XII
Einmal stellte jemand hinter dem Vorhang neugierige Fragen, so daß Jon-Tom hinausgehen mußte, um ihn abzuwimmeln. Die Zeit verstrich, die ferne Musik verklang, und Jon-Tom schlief ein.
Eine riesige gepanzerte Spinne trampelte mit schweren Schritten hinter ihm her, mit schnappenden Zangen und sabbernden Fängen. So schnell er auch rannte, er konnte sie nicht abhängen. Endlich versagten ihm die Beine, und sein Atem stockte. Da stürzte sich das Ungeheuer auch schon auf ihn und blinzelte gierig auf seinen hilflosen, festgeklemmten Körper hinab. Die Fänge senkten sich, doch nicht in seine Brust. Statt dessen bissen sie ihm die Finger ab, einen nach dem anderen.
»Jetzt kannst du keine Musik mehr machen«, raunte ihm das Untier zu. »Jetzt mußt du doch ins juristische Seminar... haha haha!«
Eine Hand schüttelte ihn. »Der Meischter ischt wach, Jon- Tom, Freund.«
Jon-Tom richtete sich auf. Er hatte auf dem Boden geschlafen, mit dem Rücken gegen die Höhlenwand gelehnt. Clodsahamp saß auf dem knarrenden Flechtwerk seines Bettes und rieb sich gerade den Unterkiefer. Dann setzte er seine Brille auf und bemerkte Jon-Tom.
»Ich kenne jetzt den Ursprung«, sagte er fröhlich, »des neuen Übels, dessen die Gepanzerten sich bemächtigt haben. Ich weiß nun, woher die Gefahr droht!«
Jon-Tom stand auf, klopfte sich den Staub ab und blickte den Hexer besorgt an. »Und, was ist es nun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber gerade haben Sie doch gesagt...?«
»Ja, ja, aber ich weiß es, und ich weiß es nicht.« Der Hexer klang sehr müde. »Es ist ein Verstand. Ein wunderbar weiser Geist. Eine Intelligenz von einer solchen Tiefgründigkeit und Größe, wie ich ihr noch niemals begegnet bin, voller Wissen, das ich nicht erfassen kann. Sie umspannt Mysterien, die ich nicht einmal zu begreifen vorgebe, aber es ist offensichtlich, daß sie gefährlich und mächtig ist.«
»Das hat sich deutlich gezeigt«, meinte Jon-Tom. »Was ist das für ein Wesen? In wessen Kopf befindet es sich?«
»Ach, genau das ist es, was ich eben nicht weiß.« Clodsahamps Stimme klang beunruhigt und verwirrt. »Ich habe noch nie einen solchen Geist getroffen. Eines habe ich, glaube ich, feststellen können.« Er blickte an dem hochgewachsenen Jon-Tom empor. »Er ist tot.«
Pog zögerte erst, dann fragte er: »Aber wenn er doch tot ischt, wie kann er denn da den Gepanscherten helfen?«
»Ich weiß, ich weiß«, knurrte Clodsahamp düster, »das ergibt keinen Sinn. Wollt ihr etwa von mir erwarten, daß ich mich auf der Stelle mit allen Mysterien des Universums auskenne, sobald sie mir begegnen?«
»Entschuldigung«, sagte Jon-Tom. »Pog und ich hatten nur gehofft, daß...«
»Vergiß es, mein Junge.« Der Hexer lehnte sich gegen die schwarze Wand und wedelte ihm mit matter Hand zu. »Ich habe kein bißchen mehr in Erfahrung gebracht, als ich selbst gehofft hatte. Und wo das Wissen rar ist, bleibt immer noch die Hoffnung.« Traurig schüttelte er den Kopf.
»Ein Geist von solcher Macht und Begabung, und doch ist er genauso tot wie der Fels dieser Höhlenkammer. Davon bin ich überzeugt. Und doch hat Eejakrat von den Gepanzerten einen Weg gefunden, wie er sich dieser Macht bedienen kann.«
»Ein Zombie«, murmelte Jon-Tom.
»Diesen Begriff kenne ich zwar nicht«, erwiderte Clodsahamp, »aber ich akzeptiere ihn. Ich werde alles akzeptieren, was diesen schrecklichen Widerspruch erklären kann. Manchmal, mein Junge, kann Wissen verwirrender sein als bloße Ignoranz. Bestimmt birgt das Universum noch größere, wenngleich weniger gefährliche Widersprüche als diesen einfallsreichen, kalten Verstand.« Er klang entschlossen.
»Nun, da ich für diesen Geist sensibilisiert bin, bin ich auch zuversichtlich, daß wir ihn ausfindig machen können. Wir müssen feststellen, wem er gehört, und ihn oder sie vernichten - denn ich hatte keinerlei Wahrnehmung hinsichtlich des Geschlechts seines Besitzers.«
»Aber dasch geht doch nicht, Meischter«, wandte Pog ein.
»Denn du schagscht ja schelbscht, dasch diesches Gehirn in der Gewalt desch groschen Hexersch Eejakrat ischt, und Eejakrat lebt in Cugluch.«
»Die Hauptstadt der Gepanzerten«, erinnerte Clodsahamp Jon-Tom.
