VI
Am folgenden Nachmittag umschifften sie eine Windung des Flusses, und Jon-Tom glaubte, daß diese bestimmt ihre letzte sein müsse.
Das Vorgebirge ringsum war unaufhörlich angestiegen. Es war beeindruckend, wurde aber von den Klippen, die jäh wie eine Wand vor ihnen aufragten, zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Wolken verhüllten ihre Gipfel, teilten sich nur kurzzeitig, um schimmernde weiße Kappen auf den höheren Erhebungen zu enthüllen - Schnee und Eis, die nie schmolzen. Gesprenkelte Kiefern, deren Reihen bis in den Dunst hineinwuchsen, schienen dünn wie Zweige.
Die graue Klippe, die vor dem Floß aufragte, zeigte weder Einschnitte noch Fugen - solider alter Granit, unpassierbar und kalt.
Bribbens war durch diese ungangbare Barriere weder überrascht noch beunruhigt. Er lehnte sich kräftig gegen das Ruder und wendete das Boot nach Backbord. Zuerst dachte Jon- Tom, sie würden auf die Felsbrocken, die das Ufer säumten, auflaufen, aber als sie einen massigen, scharfen Felsen umrundeten, sah er den winzigen Strand, auf den ihr Bootsführer zuhielt.
Es war ein trockener Einschnitt in der Flanke des Berges. Warmes Wasser schwappte gegen seine Stiefel, als er das Boot zusammen mit den anderen an Land zog. Treibholz mischte sich mit den schwärzlichen Überbleibseln vieler Lagerfeuer. Die Miniaturbucht war der letzte Anlandungspunkt des Flusses.
Zumindest des sichtbaren Flusses.
Der Wind fiel heftig die steilen Klippen hinab. Er schien zu sagen: »Geht zurück ihr Narren! Ab hier gibt es nur noch Fels und Tod. Geht zurück!« Und eine plötzliche Bö ließ Mudge und Talea taumeln, in Richtung Westen, als wolle sie der Abreise nachhelfen.
Jon-Tom watete in den Fluß hinaus, bis das Wasser über die Oberkante seiner Stiefel schwappte. Er beugte sich um einen großen glitschigen Felsen und konnte sehen, warum Bribbens sie in den geschützten Einschnitt gelenkt hatte.
Einige hundert Meter stromabwärts gab es kein Stromabwärts mehr. Ein unaufhörliches Mahlen und Krachen dröhnte vom Ende des Flusses herüber. Ein ungeheures Durcheinander aus Stämmen und Äxten, Knochen und anderen Baumresten kochte wie klumpiger Pudding vor dem grauen Gesicht des Berges. Schaum brandete wie kühle Lava über Felsen und Holz.
Er konnte wegen des Treibguts nicht erkennen, wo das Wasser in den Berg verschwand, aber von Zeit zu Zeit wurde ein Stamm oder Ast unter den Vorsprung der Klippe gesaugt, vermutlich in die darunterliegende Höhle. Die Dichte des angestauten Materials legte nahe, daß die Öffnung in der Bergflanke nur ein paar Fingerbreit über der Wasseroberfläche lag. Wäre sie höher gewesen, hätte er sie als dunklen Fleck erkennen müssen, und wäre sie niedriger, hätte der Fluß sich aufstauen und ausbreiten müssen, unter anderem auch über die Bucht, in der sie lagerten.
Aber die Öffnung mußte ziemlich tief sein, denn der Fluß hatte sich verengt, bis er kaum mehr dreißig Meter breit war, und doch war die Strömung nicht kräftiger als üblich.
»Was tun wir jetzt?« Flor war neben ihn gewatet. Sie sah zu, wie Stämme von mehreren Metern Durchmesser herumwirbelten und gegen den Fels schlugen. Sie waren mit Wasser vollgesogen und mußten mehrere Zentner wiegen. »Es gibt keine Möglichkeit, irgendwas von dem Zeug gegen eine solche Strömung flußaufwärts zu bringen.«
»Das macht sowieso nichts«, erklärte er ihr. »Selbst wenn Clodsahamp sie beiseite zaubern könnte, wäre die Öffnung immer noch zu niedrig, um ein Boot durchzulassen.«
»So scheint es.« Bribbens stand auf dem Ufersand hinter ihnen. Er holte Vorräte aus dem Boot. »Aber wir werden so auch gar nicht hinein gelangen. Das heißt, wir werden schon, andererseits aber auch wieder nicht.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Jon-Tom. »Wart's ab. Du bezahlst dafür.« Bribbens grinste breit. »Warum, glaubst du, wird der Sloomazayorle-Weentli auch der Doppel-Fluß genannt, der Zweifache Fluß?«
»Ich weiß nicht.« Jon-Tom ärgerte sich über seine Unwissenheit. »Ich dachte, daß er sich irgendwo flußaufwärts gabelt. Das erklärt mir aber nicht, wie wir hier durchkommen«, er deutete auf die mahlende, rumpelnde Masse Treibgut.
»Das stimmt schon, sofern du Bescheid weißt.«
»Was machen wir also als erstes?« fragte er; er war der Rätsel müde.
