12.

Genny, der Pianist, saß mit trotzigem Gesicht vor dem Commissario. Die Wunde von meiner Pistole blutete nicht mehr, das Blut war getrocknet. Lo Masto schlich um ihn rum und wartete auf den Moment, ihn sich richtig vorzuknöpfen. Ich stand weiter hinten an die Wand gelehnt.

Nachdem sie ihn unter mir weggezogen hatten, war er etwas benommen gewesen, fing dann aber sofort an, er hätte nichts getan und was wir überhaupt von ihm wollten. Da keiner antwortete, jammerte er los, die Wunde täte weh, ihm wäre schwindlig und er wolle ins Krankenhaus. Irgendwann merkte er wohl, dass er besser die Schnauze hielt und das Affentheater ließ.

Inzwischen war er wieder obenauf, machte einen auf dicke Hose und rutschte auf seinem Stuhl hin und her.

»Also«, sagte der Commissario, »raus mit der Sprache.«

»Bin ich hier im Beichtstuhl oder was?«

»Spar dir deine Witze, Esposito, oder ich ramm dir den Schädel ins Klo«, sagte der Commissario trocken.

»Commissario, ich hab nix gemacht.«

»Hör auf mit der Leier«, sagte Lo Masto. »Wenn du nichts gemacht hättest, hättest du dich doch nicht in diesem Haus da verkriechen müssen.«

»Ich wollte raus aufs Land, mich erholen, is das verboten?«

Lo Masto gab ihm eine Ohrfeige. Der ist nicht für die sanfte Tour. Er sagt immer, die kapieren es nur, wenn du ordentlich auf sie eindrischst.

»Worum geht’s, verdammte Scheiße, sagt mir das doch wenigstens!«

»Das Mädchen. Die hast du umgebracht, oder? Warum?«, brüllte Lo Masto.

»Welches Mädchen? Kein blassen Schimmer.«

Nie wissen die was. Von klein auf lernen sie diese Masche auswendig.

»Sarah Lo Russo, deine Ex«, sagte der Commissario.

»Pack aus, Esposito, es ist besser für dich«, legte Lo Masto nach.

Der Pianist wirkte überrascht, er war zusammengezuckt, als hätte er einen Stromschlag bekommen.

»Wo warst du gestern Nachmittag um vier?«, fragte der Commissario.

»Sarah?«, fragte er.

Einen Augenblick sah er wirklich so aus, als wüsste er nichts.

»Nun komm schon, lass das Theater«, sagte Lo Masto und schüttelte ihn an der Schulter.

»Sie haben Sarah umgebracht?«, fragte er. Seine Augen glänzten feucht.

Der ist ein besserer Schauspieler als Scarano, dachte ich.

Lo Masto zerrte an seinen Haaren.

»Ich hab dir gesagt, lass die Faxen«, flüsterte er ihm ins Gesicht.

»Wie ham sie sie umgebracht?«

Lo Masto schaute den Commissario an, der nickte.

»Du willst wohl, dass wir die Geduld verlieren«, sagte Lo Masto mit einem hässlichen Grinsen. »Das tun wir grade wirklich.«

Er schlug seinen Kopf auf den Schreibtisch.

Dabei ging die Wunde an der Stirn wieder auf und blutete.

»Ich weiß nix von Sarah. Hab sie vor ’nem halben Jahr das letzte Mal gesehen.«

Lo Masto haute ihn mit dem Schädel nochmal auf den Schreibtisch.

»Erzähl keinen Scheiß, vor zwei Tagen hast du sie gesehen.«

»Nein, das stimmt nich.«

»Raus mit der Wahrheit, das ist besser. Sonst geht’s dir so wie ihr.«

»Ich hab sie nich umgebracht! Ich hab sie nich umgebracht! Ich war’s nicht«, schrie der Pianist beinahe.

Der pisste sich gleich in die Hosen.

Lo Masto schlug ein drittes Mal zu.

Inzwischen lief dem Pianisten Blut übers Gesicht und tropfte auf sein T-Shirt. Aber er gestand nichts.