»Genau scho ischt esch. Alscho ischt esch auch offenschichtlich, dasch wir nicht... dasch wir nicht...« Die Stimme versagte Pog, als seine Augen so groß wurden wie die eines Lemuren. »Nein, Meischter!« murmelte er mit angsterfüllter Stimme. »Dasch können wir nicht! Unmöglich!«
»Im Gegenteil, Famulus, es ist sogar sehr wohl möglich. Natürlich muß ich diese Angelegenheit zuerst mit unseren anderen Gefährten besprechen.«
»Was besprechen?« fragte Jon-Tom, der fürchtete, daß er die Antwort bereits kannte.
»Was? Na, natürlich unsere Reise nach Cugluch, um dort dieses Übel ausfindig zu machen und es auszurotten, mein Junge. Was sollte ein zivilisiertes Wesen denn auch sonst tun?«
»Ja, was sonst.« Jon-Tom hatte sich bereits resigniert mit der Reise abgefunden. Ob dieses Cugluch wohl noch schlimmer war als der Schlund der Erde? Pog schien das zu glauben, doch anderseits hatte Pog sogar vor seinem eigenen Schatten Angst.
Clodsahamp war wieder bei Kräften. Er glitt vom Bett und schritt auf den Eingang zu. »Wir müssen uns mit den anderen beraten.«
»Es könnte sein, daß sie gerade nicht in der Lage sind, alles zu verstehen«, warnte ihn Jon-Tom. »Wir haben schließlich sehr großzügige Gastgeber, müssen Sie wissen.«
»Eine Nacht voll harmloser Vergnügungen so dann und wann, das ist gut für die Seele, mein Junge. Obwohl es nie bis zur Bewußtlosigkeit gehen sollte. Ich sehe mit Wohlgefallen, daß du dich beherrscht hast.«
»Bis jetzt!« wandte Jon-Tom ein. »Aber nach dem, was Sie da vorschlagen, könnte es durchaus sein, daß ich es mir noch anders überlege.«
»Ach, es wird nur halb so schlimm werden«, sagte der Hexer und schlug ihm gegen die Hüfte, während sie den Vorhang beiseitezogen und in den Gang hinausgingen. »Es wird zwar auch Gefahren geben, aber so etwas haben wir schon mehrfach überlebt.«
»Klar, aber das ist nicht wie eine Schutzimpfung«, brummte Jon-Tom. »Wir sind dadurch nicht immun dagegen geworden. Wir gehen ständig Risiken ein, und früher oder später werden sie uns schon noch einholen.« Er duckte sich, um einem tiefhängenden Eisenstück aus zu weichen.
»Wir werden unser Bestes tun, dafür zu sorgen, daß sie langsamer sind als wir, mein Junge.«
Pog blieb zurück und hing immer noch an der Öllampe im mittlerweile leeren Zimmer. Er überlegte sich, ob er nicht für immer hierbleiben sollte. Die Eisenwolkenbewohner würden ihn, davon war er überzeugt, bestimmt beherbergen. Doch das würde natürlich bedeuten, daß es für ihn keine Verwandlung geben würde. Alles, was er durch die Hände (und die Worte!) des Hexers hatte erleiden müssen, wäre umsonst gewesen. Und er wußte auch, wie sehr die Gruppe in Sachen Aufklärung und so weiter von ihm abhing, weil er ihr einziges flugfähiges Mitglied war.
Und davon abgesehen war der Tod immer noch besser als ein Leben mit einer unerwiderten Liebe.
Er löste sich von der Lampe und schwang sich in die Luft, um hinter den beiden Hexern herzusausen.
Am nächsten Morgen kam es zu der erwarteten Debatte und Diskussion. Wie schon zuvor, wurde jedes Mitglied der Gruppe durch Clodsahamps Versicherungen, seine Sturheit und seine verschleierten Drohungen mürbe gemacht.
Nachdem es nun beschlossene Sache war, war es auch an der Zeit festzustellen, zu welchem Entschluß die Bewohner der Eisenwolke in der Nacht gekommen waren. Auf dem Plateau unterhalb der Höhlenstadt wurden sie von fünf der großen Eulen empfangen: Es waren zwei Ohr- und zwei Schleiereulen sowie eine winzige Waldkauzin, die zwar noch kleiner als Pog war, aber ihren größeren gefiederten Brüdern an Würde in nichts nachstand. Sie hatten fünf Lemuren dabei. Die Sonne war noch nicht aufgegangen.
»Wir zweifeln nicht an eurer Ernsthaftigkeit, und auch nicht an der Wahrheit dessen, was ihr erzählt habt«, begann Tolafay, »und ebensowenig am Wert eures Vorhabens, aber wir hatten doch unsere Zweifel, ob all dies es wert ist, eine Regel der Nichteinmischung in die Auseinandersetzung anderer zu brechen, die bei uns schon seit Hunderten von Jahren gilt.« Er zeigte auf Ananthos.
»Und doch teilen wir derlei Gefühle mit den Bewohnern der Schildebene, und die haben sich trotzdem dazu bereiterklärt, euch zu helfen. Also werden auch wir euch helfen.« Seine Gefährten stimmten ihm murmelnd zu.
