KAPITEL 21

Salvatore brauchte niemanden, der ihm sagte, dass er ein Dummkopf war.

Welcher Mann, insbesondere wenn er ein Werwolf war, würde freiwillig die warmen, einladenden Arme seiner Gefährtin verlassen?

Unglücklicherweise war er außerdem König, was bedeutete, dass er seinen Verpflichtungen nicht entkam. Gleichgültig, wie groß die Versuchung auch sein mochte.

Salvatore rief sich ins Gedächtnis, dass er umso früher zu Harley zurückkehren konnte, je schneller er seine Angelegenheiten erledigt hatte. Er zwang sich, hinunter in die Küche zu gehen, um ein kurzes Gespräch mit Darcy zu führen, und sich dann im hinteren Bereich der Villa mit Styx zu treffen.

Als er den langen, schmalen Raum betrat, hob er in amüsierter Anerkennung die Brauen.

Ebenso wie der Rest des Hauses war dieses Zimmer mit einer Überfülle an Elfenbein und Gold ausgestattet und verfügte über riesige Kronleuchter, die von einer gewölbeartigen Decke herabhingen. Doch statt zierlicher Möbel und eines wertvollen Teppichbodens erblickte er hier Glasvitrinen, die große Mengen von Waffen enthielten. Gewehre, Schwerter, Armbrüste, Streitkolben, Dolche … das Einzige, was fehlte, war eine Raketenabschussrampe, und Salvatore wäre nicht überrascht gewesen, wenn es eine oder zwei gegeben hätte, die in den Holzschränken im hinteren Teil des Zimmers verstaut waren.

Der Fußboden war aus teurem Parkett, doch es gab auch ein halbes Dutzend Trainingsmatten, die jemand mit beiläufiger Gleichgültigkeit gegenüber der Schönheit der Kunstfertigkeit auf den glänzenden Holzboden geworfen hatte.

Salvatore verfügte in seinem römischen Versteck selbst über ein Waffenlager und eine Sporthalle von olympischem Ausmaß. Welcher Dämon besaß das nicht? Aber der Kontrast zwischen der verschnörkelten französischen Einrichtung und dem brutalen Waffenarsenal wirkte derart absurd, dass er Salvatore ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Er machte noch einen weiteren Schritt vorwärts und erblickte Styx in einer gegenüberliegenden Ecke.

Der uralte Vampir trug nichts weiter als eine locker fallende Yogahose. Sein zu einem Zopf geflochtenes langes Haar fiel ihm über den Rücken, als er ein riesiges Schwert durch die Luft wirbelte. Seine Bewegungen waren fließend und perfekt abgemessen, das Merkmal eines wahren Schwertkämpfers.

Ein Raubtier.

Instinktiv regte sich Salvatores innerer Wolf.

Vor Wochen hatten Styx und er ihre Kräfte gemessen.

Styx hatte diesen Kampf gewonnen, dieser arrogante Blutsauger, aber Salvatore wusste, dass die Sache nun anders lag. Da der Dämonenlord inzwischen tot war und die Macht durch die Verbindung mit Harley in seinem Blut pulsierte, wäre er dem alten Vampir nun weitaus besser gewachsen.

Als lese er Salvatores Gedanken, wandte sich Styx um, um seinen Gast mit einem durchdringenden Blick anzusehen, wobei er das Schwert lose in der Hand hielt. Dann streckte
er mit einem kaum sichtbaren Lächeln die Hand aus, um ein dazu passendes Schwert aus der Glasvitrine an der Wand zu nehmen und es Salvatore mit einer lässigen Armbewegung zuzuwerfen.

Salvatore fing es an dem reich verzierten Heft auf und schlenderte auf Styx zu. Ein Knurren der Vorfreude grollte in seiner Brust.

»Bereitet Ihr Euch auf eine Invasion vor, Styx?«, fragte er gedehnt und deutete auf die stattliche Reihe an Waffen.

»Ein guter König ist stets vorbereitet.« Ein spöttisches Lächeln kräuselte Styx’ Lippen. »Überdies weiß ich niemals, wann ich womöglich von einem arroganten Werwolf herausgefordert werde, der seinen Rang nicht kennt.«

»Meinen Rang?« Salvatore hielt inne, um das elegante Gucci-Jackett und das weiße Seidenhemd abzulegen. Dann zog er die Schuhe aus und hob in stummer Einladung das Schwert. »Muss ich Euch meinen Rang demonstrieren?«

»Ihr seid eingeladen, es zu versuchen.«

Indem er sein Schwert nach oben führte, griff Styx an.

