflußten unseren eigenen Werdegang.« Ihre Stimme wurde spöttisch. »Du hast unterbewusst immer die Stellung des Weyrführers angestrebt. Warum? Weil du deinem jüngeren Ich den Gedanken eingegeben hattest, nur du seiest für diese Rolle geeignet.«

Sie machte eine Pause und fuhr dann heftig fort: »Wäre es möglich, dass unser ultrakonservativer R'gul recht hat? Dass seit vierhundert Planetendrehungen keine Fäden mehr gefallen sind, weil es keine Fäden mehr gibt? Und dass die Drachen immer seltener werden, weil man ihren Schutz nicht länger benötigt?

Dass wir tatsächlich als Schmarotzer auf Pern leben?«

F'lar wusste nicht, wie lange er in ihr Gesicht gestarrt hatte.

Sorgfältig legte er sich die Antworten auf ihre drängenden Fragen zurecht.

»Alles ist möglich, Weyrherrin«, hörte er sich ruhig sagen.

»Einschließlich der unwahrscheinlichen Tatsache, dass ein elfjähriges verängstigtes Kind dem Mörder ihrer Familie Rache schwört und diese Rache auch durchfuhrt.«

Unwillkürlich trat sie einen Schritt näher. Sie hörte ihm angespannt zu.

»Aber ich kann nicht glauben, dass sich unser Leben in der Drachenaufzucht und im Austragen von Kampfspielen beschränkt. Das ist mir zu wenig. Und ich habe andere dazu gebracht, über Eigennutz und Bequemlichkeit hinauszuwachsen. Ich habe ihnen ein Ziel gegeben.

Ich suche keine Rückenstärkung in diesen Schriften, ich suche echte Tatsachen.

Weyrherrin, ich kann beweisen, dass früher Fäden gefallen sind. Ich kann beweisen, dass es Intervalle gab, in denen die Weyr verwahrlosten. Ich kann beweisen, dass der Rote Stern nahe genug an Pern vorbeizieht, um Fäden abzuwerfen, wenn er am Tag der Wintersonnenwende im Felsöhr aufleuchtet.

Und da ich diese Dinge beweisen kann, glaube ich, dass Pern sich in Gefahr befindet!

Ich glaube das ... nicht der halbwüchsige Bengel, der ich vor fünfzehn Planetendrehungen war.

F'lar, der Bronzereiter und Weyrführer, glaubt es!«

Er sah immer noch Zweifel in ihren Augen, aber er spürte, dass seine Argumente allmählich zu wirken begannen. »Du hast dich schon einmal von mir überzeugen lassen«, fuhr er etwas ruhiger fort, »als ich dir sagte, du könntest Weyrherrin werden ...«

Sie lächelte schwach.

»Das war etwas anderes. Ich hatte nie weiter als bis zum Tode von Fax geplant. Natürlich, es ist wunderbar, mit Ramoth zusammenzuleben, aber...«

Sie zog die Stirn kraus »... es genügt mir irgendwie nicht mehr. Deshalb sehnte ich mich so danach, fliegen zu lernen und ...«

»... deshalb begann auch diese Diskussion«, fuhr F'lar mit einem grimmigen Lächeln fort.

Er beugte sich über den Tisch.

»Glaube mit mir, Lessa, bis du einen Gegenbeweis hast. Ich respektiere deine Zweifel. Oft genug führen Zweifel zu einem um so tieferen Glauben. Warte bis zum Frühling ab! Wenn dann immer noch keine Fäden gefallen sind ...«

Er zuckte mit den Schultern.

Sie sah ihn lange an und nickte dann kurz.

Er versuchte, seine Erleichterung über ihre Entscheidung zu verbergen.

»Und nun zurück zu dem banalen Zeug, wie du es nennst.

Diese Schriften verraten mir Zeitpunkt, Ort und Dauer des Fadeneinfalls.« Er grinste sie an. »Und diese Dinge brauche ich, um meinen Plan aufzustellen.«

»Plan?«

»Ja. Ich kann natürlich nicht genau den Tag und die Sekunde voraussagen. Das ist von vielen Faktoren abhängig.

Wenn zum Beispiel das Wetter weiterhin so kalt bleibt, erstarren die Fäden einfach und gehen als harmloser Staub nieder. Aber wenn sich die Luft erwärmt, bleiben sie am Leben und sind ... grauenvoll.«

Er ballte die Fäuste und hielt eine schräg über die andere.

»Der Rote Stern ist meine rechte Hand. Die Linke stellt Pern dar. Der Rote Stern dreht sich sehr schnell, und zwar in Entgegengesetzter Richtung von Pern. Seine Bahn unterliegt zudem unregelmäßigen Schwankungen.«

»Woher weißt du das?«

»An den Wänden der Brutstätte von Fort befindet sich ein Schaubild. Fort besitzt den ältesten Weyr überhaupt.«

Lessa lächelte schwach.

»Ich weiß.«

»Wenn der Rote Stern also nahe genug kommt, lösen sich die Fäden und wirbeln auf die Erde zu. Sie fallen etwa sechs Stunden lang und in einem Abstand von vierzehn Stunden.«

»Sechs Stunden lang?«

Er nickte ernst.

»Wenn uns der Rote Stern am nächsten ist. Im Moment beginnt er seine Annäherungsphase.«

Sie runzelte die Stirn.

Er wühlte in den Aufzeichnungen, und etwas klirrte zu Boden.

Lessa bückte sich neugierig und hob das dünne Plättchen auf.

»Was ist das?«

Sie strich mit dem Finger leicht über die unregelmäßige Schrift.

»Ich weiß nicht. F'nor brachte es vom Fort-Weyr mit. Es war auf eine der Truhen genagelt, in denen die Aufzeichnungen lagen. Er bewahrte es auf, da er es für wichtig hielt. Angeblich befindet sich das gleiche Plättchen unter dem Schaubild des Roten Sterns.«

»Der Anfang ist leicht verständlich, „Der Vater von Mutters Vater, der für immer ins Dazwischen aufbrach, sagte, dies sei der Schlüssel zum Geheimnis und er habe es gelöst, als er einmal gedankenlos vor sich hinkritzelte. Er sagte, er habe gesagt: Arrhenius? Eureka! Mycorrhiza ...“

»Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«

Lessa schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht einmal unsere Muttersprache ... reines Gefasel!«

»Ich habe mich lange damit beschäftigt, Lessa«, sagte F'lar und zog das Plättchen zu sich heran.

»Ins Dazwischen aufbrechen« dürfte eine Umschreibung für den Tod sein. Es scheint sich also um eine Todesvision zu handeln, die von einem Urenkel pflichtgetreu festgehalten wurde. Vielleicht ein Kind, das noch nicht gut schreiben konnte ... das würde die drei sonderbaren Worte erklären.

Lies weiter!«

»Flammenspeiende Feuereidechsen, um die Sporen zu verbrennen.

Q.E.D.!?«

»Auch das hilft uns nicht weiter.

Offensichtlich prahlte er damit, dass er Drachenreiter ist. Er kennt nicht einmal das richtige Wort für Fäden.«

F'lar zuckte mit den Schultern.

Lessa rieb mit dem feuchten Finger über das Plättchen, um zu sehen, ob es sich um eine Tintenschrift handelte. Das Metall ließ sich vielleicht als Spiegel verwenden, wenn sie die Schriftzeichen abwischte.

Aber die Botschaft blieb.

»Immerhin, er kannte eine Methode, seine Vision für ewige Zeiten zu überliePern. Das tun nicht einmal die besten Häute«, murmelte sie.

»Für ewige Zeiten überliefertes Geschwätz«, sagte F'lar und wandte sich wieder an seine Aufzeichnungen.

»Eine unvollständige Ballade?« fragte Lessa noch, aber dann schob auch sie das Plättchen zur Seite.

»Die Schrift ist nicht besonders schön.«

F'lar zog eine Karte hervor. Die Kontinentalmasse von Pern war in horizontale Streifen gegliedert, die einander überschnitten.

»Das stellt die Einfallzonen dar«, sagte er, »und das hier...«

Er nahm eine zweite Karte mit vertikalen Streifen in die Hand »...die Zeitzonen. Du siehst also, dass bei einer Pause von vierzehn Stunden bei jedem Einfall nur bestimmte Teile von Pern betroffen werden. Ein Grund für die Verteilung der Weyr.«

»Sechs Weyr«, murmelte sie, »und an die dreitausend Drachen.«

»Ich kenne die Zahlen«, erwiderte er ausdruckslos. »Sie bedeuten nur, dass zur Zeit des Angriffs kein Weyr überbeansprucht war. Niemand sagt, dass dreitausend Drachen nötig waren. Ich glaube, wir halten uns über Wasser, bis Ramoths Junge herangereift sind.«

Sie warf ihm einen zynischen Blick zu.

»Du setzt großes Vertrauen in die Fähigkeiten einer einzigen Königin.«

Er winkte ungeduldig ab.

