Pembroke, Malta

 

Es war soweit, endlich. Er hatte seine Schicht vor einer Stunde begonnen und jede Minute gezählt, doch jetzt würde es bald vorbei sein. Er hatte Angst, aber er brauchte das Geld. Mit weichen Knien verließ er das Büro, das den Nachtwächtern als Aufenthaltsraum diente und trat in die Nacht hinaus. Das Meer war ruhig. Ein paar helle Sterne blinkten durch die Schleierwolken. Einzig das Licht aus dem Büro erhellte einen kleinen Teil der neuen Halle, sonst war es dunkel auf dem Gelände der amerikanischen Fabrik an der Küste von Pembroke. Die kühle Nachtluft roch nach Tang und beruhigte ihn ein wenig. Wie auf jeder Runde ging er auch diesmal zuerst ans Tor der Umzäunung. Der Schlüsselbund klirrte leise, als er mit zitternden Händen den passenden Schlüssel suchte und aufschloss. Alles blieb ruhig, nur das einschläfernde Plätschern der sanften Dünung war zu hören.

 

Plötzlich schossen sie unmittelbar vor seiner Nase aus dem Boden. Vier schwarze Gestalten mit Gesichtsmasken umringten ihn.

 

»Schlüssel!«, herrschte ihn einer an. Widerstandslos gab er ihm den Bund. Es war abgesprochen, dass ihm nichts geschehen würde. Nur fesseln sollten sie ihn, damit es aussähe wie ein Überfall. Er wartete wie angewurzelt auf weitere Befehle, doch die Männer machten keine Anstalten, Hand an ihn zu legen.

 

»Danke«, feixte der Sprecher der Vier zynisch, gab die Schlüssel einem seiner Kumpane, zog eine Pistole aus der Tasche und spannte seelenruhig den Hahn. Erst der metallische Klick löste die Starre des Wachmanns. In Todesangst sprang er zur Seite und rannte, laut um Hilfe schreiend, in die Dunkelheit hinaus. Es knallte, ein Querschläger prallte heulend vom felsigen Boden ab. Er rannte im Zickzack weiter zur Strasse hinauf, wagte keinen Blick zurück. Jeden Augenblick glaubte er, von einer Kugel niedergestreckt zu werden, doch ein zweiter Schuss blieb aus. Er rannte atemlos weiter, dem Städtchen entgegen und beruhigte sich erst, als er die belebten Strassen und Plätze von Paceville sah.

 

Die vier Eindringlinge lachten lauthals über den Hasenfuss, während sie in der Maschinenhalle ausschwärmten. Mit bloßen Händen rissen sie Kabel aus den Schaltkästen, verbogen Rohre, zertrümmerten alles mit Fußtritten, was ihnen in die Quere kam, jeden Tank, der zu Bruch ging, jedes geplatzte Rohr mit barbarischen Freudenschreien quittierend. Aus den Werkzeugschränken der Lagerhalle bedienten sie sich mit den schwersten Vorschlaghämmern und Äxten, die sie finden konnten, um ihr Zerstörungswerk zu vollenden. Sie veranstalteten eine Gewaltorgie, wie sie eine ganze Brigade von Maschinenstürmern nicht schlimmer hätte entfesseln können. Einer der Männer machte sich mit seinem spitzen Schlackenhammer an den Paletten des Ersatzteillagers zu schaffen.

 

Der Heidenlärm, den die Vandalen veranstalteten, übertönte jedes andere Geräusch, auch die heulenden Sirenen der heranrasenden Polizeiautos. Erst als die Wagenkolonne schon die schmale Zufahrtsstrasse zur Fabrik hinunterfuhren, gab einer der Männer das Zeichen innezuhalten. Auch ohne den kurzen Befehl des Anführers wusste jeder sofort, was zu tun war. Die Zerstörungswerkzeuge fielen scheppernd zu Boden, und die schwarzen Gestalten verschwanden wie der Blitz durch das Tor des Zauns, verschmolzen mit den dunklen Felsen der Küstenlandschaft, unsichtbar wie sie gekommen waren.

 

Das erste Polizeiauto fuhr durch das offene Tor. Es hielt mit quietschenden Reifen an. Zwei Beamte sprangen heraus. Während sie auf die Maschinenhalle zurannten, zogen sie ihre Pistolen. Die schwere Schiebetür stand einen Spalt offen. Der Vordermann gab seinem Kollegen ein Zeichen, dann schlüpfte er hinein, während der andere von außen sicherte. Ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem erstickten Schrei ließ den Mann am Eingang zusammenzucken. Vorsichtig trat er näher. Als er den Kopf in die Türöffnung steckte, traf ihn ein Faustschlag so hart mitten ins Gesicht, dass er bewusstlos zusammensackte. Die vierte schwarze Gestalt, der Mann aus der Lagerhalle, stürmte heraus, flitzte an den Polizisten vorbei, die eben aus den hinteren Wagen sprangen und verschwand wie seine Kumpane in der Dunkelheit.

 

»Ieqaf, pulizija!« – »Halt, Polizei!« Aufgeregte Rufe, Befehle und Schimpfwörter hallten durch die Nacht. Zwei Männer nahmen die Verfolgung des Flüchtigen auf, während die anderen in die Hallen eilten.

 

»Haqq!« – »Verdammt!«, fluchte einer der beiden Verfolger, als plötzlich ganz in ihrer Nähe der Motor eines Bootes angeworfen wurde. Das Geräusch entfernte sich schnell, die Rufe der Polizisten verhallten ungehört.

 

Ein ziviles Fahrzeug näherte sich der Anlage von der Hauptstrasse her mit atemberaubender Geschwindigkeit. Eine Frau sprang heraus und rannte aufgeregt zu den Hallen.

 

»Dr. Kiera Gilly, ich leite dieses Projekt. Ich habe Sie alarmiert«, stellte sie sich den Beamten hastig vor. »Was ist passiert?«

 

»Vandalen, sie sind uns leider entwischt«, knurrte der Einsatzleiter. »Sie haben zwei meiner Männer niedergeschlagen, aber sie werden es überleben. Es sieht übel aus, kommen Sie.«

 

Als Kiera sah, wie sinnlos zerstörerisch die nächtlichen Besucher gewütet hatten, verließen sie die Kräfte. Matt sank sie in die Knie und wäre hingefallen, hätte sie Luca nicht rechtzeitig aufgefangen. Sie schloss die Augen und dankte dem Schicksal, dass ihr Freund auch diese Nacht in ihrem Apartment im nahen St. Julian’s verbracht hatte. Sie schmiegte sich bebend an seinen Körper, wollte die Augen nicht mehr öffnen, das unbeschreibliche Chaos, das vor kurzem noch ihre brandneue Vorzeigefabrik gewesen war, einfach vergessen.

 

»Wenigstens hat die Alarmanlage noch Schlimmeres verhindert«, sagte Luca mit belegter Stimme nach einem Blick in die nahezu unversehrte Lagerhalle. Sie schlug die Augen auf und schaute ihn traurig an.

 

»Könnte es denn noch schlimmer sein?« Er strich ihr sanft übers Haar und murmelte unsicher:

 

»Für die Werkstätte und Ersatzteile blieb ihnen jedenfalls keine Zeit mehr.« Schweigend gingen sie durch die zerstörte Maschinenhalle. Auch wenn sie scheinbar teilnahmslos durch die Korridore und über die Plattformen schritt, entging ihrem scharfen Auge keine Kleinigkeit.

 

»Wer macht so etwas?«, fragte sie schließlich mit einem hilflosen Blick zu ihrem Freund. Er zog sie fester an sich und antwortete mit grimmiger Entschlossenheit:

 

»Man wird sie finden. Sie werden bezahlen, dafür sorge ich, versprochen.«

 

»Sei bloß vorsichtig«, lächelte sie müde.

 

»Doctor Gilly?«, unterbrach der Einsatzleiter. »Unsere Techniker von der Spurensicherung werden in Kürze eintreffen. Ich schätze aber, dass wir den Tatort morgen früh wieder freigeben können.« Sie nickte wortlos. Der Polizist deutete auf die beschädigten Maschinen. »Haben Sie schon eine Vorstellung vom Ausmaß des Schadens?«, fragte er sichtlich betroffen.

 

»Nur ganz grob. Wir werden das noch im Detail analysieren müssen. Die Katastrophe hat uns mit Sicherheit um mehrere Wochen, wenn nicht Monate zurückgeworfen. Was das heißt, kann ich beim besten Willen noch nicht sagen. Der einzige Lichtblick ist, dass wahrscheinlich Ersatzteile für die zerstörten Komponenten vorhanden sind.«

 

»Das ist gut«, rief der Beamte und ergänzte sogleich verlegen: »Ich meine, unter diesen Umständen.«

 

»Unter diesen Umständen«, wiederholte Kiera abwesend. Ihr war plötzlich ein Gedanke gekommen. »Was ist eigentlich mit dem Wachmann?«

 

»Verschwunden. Wir suchen ihn«, antwortete der Einsatzleiter. »Er wird uns einiges zu erzählen haben.«

 

»Steckt er mit drin?«, fragte Luca.

 

»Wir müssen davon ausgehen. Das Tor war nicht aufgebrochen. Die Täter müssen einen Schlüssel gehabt haben, oder jemand hat sie hereingelassen.« Kieras Blick wanderte vom Beamten zu ihren Freund. Hilflos fragte sie beinahe unhörbar:

 

»Warum?«

 

Sie erhielt keine Antwort.

 

Garfield Park, Chicago

 

Zutritt zum Mont Blanc hatte nur, wer eine der ganz seltenen goldenen Chipkarten besaß und überdies den Geheimcode kannte. Die meisten der Angestellten des Nahrungsmittelmultis Mamot SA kannten daher das fünfte Stockwerk des Hauses 1W am amerikanischen Hauptsitz im Süden Chicagos nur vom Hörensagen. Holzgetäfelt sollte das Reich des CEO Maurice Leblanc sein. Eine Alphütte inmitten gesichtsloser Geschäftsbunker, und wie jedes Gerücht, hatte auch dieses einen wahren Kern. Als Alicia Guyot aus dem Lift trat, wähnte sie sich zwar nicht in den Alpen, dafür war das Holz zu dunkel, die Maserung zu dezent, die Verarbeitung zu vornehm, eher glich die Etage dem gediegenen Kundenbereich einer Schweizer Privatbank. Als EVP Wasser für Asien und Amerika hatte die hochgewachsene Frau mit der asketischen Ausstrahlung eines Marathonläufers bereits eine steile Karriere hinter sich, doch sie war noch lange nicht am Ziel. Höchstens auf gutem Weg dorthin, wie sie jedes Mal mit einem gewissen Bedauern feststellte, wenn sie diesen Korridor entlang zur Direktionskonferenz schritt.

 

»Wie laufen die Verhandlungen mit den Häuptlingen?«, fragte sie spöttisch, als sie ihren Kollegen im Vorraum traf. Paul Krüger war für das Wassergeschäft in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika zuständig und stand zuoberst auf ihrer Abschussliste. Sie hielt nicht viel von der geografischen Aufteilung der Verantwortungsbereiche. Wasser war ein globales Geschäft, und je weniger sauberes Trinkwasser es gab, je schneller die traditionellen Landwirtschaftsgebiete der Erde verdorrten, desto großräumiger musste man denken. Ihr war klar, dass früher oder später nur ein Chef dieser Geschäftssparte überleben würde, und sie wusste genau, dass der nicht Krüger hieß.

 

»Wirst du gleich hören«, gab Krüger kaltschnäuzig zurück und ging ins Sitzungszimmer. Ein ironisches Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. Sie war bereits über jede Einzelheit seines Berichts informiert, brauchte der frohen Botschaft Krügers nicht erst zuzuhören, und sie hatte sich gut auf diese Sitzung vorbereitet.

 

Leblanc eröffnete mit den neusten konsolidierten Quartalszahlen des Konzerns, wie immer mit liebenswürdigem Lächeln, die Selbstsicherheit in Person. Diesmal hatte er allen Grund dazu, denn Umsatz und Gewinn wuchsen nahezu exponentiell. Der Agrarbereich und das Wassergeschäft profitierten geradezu unverschämt von den sich ausbreitenden Trockenzonen. Die schleichende Klimakatastrophe war ein einziger Segen für Mamot. Dass dies auch weiter so bleiben würde, bestätigte sich schnell durch die Berichte der Manager.

 

Die Reihe war an ihr.

 

»Alicia, ich gehe davon aus, dass du uns auch nicht enttäuschen wirst«, sagte Leblanc und nickte ihr zu. Sie wartete, bis das beifällige Gelächter über den kleinen Scherz des CEO verstummt war, bevor sie ihre kurze, aber wichtige Lektion begann.

 

»Danke für die Blumen, Maurice. Da die meisten Anwesenden nicht im Detail über die aktuelle Wassersituation informiert sind, möchte ich kurz über einen Markt ausholen, der uns mit Sicherheit noch sehr lange beschäftigen wird: Indien. Die Lage auf dem Subkontinent ist mit einem Wort katastrophal. Schon 2007, also noch vor der großen Trockenheit, die wir seit ein, zwei Jahren beobachten, betrug die total verfügbare Menge an erneuerbarem Süßwasser im Schnitt nur noch 1'622 Kubikmeter pro Person und Jahr. Gebiete, die weniger als 1'700 zur Verfügung haben, gelten als gestresst, bei 1'000 spricht man von chronischem Wassermangel, und dieser Marke nähert sich Indien beängstigend schnell. In weiten Teilen des Landes sinken die Grundwasserspiegel um mehr als einen Meter pro Jahr, teilweise sogar drei Meter. Wir haben nur Schätzungen, aber das International Irrigation Management Institute, IIMI, geht davon aus, dass das Grundwasser in Indien mindestens doppelt so schnell verbraucht wird, wie es sich wieder auffüllt. Ich denke, diese paar Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.«

 

Sie trank einen Schluck des Edelwassers aus den Bergen von Tennessee und beobachtete die Reaktion ihrer Kollegen. Wie es schien, hatte sie ihr Interesse geweckt. Alle Augen waren auf sie gerichtet, als sie fortfuhr:

 

»Was heißt das für Mamot? Durch unser Softdrinkgeschäft sind wir bereits gut positioniert bei der Förderung von Grundwasser aus großen Tiefen. Eine aufwändige Technologie, die sich kein einfacher Bauer leisten kann. Wir sitzen also an den noch verbleibenden lokalen Quellen. Diese erfolgreiche Strategie wird aggressiv weiterverfolgt. Ergänzt wird unser Angebot durch schnell wachsende Exporte in die Krisenregionen. Meine Mitarbeiter sind in diesen Minuten daran, einen langfristigen Großauftrag mit der Regierung des Bundesstaates Kerala im Südwesten des Subkontinents auszuhandeln.«

 

Sie drückte auf die Fernbedienung des Projektionssystems, um die einzige Präsentationsgrafik zu zeigen, die sie mitgebracht hatte.

 

»Dieses Chart verdeutlicht, was das in Zahlen für unseren Konzern bedeutet.« Erstauntes Raunen quittierte ihren Bericht. Das festgefrorene Lächeln auf dem Gesicht des CEO wurde noch eine Spur strahlender, als er sich bei ihr bedankte und das Wort an ihren Kollegen Krüger weitergab. Bei Leblanc wirkte die Aussicht auf einen noch fetteren Bonus wie eine Verjüngungskur.

 

Krüger war kein begnadeter Redner, aber sein Bericht über die Aktivitäten in Afrika barg doch genügend Sprengkraft, um die Kollegen wach zu halten. Es war ihm gelungen, dem Konzern ein riesiges Gebiet im Norden Ghanas zu sichern, auf dem Jatropha angebaut werden sollte.

 

»Die Samen der Jatrophapflanze sind überaus ölhaltig«, erklärte er. »Sie eignen sich perfekt für die Produktion von Biosprit. Wir profitieren gleich dreifach von diesem Geschäft. Erstens sorgen wir für die Bewässerung, zweitens liefern wir optimiertes Saatgut, das einen intensiveren Anbau ermöglicht und damit den Wasserbedarf noch steigert, und drittens dringen wir in den lukrativen Markt für Biotreibstoffe ein.«

 

»Sehr gut, ausgezeichnet«, lobte Leblanc. Sein sonniges Lächeln stand ihm gut. Alicia verriet durch keine Regung, dass sie bereit war, zuzustechen. Sie ging als Letzte zusammen mit dem CEO hinaus.