Salvatore war gewappnet, und mit einer schnellen Bewegung erwiderte er die brutalen, blitzschnellen Schläge. Seine wahre Stärke lag in seinem inneren Wolf, doch er besaß genügend Kraft und Geschick mit dem Schwert, um sich gegen Styx zu behaupten, und es gelang ihm sogar, selbst einige Schläge auszuteilen.

Styx, der mühelos spürte, dass sich Salvatores Fähigkeiten
seit ihrer letzten Konfrontation verbessert hatten, ließ seine Fangzähne in einem gefährlichen Lächeln aufblitzen und sein Schwert mit einer ungeheuren Geschwindigkeit durch die Luft pfeifen. Salvatore ächzte, als seine Muskeln die gnadenlose Wucht der Attacke abfingen.

Sie sparrten schweigend, indem sie inmitten des durchdringenden Getöses durch die aufeinandertreffenden Stahlklingen und der sprühenden Funken zurückwichen und sich wieder aufeinander zubewegten.

Erstaunt stellte Salvatore fest, dass er das Scheingefecht genoss. Für ihn als König der Werwölfe war es schwierig, einen Partner zu finden, der es mit seiner Stärke aufnehmen konnte, ganz zu schweigen von seinem Geschick. Es war stimulierend, gegen einen würdigen Gegner zu kämpfen.

Sogar, wenn dieser Gegner ein Blutsauger war.

Salvatore schob seine Furcht wegen Harleys Weigerung, das Band ihrer Verbindung anzuerkennen, und die nagende Gewissheit, dass Briggs noch immer irgendwo dort draußen war, beiseite und verlor sich in der reinen Freude, die er dabei empfand, sich mit dem enormen Vampir zu messen.

Schweiß und Blut aus oberflächlichen Wunden bedeckten die Haut beider Männer, bevor sie in beiderseitigem Einvernehmen auseinandergingen.

Mit einem wilden Lächeln stellte Styx sein Schwert beiseite und schritt durch eine geöffnete Tür im hinteren Bereich des Zimmers. Er verschwand für einen kurzen Augenblick und kehrte mit zwei feuchten Handtüchern zurück, von denen er Salvatore eines zuwarf.

Dieser stellte das Schwert auf einen Ständer in seiner Nähe, um es reinigen und ölen zu lassen. Dann säuberte er sich dankbar von dem Schweiß und dem Blut. Welcher Hollywoodregisseur auch immer zu dem Schluss gekommen war, dass Werwölfe wilde, unzivilisierte Bestien waren – er war jedenfalls noch nie einem Rassewolf begegnet. Kein Wesen mit einem dermaßen ausgeprägten Geruchssinn konnte etwas anderes als penibel sein.

Jedoch waren nicht alle Werwölfe mit seinem auserlesenen Modegeschmack gesegnet.

Styx lehnte sich lässig gegen eine Glasvitrine, während die Wunden, die seinen breiten Brustkorb verunstalteten, rasch heilten.

»Die Verbindung mit Harley hat Eure Stärke vermehrt.«

»So ist es.« Salvatore lächelte trocken, als ihm bewusst wurde, dass das Sparring des Vampirs nicht bloß zufällig gewesen war. Er war der Anasso, und es besaß für ihn höchste Priorität, das genaue Ausmaß der Macht zu kennen, die dem König der Werwölfe zur Verfügung stand. Immerhin konnte niemand ihn einen Dummkopf nennen. »Zusammen mit dem Tode des Dämonenlords.«

Styx’ Augen verengten sich, und seine Miene wurde hart vor Frustration.

»Wie bloß konnte er sich all diese Jahre unserer Aufmerksamkeit entziehen, verdammt?«

Salvatore verstand den Ärger des Vampirs nur allzu gut. Es war dem Dämonenlord gelungen, sie alle zu täuschen.

»Es lag daran, dass er sich in Wahrheit nicht in dieser Welt aufhielt«, meinte Salvatore. »Ohne Mackenzie und Briggs wäre dieser Bastard niemals in der Lage gewesen, den Werwölfen Schaden zuzufügen.«

Styx’ Blick war finster. »Sie ließen es bereitwillig zu, als Anker zu fungieren?«

». Diese wertlosen Feiglinge.«

»Unglücklicherweise gibt es stets Personen, die freiwillig ihre Seelen gegen Macht eintauschen. Seid Ihr sicher, dass der Dämonenlord tot ist?«

Salvatore nahm sich einen Augenblick Zeit, um seine Antwort zu überdenken.

Während der Verwirrung im Kampf gegen den Dämonenlord, gefolgt von seiner hastigen Flucht mit Harley durch die einbrechenden Höhlen, war er zu abgelenkt gewesen, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was mit Balam geschehen war.

Alles, was er wusste, war, dass der heftige Schmerz verschwunden und dass der Bastard zumindest schwer verletzt worden war. Andernfalls wäre es ihnen niemals gelungen, zu fliehen.

Erst, als er vor wenigen Stunden erwacht war, hatte er bemerkt, wie dramatisch sich die Welt verändert hatte.

»Ich bin mir nicht sicher, ob irgendetwas existiert, das einen Dämonenlord zu töten vermag, doch ich weiß, dass seine Verbindung zu dieser Welt durchtrennt wurde.« Er begann, zufrieden zu lächeln. »Ich kann bereits spüren, wie die Stärke meiner Rudel zu wachsen beginnt.«

»Ich spüre es ebenfalls.« Styx blickte ihn unverwandt an. »Sehr bald werden die eindrucksvollen Kräfte der Werwölfe keine Erinnerung aus alter Zeit mehr sein.«

Salvatore entging nicht die leise Warnung, und er schob trotzig das Kinn vor.

Die Werwölfe hatten zu viel Zeit im Schatten der Vampire verbracht. Er beabsichtigte, dafür zu sorgen, dass ihnen endlich der Respekt zuteilwurde, den sie so sehr verdienten.

»Wir werden wie vorgesehen herrschen«, sagte er, ohne sich zu rechtfertigen.

Ihre Blicke begegneten sich in einem stummen Machtkampf, bevor allmählich ein Lächeln auf Styx’ Lippen erschien.

Wie alle Dämonen respektierte auch er Macht.

»Das sollte interessant werden.«

»

»Hegt Ihr die Absicht, in Amerika zu bleiben?«

»Sobald ich meine Angelegenheiten erledigt habe, werde ich mich wieder um meine vernachlässigten Königspflichten kümmern. Es ist zu lange her, seit ich meine Rudel besucht habe.« Salvatore schnitt eine Grimasse und überlegte, wie viele Monate es wohl dauern würde, seine Angelegenheiten zu erledigen, bevor er zu seinem Versteck in Rom zurückkehren konnte. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Seine Verbindung zu seinen Rudeln musste gehegt und gepflegt werden. Und die einzige Methode, das zu bewerkstelligen, bestand darin, Zeit mit ihnen zu verbringen. »Ich hoffe, das Reisen sagt Harley zu.«

»Ist sie darauf vorbereitet, ihre Position als Königin einzunehmen?«

»Sie …« Salvatore griff nach seinem Hemd und zog es an, ließ es jedoch offen stehen. Einige Schnittwunden auf seiner Brust mussten noch heilen, und er wollte es nicht riskieren, Flecken auf der feinen Seide seines Hemdes zu hinterlassen. »Gewöhnt sich daran.«

Styx’ Gelächter hallte durch den Raum. Er ging zu dem Schrank im hinteren Bereich des Zimmers und schenkte ihnen beiden einen ordentlichen Schluck Whisky ein. Er kehrte zurück und drückte Salvatore eines der beiden Gläser in die willige Hand.

»Habt Geduld, amigo. Rassewölfinnen mögen ungemein halsstarrig sein, doch sie sind den Ärger durchaus wert.«

»Ihr müsst mich nicht von dem Wert meiner Gefährtin überzeugen.«

»Eigentlich war es eher als Beileidsbekundung gedacht. Euer Leben wird nie mehr dasselbe sein.«

Salvatore schnaubte. Als müsste man ihn daran erinnern … Sein Magen krampfte sich bereits zusammen, da er hin- und hergerissen war zwischen dem Impuls, nach oben zurückzukehren und Harley dazu zu zwingen, ihren Platz als seine Königin einzunehmen, und seiner Pflicht, die bestehende Gefahr für seine Werwölfe zu beseitigen.

Die Verbindung bestand nun seit … wann? Einigen wenigen Tagen?

Cristo.

»Ausnahmsweise stimme ich voll und ganz mit Euch überein.« Salvatore hob sein Glas zu einem spöttischen Trinkspruch und leerte es in einem einzigen Schluck. »Salute

Styx trank sein Glas ebenfalls aus und kniff die Augen zusammen. »Irgendetwas beunruhigt Euch.«

Salvatore schnaubte und stellte das leere Glas beiseite. »Ich dachte, Viper sei derjenige, der dafür berühmt ist, dass er in den Seelen anderer lesen kann?«

»Es ist keine besondere Gabe vonnöten, um zu spüren, dass Ihr abgelenkt seid. Geht es um Harley?«

»Nur teilweise«, gestand Salvatore. »Es ist notwendig, dass Ihr sie die nächsten Tage weiterhin beschützt.«

»Natürlich. Sie ist ein willkommener Teil meines Clans …« Styx legte eine Kunstpause ein. In seinen Augen lag ein verschmitztes Glitzern. »Bruder.«

Salvatore erschauerte. Er war noch nicht bereit, über die Konsequenzen nachzudenken, die sich daraus ergaben, dass nun eine so enge verwandtschaftliche Verbindung zu einem verdammten Blutsauger existierte.

»Erinnert mich nicht daran«, knurrte er.

Styx lachte leise und genoss Salvatores Leid in vollen Zügen.

»Ich vermute, Eure Bitte hat etwas mit den unerledigten Angelegenheiten zu tun, die Ihr vorhin erwähntet?«

»Meine Wolfstölen hielten sich in den Höhlen auf«, antwortete Salvatore. Sein Kiefer spannte sich an, als er sich ins Gedächtnis rief, wie Max gefoltert worden war und Fess unter Briggs’ Kontrolle gestanden hatte. Dafür würde dieser Hurensohn teuer bezahlen. »Ich muss mich vergewissern, dass es ihnen gelungen ist, dem Einsturz zu entkommen.«

»Ich könnte meine Raben aussenden.«

Salvatore blickte ihn überrascht an. Er war sich der Ehre vollkommen bewusst, die Styx ihm soeben erwiesen hatte.

Die Raben waren die persönlichen Leibwächter des Anasso und die bestausgebildeten Assassinen, die je auf Erden existiert hatten. Styx verlieh sie nicht wie DVDs.

»Grazie.« Salvatore neigte dankbar den Kopf. »Aber sie benötigen meine Gegenwart. Briggs tat noch mehr, als sie zu foltern. Er drang in ihre Gedanken ein. Nur ich kann sie heilen.«

Styx nickte. Salvatores Fähigkeit, seine Rassewölfe und Wolfstölen an seinen Heilkräften teilhaben zu lassen, war kein Geheimnis.

»Und nachdem Ihr Eure Wolfstölen gerettet habt?«

Heißer Zorn strömte wie Lava durch Salvatores Blut. »Ich habe die Absicht, Briggs zur Strecke zu bringen und so langsam und schmerzhaft wie nur möglich zu töten.«

»Seid Ihr Euch sicher, dass er überlebt hat?«

»Sicher?« Salvatore zuckte mit der Schulter. »Nein. Aber mein Instinkt sagt mir, dass er einer Kakerlake ähnelt, die sich weigert zu sterben. Bis ich seinen verwesenden Leichnam gesehen habe, werde ich davon ausgehen, dass er irgendwo dort draußen ist und weiteres Unheil plant.«

»Ihr hegt die Absicht, allein gegen ihn anzutreten?«

»Niemandem außer mir steht das Vergnügen zu, ihn zu töten.«

»Ich bestreite nicht Euer Recht, sondern Eure Logik.« Styx blickte ihn unverwandt an. »Besser als die meisten verstehe ich Euren Wunsch nach Vergeltung, doch Ihr dürft nicht zulassen, dass er Euch blendet. Ihr habt zu viel zu verlieren, um unnötige Risiken einzugehen.«

Ja, zum Teufel, er hatte alles zu verlieren.

Eine wunderschöne Gefährtin, die sein Herz mit Freude erfüllte, selbst wenn sie ihn in den Wahnsinn trieb.

Die Gelegenheit, den Werwölfen zu ihrem alten Ruhm zu verhelfen.

Einen neuen Lamborghini, der in St. Louis auf ihn wartete.

Doch das bedeutete nicht, dass er seine Pflicht ignorieren konnte.

»Es existiert kein Risiko. Ohne die Kräfte seines Meisters in Anspruch nehmen zu können, wird Briggs hilflos sein.«

»Ein in die Enge getriebener Dämon ist die gefährlichste Kreatur auf der Welt. Und Ihr könnt Euch nicht sicher sein, ob er nicht gegen eine solche Wendung des Schicksals gewappnet ist. Er könnte eine ganze Reihe von hässlichen Überraschungen für Euch vorbereitet haben.«

Salvatore verzog die Lippen. »Briggs ist zu arrogant, um die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ich den Dämonenlord möglicherweise besiegen könnte.«

»Du hast den Dämonenlord besiegt?«, fragte eine weibliche Stimme mit gefährlicher Selbstbeherrschung hinter Salvatore. »Was für ein selektives Gedächtnis Ihr doch habt, Euer Majestät.«

Salvatore seufzte auf und wandte sich um, um seiner Gefährtin in das wütende Gesicht zu blicken.

»Cristo

Ein angespanntes Lächeln lag Harley auf den Lippen. Salvatore hatte eine gefasste Miene aufgesetzt, die seine Schuldgefühle verbergen sollte.

Oh, er war so was von aufgeflogen.

Aber statt sich hämisch darüber zu freuen, dass sie diesen Herrn und Meister unvorbereitet erwischt hatte, spürte Harley, wie ihr Mund trocken wurde und eine Hitzewallung explosionsartig ihren Körper überrollte.

Heilige … Scheiße.

Wenn man vor einem halb nackten Aztekenkrieger und einem hinreißenden römischen Gott stand, war das mehr als genug Augenschmaus, um das Gehirn jeder Frau auszuschalten. Insbesondere, wenn ganz deutlich zu sehen war, dass die beiden gerade einen Sparringskampf beendet hatten. Salvatores rabenschwarzes Haar klebte an der feuchten Haut seines Gesichtes, und in seinen Augen flackerte goldenes Licht.

Er war ein gefährlicher Krieger, der sich nie völlig zähmen lassen würde.

Styx, der vielleicht spürte, dass sie nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, ging mit geschmeidigen Bewegungen auf Harley zu.

»Harley, ich bin entzückt zu sehen, dass du dich vollständig erholt hast. Ich hoffe, du hast alles, was du benötigst?«

Er wollte gerade nach ihrer Hand greifen, hielt aber abrupt inne, als Salvatore leise, aber grollend knurrte.

»Styx.«

Styx hob beschwichtigend die Hände. »Ganz ruhig, Wolf.«

Harley rollte mit den Augen. »Vielen Dank, Styx. Im Gegensatz zu manch anderem schätze ich deine großzügige Gastfreundschaft.«

Die Lippen des Vampirs zuckten. »Du bist eingeladen, so lange zu bleiben, wie du wünschst. Darcy ist glücklich, dich in der Nähe zu haben.«

Harley drehte sich um, um ihrem Gefährten einen warnenden Blick zuzuwerfen. »Im Moment scheinen meine Pläne in der Schwebe zu sein.«

»Ah.« Styx griff nach einem lockeren schwarzen Morgenmantel und zog ihn über. »Wenn Ihr mich entschuldigen wollt, ich muss mich entfernen.«

»Wohin müsst Ihr denn?«, erkundigte sich Salvatore.

Styx warf einen bedeutungsvollen Blick auf Harleys grimmige Miene.

»An einen beliebigen anderen Ort.«

Der König der Werwölfe schnaubte. »Verräter.«

»Reine Selbsterhaltung, amigo

Ein angespanntes Schweigen senkte sich herab, als der Vampir das Zimmer verlassen hatte. Harley war hin- und hergerissen zwischen dem Drang, Salvatore zu schlagen, und dem Bedürfnis, ihn auf den Boden zu werfen und ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Stattdessen ging sie ein paar Schritte zu dem Ständer, auf dem das schwere Schwert stand, um mit den Fingern über dessen Griff zu streichen.

Sie sollte eigentlich wütend auf den Werwolf sein, anstatt vor Sehnsucht danach zu vergehen, ihre Zunge über seine entblößten Brustmuskeln gleiten zu lassen.

»Na, habt ihr schön gespielt?«, fragte sie.

»Styx benötigte einen Sparringspartner.«

»Ja, darauf wette ich.«

Salvatore trat neben sie und strich ihr mit den Fingern eine widerspenstige Locke hinter das Ohr.

»Ich dachte, du wolltest den Abend damit verbringen, dir Filme anzusehen?«

Sie zuckte vor seiner sanften Berührung zurück. Er würde sie nicht mit Sex ablenken.

Zu schade.

»Und um dafür zu sorgen, dass ich das auch wirklich mache, hast du Darcy losgeschickt, damit sie mich ablenkt«, warf sie ihm mit angespannter Stimme vor.

»Ich schickte sie zu dir, damit sie dir Gesellschaft leisten sollte«, entgegnete er ruhig. »Styx sagte bereits, Darcy ist glücklich, dich als Gast zu beherbergen, und ich nahm an, du genössest es, Zeit mit deiner Schwester zu verbringen und sie kennenzulernen.«

»Du wolltest, dass ich zu beschäftigt bin, um zu merken, dass du dich wegschleichst wie ein Slugaugh-Dämon.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust und forschte mit einem grüblerischen Blick in ihrem Gesicht.

»Du warst diejenige, cara, die betonte, dass unsere Verbindung nicht mehr sei als reine Biologie«, rief er ihr ins Gedächtnis. »Weshalb sollte es dann eine Rolle spielen, ob ich zu gehen beabsichtige oder nicht?«

Harley mahlte mit dem Kiefer. Sie würde sich nicht von Logik oder Vernunft aufhalten lassen. Was sie sagte oder tat, musste nicht sinnvoll sein. Wenn sie sauer sein wollte, dann würde sie sauer sein.

»Du verfolgst Briggs, oder?«

»Meine oberste Priorität besteht darin, meine Wolfstölen in Sicherheit zu bringen. Briggs hielt sie in den Höhlen als Geiseln.«

Urplötzlich wurde Harley von Schuldgefühlen ergriffen. Natürlich machte sich Salvatore Sorgen um sein Rudel. Sie hätte ihm erzählen sollen, dass sie die Wolfstölen gesehen hatte, sobald sie aus den Höhlen freigekommen waren. Leider hatte sie auf der Fahrt zurück nach Chicago nicht klar denken können.

Das war eine der Nebenwirkungen, wenn man gegen einen Dämonenlord kämpfte.

Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf den Unterarm.
»Ich bin Fess zufällig begegnet, als ich nach dir gesucht habe.
Er war …« Sie hielt unvermittelt inne und überlegte sich ihre Wortwahl genau. Salvatore musste nicht daran erinnert werden, dass er gezwungen gewesen war, seinen armen Diener zu einem blutigen Klumpen zu schlagen. »Desorientiert, aber ich bin sicher, dass er es geschafft hat, die anderen zu befreien und sie aus den Höhlen nach draußen zu führen.«

Er verzog amüsiert die Lippen, als er ihren unüblichen Versuch vernahm, taktvoll zu sein.

»Selbst wenn sie nicht von dem Einsturz erwischt wurden, ist es nötig, dass sie sich in meiner Nähe aufhalten.«

Harley konnte ihm nicht widersprechen. Salvatore konnte den Wolfstölen dabei helfen, sowohl ihre physischen als auch ihre mentalen Wunden verheilen zu lassen, die ihnen zugefügt worden waren.

Zum Glück gab es alle möglichen anderen Dinge, über die man streiten konnte.

»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Verfolgst du Briggs?«

»Es ist meine Pflicht.«

»Das hat nichts mit Pflicht zu tun«, stieß sie hervor. »Du willst Rache nehmen.«

Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte. »Möglicherweise habe ich mehr als nur ein einziges Motiv, doch die Wahrheit ist, dass ich es nicht zulassen kann, dass dieser Bastard entkommt.« Die goldenen Augen glühten, und seine Stimme wurde rau vor Zorn. »Er hat die Werwölfe einmal beinahe vernichtet. Eine zweite Chance wird er dazu nicht erhalten.«

Harley verstand Salvatores Wunsch nach Rache. Wirklich. Aber das bedeutete nicht, dass sie ihn blindlings in eine mögliche Falle tappen ließ. Nicht, wenn er blind vor Wut war.

»Was könnte er denn ohne den Dämonenlord tun, der ihm magische Fähigkeiten verleiht?«

»Ohne Zweifel versucht er bereits, einen Weg zu finden, um das Portal erneut zu öffnen.«

Allein diese Vorstellung entsetzte Harley. »Großer Gott. Ist das möglich?«

»Ich habe nicht die Absicht, das herauszufinden.«

Sie kniff die Lippen zusammen. »Also besteht dein Plan darin, loszustürmen wie der Lone Ranger, um den Bösewicht zu fangen?«

Ein Anflug von Belustigung funkelte in seinen Augen. »Der Lone Ranger?«

»Ist dir Batman lieber? Hellboy? Der unglaubliche Hulk?«

Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und blickte ihr tief in die Augen.

»Spielt es denn eine Rolle, ob ich tatsächlich losstürme?«

»Und ob es das tut – und zwar eine verdammt große Rolle!«

»Weshalb?«

»Weil …« Sie leckte sich die trockenen Lippen. »Weil es dumm ist, so ein Risiko einzugehen. Du bist doch der König. Du hast unzählige Werwölfe und Wolfstölen, die Briggs umbringen können.«

»Wohl kaum unzählige.«

»Du weißt, was ich meine.«

Er senkte den Blick zu ihrem Mund und liebkoste ihre Mundwinkel mit dem Daumen.

»Ich könnte andere an meiner Stelle schicken, aber ich wäre nicht zufrieden, wenn ich nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte, wie er starb, vorzugsweise durch meine eigene Hand.«

Harley spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Es war nicht Begehren, das ihr den Magen zusammenzog. Wenn sie in Salvatores Nähe war, würde dies immer ihr Verlangen wecken. Nein, es war die entwaffnende Zärtlichkeit seiner Berührung, die alle möglichen gefährlichen Sachen mit ihrem Herzen anstellte.

»Na schön.« Sie war gezwungen innezuhalten und sich zu räuspern, damit die Heiserkeit aus ihrer Stimme verschwand. Wie eine schwärmerische Romantikerin. Verdammt. Entschlossen straffte sie die Schultern. »Aber allein zu gehen, das kannst du vergessen.«

Sein Daumen strich zart über ihre Unterlippe. »Erteilst du mir Befehle, cara

»Ich bin doch Königin, oder?«

Er hielt inne, und sein Blick glitt mit entnervender Intensität über ihr nach oben gewandtes Gesicht.

»Du sagtest, du willst nicht meine Königin sein. Hast du deine Meinung geändert?«

»Ich …« Ihr Mund war vollkommen ausgetrocknet.

Außerordentlich bedächtig und langsam senkte Salvatore den Kopf und gab ihr einen sanften Kuss auf den Nasenrücken.

»Harley?«

»Ich gehe mit dir.«

»Weshalb?«

»Deshalb.«

Salvatore wich ein Stück zurück und betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Das ist deine Erklärung? Deshalb?«

Harley achtete nicht auf die überhebliche Freude in seiner Stimme. Sie wollte ihre heftige Reaktion auf die Vorstellung, Salvatore könne sie zurücklassen, nicht analysieren.

Für sie war nur von Bedeutung, ihn davon abzuhalten, dass er irgendetwas Dummes tat.

»Meine Erklärung ist, dass du nicht allein gehst, und damit Schluss.«

»Das ist wohl kaum ein vernünftiges Argument«, wandte er ein.

»Na schön.« Sie schob das Kinn vor. »Entweder bin ich würdig, deine Königin zu sein, oder nicht. Wenn du darauf bestehst, Briggs zu verfolgen, dann gehen wir zusammen.«

Er hielt inne, als träfen ihn ihre Worte unvorbereitet. Dann senkte er mit einem Lächeln den Kopf.

».« Sein Kuss war sanft und genießerisch, als sei Harley der kostbarste Schatz der Welt. »Zusammen.«