»Ich setze mehr Vertrauen in diese Aufzeichnungen, auch wenn du keine hohe Meinung von ihnen hast. Sie geben Auskunft über die Wiederholung bestimmter Ereignisse.«

»Und ob!«

»Ich meine damit nicht, wie viel Mehl man täglich zum Brotbacken verbraucht.«

Seine Stimme war lauter geworden.



»Aber diese Schriften sagen mir, wann ein Geschwader auf Patrouille geschickt wurde, wie lange es ausblieb und wie viele Reiter verletzt wurden. Sie verraten mir, wie viele Eier die Königinnen vor und nach dem Auftauchen des Roten Sterns legten.«

Er hieb mit der Faust auf die staubigen Häute.

»Bei allem, was ich hier gelesen habe ... Nemorth hätte während der letzten zehn Planetendrehungen zweimal im Jahr brüten sollen. Das waren, knapp gerechnet, zweihundertvierzig Drachen mehr ... Nein, unterbrich mich nicht! Aber wir hatten Jora als Weyrherrin und R'gul als Weyrführer, und wir waren während des vierhundert Jahre langen Intervalls auf Pern in Ungnade gefallen. Nun, Ramoth wird sich nicht mit einem Dutzend Eiern begnügen, und sie wird ein Königinnenei legen, verlass dich darauf! Sie wird mehrmals im Jahr zum Paarungsflug aufsteigen und uns starke junge Drachen schenken.

Wenn dann die Fäden fallen, sind wir vorbereitet.«

Sie starrte ihn mit großen, ungläubigen Augen an.

»Das hängt alles von Ramoth ab?«

»Von Ramoth und ihren Nachkommen. In den

Aufzeichnungen von Faranth heißt es, dass die Gelege oft mehr als sechzig Eier enthielten und dass zuweilen mehrere Königinnen gleichzeitig ausschlüpften.«

Lessa schüttelte nur verwundert den Kopf.

» Ein Silberfaden es wallt das Blut. Und neues Leben reift in der Glu t«, zitierte F'lar.

»Es kann noch Wochen dauern, bis Ramoth ihre Eier legt, und dann müssen sie ausgebrütet werden ...«

»Hast du in letzter Zeit einmal die Brutstätte besichtigt? Der Boden ist so heiß, dass man Stiefel anziehen muss.«

Sie winkte ungeduldig ab. »Und die Gegenüberstellung und die Ausbildung der Jungreiter ...«

»Weshalb, glaubst du, habe ich auf älteren Jungen bestanden? Die Drachen reifen sehr viel schneller heran als ihre Reiter.«

»Dann ist das System falsch.«

Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.

»Die Überlieferung soll ein gewisser Leitfaden für die Nachwelt sein, aber man kann darin auch erstarren. Ja, die Tradition verlangt, dass die Jungreiter aus dem Weyr stammen.

Weil es zweckmäßig ist. Und weil diese Kinder von beiden Elternteilen her Weyrblut besitzen. Aber das Zweckmäßige ist nicht immer das Beste. Du beispielsweise ...«

»Oh, die Ruatha besitzen Weyrblut«, warf sie stolz ein.

»Zugegeben. Dann nimm den jungen Naton als Beispiel; er stammt aus den Handwerkerhütten Nabols, und doch sagt F'nor, dass er sich mit Canth verständigen kann.«

»Das ist doch nichts Besonderes«, rief sie.

»Wie meinst du das?« fragte F'lar verwundert.

Sie wurden durch ein schrilles Pfeifen unterbrochen. F'lar horchte einen Moment lang und zuckte dann grinsend mit den Schultern.

»Einer der Grünen wandelt wieder auf Liebespfaden.«

»Und das ist wieder ein Punkt, zu dem sich deine allwissenden Aufzeichnungen nicht äußern. Warum vermehren sich nur die goldenen Drachen?«

»Erstens wirkt sich der Feuerstein nachteilig auf die Fortpflanzung aus. Zweitens brauchen wir starke Drachen, und die Grünen würden uns kleine, schwache Tiere liefern.« Wieder grinste er. »Und drittens hätten wir bei den amourösen Ambitionen der Grünen bald eine Drachenschwemme.«

Ein zweiter Drache stimmte in das durchdringende Pfeifen ein, und dann erfüllte ein tiefes, dumpfes Summen den Weyr.

F'lars Augen leuchteten triumphierend. Er sprang auf und rannte in den Korridor. Lessa raffte die Röcke zusammen und folgte ihm.

»Was ist denn los?« rief sie. »Was hat das zu bedeuten?«

Das Summen drang von allen Seiten auf sie ein. Es hallte von den Felswänden wider und kroch in sämtliche Nischen.

Lessa stellte im Laufen fest, dass Ramoth nicht in ihrer Höhle lag. F'lar rannte zum Landevorsprung. Das harte Dröhnen seiner Stiefel übertönte den ohrenbetäubenden Lärm.

Verängstigt folgte Lessa F'lar ins Freie.

Als sie den Vorsprung erreichte, sah sie Drachen aller Farben und Größen auf den Eingang der Brutstätte zusteuern.

Drachenreiter, Frauen und Kinder strömten durch den Felskessel. Auch sie näherten sich der Brutstätte.

Lessa schäumte. F'lar war verschwunden. Sie musste die steile Treppe nach unten laufen und dann noch einen Bogen machen, da die Stufen zur Futterstelle führten und die Brutstätte am anderen Ende des Kessels lag. Ausgerechnet sie, die Weyrherrin, würde als letzte ankommen!

Warum hatte Ramoth sich heimlich entfernt? Sie hätte zumindest ihre Betreuerin verständigen können!

Ein Drache weiß, was er tut, erklärte Ramoth ruhig.

Während F'lar große Reden über frühere

Drachenköniginnen und ihre Wundergelege führte, hatte Ramoth ihnen ein Schnippchen geschlagen.

Lessas Laune besserte sich nicht gerade, als sie bemerkte, dass sie nur ihre Sandalen trug. Der Boden der Brutstätte war tatsächlich so heiß, wie F'lar ihn geschildert hatte. Ihre Sohlen brannten. Die Menge drängte sich in einem Halbkreis um die Höhle.

»Lasst mich durch!« verlangte sie energisch und trommelte mit den Fäusten auf die breiten Rücken von zwei Drachenreitern. Zögernd bildete sich eine schmale Gasse, und sie zwängte sich durch, ohne nach links oder rechts zu schauen.

Sie war wütend, verwirrt, gekränkt, und sie wusste, dass sie lächerlich aussah, weil sie wegen des heißen Sandes nur kurze, trippelnde Schritte machen konnte.

Dann starrte sie die Drachenkönigin an und vergaß die Brandblasen an den Füßen.

Ramoth hatte den biegsamen Körper um die Eier gerollt und sah sehr selbstzufrieden drein. Offenbar wurde die Mulde auch ihr zu heiß, denn sie verlagerte ihr Gewicht und spreizte einen Flügel schützend über das Gelege.

Niemand nimmt sie dir, du dummes Ding, meinte Lessa. Ich will sie doch nur zählen.

Gehorsam zog Ramoth die Flügel ein, aber sie ließ kein Auge von der glänzenden, gesprenkelten Pracht. Immer wieder schnellte ihre Zunge nervös vor.

Ein gewaltiger Seufzer ging durch die Menge. Denn zwischen den gesprenkelten Eiern leuchtete Gold.

Ein Königinnenei!

»Ein Königinnenei!« Der Ruf pflanzte sich fort.

Stimmengewirr klang auf. Die Menge begann zu jubeln.

Jemand packte Lessa und wirbelte sie herum. Ein Kuss landete auf ihrer Wange. Dann umarmte sie Manora. Ein wilder Freudentaumel hatte die Bewohner des Weyrs erfasst. Lessa wurde von der Begeisterung angesteckt.

Dann löste sie sich von den anderen und lief auf Ramoth zu.

Sie beugte sich über die Eier. Die Schalen wirkten weich und schienen zu pulsieren. Lessa hätte schwören können, dass die Eier, die sie bei ihrer Gegenüberstellung gesehen hatte, hart gewesen waren Sie wollte sich vergewissern, wagte es aber nicht, die Schalen zu berühren.

Ich erlaube es dir, erklärte Ramoth herablassend. Sie stupste Lessas Schulter leicht mit der Zunge an.

Das Ei war tatsächlich weich, und Lessa zog rasch die Hand zurück, um es nicht zu beschädigen.

Die Hitze wird es noch härten, sagte Ramoth.

»Ramoth, ich bin so stolz auf dich!«

Lessa seufzte und sah bewundernd in die großen Augen, die in allen Regenbogen farben schillerten. »Eine bessere Königin als dich gibt es nicht.

Die leeren Weyr werden sich wieder mit Drachen füllen, davon bin ich überzeugt. Und das alles haben wir dir zu verdanken.«

Ramoth neigte huldvoll den Kopf, doch dann begann sie plötzlich zu zischen und mit den Flügeln zu schlagen. Sie bäumte sich auf und legte das nächste Ei.

Das Weyrvolk zog sich allmählich aus der heißen Höhle zurück, jetzt, da es das goldene Ei gebührend bewundert hatte.

Es hatte keinen Sinn, noch länger zu warten. Eine Drachenkönigin benötigte mehrere Tage, bis sie alle Eier gelegt hatte. Acht waren es bereits jetzt, und das stimmte die Menge optimistisch.

»Ein Königinnenei, wie ich es vorhergesagt hatte!« flüsterte F'lar Lessa ins Ohr. »Und ich möchte wetten, dass zehn Bronzedrachen dabei sind.«

Sie sah zu ihm auf, und zum ersten Mal war sie ganz seiner Meinung. Mnementh kauerte auf einem Felsvorsprung und beobachtete voller Stolz seine Gefährtin. Impulsiv legte Lessa F'lar die Hand auf den Arm.

»F'lar, ich glaube dir!«

»Jetzt erst?« spöttelte er, aber er lachte dazu, und in seinen Augen stand Zärtlichkeit.

Sammle Erfahrung immerdar,

etwas Neues in jedem Jahr.

Höre nicht nur auf die Alten,

weises Maß lasse walten.

Während im Laufe der nächsten Monate F'lars Befehle bei den Weyrbewohnern Kopfschütteln und endlose Diskussionen auslösten, waren sie für Lessa nur die logische Folgerung auf die vorhergegangenen Ereignisse.

Ramoth hatte einundvierzig Eier gelegt.

F'lar missachtete die Tradition in allen Richtungen und trat dabei nicht nur R'gul auf die konservativen Zehen.

Lessa unterstützte ihn voll und ganz, nicht zuletzt deshalb, weil sie unter R'guls Führung alles hassen gelernt hatte, was mit Tradition zusammenhing. Vielleicht hätte sie ihr Versprechen, bis zum Frühjahr abzuwarten, nicht gehalten, aber sie sah, dass seine Vorhersagen eine nach der anderen eintrafen. Und es waren Vorhersagen, die nicht auf Ahnungen, sondern auf den Schriften des Archivs beruhten.

Sobald die gesprenkelten Schalen hart wurden und Ramoth das Königinnenei zur Seite rollte, um es besonders aufmerksam zu hüten, ließ F'lar die ausgewählten jungen Leute zur Brutstätte kommen. Die Tradition verlangte es, dass die Kandidaten die Eier zum ersten Mal am Tage der Gegenüberstellung sahen. F'lar brach noch mit anderen Regeln: Nur wenige Burschen stammten aus dem Weyr, und ein Großteil von ihnen war zwischen fünfzehn und zwanzig Jahre alt. Die Kandidaten sollten sich an die Eier gewöhnen, sie berühren und streicheln und sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass hilflose junge Tiere aus diesen Eiern schlüpfen würden. F'lar glaubte, dass sich durch diese Vorbereitung die Zahl der Zwischenfälle verringern ließ.

F'lar bat Lessa, auch Ramoth zu überreden, dass sie Kylara in die Nähe des kostbaren goldenen Eies ließ. Kylara gab ihren Sohn nur zu gern einer Amme und verbrachte Stunden an der Brutstätte, wo Lessa sie sorgfältig in ihre Pflichten einführte.

Obwohl Kylara eine lockere Bindung mit T'bor eingegangen war, zeigte sie doch offen, dass sie F'lars Gesellschaft vorzog.

Lessa gab sich daher große Mühe, F'lars Plan zu fördern, denn wenn er gelang, sollte Kylara mit der jungen Drachenkönigin in den Fort-Weyr ziehen.

F'lar verfolgte noch einen anderen Zweck damit, dass er junge Männer von den Burgen und Gehöften in den Weyr holte. Kurz vor der Gegenüberstellung schickte Lytol, der Verwalter von Ruatha, eine neue Botschaft an ihn.

»Dem Mann macht es ausgesprochen Spaß, uns zu deprimieren«, stellte Lessa fest, als F'lar ihr den Umschlag reichte.

F'nor nickte. Er hatte die Botschaft in Empfang genommen.

»Lytol besitzt einen düsteren Charakter. Mir tut nur der Junge leid, der an diesen Pessimisten gefesselt ist.«

Lessa sah den braunen Reiter mit gerunzelter Stirn an. Sie spürte immer noch einen kleinen Stich, wenn jemand Lady Gemmas Sohn, den Besitzer von Ruatha, erwähnte. Und doch

... da sie unabsichtlich den Tod seiner Mutter mitverschuldet hatte und nicht gleichzeitig Weyrherrin und Baronin sein konnte, war es nur gerecht, dass Gemmas Jaxom auf Ruatha herrschte.

»Ich jedoch bin ihm dankbar für die Warnungen«, sagte F'lar. »Ich ahnte bereits, dass Meron wieder Schwierigkeiten machen würde.«

»Er kann einem nicht in die Augen sehen - wie Fax , stellte Lessa fest.

»Ein gefährlicher Mann«, gab F'lar zur Antwort. »Er verbreitet jetzt das Gerücht, dass wir junge Männer vom Blut aus den Burgen holen, um die Adelsfamilien zu schwächen.

Das kann ich nicht zulassen.«

»Außerdem sind es weit mehr Handwerkersöhne als Adelige«, sagte F'nor verächtlich.

»Er fragt immer wieder, weshalb die Fäden noch nicht gefallen sind«, meinte Lessa finster.

F'lar zuckte mit den Schultern. »Sie werden noch zur rechten Zeit fallen. Seid dankbar, dass die Kälte angehalten hat.

Ich mache mir erst Sorgen, wenn es taut und die Fäden dann immer noch ausbleiben.« Er sah Lessa scharf an, um sie an ihr Versprechen zu erinnern.

F'nor räusperte sich hastig und wandte den Blick ab.

»Aber gegen die andere Beschuldigung kann ich etwas tun«, erklärte F'lar entschieden.

Und als feststand, dass die Drachenjungen jeden Moment ausschlüpfen würden, brach er mit einer weiteren Tradition. Er schickte Reiter aus, um die Väter der jungen Kandidaten von den Gehöften und Burgen zum Weyr zu holen.

Die große Brutstätte war zum Bersten gefüllt, als sich Besucher und Weyrbewohner auf den Galerien über dem heißen Sandboden zusammendrängten. Diesmal, so stellte Lessa fest, verrieten die jugendlichen Kandidaten keine Furcht - nur angespannte Erwartung. Es gab keine Zwischenfälle bei der Gegenüberstellung. Die Jungen traten sofort vor, wenn sie das lockende Summen der kleinen Drachen hörten, oder wichen zur Seite, falls ihnen die Tiere in ihrer Tollpatschigkeit zu nahe kamen. Rasch hatten die Partner zueinander gefunden -

und viel zu rasch, wie es Lessa erschien. Drachen und Jungreiter entfernten sich zu ihren Quartieren, stolpernd und unsicher die einen, mit stolz erhobenen Köpfen die anderen.

Die junge Königin durchbrach die Schale und trat ohne Zögern auf Kylara zu, die selbstbewusst auf dem heißen Sand wartete. Die Drachen auf den Felsvorsprüngen summten zustimmend.

»Das war viel zu schnell vorbei«, sagte Lessa an diesem Abend enttäuscht zu F'lar.

Er lachte nachsichtig. Jetzt, da er wieder ein Stück vorwärtsgekommen war, gönnte er sich eine kleine Entspannung. Die Besucher hatten zutiefst beeindruckt den Weyr verlassen.

»Das kam dir nur so vor, weil du diesmal zusehen musstest«, meinte er und schob das Haar aus der Stirn. Er wollte ihr Profil genauer beobachten. Wieder lachte er. »Dir wird aufgefallen sein, dass Naton ...«

»N'ton«, fiel sie ihm ins Wort.

»Also gut - dass N'ton von einem Bronzedrachen ausgewählt wurde.«

»Wie du es vorhergesagt hattest«, entgegnete sie ein .wenig ungehalten.

»Und Kylara ist die Betreuerin von Pridith.«

Lessa sagte nichts dazu. Sie überhörte auch sein Lachen.

»Ich möchte doch wissen, welcher Bronzedrache sie erobern wird«, murmelte er.

»Hoffentlich T'bors Orth«, fuhr Lessa auf. Darauf reagierte er wie jeder kluge Mann.

Er schwieg.

Wütet Kälte Spät im Jahr.

Wird zu Staub Die Gefahr.

Lessa schrak aus dem Schlaf. Ihre Schläfen pochten, ihr Gaumen war trocken, und auf der Brust spürte sie einen dumpfen Druck. Sie erinnerte sich vage an einen furchtbaren Alptraum. Als sie sich die Haare aus dem Gesicht streichen wollte, merkte sie, dass ihr Schweißperlen auf der Stirn standen.

»F'lar?« rief sie unsicher. Offenbar war er früh aufgestanden. »F'lar?«

Er kommt, informierte Mnementh sie. Der Bronzedrache steuerte eben den Landevorsprung an. Lessa sandte ihre Gedanken zu Ramoth aus. Auch die Drachenkönigin wurde von quälenden Träumen heimgesucht.

Sie wachte kurz auf und schlief dann wieder ein.

Beunruhigt stand Lessa auf und zog sich an - und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Weyr vergaß sie das Bad.

Sie bestellte Frühstück und flocht mit geschickten Fingern das Haar.

Eben als F'lar eintrat, kam das Frühstückstablett an. Der Bronzereiter beobachtete kopfschüttelnd Ramoth.

»Was ist denn in sie gefahren?«

»Sie scheint die gleichen schrecklichen Träume wie ich zu haben. Ich wache schweißgebadet auf.«

»Als ich fortging, um die Patrouillen für den heutigen Tag einzuteilen, hast du noch fest geschlafen. Die Jungdrachen wachsen so rasch heran, dass sie bereits kurze Strecken fliegen können. Sie fressen und schlafen und ...«

»... werden dabei groß und stark«, fuhr Lessa fort. Sie nippte nachdenklich an dem dampfendheißen Klah. »Du kümmerst dich ganz besonders um ihre Ausbildung, nicht wahr?«

»Du meinst, um einen versehentlichen Sprung in eine andere Zeit zu vermeiden?« Er nickte. »Ich kann es nicht dulden, dass verantwortungslose Reiter sich aus reiner Langeweile ins Dazwischen begeben.« Er warf ihr einen strengen Blick zu.

Sie lachte boshaft. »Wäre ich auf R'guls Ausbildung angewiesen gewesen, so hätte ich den Zeitsprung niemals entdeckt.«

»Damit hast du allerdings recht«, sagte er ernst.

»Weißt du, F'lar, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die erste und einzige bin, die diesen Trick kennt.«

F'lar verzog das Gesicht, als er sich die Zunge an dem heißen Klah verbrannte. »Aber wie soll ich das unauffällig in Erfahrung bringen? Natürlich wäre es dumm anzunehmen, dass wir als erste auf die Idee kamen. Es muss sich um eine angeborene Fähigkeit der Drachen handeln, sonst hättest du es niemals geschafft.«

Sie wollte auffahren, doch dann zuckte sie nur mit den Schultern.

»Ich kann den Gedanken nicht abschütteln, dass dieser Zeitsprung von entscheidender Bedeutung für uns sein wird.«

»Das, meine Liebe, ist eine echte Vorahnung.« Er wollte noch mehr sagen, aber in diesem Moment kündigte Mnementh an, dass F'nor den Weyr betreten habe.

»Was ist denn mit dir los?« fragte F'lar seinen Halbbruder, denn F'nor wurde von einem heftigen Husten geschüttelt.

»Staub«, keuchte er und klopfte sich die Kleider mit den Reithandschuhen ab. »Unheimlich viel Staub, aber keine Fäden.« Auf seinen Stiefeln war ein feiner, dunkler Belag zu sehen.

F'lar verkrampfte sich.

»Woher kommst du fragte er scharf.

F'nor betrachtete ihn erstaunt. »Von der Wetterpatrouille in Tillek. Der gesamte Norden wird von Staubstürmen heimgesucht. Aber was ich sagen wollte ...«

Er unterbrach sich, als er F'lars starre Haltung bemerkte.

»Was ist denn mit diesem Staub?« fragte er verwirrt.

F'lar wirbelte herum und rannte mit langen Schritten zum Archiv. Lessa folgte ihm dicht auf, den Fersen. Kopfschüttelnd schloss sich F'nor an.

»Tillek sagtest du?«

F'lar wischte alle Schriften von der Tischplatte und breitete vier Karten darauf aus.

»Wann hast du diese Stürme zum ersten Mal bemerkt? Und weshalb erwähntest du sie mit keiner Silbe?«

»Staubstürme? Soviel ich mich erinnere, sollte ich nach warmen Luftmassen Ausschau halten.«

»Wann hast du sie zum ersten Mal bemerkt?« Jedes Wort klang wie ein Peitschenhieb.

»Vor einer knappen Woche.«

»Drück dich genauer aus!«

F'nor schluckte. »Vor sechs Tagen wurde mir der erste Sturm aus Tillek gemeldet. Dann kamen ähnliche Berichte aus Bitra, dem oberen Teil von Telgar, Crom und dem Hochland.«

Er warf Lessa einen zaghaften Bück zu, aber auch sie beugte sich angespannt über die vier sonderbaren Karten. F'nor versuchte zu begreifen, was die sich überschneidenden horizontalen und vertikalen Streifen bedeuteten, aber es gelang ihm nicht.

F'lar machte sich hastig Notizen und schob die Karten zur Seite. »Man soll sich nie zu sehr in eine Sache vertiefen«, sagte er gereizt und schleuderte den Stift zu Boden. »Dabei verliert man den Überblick.«

»Aber du hast nur von warmen Luftmassen gesprochen«, murmelte F'nor. Er spürte, dass er den Weyrführer irgendwie enttäuscht hatte.

»Es ist nicht deine Schuld, F'nor. Ich hätte fragen sollen. Ich freute mich ja über die lang anhaltende Kälte.« Er legte F'nor die Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen. «Die Fäden sind bereits gefallen«, sagte er ernst. »Aber die Luft war so kalt, dass sie gefroren und zu winzigen Teilchen zerbrachen, die der Wind forttrug als schwarzen Staub.«

»Wütet Kälte spät im Jahr, wird zu Staub die Gefahr«, zitierte Lessa. »So lautet der Chor in »Moretas Ritt«.

»Ich möchte nicht gerade jetzt an Moreta erinnert werden«, meinte F'lar unwirsch und beugte sich über seine Karten. »Sie konnte sich mit jedem einzelnen Drachen in Verbindung setzen.«

»Aber das kann ich doch auch!« rief Lessa empört.

Langsam, als traue er seinen Ohren nicht, wandte sich F'lar Lessa zu.

»Was hast du eben gesagt?«

»Dass ich mich mit jedem Drachen im Weyr in Verbindung setzen kann!«

F'lar setzte sich mit mechanischen Bewegungen. Er ließ kein Auge von ihr.

»Seit wann besitzt du diese Fähigkeit?« stieß er hervor.

Etwas in seinem Tonfall ließ Lessa unsicher werden. Sie stammelte wie ein Jungreiter, der bei einem Unfug ertappt worden war: »Ich... ich konnte das von Anfang an. Schon beim Wachwher auf Ruatha.« Sie deutete mit einer fahrigen Geste in die Richtung der Burg. »Auch mit Mnementh habe ich mich auf Ruatha unterhalten. Und - als ich hierher kam, fiel es mir nicht schwer ...« Sie stockte, als sie F'lars harten, anklagenden Blick bemerkte. Anklagend und, was noch schlimmer war, verächtlich.

»Ich dachte, du wolltest mir helfen.«

»Es tut mir wirklich leid, F'lar. Mir kam gar nicht die Idee, dass es irgendeinen Nutzen haben könnte ...«

F'lar sprang mit blitzenden Augen auf.

»Ich zerbreche mir monatelang den Kopf, wie ich während eines Angriffs die Geschwader führen und gleichzeitig mit dem Weyr in Kontakt bleiben kann, wie ich Verstärkungen und Nachschub von Feuersteinen anfordern kann. Und du - du siehst mir zu und verbirgst heimtückisch ...«

»Ich bin nicht heimtückisch«, schrie sie ihn an.

»Ich sagte, dass es mir leid tut.

Und das ist die Wahrheit. Aber du hast die scheußliche, selbstgefällige Angewohnheit, alles für dich zu behalten.

Woher sollte ich wissen, dass du nicht die gleiche Fähigkeit besitzt? Du bist F'lar, der allmächtige, allwissende Weyrführer. Aber du bist ebenso schlimm wie R'gul, weil du mir nur die Hälfte von den Dingen erklärst, die ich wissen müsste ...«

F'lar packte sie an den Schultern und schüttelte sie, bis sie zu schreien aufhörte.

»Genug. Wir können unsere Zeit nicht damit verschwenden, dass wir wie Kinder streiten.« Mit einemmal wurden seine Augen groß. Er starrte an Lessa vorbei. »Zeit verschwenden - aber das ist ja gar nicht nötig!«

»Du denkst an einen Zeitsprung?« Lessa keuchte.

»Ja - an einen Zeitsprung.«

»Die Fäden fielen im Morgengrauen in Nerat«, sagte F'lar mit glänzenden Augen. Seine Haltung drückte Entschlossenheit aus.

F'nor spürte einen kalten Klumpen im Magen. Nerat? Im Morgengrauen? Aber das war gleichbedeutend mit der Vernichtung der Regenwälder! Sein Blut jagte schneller durch den Körper.

»Also gehen wir ins Dazwischen und tauchen am frühen Morgen in Nerat auf.

F'nor, die Drachen können nicht nur den Ort, sondern auch die Zeit überwinden, wenn sie das Dazwischen durchqueren.«

»Die Zeit?« wiederholte F'nor entsetzt. »Das könnte gefährlich sein.«

»Ja, aber heute wird es uns helfen, Nerat zu retten.