»Zuerst nehmen wir alles, was schwimmt, vom Boot herunter«, ordnete der Schiffer an. »Und dann?«
»Und dann rudern wir in die Mitte der Strömung hinaus, öffnen die Stopfen und lassen das Boot sinken. Nachdem wir es sicher verankert haben, versteht sich.«
Jon-Tom wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Da die Erklärung des Frosches einerseits absurd war, und da er andererseits offensichtlich kein Idiot war, folgte daraus, daß er etwas wußte, das Jon-Tom nicht bekannt war. Man hatte ihm beigebracht, unverständliche Behauptungen so lange nicht zu diskutieren, bis der untermauernde Beweis erbracht war.
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Flor verwirrt. »Wart's ab«, beruhigte sie Bribbens. »Ach, übrigens, könnt ihr beide schwimmen?«
»Ziemlich gut«, sagte Jon-Tom.
»Ich gehe nicht unter«, lautete Flors Selbsteinschätzung.
»Gut. Ich hoffe, der andere Mensch ist entsprechend ausgebildet. Momentan könnt ihr beim Abladen helfen. Danach, schlage ich vor, entspannt ihr euch und seht zu.«
Als der letzte schwimmfähige Gegenstand vom Boot entfernt war, nahmen sie den Frosch beim Wort und ließen sich an dem kleinen Strand nieder, um zuzusehen.
Bribbens lenkte das Boot in den Fluß hinaus. Als er einen Platz gefunden hatte, der ihm paßte (der sich aber für Jon-Tom und Flor durch nichts von anderen Stellen unterschied), warf er die Bug- und Heckanker aus. Sonnenlicht glänzte auf dem jetzt nackten grünschwarzen Rücken des Frosches und ließ das.glatte Fell des unbekleideten Otters aufschimmern, der neben ihm stand.
Beide sahen zu, wie die Anker versanken. Das Boot schwenkte herum und hielt dann etwa zehn Meter flußabwärts. Bribbens prüfte die Leinen, um sicherzugehen, das beide Anker hielten.
Dann verschwand er einige Minuten unter Deck. Bald begann das Boot zu sinken. Kurz darauf ragte nur noch der Mast über das Wasser. Dann war auch er außer Sicht gesunken. Mudge schwamm an der Stelle, wo das Boot untergegangen war, und steckte gelegentlich den Kopf unter Wasser. Der amphibische Bribbens war in den Flußtiefen genauso zu Hause wie an Land. Für Mudge waren sie fast ebenso bequem - er war ein schnellerer Schwimmer, dafür allerdings nicht imstande, aus dem Wasser Sauerstoff zu entnehmen.
Es dauerte nicht lange, bis der Otter den am Strand Verbliebenen zuwinkte. Er rief etwas Unverständliches. Sie sahen, wie er sich zusammen krümmte und tauchte. Er kam hoch, tauchte wieder, kam erneut hoch, tauchte noch einmal und wiederholte diesen Vorgang mehrfach. Dann stieß Bribbens neben ihm durch die Wasseroberfläche, und sie schwammen beide zum Strand.
Schweigend brachten sie die schwimmenden Vorräte (sorgfältig in wasserdichte Häute verpackt) in mehreren Arbeitsgängen bis zur Mitte des Stroms und verschwanden damit nach unten.
Schließlich stand Bribbens tropfend am Strand. »Gut daß der Fluß nicht aus dem Berg kommt. Wäre zu kalt für so etwas.«
»Für was?« wollte Flor völlig verwirrt wissen.
»Machen wir uns auf den Weg, dann findest du's heraus.«
»Auf den Weg? Wohin?«
»Na, zum Schiff natürlich«, meinte Talea. »Du weißt wirklich nicht Bescheid, wie?«
»Niemand erklärt mir irgendwas. Sie sehen einfach alle nur zu.« Sie war fast böse.
»In einer Minute wird alles erklärt sein«, sagte Clodsahamp beschwichtigend.
Der Bootsführer hielt einen wasserdichten Sack hoch. »Willst du deine Kleider hier drin verstauen?«
»Wozu?« Flors Augen verengten sich. »Damit sie nicht naß werden«, erklärte Bribbens. »Mir ist es egal. Wenn du die Reise durch den wahrscheinlich kalten Berg in nassem Zeug machen willst, ist das deine Sache. Ich werde nicht mit dir streiten.«
Jon-Tom zog sich bereits aus, Talea und Caz ebenso. Flor zuckte leicht mit den Achseln und begann gleichfalls, ihre Kleidung abzulegen, während der Hexer sich vergewisserte, daß die Schubladen in seinem Panzer fest verschlossen waren. Körperlich war er der Schwächste von ihnen, aber er würde genau wie Bribbens nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, überall dorthin zu gelangen, wohin immer sie auch kommen mochten.
Ein Problem allerdings gab es. Es hatte die Gestalt eines schwarzen Klumpens, der an einem hochragenden Treibholzstück hing.
»Abscholut nein! Nicht bei deinem Leben und, verdammt, schicher nicht bei meinem!« Pog faltete seine Schwingen fest entschlossen um seinen Körper und blickte unerschütterlich.
»Ich werde hier auf euch warten.«
»Es könnte sein, daß wir nicht auf diesem Weg zurück kehren«, erklärte ihm Clodsahamp.
»Ihr kommt vielleicht überhaupt nicht schurück, aber dasch isch esch nicht, wasch mir Schorgen macht«, brummte der Fledermausfamulus.
»Komm jetzt!« Clodsahamp hatte beschlossen, es bei seinem Eleven mit Vernunft zu versuchen. »Ich könnte dich dazu bringen zu kommen, wie du weißt.«
»Schie können mich schu einer Menge bringen, Bosch«, entgegnete der Gehilfe, »aber weder Schie noch irgend etwasch anderesch in diescher Welt können mich in dieschen Flusch scherren!«
»Ach, komm, Pog!« Jon-Tom kam sich blöd dabei vor, nackt am Strand herumzustehen und mit dem widerspenstigen Fledermäuserich zu diskutieren. »Flor, Talea, Caz und ich sind auch keine Wasseratmer. Aber ich vertraue Clodsahamp und unserem Bootsführer, sie wissen, was sie tun. Wir werden bestimmt bald wieder an der Luft sein. Ich kann den Atem nicht länger anhalten als du.«
»Wascher ischt schum Trinken da und nicht, um darin schu leben«, beharrte Pog auf seinem Standpunkt. »Ihr kriegt mich nicht in dieschesch flüschige Grab, und dasch ischt endgültig.«
Jon-Tom verzog sorgenvoll das Gesicht. »Wenn du das so siehst.« Er hatte bemerkt, wie Talea und Mudge hinter das Treibholzstück geschlichen waren. »Du kannst genausogut hier auf uns warten, nehme ich an.«
»Wie bitte?« fragte Clodsahamp mit ungläubig erhobener Stimme.
Jon-Tom legte eine Hand auf den Panzer des Hexers und drehte ihn zum Fluß. »Es hat keinen Sinn, mit ihm zu streiten. Er hat sich entschlossen und...«
»Hei? Lascht mich losch! Verdammt, Mudge, geh mir von den Flügeln! Ich reisch dir die Därme rausch! Ich werde, ich...! Lascht mich hoch!«
»Haltet seine Flügel runter!... Paßt auf die Zähne auf!‹ . Flor und Jon-Tom eilten herbei, um zu helfen. Die vier hatten den Fledermäuserich bald fest am Boden. Talea machte ein paar starke, dünne Schlingpflanzen ausfindig und begann, den Famulus gründlich zu verschnüren.
»Tut uns leid, daß wir das tun müssen, alter Bursche«, sagte Caz, »aber wir können keine Zeit verschwenden. Jon-Tom hat allerdings trotzdem recht, weißt du. Ich bin wahrscheinlich der schlechteste Schwimmer unserer kleinen Gruppe, bin aber auch bereit, es wirklich zu versuchen, wenn Clodsahamp beteuert, daß keine echte Gefahr besteht.«
»Natürlich nicht«, erklärte der Hexer. »Nun, höchstens eine sehr kleine. Bribbens weiß genau, wie weit hinunter wir müssen.«
Der Schiffer stand am Rand und hörte zu. Er beäugte die Fledermaus angewidert. »Richtig. Dann schleppt ihn jetzt mit.« Sie trugen den verschnürten Famulus bis zur Wassergrenze.
»Lascht mich gehen!« Pogs Furcht vor dem Fluß war echt.
»Ich kann esch nicht, schage ich euch! Ich werde ertrinken. Ich warne euch alle: Ich werde schurückkommen, und mein Geischt wird euch bisch an euer verdammtesch Ende verfolgen!«
»Das ist dein gutes Recht.« Talea führte die Prozession in den Fluß an.
»Ihr werdet alle ertrinken, wenn ihr nicht genau tut, was ich euch sage«, erklärte Bribbens beiläufig.
»Wohin gehen wir denn nun?« fragte Jon-Tom leicht verwirrt.
Der Frosch zeigte mit ausgestrecktem Arm nach unten.
»Schwimm einfach nur, Mann. Wenn wir den Punkt erreichen, werde ich es sagen. Dann tauchst du... und schwimmst.«
»Senkrecht nach unten?« Jon-Tom glitt mit kräftigen Bewegungen durch das Wasser, das ihn warm und schmeichelnd umgab; ein kleiner Angstschauer lief ihm den Rücken hinunter. Clodsahamp, Bribbens und sogar Mudge, wenn auch nicht in ganz dem gleichen Maß, brauchten sich vor dem Naß nicht zu fürchten. Es war eine ihrer natürlichen Umgebungen. Aber wenn sie sich irrten? Was, wenn die unterirdische Höhle (oder was immer es sonst war, wohin sie hinabtauchten) zu tief lag?
Ein freundlicher Klaps auf die Schulter, und Mudge, der hinter ihm schwamm, sagte: »Na, na, warum das belämmerte Gesicht, Kumpel? Da ist nicht das verfluchte kleinste bißchen, um sich darüber Sorgen zu machen.« Der Otter grinste unter feuchten Schnurrhaaren. »Geht über'aupt nicht tief runter, nicht mal für 'nen plattfüßigen Menschen.«
Bribbens hielt an. »Alles fertig? Einfach gerade nach unten. Ich habe den Sog der Strömung berücksichtigt, also kein Grund, sich darüber Sorgen zu machen.«
Alle tauschten Blicke aus. Pogs Proteste grenzten an Hysterie.
»Hier, reicht mir den Flieger herüber.« Ein angewiderter Bribbens packte die Fesseln des Famulus'. Pog sah aus wie eine große Maus, die in schwarze Plastikfolie gewickelt war. »Du nimmst die andere Seite.«
»Aye, aye, Chef.« Mudge griff sich eine Handvoll Schlingpflanzen.
Nachdem der winselnde, widerstrebende Famulus so in der Obhut der beiden kräftigsten Schwimmer war, wies Bribbens die anderen an: »Zählt bis drei, dann taucht.« Die Menschen nickten, genau wie Caz, dem es ziemlich gut gelang, seine Ängste zu verbergen.
»Fertig? Eins... zwei... hör besser auf zu kreischen, Fledermaus, und atme tief ein, sonst wirst du zu Ballast... drei!« Rücken beugten sich im Morgenlicht. Das Kreischen verstummte abrupt, als Pog hastig Luft holte.
Jon-Tom spürte, wie er nach unten glitt. Das Wasser wurde rasch dunkler und kühler. Vergeblich versuchte es, seinen Körper festzuhalten, als er kräftig mit den Beinen strampelte.
Um sich herum sah er verschwommen die Gestalten seiner Begleiter. Eine glatte Handfläche berührte einen zappelnden Fuß, schob sanft. Jon-Tom schaute sich um und erkannte die Gestalt Clodsahamps, der wie beiläufig um die nicht an diese Umgebung angepaßten Geschöpfe herum schwamm. Das Wasser nahm ihm hundert Jahre seines Alters, und er bewegte sich mit der Grazie und Leichtigkeit eines Ballettänzers.
Obwohl der sanfte Stoß mehr dazu gedient hatte, daß er nicht die Orientierung verlor und seitwärts schwamm, begann Jon- Tom doch ein wenig besorgt zu werden. Zunehmender Druck zeigte ihm, daß sie eine respektable Entfernung zurückgelegt hatten. Er, Talea und Flor hatten eine ziemlich gute Kondition, aber bei Pog und Caz war er sich da gar nicht sicher. Wenn sie die Lufttasche, auf die sie zuschwimmen mußten, nicht bald erreichten, würde er umkehren und zur Oberfläche zurück schwimmen müssen.
Die Oberfläche jedoch, durch die er dann brach, war unerwartet. Er fühlte, wie er hilflos Hals über Kopf fiel, und wedelte verzweifelt mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen.
Ein lautes Platschen hallte zu ihm herüber, als jemand anderes ins Wasser zurückfiel. Dann landete er selbst mit der gleichen Wucht, sank ein paar Zentimeter und kämpfte sich zurück an die Oberfläche.
Er brach durch und holte mehrmals tief Luft. In der Nähe zeigte sich Taleas Kopf, ihre Locken hingen glatt und schlaff wie Farbfäden herunter. Sie blinzelte sich Wasser aus den Augen, schnaubte einmal und keuchte.
»Na, das war ja wirklich nicht so schlimm. Ich hatte gehört, daß es so ist, aber man kann den Erzählungen der Leute nicht immer glauben.«
Ihre Brüste bewegten sich leicht in der Strömung. Jon-Tom starrte sie an, war sich ihrer Nacktheit bewußter als in dem Moment, da sie oben ihre Kleidung abgelegt hatten. Aber sie waren oben? Oder?
Irgend etwas zwischen seinen Schultern schob ihn resolut nach vorn. »Laß dich von der Strömung tragen.«
Jon-Tom drehte sich um und sah in die riesigen Augen von Bribbens. Hinter ihm bemerkte er das Schiff. Es lag nicht mehr als zehn Meter entfernt fest verankert in der Mitte des Stroms. Sie trieben darauf zu.
Er folgte dem Rat des Schiffers, entspannte seinen für die Ruhepause nach dem Tauchen dankbaren Körper und ließ sich von der Strömung zum Boot befördern. Mudge war bereits an Bord und verstaute ihre Vorräte. Er beugte sich über den Rand und half Jon-Tom hinauf, dann tat er dasselbe für Talea.
An Deck warf sich ein großes Etwas hin und her, das Jon- Tom zuerst für einen unglücklichen Fisch hielt. Es zuckte herum, und er erkannte den immer noch gefesselten und rasend wütenden Pog. Er nahm das von Mudge gereichte Handtuch, trocknete sich ab und begann die Fesseln des Famulus zu lösen.
»Alles in Ordnung, Pog?«
»Nein, nichtsch ischt in Ordnung, verdammt! Mir ischt kalt, ich bin durchnäscht, und mir tut durch dieschen Schtursch allesch weh.«
»Aber du bist durchgekommen, oder?« Jon-Tom löste einen weiteren Knoten, ein Flügel streckte sich, zuckte und ; schickte Wasserschauer über das Deck.
Als der andere Flügel auch befreit war, erhob sich der Fledermäuserich auf die Knie und dann auf die Füße. Er stand da und schwenkte langsam die Flügel hin und her, um sie zu trocknen.
Mudge schloß sich ihnen an. Sein Fell schied das Wasser leicht ab, daher war er schon fast trocken, und er schlüpfte wieder in seine Kleidung.
»Was ist los, Kumpel?« fragte er den Famulus, »‘ast du kein Wort für deinen alten Freund?«
Der große Sack mit der Kleidung lag geöffnet auf dem Deck. Jon-Tom ging hinüber und sortierte seine Kluft aus dem Knäuel.
»Jawohl, ich habe meinem alten Freund wasch schu schagen: Leck mich am Arsch!« Der Gehilfe des Hexers flatterte angestrengt, erhob sich probehalber vom Deck und stieg bis zum rechten Stützholm des Segels. Dort hängte er sich hin, die Schwingen immer noch zum Trocknen ausgebreitet.
»Na, nun sei nich' so, Kumpel«, sagte der Otter, während er seine Kappe ordentlich über die Ohren zog und die Feder glattstrich. »Es war nötig. Du warst kaum bereit, freiwillig mit zu kommen, weißt du.«
Pog sagte nichts weiter. Der Otter hob die Achseln und überließ den verstimmten Eleven seinem Groll.
Jon-Tom knöpfte seine Hose zu, und während die anderen sich weiter anzogen, nahm er sich einen Moment Zeit, um ihre neue, außergewöhnliche Umgebung zu inspizieren.
Er hörte ein dumpfes Dröhnen wie von einem entfernten Güterzug. Es brummte unablässig in den Ohren und lief als sanfte Vibration durch den Körper. Sein erster Gedanke war, daß sie sich in einem schwach beleuchteten Tunnel befanden. Und in gewisser Weise waren sie das auch.
Das Boot hing sicher an den Ankern. An beiden Seiten ragten hohe, feuchte Ufer auf, übersät von Moosen und Pilzen. Daß es keine normalen Flußufer waren, bewies das sonderbare Verhalten der größeren Gewächse, die sich an sie klammerten. Diese Farne und Kriechpflanzen schickten ihre Wurzeln sowohl nach oben als auch nach unten - in beide dahinströmenden Flüsse.
Oben hing ein niedriger silbergrauer Himmel: die Unterseite des oberen Flusses. Jon-Tom schätzte die Entfernung zwischen den beiden Strömen auf etwa zehn Meter. Der Mast des Bootes fand bequem Platz unter dem flüssigen Dach.
Wie die beiden Wasserläufe flossen, ohne aufeinander zu treffen, ohne zusammen zu stürzen und den Luftraum zwischen sich auszufüllen, war ein interessantes Stückchen Physik - oder vielmehr Magie, korrigierte er sich.
»Den leichten Teil haben wir hinter uns.« Bribbens zog den Buganker an dessen kleiner Winde hoch.
»Den leichten Teil?« Jon-Tom hörte den Bootsführer nur sehr undeutlich, er hatte immer noch Wasser in den Ohren.
»Ja. Dieser Abschnitt des Sloomazayorle-Weentli ist bekannt. In seinem unteren Teil weniger befahren, aber doch bekannt.« Bribbens deutete mit seiner Schwimmhauthand über den Bug. Vor ihnen verschwand der Doppel-Fluß in der Dunkelheit.
»Für das, was vor uns liegt, gilt das nicht.«
Jon-Tom ging nach vorn und half dem Schiffer bei der Winde.
»Danke«, sagte Bribbens, als sie fertig waren.
Eine kräftige Brise blies Jon-Tom entgegen. Sie kam aus der vor ihnen liegenden Schwärze, lag kühl auf seinem Gesicht und trocknete sein langes Haar. Er schauderte leicht. Der Wind kam aus dem Innern des Berges. Das wies auf einen bemerkenswerten Leerraum hin.
Hier gab es keine mit Wasser vollgesogenen Baumtrümmer, die ihre Weiterreise verhinderten. Im unteren Fluß gab es keine mundähnliche Öffnung, vor der sich Stämme und Äste stauten.
Als sie den zweiten Anker gelichtet hatten und das Boot wieder flußabwärts trieb, ging Bribbens zu einem wasserdichten Kasten, der in das Deck eingelassen war. Er enthielt öllaternen und Fackeln, die aufgehängt oder in Löcher gesteckt und entzündet wurden.
Der Wind zerrte an den Fackelflammen, blies sie aber nicht aus. öllicht flackerte freundlich in konischen Glaslampen.
»Warum hast du es uns nicht erklärt?« fragte Flor den Schiffer, während sie sich die schwarze Mähne zurückschob.
Bribbens deutete auf Clodsahamp, der an der Reling lehnte.