»Dann wäre das also erledigt«, sagte ein zufriedener Clodsahamp. »Ihr werdet wertvolle Verbündete in dem kommenden Krieg sein und...«
»Einen Augenblick mal, bitte!« Einer der Lemuren trat vor. Er trug einen hohen steifen Kragen und eine leichte Weste über einer bauschigen hellgelben Hose. »Wir haben nicht gesagt, daß wir eure Verbündeten werden wollen. Wir haben gesagt, daß wir euch helfen werden.
Ihr habt uns gebeten, den Webern zu gestatten, durch unser Land zu reisen und einen Weg nach Süden durchs Gebirge freizugeben, damit sie die Schwertgau erreichen und von dort zum Jo-Troom-Tor vorstoßen können, von dem ihr berichtet. Das werden wir auch tun. Außerdem werden wir versuchen, für euch eine Strecke in die Grünauen ausfindig zu machen. Aber mitkämpfen werden wir nicht.«
»Aber ich dachte...«, fing Jon-Tom an.
»Nein!« fauchte eine der anderen Eulen. »Definitiv nein!
Mehr können wir nicht für euch tuuhuuhuun. Also verlangt es auch nicht von uns.«
»Aber ihr könnt doch nicht...« Eine besänftigende Hand berührte Talea, worauf sie verstummte.
»Das ist mehr, als wir erwartet haben, Freunde. Es wird genügen.« Clodsahamp drehte sich zu Ananthos um. »Wir haben die Verbündeten, die wir bekommen wollten.«
»Die habt ihr«, erwiderte die Spinne endlich, »voraus gesetzt die Armee kann schnell genug aufgestellt werden, um sich in Marsch zu setzen.«
»Das kann ich nur hoffen«, erwiderte der Hexer ernst. »Denn das Schicksal zahlreicher Welten könnte davon abhängen.«
»Aber nicht das der Eisenwolke«, sagte eine weitere Eule selbstzufrieden. »Eisenwolke ist uneinnehmbar und gegen Angriffe gefeit, ob zu Land oder aus der Luft.«
»Das mag wohl sein«, pflichtete Caz gelassen zu, »aber nicht gegen Magie.«
»Dieses Risiko gehen wir ein«, erklärte Tolafay entschieden.
»Dann bleibt nichts mehr zu sagen.« Clodsahamp nickte. Wortlos verschwanden zwei der Eisenwolkenbewohner, Eule und Primat, die sich in die Lüfte hoben, um sich zu ihren Brüdern hoch oben am nächtlichen Himmel zu gesellen. Riesige Schwingen und glühende Augen leuchteten, als die Nachtjäger wieder zu zweit und zu dritt in ihr schwarzes Heim zurück kehrten und die Luft zwischen Erde und Mond ausfüllten.
Wieder erhob sich ein Paar vom Plateau und strebte der Dunkelheit des Höhleninneren zu, einem guten, warmen Tagesschlaf entgegen. Jon-Tom konnte nur hoffen, daß dieser Hort wirklich so unverwundbar gegen die drohenden Angriffe der Gepanzerten war, wie es seine Bewohner glaubten.
Eine der Lemurinnen starrte sie neugierig an, während ihr Eulengefährte ungeduldig im Sand scharrte. Die Sonne spähte bereits über die zerklüfteten Felsen im Osten, und die riesigen Augen waren im Halbschlaf schon zu drei Vierteln geschlossen.
»Eins wüßte ich ganz gern. Wie wollt ihr Warmländer denn nach Cugluch eindringen?«
»Mit Tarnung«, erwiderte Clodsahamp hoffnungsfroh.
»Ihr seht aber nicht sonderlich wie Gepanzerte aus«, meinte die Lemurin zweifelnd.
Clodsahamp wackelte mit einem Finger und sprach weise: »Die beste Tarnung ist die Zuversicht. Wir werden vor den Gepanzerten dadurch geschützt sein, daß nicht einer von ihnen glauben wird, daß wir uns dort aufhalten könnten. Und wo die Zuversicht im Spiel ist, da ist die Magie nicht mehr fern.«
Die Lemurin zuckte mit den Schultern. »Ich meine, ihr seid alle Narren. Tapfere Narren, und bald tote Narren. Aber wir werden den Webern den Weg zeigen, den sie nehmen müssen, und euch zeigen wir den Weg in den Tod.« Sie blickte zum Himmel empor. »Da kommen eure Führer.«
Zwei Eulen glitten zu ihnen hinab, um sich ihnen anzuschließen. Eine von ihnen machte dem abwartenden Ananthos ein Zeichen. Der Weber zitterte leise, als er sich verabschiedete.
»Wir treffen uns am Tor«, sagte er zu ihnen. »Das heißt, sofern ich diese Reise überlebe. Ich bin zwar schwindelfrei, aber ich bin noch nie in Höhen gewesen, wo ich einen Fall nicht dadurch abbremsen konnte, daß ich Seide um irgendeinen festen Gegenstand schlang. Von einer Wolke aus läßt es sich nicht spinnen.«
Sie sahen ihm nach, bis die Eulenschwingen nur noch eine dünne schwarze Linie am Horizont waren. Dann konnte nicht einmal Caz das Paar mehr ausmachen.