Lessa... « F'Iar klopfte ihr stolz und liebevoll auf die Schulter »du trommelst alle Drachen zusammen, ob alt oder jung, wenn sie nur fliegen können. Befiehl ihnen, sich mit Feuersteinsäcken zu beladen. Ich weiß nicht, ob du die Verbindung zu ihnen auch über eine Zeitdistanz aufrechterhalten kannst...«

»Mein Traum heute morgen ,..«

»Vielleicht. Aber nun scheuche den Weyr auf.« Er wirbelte zu F'nor herum. »Wenn die Fäden im Morgengrauen in Nerat niedergegangen sind, fallen sie jetzt in Keroon und Ista. Du fliegst mit zwei Geschwadern nach Keroon. Verständige die Barone. Sie sollen Feuer in den Gruben machen. Nimm ein paar Jungreiter mit und schicke sie nach Igen und Ista. Diese Burgen sind nicht unmittelbar in Gefahr. Ich komme so bald wie möglich mit Verstärkung. Und... Canth soll auf Lessas Befehle hören.«

Der braune Reiter ging, immer noch ein wenig verwirrt.

»Mnementh sagt, dass R'gul heute Wachoffizier ist und wissen möchte ...«, begann Lessa.

»Komm, Mädchen!« F'lars Augen leuchteten vor Erregung.

Er raffte die Karten zusammen und schob Lessa die Treppe hinauf.

R'gul und T'sum hatten den Beratungsraum bereits betreten.

R'gul beschwerte sich über die ungewöhnliche Zusammenkunft.

»Hath befahl mir, mich hier zu melden«, erklärte er empört.

»Wenn schon der eigene Drache ...«

»R'gul, T'sum, trommelt eure Geschwader zusammen! Gebt ihnen so viel Feuersteine, wie sie tragen können, und versammelt euch über dem Sternstein. Ich komme in ein paar Minuten nach. Wir gehen nach Nerat, zurück zur Zeit des Morgengrauens.«

»Nerat? Ich bin Wachoffizier und keiner Patrouille zugeteilt.« »Es handelt sich um keine Patrouille«, schnitt ihm F'lar das Wort ab.

»Aber, Sir«, unterbrach ihn T'sum mit großen Augen.



»Wie sollen wir zurück zur Zeit des Morgengrauens gehen?«

»Wir haben entdeckt, dass die Drachen die Fähigkeit besitzen, auch die Zeit zu überwinden, wenn sie das Dazwischen durchqueren. Im Morgengrauen sind in Nerat die ersten Fäden gefallen. Wir wollen sie vom Himmel sengen.«

F'lar achtete nicht auf R'guls gestammelte Fragen. T'sum belud sich bereits mit Feuersteinsäcken und lief zum Landevorsprung, wo sein Munth wartete.

»Gehen Sie endlich, Sie alter Narr«, rief Lessa R'gul zornig zu. »Die Fäden sind hier! Sie behielten nicht recht. Nun benehmen Sie sich wie ein echter Drachenreiter! Oder verschwinden Sie für immer im Dazwischen!

Ramoth, die von dem Aufruf geweckt worden war, stupste R'gul mit ihrem massiven Kopf an, und der ehemalige Weyrführer schreckte aus seiner Trance. Wortlos folgte er T'sum in den Korridor.

F'lar hatte den schweren Wherleder-Umhang übergeworfen und zwängte sich nun in seine Reitstiefel.

»Lessa, sorge dafür, dass alle Burgen verständigt werden.

Die Fäden erreichen bei diesem Einfall zwar höchstens Ista, aber die Barone sollen sich vorbereiten.«

Sie nickte.

»Zum Glück hat der Rote Stern erst mit der Annäherungsphase begonnen. Wir können also mit einer Verschnaufpause von mehreren Tagen bis zum nächsten Angriff rechnen.

Ach ja, Manora und die Frauen der Unteren Höhlen sollen Bottiche mit Öl und Salben herrichten, um die Brandwunden der Drachen versorgen zu können. Und das Allerwichtigste, Lessa falls uns etwas zustößt, musst du warten, bis einer der Bronzedrachen ein Jahr alt ist, um Ramoth ...«

»Niemand außer Mnementh bekommt Ramoth«, rief sie mit blitzenden Augen.

F'lar drückte sie an sich und küsste sie hart. Dann ließ er sie so abrupt los, dass sie gegen Ramoth taumelte. Einen Moment lang stützte sie sich auf die Drachenkönigin.

Das heißt, wenn Mnementh mich einholt, erklärte Ramoth eitel.


Gleitet, taucht, Feuer haucht,

Dazwischen fliegt, Die Kälte siegt.

Weicht aus, greift an, Tier und Mann.

Drachenreiter müssen streiten,

Silberfäden vom Himmel gleiten.

Als F'lar den Korridor entlang zum Landevorsprung rannte, war er mit einemmal dankbar für die vielen Erkundungsflüge, die ihn selbst in die entlegensten Winkel von Pern geführt hatten. Er sah die Landschaft Nerats deutlich vor sich. Er sah die Ranken, die zu dieser Jahreszeit breite weiße Blüten trugen.

In den ersten Strahlen der Morgensonne leuchteten sie wie Drachenaugen zwischen den Blättern hervor. Mnementh erwartete ihn voller Ungeduld. In seinen großen Augen spiegelte sich Erregung. F'lar warf sich auf den Bronzenacken.

Der Weyr war aufgescheucht. Es herrschte eine knisternde Atmosphäre, aber F'lar spürte nirgends Panik. Drachen und Drachenreiter strömten aus den Felsöffnungen des Weyrkessels. Vor den Unteren Höhlen hasteten die Frauen hin und her. Die Kinder, die am See gespielt hatten, erhielten die Anweisung, Feuerholz aufzulesen. C'gan versammelte die Jungreiter. Über der Klippe warteten die Geschwader in enger Flugformation. F'lar erkannte seinen Halbbruder auf dem Rücken von Canth.

Er befahl Mnementh aufzusteigen. Der Wind war kalt und roch nach Schnee.

R'guls und T'bors Geschwader schwärmten nach links aus; T'sum und D'nol dirigierten ihre Leute nach rechts. Er stellte fest, dass alle Drachen schwer mit Feuersteinsäcken beladen waren. Dann übermittelte er Mnementh das Bild des Regenwaldes kurz vor Sonnenaufgang. Es war Frühling, die hellen Blüten schimmerten im Laub auf, im Hintergrund schäumte das Meer gegen die Felsen ...

Er spürte die brennende Kalte des Dazwischen. Und er spürte, dass ihn einen Moment lang Zweifel durchzuckten.

Wenn er nun alle in den Tod schickte?

Dann tauchten sie auf, in jenem schwachen Dämmerlicht, das den neuen Tag verhieß. Der üppige, würzige Geruch des Regenwaldes strömte ihnen entgegen. Es war warm, und das erschreckte F'lar. Im Nordosten pulsierte drohend der Rote Stern.

Die Männer hatten erkannt, was geschehen war, und sie stellten erstaunte Fragen. Mnementh berichtete F'lar, dass die Drachen die Aufregung ihrer Reiter nicht so recht begreifen könnten.

»Hört mir zu, Drachenreiter« rief F'lar, und seine Stimme klang unnatürlich laut. Er wartete, bis die Männer ganz nahe gekommen waren. Dann erklärte er, was sie getan hatten und weshalb. Die Reiter reagierten auf die Ankündigung mit beunruhigtem Schweigen. Mnementh gab die Information an die Drachen weiter.

F'lar wies die Geschwader mit knappen Worten an, die Formation auseinander zuziehen.

Die Sonne ging auf.

Ein silberner Nebel fiel schräg auf das Meer zu, lautlos, schön, trügerisch. Silbriggrau waren die Sporen, die als ovale Kapseln den Raum durchquerten und sich in grobe, lang gezogene Flocken auflösten, sobald sie in die warme Atmosphäre von Pern eindrangen. Ein einziger Faden, der in fruchtbaren Boden sank, vergrub sich tief und gab Tausende von neuen Sporen frei, die alles organische Leben vernichteten und das Land in eine schwarze Wüste verwandelten. Der Südkontinent von Pern war bereits kahl und tot.

Ein Schrei aus vielen Kehlen zerriss die morgendliche Stille über Nerats grünen Höhen - als könnten die Fäden die Herausforderung hören.

Die Drachen bogen die keilförmigen Köpfe zur Seite, um sich von ihren Reitern mit Feuersteinen füttern zu lassen.

Gewaltige Kiefer zermahlten die Brocken. Im Magen der Tiere brodelten Säuren. Die tödlichen Phosphorgase wurden vorbereitet. Sobald die Drachen den Giftatem ausstießen, entzündete er sich in der Luft zu lodernden Flammen, welche die Fäden versengten. Der Instinkt der Drachen erwachte, als die ersten Silbersporen über der Landfläche von Nerat auftauchten.