»Er schlug in meiner Hütte vor, euch nichts zu sagen, er meinte, das sei das Beste.«
Jon-Tom und Flor sahen Clodsahamp fragend an.
»Das stimmt, Kinder.« Der Hexer deutete auf das fließende Silberdach. »Von dort bis hier ist es eine gewisse Fallstrecke. Ich war mir weder über die genaue Entfernung noch über eure möglichen geistigen Reaktionen auf ein derart sonderbares Tauchmanöver im klaren. Ich dachte, es sei das Beste, nicht ins Detail zu gehen. Ich wollte euch keine Angst machen.«
»Wir hätten keine Angst gehabt«, erklärte Flor sehr bestimmt.
»Vielleicht«, stimmte ihr der Hexer zu, »aber es bestand keine Notwendigkeit, es zu riskieren. Wie du sehen kannst, sind wir hier alle sicher und unbeschädigt gelandet und setzen unsere Reise fort.«
Von der Gestalt im rechten Stützholm prasselte eine gemurmelte Obszönität nach unten.
Sie wurden durch ein doppeltes lautes Platschen unterbrochen. Ihre Blicke richteten sich nach Steuerbord, wo drei große, barschähnliche Fische himmelwärts gesprungen waren. Sie hatten ungewöhnlich breite und kräftige Flossen und Schwänze. Zwei der Springer waren zurück gefallen, aber der dritte drang in den fließenden Himmel ein, brachte seine Vorderflossen ins Wasser und schlängelte sich außer Sicht. Es vergingen mehrere Minuten, und dann regnete es Elritze. Ein gewaltiger Schwarm der winzigen Fische schoß aus dem oberen Fluß und verschwand im unteren. Die beiden erfolglosen Springer erwarteten sie dort. Bald gesellte sich auch ihr kräftigerer Genosse zu ihnen.
Jon-Tom war durch diese Auf-und-ab-Jagd benommen, sein Gehirn verwirrter als seine Augen; die neue optische Information paßte nicht zu den eingelagerten Informationen.
»Der Ursprung des Namens ist offensichtlich«, sagte er zu dem Bootsführer, »aber ich verstehe immer noch nicht, wie es dazu kommen konnte.«
Bribbens erging sich lang und breit in der Geschichte des Sloomazayorle-Weentli, der großen Hexe Wutz und ihres verschütteten Kessels voller Magie und der Wirkung, die das für immer auf den Fluß gehabt hatte.
Als er am Ende seiner Geschichte war, schüttelte Flor ungläubig den Kopf. »Grande fantastico. Ein gespaltener Strom.«
»Was also bewegt die Welt, Flor?« fragte Jon-Tom fröhlich.
»Gravitation und andere Naturgesetze.«
»Ich dachte, es sei Liebe.«
»Tatsächlich«, mischte sich Clodsahamp in das Gespräch, »sind die gravimetrischen Eigenschaften der Liebe gut bekannt. Ich vermute, du siehst ihre anziehenden Eigenschaften als rein psychologisch? Nun, laß mich dir sagen, mein Junge, daß es da bestimmte Formeln gibt, die...« und er verbreitete sich ausführlich in einer gelehrten Erörterung, halb Unsinn, halb Wissenschaft - mit anderen Worten: exzellente Magie. Jon-Tom und Flor versuchten, ihm zu folgen, größtenteils vergeblich.
Talea lehnte an der Bugreling, den Blick auf die vor ihnen liegende Nacht gerichtet. Der kühle Wind zupfte unablässig an ihrem Haar, und sie fragte sich, was dort in der Schwärze verborgen liegen mochte.
Vier Tage trieben sie in Dunkelheit flußabwärts, Wasser über sich und Wasser unter sich, trieben durch eine Röhre aus Wasser einem unsicheren Ziel entgegen. Jon-Tom fühlte sich an ein Blutkörperchen im Kreislauf erinnert. Nach all dem Gerede über Zaryts Zähne und das Reisen in den »Bauch« des Berges empfand er das als beunruhigenden Vergleich.
Von Zeit zu Zeit ankerten sie in der Mitte des Stroms und ergänzten ihre Vorräte aus der reichhaltigen Fischbevölkerung des Flusses. Gelegentlich unternahmen Bribbens und Mudge Erkundungsvorstöße in den oberen Fluß. Sie kletterten den Mast hoch, wobei Mudge dem weniger dazu geeigneten Frosch half. Ein kleiner Schwimmer wurde an einem Pfeil in die Unterseite des oberen Stroms geschossen, aufgepumpt, bis er sicher hielt, und das an ihm hängende Seil wurde mit dem Mast verbunden. Bribbens und Mudge kletterten dann daran hoch und verschwanden mit ein paar wasserdichten Öllampen in dem flüssigen Dach.
Am zwölften Tag, als die Monotonie der Reise gefährlich vertraut geworden war, glitt Bribbens die Leine in einem Zustand ungewöhnlicher Erregung hinunter.
»Ich glaube, wir sind durch«, gab er erfreut bekannt.
»Durch? Wo durch? Doch mit Sicherheit nicht durch die Berge.« Clodsahamp runzelte die Stirn. »Das Massiv ist zu gewaltig, um so schmal zu sein. Und die Legenden...«
»Nein, nein, Hexer. Nicht durch die Berge. Aber der Luftraum über dem oberen Fluß hat sich von wenigen Zoll auf viele Fuß erweitert. Es ist eine beträchtliche Höhle, weit interessanter als dieser gleichförmige Tunnel. Wir können jetzt oben Weiterreisen, und ein wenig Licht gibt es auch.«
»Was für Licht?« erkundigte sich Flor. »Du wirst es sehen.« Vorbereitungen wurden getroffen. Schwimmfähiges Material mußte diesmal nicht gewaltsam hinuntergedrückt werden. Statt dessen brauchten sie es einfach nur bis zum oberen Strom hoch zu befördern und hinein zu schieben, woraufhin es augenblicklich bis zur zweiten Oberfläche hoch schoß. Mudge wartete oben mit Haken und Leine auf solche Pakete und zog sie zum Ufer.
Als alle ihre Vorräte hochgeschafft waren, kletterten die Menschen und Caz am Mastseil hoch, um sich gemeinsam mit dem wartenden Pog, der diesmal weit tapferer war, in den oberen Fluß zu schieben. Der Aufstieg war einfacher, als es das Tauchen ins Ungewisse gewesen war.
Jon-Tom brach diesmal ohne Atemnot aus dem Wasser. Er drehte sich mit ruhigen Schwimmbewegungen um seine eigene Achse und nahm die Höhle in Augenschein, in die der Fluß mündete.
Der Bootsführer hatte ihre Größe in seiner üblichen phlegmatischen Weise untertrieben - sie war gewaltig. Links konnte Jon Tom weit entfernt das Ende des Felstunnels erkennen, der so viele Tage dicht über dem oberen Strom verlaufen war. Hier trieben nur noch wenig Baumreste auf dem Wasser, und sie waren durch das dauernde Scheuern und Stoßen an dem unnachgiebigen Überhang zu ungefährlichen, fast weichen Stückchen zermahlen.
Weit aufregender waren die Wände der Höhle. Sie schienen von Millionen winziger Lichter überzogen. Er schwamm träge zum nahegelegenen kleinen Strand, krabbelte an Land, griff sich ein Handtuch aus dem von Mudge bereitgelegten Stapel und ging sich einige der schimmernden Felsen ansehen.
Die Lichter waren vorwiegend von goldener Färbung, doch es gab auch einige wenige Sprengsel und Spritzer in Rot, Blau, Grün und Gelb. Es handelte sich um biolumineszente Flechten und Pilze verschiedenster Art, von bloßen verschmierten Flecken auf den Felsen bis zu komplexen Schwämmen und Ständerpilzen. Individuell war ihre Lichtleistung bedeutungslos, aber zu Millionen erhellten sie die Höhle mit der gleichen Leuchtkraft wie eine Abendsonne.
Er kniete gerade, um eine Gruppe hellblauer Blätterpilze zu untersuchen, als es hinter ihm gewaltig rauschte und blubberte. Er drehte sich um, erwartete unwillkürlich, irgendein unaussprechliches Flußungeheuer aus den Tiefen auftauchen zu sehen. Es war nur ihr Boot.
In den ersten Tagen an Bord hatte er sich gefragt, welchen Zweck die großen eingefallenen Därme haben mochten, die, sorgfältig gesäubert und getrocknet, einen Großteil des Frachtraums des kleinen Fahrzeugs einnahmen. Jetzt wußte er, wozu sie dienten. Sie waren, an Seilen befestigt, in den oberen Strom eingebracht und aufgepumpt worden und hatten das Boot in diesen hinaufgezogen. Dort war es dann, da es den Laderaum voller weiterer aufgepumpter Därme hatte, wie ein Ballon von selbst aufgestiegen.
Jetzt tanzte es leicht auf den Wellen, Wasser rann vom Deck, Bribbens ließ die Luft aus den Därmen, und Mudge pumpte wild, um das wenige eingedrungene Wasser aus dem Laderaum zu befördern.
Trocken und wieder bekleidet, reisten die Passagiere bald wieder ostwärts. Die Umgebung hatte sich gewaltig verbessert, fand Jon-Tom und hoffte, daß die Höhle nicht kleiner werden und sie wieder zum düsteren Unterstrom hinunterzwingen würde.
Er hätte sich nicht sorgen müssen. Anstatt zusammenzuwachsen, wurde die Höhle größer. Gewaltig und fluoreszierend erstreckte sie sich vor ihnen ins scheinbar Endlose.