Die kleine Waldkauzin stand brummend etwas abseits. Ihr Kilt war schwarz, purpurn und gelb. »Ich bin Imanooo«, teilte sie ihnen brüsk mit. »Bringen wir's hinter uns. Ich zeige euch zwei Tage lang den Weg, aber das ist auch alles. Danach seid ihr allein auf euch selbst gestellt.«
Die verbliebene Lemurin stieg in den Sattel. »Ich meine zwar immer noch, daß ihr alle Narren seid«, sagte sie mit breitem Lächeln, »aber oft hat ein mutiger Narr dort Erfolg gehabt, wo ein vorsichtiges Genie versagt hat. Guten Flug.« Sie grüßte mit einem Armwinken, als sie sich mit ihren Gefährten in die Lüfte hob und gen Himmel flog.
In ihrer Kaltwetterkleidung zurück gelassen, sahen die Reisenden dem letzten Paar nach, wie es im Hämatit verschwand. Dann schwang sich Imanooo empor und flog in südlicher Richtung voran, und sie folgten ihr.
Der Pfad, der keiner war, führte sie immer tiefer die Hänge hinab. Nach dem strapaziösen Marsch zur Eisenwolke war es eine willkommene Abwechslung, einmal bergab gehen zu können. Am Tag nachdem Imanooo sie verließ, begannen sie damit, ihre schwere Kleidung abzulegen. Bald darauf schritten sie zwischen Bäumen und Strauchwerk dahin, und der Schnee war nur noch eine langsam verblassende Erinnerung.
Jon-Tom ging etwas langsamer, um bei Clodsahamp zu bleiben. Der Hexer war vorzüglicher Laune und zeigte keinerlei Schwächung durch die Gewaltmärsche der vergangenen Wochen.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja, mein Junge?« Die Augen blickten ihn durch dicke Brillengläser an. Sofort fühlte sich Jon-Tom verunsichert. Gerade eben, als er darüber nachgedacht hatte, war ihm alles noch ganz einfach erschienen, eine bloße Frage. Und nun blieb sie ihm fast in der Kehle stecken.
»Nun«, kam es schließlich aus ihm heraus, »mein Volk kennt da eine bestimmte Geistes- oder Seelenverfassung.«
»Fahr nur fort, mein Junge.«
»Sie hat auch einen allgemein verbreiteten Namen. Man nennt sie Todessehnsucht.«
»Das ist aber interessant«, meinte Clodsahamp nachdenklich.
»Ich vermute, das bedeutet doch, daß jemand sterben will.«
Jon-Tom nickte. »Manchmal merkt das der Betroffene selbst gar nicht, so daß es ihm erst ein anderer klarmachen muß. Und selbst dann glaubt er es nicht immer.«
Sie schritten eine Weile schweigend weiter, bis Jon-Tom schließlich hinzufügte: »Äh, ich will ja bestimmt nicht respektlos sein, aber könnte es vielleicht sein, daß Sie Todessehnsucht verspüren?«
»Im Gegenteil, mein Junge«, erwiderte der Hexer, der anscheinend nicht im geringsten verärgert war. »Ich habe Sehnsucht nach dem Leben. Ich bringe mich selbst nur deswegen in Gefahr, um anderen das Leben zu retten. Das kann ja wohl kaum bedeuten, daß ich mein eigenes vernichten will.«
»Das weiß ich ja, aber mir scheint, Sie haben uns von einer Gefahr in die andere geführt, um immer größere Risiken einzugehen. Mit anderen Worten: Je länger wir überleben, um so bereitwilliger scheinen Sie den Tod riskieren zu wollen.«
»Eine legitime Folgerung, die freilich nur auf deiner Interpretation der Fakten fußt«, erwiderte Clodsahamp. »Du vergißt dabei eins: Ich möchte genauso wie jeder von euch leben und überleben.«
»Können Sie sich dessen wirklich sicher sein? Schließlich leben Sie ja schon mehr als doppelt so lang wie ein gewöhnlicher Mensch, und Sie haben ein viel erfüllteres Leben hinter sich als jeder von uns.« Er zeigte auf die anderen.
»Würde es Ihnen sehr weh tun, sterben zu müssen?«
»Deine Argumentation leuchtet mir durchaus ein, mein Junge. Du willst sagen, daß ich bereit bin, den Tod zu riskieren, weil ich schon ein halbwegs gutes Leben hinter mir habe und weniger zu verlieren habe als du.«
Jon-Tom erwiderte nichts.
»Mein Junge, du lebst noch nicht lange genug, um das Leben zu verstehen. Glaube mir, inzwischen erscheint es mir noch wertvoller, weil ich weniger davon habe. Ich wache eifersüchtig über jeden Tag, weil ich weiß, daß es mein letzter sein kann. Ich habe nicht weniger zu verlieren als du - ich habe sogar mehr zu verlieren.«
»Ich wollte mir nur sicher sein.«
»Wessen sicher? Die Gründe für meine Entscheidungen? Das kannst du, Junge. Die beruhen auf einem einzigen Motiv: auf der Notwendigkeit, die Horden der Gepanzerten daran zu hindern, die Zivilisation auszulöschen. Selbst wenn ich tatsächlich sterben wollte, würde ich das nicht tun, ohne zuvor jedes bißchen Kraft meines Körpers darauf verwendet zu haben, diese Massen daran zu hindern, die Warmlande zu zerstören. Wenn ich unter dieser Verirrung leiden sollte, die du mir zusprichst, würde ich mich vielleicht selbst umbringen, aber erst nachdem ich alle anderen gerettet hätte.«
»Es ist beruhigend, das zu hören.« Jon-Tom fühlte sich erheblich erleichtert.