F'lars Bewunderung für seinen Bronzegefährten stieg während der nächsten Stunden ins Unermessliche.

Mit kräftigen Flügelschlägen und flammendem Atem stieß Mnementh auf die silbernen Fäden zu. Die Dämpfe erreichten F'lar, und er musste sich tief über den Nacken seines Tieres ducken, um sie nicht einzuatmen.

Der Drache schrie auf, als ein Faden seine Flügelspitze versengte.

Sofort tauchte F'lar in das kalte, lautlose Dazwischen. Der Faden gefror und fiel ab. Im nächsten Moment kämpfte Mnementh weiter.

Um sich sah F'lar Drachen ins Dazwischen fliehen und wieder zurückkehren. Allmählich erkannte er ein Schema in den instinktiven Ausweich- und Angriffsbewegungen. Denn die Fäden fielen nicht gleichmäßig, wie er es aus den Archivberichten geschlossen hatte. Sie wirbelten umher wie Schneeflocken, die der Wind aufscheuchte, wichen hier aus und senkten sich dort. Nie konnte man ihre Bahn vorhersehen.

Langsam strichen die Drachen über die Regenwälder, diese einladend grünen Flächen. F'lar wagte nicht, darüber nachzudenken, was geschehen wurde, wenn sich nur ein einziger Faden in diesem üppigen Land vergrub. Er musste später eine Patrouille im Tiefflug über die Wipfel schicken. Ein Faden genügte, um die hellen Blütenaugen für immer auszulöschen.

Irgendwo schrie ein Drache auf. Bevor F'lar ihn erkennen konnte, war er ins Dazwischen getaucht.

Er hörte noch mehr Schmerzensschreie von Mensch und Tier.

Er verschloss seine Gefühle und konzentrierte sich wie die Drachen auf den Augenblick.

Feuer brannte auf seiner Wange, fraß sich wie Säure in seine Schulter - unwillkürlich stöhnte F'lar.

Mnementh jagte ins Dazwischen. Der Drachenreiter schlug mit zitternden Fingern gegen die Fäden, spürte, wie sie unter seinen Händen erstarrten und zerbröckelten. Mnementh kehrte zurück nach Nerat. Er schickte F'lar einen tröstenden Gedanken zu und stieß dann flammenspeiend auf die nächsten Fäden los.

Erst jetzt erkannte F'lar, dass auch der Nacken seines Kampfgefährten dunkle Spuren aufwies.

Ich bin sehr schnell ausgewichen, beruhigte ihn Mnementh und scherte zur Seite, als ein Fadenklumpen gefährlich nahe kam. Ein brauner Drache folgte ihm und versengte die Sporen.

Als F'lar schließlich das Meer unter sich erblickte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Fäden schwammen harmlos im Salzwasser. Nerat lag östlich von ihm. Nur eine Felszunge ragte weit ins Meer. F'lar konnte keinen Muskel mehr bewegen.

In der Aufregung des Kampfes hatte er die Brandwunden auf Wange und Schulter vergessen. Nun schmerzten sie aufs neue.

Er steuerte Mnementh in die Höhe und sah sich um. Keine Fäden fielen mehr. Unter ihm suchten die Drachen den Regenwald nach verräterischen Spuren der Fäden ab.

»Zurück zum Weyr«, befahl er Mnementh mit einem tiefen Seufzer.

Er hörte, wie der Bronzedrache den Befehl weitergab, und dann waren sie im Dazwischen.

Er war so müde, dass er vergaß, sich den Weyr vorzustellen.

Aber Mnemenths Instinkt brachte sie sicher ans Ziel.

Lob gebührt dem Drachenreiter,

zollt es ihm durch Wort und Tat!

Seine starken Hände greifen

lenkend in das Schicksalsrad!

Lessa stand am Landevorsprung und starrte zum Sternstein hinauf, bis die vier Geschwader verschwunden waren. Dann rannte sie die Stufen hinunter zum Talkessel des Benden-Weyrs. Sie bemerkte, dass jemand am See ein Feuer entfachte und dass Manora bereits mit ruhiger Stimme Befehle erteilte.

Der alte C'gan hatte die Jungreiter in Reih und Glied aufgestellt. Sie sah, dass die Jüngsten von den Fenstern aus neidisch ihre Kameraden beobachteten.

Sie zitterte, als sie vor die Jungreiter trat, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. Dann erteilte sie ihnen den Befehl, die Barone zu warnen, und überprüfte noch rasch, ob sie ihren Drachen die richtigen Erkennungspunkte gegeben hatte. Sie konnte sich vorstellen, welchen Wirbel die Ankündigung in den Burgen auslösen würde.

Canth berichtete, dass in Keroon Fäden fielen, und zwar an der Grenze zu Nerat. F'nor war der Meinung, dass zwei Geschwader nicht ausreichten, um das Weideland zu schützen.

Kńets Geschwader ist noch abkömmlich, erklärte Ramoth.

Es wartet über der Klippe.

Lessa sah auf und erkannte Piyanth, der über dem Sternstein kreiste. Sie befahl ihm, das Geschwader nach Keroon zu bringen, in der Nähe der Nerat-Bucht. Einen Augenblick später waren die Drachen verschwunden.

Mit einem Seufzer wandte sie sich Manora zu, doch im gleichen Augenblick hörte sie heftiges Flügelrauschen, und ein widerlicher Gestank drang auf sie ein. Der Himmel war übersät von Drachen. Sie wollte gerade Piyanth fragen, weshalb er nicht nach Keroon gegangen war, als sie erkannte, dass nicht nur ein Geschwader landete.

Aber ihr seid doch eben erst aufgebrochen, rief sie, als sie Mnementh erkannte.

Für uns liegen zwei Stunden dazwischen, erwiderte Mnementh völlig erschöpft.

Einige der Drachen taumelten mit hilflosen Ruderbewegungen in die Tiefe. Sofort ergriffen die Frauen saubere Tücher und Salbentöpfe und kümmerten sich um die Verletzten.

Lessa atmete auf, als sie die kräftigen Flügelschläge Mnemenths sah. Er schien also nicht verwundet zu sein. Sie half T'sum, dessen Munth einen hässlichen Brandfleck am Flügel hatte. Als sie wieder aufblickte, war Mnementh verschwunden.

Sie zwang sich, Munth fertigzubehandeln, bevor sie nach dem Bronzedrachen und seinem Reiter suchte. Schließlich entdeckte sie die beiden - und Kylara, die Salbe auf F'lars Schulter strich. Lessa trat verärgert näher, doch im gleichen Augenblick empfing sie Canths eindringlichen Hilferuf.

Mnementh hob den Kopf.

»F'Iar, Canth sagt, dass sie es allein nicht mehr schaffen«, rief Lessa. Sie bemerkte nicht mehr, dass Kylara sich zurückzog.

Der Bronzereiter war nicht schwer verwundet. Das stellte sie mit einem raschen Blick fest. Kylara hatte die Verbrennungen bereits behandelt. F'lar hielt einen Becher mit heißem Klah in den Händen.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Lessa und hielt ihn zurück, als er zu Mnementh gehen wollte.

Er lächelte müde und drückte ihr den leeren Becher in die Hand. Dann schwang er sich auf den Bronzedrachen. Jemand reichte ihm zwei Säcke mit Feuerstein.

Wieder formierten sich die Geschwader.

Sechzig Drachen stiegen zur Klippe auf und verschwanden im Dazwischen. Die Verwundeten blieben zurück.

So wenige Drachen. So wenige Reiter. Wie lange konnten sie das durchhalten?

Canth sagte, dass F'nor noch mehr Feuerstein benötigte.

Sie sah sich verzweifelt um. Die Jungreiter waren noch nicht von den Burgen zurückgekehrt. Ein Drache schrie in der Nähe, und sie wirbelte herum, aber es war nur Pridith, die von Kylara zur Futterstelle gebracht wurde. Alle anderen Tiere waren verletzt.

Ihr Blick fiel auf C'gan, der aus den Räumen der Jungreiter kam.

»C'gan, könnten Sie und Tagath noch mehr Feuerstein nach Keroon bringen? F'nor benötigt Nachschub.«

»Natürlich«, versicherte ihr der alte blaue Reiter. Stolz schwellte seine Brust, und seine Augen blitzten. Sie hatte nicht daran gedacht, ihn einzusetzen, aber schließlich war er sein Leben lang auf diesen Notfall vorbereitet worden. Und er brannte darauf, sich nützlich zu machen. Lächelnd half sie ihm, die Feuersteinsäcke aufzuladen. Tagath schnaubte und warf den Kopf hoch, als sei er in der Blüte seiner Jahre. Sie übermittelte ihm die Erkennungspunkte, die Canth ihr gegeben hatte. Dann verschwanden die beiden über dem Sternstein.

Das ist nicht fair, beschwerte sich Ramoth. Ich muss als einzige hier bleiben. Lessa sah, dass sie sich auf dem Landevorsprung sonnte.