Phosphoreszierende Pflanzen machten den Fluß zu einem buntschillernden Wunder: Alle Farben des Spektrums vereinten sich in überwältigender, chaotischer Brillanz. Gigantische Stalaktiten wuchsen von der entfernten Decke, einige waren größer als das Boot. Sie trieben an gewaltigen übereinandergeschichteten Tafeln vorbei, erstarrte Flüsse fleckigen Kalkspats. Verdrehte Stalaktiten wanden und schlängelten sich an den Wänden. Auf ihnen allen glitzerten Pilze. Auf beiden Seiten waren Abzweigungen der Haupthöhle zu erkennen. Jon-Tom verspürte den mächtigen Drang, sich eine Lampe zu schnappen und ein wenig Hobbyhöhlenforschung zu betreiben. Aber Clodsahamp wies ihn darauf hin, daß es genug zu erkunden geben würde, ohne daß sie von ihrem Kurs abwichen. Solange der Fluß ostwärts verlief, würden sie im Boot bleiben.
Die Größe und Pracht der Höhle lenkten Jon in der Regel von dem beunruhigenden Gedanken ab, daß sie auf einem Fluß reisten, der nicht über Sand oder Fels, sondern über Luft strömte.
»Woher willst du wissen, daß er überhaupt einen festen Boden hat?« fragte Flor einmal ihren Bootsführer. »Vielleicht ist er ein Dreifach- oder Vierfachfluß?«
Bribbens saß in seinem Hecksitz, einen Arm auf dem Steuerruder.
»Weil ich viele Male in ihm war. Wie dem auch sei, es ist egal, wo man sich auf dem Fluß befindet, die Anker greifen immer in den Boden des zweiten Stroms.«
Hin und wieder wurde das warme biolumineszente Glühen schwächer und verschwand dann ganz. Zu solchen Zeiten mußten sie auf die Lampen zurück greifen, bis sie einen weiteren fluoreszierenden Abschnitt erreichten.
Pog machte das nichts aus. Er hatte sich schließlich von seiner langanhaltenden Verstimmung erholt. Für ihn war die Dunkelheit natürlich, und er genoß die lichtlosen Strecken. Sie konnten hören, wie er außerhalb des Scheins der Bootslampen zischend durch die Luft schoß und mit den Höhlenformationen Fast-Karambolage spielte. Manchmal verließ er - sehr zu Clodsahamps Mißvergnügen und Besorgnis - für viele Stunden das Boot, um dann, unfehlbar von seinem natürlichen Sonar geleitet, doch zu ihnen zurückzukehren.
»Wunderschön«, murmelte Jon-Tom, als er die vorübergleitenden Formen betrachtete. »Es ist unvergleichlich schön.«
Talea stand neben ihm und sah zu den dunklen Öffnungen, die von der Haupthöhle abzweigten. Manchmal reichten diese gähnenden Öffnungen direkt bis zum Flußrand.
»Komische Vorstellungen von Schönheit hast du, Jon-Tom. Mir gefällt es überhaupt nicht.«
»Menschen haben nicht dasch geringschte Höhlenverschtändnisch«, sagte Pog, der über ihnen dahinflatterte, einem Schnauben. »Dasch ischt allesch an euch verschwendet, auscher bei dem Bannschänger da, und dasch ischt eine Wahrheit!«
»Was kann ich dafür, wenn ich Licht der Dunkelheit und Freiheit dem Eingeschlossensein vorziehe?« entgegnete Talea.
»Amen«, sagte Flor inbrünstig.
Die beiden Frauen waren mit ihren Gefühlen allerdings nicht allein. »Ich glaube, mir gefällt es in Flüssen besser« sagte Mudge eines Morgens. »Zumindest weiß man da, wc man ist, wa?« Er deutete mit einem Schwenken des rechter Arms auf die Dunkelheit einer großen, unbeleuchteten Seitenöffnung. »Mach mir gar nichts aus der Gegend 'ier. Bin noch nicht bereit, begraben zu werden.«
»Aberglaube«, murmelte Clodsahamp verärgert. »Der Fluch der Zivilisation.«
Ihr Bootsführer blieb bei all dem so gelassen, als würde er vertraute Gewässer befahren.
»Hat dieser Ort einen Namen?« fragte ihn Jon-Tom, während er einen Klumpen azurblau leuchtender Pilze am Ufer betrachtete.
»Nur in der Legende.« Bribbens blickte einen Moment zur Seite. Eine unmöglich lange Zunge schoß hervor und fing etwas, das Jon-Tom nur als huschendes Phantom eines glitzernden, transparenten Körpers mit Flügeln wahrnahm.
Der Frosch schmatzte abschmeckend mit den Lippen. »Keine Farbe, aber das Aroma ist nicht schlecht.« Er wies mit einer umfassenden Kopfbewegung auf die Höhle. »In den Geschichten und Legenden der Flußleute ist das hier als der Schlund der Erde bekannt.«
»Und wohin führt der?« fragte ihn Flor.
Bribbens zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Euer hartschaliger Mentor glaubt, daß er sich über einen großen Teil des Weges durch die Berge erstreckt. Vielleicht hat er recht. Ich ziehe jedenfalls vor zu glauben, daß wir dort heraus kommen werden, anstatt, sagen wir, im Bauch der Erde.«
»Das klingt nicht sehr nett.« Talea, die in der Nähe stand, fummelte am Heft ihres Messers herum, als könne sie damit die sie umgebende Dunkelheit einschüchtern.
Oder was sonst immer dort draußen sein mochte...