»Es gibt da allerdings eine Sache, die mir ein bißchen Sorge macht.«
»Und welche ist das?«
»Nun, es ist höchst seltsam.« Der Hexer blickte zu ihm empor. »Aber weißt du, ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich mich noch an die Formel für unsere Tarnung und Verkleidung erinnern kann.«
Jon-Tom zögerte und runzelte die Stirn. »Aber ohne die können wir wohl kaum nach Cugluch eindringen, oder?«
»Natürlich nicht«, stimmte Clodsahamp ihm fröhlich zu.
»Deshalb schlage ich vor, daß du dir ein paar passende Banngesänge überlegst. Du hast ja einen der Gepanzerten gesehen. Genauso müssen wir versuchen auszusehen.«
»Ich weiß nicht, ob...«
»Bemüh dich, mein Junge«, sagte der Hexer in ernsterem Ton. »Denn wenn dir nichts einfallen sollte und ich mich nicht mehr an die Formel erinnern kann, dann müssen wir, fürchte ich, diesen Versuch aufgeben.«
Obwohl er sich die nächsten Tage das Gehirn mächtig zermarterte, gelang es Jon-Tom nicht, sich auch nur einen einzigen Zaubergesang einfallen zu lassen. Bei den Gruppen, deren Musik er auswendig kannte, waren Insekten nicht eben ein herausragendes Thema, ob es nun Zeppelin oder Tüll, Queen oder die Stones waren oder selbst die Beatles, die doch, wie es ihm vorkam, über alles und jedes mindestens einen Song geschrieben hatten. Er kramte tief in seinem Gedächtnis, ging die wenigen klassischen Stücke durch, die er kannte, sprang von Furry Lewis zu Ferlin Husky und Foreigner, doch ohne Erfolg.
Andererseits war dieser Mangel an diesem speziellen Material auch irgendwie verständlich. Liebe und Sex und Geld und Ruhm waren schließlich viel attraktivere Songthemen als Käfer. Immerhin half ihm das Nachdenken, die Zeit totzuschlagen und den Marsch etwas erträglicher zu machen.
Nicht ein einziges Mal kam ihm auch nur der leiseste Verdacht, daß Clodsahamp seine Bitte vielleicht nur geäußert haben könnte, um Jon-Toms Aufmerksamkeit auf harmlosere Dinge zu richten und ihn abzulenken.
So vergingen drei Tage, bis sie schließlich die Ausläufer der weiten, hügeligen Grünauen erreichten. An einem Abhang machten sie Rast und verzehrten Nüsse, Beeren und getrocknetes Echsenfleisch, während sie den Nebel beobachteten, der das Land der Gepanzerten einhüllte.
Die Nadelbäume hatten den Boden den Harthölzern überlassen, und diese versuchten nun, ihre Vorherrschaft gegenüber den Palmen und Affenbrotbäumen zu behaupten, gegenüber Schling- und Kriechpflanzen. Gelegentlich erscholl ein fremdartiger Schrei oder ein seltsames Pfeifen im Nebel.
Jon-Tom hatte seine Mahlzeit beendet und stand auf. Die ledernen Hosen klebten ihm von der Feuchtigkeit an den Beinen. Im Westen ragten die schneebedeckten Kuppen von Zaryts Zähnen empor. Es fiel schwer zu glauben, daß dieses mächtige Bollwerk von einem Paß durchzogen sein sollte. Der befand sich irgendwo südwestlich von ihrer jetzigen Position. An seinem anderen Ende war das Jo-Troom-Tor und dahinter ein Teil der Schwertgau und das geschäftige, freundliche Polastrindu.
Sein eigenes Zuhause war etwas weiter von hier entfernt, eine Billion Kilometer bis zum anderen Ende der Zeit, dann am Riß im Raumzeitgefüge rechts abbiegen und den vierdimensionalen Zubringer nehmen.
Er drehte sich um. Clodsahamp war mit seiner Hexerei beschäftigt, und Pog assistierte ihm.
»Wir sollten uns besser was einfallen lassen.« Talea war neben ihn getreten und stand nun da, in den Nebel hineinstarrend. »Wenn wir da unsere Nasen in der üblichen Weise reinstecken, dann enden wir wie nix in irgendeinem Kochtopf, bevor der Tag sonderlich alt geworden ist.«
»Ja, da ‘ast du wohl recht, Liebchen«, meinte auch Mudge.
»Der muß wirklich dafür sorgen, daß wir wie 'ne leib'aftige 'öllenbrut aussehen!«
»Ich glaube, das hat er bereits«, bemerkte Caz dazu. »Du solltest deine Antennen mal ausrichten. Die linke zeigt nämlich nach hinten, anstatt nach vorne.«
»Mach ich!« Mudge griff nach oben und war gerade dabei, den widerspenstigen Fühler zu glätten, als er plötzlich merkte, was geschehen war. »Gott, das ging aber schnell!«
Clodsahamp gesellte sich zu ihnen. Genaugenommen gesellte sich ein klobiger, teigiger Käfer zu ihnen, der sich irgendwie wie Clodsahamp anhörte. Blaßrote Augen inspizierten sie einen nach dem anderen, vier Arme waren vor dem gestreiften Unterleib verschränkt.
»Was meint ihr, meine Freunde? Habe ich das Problem gelöst und euch eure Sorgen genommen, oder nicht?«
Nachdem sie sich von ihrem Anfangsschock erholt hatten, waren sie in der Lage, Bilanz zu ziehen. Die Tarnung schien absolut narrensicher zu sein. Talea, Flor, Mudge und die anderen glichen nun riesigen Versionen von Kreaturen, die Jon- Tom normalerweise zu zertreten pflegte. Die dazugekommenen mittleren Arme bewegten sich im Einklang mit ihren ursprünglichen. Pog hatte sich in einen riesigen Flugkäfer verwandelt.
»Bist du das wirklich da drin, Jon-Tom?« Das Ding mit Flors Stimme fuhr mit einer krallenbewehrten Hand über den fahlblauen Chitinpanzer, der ihn umgab.
»Ich denke schon.« Er blickte an sich hinab und bemerkte erstaunt die vielgelenkigen Beine, die glatte Wölbung des Unterleibs und das eigenartige wellenförmige Schwert an seiner Hüfte.
»Ist es dir auch nicht zu unbequem, mein Junge?«
Bewundernd sah Jon-Tom den untersetzten Käfer an.
»Wunderbare Arbeit. Ich fühle mich wie in einem Panzerkleid, und doch ist mir jetzt kühler als vorher.«
»Das ist Teil der Tarnung, mein Junge«, sagte der Hexer stolz.
»Auf die Kleinigkeiten kommt es an.«
»Da wir gerade von Kleinigkeiten sprechen, Euer Meisterschaft«, sagte Mudge, »wie kann ich denn damit pinkeln?«
»An den entsprechenden Stellen befinden sich abnehmbare Chitinteile, Otter. Du mußt aber darauf achten, deine sämtlichen Körperfunktionen vor allen zu verbergen, denen wir begegnen. Ich konnte zum Beispiel keine Gepanzertenkiefer imitieren, mit denen wir essen können. Hoffentlich können wir unsere Aufgabe in Cugluch erledigen, möglichst bald wieder verschwinden und aus diesen Anzügen steigen.«
»Sie haben die Formel gut behalten«, sagte Jon-Tom zu dem Hexer.
»Gut genug, mein Junge.« Sie ließen ihr Gepäck liegen und machten sich an den Abstieg in das dampfende Tiefland. »Ein Schlüsselvers war mir eine Weile entfallen.
Multioptik, Augenglas, Sechserbein aus Fiberglas, außen warm, doch innen kühl, spinn ich den Anzug aus Vinyl.«
Er fuhr fort, die Formel zu erläutern, die ihnen eine solch vollkommene Verkleidung beschert hatte.
»Narrensicher sind die also, eh?« fragte Talea, die ein Stück vor ihnen ging, zuversichtlich. Es fiel schwer, sich das schwarzbraun gepunktete Geschöpf als die schöne, lebhafte Talea vorzustellen, dachte Jon-Tom.
»Meine Liebe, keine Verkleidung ist narrensicher«, erwiderte Clodsahamp düster.
»Dasch kann man verdammt noch mal schagen.« Pog flatterte unbeholfen auf seinen falschen Käferflügeln über ihnen.
»Wir gelangen aus den nördlichen Gebirgszügen in die Grünauen«, erinnerte der Hexer die Gruppe. »Die Gepanzerten können sich überhaupt nicht vorstellen, daß jemand absichtlich in ihr Land kommen könnte. Das einzige Gebiet, das vielleicht ein wenig bewacht wird, dürfte die Gegend um den Paß sein. Eigentlich müßten wir uns ungehindert unter alle mischen können, die uns unterwegs zufällig begegnen.«
»Das wäre dann die härteste Bewährungsprobe für diese Anzüge, nicht wahr?« warf Caz ein. »Nicht ob wir füreinander überzeugend aussehen, sondern ob wir sie narren können, ist entscheidend.«
»Die Formel war so umfassend, wie ich sie nur zustande bringen konnte«, erwiderte Clodsahamp zuversichtlich. »Na ja, das werden wir schon bald merken.«
Sie kamen um eine Biegung auf dem Wildpfad, dem sie folgten, und standen plötzlich vor einem Dutzend Arbeitern aus diesem gesegneten Land. Die Gepanzerten fällten Hartholz und luden die Stämme auf einen echsengezogenen Schlitten. Da sie nicht mehr zurückweichen konnten, schritten sie unbeirrt weiter.
Fast waren sie schon an den Holzfällern vorbei, als einer von ihnen, vielleicht ein Vorarbeiter, auf kurzen, spinnendürren Beinen auf sie zukam und mit zweien seiner vier Arme gestikulierte. Jon-Tom merkte sich die Geste für den späteren Gebrauch.