 

»Hast du eine Minute?«, fragte sie beiläufig.

 

»Für dich immer meine Liebe.« Galant hielt er ihr die schwere, gepolsterte Tür zu seiner Bürosuite auf und sie setzten sich auf das harte Leder der antiken Polstergruppe. »Warum so ernst?«, fragte er beunruhigt, während er sie forschend anblickte.

 

»Ich mache mir wirklich Sorgen, Maurice.« Er antwortete nicht, aber sein Lächeln wurde merklich kühler. »Es geht um diese Jatropha-Geschichte in Ghana.«

 

»Was ist damit?«

 

»Wir sollten da sehr vorsichtig sein. Ich hatte keine Zeit mehr, das vor der Sitzung mit Paul zu besprechen, darum komme ich gleich zu dir damit. Man hat mir einen vertraulichen Bericht einer Gruppe regionaler Umweltschützer zugespielt ...«

 

»Seit wann interessierst du dich für solche Chaoten?«

 

»Normalerweise hätte ich das Pamphlet gleich in den Papierkorb geschmissen, das weißt du. Aber in diesem Fall sind mir zwei Dinge sofort aufgefallen. Erstens taucht unser Name prominent auf in dem Schreiben, und zweitens zieht die Sache bereits Kreise bis ins Ministerium für Nahrung und Landwirtschaft.«

 

»Das – ist allerdings bedauerlich«, murmelte Leblanc nachdenklich. Ihre Taktik bewährte sich einmal mehr, doch das besorgte Gesicht verriet nichts von ihrer Befriedigung.

 

»Es wird behauptet, dass Mamot sich das Recht für die Rodung der vierzigtausend Hektar Land unrechtmäßig erschlichen hat.«

 

Leblanc brauste auf: »Paul wird doch nicht ...«

 

»Nein, natürlich nicht, das glaube ich auch nicht. Er hat sicher die nötigen Unterschriften, kein Zweifel. Aber die Sache wirft ein sehr schlechtes Licht auf uns. Egal, ob wir sie totzuschweigen versuchen oder ob wir unsere Anwälte loslassen.«

 

Sie hatte ihr Ziel erreicht, brauchte sich nicht weiter zu exponieren. Ihr Boss war nun genügend verunsichert, dass er sehr bald ein ernstes Wörtchen mit ihrem Intimfeind Krüger reden würde. Und sie war sehr zuversichtlich, dass der Kollege sich diesmal nicht herausreden konnte, denn sie hatte die Kopie der Vereinbarung mit dem lokalen Chief in ihren Unterlagen. Der Wisch war mit einem Fingerabdruck unterschrieben, denn der lokale Chief war Analphabet. Er hatte wohl nicht die geringste Ahnung, was im Vertrag stand, ganz abgesehen von der Bevölkerung, die offenbar nichts von diesem Deal gewusst hatte, bis es zu spät war. Die Anwälte würden so oder so noch viel Arbeit bekommen.

 

Sie war jetzt in der perfekten Stimmung für ihr abendliches Meeting.

 

Phoenix, Arizona

 

»Wohin gehen Sie?«, fragte Lee gereizt, als seine Begleiterin den Weg zu den Taxiständen am Phoenix Sky Harbor Airport einschlug.

 

»Taxi«, antwortete Marion schnippisch.

 

»Das sehe ich, aber was soll das? Ich dachte, wir mieten einen Wagen.«

 

»Das kostet Sie hier glatt dreissig Prozent mehr als in der Stadt.« Lee schüttelte nur den Kopf und schlug den Weg zur Autovermietung neben dem Terminal ein.

 

»Wenn sie Ihr Geld unbedingt loswerden wollen«, brummte sie gerade so laut, dass er es hören musste und trottete mit sauertöpfischer Miene hinter ihm her.

 

Er hatte sich keinen erholsamen Ausflug in den Süden vorgestellt, und bis jetzt behielt er leider Recht. Lange hatte er sich gegen den Besuch dieser mysteriösen Firma in Fountain Hills gesträubt, aber als alle Bemühungen, Kontakt mit dem Management aufzunehmen, scheiterten, musste er schließlich einlenken. Er wollte die leidige Pendenz mit dem Nachlass seines Vaters endlich vom Tisch haben und setzte sich mit der hartnäckigen Anwältin ins Flugzeug. Sie war höchst effizient, das musste er ihr zugestehen, denn bisher hatte sie ihren Kopf jedes Mal durchgesetzt. Er folgte ihren Ratschlägen wie ein Schoßhündchen den Befehlen seiner Herrin, und das ärgerte ihn am meisten.

 

Als hätte er nicht schon genug am Hals mit der unverarbeiteten Trennung von Anna und den unerklärlichen Sabotageakten in Indien und Malta. Um ein Haar mussten sie beide Projekte stoppen, doch nun kamen sie wenigstens mit zwei blauen Augen davon. Der Vorvertrag mit San Diego für eine dritte große Entsalzungsanlage kam genau zur richtigen Zeit, um einen weiteren Kredit aufzunehmen. Mit Hilfe dieses Geldes und der Erlöse aus den Versicherungen gingen die Arbeiten weiter, wenn auch mit ein bis zwei Monaten Verzögerung. Keine erfreuliche Situation, und nun musste er sich auch noch mit diesem Kaktus von Anwältin herumschlagen. Obwohl, ein ansehnlicher Kaktus war sie, wenn man diese Art Pflanzen mochte. Ihre akribische Datensammlung zeichnete ein ganz neues Bild von seinem Vater. Es war, als beschreibe das täglich wachsende Dossier einen Unbekannten. Aber hatte er ihn denn überhaupt gekannt? Im Grunde bestand ihre Beziehung doch stets nur darin, einander aus dem Weg zu gehen, die eigenen Vorurteile zu pflegen.

 

Ihre Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken.

 

»Wie bitte?«

 

»Ich sagte, wir hätten hier auf die 87 nach Norden abbiegen müssen.«

 

»Scheiße! Entschuldigung. Bei der nächsten Ausfahrt wende ich.« Sie grinste, als freute sie sich über seinen Fehler und sagte trocken:

 

»Nein, werden Sie nicht.«

 

»Wie wollen Sie das wissen?«

 

»Weil Sie nach vier Meilen in die North Gilbert einbiegen werden«, antwortete sie mit einem Blick in die Landkarte auf ihren Knien. »Die mündet auch in die 87 nach Fountain Hills.«

 

»Das nächste Mal teste ich das GPS, bevor ich einsteige.«

 

»Teurer Schrott«, sagte sie zu den vorbeifliegenden Büschen. Lee biss sich auf die Zunge und achtete diesmal besser auf die Strasse. Aus unerfindlichen Gründen wollte er in die Abzweigung einspuren, bevor sie wieder den Mund öffnete.

 

»Sieht überall gleich aus in dieser Wüste«, brummte er mürrisch, denn die öde Landschaft änderte sich auch bei der Einfahrt in den Fountain Hills Boulevard nicht wesentlich. Marion studierte schweigend die Karte. »Und jetzt?«, fragte er ungeduldig.

 

»Keine Ahnung. Die Adresse der Fabrik ist nicht auf der Karte zu finden, wie Sie wissen. Ich schlage vor, wir fragen an der nächsten Tankstelle.«

 

»Sie schlägt vor«, grinste er sarkastisch.

 

»Machen Sie sich lustig über mich?«

 

»Nie im Leben.« Der zufriedene Ausdruck blieb in seinem Gesicht. Ein kleiner Sieg, endlich hatte er sie ein wenig aus der Reserve gelockt.

 

Der Junge an der Tankstelle hatte noch nie etwas von einem Saddler’s Creek in Fountain Hills gehört, aber vielleicht war er überhaupt noch nicht über seinen Wohnblock hinausgekommen, wie Lee vermutete.

 

»Kennen Sie vielleicht eine Firma AZ Technologies in der Nähe?«, bohrte er weiter. Der junge Mann überlegte kurz, schüttelte dann den Kopf. »Autos, Lastwagen mit der Aufschrift AZ Tech oder AZT oder ähnlich?«

 

»Nein, Sir, nie gesehen.«

 

Lee warf seiner Begleiterin einen ratlosen Blick zu, worauf sie zum Laden deutete, wo eine ältere Frau an der Kasse saß. Sie ließen den Wagen stehen und gingen hinein.

 

»Saddler’s Creek – ja, da klingelt was«, sagte die Kassiererin und begann zu lachen. Die Adresse gibt’s nicht wirklich. Saddler’s Creek ist ein Übername.« Wieder kicherte sie. »Früher nannte man ein kleines, abgeschiedenes Tal am Nordrand der Stadt so, weil es dort ein Puff gab.«

 

»Ein Puff«, wiederholte Marion überrascht. Lee grinste und übersetzte:

 

»Ein Bordell.«

 

»Ich weiß was ein Puff ist!«, fuhr sie ihn an.

 

»Klar.« Er breitete die Karte vor der Frau aus und fragte: »Können Sie uns diesen Ort genau zeigen?« Sie setzte die Lesebrille auf, studierte die Karte eingehend, bevor sie mit dem Finger auf eine Stelle südlich des Indianerreservats zeigte.

 

»Hier muss es sein. Ich war ein wenig verwirrt, weil zwei große Häuser da stehen. Wird wohl Ihre Firma sein.« Lees Miene hellte sich auf.

 

»Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen.«

 

Marion wartete schon ungeduldig im Wagen. »So weltfremd wie Sie glauben bin ich gar nicht«, knurrte sie gekränkt, als er den Motor startete. Er drehte den Zündschlüssel zurück und schaute sie verwundert an.

 

»Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Mein Zynismus macht sich manchmal selbständig, hab ich wohl geerbt.«

 

Sie zuckte nur die Achseln. Er fuhr los.

 

Kaum befanden sie sich auf der Hauptstrasse nach Norden, sagte er leise, wie zu sich selbst: »Ich glaube, Sie sind alles andere als weltfremd.«

 

»Was soll das jetzt wieder heißen?«

 

Er beschloss, den Mund zu halten. Schweigend fuhren sie zur Stadt hinaus. Sie fanden nirgends einen Hinweis auf AZ Technologies. Auch die Abzweigung nach Saddler’s Creek war durch keine Tafel gekennzeichnet, nur ein schmales Sträßchen führte den Hügel hinauf.

 

»Warum gibt’s hier keine Lastwagen von dieser Firma?«, murmelte Marion nachdenklich. »Ziemlich ungewöhnlich.«

 

»Ja, und ziemlich einsam. Weit und breit kein anderes Fahrzeug..« Lee wunderte sich immer mehr über die rätselhafte und fürstlich entlohnte Beratertätigkeit seines Vaters. Nach fünf Minuten lag tatsächlich ein kleines Tal vor ihnen. Wie auf der Karte verzeichnet, standen zwei Häuser gleich Flugzeughangars auf der Ebene zwischen dem staubigen Grün der Hügel. Als sie näherkamen, bestätigte sich der erste Eindruck. Die Gebäude waren fensterlose, graue Wellblechhallen, immerhin mit unübersehbaren, weißen Lettern beschriftet: AZ Technologies Inc. Vor den Hallen befand sich ein Parkplatz, auf dem Lee vierundzwanzig Autos zählte, und das Ganze umschloss ein drei oder vier Meter hoher Stacheldrahtzaun.

 

»Fehlt nur noch der Wachtturm«, spottete Marion. Die Anlage machte in der Tat den Eindruck eines Gefängnisses. Ein massives Stahlgitter versperrte die Zufahrt. Lee parkte mitten auf der Strasse vor dem Tor, und sie stiegen aus. Unmittelbar hinter dem Zaun stand eine Art Wachhäuschen, aber nichts regte sich, als sie sich näherten.

 

»Hallo, jemand da?«, rief Lee so laut, dass seine Begleiterin unwillkürlich zusammenzuckte. Alles blieb ruhig.

 

»Wenn die Autos auf dem Parkplatz nicht wären, würde ich sagen, die AZ Technologies sind eine leere Filmkulisse«, bemerkte sie, ihr Gesicht ein einziges Fragezeichen. Ebenso verwirrt ging er zum Wagen zurück und drückte lange genug auf die Hupe, um jeden Siebenschläfer zu wecken. Diesmal ließ die Antwort nicht auf sich warten. Hinter den Hallen kläffte ein Hund, dem die Hupe gar nicht zu gefallen schien. Keuchend, bellend und gefährlich knurrend kam ein schwarzer Pitbull um die Ecke, der seinen Herrn an der straffen Leine hinter sich her zerrte. Der Mann trug eine Uniform, die man auf den ersten Blick durchaus mit der eines Militärpolizisten verwechseln konnte, bis auf die Bewaffnung. Statt des Sturmgewehrs hing eine hässlich kurze Maschinenpistole mit einem Magazin, lang, schlank, tödlich wie die schwarze Mamba am Schulterriemen. Schon von weitem war deutlich zu sehen, dass sein Finger den Abzug berührte.

 

»Jede Wette, die Waffe ist entsichert und durchgeladen«, knirschte Lee zwischen den Zähnen. Marion stand reglos neben ihm, starrte den martialischen Hundeführer mit großen Augen an und sah aus, als wollte sie im nächsten Augenblick die Hände in die Höhe strecken.

 

»Was wollen Sie?« Netter Empfangschef, dachte Lee, laut antwortete er mit einer ebenso ungehobelten Gegenfrage:

 

»Wollen Sie uns erschießen?« Der Mann verstand keine Ironie. Mit der Waffe im Anschlag blieb er breitbeinig vor ihnen stehen, neben sich sein nicht weniger bedrohlich knurrender Begleiter.

 

»Was wollen Sie?«, wiederholte er mit undurchdringlichem Gesicht. Marion erwachte endlich aus ihrer Starre. Trotz der furchterregenden Mündung trat sie näher ans Gitter, zeigte ihre Visitenkarte und sagte in einem Ton, als melde sie sich beim Empfang einer zivilisierten Firma an:

 

»Marion Legrand von Garrah, McKenzie und Partners, Washington. Wir möchten den Chef sprechen.« Der zweibeinige Pitbull musterte sie gelangweilt und antwortete mit steinerner Miene:

 

»Der Chef ist nicht zu sprechen.«

 

Lee platzte der Kragen. »Jetzt machen sie schon das verdammte Tor auf, Mann. Ich bin Lee O’Sullivan, der Sohn des Senators!« Es kam ihm nur schwer über die Lippen, aber hier musste er offensichtlich mit schwerem Geschütz auffahren. Sein Name beeindruckte den Wächter nicht im Geringsten, aber der Ton gefiel ihm scheinbar nicht. Er richtete den Lauf der Waffe auf Lees Brust und wiederholte emotionslos, als spreche er vom Band:

 

»Der Chef ist nicht zu sprechen.«

 

Mit rotem Kopf zischte Lee zurück:

 

»Ein paar andere Wörter kennen Sie wohl nicht, was? Wie wär’s zum Beispiel mit: Ich frage mal nach?« Plötzlich erweiterte sich das Vokabular des Wächters. Er sprang ein paar Schritte zur Seite, wo Marion mit ihrem Handy fotografierte und stellte sich vor die Kamera.

 

»Keine Bilder. Fotografieren verboten!«, rief er aufgeregt.

 

»Gibt es etwas, das hier nicht verboten ist?«

 

»Ja, abhauen«, knurrte der Mann und fuchtelte unmissverständlich mit der gefährlichen Waffe. Lee biss sich auf die Lippen. Er zählte innerlich langsam auf fünf, um sich etwas zu beruhigen, bevor er einen weiteren Versuch wagte:

 

»Hören Sie, ich verstehe, dass Sie auch nur Ihren Job machen, so wie wir. Aber wir sind den langen Weg von der Ostküste hierher gereist, um mit dem Management von AZ Technologies zu sprechen, da niemand ans Telefon zu kriegen ist. Also, würden Sie uns jetzt bitte anmelden? Es ist sehr dringend.«

 

»Ganz recht, Mister. Ich mache hier nur meinen Job. Und meine Anweisungen sind sonnenklar: keine Besucher, keine Auskunft, keine Fotos, kein gar nichts. Verstanden?«

 

Bevor Lee wieder ausrasten konnte, zupfte ihn Marion am Ärmel und flüsterte ihm ins Ohr: »Kommen Sie, es hat keinen Sinn. Wir werden mit einem Gerichtsbeschluss wiederkommen.«

 

Gerichtsbeschluss? So etwas konnte Monate dauern. Er wollte protestieren, doch sie drängte ihn mit eiserner Hand zum Wagen zurück.