»Möchtest du Feuerstein fressen und zu einem dieser albernen grünen Weibchen werden?« tadelte Lessa sie scharf.

Sie trat zu den Verwundeten. B'fols zierliches grünes Tier warf stöhnend den Kopf hin und her. Der eine Flügel war bis auf den Knorpel verbrannt. Es würde Woche dauern, bis der Schaden geheilt war. Zum Glück wies keiner der anderen Drachen ähnlich schwere Verletzungen auf. Lessa wandte rasch den Kopf ab, als sie das Leid in B'fols Augen sah.

Während sie die Runde machte, entdeckte sie, dass mehr Reiter als Drachen verwundet waren. Zwei Männer aus R'guls Geschwader hatten Kopfverletzungen davongetragen. Einer war von den ätzenden Fäden geblendet worden. Manora hatte ihm einen Betäubungstrank gereicht. Ein Reiter hatte den Arm verloren. Lessa wurde immer niedergedrückter. Wie viele Verwundete würden aus Keroon zurückkehren?

Von einhundertsiebenundzwanzig Drachen waren bereits fünfzehn ausgefallen. Dabei hatte der Rote Stern seine Annäherungsphase erst begonnen. Was sollte werden, wenn die Fäden in immer kürzeren Abständen fielen?

Ein Kreischen zerriss die Stille. Lessa riss den Kopf hoch.

Über dem Sternstein war ein blauer Drache aufgetaucht.

Ramoth! rief Lessa instinktiv, ohne recht zu wissen, weshalb. Die Königin schwebte in der Luft, noch bevor der Schrei verklungen war. Denn der blaue Drache taumelte besorgniserregend. Einer seiner Flügel hing schlaff herab. Der Reiter war nach vorn gerutscht und umklammerte mit einer Hand den Nacken des Tieres.

Lessa betrachtete angstvoll das Schauspiel. Man hörte im Weyr nichts außer Ramoths kräftigem Flügelschlag. Die Drachenkönigin flog dicht unter das taumelnde Tier und stützte es mit einem Flügel.

Ein Schrei ging durch die Zuschauer. Der Reiter glitt vom Nacken des Blauen, fiel - und landete auf Ramoths breiten Schultern.

Der blaue Drache stürzte wie ein Stein in die Tiefe. Ramoth landete vorsichtig und senkte den Nacken bis zum Boden, damit die Weyrbewohner den Reiter von ihrem Rücken holen konnten.

Es war C'gan.

Lessa wurde übel, als sie sah, wie die Fäden das Gesicht des alten Harfners zugerichtet hatten. Sie barg seinen Kopf in ihrem Schoß. Manora hatte Tränen in den Augen. Sie fühlte nach dem Herzen des alten Mannes. Ihre Züge wurden besorgt, und sie schüttelte den Kopf. Dann strich sie mit entschlossenen Bewegungen eine schmerzstillende Salbe über die Verletzungen.

»Zu alt, um rechtzeitig ins Dazwischen auszuweichen«, murmelte C'gan und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. »Zu alt. Aber >Drachenreiter müssen streiten, wenn Silberfäden vom Himmel gleiten<...«

Die Stimme verließ ihn. Er schloss die Augen.

Lessa und Manora sahen einander schmerzerfüllt an. Ein furchtbares, ohrenbetäubendes Wimmern klang auf. Tagath hatte sich mit letzter Kraft in die Luft geworfen. Einen Augenblick später verschwand er im Dazwischen.

Ein dünnes Klagen, einsam wie das Wimmern des Windes, ertönte. Die Drachen erwiesen den Toten die letzte Ehre.

Langsam erhob sich Lessa. Sie winkte ein paar Frauen herbei und befahl ihnen, sich um den toten Drachenreiter zu kümmern. Ein Opfer hatten die Fäden bereits gefordert. Wie viele würden nachfolgen?

Und dann sah Lessa zum Sternstein hinauf, wo Ramoth mit golden schimmernden Flügeln ihre Kreise zog. Sie durfte jetzt nicht den Mut verlieren. F'lar brauchte mehr denn je ihre Unterstützung.

Als sie auf Ruatha von der Rache geblendet gewesen war, hatte er ihr eine neue Aufgabe gestellt. Er hatte ihr die Verantwortung für den Weyr übertragen. Und nun wollte sie ihm helfen, die Verantwortung für ganz Pern zu übernehmen.

Lessa warf den Kopf hoch.

Der alte Cgan hatte recht: Drachenreiter müssen streiten, wenn Silberfäden vom Himmel gleiten. Seine starken Hände greifen lenkend in das Schicksalsrad.

Wie F'lar vorhergesagt hatte, endete die erste Attacke gegen Mittag. Ramoth begrüßte mit lautem Trompeten die müden Reiter und ihre Tiere.



Lessa vergewisserte sich, dass F'lar keine zusätzlichen Verletzungen erlitten hatte, dass F'nor einen Brandverband bekam und dass Manora ihre Rivalin Kylara in der Küche beschäftigte. Dann kümmerte sie sich tatkräftig darum, dass Lager für die Verwundeten gerichtet wurden.

Als die Abenddämmerung hereinbrach, wirkte der Weyr friedlich. Aber es war ein unruhiger Frieden. Die Drachenreiter waren zu müde, um sich noch mit ernsten Problemen zu beschäftigen. Lessa hatte eine Liste der Verletzten aufgestellt.

Achtundzwanzig Männer oder Drachen fielen für den nächsten Kampf aus. Tote hatte es außer C´gan nicht gegeben.

Aber in Keroon waren vier weitere Kämpfer schwer verwundet worden.

Lessa durchquerte den Kessel. Sie hatte Angst davor, F'lar die schlechte Nachricht zu überbringen.

Der Weyrführer war nicht in ihrer gemeinsamen Schlafkammer. Ramoth schlief bereits. Auch im Beratungsraum hielt sich F'lar nicht auf.

Verwirrt und ein wenig beunruhigt ging Lessa ins Archiv und dort sah sie den Bronzereiter, über einen Stapel von moderigen Häuten gebeugt.

»Was suchst du hier?« fragte sie ärgerlich. »Du solltest längst schlafen.«

»Du auch«, entgegnete er lächelnd.

»Ich musste Manora bei den Verwundeten helfen ...«

»Jeder hat seine Aufgaben.«

Aber er lehnte sich zurück und rieb die steifen Muskeln.

»Ich konnte nicht schlafen«, gestand er. »Und so begann ich noch einmal in den Aufzeichnungen zu blättern. Vielleicht enthalten sie doch die Lösung.«

»Die Lösung wofür?« rief Lessa erschöpft. Als könnten die Schriften alle Probleme lösen!

F'lar winkte Lessa zu sich, und sie nahm auf der Wandbank Platz.

»Es geht um ein einziges Problem«, erklärte der Bronzereiter. »Wie können wir mit unseren wenigen Geschwadern einen Kampf bestreiten, der früher von sechs Weyrn ausgetragen wurde?«

Lessa spürte, wie eiskalt die Angst in ihr aufstieg.

»Oh, dein Zeitplan müsste dir dabei helfen«, sagte sie tapfer.

»Und wenn aber erst die vierzig Jungdrachen einsatzfähig sind ...«

F'lar zog die Augenbrauen hoch.

»Seien wir doch ehrlich zueinander, Lessa!«

»Aber es hat doch schon früher lange Intervalle gegeben«, sagte sie.

»Pern überlebte sie und wird sie auch diesmal überleben.«

»Früher waren immer sechs Weyr zur Verteidigung da. Und etwa zwanzig Planetendrehungen, bevor der Rote Stern auftauchte, legten die Drachenköniginnen ungeheure Mengen Eier. Alle Königinnen, nicht nur eine Ramoth. Oh, wie ich Jora verfluche! « Er sprang auf und ging wütend im Zimmer hin und her. Das dunkle Haar fiel ihm in die Stirn.

Lessa schwankte zwischen ihrer eigenen lähmenden Furcht und dem Wunsch, ihn zu trösten.

»Anfangs warst du zuversichtlich ...«

Er wirbelte herum. »Da hatte ich noch keine Begegnung mit den Fäden. Ich rechnete nicht mit so vielen Verwundeten. Mit einer Handvoll von Leuten kann ich das Land nicht gleichzeitig von der Luft und vom Boden aus überwachen.«

Er bemerkte ihren erstaunten Blick.

»Nerat muss morgen Schritt für Schritt durchgekämmt werden. Es wäre größenwahnsinnig, anzunehmen, dass wir sämtliche Fäden im Fluge abgefangen haben.«

»Überlass das den Baronen! Sie können sich nicht in ihren sicheren Burgen verkriechen und uns alle Arbeit überlassen.

Wenn sie sich nicht so idiotisch benommen hätten ...«

Er unterbrach sie mit einer Handbewegung.

»Sie bekommen genug zu tun, verlass dich darauf!«

versicherte er ihr. »Ich berufe gleich morgen eine Ratsversammlung ein, zu der alle Barone und Gildemeister geladen werden. Aber es handelt sich nicht nur darum, die Fäden zu markieren. Wie sollen wir sie ausrotten, sobald sie sich tief in den Boden gegraben haben? Der Flammenatem der Drachen dringt nicht weit genug.«

»Oh, daran hatte ich nicht gedacht.