»Heil euch, Bürger! Woher des Weges und wohin?«
Nach einem ungemütlich langen Schweigen fiel es Caz ein zu sagen: »Wir waren draußen auf Patrouille.«
»Auf Patrouille... in den Bergen?« Der Vorarbeiter blickte mit schräggelegtem Kopf zu den Schneemassen hinter dem Waldrand hinüber. Er gab ein klickendes Geräusch von sich, das noch einigermaßen als Lachen hätte durchgehen können. »Was denn für eine Patrouille? Aus dem Norden kommt doch nichts.«
»Derlei Information«, erwiderte Caz und suchte verzweifelt nach einer Asurede, »brauchen wir Holzfällern nicht zu geben. Doch es schadet nichts, wenn ihr es erfahrt.« Seine Verkleidung verlieh seiner Stimme einen schnarrenden, raspelnden Ton.
»In ihrer Weisheit hat die Kaiserin angeordnet, daß jeder mögliche Zugang wenigstens gelegentlich kontrolliert werden soll. Du willst doch wohl nicht die Weisheit der Kaiserin in Zweifel ziehen?« Caz legte die Hand an seinen Krummsäbel und packte die fremdartige Waffe mit zwei Gliedern.
»Aber nein, aber nicht doch!« erwiderte der Insektenvorarbeiter hastig. »Natürlich nicht. Vor allem jetzt ist strenge Geheimhaltung oberstes Gebot.« Doch klang er immer noch skeptisch. »Aber aus diesen Bergen ist schon seit vielen, vielen Jahren nichts mehr hervorgekommen.«
»Selbstverständlich nicht«, konterte Caz hochmütig. »Beweist das nicht, wie effizient diese Geheimpatrouillen sind?«
»Das leuchtet mir ein, Bürger«, pflichtete der Vorarbeiter ihm bei, von Caz' unwiderstehlicher Logik überwältigt.
Die anderen waren weitermarschiert, während der Hase mit dem Vorarbeiter gesprochen hatte. Dieser ehrenwerte Zeitgenosse ging sofort in Habachtstellung und bot das Schauspiel einer interessanten Salutiertechnik, indem er nämlich die beiden linken Arme anwinkelte. Caz imitierte den Gruß, wobei sein falscher Mittelarm makellos im Einklang mit seinem richtigen funktionierte.
»Die Kaiserin!« sagte der Vorarbeiter mit lobenswertem Enthusiasmus.
»Die Kaiserin«, erwiderte Caz. »Und nun mach dich wieder an die Arbeit, Bürger. Das Reich braucht euer Holz.« Der Vorarbeiter bekundete sein Verständnis und kehrte zu seiner Arbeit zurück. Caz gab sich Mühe, nicht zu hastig hinter seinen Gefährten den Abhang hinunter zulaufen.
Der Vorarbeiter gesellte sich wieder zu seinen Holzfällern. Einer der Arbeiter blickte auf und fragte neugierig: »Was war denn das, Bürger Vorarbeiter?«
»Nichts. Eine Patrouille.«
»Eine Patrouille? Hier oben?«
»Ich weiß selbst, daß es seltsam ist, in den Bergen einer Patrouille zu begegnen.«
»Mehr als seltsam, würde ich sagen.« Die Antennen des Arbeiters zeigten hügelabwärts hinter den Reisenden her. »Ist eine ziemlich merkwürdige Zusammensetzung für eine Patrouille, egal, was für eine es sein mag.«
»Der Meinung war ich auch.« Der Vorarbeiter nahm einen etwas förmlicheren Ton an. »Aber es steht uns nicht an, die Anordnungen des Oberkommandos in Zweifel zu ziehen.«
»Natürlich nicht, Bürger Vorarbeiter.« Hastig machte sich der andere wieder an die Arbeit.
Bewaldete Berghänge machten bald landwirtschaftlich intensiv genutzten Feldern Platz. Die meisten waren mit einem elastischen Gewächs bepflanzt, dessen Stengel etwa zwei Zentimeter durchmaßen und das wie gelbsüchtiges Zuckerrohr aussah. Sumpfige Pflanzungen wechselten sich mit Herden kleiner, sechsbeiniger Reptilien ab, die geräuschvoll zwischen der weichen Vegetation herumsuchten.
Sie stießen auch auf Truppen bei Manöverübungen, die immer in exaktem Gleichmaß marschierten. Einmal waren sie gezwungen, die erhöhte Straße zu verlassen, um einer in Zwölferreihen marschierenden Kolonne Platz zu machen.
Sie kamen ungehindert an Dutzenden von Gepanzerten vorbei; niemand ahnte etwas von ihren Verkleidungen. Aber Clodsahamp wurde zunehmend besorgter und unzufriedener mit ihrem Vorankommen.
»Zu langsam«, murmelte er. »Es gibt bestimmt eine bessere Art voran zukommen, und zwar eine, die den zusätzlichen Vorteil bietet, uns vor einer genaueren Untersuchung zu bewahren.«
»Woran denken Sie, Chef?« fragte Mudge.
»Ein anderes Fortbewegungsmittel als unsere Füße. Entschuldige, Bürger.« Der Hexer trat mitten auf die Fahrbahn.