 

»Was fällt Ihnen ein, ich bin noch lange nicht fertig mit dem Blödmann!«, schnauzte er sie an, als sie wieder im Auto saßen.

 

»Ich weiß, ich auch nicht, aber rohe Gewalt hilft hier nicht weiter, es sei denn, sie hätten auch so eine Artillerie im Handschuhfach.«

 

»Sehr witzig.« Er brauchte eine Weile, bis sich sein Puls wieder beruhigte. »Verscheucht, weggejagt wie zwei lästige Schmeißfliegen«, empörte er sich.

 

»Wir lassen uns schon etwas einfallen, keine Angst«, beschwichtigte sie. »Wir kommen da hinein, und wenn wir den Richter bemühen müssen. Diese Fabrik ist nicht die NSA.«

 

Er hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, war zu sehr damit beschäftigt, seinen Ärger zu pflegen. Er wendete den Wagen und fuhr zurück nach dem Städtchen mit dem schönen Namen Fountain Hills.

 

Unvermittelt sagte sie:

 

»Ich habe Hunger. Mit leerem Magen kann ich nicht denken.«

 

»Ein vernünftiger Satz«, brummte er mürrisch. Vielleicht kehrte seine Energie mit ein paar zusätzlichen Kalorien wieder zurück. Nach diesem demütigenden Erlebnis fühlte er sich schlapp und mutlos.

 

Sie hielten bei einer Trattoria und setzten sich in den schattigen Garten. In seinen Gedanken war er weit weg, in der Villa des Senators in Potomac. Welches Geheimnis versteckst du vor mir?, fragte er seinen Vater. Wie immer erhielt er keine Antwort.

 

»Pilze, Peperoni, extra Käse?«

 

»Wie bitte?« Er brauchte einen Moment, um Marions simple Frage einzuordnen. Nach einem kurzen Blick auf die verwirrende Vielzahl der Pizzavariationen in der Speisekarte vor ihm bestellte er einfach Pizza, ohne jede Schikane. Er brauchte irgendetwas zwischen die Zähne, aber Lust zu essen hatte er im Grunde nicht. Ganz anders seine Begleiterin. Sie blühte auf, als hätten sie sich zu einem extravaganten Dinner getroffen, suchte die schärfsten Zutaten aus, die der Süden zu bieten hatte und vergaß auch das Glas Rotwein nicht. Sie errötete leicht, als sie seine Verblüffung bemerkte.

 

»Wenn ich frustriert bin, bekomme ich Appetit«, erklärte sie, als müsste sie sich entschuldigen.

 

»Wie es scheint, werden sie sehr selten enttäuscht, gertenschlank wie Sie sind.«

 

Sie lächelte säuerlich. »Haben Sie eine Ahnung! Aber Danke für das Kompliment, wenn es denn eines gewesen ist.«

 

»Ist es«, antwortete er ernst. »Tut mir leid, wenn ich manchmal etwas grob erscheine. Ist eigentlich nicht meine Art, aber dieser Reinfall heute geht mir ganz schön an die Nieren. Wir haben noch nicht einmal einen Namen, an den wir uns halten können.«

 

Sie nickte nachdenklich. Nachdem sie eine Weile schweigend aufs Essen gewartet hatten, griff sie plötzlich in ihre Tasche, holte das Telefon heraus und begann aufgeregt Knöpfe zu drücken. Sie lächelte zufrieden, als sie ihm den kleinen Bildschirm vor die Nase hielt und sagte triumphierend:

 

»Wusste ich’s doch. Namen haben wir keine aber Zahlen.« Auf dem vergrößerten Bildausschnitt erkannte er deutlich ein Autokennzeichen.

 

»Die Nummern der geparkten Wagen!«, rief er erfreut. »Sie sind die Größte.« Ein wenig ärgerte ihn schon, dass er nicht selbst auf diese Idee gekommen war, aber das trübte seine Freude über die wertvolle Entdeckung nicht.

 

»Wenn Sie einverstanden sind, werde ich diesen Nummern nachgehen. Einer der Besitzer wird wohl reden. Wenn nötig helfen wir mit etwas Kleingeld nach. Ist das O. K.?«

 

Selbstverständlich war er einverstanden. Alles was diese leidige Angelegenheit schneller aus dem Weg räumte, war gut. Die Kellnerin trug das Essen auf und Marion fiel mit Heißhunger über ihren Pizzaberg her, während er sie amüsiert aus den Augenwinkeln beobachtete. Eigentlich ist die hübsche Kratzbürste ganz in Ordnung, dachte er.

 

Capitol Hill, Washington DC

 

Senator Douglas erhob sich von der Bank unter der alten Eiche im Innenhof des Russell Senate Office Building. Die fünf Minuten im Grünen vor dem Hearing gönnte er sich bei fast jedem Wetter. Er hatte die kleine Gruppe altbekannter Kämpfer gegen Big Coal, die mächtige Lobby der Kohlekraftwerke, auf zehn Uhr in den Saal SR-253 bestellt und rechnete mit einem frühen und ausgedehnten Lunch mit angenehmeren Besuchern aus dem Süden bei Charlie Palmer. Eine Stunde, mehr Zeit würde er nicht brauchen, um den Wirrköpfen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wie jedes Mal, wenn es eine gute Gelegenheit gab, seine Gegner in die Pfanne zu hauen, freute er sich auf die Begegnung. In dieser Hinsicht stand er dem verblichenen Senator O’Sullivan in nichts nach.

 

»Alles dabei?«, flüsterte er ohne die Lippen zu bewegen, als er neben seinem Privatsekretär Platz nahm. Sein Vertrauter nickte lächelnd. Selbstverständlich hatten sie sich beide bestens auf diese Sitzung vorbereitet, so wie die vier Zeugen am Tisch unter ihnen anscheinend auch. Jedenfalls kam ihr Wortführer Wolford, der alte Wolf, gleich auf den Punkt, als er das Wort erhielt.

 

»Herr Vorsitzender, ich möchte mich zuerst in meinem Namen und im Namen der hier anwesenden Zeugen bedanken, dass wir unser wichtiges Anliegen vor Ihrem Subcommittee vorbringen dürfen. Wie Sie unserer Dokumentation entnehmen können, wird fünfzig Prozent der elektrischen Energie in diesem Land in Kohlekraftwerken erzeugt. Kohle liefert viel mehr Energie als jede andere einzelne Energiequelle. Umgerechnet bedeutet das, jede Person in den Vereinigten Staaten verbraucht im Schnitt zwanzig Pfund Kohle für seinen Strombedarf, jeden Tag.«

 

»Sie sagen es«, zischte der Senator zwischen den Zähnen, während er seine Akten zu studieren vorgab. Der alternde Aktivist am Zeugentisch trank einen Schluck Wasser, bevor er weiterfuhr:

 

»Es ist uns sehr wohl bekannt, dass Kohle reichlich vorhanden und billig zu gewinnen ist in unserem Land. Leider aber ist dieser Energieträger auch schmutzig und gefährlich. Ich weise auf die umfangreiche Zusammenstellung schrecklicher Minenunfälle in Pennsylvania, Kentucky, Virginia und anderen Staaten hin, wo durch Nachlässigkeit der Betreiber dutzende Arbeiter ihr Leben lassen mussten. Der Punkt, den ich hier mache, ist, dass Kohle unter anderem so billig ist, weil es zuwenig griffige Sicherheitsvorschriften für die Minengesellschaften gibt und weil die Vorschriften nicht rigoros durchgesetzt werden, dort wo es sie gibt.«

 

Douglas zog demonstrativ ein dickes Dossier aus seinen Akten, hielt es mit der Rechten hoch und sagte mit väterlicher Stimme, als müsste er einen Schüler beruhigen:

 

»Das sind tragische Unfälle, Mr. Wolford, die jedoch seriös abgeklärt worden sind, wie ich in diesen Berichten gelesen habe. Die Untersuchungen haben kein Verschulden der Minengesellschaften ergeben. Das Unglück 2002 in Quecreek zum Beispiel war eine Naturkatastrophe, eine Flut, die ins Bergwerk eingedrungen ist.«

 

»Hätte die Gesellschaft die Sicherheit nicht fahrlässig vernachlässigt, würden diese Menschen noch leben, Herr Vorsitzender. Wie Sie wissen, wurde die Firma damals zu einer Geldbuße verurteilt.«

 

»14.100 Dollar, lese ich hier«, schmunzelte der Senator verächtlich.

 

»Lächerlich, nicht wahr?«, stimmte ihm Wolford ironisch zu. »Allerdings hat die gleiche Firma anschließend eine halbe Million Dollar Staatsgelder für die Kosten der Rettungsaktion erhalten.«

 

»Was jetzt nicht hierher gehört.«, entgegnete Douglas mit giftigem Blick. »Ich bitte den Zeugen, beim Thema zu bleiben.«

 

»Selbstverständlich, entschuldigen Sie, Herr Vorsitzender.« Es war dem alten Wolf anzusehen, dass ihm der gelungene Seitenhieb kindliche Freude bereitete. »Ungleich gefährlicher als der Abbau von Kohle ist es jedoch, sie zu verbrennen. Ich verweise auf die Anlage 2 unserer Dokumentation. Kohlekraftwerke sind verantwortlich für sechzig Prozent aller Schwefeldioxid-Emissionen in unserem Land, ebenso stoßen sie zwanzig Prozent der Stickoxide und gar über dreißig Prozent des Quecksilbers aus, das unsere Umwelt vergiftet. Das führt zu horrenden Gesundheitskosten, wie wir ausführlich darlegen. Ich möchte besonders auf die Untersuchung von Joel Schwartz hinweisen, wonach mehr Menschen durch Feinstaub und Luftverschmutzung sterben als durch AIDS.«

 

»Und das alles haben die Betreiber der Kohlekraftwerke zu verantworten?«, unterbrach Douglas, wobei er sein verächtliches Grinsen gar nicht zu verbergen suchte.

 

»Mit Verlaub Sir, ja das glaube ich. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Ich komme nun zu meinem letzten und wichtigsten Punkt, wenn Sie erlauben.« Er machte eine Kunstpause, trank nochmals einen Schluck Wasser und räusperte sich, bevor er fortfuhr: »Die bisher aufgeführten Probleme der Kohlekraftwerke sind schlimm genug, weit schlimmer ist jedoch ein anderes Problem: der CO2-Ausstoß. Noch immer sind die Kohlekraftwerke für vierzig Prozent, fast die Hälfte der Kohlendioxid-Emissionen der Vereinigten Staaten verantwortlich, und das zu einer Zeit, da der Klimawandel längst im Gang ist, die Trockenperioden auch unser Land gefährden, der Wassermangel akut wird in der Landwirtschaft.« Er blickte mit ernster Mine zuerst seinem Gegenüber in die Augen, bis der Senator blinzelte, dann hinüber zu den wenigen Journalisten und Zuschauern, die sich in dieses Hearing verirrt hatten. Seine Stimme wurde noch eindringlicher, als er schloss: »Das, Herr Vorsitzender, sind die Gründe, weshalb wir die in Anlage 3 beschriebene schrittweise Stilllegung der Kohlekraftwerke fordern. Das Amerikanische Volk hat Besseres verdient.«

 

Darauf hatte Douglas gewartet. Ein hintergründiges Lächeln umspielte seine Lippen, als er Wolford seinen ersten Köder hinwarf.

 

»Es ist dem Zeugen doch sicher bekannt, dass sich die technologischen Fortschritte nicht von der Hand weisen lassen«, begann er freundlich. »Mittlerweile gibt es wirksame Filter und Waschanlagen für die Abgase der Kraftwerke.«

 

»Das ist richtig, aber die Messwerte ...«

 

»Aus welchem Jahr stammen Ihre Zahlen?«, unterbrach Douglas scharf. Sein Sekretär hatte ganze Arbeit geleistet, denn wie erwartet zögerte Wolford mit der Antwort, sichtete nervös seine Unterlagen, als wüsste er die Antwort nicht ganz genau. Der Umweltschützer kam ins Schwitzen, gut.

 

»Die letzten Messungen sind vor einem Jahr gemacht worden, Sir.«

 

»Vor einem Jahr?« Douglas blickte überrascht in die Runde. »Bei den heutigen rasanten Fortschritten der Technologie ändert sich viel in einem Jahr, nicht wahr?« Wolford öffnete den Mund, aber der Senator schnitt ihm das Wort ab: »Es sind also alte Zahlen, die wir hier diskutieren. Ich denke nicht, dass wir uns länger mit der Vergangenheit beschäftigen sollten. Wir müssen nach vorne schauen. Es geht immerhin um die gesicherte Energiezukunft der Vereinigten Staaten von Amerika.« Wolford und seine Mitstreiter ließen die Köpfe hängen, als säßen sie auf der Anklagebank. Ein paar Sekunden herrschte peinliche Stille im Saal, bis ihr Sprecher einen weiteren Versuch unternahm, seinem Anliegen doch noch Gehör zu verschaffen:

 

»Auch wenn die Zahlen ein Jahr alt sind, zeigt der Trend doch klar in die falsche Richtung. Die Emission von CO2 jedenfalls hat in den letzten Jahren klar zugenommen.«

 

Douglas nickte zustimmend und stellte seine nächste, überraschende Frage mit freundlichem Lächeln:

 

»Dieses Treibhausgas ist doch einer der Hauptverursacher der globalen Erwärmung, nicht wahr?«

 

»Ja, so ist es«, antwortete Wolford vorsichtig. Er war auf der Hut, fragte sich wohl wie viele andere im Saal, worauf Douglas mit seiner rhetorischen Frage hinaus wollte.

 

»Mr. Wolford, Sie haben uns eine umfangreiche Dokumentation mit vielen eindrücklichen Zahlen vorgelegt, auch wenn diese nicht auf dem neusten Stand sind. Lassen Sie mich nun auch ein paar Fakten darlegen.« Er nickte seinem Sekretär zu, worauf dieser eine Schautafel enthüllte, die unbeachtet auf einem Dreibein in der Ecke gestanden hatte. »Sehen Sie sich bitte die beiden Linien auf dieser Grafik an. Es ist eine Übersicht über Durchschnittstemperatur und Trockenperioden in den USA über die letzten zehn Jahre. Wie Sie sehen, haben wir auch die neusten Zahlen nicht vergessen.« Man hörte beifälliges Raunen und vereinzeltes Kichern. Der Senator lehnte sich befriedigt in seinem Sessel zurück, ein Richter, der sich seines gerechten Urteils sicher ist. »Die rote Linie zeigt die beängstigende Zunahme der Trockenheit, wie Sie selbst richtig bemerkt haben. Das ist eines der größten Probleme, mit denen sich unsere Landwirtschaft, und allmählich die ganze Wirtschaft konfrontiert sieht. Da muss ich Ihnen leider zustimmen.«

 

Er legte eine dramatische Pause ein, bis das erneute Raunen verstummte, dann setzte er zu seinem vernichtenden Schlag an: »Die grüne Linie zeigt den Verlauf der Durchschnittstemperatur im gleichen Zeitraum. Wie Sie sehen, hat sie seit fünf Jahren kontinuierlich abgenommen, nicht zugenommen, wie man aus der Zunahme des CO2-Ausstoßes schließen müsste. Korrigieren Sie mich, aber ich sehe hier beim besten Willen keine Klimaerwärmung. Die CO2-Emissionen unserer Kohlekraftwerke können also keineswegs das dringende Problem sein, das wir jetzt sofort lösen müssen. Sie wollen doch auch nicht, dass wir die Kohlenenergie einfach durch Kernenergie ersetzen, nicht wahr? Atomkraftwerke wären nämlich CO2-frei.«

 

Die Reaktion des Publikums setzte nach einer Schrecksekunde lautstark ein. Das Hearing war vorbei, noch bevor es Douglas offiziell für beendet erklärte. Kopfschüttelnd und mit hängenden Schultern verließ Wolford den Saal mit seinen Gefährten. Keiner sprach ein Wort, im Gegensatz zur Entourage des Senators.

 

»Gute Arbeit, Jim«, murmelte er höchst zufrieden, als er sich von seinem Privatsekretär verabschiedete. Fünf nach elf, O. K., er hatte fünf Minuten länger gebraucht als geplant, um den Vorstoß der grünen Träumer an die Wand zu fahren. Kein Problem, die Bewunderung seiner Anhänger aus Arizona war ihm trotzdem sicher. Er hatte Charlie Palmers saftiges Steak redlich verdient. Es angenehmer Lunch erwartete ihn.

 

Flagstaff, Arizona

 

Niemand konnte ernsthaft behaupten, Ken Holden, der Chef der Clearwater Kohlekraftwerke im Osten Flagstaffs, wäre auf den Mund gefallen. Mitarbeiter, Freunde und Feinde kannten ihn als geselligen, bodenständigen Kerl, der stundenlang über nichts reden konnte. Doch was sich nun unter dem Fenster seines Büros am Fuß des Devils Head abspielte, verschlug selbst ihm die Sprache. Er und seine Leute waren es gewohnt, hin und wieder von ein paar verirrten Umweltschützern mit orthografisch fragwürdigen Parolen auf Pappkarton belästigt zu werden, aber dieser organisierte Massenaufmarsch bedeutete nichts anderes als Krieg. Seit über einer Stunde herrschte hier Belagerungszustand. Die Sprüche auf den Plakaten wurden zunehmend aggressiver.

 

Hilfe, wir kriegen keine Luft!

 

Hört auf uns anzulügen – saubere Kohle gibt es nicht!

 

Stoppt die Kohle!

 

Schleift die Dreckschleuder!

 

Er hatte aufgehört zu zählen, aber es mussten hunderte wütender Demonstranten sein, die immer wieder im Chor skandierten: »Stoppt die Kohle, stoppt die Kohle, ...« Allmählich drohte ihm die Sache über den Kopf zu wachsen. Der Mob besetzte nicht nur das Werksgelände, die Leute blockierten auch die wichtigen Zufahrtswege vom Highway 89. Wenn das noch lange so weiterging, mussten sie den Betrieb herunterfahren. Und er fragte sich bange, wann die ersten Steine fliegen würden.

 

»Ken«, meldete sich seine Sekretärin schüchtern und hielt ihm den Telefonhörer hin. »Der Gouverneur.« Sichtlich erleichtert ergriff er den Rettungsanker und rief ins Telefon:

 

»Governor, Lucy, Gott sei Dank, dass du zurückrufst. Hier ist die Hölle los!«

 

»Das höre ich durchs Telefon. Habt ihr Krieg?«

 

»Das kannst du laut sagen. Unsere Männer und die Polizei geben sich alle Mühe, aber die Meute ist einfach zu groß. Ich befürchte ...« Die Gouverneurin unterbrach ihn:

 

»Willst du mir nicht erst einmal sagen, was überhaupt passiert ist?«

 

Er schilderte in grellen Farben, was sich zu seinen Füßen abspielte und lieferte auch gleich die Erklärung dafür: »Weißt du, was ich glaube, Lucy? Ich glaube, die Leute sind fuchsteufelswild, weil es immer noch vernünftige Leute in Washington gibt, die uns keine weiteren Steine in den Weg legen wollen. Wir haben weiß Gott schon genug investiert für Sicherheit und saubere Energie.«

 

»Ja, ja, ich kenne deine Sprüche, Ken. Hör mal, ich habe wenig Zeit. Ich schlage vor, wir schicken dir Verstärkung aus Phoenix hinüber, um die Zufahrt und den Betrieb zu sichern. In spätestens zwei Stunden sind sie da. Die Demonstranten lassen wir schön in Ruhe. Irgendwann werden sie von selbst müde und kehren heim. Nur keine Provokation.«

 

»Werde mich hüten«, brummte Ken, aber er war zufrieden. Die Angelegenheit hatte nun die nötige Management Attention. »Vielen Dank, Governor.« Es half nichts, er musste sich in Geduld üben, so schwer es ihm auch fiel.

 

Nach dem Telefongespräch setzte er sich etwas ruhiger an den Schreibtisch und begann, die Pendenzen abzuarbeiten. Die Wichtigste war nirgends notiert. Eine heikle Sache, bei der man besser keine schriftlichen Spuren hinterließ. Er griff zum Telefon.

 

»Tut mir leid, Mr. Holden, Mrs. Harper ist im Kesselhaus.«

 

»Was in Gottes Namen treibt sie denn in diesen Ofen, friert sie?« Er lachte lauthals über seinen gelungenen Scherz.

 

»Sie zeigt den Herren von MCT das Werk. MCT ist einer der Anbieter für die neuen ...«

 

»Ich weiß, wer die Leute sind, danke. Beth soll die Führung beenden und sofort in mein Büro kommen, sagen Sie ihr das. Es ist dringend.« Die Führung war ohnehin gegenstandslos, aber das wusste die gute Beth Harper noch nicht. Ein wenig tat ihm die Projektleiterin leid. Sie hatte viel Zeit und Energie in die Ausschreibung für den Bau der neuen CO2 Waschanlage investiert, aber die Götter in Washington hatten nun mal entschieden, nichts zu entscheiden.

 

»Beth, gut, dass du so schnell kommen konntest«, begrüßte er seine altgediente Angestellte, als sie atemlos zur Tür hereinplatzte.

 

»Du hast mir ja keine Wahl gelassen. Was gibt’s denn so Dringendes?«

 

»MCT waren die letzten?«

 

»Ja, mein Assistent betreut sie weiter.«

 

»Gut, obwohl du sie auch gleich hättest nach Hause schicken können, fürchte ich.«

 

»Nach Hause – wie meinst du das?« Sie musterte ihn misstrauisch. »Hat es etwas mit der Demo zu tun?«

 

Er schüttelte den Kopf, sagte nur: »Setz dich doch«, aber Beth zog es vor, stehen zu bleiben. Er wusste, dass er ihr nichts vormachen konnte und beschloss, nicht lange um den heißen Brei herum zu reden. »Wir stoppen das Projekt.«

 

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt und starrte ihn ungläubig an. »Sag, dass das nicht dein Ernst ist!«, rief sie. »Die Evaluation ist beinahe abgeschlossen. Ken, es geht um fünf Millionen!«

 

»Eben«, murmelte er. Er hasste es, zu ihr aufzuschauen und erhob sich. In väterlichem Ton versuchte er ihr seine Entscheidung zu erklären, doch sie winkte schnell ab:

 

»Das ist Bullshit, Ken. Du brauchst mir die Kröte nicht schmackhaft zu machen. Es bleibt eine Kröte und ich werde sie schlucken, aber du kannst nicht erwarten, dass sie mir sonderlich mundet. Was ist der wahre Grund?«

 

Er grinste erleichtert. Er hatte sie richtig eingeschätzt, auf Beth war Verlass. Seine Entscheidung bedeutete, dass sie und ihr Projektteam ein Jahr lang mit Leib und Seele für den Papierkorb gearbeitet hatten. Trotzdem steckte sie die Niederlage ein, ohne den Kopf hängen zu lassen.

 

»Also gut, lassen wir die Spielchen, Beth. Der Grund, warum wir die fünf Millionen sparen können, ist die erfreuliche Pattsituation in Washington. Unsere Gegner sind einmal mehr grandios abgeblitzt mit ihren extremen Forderungen, dank der tatkräftigen Unterstützung des Senatskomitees. Wir müssen also weiterhin nicht mit verschärften Kontrollen und Vorschriften rechnen. Du wirst verstehen, dass ich unter diesen Umständen nicht bereit bin, das Geld für eine luxuriöse Filteranlage rauszuschmeißen.«

 

Sie schaute ihn lange schweigend mit zusammengekniffenen Lippen an. Es war nicht zu übersehen, dass sie mit sich kämpfte. Er erwartete eine giftige Bemerkung, aber sie drehte sich schließlich auf ihren Absätzen und fragte auf dem Weg zur Tür lediglich:

 

»Sonst noch was?«

 

»Nein.« Die Tür fiel schon wieder zu hinter ihr, als er hinzufügte: »Sorry, Beth.« Er ging zu seinem Wandschrank, schob die paar Bücher zur Seite, packte die dickbauchige Flasche, die er im Gegensatz zu den Büchern schon oft geöffnet hatte und goss sich eine großzügige Ration des köstlichen Tequila ein. Der erste Teil der Pendenz Nummer eins war erledigt, der zweite würde weniger Nerven kosten. Unter seinen Fenstern ging die Demonstration mit unverminderter Lautstärke weiter, aber sie hatte ihren Schrecken verloren. Diese Leute verschwendeten nur ihre Zeit. Bald würde die Verstärkung aus Phoenix dafür sorgen, dass der Betrieb ungestört weiterging. Er setzte sich entspannt an den Schreibtisch und ließ sich zur Buchhaltung durchstellen.

 

»Schöne Scheiße da draußen«, schimpfte der CFO, als er seine leuchtend weiße Mähne zur Tür hereinstreckte. Ken schmunzelte. Er kannte seinen Vertrauensmann schon seit der Highschool und schätzte dessen direkte Art im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten.

 

»Beth war eben hier. Das Projekt ist Geschichte.«

 

»Gut für unseren Bonus«, brummte der CFO. Ken lachte.

 

»Du sagst es. Die fünf Millionen bleiben in der Kasse, aber die Provision müssen wir jetzt natürlich zahlen, wie wir besprochen haben.«

 

»Zwanzigtausend?« Ken nickte. Verglichen mit dem Ersparten war es ein lächerlicher Pappenstiel, den die Buchhaltung an Ritter und Co., den bewährten Treuhänder in Chicago, überweisen würde.

 

Business District, Washington DC

 

Das Licht ging plötzlich aus. Marion schreckte in ihrem Sessel hoch und wedelte mit den Armen, bis die Sensoren ihre Bewegung registrierten und die Leuchtröhren eine nach der anderen wieder aufflackerten. Sie musste lange unbeweglich über ihren Akten gebrütet haben. Stöhnend rieb sie sich den Rücken, stand auf und streckte sich. Die Fenster der Büros gegenüber waren dunkel, außer der Reihe im neunten Stock, wo der unbekannte junge Mann am Computer saß. Er hatte sie bemerkt, winkte begeistert und hielt ein großes Blatt Papier ans Fenster. Hungrig, Essen? stand drauf. Sie schmunzelte. Es war nicht das erste Mal, dass er sie auf diese Art zu verführen versuchte. Beinahe bedauerte sie, ihn schon wieder enttäuschen zu müssen, aber ihr Arbeitstag war noch nicht zu Ende. Grund genug jedenfalls, sich nicht ernsthaft mit anderen Ausflüchten beschäftigen zu müssen. Sie schwenkte die Schachtel mit der erkalteten Pizza am Fenster und zuckte bedauernd die Achseln, worauf ihr Gegenüber das Blatt wendete. Schade! stand auf der Rückseite.

 

Lachend und angewidert zugleich klaubte sie ein Stück des fettigen Fladens aus dem aufgeweichten Karton. Das Zeug war nur noch mit rauen Mengen Cola zu genießen, aber sie musste ihren Magen auf irgendeine Weise ruhigstellen, ohne Zeit zu verlieren. In ihrem Single-Dasein empfand sie das Essen als lästige Pflichtübung, die sie bisher so schnell und effizient erledigt hatte wie die Suche nach Präzedenzfällen im Büro. Bisher, außer dem einen Mal im Garten der bescheidenen Trattoria in Fountain Hills. Sie hatte vergessen oder verdrängt, wie es sich anfühlte, zu zweit an einem gedeckten Tisch zu sitzen und von einem Teller zu essen, mit Besteck, das nicht aus Plastik bestand, sich bei einem Glas Wein zu unterhalten. Beängstigend gut fühlte es sich an.

 

Unwirsch verscheuchte sie die lähmenden Gedanken. Sie kippte die Schachtel mit dem Rest der Pizza in den Abfalleimer, wischte die öligen Finger an der Papierserviette ab und öffnete die Mappe mit den Unterlagen aus Arizona. Zuoberst lag der Zettel mit User-ID und Passwort für die Webseite, die ihr der Kollege aus der IT für die Suche nach Autonummern empfohlen hatte. Sie breitete die ausgedruckten Handyfotos auf dem Schreibtisch aus und trug alle Nummern der geparkten Wagen, die sie entziffern konnte, in eine Liste ein. Sieben Nummernschilder waren zu erkennen, allesamt mit dem charakteristischen dreifingrigen Saguaro in der linken unteren Ecke, dem Wahrzeichen des Wüstenstaates Arizona. Sie tippte die Adresse des Suchdienstes in die Kopfzeile des Browsers und meldete sich an.

 

Willkommen zurück, Gringo, begrüßte sie die Webseite. Sie fand nicht auf Anhieb was sie für ihre Suche benötigte, denn unter dem Pseudonym ihres Kollegen standen ihr praktisch sämtliche Regierungsdatenbanken offen. Das Material, das auch die Bullen benutzten, wie Gringo stolz behauptete. Gespannt tippte sie die Daten des ersten Nummernschilds ein. Das System ließ sich Zeit. Ungeduldig drückte sie die ENTER-Taste ein zweites Mal, ohne Erfolg. Endlich erschien die verblüffende Antwort auf dem Bildschirm: »Nummer nicht gefunden«, zusammen mit ein paar hilfreichen Tipps, was sie bei der nächsten Suche besser machen könnte. Ärgerlich tippte sie die Ziffern und Buchstaben, diesmal konsequent groß geschrieben, ein zweites Mal ein. Wieder dauerte es einige Zeit, bis die gleiche Antwort erschien.

 

»Das fängt ja gut an«, murrte sie. Sie tippte die nächste Nummer aus ihrer Liste ein, mit dem gleichen Ergebnis. Als die Suchmaschine auch die dritte Nummer nicht fand, wurde sie richtig wütend. Sie schlug auf die Tasten ein, als könnte sie dem widerborstigen System die Flausen austreiben, aber es half nichts. Die scheinbar allwissende Datenbank enthielt keine der sieben Autonummern. »Weißt du was, Gringo? Das ist richtig Scheiße«, schnauzte sie den Computer an. Wieder eine Stunde Arbeit für die Katze. Kurz entschlossen rief sie ihren Kollegen an. Ihr war vollkommen egal, wobei sie ihn gerade störte. Wenn er schon im Bett lag, umso besser.

 

»Marion, was verschafft mir die Ehre?« Er war kaum zu verstehen neben der laut stampfenden Musik und dem Stimmengewirr in ihrem Hörer.

 

»Kannst du bitte mal den Stecker ziehen?«, schrie sie ins Telefon. Eine Tür knallte, der Lärm wurde erträglicher.

 

»Warum schreist du so? Ich kann dich gut hören.«

 

»Spaßvogel. Hör mal, dein Gringo Passwort ist nicht viel wert. Ich versuche seit mehr als einer Stunde, diese läppischen sieben Autonummern abzufragen, aber das miese System will sie nicht kennen.«

 

»Interessant.«

 

»Mehr fällt dir dazu nicht ein?« Sie warf ihrem Computer einen bösen Blick zu. »Kennst du auch eine vernünftige Datenbank?«

 

»Ich meine es ernst, Marion. Das ist wirklich sehr interessant. Die Webseite, die ich dir angegeben habe, kennt alle öffentlichen Records. Das kannst du mir ruhig glauben. Wenn deine Nummern unbekannt sind, gibt es nur noch zwei Möglichkeiten.«

 

»Und die wären?«, drängte sie ungehalten, als er sich Zeit ließ mit der Antwort.

 

»Entweder sind es geheime Regierungsnummern oder es gibt sie nicht.«

 

»Gibt sie nicht!«, äffte sie wütend nach. »Was heißt das? Es sind stinknormale Nummernschilder aus Arizona.«

 

»Hollywood, Fälschungen, Täuschungsmanöver.« Sie hatte den ungeheuerlichen Verdacht auch schon, ohne ihn ernst zu nehmen. »Gib mir mal eine deiner Nummern«, unterbrach der Kollege ihren Gedankengang.

 

»Warum, was willst du damit?«

 

»Ich kenne noch eine andere Adresse, ziemlich illegal, aber dort findet man auch Polizei- und Armeefahrzeuge. Besser du kennst sie nicht.«

 

Sie buchstabierte die erste Nummer ihrer Liste und wartete, aufgeregt mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte trommelnd. Die Zeit wollte nicht vergehen, bis sie endlich ein Knacken in der Leitung hörte.

 

»Und?«, rief sie erwartungsvoll.

 

Der Kollege räusperte sich, hüstelte und antwortete etwas unsicher: »Nichts. Tut mir leid.«

 

»Mir auch, Mist!«, schimpfte sie. »Warum sollte jemand Autonummern erfinden?«

 

»Wie gesagt, in Hollywood machen sie das ständig. Marion, ich bin zu 95, was sage ich, 99 Prozent sicher, dass das Fälschungen sind. Den Grund musst du wohl selbst herausfinden.«

 

Sie starrte eine Weile auf den Bildschirm mit der nervtötenden nicht gefunden Meldung, dann rief sie ihren Kunden an, trotz der fortgeschrittenen Zeit. Warum sollte er nicht an ihrer Frustration teilhaben?

 

»Wissen Sie, wie spät es ist?«, fragte Lee gereizt zur Begrüßung. Marion lächelte boshaft. Es tat gut, den Ärger weiterzugeben.

 

»Ich dachte, ich dürfte Sie jederzeit anrufen, Lee.«

 

»Ja – klar, wenn es wichtig ist.« Es war so etwas wie eine Entschuldigung.

 

»Allerdings ist es wichtig.«

 

Wie befürchtet erntete sie nur Gelächter, als sie die Geschichte mit den falschen Autonummern erzählte. Erst als sie ihm vorspielte, wie verletzt sie war, begann er ihr zu glauben.

 

»Diese Sache wird immer bizarrer«, murmelte er nachdenklich. »Ich hätte nicht übel Lust, einfach zu warten, bis diese Geheimniskrämer ihr Geld zurückfordern, aber irgendwie geht mir das gegen den Strich.«

 

»Es wäre schon eine Möglichkeit, allerdings könnten wir so das Dossier Ihres Vaters nicht abschließen.«

 

»Keine gute Lösung.« Es blieb eine Weile still, dann sagte er plötzlich entschlossen: »Ich werde dieses Rätsel endgültig lösen.«

 

»Wie wollen Sie das anstellen?«, platzte sie heraus. Sie war jedenfalls am Ende ihres Lateins. Es blieb nur noch die vage Hoffnung, einen wohlgesinnten Richter zu finden, der nichts anderes zu tun hatte, als dieser mysteriösen Firma nachzulaufen.

 

»Ich fahre noch mal hin, aber diesmal besser ausgerüstet.«

 

Sie erschrak. Wollte er mit einer Knarre vorfahren?

 

»Ich hoffe, Sie machen keine Dummheit, Lee. Wenn diese Leute soviel Energie aufwenden, unerkannt zu bleiben, könnte es durchaus gefährlich werden, ihnen auf die Füße zu treten.«

 

Er lachte nervös. »Ich werde schon keinen Blödsinn veranstalten. Deshalb werden Sie mich begleiten.«

 

Warum stellten sich ihre Nackenhärchen auf, weshalb schwieg sie betreten, statt ihm sogleich von diesem überflüssigen Trip in den Süden abzuraten? Sie verstand sich selbst nicht mehr. Sein Entschluss hatte sie völlig überrumpelt. Es lief ihr heiß und kalt über den Rücken, als sie sich die Expedition zu zweit ausmalte.

 

In Gedanken versunken packte sie zusammen, winkte ein letztes Mal zum Fenster gegenüber, bevor sie das Licht löschte. »Gute Nacht«, flüsterte sie, und sie wusste nicht genau, wen sie damit meinte.

 

Fountain Hills, Arizona

 

Lee parkte den Wagen abseits der Strasse zwischen staubbeladenen Büschen. Er stieg aus, überprüfte das Gelände und nickte befriedigt. Von der Fabrik aus konnte man sie nicht sehen, obwohl sie in fünf Minuten zu Fuß erreichbar war. Er öffnete die Beifahrertür und fragte verwundert:

 

»Möchten Sie nicht aussteigen?«

 

Marion saß reglos, angeschnallt auf ihrem Sitz und beobachtete ihn misstrauisch.

 

»Was, hier? Ich dachte, Sie wollen zur Fabrik?«

 

»Das ist so, aber diesmal soll uns niemand kommen sehen.« Sie regte sich erst als er den Kofferraum öffnete und seinen schweren Rucksack auf den Rücken schnallte.

 

»Was schleppen Sie da eigentlich mit sich herum? Eine Panzerfaust, einen Minenwerfer?«, stichelte sie, als sie ausstieg.

 

Er lachte spöttisch: »Sie kennen sich ja richtig gut aus.«

 

Sie rümpfte nur die Nase, deutete mit dem Daumen nach oben und brummte: »Wir sollten uns beeilen, es wird gleich dunkel.«

 

»Gut, so müssen wir nicht mehr lange warten. Kommen Sie.« Ohne weiter auf sie zu achten, schritt er zügig über Stock und Stein die Böschung hinauf, weg von der Strasse. Er hörte, wie sie mit ihm Schritt zu halten versuchte und dabei nicht sparte mit Kraftausdrücken. Großartig, sie konnte offensichtlich nicht ausstehen, dass er jetzt die Führung übernahm. Grinsend ging er weiter, bis er die Krete erreichte, die parallel zur Strasse zum Fabrikgelände führte.

 

»Ich finde das ganz und gar nicht amüsant«, schnaubte sie wütend, als sie sein zufriedenes Lächeln sah.

 

»Es macht einfach Spaß, mit Ihnen zu wandern.« Er freute sich bereits auf ihre bissige Antwort, doch sie schrie unvermittelt auf und tat einen gewaltigen Satz zur Seite. Gerade noch rechtzeitig packte er ihren Arm und hielt ihn fest wie ein Schraubstock, bevor sie den silbern glänzenden Ball an ihren Jeans berührte.

 

Vorsicht! Hände weg!«, rief er und löste das anhängliche Stück Kaktus mit seinen Stiefeln von ihrem Bein. »Diese Chollas haben es auf uns Menschen abgesehen.«

 

»Scheinbar nur auf mich«, schmollte sie. »He, was fällt Ihnen ein?« Er betastete die Stelle an ihrem Bein, wo sich der Kaktus festgehakt hatte, vorsichtig, während er sie immer noch festhielt.

 

»Entschuldigen Sie«, lachte er. »Ich will nur sicher sein, dass nichts steckengeblieben ist. Sehen Sie hier?« Er zeigte ihr eine Stachelspitze, die er aus dem Stoff gezogen hatte.

 

»Sie dürfen mich wieder loslassen.«

 

Seine Hand fuhr zurück. »Natürlich«, murmelte er etwas verlegen. Als er ihr den Rücken zuwandte, um weiterzugehen, brummte sie kaum hörbar:

 

»Danke.«

 

»Keine Ursache«, antwortete er laut.

 

Das intensive Zirpen, Rasseln und Knacken der Zikaden schwoll allmählich zu stetem Rauschen an, das auch das Gezänk der Vögel um ihren Schlafplatz übertönte.

 

Sie näherten sich dem Rand des Talkessels, als ihm Marion plötzlich auf die Schulter tippte und zischte:

 

»Psst, ich höre etwas!« Von der Strasse herauf drang Motorenlärm, der sich rasch näherte.

 

»Ein Motorrad«, stellte er fest, noch bevor sie das Fahrzeug sahen. Das Torgitter stand offen und der Fahrer fuhr unbehelligt am Posten vorbei hinter das Wachhäuschen. Kurz darauf fuhr ein anderes Motorrad aus der Umzäunung und knatterte die Strasse hinunter. Wachablösung. »Verdammt«, knurrte Lee zwischen den Zähnen.

 

»Wie bitte?«

 

»Mist!«, schimpfte er ungehalten. »Sieht ganz danach aus, dass sie die Bewachung nachts ebenso ernst nehmen wie tagsüber. Und der verfluchte Köter ist auch noch da.« Marion streckte wortlos die Hand nach dem Fernglas aus, das an seinem Hals baumelte. Aufmerksam beobachtete sie die Fabrikanlage durch das Glas, bis sie es schließlich mit einem triumphierenden Lächeln zurückgab.

 

»Unverwechselbar wie ein Fingerabdruck.« Sein verständnisloser Blick schien sie zu erheitern. »Die Autos auf dem Parkplatz. Stehen immer noch in Reih und Glied da wie auf meinen Fotos. Gleiche Reihenfolge der Nummern.«

 

»Nicht ungewöhnlich für einen Firmenparkplatz«, bemerkte er trocken.

 

»Ja, aber sie stehen genau gleich da, gleiche Abstände, der dritte von links, der Pick-up, etwas schräg und einen Fuß weiter hinten. Das exakt gleiche Muster, wie ein Fingerabdruck. Ich wette, die Wagen sind keinen Zoll bewegt worden.« Sie sagte es mit einer Überzeugung, als wäre jeder Zweifel unangebracht, und er glaubte ihr. Mit dieser Fabrik war etwas ganz gewaltig faul. Er konnte nicht erwarten, endlich die letzte Phase seiner kleinen Expedition zu beginnen, aber es war noch zu hell.

 

»Ich warte noch eine halbe Stunde«, sagte er mehr zu sich selbst, als zu seiner Begleiterin.

 

»Lässt er Sie dann eher hinein?«

 

Er schüttelte lachend den Kopf. Sie unterschätzte seine Dreistigkeit offensichtlich immer noch. »Ich nehme die Hintertür.«

 

Im Halbdunkel, gut gedeckt vom Buschwerk, stieg er voran ins Tal hinunter. »Immer fest auftreten, wegen der Schlangen«, mahnte er. Sie schien die Warnung nicht gehört zu haben. Etwas anderes beschäftigte sie weit mehr, denn sie blieb plötzlich stehen und fragte entgeistert:

 

»Lee, Sie wollen doch nicht einbrechen? Das ist unerhört, das ist –illegal!«, rief sie entsetzt.

 

Er drehte sich zu ihr um, setzte ein ernstes Gesicht auf und sagte: »Ich muss wissen, was hier los ist, und Sie wollen das auch, wenn Sie ehrlich sind.« Er schaute sie so treuherzig an, dass sie bald den Blick senkte und nicht sehr überzeugend wiederholte:

 

»Das ist illegal.«

 

Er zuckte die Achseln. »Sie tun gar nichts Ungesetzliches. Wenn Sie wollen, schauen Sie einfach weg. Das Einzige, worum ich sie bitte, ist ein wenig aufzupassen und mir damit Bescheid zu geben, wenn jemand kommt. Er kramte zwei Funkgeräte aus dem Rucksack, hielt ihr eines hin und steckte das andere in die Tasche.

 

»Ich ahnte es. Sie sind wirklich verrückt«, hauchte sie und ließ die Arme hängen.

 

»Oh, vielen Dank. Vielleicht haben Sie sogar recht, aber nehmen Sie bitte dieses Gerät. Wenn Sie aufpassen, kann mir nichts passieren. Bitte.«

 

»Ich hätte mich nie auf dieses Abenteuer einlassen sollen«, murmelte sie zerknirscht, aber sie ergriff das Gerät. Er führte sie zu einem Strauch, der unmittelbar beim Zaun stand. Hier konnten sie das Wachhaus, das Tor und die Fabrikhallen beobachten, ohne Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden. Mittlerweile war es dunkel. Nur ein Scheinwerfer am Tor und zwei Leuchtröhren an der Vorderseite der Hallen erhellten ihre Umgebung mit schwachem Lichtschein. Er stellte den Rucksack auf den Boden und zog seine Ausrüstung heraus.

 

»Mein Name ist Bond, James Bond«, lästerte sie kopfschüttelnd, als er sich die schwarze Wollmütze und die Handschuhe überzog. »Ich muss mir das nicht länger ansehen.« Demonstrativ wandte sie ihm den Rücken zu und starrte in die Nacht hinaus. Er steckte den Pfefferspray in die Tasche, hängte die Taschenlampe an den Gurt, wie er es zuletzt als kleiner Wolf bei den Pfadfindern gemacht hatte und zog die schwere Blechschere aus dem Sack.

 

»Wenn Sie wollen dürfen Sie mich fotografieren, aber ohne Blitz«, grinste er. Sie gab keine Antwort, drehte aber doch neugierig ihren Kopf, als er den ersten Stacheldraht durchtrennte. Mit dem groben Werkzeug schnitt er im Nu ein Loch in den Zaun, gerade groß genug, um hindurchzukriechen. Er stopfte die Schere wieder in den Rucksack, schwang ihn auf den Rücken und streckte den Kopf durch die Öffnung. Der Wächter und sein Hund waren nirgends zu sehen. Die Fabrik lag still und scheinbar verlassen vor seiner Nase. Er schaute über die Schulter nach seiner Begleiterin, die ihn aufmerksam beobachtete. Ihr Schmollmund war verschwunden, soweit er im schummrigen Licht sehen konnte. Eher ängstlich und besorgt blickte sie ihn an. »Keine Angst, ich bin gleich zurück«, versuchte er sie zu beruhigen. »Warten Sie hier auf mich, und vergessen Sie das Walkie-Talkie nicht.«

 

»Sobald ich den Kerl mit seiner Bestie sehe, haue ich ab«, grollte sie, und er verstand sie nur allzu gut. Trotz Pfefferspray kamen ihm plötzlich Zweifel an seinem wahnwitzigen Vorhaben. Der Mann war immerhin mit einer Maschinenpistole bewaffnet, er ein nächtlicher Eindringling, Freiwild auf dem Firmengelände. Aber konnte er zulassen, dass sein Vater, der ehrenwerte Senator, dieses schmutzige Geheimnis mit in sein Grab nahm? Trotzig schüttelte er den Kopf und richtete sich auf. Am Tor blieb alles ruhig, nur das Konzert der Insekten hielt unvermindert an, hin und wieder unterbrochen vom Schrei einer Eule. Die Hallen lagen still vor ihm, nichts bewegte sich in seinem Blickfeld. Er atmete noch einmal tief ein, dann rannte er so schnell er konnte in den Schlagschatten der ersten Halle.

 

Wie das ganze Gebäude bestand die Rückwand aus Metallplatten, einer Art Wellblech. Und auch hier sah er kein Fenster. Einzig eine breite Tür befand sich in der Mitte, wie er sie auf der Vorderseite gesehen hatte. Er presste das Ohr an die Wand. Nichts, nicht die geringste Erschütterung, nicht das leiseste Geräusch drang aus dem Inneren. Eine Lagerhalle? Vielleicht bewahrte AZ Technologies hier lediglich Rohmaterial für die Fabrikation auf. Welche Fabrikation? Was produzierte diese mysteriöse Firma? An der Wand entlang schlich er zur Tür. Es war eine Schiebetür, die über Rollen an einer Schiene hing. Das Schloss stellte wohl kein unüberwindliches Hindernis dar, denn in seinem Ruchsack steckten neben der Blechschere eine kleine, aber äußerst robuste Bohrmaschine und ein handliches Brecheisen. Einzig, da war kein Schloss. Verblüfft zog er am Griff. Das Metall quietschte, dass es in den Ohren schmerzte. Seine Hand zuckte zurück, als hätte ihn ein Stromschlag getroffen, aber die Tür hatte sich bewegt. Er horchte angespannt. Nichts rührte sich. Aus dem schmalen Türspalt drang kein Licht, in der Halle war es dunkel. Er packte den Türgriff mit beiden Händen, spannte die Sehnen und zerrte mit aller Kraft. Knirschend und kreischend glitt das schwere Tor soweit zur Seite, dass er in die Halle schlüpfen konnte. Er sprang hinein, duckte sich sofort und verharrte reglos im Dunkeln. Er wagte nicht zu atmen, bis er sicher war, dass sich nichts und niemand bewegte. Das Tor fasste er nicht mehr an, um weiteren Lärm zu vermeiden, auch wenn er dadurch Gefahr lief, dass jemand den Lichtschein seiner Taschenlampe entdeckte. Klopfenden Herzens schaltete er sie ein, bereit, sie sofort wieder auszuknipsen und zu fliehen.

 

Er stand in einer blechernen Kathedrale, viel größer, als sie von außen erschien, denn sie war vollkommen leer. Ein Hangar, den man auf den Wüstenboden gestellt und vergessen hatte, so kam es ihm vor. Ungläubig leuchtete er in jede Ecke, untersuchte Boden und Dachkonstruktion, so gut es in der Eile möglich war. Er fand keinen Hinweis auf doppelte Böden oder andere Tricks. Die Halle war und blieb leer, und wenn er sich nicht sehr täuschte, hatte man sie auch noch nie benutzt. Es roch nicht viel anders als draußen, vielleicht eine Spur modriger, jedenfalls nicht nach Öl, Lack, Farbe oder Benzin und Lösungsmitteln wie in anderen Industriehallen.

 

»Heiliges Kanonenrohr!«, raunte er überwältigt. Dieses Gebäude war nichts als eine leere Kulisse. Also doch Hollywood? War diese ganze Fabrik ein Potemkinsches Dorf? Dazu passten immerhin auch die falschen Autonummern auf dem sonderbaren Parkplatz.

 

Er hatte genug gesehen in dieser Halle. Um sicher zu sein, dass er sich nicht täuschte, musste er einen Blick ins zweite Gebäude werfen, auch wenn ihn sein Verstand längst zum Rückzug drängte. Vorsichtig streckte er den Kopf durch den Türspalt. Kein ungewöhnliches Geräusch war zu hören, kein Schatten zu sehen, der sich bewegte. Er trat hinaus und rannte zum Tor der zweiten Halle.

 

Unter dem Strauch vor dem Loch im Zaun erhob sich Marion ächzend vom Boden. Eines ihrer Beine war beinahe eingeschlafen. Während sie sich mit der einen Hand massierte, betrachtete sie argwöhnisch das Funkgerät, in ihrer anderen Faust. Sie umklammerte es noch immer wie einen Talisman. Ein ziemlich unnützer Talisman, wie sie allmählich begriff, denn seit Lee durch dieses Loch gekrochen war, hatte das grotesk hässliche Gerät keinen Ton von sich gegeben. Das war vor mehr als einer halben Stunde. Schon mehrmals hätte sie um ein Haar die Sprechtaste gedrückt, um endlich zu erfahren, was der Verrückte trieb, doch ihr Stolz hinderte sie jedes Mal daran.

 

Plötzlich fuhr sie herum. Eine Stimme! Sie blickte zum Wachhaus. Gleissender Lichtschein fiel durch die offene Tür auf den Vorplatz. Mit lähmendem Entsetzen schaute sie zu, wie der Wächter mit dem Hund an der Leine aus dem Haus trat. Die Tür fiel ins Schloss und die beiden begannen ihre Runde. Sie stand wie angewurzelt hinter dem Strauch, hielt den Atem an, die Augen starr auf die beiden gerichtet, als könnte sie die böse Erscheinung damit vertreiben. Die Hand schmerzte, so verzweifelt klammerte sie sich an das Funkgerät. Als sie endlich begriff, dass die Runde des Wächters von ihr weg auf die andere Seite des Geländes führte, kehrte ihr Verstand schlagartig zurück. Sie hielt das Funkgerät vor den Mund, drückte die Sprechtaste und zischte aufgeregt:

 

»Lee! Der Wächter ist unterwegs. Wo zum Teufel sind Sie?« Das Gerät blieb stumm. Sie versuchte es nochmals, lauter. »Sprich mit mir, blöde Kiste!«, schimpfte sie, schlug das Walkie-Talkie ein paar Mal gegen ihre Handfläche, um es wachzurütteln und drückte nochmals die Sprechtaste: »Lee, verflucht, sie kommen! Was soll ich tun?« Es half alles nichts. Der Verrückte meldete sich nicht. Sie hätte es wissen müssen. Technik funktionierte in ihrer Umgebung nicht. »Was soll ich tun?«, wiederholte sie tonlos. Die beiden waren schon fast am anderen Ende des Geländes. Wenn sie Lee warnen wollte, musste sie sich beeilen.

 

Scheiße, deine Zulassung bist du los, schoss ihr durch den Kopf, als sie durch das Loch kroch, aber sie konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie sie Lee schnappten. Ihr T-Shirt hakte sich an einem vorstehenden Stachel fest. Sie riss sich wütend los. Wenigstens konnten sie die beiden jetzt nicht sehen, wie sie zu den Hallen rannte. Die Hinterseite war stockdunkel, außer einem fahlen Lichtschein, der aus einem Türspalt fiel. Das musste Lee sein. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie auf das Licht zu rannte. Wie sie vermutet hatte, stand die Tür einen Spalt offen. Sie schlüpfte hinein, auf alles gefasst. Das Licht ging aus. Ein kräftiger Arm packte sie und eine Hand hielt ihr den Mund zu, dass ihr Angstschrei sofort zu einem leisen Gurgeln erstarb.

 

»Marion!«, rief Lee bestürzt und ließ sie los, wie man eine heiße Kartoffel fallen lässt. »Sie hier – was ...«

 

»Sie kommen«, unterbrach sie atemlos. »Tür zu!« Lee gehorchte auf der Stelle. Mit nervtötendem Kreischen schloss sich der Spalt.

 

»Warum haben Sie nicht ...«, flüsterte er, doch sie fauchte sofort zurück:

 

»Psst, Ruhe. Ich glaube sie kommen.« Tatsächlich hörte sie Schritte, denn die Tür war nicht ganz geschlossen. Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter.

 

»Stellen Sie sich hinter mich«, wisperte er eindringlich. Die Schritte waren da, gingen weiter, an der Tür vorbei, aber der Hund ließ sich nicht täuschen. Ihr Herz klopfte wild, sie bekam Gänsehaut, ihre Knie drohten einzuknicken, als die Bestie an der Tür schnüffelte und plötzlich drohend zu knurren begann. Sie musste sich an Lees Rücken klammern, um nicht zu schreien. Das Tor flog auf. Im grellen Lichtkegel sah sie den schwarzen Pitbull mit gefletschten Zähnen auf sie zuschießen.

 

»Hände hoch, raus hier!«, rief es aus dem Dunkel. Ein heftiger Ruck ging durch Lees Körper. Sie stöhnte auf, glaubte schon den Biss der Bestie zu spüren, als das Wunder geschah. Der Pitbull wich keuchend zurück und schoss winselnd an seinem Herrn vorbei ins Freie. Mit einem Satz stand Lee vor dem verblüfften Wächter und sprühte auch ihm eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Er schrie laut auf, schlug sich die Hände vors Gesicht und ging zu Boden. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete Marion die unwirkliche Szene, stand reglos da, eine unbeteiligte Zuschauerin. Lee packte ihre Hand.

 

»Kommen Sie, nichts wie weg hier!«, rief er und zerrte sie unsanft aus der Halle. Er rannte um das Gebäude herum direkt auf das Tor zu. Willenlos folgte sie ihm dicht auf den Fersen. Keiner blickte zurück. Sie hatten das Wachhaus noch nicht erreicht, als ihr das wütende Gebrüll des Wächters das Blut in den Adern gefrieren ließ:

 

»Halt oder ich schieße!« Gleich danach fiel der erste Schuss. Lee war am Tor, bearbeitete fieberhaft das Schloss.

 

»Keine Angst, er sieht nichts«, rief er und stieß das Gitter zurück. »Los, raus! Verdammt, was soll das?« Sie saß schon auf der schweren Yamaha des Wachmanns. Ein zweiter Schuss fiel und prallte heulend neben ihrem Kopf von einem Pfosten ab.

 

»Von wegen sieht nichts«, knurrte sie grimmig, während sie den Motor ankickte.

 

»Lass den Quatsch, Mädchen!«, tobte Lee außer sich. Ihr Verfolger stand jetzt mitten auf dem erleuchteten Vorplatz, fuchtelte mit der Waffe und fluchte sich die Kehle aus dem Hals:

 

»Ihr verfluchten Arschlöcher!«

 

Das Bike sprang an. Dreck schleuderte hoch, als sie kräftig beschleunigte und mit einem waghalsigen Schwenker durch das Tor brauste.

 

»Aufsitzen! Festhalten!«, brüllte sie Lee entgegen, der sich wie blöde am Gitter festhielt. Erst die nächste Salve setzte ihn in Bewegung. Der Kerl hinter ihnen traf immer noch nicht, aber er hatte das viel gefährlichere Seriefeuer eingeschaltet. Erde spritzte auf um sie herum, und die Flüche kamen näher. Lee sprang auf, schlang seine Arme um ihren Bauch und sie gab Gas. Das Hinterrad schmierte ab, doch sie fing die ungewollte Drehung gekonnt ab, ohne dass sie im Strassengraben landeten. Solche Übungen hatte sie offenbar immer noch im Blut, obwohl ihre wilde Motocross-Zeit schon viele Jahre zurücklag. Mit verbissenem Lächeln rasten sie die Strasse hinunter. Ihr Beifahrer klammerte sich so eng an sie, dass es schmerzte. Er schien die Sprache verloren zu haben. An der Stelle, wo sie das Auto geparkt hatten, hielt sie an. »Wir sind da, Sie können mich jetzt loslassen«, spottete sie, denn er machte keine Anstalten abzusteigen.

 

»Scheiße, Sie sind verrückt«, murmelte er.

 

»Danke, gleichfalls.«

 

Sie ließen das Motorrad liegen und fuhren schweigend nach Fountain Hills zurück. Es dauerte einige Zeit, bis die Wirkung des Adrenalins nachließ. Ihre Atmung wurde ruhiger, sie fühlte sich plötzlich hundemüde und begann unkontrolliert zu zittern. Als Lee die Veränderung bemerkte, hielt er sofort am Straßenrand an. Er nahm sie ohne Umschweife in die Arme, hielt sie fest, bis das Zittern aufhörte.

 

»Tut mir leid, Marion«, flüsterte er. »Kommt nicht wieder vor.« Sie drehte den Kopf, schaute zu ihm auf und schmunzelte:

 

»Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können.« Sie blieb eng an ihn geschmiegt, hielt seine Arme fest, damit er nicht auf die Idee kam, sie loszulassen, denn es fühlte sich einfach zu gut an. Nach einer Weile fragte sie: »Was war eigentlich in den Hallen?«

 

»Nichts, rein gar nichts. Die ganze Fabrik ist ein gigantisches Täuschungsmanöver.«

 

Sie schwieg. Irgendwie überraschte sie das nicht mehr. Ein aufwändiger Schwindel, wozu?

 

Er lachte unvermittelt auf und sagte: »Ich hatte eine Scheißangst auf diesem Bike, wissen Sie?«

 

»Gut«, antwortete sie und schloss zufrieden die Augen.

 

Garfield Park, Chicago

 

Krüger ließ sie zuerst in die königliche Suite ihres CEO eintreten. Alicia bedankte sich mit einem überaus freundlichen Lächeln, das er demonstrativ ignorierte. Es handelte sich um eine ernste Angelegenheit, denn diesmal bat sie Leblanc nicht zum Sofa, sondern deutete wortlos auf die zwei unbequemen Biedermeiersessel vor seinem Schreibtisch.

 

»Alicia, Paul, wir haben ein Problem«, begann er ohne Umschweife. Sie konnte sich vorstellen, worum es ging und ihr Kollege wohl auch, denn er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Heute Morgen komme ich in dieses schöne Büro und was finde ich auf meinem Schreibtisch?« Als hätte er die dramatische Geste einstudiert, entfaltete er einen Brief und hielt ihn seinen Managern mit elegantem Schwung unter die Nase. Sie überflog den Text blitzschnell und musste auf die Zähne beißen, um nicht schadenfroh zu grinsen. Krüger schüttelte ärgerlich den Kopf und nörgelte:

 

»Das ist Französisch, und Handschrift. Ich verstehe kein Französisch.«

 

»Was du nicht sagst«, lachte Leblanc bitter. »Immerhin die Sprache Pascals, Voltaires und Sartres. Es ist die Handschrift unseres verehrten Patrons, Dr. Claude Martin aus Genf. Er schreibt, der VR Ausschuss hätte äußerst beunruhigende Post von offizieller Stelle in Ghana erhalten.« Leblanc musterte ihn mit stechendem Blick. Als er nicht weiterfuhr, konnte sich Krüger nicht länger beherrschen.

 

»Lass die Spielchen, Maurice«, platzte er heraus. »Sag uns endlich, was los ist.«

 

»Wie du meinst.« Leblanc knallte eine Mappe vor ihn auf den Tisch. »Das ist die Beilage, direkt vom Ministerium für Nahrung und Landwirtschaft aus Accra. Alles auf Englisch.« Während Krüger mit steinernem Gesicht durch die Akten blätterte, fasste der CEO die unerfreuliche Geschichte zusammen. Die Regierung in Accra hatte die Notbremse gezogen bei Krügers monströsem Jatropha-Projekt. Wie sie vorausgesehen hatte, erklärte man die Verträge mit den lokalen Stammesfürsten für null und nichtig. Wasser und Anbauflächen sollten für Nahrungsmittelanbau eingesetzt werden, nicht für die zweifelhafte Produktion von Biosprit. Im letzten Jahr war die Versorgungslage der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser besonders prekär, und nach den Prognosen würde das laufende Jahr noch schlimmer werden. Das ehemals fruchtbare Land steuerte auf die schlimmste Hungersnot seit Menschengedenken zu.

 

»Genau wie die meisten angrenzenden Länder auch«, warf sie ein. Wie Krüger hatte sie bis vor wenigen Minuten nichts von dieser Sitzung gewusst, dennoch war sie bestens darauf vorbereitet. Krüger war einfach zu einfältig für seinen Job. Trotz verschiedener Warnungen lief er geradewegs ins Messer.

 

»Und weißt du, was das Schlimmste ist, Paul?«, bohrte Leblanc weiter und beantwortete die Frage gleich selbst: »Die Leute wollen nichts mehr mit Mamot zu tun haben. Sie schmeißen uns einfach aus ihrem Land. Wie findest du das?«

 

»Davon – wusste ich nichts«, stammelte Krüger betreten.

 

»Ich auch nicht«, schnauzte sein Chef ungehalten, »aber du warst gewarnt.« Alicia räusperte sich.

 

»Das ist schlimm, Maurice, aber ich denke, die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht ist. Wir müssen die Drohung sicher ernst nehmen. Andererseits ist die Lage der Bevölkerung so dramatisch, dass das Land auf jede Unterstützung angewiesen ist, insbesondere auch auf unser unbestrittenes Know-how in der Versorgung ganzer Landstriche mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln. Kein anderes Unternehmen kann in so kurzer Zeit so viel und zu so günstigen Konditionen liefern.«

 

»Ich kann nicht glauben, was ich hier höre«, empörte sich Krüger. »Das sind doch Allgemeinplätze, Alicia. Die helfen uns nicht weiter.« Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

 

»Allgemeinplätze? Wie lautet denn deine Strategie?«

 

»Würde mich auch wundern, Paul«, knirschte Leblanc, während er ihn mit verhaltener Wut fixierte. Krüger war lange genug im Geschäft und Situationen wie diese gewohnt. Er fasste sich schnell nach der ersten Aufregung und antwortete in geschäftsmäßigem Ton:

 

»Meine Leute werden die Sache mit höchster Priorität analysieren. Gib mir vierundzwanzig Stunden, dann wissen wir, was zu tun ist.«

 

Sein Chef schüttelte ärgerlich den Kopf, doch bevor er antworten konnte, sagte Alicia, als hätte sie ihn nicht gehört: »Zuerst müssen wir die Mannschaft auswechseln.« Sie achtete nicht auf Krügers Protest, fuhr fort: »Dann werden wir der Regierung einen Deal anbieten.« Leblanc gebot Krüger mit einer ärgerlichen Handbewegung zu schweigen und wandte sich an sie:

 

»Ein Deal? Wie sieht der aus?«

 

»Wir müssen dringend unser Image aufpolieren. Das ist wohl unbestritten. Also positionieren wir uns als Helfer in der Not. Wir bieten ihnen an, über einen gewissen Zeitraum, sagen wir fünf Jahre, verbilligte Nahrungsmittel zu liefern. Sie garantieren uns im Gegenzug langfristige Verträge für die Versorgung mit Trinkwasser und Bewässerungsanlagen für die Landwirtschaft.«

 

Krüger schwieg betreten. Er hatte sein Pulver verschossen und schien allmählich zu begreifen, dass er in einen Hinterhalt geraten war.

 

»Mamot als Entwicklungshelfer!«, rief Leblanc entzückt. »Hört sich gut an, meine Liebe. Hört sich ausgezeichnet an.«

 

»Nicht wahr? Ich denke, wir sollten jetzt mit Hochdruck an dieser Offerte arbeiten. Auf diese Weise könnten wir einen satten Gewinn aus diesem Schlammassel erwirtschaften.« Mit einem Seitenblick auf ihren Kollegen fügte sie hinzu: »Und wenn wir uns nicht allzu ungeschickt anstellen, lässt sich dieser Deal ohne weiteres auf die angrenzenden Länder ausdehnen.«

 

Leblanc war nachdenklich geworden, ein Zeichen, dass sie gewonnen hatte. Sag es!, befahl sie ihm in Gedanken, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ. Er bündelte die Akten umständlich vor sich auf dem Schreibtisch, dann gab er seinen Entscheid bekannt:

 

»Wir werden folgendes tun. Wir bilden eine Taskforce mit dem Ziel, diesen Deal auszuarbeiten und so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen. Alicia, du übernimmst die Leitung dieser Taskforce. Paul wird dich mit den nötigen Ressourcen tatkräftig unterstützen. Haben wir uns verstanden?« Die letzte Frage richtete er an Krüger, der wie versteinert mit rotem Kopf auf der Kante seines Stuhls saß. Er nickte nur, sprang auf und stürmte aus dem Büro.

 

»Er wird sich wieder beruhigen«, lächelte Alicia. Sie hatte allen Grund zur Freude, denn diese Taskforce war ihr Brückenkopf für die Eroberung des Schwarzen Kontinents.

 

»Ich weiß nicht, Alicia. Ich habe bei der ganzen Sache kein gutes Gefühl. Verstehe mich nicht falsch. Dein Vorschlag ist ausgezeichnet, aber wirst du ihn auch wirklich umsetzen können?«

 

»Wenn Krüger mitmacht auf jeden Fall.«

 

»Er muss, dafür werde ich sorgen.«

 

»Gut. Aber nun zu etwas Erfreulicherem, wenn du noch eine Minute Zeit hast.«

 

»Schieß los.«

 

»Es ist verrückt, aber die Trockenperioden rund um den Globus werden immer länger und härter. Die ganze Welt leidet darunter, aber uns konnte nichts Besseres passieren. Wie es aussieht, hatten wir ein goldenes Händchen, als wir uns die Wasserrechte im Westen sicherten. Die Landwirtschaft in Arizona und Neumexiko ist am Boden und braucht dringend jeden Tropfen Wasser, den wir liefern können. Die Politik wird das sehr bald begreifen, dann schnellen unsere Umsätze hier in den USA massiv in die Höhe.«

 

»Außer die Wasserrechte werden verstaatlicht.«

 

»Nicht in diesem Land«, entgegnete sie zuversichtlich. Sie verließ sich auf ihre erstklassige Informationsquelle, die sie bisher nie enttäuscht hatte. Sie nahm das Ghana-Dossier unter den Arm und verabschiedete sich mit einem undurchdringlichen Lächeln.

 

Casa Grande, Arizona

 

Bill Moynihan war einer der zehntausend Farmer Arizonas. Seit fünf Generationen bewirtschaftete seine Familie fast tausend Hektar Land am Südrand von Casa Grande. Die Weiden, auf denen noch Kühe seines Vaters gegrast hatten, lagen still und verlassen in der Morgendämmerung. Schon vor Jahren hatte er einsehen müssen, dass sich die Milchproduktion für ihn nicht mehr lohnte. Seither lebten er, seine Frau und die zwei Kinder vom Verkauf des Rohmaterials, des Grases. Das Geschäft lief anfangs gut. Sein Heu galt als hochwertig und die Wiesen lieferten zuverlässig nach.

 

Wie lange noch?, fragte er sich zum hundertstenmal, obwohl er die Antwort im Grunde schon kannte, denn der Boden, auf dem er stand, war steinhart, zeigte überall Risse. Staub wirbelte auf bei jedem Schritt. Das Elend hatte letztes Jahr begonnen, als der Sommermonsun einen Monat zu spät einsetzte und kaum genügte, den Boden zu nässen. Das bisschen Regen floss einfach ab ohne zu versickern. Und dieses Jahr waren die Prognosen noch verheerender. Man musste damit rechnen, dass der Regen ganz ausblieb. Was das bedeutete, konnte Bill nur allzu deutlich an seinen Quellen ablesen. Zwei der drei Brunnen, die seit Generationen für die Bewässerung sorgten, waren schon vor Monaten versiegt. Seine ganze Hoffnung ruhte jetzt auf der dritten und letzten Quelle. Ohne ihr Wasser würde die Wüste bald zurückkehren. Er würde den Kampf verlieren und den Hof aufgeben müssen, denn für den Zukauf solcher Mengen Wasser zu aktuellen Preisen reichte sein Geld nicht.

 

Er kraulte seinen Hund, der traurig neben ihm hockte und seinen Schmerz zu teilen schien, bevor er sich auf den Traktor schwang. Langsam, mit einem Knoten im Magen, fuhr er zur Quelle an der südwestlichsten Spitze seines Landstücks. Der greise Vierbeiner trottete nebenher. Er war sein Leben lang nie in ein Fahrzeug gestiegen und so würde es auch bleiben für den Rest seiner Tage. Kaum hatte Bill den Motor abgestellt, hörte er das helle Rauschen, das er mehr fürchtete als die Tornados, die ein, zwei Mal im Jahr über das Land fegten. Das Rauschen, das in seinen Ohren wie eine Anklage klang, unmissverständliches Zeichen, dass die Pumpen nur noch Luft statt Wasser förderten. Er begann am ganzen Leib zu zittern, als er verstand, was sie ihm zuriefen: »Der Tag ist gekommen, der Tag ist gekommen!«

 

Ein Blick in den Schacht genügte, ihn zu überzeugen, dass er sie nicht missverstanden hatte. Trotzdem stieg er hinab in die leere Kaverne. Mit Tränen in den Augen stand er im kühlen Halbdunkel vor den Ansaugstutzen, die sich vergeblich nach der letzten Pfütze streckten. Seine beste Quelle – nichts weiter als ein unnützes Loch. Hier unten drang das klagende, leere Saugen von allen Seiten auf ihn ein. Er hatte den Hof verloren, war der letzte der Moynihans, der dieses schöne Land bebauen durfte, und er hatte kläglich versagt. Verbittert stieg er hinauf und schaltete die Pumpe aus. Es war, als drehte er selbst das Wasser ab, das seinen Kindern die Zukunft sichern sollte. Sein Hund lag hechelnd am Boden und beobachtete ihn, verstört durch die Unterbrechung der täglichen Routine, das ungewohnte Schweigen des Meisters. Bill würdigte ihn keines Blickes, stieg auf den Traktor und fuhr zurück.

 

Die Sonne ging auf, tauchte den Hof in blutrotes Licht, als er vor der großen Scheune anhielt, in der das Heu lagerte. Die verfluchte Sonne, die alles verbrannte. Er schaute zum Wohnhaus hinüber, sah Licht in der Küche und wandte sich schnell wieder ab. Er griff unter den Sitz, wo er stets seine Flinte mitführte, hängte sie um und ging in die Garage. Mit einem Kanister Benzin an jeder Hand trat er wieder ins Freie. Er drückte das Scheunentor auf und stellte sich mit den Kanistern zwischen die Holzpfeiler unter die Heubühne. Umsichtig und gründlich bespritzte er die Balken, Bretterwände, Holzkarren und Säcke, kurz alles Brennbare um ihn herum, denn es sollte schnell gehen. Als die Kanister leer waren, prüfte er die Waffe, bevor er die Streichhölzer aus der Tasche zog. Der Benzingestank machte das Atmen zur Qual, aber bald spielte das keine Rolle mehr. Der Funke berührte den dunklen Fleck vor seinen Füßen. Er spürte die plötzliche Hitze im Gesicht, sah, wie sich die blaue Stichflamme rasend schnell nach allen Seiten ausbreitete, die ersten Flammen an den Pfeilern emporschlugen, dann steckte er den Lauf der Flinte in den Mund und schloss die Augen.

 

»Daddy? Was machst du da?«, rief eine verängstigte Mädchenstimme von oben, aber Bill hörte sie nicht mehr, wie er auch den Schuss nicht wahrnahm, der seinen Kopf zerfetzte. Wie sollte er wissen, dass sich seine Tochter und ihre Freundin abends aus dem Haus geschlichen hatten, um eine abenteuerliche Nacht im Heu zu verbringen.

 

Phoenix

 

Feuerwehrmänner rannten scheinbar ziellos zwischen nervös blinkenden, rotweißen Löschfahrzeuge umher. Polizei hielt die Schaulustigen von der verkohlten Scheune fern, aus der noch immer Glut und Rauchschwaden aufstiegen, darunter in fetten Lettern der wichtige Hinweis Breaking News, und aus dem Off der stets gleiche dramatische Kommentar. Wie oft hatte sie diesen Bericht über das tragische Unglück im nahen Casa Grande heute schon gesehen? Ganz gegen ihre Gewohnheit lief der kleine Fernseher an der Wand gegenüber dem Schreibtisch zwischen Sternenbanner und den rot-goldenen Sonnenstrahlen der Flagge Arizonas. Die Gouverneurin bedauerte diese Familie zutiefst, doch sie durfte sich von solchen Einzelschicksalen nicht ablenken lassen. Ihr Job war es, für Ruhe und Wohlstand in ihrem Staat zu sorgen, und der erforderte mehr denn je ihre volle Aufmerksamkeit. Die aufgebrachten Farmer hatten für diesen Tag eine Großdemonstration vor dem Capitol angekündigt. Sie warfen der Regierung vor, die Wasserknappheit verschlafen zu haben. Dass sich heute Morgen einer der Ihren aus purer Verzweiflung das Leben genommen hatte, so wie vor einer Woche im Nachbarstaat New Mexico, goss zusätzlich Öl ins Feuer. Endlich unterbrach die Stimme einer Moderatorin den aufgeregten Kommentar aus Casa Grande. Lucy schaute auf. Was die Sprecherin vor dem Hintergrund rasanter Bildschnitte mit erhobenen Fäusten, Transparenten und verstopften Strassen von sich gab, war schon ziemlich dicke Post:

 

Es müssen Tausende wütender Farmer sein, die auf ihren Pick-ups, Lastwagen und Traktoren aus allen Teilen des Staates nach Phoenix unterwegs sind. Und jeder von ihnen führt eine Ladung dessen mit, was die Politik der Gouverneurin nach Meinung des AFB-Präsidenten Jack Stewart am besten symbolisiert: Mist.

 

Die Tür flog auf und ihr Pressesprecher stürmte ins Büro.

 

»Bitte, komm doch herein«, knurrte sie, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen. Ihr engster Mitarbeiter war außer sich.

 

»Entschuldige, aber hast du gesehen, welche Lawine da auf uns zurollt?«

 

»Schnee wäre mir entschieden lieber«, grinste sie müde.

 

»Wir müssen das Statement nochmals anpassen«, keuchte er, den unangebrachten Scherz überhörend. »Ist es das?« Er deutete auf das Papier, das schon seit einer Stunde vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Sie nickte.

 

»Ich bin sowieso noch nicht glücklich damit. Tönt irgendwie nach Konserve. Wir müssen unbedingt die aktuellen Ereignisse einbeziehen.«

 

»Den Brand? Ja, gute Idee. Betroffenheit wirkt immer. Deshalb glaube ich auch, dass diesmal du selbst vor die Presse treten solltest. Aus deinem Mund wirkt so eine Stellungnahme doppelt.«

 

»Wenn es so einfach wäre«, seufzte sie. »Aber du hast recht. Ich werde das machen.« Die Frage war nur, wie sie die Leute beruhigen sollte, denn auch sie hatte keine Antwort auf die brennendste Frage. Auch sie wusste nicht, wie sie der verheerenden Trockenheit ohne den massiven Einsatz staatlicher Hilfen begegnen sollten, und die sprengten das Budget in jedem Fall. Die Nachbarstaaten, allen voran Nevada, zeigten sich äußerst zurückhaltend, wenn es darum ging, Trinkwasser zu exportieren. Sie brauchten das kostbare Nass selbst oder hatten die Wasserrechte in großem Stil für gutes Geld an Dritte, private Firmen verhökert, wie Lucy vermutete.

 

Der Fernsehsender zeigte Bilder der Wagenkolonne auf der Siebzehnten. Ein erster Traktor fuhr auf den Platz vor dem Capitol und kippte ihr seine Ladung unter dem Applaus der Schaulustigen sozusagen vor die Haustür.

 

»Scheiße«, murmelte ihr Mitarbeiter erschüttert.

 

»Du sagst es.« Fasziniert verfolgte sie das bizarre Schauspiel eine Weile, dann gab sie sich plötzlich einen Ruck. »Die Pressekonferenz findet draußen statt«, beschied sie dem entsetzten Beamten. »Ich will direkt zu diesen Leuten sprechen, auch wenn ihr Misthaufen zum Himmel stinkt.« Der Mann schnappte nach Luft, wusste nicht, was er sagen sollte. »Worauf wartest du? Du hast nur noch eine Stunde Zeit, alles zu organisieren.« Mit einem unterdrückten Fluch sauste er hinaus.

 

Sie beugte sich verdrossen wieder über den Entwurf ihrer Rede, doch das Läuten des Telefons unterbrach sie noch vor der ersten Korrektur. Verärgert hob sie den Hörer ab und schnauzte: »Ich sagte doch, ich will nicht gestört werden!«

 

»Entschuldigen Sie, Governor«, antwortete ihre Sekretärin schüchtern. »Aber es scheint eine dringende persönliche Angelegenheit zu sein, Ihre Schwester.«

 

»Geben Sie sie mir.« Es knackte in der Leitung, doch niemand meldete sich. »Marcia, bist du das? Wie geht es dir, was ist los?« Statt einer Antwort hörte sie, wie ihre Schwester jämmerlich zu weinen begann. Es dauerte lange, bis sie das Schluchzen einigermaßen unter Kontrolle brachte und zu erzählen begann. Es war ihre Tochter, die letzte Nacht auf dem Hof der Moynihans verbrachte und nun nie mehr nach Hause zurückkehren würde. Sie war zusammen mit ihrer Freundin am frühen Morgen verbrannt.

 

Lucy sah und hörte nicht mehr, was der Sender berichtete, die Rede blieb unkorrigiert vor ihr liegen. Der Anruf hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Den Kopf in die Hände gestützt saß sie weinend am Schreibtisch, als ihr Gatte den Kopf zur Tür hereinstreckte. Sie wehrte sich nicht gegen seine Umarmung, obwohl sie beide längst jeden Körperkontakt mieden.

 

»Furchtbar«, murmelte er. »Und ausgerechnet jetzt ist da draußen die Hölle los.«

 

»Einzelschicksal hab ich es genannt«, seufzte sie tonlos.

 

»Ist es, Darling, ist es, aber – furchtbar.« Auch dem gewieften Anwalt fehlten die Worte. Sie richtete sich auf, trocknete die Tränen mit dem Taschentuch, das er ihr reichte und sagte:

 

»Ich muss weitermachen. Die Rede vorbereiten. Und ich habe immer noch keine Ahnung, was ich diesen Leuten versprechen soll. Sie brauchen billiges Wasser, das es nicht mehr gibt.«

 

Ein leises Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er antwortete: »Wasser gibt es schon, das weißt du. Vielleicht solltet ihr doch einmal mit den Spezialisten reden.«

 

»Mamot?« Er zuckte die Achseln, dann sagte er beiläufig:

 

»Sie sind groß in Nevada. Du weißt, ich habe gute Kontakte.« Sie blickte ihn nachdenklich an. Sie war unendlich müde, ausgepumpt, ergriff jeden halbwegs erfolgversprechenden Rettungsanker, den man ihr zuwarf.