Aber die Feuergruben ...«

»... befinden sich auf den Höhen und in der Nähe menschlicher Siedlungen, aber nicht in Keroons Weidegebieten oder den Regenwäldern von Nerat.«

Lessa zuckte verlegen mit den Schultern.

»Unterbewusst habe ich die Drachen wohl immer für allmächtig gehalten.«

»Es muss andere Methoden geben«, sagte F'lar verbissen.

»Die Schriften deuten es an, aber sie machen zu ungenaue Aussagen.«

Er setzte sich müde neben Lessa.

»Keine fünfhundert Drachen hätten die Fäden vernichten können, die heute fielen. Und doch gelang es unseren Vorfahren, Pern von dieser Plage freizuhalten.«

»Pern, ja, aber nicht den Südkontinent. Er ging verloren.«

F'lar winkte verächtlich ab.

»Seit mehr als tausend Planetendrehungen hat sich niemand mehr um den Südkontinent gekümmert.«

»Immerhin ist er auf den Karten verzeichnet«, widersprach Lessa.

F'lar zog die Stirn kraus und starrte die Aufzeichnungen an, die in hohen Stapeln auf dem Tisch lagen.

»Irgendwo da drinnen steckt die Lösung.

Irgendwo.«

Seine Stimme klang verzweifelt.

»Bis jetzt haben uns meist deine eigenen Ideen weitergeholfen«, erklärte Lessa entschieden. »Du hast den Zeitplan ausgearbeitet, ohne den wir verloren wären ...«

Er lächelte schwach. »Ich weiß, du schätzt die Schriften nicht besonders.«

»Wir sind uns beide im klaren darüber, dass sie große Lücken aufweisen.«

»Gut, Lessa. Vergessen wir also die Schriften und überlegen wir gemeinsam, wie es weitergehen soll.

Erstens, wir brauchen Drachen.

Zweitens, wir brauchen die Drachen sofort.

Drittens, wir brauchen eine wirksame Waffe gegen die Fäden, die sich bereits in den Boden eingegraben haben.«

»Viertens, wir brauchen Schlaf, sonst können wir die ersten drei Probleme nicht lösen«, ergänzte Lessa.

F'lar lachte und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Ich weiß, woran du denkst!«

Er strich ihr über das Haar. Lessa versuchte sich loszumachen, aber es gelang ihr nicht. Für einen verwundeten, müden Krieger war er bemerkenswert temperamentvoll. Kylara fiel ihr wieder ein. Eine Frechheit von dieser Schlampe, F'lars Wunden zu versorgen!

»Als Weyrherrin bin ich auch für das Wohl des Weyrführers verantwortlich.«

»Aber du hast dich stundenlang um ein paar blaue Reiter gekümmert und mich den ungeschickten Händen Kylaras überlassen.«

»Es sah nicht so aus, als hättest du etwas gegen sie einzuwenden.«

F'lar warf den Kopf zurück und lachte.

»Soll ich Kylara schon jetzt nach Fort schicken?«

»Ach, schick sie ins Dazwischen! fauchte Lessa.

F'lar versteifte sich. Seine Augen wurden groß. Dann sprang er auf.

»Das ist eine glänzende Idee!«

»Was?«

»Wir schicken Kylara mit ihrer Königin und den Jungdrachen ins Dazwischen - in die Vergangenheit!«

F'lar ging erregt auf und ab, während Lessa versuchte, seinen Gedankengängen zu folgen.

»Nein, ich schicke doch besser einen der älteren Bronzereiter mit. Und F'nor ... F'nor soll die Führung übernehmen.

Diskret natürlich ...«

»Ich verstehe gar nichts. Du möchtest Kylara in eine andere Zeit schicken?

In welche denn?

Und wohin?«

»Eine gute Frage.«

F'lar glättete wieder die Karten.

»Eine sehr gute Frage. Wohin können wir sie schicken, ohne dass es zu Komplikationen kommt? Sie dürfen nicht an zwei Orten gleichzeitig auftauchen.«

Lessas Blicke wurden von den Umrissen des vernachlässigten Südkontinents angezogen.

»Schick sie dorthin«, schlug sie vor. Sie deutete auf die Karte.

»Aber dort ist doch nichts!«

»Sie können Vorräte mitnehmen. Und Wasser gibt es sicher im Überfluss, da es von den Fäden nicht angegriffen wird. Wir beschaffen ihnen Futter für die Herden, Getreide ...«

F'lar runzelte nachdenklich die Stirn. Seine Niedergeschlagenheit war vergessen.

»Zehn Planetendrehungen mussten ausreichen. In zehn Planetendrehungen kann Pridith für genügend Nachwuchs sorgen. Vielleicht sind sogar ein paar Königinnen darunter.«

Dann schüttelte er zweifelnd den Kopf. »Nein, dort unten gibt es keinen Weyr und keine Brutstätte ...«

»Woher weißt du das?« unterbrach ihn Lessa scharf.

Das Projekt erschien ihr zu verlockend.

»Die Aufzeichnungen erwähnen den Südkontinent nicht, gewiss, aber sie lassen auch eine Menge anderer Dinge aus.

Woher wissen wir, dass sich das Land während der letzten vierhundert Jahre nicht wieder vom Einfall der Fäden erholt hat? Es steht fest, dass die Faden verkümmern, sobald sie keine organische Nahrung mehr bekommen.«

F'lar sah sie bewundernd an. »Warum stieß bisher noch niemand darauf?«

»Die meisten sind zu stur.« Sie deutete auf die Schriften.

»Außerdem bestand bisher keine Notwendigkeit, sich damit zu befassen.«

F'lar grinste boshaft. »Was Eifersucht alles vermag!«

Lessa wirbelte herum. »Ich habe nur das Wohl des Weyrs im Auge.«

»Morgen schicke ich dich mit F'nor auf einen Erkundungsflug. Das ist nur fair, da die Idee von dir stammt.«

Sie sah ihn an.

»Du kommst nicht mit?«

»Ich verlasse mich ganz auf dich, da ich dein besonderes Interesse an dem Projekt kenne.«

Lachend drückte er sie an sich.

»Ich muss den Baronen ins Gewissen reden, damit sie uns nicht im Stich lassen. Und ich hoffe, dass einer der Gildemeister mein drittes Problem lösen kann ... die Beseitigung der eingenisteten Fäden.«

»Aber ...«

»Die Reise wird Ramoth etwas Bewegung verschaffen.«

Er hob Lessas Kinn.

»Und du bist mein viertes Problem, Mädchen.«

Als er sich jedoch zu ihr hinunterbeugte, um sie zu küssen, klangen hastige Schritte im Korridor auf. Widerwillig ließ er sie los.

»Zu dieser Stunde?« sagte er unwillig. »Wer ist da?«

»F'lar?« Es war F'nors Stimme.

Die Miene des Bronzereiters blieb düster. Nicht einmal sein Halbbruder hatte das Recht, ihn so spät zu stören. Lessas Herz klopfte schneller.

Aber im gleichen Augenblick, als der braune Reiter den Raum betrat, war F'lars Arger verflogen. Er warf Lessa einen erstaunten und verwirrten Blick zu.

F'nor hatte sich irgendwie verändert. Und während er seine zusammenhanglose Botschaft stammelte, erkannte Lessa auch, was es war: Seine Haut hatte eine tiefe Bräunung angenommen. Er trug keinen Verband, und von der Brandwunde an der Wange war nicht das geringste zu sehen.

»F'lar, es lässt sich nicht machen! Man kann nicht an zwei Zeiten zugleich glauben!« rief F'nor.

Er schwankte und lehnte sich an die Wand. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.

»Ich weiß nicht, wie lange wir das noch durchhalten. Wir leiden alle darunter.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Den Drachen macht es nichts aus«, versicherte F'nor mit einem bitteren Lachen. »Sie bewahren Vernunft. Aber die Reiter ... das Weyrvolk, wir sind nur noch Schatten, weil wir mit halbem Herzen hier weilen.«

Sein Gesicht verzerrte sich.

»Und Kylara! Sie hat nur einen Wunsch - hierher zu kommen und sich zu betrachten! Die Ichbezogenheit dieser Frau bringt uns noch alle um den Verstand.«

Sein Blick wurde verschwommen, und er hielt sich krampfhaft fest.

»Ich kann nicht bleiben. Ich bin bereits hier. Zu nahe. Das macht es doppelt schlimm.

Aber ich musste dich warnen. F'lar, ich verspreche dir, dass wir so lange wie möglich durchhalten werden, aber wir sind mit unseren Nerven am Ende.«

Bevor F'lar zu einer Bewegung fähig war, hatte sich der braune Reiter umgedreht und war hinausgestolpert.

»Aber er ist doch gar nicht fort«, keuchte Lessa.

»Er ist noch nicht fort!«