Der Wagen, der auf ihn zukam, hielt an. Er war beladen mit durchsichtigen Tonnen, die irgendeine grüne Flüssigkeit enthielten. Der Fahrer, ein ziemlich bäuerlicher Käfer mittlerer Größe, beugte sich ungeduldig über den Kutschbock, als Clodsahamp näher kam.
»Probleme, Bürger? Aber schnell jetzt, ich muß einen Plan einhalten.«
»Fährst du zufällig zur Hauptstadt?«
»Das tue ich, und ich habe keine Zeit für Mitfahrer. Tut mir leid.« Er hob seine Zügel, um das Gespann wieder in Bewegung zu setzen.
»Es geht nicht darum, daß wir mitgenommen werden wollen, Bürger«, sagte Clodsahamp und starrte den Fahrer eindringlich an, »wir wollen nur mitgenommen werden.«
»Oh. Da hatte ich dich wohl mißverstanden. Natürlich. Macht euch bitte hinten Platz.«
Als sie in den Wagen kletterten, kam Jon-Tom dicht an dem Käfer vorbei. Er saß steif auf seinem Sitz und stierte ohne eigentlich etwas wahrzunehmen unverwandt geradeaus. Das hieß, er sah nur das, von dem Clodsahamp wollte, daß er es sähe.
Unter dem Drängen des Hexers schwenkte der Bauer seine Peitsche und ließ das Gespann anziehen. Die Hypnose hatte nur einen Augenblick gedauert, und niemand sonst hatte sie beobachtet.
»Verdammt besser als Laufen.« Talea griff unbeholfen nach unten, um einen Fuß heranzuziehen, wünschte sich, die schmerzende Sohle massieren zu können, wagte aber nicht, selbst diesen kleinen Teil der Verkleidung abzunehmen.
»Klar«, stimmte ihr Jon-Tom zu. Vorsichtig balancierend ging er auf der schwankenden Ladefläche nach vorn; Clodsahamp saß neben dem Fahrer. Das Insekt ignorierte sein Auftauchen.
»Große Dinge ereignen sich heutzutage«, sagte Jon-Tom, um das Gespräch zu eröffnen.
Der Blick des Käfers blieb auf die Straße gerichtet. Er sprach seltsam unnatürlich, als würde ein zweiter Verstand die Worte der Antwort wählen.
»Ja, große Dinge.«
»Was glaubst du, wann wird die Invasion der Warmlande beginnen?« Jon-Tom ließ die Frage so beiläufig wie möglich klingen.
Eine Geste des Fahrers deutete Unkenntnis an. »Wer vermag das zu wissen? Sie gestatten Wagenmeistern kein Wissen über die inneren Abläufe des Obersten Militärs.' Aber es wird ein großer Tag sein, wenn er kommt. Ich selbst habe vier Nestgefährten in den Invasionstruppen. Ich wünschte, ich könnte unter ihnen sein, aber mein Distriktlogistiker beteuert, daß Nahrungsversorgung genauso wichtig für den Erfolg der Invasion sein wird, wie der Kampf. Also bleibe ich, wo ich bin, obwohl es meinen Wünschen widerspricht. Es wird eine denkwürdige Zeit sein. Das Gemetzel wird herrlich werden.«
»Das behauptet man«, murmelte Jon-Tom, »aber können wir des Erfolges so sicher sein?«
Einen Augenblick lang überwand der durch diese Ungläubigkeit hervorgerufene Schock des Fahrers fast die Geistestrübung, in die er versenkt worden war. »Wie kann man das nur bezweifeln? In Tausenden von Jahren hat das Reich keine so gewaltige Streitmacht aufgebaut. Nie zuvor waren wir so gut vorbereitet wie jetzt.
Außerdem«, fügte er in verschwörerischem Ton hinzu, »geht das Gerücht, daß der Großhexer Eejakrat, Ratgeber der Kaiserin selbst, aus den Sphären der Dunkelheit eine unüberwindliche Magie in die Welt gebracht hat, die jeden Widerstand hinwegfegen wird.« Er richtete die Zügel aus, die zur rechten Achse des letzten Paars führten.
»Nein, Bürger, wir können natürlich nicht verlieren.«
»Ich empfinde genauso, Bürger.« Jon-Tom kehrte auf die Ladefläche des Wagens zurück. Clodsahamp schloß sich ihm einen Moment später an, als er leise mit den anderer sprach.
»Wenn Siegesgewißheit ein Indiz für Kampfkraft ist, stehen uns höchstwahrscheinlich schlechte Zeiten bevor.«
»Versteht ihr?« sagte Clodsahamp wissend und lehnte sich gegen ein paar grünschimmernde Behälter. »Das ist der Grund, warum wir diesen toten Verstand finden und zerstören müssen, aus dem Eejakrat irgendwie Wissen zieht, oder bei dem Versuch sterben.«
»Sprechen Sie nur für sich selbst, Chef«, sagte Mudge. »Wer kämpft und wegrennt, lebt, um an 'nem anderen Tag zu kämpfen.«
»Unglücklicherweise«, erinnerte Clodsahamp den Otter leise, »wird es wahrscheinlich keinen anderen Tag mehr geben, wenn wir versagen.«