 

»Meinetwegen, zieh deine Strippen, aber diskret, wenn’s geht.«

 

Business District, Washington DC

 

Sie konnte immer noch nicht glauben, dass man auf sie geschossen hatte. Marion Legrand, die biedere Anwältin aus Washington, im nächtlichen Kugelhagel. Ein Alptraum, der ihr vor allem deshalb nicht mehr aus dem Kopf ging, weil sie ihn liebte. Wie sonst sollte sie die behagliche Wärme erklären, die sie jedes Mal durchfloss, wenn sie an ihr Abenteuer im Hinterland von Fountain Hills dachte? Ein wenig Stolz schwang sicher auch mit, denn ohne ihr beherztes Eingreifen hätte die Sache schlimm enden können. Das musste auch ihr überdrehter Mandant einsehen, wenn er ehrlich war. Sie hatte diesen Lee O’Sullivan gründlich falsch eingeschätzt. Vielleicht lag das an ihrer besonderen Gabe, das andere Geschlecht grundsätzlich nicht zu verstehen, vielleicht war es auch einfach Lees Arroganz, die ihr anfänglich auf die Nerven ging. Jedenfalls kannte sie jetzt auch einige seiner anderen Seiten. Er konnte Gefühle zeigen, sich freuen, witzig sein. Wie er sie mir nichts, dir nichts in die Arme geschlossen und beruhigt hatte, war stark. Dieser Lee nahm schon beinahe menschliche Züge an. Vorsicht, Mädchen, nicht übertreiben.

 

»Marion, können wir?«, holte sie die Stimme des Trainers aus ihren Gedanken.

 

»Sicher.«

 

»Dann solltest du auf die Matte kommen«, lächelte Dennis. Er schwebte offensichtlich auf Wolke sieben, denn sie hatte seit langem wieder einmal eine Doppelstunde gebucht. Auffrischen ihrer Judokünste wäre gut investiertes Geld unter den aktuellen Umständen, hatte sie beschlossen. Und da er immerhin den Yon-dan, den zweithöchsten schwarzen Gürtel trug, konnte sie in dieser Hinsicht einiges von ihrem entzückten Trainer lernen. »Alles klar?«, strahlte er, als sie sich gegenüberstanden. »Wir machen es wie besprochen. Ich greife dich frontal an und du zeigst mir, was du noch nicht vergessen hast, O. K.?« Sie nickte und versuchte locker zu bleiben.

 

Er machte einen Ausfallschritt und packte sie am linken Oberarm. Sie sah plötzlich das hässliche Gesicht des schießwütigen Wächters vor sich. Nicht mit mir, dachte sie, drehte sich blitzschnell gegen seinen Körper, zog seinen Arm nach außen, blockierte seine Beine von hinten mit einem Bein und stieß ihm gleichzeitig die Rechte in die Brust. Er verlor das Gleichgewicht, rollte jedoch elegant zur Seite und stand sofort wieder lächelnd vor ihr. »Ausgezeichnet, Marion, ein sauberer Osoto Gari. Das rechte Bein ein wenig enger, dann wäre der Wurf perfekt.«

 

Sie nahm kaum wahr, was er sagte, freute sich nicht über sein Kompliment, denn ihre Gedanken kreisten wieder um die falsche Fabrik. Mechanisch wich sie den nächsten Attacken ihres Trainers aus, ohne einen weiteren Wurf zustande zu bringen. Die fetten Honorare, die der Senator von AZ Technologies kassiert hatte, mussten aus einer ganz anderen Quelle stammen, die offensichtlich nicht in Verbindung mit O’Sullivan gebracht werden sollte. Die falsche Fabrik war nichts anderes als eine Geldwaschanlage. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Als saugte ihr Geist die Kraft aus den Gliedern, stand sie mit einem Mal schutzlos vor ihrem vorgeblichen Angreifer. Diesmal stellte er ihr ein Bein, hebelte sie aus dem Gleichgewicht, sodass sie nach einer halben Drehung höchst unsanft auf den Hintern klatschte. Ihr Pech, dass die Matte nicht ganz bis zur Stelle reichte wo sie landete.

 

»Oh, mein Gott!«, entsetzte sich Dennis. Mit schmerzverzerrtem Gesicht beugte er sich über sie, als wäre sein Po auf den harten Boden geprallt. »Was habe ich getan? Oh, du meine Güte, es tut mir unendlich leid, Marion. Das wollte ich nicht.«

 

»Schon gut, Dennis, alles meine Schuld«, versuchte sie den Untröstlichen zu beruhigen. »Ich war nicht bei der Sache.« Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Hilf mir lieber auf die Beine.« Er machte ein derart betretenes Dackelgesicht, dass es ihr schwerfiel, das Training abzubrechen und ohne viele Worte zu verschwinden, aber sie hatte es plötzlich sehr eilig.

 

Zurück im Büro schlug sie den Ordner mit den Kontoauszügen des Senators auf. Diesmal interessierten sie nicht die regelmäßigen großen Zahlungen, sondern die vielen bisher unbeachteten Einkünfte, die in unregelmäßigen Abständen von verschiedenen Firmen stammten. Auf den ersten Blick fiel ihr nichts sonderlich auf an den Einträgen, außer dass alle mit dem Vermerk Beratung, Honorar für Gutachten oder ähnlich gekennzeichnet waren. Was sollte ein Vollzeitpolitiker und Anwalt auch sonst zu verkaufen haben. Im Unterschied zu den Geldflüssen von AZ Technologies handelte es sich hier auch nicht um auffällig runde Beträge.

 

03. Mai. Similan Flagstaff

 

AZ Beratungshonorar $1’250.00

 

16. Feb. Cormac Filters New Castle

 

DE Gutachten L.M. $15'370.00

 

12. Sep. Syntis Inc. Carson City

 

NV Referat, Spesen H.K. $5'980.00

 

und so weiter.

 

Sie übertrug die Daten gewissenhaft in eine Tabelle und sortierte sie nach Firma und Datum. Zwölf Namen tauchten häufig auf, doch die Datumsreihen und Beträge erschienen ihr auch jetzt zufällig. Ein Firmensitz stach ihr indessen sofort ins Auge. Cormac Filters hatte ihren Sitz im Staate Delaware. Nicht ungewöhnlich zwar, aber doch auffällig im Fall des Senators. Sie fand die Firma sofort in der Handelsregister-Datenbank. Aktienkapital: null Dollar, Adresse des Hauptsitzes: Fountain Hills, Arizona. Die Adresse von AZ Technologies. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten, als sie es las. Hastig notierte sie die Information neben den Eintrag über Cormac in ihrer Tabelle und nahm sich den Namen der nächsten Firma vor. Sie machte sich nicht erst die Mühe, Syntis Inc. im Register Nevadas zu suchen, wie die Adresse suggerierte, sondern blieb auf der Datenbank von Delaware. Die Antwort auf dem Bildschirm überraschte sie schon nicht mehr: Aktienkapital: null Dollar, Adresse des Hauptsitzes: Fountain Hills, Arizona. Von Nevada war nirgends die Rede, aber sie war sicher, die richtige Firma gefunden zu haben. Ihr Puls beschleunigte sich. Sie sprang auf und eilte zum Büro ihres Chefs.

 

»Peter?«, rief sie, als niemand auf ihr Klopfen antwortete. Es war schon spät, die Sekretärin hatte ihren Schreibtisch längst geräumt. Vorsichtig drückte sie den vergoldeten Türgriff. Abgeschlossen. Ein untrügliches Zeichen, dass er nicht im Haus war. Sie wählte seine Nummer auf dem Handy, drückte aber sofort wieder die rote Taste. Sie konnte ihn später immer noch anrufen, wollte sich zuerst die übrigen Firmen ansehen.

 

Sie vertiefte sich wieder in ihre Arbeit am Bildschirm, schaute weder links noch rechts, ließ ihren Kaffee erkalten, würdigte ihren Verehrer gegenüber keines Blickes. Eine halbe Stunde später war ihre Tabelle vollständig. Alle zwölf Firmen zeigten auf die Adresse von AZ Technologies in Fountain Hills, und alle gaben die gleiche falsche Telefonnummer als Kontakt im Handelsregister an. Heiliger Strohsack! Wie es aussah, war das keine einfache Geldwaschanlage mehr, sondern ein ausgewachsenes Geldwaschnetzwerk. Der Auftrag mit dem Nachlass des Senators konnte nicht länger lästige kleine Nebenbeschäftigung bleiben, das würde wohl auch Lee einsehen. Entweder stellte sie ihre Nachforschungen jetzt ein, oder sie scheuten keinen Aufwand, um den ganzen sich abzeichnenden Skandal ans Tageslicht zu zerren.

 

»Mit ungeahnten Folgen«, gab Peter zu bedenken, als sie ihm am Telefon von ihrem Fund berichtete. »Ich sehe hier Skandal wohin ich schaue, da stimme ich dir zu, Marion, und gerade deshalb ist mir die Sache zu heiß. Wir müssen äußerst vorsichtig sein und uns strikt an die Vorgaben unseres Mandanten halten. Du wirst ihm auch keine unnötig riskanten Aufklärungen empfehlen, so lukrativ sie uns erscheinen mögen. Haben wir uns verstanden?« Während er das sagte, tigerte sie aufgeregt vor ihrem Schreibtisch auf und ab. Wenn sie nüchtern darüber nachdachte, konnte er in dieser Situation gar nicht anders reagieren, trotzdem mochte sie es nicht, wenn man vor der hohen Politik einfach den Schwanz einzog.

 

»Verstehe«, murmelte sie griesgrämig. »Aber die Steuerunterlagen der Firmen wirst du mir schon noch besorgen, oder?«

 

»Sicher, braucht ja niemand zu erfahren. Wie hast du das mit AZ Technologies überhaupt herausgefunden?«

 

»Das, lieber Peter«, seufzte sie, »willst du gar nicht wissen, glaub mir.«

 

Kochi, Indien

 

Die dumme Kuh wollte nicht ausweichen, also schlug Sayed auf seinem Moped einen Bogen und überrollte beinahe den Jungen, der ohne Augen im Kopf aus dem Haus stürzte. Der Ingenieur war unterwegs zur Baustelle der Wasserversorgung in Mattancherry. Dieser dichtbesiedelte Stadtteil Kochis lag etwa vier Kilometer südöstlich der DT Entsalzungsanlage bei Veli und sollte der erste Abnehmer für ihr Trinkwasser werden. Sie waren auf Gedeih und Verderb vom Fortschritt der Bauarbeiten abhängig, denn nur wenn das Leitungsnetz in vernünftigem Zustand war, durften sie ihr Trinkwasser einleiten. Ihn traf fast der Schlag, als er die Pumpstationen und Verteiler das erste Mal sah. Die Installationen glichen eher denen einer verlassenen Klärgrube, und die Rohre machten nicht den Anschein, einem normalen Wasserdruck standzuhalten. Diese Gegend, von der es hieß, sie sei eine der dichtest bevölkerten der Erde, befand sich am Rand des Versorgungsnetzes. Der Druck war chronisch zu niedrig, sauberes Wasser oft knapp oder nicht vorhanden. Das hatte auch die Stadtverwaltung nach jahrelangem, zähem Ringen bemerkt. Sie handelte nun entschlossen, nicht zuletzt dank der kleinen Firma Disruptive Technologies, wie Sayed stolz zu bemerken pflegte. Die neue Zuleitung von ihrem Werk zur Verteilstation war gelegt. Nur noch der Anschluss ans Netz in Mattancherry fehlte, und das war sein Problem. Die Vollzugsmeldung hätte Ende letzter Woche eintreffen sollen. Heute war Mittwoch, und er hatte immer noch nichts von der Bauleitung gehört. Telefonanrufe liefen ins Leere, Mailboxmeldungen wurden nicht beantwortet, ganz im Gegensatz zu früheren Phasen. Rajiv, Vorarbeiter mit Leib und Seele, liebte es, wortreich über den Fortschritt seines Projekts zu reden.

 

Was ist los mit euch?, dachte Sayed beunruhigt, als er auf die Baustelle einschwenkte. Er lehnte den Roller an eine Baracke und schaute sich nach Rajiv um. Er war nirgends zu sehen. Überhaupt kein Mensch war zu sehen, der Bagger stand reglos am Rand der Grube, kein Fahrzeug versperrte den Weg. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Die Männer schienen ihr Gerät mitten in der Arbeit stehen und liegen gelassen und das Weite gesucht zu haben.

 

»Geht’s endlich weiter?«, fragte ein dünnes Stimmchen hinter seinem Rücken. Es gehörte einem dürren, alten Männchen, nicht größer als ein halbwüchsiger Knabe und nackt bis auf die kurzen Hosen.

 

»Ich fürchte nein, guter Mann.«

 

Der Alte fixierte ihn mit stechendem Blick. »Was tun Sie dann hier?«

 

»Ich – suche Rajiv, den Bauführer.«

 

»Rajiv, ha!« Das Männchen spuckte verächtlich auf den Boden. »Bauführer, dass ich nicht lache.«

 

»Kennen Sie ihn denn?«

 

Der Alte schaute kopfschüttelnd zu ihm auf, als hätte er den Verstand verloren. »Was glauben Sie, warum ich hier bin? Um zuzuschauen?« Prustend stieß er die Luft aus, dermaßen entrüstete ihn diese Vorstellung. »Arbeiten tu ich hier. Arbeiten natürlich! Aber Ihr Rajiv, der feine Herr, hat ja seit zwei Wochen keine Arbeit mehr für unsereinen, und jetzt sind sie ganz verschwunden. Wovon soll ich noch leben? Können Sie mir das sagen, junger Mann?« Wollte der Sonderling einfach Geld von ihm? Sayed glaubte es nicht. Er war kein Bettler.

 

»Seit wann steht denn die Baustelle still?«, fragte er, um vom heiklen Thema abzulenken. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen:

 

»Seit letzten Donnerstag, zwölf Uhr mittags.«

 

»Wissen Sie warum?«

 

Das Gesicht des Alten verzog sich zu einer Grimasse unendlichen Abscheus. »Keine Ahnung, mir sagt man ja nichts.« Wieder spuckte er auf den Boden. »Rajiv macht nicht einmal die Tür auf, wenn ich klopfe.«

 

Sayed horchte auf:

 

»Sie wissen, wo er wohnt?«

 

»Klar, nicht weit von hier, aber er macht nicht auf.«

 

»Können Sie mich hinführen? Ich bezahle gut.«

 

So könnte er dem Mann ein wenig unter die Arme greifen, ohne seinen Stolz zu verletzen. Erst musterte ihn der Alte misstrauisch, doch dann wandte er sich um und sagte: »Kommen Sie.«

 

Ein paar Straßenzüge weiter betrat er eine Gasse, deren eine Seite schäbige Holzschuppen bildeten, hin und wieder überragt von den staubigen Kronen der Kokospalmen. Die Seite gegenüber gehörte in eine vollkommen andere Welt. Schmucke, zweistöckige Wohnhäuser reihten sich hier aneinander, frisch verputzt, wie es schien, mit grünen Fensterläden, bunten Fähnchen und Blumen neben den Eingängen.

 

»Das ist sein Auto«, rief der Alte und zeigte heftig gestikulierend auf den einzigen Wagen in der Gasse.

 

»O. K. Sie lassen mich jetzt besser allein mit ihm sprechen. Vielen Dank.« Er gab dem Mann den versprochenen Lohn und wartete, bis er sich entfernt hatte.

 

Die Klingel schien nicht zu funktionieren. Jedenfalls rührte sich nichts im Haus, bis er lautstark an die Tür klopfte. Er hörte Schritte und sah, wie sich der Vorhang hinter einem der Fenster bewegte.

 

»Rajiv, ich bin’s, Sayed. Mach bitte auf, ich muss unbedingt mit dir reden!« Es dauerte ein paar Sekunden, bis jemand den Schlüssel drehte und die Tür einen Spalt aufstieß.

 

»Bist du allein?«, fragte Rajiv ängstlich, bevor er ihn einließ. Misstrauisch überprüfte er das Treiben auf der Gasse, dann schloss er die Tür schnell wieder und verriegelte sie.

 

»Ist alles in Ordnung?«