»Ich hab sie nich umgebracht«, wiederholte er.

Er seufzte tief und sagte leise, den Blick zu Boden gerichtet: »Sarah war was Besonderes.«

Hass vernebelte mir das Gehirn.

»Sie war was Besonderes?«, sagte ich, ging zu ihm und hätte ihn am liebsten fertiggemacht.

Er nickte.

»Und weil sie so besonders war, hast du sie vermöbelt?«

»Was? Nie im Leben hab ich sie vermöbelt.«

»Ach ja? Sie hatte die Schnauze voll von dir, da bist du auf sie losgegangen.«

»Ich hab sie nich umgebracht.«

Ich wollte ihm in die Fresse treten für all die Scheiße, die er sich ausdachte. Aber in dem Moment starrte er uns an. Sein Blick war kalt.

»Bringt mir das Schwein, das sie umgebracht hat, den erledige ich«, sagte er knapp.

Dann senkte er den Kopf und zog zwei-, dreimal die Nase hoch.

Das verwirrte mich. Bis vor einer Sekunde hätte ich schwören können, dass er Sarah umgebracht hatte. Aber auf einmal war ich nicht mehr ganz sicher. Vielleicht war es nur Theater, aber ich hatte meine Zweifel.

Lo Masto hingegen glaubte ihm kein Wort.

»Wenn du nichts zu verbergen hattest, was sollte dann die Flucht heute früh?«

Esposito antwortete nicht.

Lo Masto zerrte an seinen Haaren, als wollte er ihm den Kopf abreißen.

»Wo warst du gestern um vier?«, fragte er.

Nichts. Er antwortete nicht.

Lo Masto schaute wieder den Commissario an. Der dachte einen Augenblick lang nach, dann schüttelte er den Kopf.

»Führ ihn erst mal ab.«

Lo Masto war ganz offensichtlich anderer Meinung, widersprach aber nicht. Er zerrte Esposito am Arm hoch wie einen Sack und schob ihn mit aller Kraft in Richtung Tür. Als er schon halb draußen war, drehte sich der Pianist um. Sein Gesicht war blutverschmiert, er funkelte uns an, dass du Angst kriegen konntest.

»Wenn ihr den schnappt, der sie umgebracht hat, bringt ihn mir zwei Minuten. Nur zwei Minuten.«

»Geh schon, du Clown«, sagte Lo Masto und schob ihn aus dem Raum.

Der Commissario und ich blieben allein zurück. Er gedankenverloren hinter dem Schreibtisch. Ich an den Stuhl gelehnt, auf dem der Pianist gesessen hatte.

Nach kurzem Schweigen sagte ich: »Der ist mir ganz schön zuwider, Commissario, aber ehrlich, ich glaub, der hat mit der Sache nix zu tun.«

»Und weshalb hat er dann behauptet, er hätte Sarah seit sechs Monaten nicht gesehen?«

»Vielleicht stimmt das ja. Der Lehrer war nicht sicher, als er das Foto gesehen hat. Vielleicht hat Sarah am Tag zuvor einen anderen Typen getroffen.«

»Und wieso ist er dann heute Morgen abgehauen, als er uns gesehen hat? Wieso hat er sich in dem verlassenen Haus versteckt?«

»Der hatte Angst, für Sarahs Mörder gehalten zu werden.«

»Wieso, wenn er sie seit sechs Monaten nicht mehr gesehen hat?«

»Stimmt.«

»Und wo er gestern um vier war, hat er uns auch nicht erklärt.«

Auch das stimmte.

Der Commissario schaute auf seine Uhr.

»Mensch, ist schon spät.«

Er stand auf, nahm seine Jacke und ging in Richtung Tür.

»Wenn du nichts vorhast, lad ich dich auf ein Bier ein«, sagte er. »Das hast du dir verdient.«

Das Kompliment war mir peinlich, ich merkte, wie ich rot wurde.

»Ach was«, sagte ich. Aber ich freute mich und ging hinter ihm her, ohne mir das Grinsen zu verkneifen, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete.