1. Kapitel
An Nepals Fürstenhof.
Major Vander, der Polizeichef in dem kleinen Grenz-städtchen Bettia, überreichte Rolf ein großes Schreiben.
„Aus Katmandu," sagte er dabei, „sicher vom Fürsten Nepals. Bima Sahi ist ein hochgebildeter, leutseliger Herr, der Sie bestimmt einladen wird. Nun, habe ich recht?"
Rolf hatte das Schreiben geöffnet und überflogen.
„Ja, Sie haben recht. Herr Major," lachte er, „es ist tatsächlich eine Einladung des Fürsten. Er schreibt, daß er uns seinen Dank persönlich abstatten will, weil wir die .Wölfe der Tarai' unschädlich gemacht haben. (Siehe Band 16.) Nun, da er auch noch von Elefanten- und Tigerjagden schreibt, nehme ich die Einladung sehr gern an. Du wohl auch. Hans?"
„Das ist doch selbstverständlich. Auf diese Weise werden wir Nepal gründlich kennen lernen."
„Gut, dann werde ich dem Fürsten telegraphisch unseren Dank übermitteln, mit dem wir seine Einladung annehmen. Ich vermute, daß er uns Automobile zur Grenze senden wird."
„Ganz bestimmt,' gab Vander zu, „die indischen Fürsten legen großen Wert auf die kostbarsten Autos. Dann haben Sie also Ihren Plan, Kaschmir zu besuchen, aufgegeben?.
„Vorläufig ja. Wir kommen ja immer noch dahin Und Nepal ist mit das interessanteste Land, denn es ist immer noch nicht erforscht."
„Das ist richtig. Nun, ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, meine Herren, vor allen Dingen recht viele Abenteuer."
„Danke," lachte Rolf, „wenn wir Abenteuer erleben, ist "es für uns ein Vergnügen. Also, lieber Herr Major, vielleicht können war mach einem Monat, wenn Sie Ihren Urlaub haben, Sumatra besuchen. Sie sprachen doch davon, daß Sie gern mitkommen würden."
„Das tue ich auch, meine Herren, von Herzen gern."
Auf Rolfs Telegramm kam nach wendigen Stunden eine Depesche des Fürsten zurück, daß einige Automobile zur Grenze unterwegs seien. Der Polizeimajor stellte uns seinerseits Wagen bis zur Grenze der North-West-Provinces, und eine halbe Stunde nach Eintreffen des Telegramms aus Katmandu fuhren wir der Grenze entgegen.
Wir brauchten dort nicht lange zu warten. Bald kamen zwei wunderbare Automobile, das eine für uns drei, das zweite für das Gepäck. Der erste Minister des Fürsten, Thappa, ein älterer, intelligenter Inder, war mitgekommen und empfing uns im Namen Bima Sahi's.
Und jetzt lernten wir sofort kennen, wie gebildet und höflich auch die ersten Diener des Fürsten waren. Thappa weigerte sich mit vollendeter, feiner Höflichkeit, neben uns im breiten Fond des Wagens Platz zu nehmen. Pongo mußte neben uns sitzen, so unangenehm das den» treuen Neger war, aber als unser Gefährte war er ebenso gut Gast des Fürsten und nahm an den selben Ehren teil.
Und das hatte er ja völlig verdient, denn ohne ihn wären wir schon oft dem Tode verfallen gewesen. Als die prächtigen Wagen dahinflogen, mußte ich unwillkürlich lächeln. Wie wechselvoll war doch unser Leben. Noch vor wenigen Tagen hatten uns auf dieser Straße die „Wölfe der Tarai" überfallen, und jetzt fuhren wir in kostbaren Automobilen dem fernen Fürstenschloss entgegen. Und vielleicht würden wir in wenigen Tagen wieder durch die Dschungeln schleichen, um irgend ein - gefährliches Großwild zu erlegen.
Und ich spann diesen Gedanken so lange aus, bis wir plötzlich Katmandu erreichten. Die Wagen fuhren auf den riesigen Hof des Fürstenschlosses und hielten an einer breiten, weißen Marmortreppe. Soldaten standen in zwei Reihen auf den Stufen und präsentierten, als wir emporstiegen.
Aber ich bemerkte dabei, daß die Augen der braunen, sehnigen Burschen ganz groß und rund wurden. Schnell blickte ich Pongo, der links von mir schritt, an, und hatte Mühe ernst zu bleiben.
Denn unser schwarzer Freund hatte einen solchen Empfang noch nie erlebt und schnitt aus Verlegenheit ein Gesicht, daß die militärischen Feierlichkeiten dadurch ernstlich gefährdet waren.
Ich gab ihm deshalb einen sanften Rippenstoß, und er nahm sich nun zusammen. Oben an der Treppe erwartete uns ein hochgewachsener, schlanker Inder von vielleicht dreißig Jahren. Sein energisches, kühnes Gesicht war direkt schön zu nennen, und die großen, dunklen Augen verrieten hohe Intelligenz.
„Bima Sahi," stellte er sich in gutem Deutsch mit tadelloser Verbeugung vor, „ich freue mich sehr, die Herren kennen zu lernen."
Er gab uns die Hand und vergaß auch Pongo nicht, der dadurch wieder unsäglich verlegen wurde. Aber der Fürst betrachtete den schwarzen Riesen mit offenbarem Wohlgefallen, nickte uns dann zu und sagte:
„Ich habe alle Ihre Abenteuer in den Zeitungen verfolgt, meine Herren, und ich kann mir denken, wie wert Ihnen Ihr Freund Pongo geworden ist. Bitte, wollen Sie mir folgen, ich will Ihnen Ihre Gemächer zeigen."
Der Fürst führte uns in den ersten Stock des weitläufigen Palastes. Dort wies er uns drei große, vollkommen europäisch eingerichtete Zimmer an, die mit allem Komfort ausgestattet waren.
„In einer halben Stunde darf ich die Herren vielleicht zum Essen bitten," sagte Bima Sahi liebenswürdig, „meine Diener werden Sie abholen."
Wir machten schnell Toilette, nachdem wir in den anschließenden Badezimmern den Reisestaub abgespült hatten. Da wir noch einige Minuten Zeit hatten, trat Ich in Rolfs Zimmer, der am Fenster stand und nachdenklich in den weiten Hof hinunterblickte.
„Ein ganz charmanter Herr, der Fürst," sagte ich, indem ich neben ihn trat.
„Ja," gab Rolf sinnend zurück, „wenn ich nur wüsste, was er auf dem Herzen hat."
„Wieso, hast du irgend etwas bemerkt?" forschte ich erstaunt.
„Ja. seine Augen waren merkwürdig unruhig. Ihn muß irgend eine Angelegenheit sehr .bewegen. Und ich habe das Gefühl, daß seine Einladung an uns weniger der Jagd gilt, als unserer Hilfe in dieser Sache."
„Das wäre ja reizend," lachte ich, „jetzt hatte ich mich auf die Jagd als wirkliche Erholung gefreut, nun sollen vielleicht die Abenteuer weitergehen."
„Ja, in dieser Hinsicht scheint es das Geschick wirklich gut mit uns zu meinen. Na. vielleicht wird es gar interessant. Aha, da dröhnt ein Gongschlag, dann werden wohl die Diener sofort erscheinen."
Wirklich wurde auch im gleichen Augenblick, kaum daß Rolf geendet hatte, an die Tür geklopft. Ein Inder trat auf unser „Herein" ein und bat mit tiefer Verbeugung, ihm zu folgen.
In einem großen Saal zu ebener Erde, der mit wunderbar geschnitzten, alten orientalischen Möbeln ausgestattet war, fanden wir eine kleine Gesellschaft versammelt.
Bima Sahi stellte uns den Herren — es waren fast sämtliche Minister und hohe Staatsbeamte — vor. Da Pongo sich energisch geweigert hatte, am Frühstück teilzunehmen, ließ ihm der Fürst das Essen durch Diener ins Zimmer hinaufbringen.
Der Fürst saß zwischen uns. Er hatte als einziger europäische Kleidung angelegt, trug aber dazu einen weißen Turban mit wundervoller Diamantagraffe. Die anderen Herren trugen weiße, indische Gewänder.
Die Unterhaltung wurde in englischer Sprache gefühlt, die alle Herren fließend beherrschten. Deutsch sprach außer dem Fürsten nur sein Leibarzt, ein ziemlich junger Mann, der in Heidelberg studiert hatte, wie sich im Laufe des Gespräches herausstellte.
Durch Rolfs Worte war ich etwas hellhörig geworden und beobachtete den Fürsten und seine Beamten ziemlich scharf. Und da merkte ich tatsächlich, daß eine allgemeine Unruhe unter ihnen war. So. als erwarteten sie unbedingt das Eintreffen irgendeines Geschehnisses.
Je weiter das Essen vor schritt, desto unruhiger wurden sie, und ihre offensichtliche Nervosität teilte sich auch mir langsam mit. Jetzt wartete ich auch darauf, daß irgend etwas passieren würde.
Und es kam auch, aber in ganz anderer Form, als ich erwartet hatte. Ein Diener brachte dem Fürsten ein kleines, unscheinbares Paket, vielleicht in Größe einer Zigarettenschachtel.
Dabei bemerkte ich schon, daß Bima Sahi heftig zusammenzuckte und den Diener erregt in der Landessprache verschiedenes fragte. Und die Erklärungen, die der Diener gab, schienen ihn absolut nicht zu befriedigen, denn er wurde sichtlich aufgeregter.
Endlich beugte sich der neben mir sitzende Inder, ein entfernter Vetter des Fürsten, namens Dschang, über den Tisch und flüsterte Bima Sahi einige Worte zu.
Der Fürst nickte nur, riß die Umhüllung des Paketes auf und sprang plötzlich mit einem Satz von seinem Stuhl hoch. Dann streckte er die Hand weit aus und zeigte den Anwesenden den kleinen Gegenstand, der sich im Paket befunden hatte.
Ich war tief enttäuscht. Wäre es eine lebende Giftschlange gewesen, dann hätte ich die Aufregung, die sich jetzt aller Herren bemächtigte, begreifen können. So war es aber nur ein aus Holz geschnitzter kleiner Tiger.
Endlich fasste sich der Fürst, strich sich langsam über die Stirn und wandte sich plötzlich an Rolf:
„Herr Torring, ich möchte Sie bitten, mit Ihrem Freund Warren zusammen eine kleine Erzählung anzuhören. Würden Sie mir, bitte, in mein Arbeitszimmer folgen?'
„Aber selbstverständlich, Hoheit,' entgegnete Rolf liebenswürdig, „ich habe bereits... nun," unterbrach er sich plötzlich, „das werde ich Ihnen nachher erzählen."
Zu meiner Freude kamen nur der Vertreter des Fürsten, Dschang, und der erste Minister Thappa mit in das völlig europäisch eingerichtete Arbeitszimmer des Fürsten.
Bima Sahi ließ sich in den mächtigen, eichengeschnitzten Sessel fallen und bot uns durch eine Handbewegung Sessel gegenüber an. Dschang und Thappa blieben hinter uns stehen.
„Meine Herren," begann der Maharadscha, „ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß ich Sie nicht nur der Jagd wegen eingeladen habe. Gerade weil ich soviel von Ihren Abenteuern gehört hatte, glaubte ich, in Ihnen vielleicht eine wertvolle Hilfe zu erhalten. Würden Sie mir in einer ganz geheimnisvollen, vielleicht sehr gefährlichen Angelegenheit Ihren Beistand gewähren?"
Rolf schien einige Augenblicke zu überlegen, dann sagte er langsam:
„Hoheit, ich suche ja mein Lebensziel darin, geheimnisvolle und gefährliche Sachen aufzuklären. Und ich bin gern bereit, Sie in jeder Beziehung zu unterstützen. Bitte, wollen Sie uns nähere Angaben machen. Denn für meinen Freund Hans garantiere ich ebenso wie für Pongo."
Der Maharadscha verneigte sich leicht.
„Ich danke Ihnen, Herr Torring. Nun, hören Sie zu. Ich bin nicht der berechtigte Fürst dieses Landes. Das ist Bahadur, mein Onkel, der aus dem alten Radschputen-gesehlecht stammt, das bekanntlich bis zum achtzehnten Jahrhundert über Nepal herrschte. Und ich wäre nie an die Regierung gekommen, wenn nicht mein Onkel Bahadur, der den Familiennamen Dschang Bahadurs, des großen Reformators unseres Reiches, führt, urplötzlich vor drei Jahren verschwunden wäre. Wirklich, meine Herren, ganz plötzlich spurlos verschwunden."
Bima Sahi blickte uns fragend an. Er erwartete vielleicht irgendeine Äußerung unsererseits, aber ich wollte Rolf auf keinen Fall vorgreifen, und mein Freund selbst machte nur eine abwehrende Miene, sagte aber keinen Ton.
Zögernd fuhr der Fürst nach wenigen Augenblicken fort:
Ihnen, meine Herren, erscheint dieser Vorfall sicher ganz bedeutungslos. Aber für unser Reich war er von ganz einschneidender Bedeutung. Denn jetzt kam ich zur Herrschaft, und die große Klasse der Radschputen beschuldigt mich jetzt, daß ich meinen Onkel beseitigt hätte, um die Herrschaft anzutreten. Und nichts lag mir ferner als das."
Wieder blickte er uns forschend an. Und jetzt sagte Rolf:
«Hoheit, ich kann Ihren Zwiespalt vollkommen begreifen. Und ich helfe Ihnen gern, wenn ich es vermag. Aber dann müssen Sie mir unbedingt die Bedeutung der kleinen Tigerfigur erklären, die Sie heute nach Tisch erhielten."
„Ja, Herr Torring," nickte Bima Sahi, „gerade deshalb habe ich ja Ihren Beistand gewünscht. Diese Tigerfigur ist ein altes Amulett meines Onkels, das er niemals von sich gegeben hat. Und aus der Übersendung dieses Amuletts ersehe ich ganz deutlich, daß mein Onkel bisher noch gelebt hat. ja, vielleicht noch lebt. Aber bedenken Sie, meine Herren, es sind seit seinem Verschwinden drei Jahre vergangen. Glauben Sie, daß er noch am Leben sein kann?"
„Das glaube ich un... nein, das glaube ich auf keinen Fall," verbesserte Rolf seinen angefangenen Satz plötzlich. „Sicher. Hoheit, wollte man Ihnen einen schlechten Streich spielen."
„Nein, Herr Torring," sagte der Maharadscha bedrückt, „es ist nicht das erstemal, daß ich Nachricht von meinem verschollenen Onkel erhalte. Vielleicht haben Sie bemerkt, daß ich auch während des Essens etwas unruhig war. Nun, ich erwartete irgendeine Nachricht meines Onkels, denn ich habe im Laufe dieser drei Jahre stets in bestimmten Zeitabständen ähnliche Über-
Sendungen bekommen, wie heute am Tisch. Also stets Zeichen, daß mein Onkel anscheinend noch am Leben ist" „Sie bekamen aber gerade heute einen ganz besonderen Schreck, soweit ich bemerken konnte," sagte Rolf nachdenklich. „Ich vermute also, daß die anderen Zeichen, die Sie bisher erhielten, eine andere Bedeutung hatten?"
„Tatsächlich, Sie haben recht, Herr Torring," rief der Fürst erstaunt aus. „Ich habe bisher stets Gegenstände erhalten, die mein Onkel zwar bei sich getragen hatte, die ihm aber nie so wert waren, wie gerade diese Tigerfigur, die ich heute erhielt. Bisher vermutete ich oft, daß mein Onkel ermordet sei, und die Übersendung der Gegenstände nur Schachzüge der Mörder seien."
„Weshalb Schachzüge?" rief Rolf, als der Fürst einen Augenblick schwieg.
„Das sind innerpolitische Angelegenheiten, Herr Torring, die ich Ihnen im Augenblick nicht erklären kann," entgegnete der Fürst. „Jedenfalls soll ich — das ist meine feste Meinung — als Mörder meines Onkels gekennzeichnet werden. Und meine geheimen Gegner wollen auf diese Weise mein Volk gegen mich aufstacheln. Denn alle Vorgänge, die sich selbst im engsten Kreis bei mir ereignen, finden doch ihren Weg in die Öffentlichkeit."
„Das läßt sich denken." meinte Rolf nach einigen Minuten nachdenklich. „Denn überall sind unberufene Ohren."
„Herr Torring, Sie haben, glaube ich, die Sachlage richtig erfasst. Ich . . "
Er brach ab und überlegte einige Augenblicke.
„Nein," sagte er dann, „bisher habe ich mich eigentlich sehr unklar ausgedrückt. Denn mir selbst ist ja die ganze Sachlage völlig unklar. lch schwanke stets zwischen den Annahmen, daß mein Onkel lebt oder ermordet ist. Weshalb dann die Übersendung der Gegenstände, durch die doch der Anschein erweckt wird, als sei er doch noch am Leben?"
„Das habe ich mir überlegt, Hoheit," sagte Rolf, „und. wie Sie vorher sehr richtig bemerkten, wird dies ein ganz vorzüglicher Schachzug Ihrer Gegner sein. Denn bestimmt wird unter dem Volk die Meinung verbreitet werden, Sie selbst seien der Urheber dieser Sendungen, um damit den Anschein zu erwecken, als sei Ihr Onkel noch am Leben, also nicht von Ihnen ermordet worden."
Ich hörte einen leisen, zischenden Laut hinter uns. Schnell drehte ich mich um und sah einen finsteren Ausdruck im Gesicht Dschangs. Und jetzt rief er empört:
„Das wäre ja eine ganz raffinierte Teufelei."
„Allerdings," pflichtete der Fürst bei, „daran hätte ich nie gedacht. Dschang, das müßte man unter dem Volk verbreiten."
„Ja, ich werde es sofort veranlassen," rief der Vetter des Fürsten eifrig.
„Das würde ich lieber nicht machen," lächelte Rolf, ,denn es könnte dadurch leicht das Gegenteil erreicht werden, da die Leute, die diese Erklärung unters Volk bringen sollen, sehr geschickt und diplomatisch sein müssen. Wenn sie etwas unvorsichtig sind, werden Ihre Untertanen, Hoheit, leicht ahnen können, daß die Nachricht von Ihnen selbst verbreitet ist. Und dann wird das Mißtrauen noch mehr steigen."
„Sehr gut," nickte der Fürst anerkennend, „ich freue mich sehr, daß ich Ihre Hilfe, meine Herren, in Anspruch nehmen darf. Doch was raten Sie mir jetzt?"
„Das kann ich im Augenblick wirklich nicht sagen. Hoheit," meinte Rolf sinnend, „denn ich muß mir den Fall ganz genau überlegen. Es handelt sich ja vor allen Dingen darum, die Mörder oder die Kerkermeister Ihres Herrn Onkels zu finden. Aber ich vermute, daß es nicht sehr einfach sein wird." Der Fürst lächelte trübe.
„Mir ist es während dreier Jahre nicht gelungen, Herr Torring," sagte er leise, „und mir standen wirklich alle Hilfskräfte zur Verfügung. Mein Vetter Dschang vor allen Dingen hat einen Detektivdienst eingerichtet, der seine Fäden über das ganze Land erstreckt."
„Und trotzdem ist es nicht gelungen, irgendeine Spur zu finden?" sagte Rolf nachdenklich. „Dann haben wir allerdings eine sehr schwere Aufgabe vor uns. Ich wundere mich aber, daß das Volk drei Jahre lang still war. Sind niemals Empörungen ausgebrochen?"
„Oh ja," gab der Fürst ernst zu, „ich habe einen immer schwierigeren Stand. Und wenn bekannt wird, daß ich die Tigerfigur meines Onkels erhalten habe, dann wird es sehr ernste Konflikte geben."
„Nun, als Fürst haben Sie die Macht und können eine Empörung unterdrücken. Das heißt, wenn die Truppen treu bleiben. Und das liegt wohl an den Führern."
„Dafür glaube ich garantieren zu können," lächelte Bima Sahi, „denn der oberste Kommandeur aller Truppen ist hier mein Vetter Dschang."
„Dann natürlich," gab Rolf zu, „also wenn es wirklich zu Unruhen kommt, haben Sie nichts zu fürchten. Und ich hoffe, die Sache bald geklärt zu haben."
Die letzten Worte sprach Rolf so nachdenklich, daß ich ihn erstaunt anblickte. Er hatte den Kopf gesenkt und schien über irgendeine Sache ganz intensiv nachzugrübeln. Erst als sich der Fürst nach einigen Minuten leise räusperte, schreckte er auf und sagte:
„Ich bitte um Verzeihung, ich habe über einen Punkt nachgedacht"
„Das haben wir bemerkt," lächelte der Fürst, „hoffentlich haben Sie schon in Gedanken eine Spur gefunden?"
„Es könnte sein, so kühn mein Gedanke auch ist." gab Rolf zu. „Und ich werde wenigstens auf diesem Weg weitersuchen. Hoffentlich leitet er zum Erfolg."
„Das wäre allerdings sehr erstaunlich," rief Bima 6ahi, „ja, fast unglaublich. Das würde ja ans Wunderbare grenzen."
„Der Gedanke lag mir aber sehr nahe, da ich gänzlich vorurteilslos die Angelegenheit betrachte. Selbstverständlich wird es mir sehr schwer fallen, den Beweis zu erbringen, selbst wenn mein Gedanke sich als richtig erweisen sollte."
„Und . . . und was wollen Sie jetzt beginnen?" forschte der Fürst.
„Beobachten." lächelte Rolf. „Vielleicht ist der Täter unvorsichtig und gibt mir selbst den Beweis. Und dann verstehe ich zuzupacken."
„Das glaube ich gern." stimmte der Fürst begeistert tu. „Es ist mir wirklich eine sehr große Beruhigung, daß Sie mir helfen wollen, Herr Torring. Ich habe das Gefühl, daß ich bald von jedem Verdacht gereinigt sein werde."
„Hoffentlich," lächelte Rolf. „Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen."
„Ah. da fällt mir etwas ein," rief Bima Sahi plötzlich. „Würde Ihre Aufgabe Ihnen Zeit lassen, mich morgen auf die Jagd zu begleiten? Mir wurde gemeldet daß in der Nähe eines kleinen, alten Tempels sich Tiger gezeigt hätten. Das ist auch leicht möglich, weil der Tempel seit Jahren verlassen mitten im Dschungel steht"
2. Kapitel
Eine sonderbare Jagd.
„Was, du willst zum Tempel Mahas?" fragte sein Vetter Dschang fast erschreckt.
„Ja," sagte der Fürst verwundert, „weshalb soll ich es nicht tun?"
„Ich bin besorgt," entgegnete Dschang zögernd, „der Tempel liegt so einsam. Wie leicht könnte dir dort auf der Jagd ein Unglück zustoßen."
Bima Sahi lachte.
„Ein Unglück kann mir überall auf der Jagd zustoßen. Und ich möchte gern einmal den alten Tempel wiedersehen. Es ist sehr schade, daß er seit dem Tode Mahas verlassen ist."
Dschang überlegte kurze Zeit, dann meinte er achselzuckend:
„Nun ja, du hast recht. Überall kann dir etwas zustoßen. Und wenn die Herren dich begleiten, stehst du ja unter dem besten Schutz. Ich kann leider nicht mitkommen, da ich morgen eine Besichtigung angesetzt habe."
„Das ist mir auch lieber," meinte der Fürst, „denn wenn du auch fort bist, könnten meine Feinde irgendeinen Gewaltstreich ausführen."
„Ganz recht,' pflichtete sein Vetter bei. „Das werden sie aber kaum wagen, wenn ich anwesend bin. Nimmst du deinen Jagdelefanten?"
„Nein, ich werde heute noch meine Schikaris hinschicken und zwei Madjams bauen lassen. Die Tiger werden sicher zu dem kleinen Weiher, der hinter dem Tempel liegt, kommen. Dann haben wir die beste Gelegenheit, sie abzuschießen."
„Nun, diese Jagdart wird den Herren sehr harmlos erscheinen," lächelte Dschang, „ich glaube, sie sind es mehr gewöhnt, Tiger zu Fuß anzugreifen."
„Oh nein," widersprach Rolf, „wir haben nie die Gefahr aufgesucht. Alles Großwild, das wir aus nächster Nähe erlegt haben, hatte uns angegriffen, bevor wir Zeit fanden, Deckung zu nehmen. Ich freue mich sogar auf die Jagd von der Madjaim aus, denn da habe ich Gelegenheit, den Tiger vorher zu beobachten."
Dschang lächelte etwas spöttisch, erwiderte aber nichts. Ich hatte das Gefühl, daß wir durch Rolfs ehrliche Erklärung in seiner Meinung etwas gesunken waren. Aber das brauchte uns nicht weiter zu berühren, denn wir würden bestimmt noch genügend Gelegenheit bekommen, unseren Mut zu beweisen.
„Also abgemacht," sagte der Fürst jetzt, und erhob «ich „Morgen früh bei Tagesanbruch fahren wir ab. Für Proviant werde ich reichlich sorgen, denn es kann sein, daß wir bis übermorgen ausharren müssen, Ihr Pongo kommt wohl auch mit?"
„Ja, er wird sich eine Tigerjagd nicht entgehenlassen.'
„Sehr gut, dann möchte ich bitten, daß er zu mir auf die Madiam kommt. Ich möchte mich gern mit ihm unterhalten."
Das war für unseren schwarzen Freund wirklich eine sehr große Auszeichnung, und ich freute mich darüber, wenn auch Dschang eine erstaunte, ja, etwas spöttische Miene zeigte.
„Meine Herren," fuhr der Fürst fort, „Sie können sich natürlich im Palast überall bewegen. Ich vermute, daß Ihnen das angenehm ist, da Sie ja, wie Sie sagten, spähen und horchen wollen."
„Ich danke Ihnen, Hoheit," sagte Rolf liebenswürdig, „das ist allerdings meine Absicht, und ich freue mich, daß ich mich völlig ungehindert bewegen kann."
„Jetzt müssen Sie mach bitte entschuldigen, bat Bima Sahi, „die Minister warten bereits zum Vortrag."
Wir verließen das Zimmer und gingen langsam unseren Räumen zu,'
„lch glaube, dieser Fall ist gar nicht so einfach," meinte ich harmlos, um Rolf zum Sprechen zu bewegen. Er aber lächelte, zuckte die Schultern und sagte nur:
„Ja, es kann sein."
„Hast du denn schon einen ganz bestimmten Verdacht?" forschte ich jetzt.
„Ich glaube es, Hans," sagte er sehr ernst. „Aber ich kann natürlich nichts Bestimmtes sagen. Vielleicht, ja sehr wahrscheinlich, werden wir in den nächsten Tagen verschiedene Überraschungen erleben, oder ich müßte mich sehr irren."
„Dann wäre es vielleicht richtiger, wenn wir morgen nicht mit auf die Jagd gehen?" meinte ich.
„Wir müssen es schon tun, sonst ist der Fürst vollkommen schutzlos. Und gerade jetzt schwebt er vielleicht in größter Gefahr. Wie ich schon sagte, scheint sich die Krisis zu nähern."
„Ah, du meinst durch das geheimnisvolle Übersenden der kleinen Tigerfigur?"
„Ja. Und besonders komisch finde ich es, daß die Figur gerade ankam, als wir eingetroffen waren.'
Erstaunt blickte ich Rolf an.
„Du meinst also, daß die Gegner des Fürsten genau wußten, er würde uns um Hilfe bitten?'
„Etwas Ähnliches vermute ich allerdings. Wenigstens schreitet die Angelegenheit durch unsere Anwesenheit zur Katastrophe. Und da es die Vernichtung Bima Sahi's gilt, werden wir natürlich auch davon betroffen."
„Das ist ja sehr nett. Und was willst du dagegen tun?"
„Wir müssen abwarten, bis sich die Gegner bemerkbar machen. Jetzt habe ich ja nur eine Idee, kann daraufhin aber nichts unternehmen."
„Sehr nett, denn ihr .Bemerkbar machen' wird wohl darin bestehen, daß wir unschädlich " gemacht werden sollen. Also heißt es für uns, sehr auf der Hut zu sein."
„Ja, das müssen wir, denn unsere Lage ist meiner Ansicht nach sehr gefährlich."
Wir hatten jetzt unsere Zimmer erreicht und traten ein. Pongo stand am Fenster, drehte sich bei unserem Eintritt um und kam uns langsam entgegen.
„Massers," flüsterte er, als wir in der Mitte des Zimmers zusammentrafen, „nicht gut hier, Massers aufpassen."
„Was hast du bemerkt, Pongo?" fragte Rolf gespannt.
Pongo zog ein Tuch vom Tisch. Und da lagen drei kleine Schlangen mit zerschmetterten Schädeln. Es waren Kraits, diese höchst gefährlichen Giftschlangen, denen in Indien jährlich fast ebenso viele Menschen zum Opfer lallen wie den Cobras.
„Donnerwetter, wo waren sie?" flüsterte Rolf erregt.
Pongo deutete auf das Bett, wies dann mit dem Kopf nach den Nebenzimmern — wir hatten Rolfs Zimmer betreten, das in der Mitte lag — und entgegnete:
„In Lager von Masser Torring, Masser Warren und Pongo."
Das war allerdings eine nette Überraschung. Also wir sollten gleich am ersten Tag durch die Bisse der gefährlichen Nattern erledigt werden,
„Wie hast du es bemerkt?" forschte Rolf.
Pongo nickte wieder zum Bett hinüber.
„Hat sich bewegt. Pongo dann alles nachsehen."
Das war wenigstens ein Trost, denn unser schwarzer Freund hatte bestimmt keine Schlange übersehen, wenn noch weitere in den Zimmern verborgen waren,
Rolf war sehr ernst. Er sann einige Zeit und meinte dann:
„Unter diesen Umständen ist es ratsamer, wenn wir uns den Palast nicht ansehen. Wir könnten dabei zu leicht verunglücken. Und wir dürfen außerdem unsere Zimmer nicht ohne Aufsicht lassen."
„Aber morgen?", warf ich ein. „Wir sind doch zur Tigerjagd eingeladen."
„Wir werden den Fürsten bitten, einen zuverlässigen Mann diese Zeit über bei uns einzuquartieren. Ich werde ihm die Sache mit den Schlangen hier natürlich erzählen,"
„Das wird für ihn vielleicht eine hübsche Überraschung sein," lachte ich. „Aber für uns ist es eigentlich eine Art Anerkennung seitens der Herren Gegner. Wenn sie es so eilig haben, uns zu erledigen, dann sind wir ihnen anscheinend doch sehr unbequem."
„Selbstverständlich," nickte Rolf. „Ebenso wie der Fürst, haben sie natürlich auch von unseren Abenteuern gehört und wissen, daß wir bisher bei unseren Unternehmungen stets großes Glück gehabt haben. Und sie wollen es natürlich verhindern, daß wir gegen sie eben-falls Glück haben."
„Na, mit den Schlangen haben wir ja schon Glück gehabt," lachte ich. „Jetzt bin ich aber wirklich neugierig, was nun weiter folgen wird."
„Die Gegner werden vorsichtiger und in ihren Mitteln' entschieden gefährlicher werden." Rolf schien sich über diese Aussicht sehr zu freuen, denn er machte ein ganz vergnügtes Gesicht.
„Na, mir soll es recht sein," gab ich zurück. „Doch was beginnen war jetzt? Wollen wir den ganzen Tag hier im Zimmer bleiben?"
„Es handelt sich ja nur noch um den Nachmittag," entgegnete Rolf, „und es ist entschieden besser, wenn wir hier bleiben. Oder möchtest du am Abend vielleicht wieder einige Schlangen oder ähnliche Überraschungen in deinem Bett finden?"
„Nein, aber Pongo wird schon aufpassen."
„Das schon, aber was willst du im Palast? Ich sagte ja schon, daß uns bei einer Besichtigung leicht ein Unglück zustoßen kann. Wenn wir in irgendeinem entlegenen Raum des großen Gebäudes verschwinden, wird uns nie ein Mensch finden."
„Aber Rolf, dann müßten sich doch die Gegner in der nächsten Nähe des Fürsten befinden."
Rolf deutete nur ernst auf die Schlangen.
„Na ja, allerdings," gab ich zu, „das ist ja der beste Beweis. Weißt du, mir gefiel der eine Minister, der zwei Plätze rechts von dir saß, absolut nicht. Er hat ein direkt abstoßend finsteres Gesicht und seine Augen haben einen ausgesprochen hinterlistigen Ausdruck. Und dann blickte er auch oft den Fürsten von der Seite an. Dieser Mann kommt mir direkt verdächtig vor."
„Das ist Siga, die rechte Hand Dschangs in der Heeresleitung. Ich habe mich beim Fürsten über ihn erkundigt und Bima Sahi konnte sich nur lobend über ihn aussprechen."
„Der Fürst scheint sehr vertrauensselig zu sein," warf ich ein. „ich würde nun an seiner Stelle alle Minister verdächtigen."
„Damit käme er auch nicht weiter. Er kann sie doch schließlich nur auf seinen Verdacht hin nicht alle einsperren oder hinrichten lassen."
„Und wir kommen mit unserem Reden auch nicht weiter," lachte ich. „Ich werde jetzt lieber in mein Zimmer gehen und unser letztes Abenteuer beschreiben."
„Gut, und ich werde mir in aller Ruhe meine nächsten Schritte überlegen."
Ich war bald so in meine Arbeit vertieft, daß mir die Stunden nur so dahinschwanden. Und ich war ganz erstaunt, als plötzlich ein Diener des Fürsten kam, der uns zum Abendessen bat. Als ich in Rolfs Zimmer trat, war es mit dichtem Tabakrauch gefüllt. Mein Freund selbst saß am Fenster und starrte unentwegt hinaus.
Er schreckte zusammen, als ich ihm die Hand auf die Schulter legte, lachte dann und meinte:
„Jetzt habe ich tatsächlich die Zeit verträumt, ohne zu irgendeinem Ergebnis zu kommen. Ich habe zwar viele Pläne geschmiedet, aber es taugt keiner."
„Nun, dann habe ich aber realere Arbeit geleistet," lachte ich, „meine Arbeit ist beendet. Nun komm, der Fürst hat uns zum Abendessen bitten lassen."
Wir sagten schnell Pongo Bescheid und traten auf d'-n Flur hinaus. Der Diener wartete noch, um uns in den Speisesaal zu führen, und gerade kamen zwei andere»: Diener mit den Speisen für unseren Pongo. Rolf blickte ihnen nach, als sie im Zimmer verschwanden, machte eine Bewegung, als wolle er ihnen folgen, schüttelte dann aber den Kopf und folgte dem Diener, der uns gerufen hatte.
Sein Gebahren war zwar sonderbar gewesen, ich legte ihm aber weiter keine Bedeutung bei. Der Diener führte uns jetzt nicht in den großen Saal, sondern in ein europäisch eingerichtetes Eßzimmer. Am Abendessen nahmen außer Bima Sana nur noch Dschang und der erste Minister Thappa teil.
Erst gegen Schluß des Essens erzählte Rolf lachend von den Giftschlangen in unseren Betten. Die Überraschung und der Zorn der drei Inder waren unbedingt echt, denn ich beobachtete sie scharf. Dschang macht« seiner Empörung zuerst in ziemlich kräftigen Worten Luft, und versprach den Tätern alle möglichen Todesarten, unter denen das Vierteilen noch harmlos war.
Bima Sahi winkte ihm endlich zu und sagte leise:
„Meine Herren, Sie werden mir wohl auch ohne meine Versicherung glauben, wie unangenehm mir dieser Vorfall ist. Da ich aber auch daraus ersehe, wie gefährdet Ihr Leben ist, möchte ich Sie. bitten, mich zu verlassen. Ich möchte nicht, daß Sie die mir zugesagte Hilfe vielleicht mit dem Leben bezahlen müssen Wenn es Ihnen recht ist, bestelle ich sofort die Wagen zur Rückfahrt"
Das war allerdings ein sehr feiner Zug des Fürsten, der ihm alle Ehre machte, und wir standen sofort auf, verbeugten uns, und Rolf erklärte:
„Hoheit, Sie haben es wirklich sehr gut gemeint, wir danken Ihnen dafür. Aber wir haben Ihnen unsere Hilfe zugesagt und lassen uns nicht durch solche Kleinigkeiten abschrecken. Ich muß Ihnen, auch im Namen meines Freundes, erklären, daß wir jetzt von ganzem Herzen an der Aufklärung dieser Angelegenheit arbeiten werden. Gerade jetzt werden wir alles daransetzen, um diese hinterlistigen Gegner zu entlarven."
„Aber wirklich, meine Herren, es wäre mir lieber, wenn Sie mich meinem Schicksal überlassen würden," bat der Fürst nochmals. „Ich hätte nie gedacht, daß Gäste in meinem Hause einem so hinterlistigen Mordanschlag ausgesetzt sein könnten"
„Oh, wir sind solche Sachen gewöhnt," meinte Rolf leichthin. „Und ich möchte Sie herzlich bitten, Hoheit uns nicht fortzuschicken. Das ginge mir direkt wider die Ehre."
„Wenn es so ist dann muß ich ja schon Ihren Wunsch erfüllen." sagte Bima Sahi zögernd, „aber gern tue Ich es wirklich nicht. Wollen wir unter diesen Umständen lieber auf die morgige Tigerjagd verzichten?"
„Aber nein, Hoheit, ich freue mich schon darauf."
„Nun gut, bei Tagesanbruch fahren wir ab. Hoffentlich passiert dort 'nichts, ich bin jetzt auf alles gefasst'
„Aber was soll denn dort passieren?" lachte Dschang. „Auf die Madiams kann kein Tiger, und die Herren treten dem Raubtier doch nicht zum ersten mal gegenüber."
„Nun ja, das ist richtig," gab der Fürst zu.
Rolf schlug jetzt mit Absicht ein anderes Thema an Er erzählte in seiner bescheidenen Art von afrikanischen Erlebnissen, und die Inder hörten sehr interessiert zu. So wurde es ziemlich spät, ehe wir uns trennten.
Pongo erwartete uns noch und berichtete, daß nichts passiert wäre. Trotzdem untersuchte ich erst genau meine Lagerstätte, ehe ich mich niederlegte.
Kaum war der Tag hereingebrochen, da wurden wir schon geweckt. Nach schnellem Frühstück ging es in den Hof hinunter, wo die beiden Automobile bereitstanden, die uns in die Nähe des alten Tempels bringen sollten.
Die Fahrt ging nach Süden, der Tarai zu, diesem wild-reichen, fruchtbaren Landstrich Nepals. Während der Fahrt mußte ich lebhaft an unser erst vor wenigen Tasen stattgefundenes Erlebnis denken, das uns tief in diese furchtbaren Dschungel geführt hatte. (Siehe den vorigen Band.)
Nach ungefähr zwei Stunden verlangsamten die Wagen ihre rasende Fahrt, und die Führer blickten aufmerksam am Saum des rechten Waldes entlang. Dann hielten die Wagen. Ein hochgewachsener Schikari stand an der Straße und hob die Hand.
Sofort sprangen wir heraus, und aus dem zweiten Wagen folgten die Träger mit unseren Büchsen und dem Proviant. Ein schmaler Pfad schnitt in den Wald hinein, der aber erst am vergangenen Tage mit Haumessern von Ästen und Domen gereinigt war.
„Meine Herren, soeben berichtet mein Schikari, daß er am Weiher Menschenspuren entdeckt hätte, die gestern beim Bau der Madjams, noch nicht vorhanden waren Sollte das irgendeine Gefahr für uns bedeuten?"
„Das wäre vielleicht möglich," gab Rolf zu, „aber es kann ebenso gut auch möglich sein, daß es die Spur eines harmlosen Tempelbesuchers ist."
„Der Tempel steht aber seit drei Jahren leer," meinte der Fürst zögernd, „wie soll nach so langer Zeit plötzlich ein Besucher auftauchen?"
„Vielleicht ein besonders Gläubiger, der nur dort Erlösung von seinen Sünden zu finden denkt. Aber, wie bereits gesagt, das könnte sein. Wir aber wollen ruhig annehmen, daß wir es mit einem Feind zu tun haben Und deshalb werden wir uns sehr vorsehen.'
„Nun, dann wollen wir hin," meinte Bima Sahi, und gab dem Schikari einen Wink. Der Mann schritt sofort in den schmalen Pfad hinein, und wir folgten ihm.
In den drei Jahren, seitdem die Pilgerscharen nicht mehr zum Tempel strömten, hatte die wuchernde Pflanzenwelt den einstmals vielleicht sehr breiten Weg völlig übersponnen. Und zu beiden Seiten des Pfades war da» Unterholz völlig undurchdringlich.
Ich glaubte wohl, daß diese weiten Dschungeln einen prächtigen Tummelplatz für alle Arten Großwild abgäben. Und welch herrliches Gebiet für den .Herrn der Dschungeln", dem schmal gestreiften Tiger Nepals.
Ich schritt hinter dem Fürsten und Rolf und musterte manchmal mißtrauisch die dichten Pflanzenwände an den Seiten. Es wäre wenig angenehm gewesen, wenn plötzlich eine solche Riesenkatze einen Angriff auf uns unternommen hätte. Aber eine gewisse Beruhigung gab mir der Umstand, daß Pongo hinter mir schritt.
Nach einem Weg von vielleicht zwanzig Minuten lichtete sich der Wald, und über das niedrige Unterholz, das eine mäßig große Blöße bedeckte, erhoben sich die altersgrauen Mauern eines kleinen Tempels.
Komischerweise führte der Pfad direkt auf das Gebäude zu, doch wenige Schritte von der Eingangstür entfernt bog der Schikari nach rechts ab. Dicht an den Mauern führte der Pfad jetzt um den Tempel herum, lief dann ungefähr hundert Meter geradeaus und endete auf einer kleinen Lichtung, an deren linker Seite ein kleiner Weiher blinkte.
Bei unserem Herannahen glitten von zwei mächtigen Bäumen drei weitere Inder herab. Sie liefen schnell herbei und erstatteten dem Fürsten ebenfalls Bericht. Bima Sahi nickte, deutete dann auf die Bäume und sagte zu uns:
„Dort oben sind die beiden Madjams eingebaut. Ich wollte ursprünglich den rechten Baum dort wählen, aber jetzt sehe ich, daß man von hier eine bessere Übersicht hat. Bitte, nehmen Sie diesen Stand."
Dieser Liebenswürdigkeit gegenüber konnten wir selbstverständlich nicht widersprechen und nahmen deshalb dankend an. Unsere Träger übergaben uns jetzt die schweren Büchsen und kletterten gewandt mit dem Proviant die Bäume empor. Es konnte ja sehr leicht sein, daß wir vierundzwanzig Stunden dort oben sitzen mußten.
Als Pongo aber jetzt erfuhr, daß er mit dem Fürsten zusammen auf der kleinen Plattform bleiben sollte, wäre er beinahe davongelaufen, und erst ein kleines Machtwort Rolfs konnte ihn bewegen, diese hohe Ehre anzunehmen.
Bevor wir jetzt selbst die Madjams bestiegen, gingen wir an den Weiher, um die verdächtigen Fußspuren zu betrachten. Unendlich viele Tierfährten führten ans Wasser, unter Ihnen die mächtigen Eindrücke der erwarteten Raubkatzen. Und mitten zwischen diesen Fährten war ein scharf ausgeprägter Menschenfuß zu erblicken.
„Ein flacher, absatzloser, leichter Schuh," stellte Rolf fest, „also bestimmt ein Eingeborener. Er muß einen langen Weg hinter sich gehabt haben, um sich hier an diesem gefährlichen Weiher zu laben. Vielleicht finden wir ihn doch im Tempel, und er entpuppt sich als harmloser Pilger."
3. Kapitel
Teufeleien der Gegner.
„Nun, auf keinen Fall wird er uns wohl schaden," lachte der Fürst, „und die Untersuchung des Tempels können wir ruhig nach der Jagd vornehmen. Wollen wir uns also jetzt auf die Hochsitze begeben? Sonst müssen wir unter Umständen sehr lange warten."
„Ich bin gern bereit," meinte Rolf, „obgleich ich ja dem geheimnisvollen Pilger gern nachgespürt hätte. Na, wenn er sich noch im Tempel aufhält, wird er uns ja nicht entgehen. Wann kommen die Leute zurück, Hoheit?"
Er deutete dabei auf die begleitenden Inder.
„Sie werden draußen an der Straße warten, bis ich zweimal je drei Schüsse aus meiner Pistole abgegeben habe. Das ist dann das Zeichen, daß sie kommen und uns abholen sollen."
„Sehr gut, dann wollen wir also jetzt die Madjams besteigen."
Die Inder hatten die Hochsitze ganz vorzüglich gebaut. Zum bequemen Aufstieg waren genügend starke Zweige vorhanden, über die wir wie auf einer Leiter emporklettern konnten. Als wir aber den starken, aus nebeneinandergelegten Ästen bestehenden Boden des Sitzes betraten, schwankte die luftige Plattform zwar ziemlich heftig, auch ließ sich lautes Knacken vernehmen, doch wir wußten, daß wir uns auf die Erfahrung der Schikari« im Bau derartiger Madjams unbedingt verlassen konnten.
Die Übersicht auf die Lichtung und den Weiher war ganz vorzüglich. Wenn sich hier Tiger an der Tränke zeigten, dann mußten sie uns unbedingt zur Beute fallen. Wir machten es uns so bequem wie möglich, nahmen unsere Büchsen auf den Schoß und blickten dann zur anderen Madiam hinüber, auf der Bima Sahi und Pongo dicht nebeneinander saßen und sich leise unterhielten.
,Jetzt möchte ich Pongos Gesicht sehen," lachte ich leise, so verlegen wird er wohl selten im Leben gewesen sein. Es ist aber ein ganz großartiger Zug vom Fürsten, daß er ihn so zu sich heranzieht."
„Er wird es erstens aus Interesse an unserem schwarzen Freund tun," meinte Rolf, „dann aber auch, um uns dadurch indirekt zu ehren. Auf jeden Fall ist es nur aber auch in der Hinsicht angenehm, daß Bima Sahi jetzt unter dem besten Schutz steht. Es wird wohl kein Tiger, auch kein menschlicher Feind auf die Madiam gelangen, solange Pongo neben ihm sitzt."
„Das allerdings," gab ich zu. .Und auch im Palast ist unser Pongo ein unschätzbarer Schutz für uns alle. Hoffentlich erkennen die geheimen Feinde seine Gefährlichkeit nicht ebenfalls und trachten danach, ihn zuerst auszuschalten."
„Nun, das wird Pongo gegenüber nicht so einfach sein." lachte Rolf, »ich wenigstens möchte es nicht probieren. Ah," unterbrach er sich und legte seine Hand auf meinen Arm, „siehst du ihn?"
Am jenseitigen Ufer des Weihers bewegten sich die Büsche, dann schoben sich die äußersten Zweige auseinander, und langsam trat ein mächtiger Tiger heraus. Unbeweglich blieb er einige Sekunden stehen und ließ seinen Blick umherschweifen. Es war ein prächtiges Bild, und wir starrten gebannt, mit dem Interesse des Naturforschers, hinüber.
Jetzt schien sich der „Herr des Dschungels" überzeugt zu haben, daß keine Gefahr in der Nähe war. Er wandte langsam den Kopf den Büschen zu, aus denen er herausgetreten war, und zu unserem Erstaunen schob sich sofort ein zweiter, gelbgestreifter Körper heraus, offenbar das Weibchen. Es schien gerade so, als hätte das Männchen gerufen, es sei alles in Ordnung.
Jetzt schritten die beiden riesigen Katzen langsam um den Weiher herum. Offenbar war ihnen das jenseitige Ufer zu steil, und sie wollten die Tränke benutzen, die fast direkt zu unseren Füßen lag. Wieder konnte ich die Vorsicht bewundern, mit der das Tigerpärchen seinen Weg fortsetzte.
Und es hatte doch von tierischen Feinden nichts zu fürchten, nur von Menschen, mit dem sie also offenbar schon Bekanntschaft gemacht haben mußten. Und unwillkürlich überlegte ich, ob das nicht ein Zeichen sei, daß sich hier in dem verlassenen Tempel doch noch öfter Leute aufhielten.
Ich hätte gern Rolf meine Meinung mitgeteilt, aber die Bestien waren jetzt schon zu nahe heran und hätten sicher auch das leiseste Wort gehört.
Bedächtig trank jetzt der Tiger, während das Weibchen hinter ihm stand und aufmerksam umherblickte. Dann ging er zurück und übernahm den Posten des Wächters.
Jetzt mußten wir schießen, sonst war es möglich, daß die Bestien schnell im dichten Unterholz verschwanden. Ich warf einen Seitenblick auf Rolf, der mit dem Kopf nickte und vorsichtig die Büchse hochnahm. Nach alter Verabredung mußte ich, da ich links saß, auch den linken Tiger, in diesem Fall das Weibchen, schießen.
Vorsichtig, mit angebackten Büchsen, beugten wir uns jetzt weit vor. um die mächtigen Schädel der Raubkatze aufs Korn nehmen zu können.
Da krachten plötzlich die Äste, auf denen unsere Plattform ruhte, und erst langsam, dann immer schneller, neigte sich die Madiam nach vorn. Zurückspringen konnten wir nicht mehr, aber wir wußten, daß wir jetzt direkt vor die beiden Bestien fallen würden, und ?o gaben wir, auf der geneigten Plattform schon abrutschend, in rasend schneller Reihenfolge mehrere Schüsse auf die überraschten Tiger ab.
Ich hörte noch von der Madiam des Fürsten, der unsere gefährliche Lage sofort überblickt hatte, Schüsse fallen, hörte das röchelnde Aufjaulen der Tiger, dann fielen wir schon inmitten der brechenden, rauschenden Äste hinab, — direkt neben die beiden Bestien, die sich brüllend und fauchend am Boden wälzten.
Durch die zum Teil auf uns gestürzte Plattform waren wir verhindert, uns aus dieser gefährlichen Nachbarschaft zu rollen, aufspringen durften wir aber auch nicht, um die Aufmerksamkeit der Bestien nicht auf uns zu ziehen.
Denn obwohl sie offenbar tödlich verwundet waren, konnten sie uns doch noch in letzter, wütender Kraft zerreißen. Für den Fürsten war es auch eine Unmöglichkeit, zu schießen, denn eine abirrende oder abprallende Kugel hätte uns zu leicht treffen können.
Fest an den Boden geschmiegt, von den Ästen halb bedeckt, blickte ich gebannt auf den mächtigen Tiger, der höchstens einundeinhalb Meter von mir entfernt das Gras zerbiß und mit den Pranken zerschlug. Jetzt schien er mich endlich gewittert zu heben, denn plötzlich erhob er sich, stand schwankend da und heftete seine glühenden Augen auf mich.
Sollte er doch noch die Kraft haben, heranzukommen' Es waren entsetzliche Augenblicke für mich. Ja. jetzt zog er langsam die Hinterfüße an. nun wollte er den kurzen Sprang tun. Ich überlegte blitzschnell, ob ich nicht abspringen und ihm einUe Kugeln aus meiner Pistole In den Schädel jaqen sollte.
Aber als ich schon meine Muskeln anspannte, um diesen Entschluß auszuführen stand plötzlich unser Pongo neben der Bestie. Sein Vorhaben war ungeheuerlicn, denn obwohl er ebenfalls Pistolen im Gürtel trug — wir hatten es ihm endlich angewöhnt, und er schoß auch schon gut, — zog er doch immer noch die ihm gewohnten Waffen vor. >
Jetzt hatte er sein mächtiges Haimesser in der Rechten und griff mit ihm den furchtbaren Feind an. Der Tiger wandte sich mühsam um. Er ahnte wohl die Gefährlichkeit dieses neuen Feindes, denn mit letzten, erlöschenden Kräften suchte er sich herumzuwerfen, 'im die riesige Gestalt da neben sich zu packen.
Aber da sauste schon das mächtige, haarscharfe Haimesser Pongos herab, von der übermenschlichen Krait unseres schwarzen Freundes geführt. Die Bestie rollte sofort mit letztem Aufjaulen zur Seite, zuckte, einige Sekunden mit den riesigen Pranken und lag dann still.
Pongo hatte ihm mit einem Hieb die Wirbelsäule durchtrennt.
Und dann wandte er sich der Tigerin zu, die sich ebenfalls aufzurichten versuchte. Noch einmal wirbelte sein blitzendes Messer durch die Luft, dann war auch diese Bestie erledigt.
Mühsam befreiten wir uns jetzt von den Ästen und standen auf. Der Fürst war inzwischen ebenfalls von seiner Madjam hinabgeklettert und trat jetzt auf uns
zu. Mit ernstem Gesicht schüttelte er uns die Hände und sagte:
„Meine Herren, ich danke dem Erhabenen, daß er Sie unverletzt aus dieser furchtbaren Gefahr hat kommen lassen. Es waren für mich entsetzliche Momente, als Ich Sie in Ihrer Lage erblickte."
Einige Minuten betrachtete er stumm die beiden Tiger und fuhr dann fort: /
»Ich werde meine Schakaris, die durch ihre Unachtsamkeit dieses Unglück herbeiführten, schwer bestrafen. Es ist allerdings das erstemal, daß eine Madjam herabgebrochen ist."
Rolf hatte sich herabgebückt und aufmerksam einige der abgebrochenen Äste betrachtet. Jetzt richtete er sich wieder auf und sagte sehr ernst:
»Hoheit, Ihre Schikaris werden keine Schuld haben. Hier sehen Sie selbst, die Äste waren halb durchgesägt Und es war offenbar ein Attentat auf Ihre Person, denn ursprünglich wollten Sie ja diese Madjam besteigen."
Bima Sahi betrachtete ganz verstört die glatten Schnittflächen der Äste. Und auch mich überlief es kalt, denn das war ein ganz heimtückisch und hinterlistig durchgeführtes Attentat. Und sofort kam mir der Gedanke an die Fußspur, die ja davon Zeugnis gab, daß sich nachträglich ein Mensch auf dieser sonst nie betretenen Lichtung aufgehalten hatte. Sicher hatte er nachts sein Verbrechen ausgeübt.
Gerade als ich meinen Verdacht aussprechen wollte, sagte Rolf:
»Jetzt müssen wir natürlich den alten Tempel untersuchen, denn es kann sein, daß sich der Verbrecher noch dort aufhält."
»So meinst du also auch, daß es der Mann war, dessen Fährte hier am Weiher zu sehen ist?" fiel ich ein.
»Ja, das denke ich," gab Rolf zu. „Er wird die Schikaris bei ihrer Arbeit belauscht und dadurch erfahren haben, daß der Fürst diese Madjam benutzen würde. Dann hat er in der vergangenen Nacht sein hinterlistiges Werk ausgeführt."
»Ich Würde sofort meine Schikaris herkommen lassen," meinte jetzt Bima Sahi, »dann können wir den alten Tempel genau durchsuchen. Oder haben Sie einen anderen Plan?" fragte er, als Rolf ein zweifelndes Gesicht machte.
»Ich dachte ja daran, den Tempel allein zu untersuchen," sagte mein Freund, »denn es kann leicht sein, daß der Verbrecher, in der Nähe versteckt, den Erfolg seiner Schandtat abgewartet hat. Und wenn wir hier '.u lange warten, findet er inzwischen Gelegenheit zur Flucht."
»Das ist auch richtig," gab der Fürst zu, »dann werde ich jetzt wenigstens die Schüsse abfeuern, und wir gehen dann sofort zum Tempel und durchsuchen ihn. Mein« Schikaris müssen ja an ihm vorbeikommen. Und sie sind uns entschieden eine wertvolle Hilfe."
»Ja, so können wir es machen," nickte Rolf.
Der Fürst zog seine Pistole und gab das verabredete Signal. Dann verließen wir die Lichtung und schritte» dem alten Bollwerk zu. Dem Rate Rolfs folgend, umschritten wir zuerst das Gebäude, dabei nach Fährten spähend. Besonders unter den Fensteröffnungen betrachteten wir den Boden ganz genau, denn wir wollten wissen, ob der geheimnisvolle Besucher des Weihers den Tempel betreten hätte. Der weiche Boden hätte jede Spur aufnehmen müssen, und als wir nun an der Eingangstür zusammentrafen, — ich war mit Pongo um die linke Seite des Tempels herum geschritten, Rolf mit dem Fürsten um die rechte — wußten wir, daß er kein Fenster zum Einstieg benutzt hatte, denn wir hatten keine Spur gefunden Und in die einzige Tür des alten Gebäudes, vor der wir jetzt standen, führte ebenfalls keine Fährte.
„Schade," meinte Bima Sahi leise, „jetzt wird wohl die Untersuchung keinen Zweck haben. Ich hätte mich
sehr gefreut, wenn wir den hinterlistigen Verbrecher angetroffen hätten." /
„Alte Bauwerke haben immer ihre Geheimnisse," sagte Rolf nachdenklich, „und wenn sich ein Mensch hier verborgen hält, dann wird er sie auch kennen."
„Ah. das ist sehr richtig," rief der Fürst zustimmend, „ich hatte im Augenblick nicht an geheime Gänge gedacht. Sicher werden hier vielleicht sogar mehrere vorhanden sein. Aber wäre es dann nicht besser, wir warten, bis meine Schikaris gekommen sind? Sie könnten den Tempel in weitem Umkreis umstellen."
„Ja, das ist richtig," meinte Rolf, „und sie können uns unter Umständen befreien, wenn wir in irgendeine Falle geraten sollten. Denn damit müssen wir in diesem alten Gemäuer rechnen."
„Aber sehr sogar," gab Bima Sahi zu, „der alte Maha hat sicher Vorrichtungen angebracht, die unliebsamen Besuchern sehr unangenehm werden können. Wir müssen uns äußerst in acht nehmen."
Das waren ja wieder sehr angenehme Aussichten, und ich betrachtete sehr mißtrauisch den alten Bau. Unbewußt schweifte mein Blick dabei über die Fensteröffnungen, und plötzlich glaubte ich einen Menschenkopf hinter einer von ihnen zu erblicken. Gerade wollte ich die Gefährten darauf aufmerksam machen, als Pongo halblaut rief:
„Massers, dort Kopf."
Er nickte dabei gegen dieselbe Fensteröffnung.
„Ja, ich habe es auch bemerkt," bestätigte ich, „es ist also doch ein Mensch im Innern des Tempels."
„Sehr gut." Bima Sahi rieb sich die Hände, und ich mußte im stillen den Mut des Fürsten bewundern, denn wenn dieser Mann im Tempel der heimtückische Verbrecher war, dann konnten wir auf ganz gefährlichen Widerstand rechnen.
„Ah, da kommen ja schon die Schikaris," rief Rolf im gleichen Augenblick, „Hoheit, vielleicht instruieren Sie die Leute so. daß vier Mann den Tempel in weitem Abstand umstellen, während sich die beiden anderen hier in der Nähe des Eingangs aufhalten, um uns zu Hilfe eilen zu können, wenn wir in Gefahr geraten."
Der Fürst sprach mit den intelligenten, kräftigen Indern, die sich schweigend verbeugten und ihre Plätze einnahmen. Dann näherten wir uns vorsichtig dem Eingang des Tempels.
Eine schwere Bronzetür, mit wunderlichen Zierraten geschmückt, leuchtete uns im Grün uralter Patina entgegen. Rolf hob schon die Hand, um die Klinke herunter zu drücken, als er zögernd innehielt. Dann wandte er sich an Pongo und bat ihn flüsternd, ihm vom nächsten Busch einen langen, recht kräftigen Ast abzuschneiden.
Mit dem fast handgelenkstarken, wohl zwei Meter langen Stock, den Pongo bald brachte, drückte Rolf die Klinke herunter und stieß die Tür auf
„Sehr gut," flüsterte der Fürst anerkennend, „es konnte leicht möglich sein, daß in der Klinke eine Giftnadel verborgen war. Gerade bei so einsamen Tempeln schützen sich die Priester gern mit ähnlichen Vorrichtungen."
Rolf nickte nur und spähte aufmerksam ins Innere des Tempels. Ich blickte über seine Schulter und sah eine große Halle, die durch die ziemlich kleinen Fensteröffnungen ein dämmriges Licht erhielt. Der Tür gegenüber stand auf weißlichem Steinsockel eine mannshohe Götzenfigur, die anscheinend völlig vergoldet war. Aber da flüsterte der Fürst hinter mir:
„Die Götzenfigur ist aus purem Golde gegossen. Sie wiegt bestimmt einige Zentner. Können Sie sich jetzt vorstellen, daß der alte Maha seinen Gott gegen Raub mit allen Mitteln geschützt hat?"
„Das glaube ich gern," gab ich leise zurück, „trotzdem wird es für einen Dieb sehr schwer sein, die mächtige Figur aus der Wildnis hier herauszuholen."
„Jetzt allerdings," flüsterte Bima Sahi, „aber früher führte ein breiter Weg zum Tempel, Fuhrwerke und Menschenmengen bewegten sich zu und von ihm. Da wäre es leicht gewesen, die schwere Beute fortzuschaffen .o. Nur drei oder vier Mann hätten es fertig gebracht."
„Und der ganze Verkehr hat plötzlich aufgehört?" forschte ich.
„Ja, als Maha vor drei Jahren starb. Oder vielmehr, er verschwand auf ganz geheimnisvolle Weise völlig spurlos. Trotz aller Nachforschungen, die vor allen Dingen mein Vetter Dschang leitete, wurde er nicht wiedergefunden. Und da verbreitete sich das Gerücht unter dem Volk, daß er von dem aus irgendeiner Ursache erzürnten Gott verschlungen sei. Seitdem steht der Tempel leer."
Rolf drehte sich plötzlich um.
„Ich habe Ihr Gespräch gehört, Hoheit," sagte er seltsam sinnend, „und es war mir sehr interessant. Vielleicht bin ich dadurch der Aufklärung etwas näher gekommen."
„Das wäre allerdings sehr seltsam," lächelte Bima Sahi, „aber es gibt ja oft so eigenartige Zufälle im Leben."
Rolf nickte mir, dann wandte er sich wieder um und trat langsam durch die Türöffnung in die große Tempelhalle. Ich bemerkte, daß er mit dem Stock jede Steinfliese des Bodens kräftig prüfte, ehe er den Fuß daraufsetzte, ein ganz guter Schutz vor Falltüren, mit denen die indischen Baumeister früherer Jahrhunderte ja gern gearbeitet haben.
Wir folgten ihm langsam und blickten uns aufmerksam nach allen Seiten um, ohne jedoch irgend etwas Auffälliges zu bemerken. Und doch befanden wir uns in einer dumpfen Spannung, wie sie eine drohende, aber unbekannte Gefahr auszulösen pflegt.
Der spurlos verschwundene Maha, den der goldene Götze verschlungen haben sollte, kam mir nicht aus dem Sinn. Welches Geheimnis mochte dahinter stecken?
Sollte es uns vielleicht auch so ergehen? Unwillkürlich betrachtete ich das grausame Gesicht des Götzen, den der schaffende Künstler mit abstoßender Häßlichkeit dargestellt hatte. Wie höhnisch lachte mich der breite, verzerrte Mund an, die dicke, tierische Nase schien ein neues Opfer zu wittern, und die Augen — ich zuckte zusammen, denn diese Augen schienen zu leben.
Groß und dunkel blitzten sie mich an, und jetzt — ich stieß einen halblauten Ruf aus, — jetzt wandten sie sich deutlich auf Rolf, der wenige Meter vor der scheußlichen Figur stand.
„Aha." flüsterte da der Fürst neben mir, „haben Sie «s auch bemerkt? Der geheimnisvolle Mensch steckt im Innern der Figur. Das machen noch jetzt die Priester oft, um Orakel zu spielen oder in ähnlicher Weise auf die Menge einzuwirken. Ah, Ihr Freund hat es auch bemerkt."
Rolf hatte mit schneller Bewegung den Kopf gehoben, starrte einige Sekunden die Augen des Götzen an, trat dann schnell einen Schritt zurück und riß seine Pistole heraus.
Im nächsten Augenblick peitschte schon der Schuss auf. Und Rolf, dieser Sekunde vor Abgabe des Schusses verschwunden waren.
„Schade," sagte auch Rolf, „er war doch schneller. Aber jetzt weiß er wenigstens, daß wir auf der Hut sind. Ich möchte wetten, daß vom Innern des Götzen aus der Eingang zu den geheimen Gängen unter dem Tempel führt. Wir müssen also in die Figur hinein, und zwar wird sich wohl die Tür im Rücken des Götzenbildes befinden."
„Oder sie läßt sich zur Seite schieben." meinte ich.
„Das glaube ich nicht, denn dann könnte niemand so unbemerkt hineingelangen. Aber ich kann ja mal probieren, ob sie sich bewegen läßt."
Rolf stemmte den langen Stock kräftig gegen die rechte Seite des Götzen. Und im nächsten Augenblick klappten rings um den Steinsockel die Bodenplatten nach unten, aber gleichzeitig schössen aus versteckten Ritzen des Sockels nach allen Seiten lange, blitzende Schwertklingen.
Wir blickten uns fast erschrocken an. Das war allerdings eine ganz teuflische Einrichtung. Jeder Dieb, der versuchte, die goldene Figur vom Sockel herabzustürzen, würde durchbohrt werden, oder in unbekannte, geheimnisvolle Tiefen fallen, die ihn sicher für immer verschlingen würden.
„.Sehr nett," meinte endlich Rolf leichthin, „es war doch ganz gut. daß ich an den Stock dachte. Aber jetzt können wir ganz ruhig an den Götzen herangehen. Die
Falltüren sind ja nicht allzu breit, da können wir bequem hin überspringen Und auf dem Sockel des Götzen haben wir genug Platz. Das heißt, ich werde es zuerst versuchen."
4. Kapitel
In gefährlicher Lage.
„Rolf, nimm dich nur in acht,' warnte ich sofort; „war weiß, welche Teufeleien in dem Götzen noch verborgen sind."
„Ja, Herr Torring," pflichtete auch der Fürst bei, „seien Sie nur äußerst vorsichtig. Am liebsten würde ich die Suche hier aufgeben, denn wir bringen uns nur unnötig in Gefahr und werden den Verbrecher doch nicht finden. Kehren wir ruhig nach Katmandu zurück."
„Es handelt sich hier nicht um den Mann allein," gab Rolf ernst zurück, „ich hoffe, hier auch eine eventuelle Lösung des Falles zu finden."
Bima Sahi lächelte ungläubig.
„Das wäre ja allerdings sehr erstaunlich. Aber wen" Sie so denken, Herr Torring, dann müssen wir natürlich unsere Nachforschungen fortsetzen."
Rolf hatte sich schon wieder der Götzenfigur zugewandt und tastete mit seinem Stock den Sockel ab. Aber so kräftig er auch auf alle erreichbaren Stellen drückte, es rührte sich nichts.
„Nun, dann können wir wohl herangehen," meinte er endlich. Unendlich behutsam, jeden Zoll des Bodens prüfend, schritt er auf den Götzen zu. Ich hatte meine Pistole gezogen und paßte auf die jetzt leeren Augenhöhlen auf. Und ich hätte sofort geschossen, wenn sich die Augen des Versteckten wieder gezeigt hätten.
Jetzt stand Rolf dicht vor der gähnenden Öffnung im Boden, die rings um den Steinsockel herumlief Noch einmal probierte er mit seinem Stock alle erreichbaren Stellen auf dem Sockel, legte dann die Stange hin und beugte sich vor, um zwischen zwei der ragenden Schwerter die Hände auf den Sockel zu legen.
Aber schnell richtete er sich wieder auf, denn im gleichen Augenblick erscholl ein dumpfes Rasseln, und während sich die Bodenplatten um den Steinsockel langsam hoben, zogen sich die Schwerter in den Stein zurück.
Mißtrauisch betrachtete Rolf den Götzen, und ich rief ihm zu:
„Rolf, komme her. Es ist dort zu gefährlich."
Auch der Fürst rief ihm zu, und endlich trat er einige Schritte zurück.
„Ich möchte wetten, daß der Versteckte uns genau beobachtet," meinte er dabei. „Aber ich muß unbedingt das Geheimnis hier klären. Und zwar," er trat dicht an uns heran und senkte die Stimme, „müssen wir es so machen, daß..."
Hier wurde Rolf durch einen lauten Ruf Pongos unter-brochen. Der schwarze Riese sprang mit gewaltigem Satz zurück, deutete dabei in die Höhe und brüllte:
„Massers fort, schnell!"
Über uns hörten wir lautes Prasseln, und ohne uns Zeit zu nehmen, einen Blick hinauf zu werfen, sprangen wir Pongo nach. Der ganze Vorfall spielte sich in wenigen Sekunden ab; hinter uns dröhnte der Boden unter dem Anprall einer gewaltigen Last, die aus der Höhe herabgestürzt war.
Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, welche neue Teufelei der verborgene Feind ausgeführt hatte, aber hu gleichen Augenblick schwand unter uns der Boden.
-Und das an einer Stelle, die wir kurze Zeit vorher passiert hatten
Vergeblich suchten wir noch zurückzuspringen, die Falle war zu raffiniert angelegt. Zusammenprallend stürzten wir, uns gegenseitig im Fallen haltend, in die Tiefe. Blitzschnell kam mir der Gedanke an zugespitzte Pfähle, die uns da unten vielleicht auffangen würden, da fielen wir auch schon auf ziemlich weichen Boden. Und über uns schlössen sich knarrend die Bodenplatten des Tempelraumes.
„Sehr nett," sagte Rolf nach einigen Augenblicken, „jetzt sind wir wenigstens unter dem Tempel. Und da wollten wir ja hin. Ah das ist sehr gut, ich befürchtete schon, daß meine Taschenlampe durch den Sturz beschädigt sei."
Der helle Schein wanderte im nächsten Augenblick in dem Raum umher. Wir stellten fest, daß wir ungefähr fünf Meter in einen Keller hinuntergefallen waren. Ungefähr vier Meter im Quadrat groß, bot er uns genügend Platz. Die Mauern bestanden, aus mächtigen Quadern und waren sicher undurchdringbar.
Jetzt beleuchtete Rolf den Boden, und da schauderten wir doch zusammen. Denn verschiedene menschliche Schädel und Knochen bewiesen uns, daß wir nicht die ersten Insassen dieser Falle waren.
Sollten wir auch wie die Unglücklichen vor uns, elendiglich verhungern? Aber wir waren ja schließlich nicht die Männer dazu, um uns kampflos dem Geschick zu überlassen.
„Hans, wir müssen die Wände genau untersuchen," ordnete Rolf an; „nimm deine Lampe ebenfalls und suche nach Fugen, an denen wir die Arbeit beginnen können.. Wir müssen die Steinblöcke herausbekommen."
Ich wandte mich der nächsten Wand zu und untersuchte die mächtigen Steinblöcke. Und zu meiner Freude fand ich, daß der Mörtel gar nicht so hart war, wie ich erwartet hatte. Und da rief schon Rolf an der anderen Seite unseres Kerkers:
„Hans, komm hierher! Wir müssen uns nach dem Innern des Tempels durchbrechen, sonst kommen wir nicht hinaus. Und hier sind sehr breite Fugen."
Ich trat hinüber und sah bereits Pongo mit seinem Haimesser beschäftigt, den Mörtel zu entfernen. Angestrengt arbeiteten wir jetzt, auch der Fürst verschmähte es nicht, kräftig anzupacken. Wir mußten uns ja so schnell als möglich befreien, um vielleicht den versteckten Attentäter fassen zu können.
Es dauerte aber noch wenigstens eine Stunde, bis wir endlich soviel Steine herausgebrochen hatten, daß wir durch die entstandene Öffnung hindurchkriechen konnten. Rolf leuchtete in die Öffnung hinein und stieß einen ärgerlichen Ruf aus.
„Hier nebenan ist noch ein Kerker," sagte er, „jetzt müssen wir noch weiter arbeiten."
Während er durch die Öffnung in den Nebenkerker kletterte, rief der Fürst lachend:
„Nun, das schadet nichts, Herr Torring, jetzt sind wir doch schon in Übung gekommen."
Bald standen wir im Nebenraum und beleuchteten die Wände. Und da entdeckten wir, daß dieser Kerker ganz wohnlich eingerichtet war. Ein weiches Lager in einer Ecke, ein Tisch und Stuhl, ja, eine altertümliche Öllampe und ein Wasserkrug waren ebenfalls vorhanden. Und dann sahen wir auch in der einen Wand des Kerkers eine Tür aus dunklem Holz.
„Oh weh, das Holz wird vielleicht schwerer zu durchbrechen sein als die Mauern," lachte Rolf und schritt auf die Tür zu. Und dann stieß er einen Ruf des Erstaunens aus.
„Die Tür ist offen," rief er, „ah, jetzt wird mir vieles klar. Jetzt müssen wir uns aber beeilen, um einen eventuellen Mord zu verhindern.'
Ohne auf unsere erstaunten Fragen zu antworten, zog er den schweren Türflügel auf, winkte dann, daß wir schweigen sollten und trat vorsichtig aus dem Kerker hinaus. Leise folgten wir ihm und sahen durch den Schein unserer Lampen einen schmalen, gewölbten Gang erhellt.
Verschiedene Türen mündeten in ihn, doch vermuteten wir mit Recht, daß hinter ihnen wohl nur Kerkerräume lagen, denn sie waren mit riesigen Riegeln versehen, die aber nicht vorgestoßen waren.
Rolf wandte sieh erst nach links, doch war dort der Gang nach wenigen Metern zu Ende. Eine Wand aus mächtigen Quadern schloß ihn ab, und nach kurzer Musterung, ob nicht irgendwo eine versteckte Tür vorhanden wäre, kehrten wir um und schritten nach rechts. Aber auch dort fanden wir eine massive Mauer, und Rolf meinte nach kurzem Besinnen:
„Der Gang war so lang, daß die beiden Endmauern mit den Außenmauern des Tempels identisch sein müssen. Also liegt der Ausgang doch hinter einer der Türen. Wir wollen ruhig jeden Raum rechts und links vom Gang untersuchen."
Hinter den ersten Türen lagen kahle Räume, die aber offenbar in früheren Zeiten ebenfalls als Kerker gedient hatten. Und unwillkürlich mußte ich daran denken, daß dem scheußlichen, goldenen Götzen über uns sicher viele Unglückliche geopfert worden waren, die vorher in diesen Verließen schmachteten.
Endlich, ungefähr in der Mitte des Ganges, öffne» Rolf eine Tür, und rief «sofort aus:
„Hier muß es sein. Fast direkt über uns wird sich der Götze befinden."
„Aber, Rolf," wandte ich ein, „willst du denn in die
Figur hineinkriechen?"
„Ja, das möchte ich schon aus dem Grund, um durch die Augenlöcher den Tempelraum überblicken zu können. Wir wissen ja nicht, ob in der Zwischenzeit noch eine ganze Anzahl der Feinde hier eingetroffen ist Man muß stets mit allen Eventualitäten rechnen."
„Ich bewundere Sie immer mehr, Herr Torring," sagte der Fürst. Als er aber in den Raum blickte, den Rolf gerade betrat, rief er erschreckt:
„Vorsicht, nehmen Sie sich vor diesen Hebeln in acht. Warten Sie, ich weiß ein wenig Bescheid, denn ich habe in einem anderen Tempel einen ähnlichen Raum gesehen, den mir die Priester erklärten."
Rolf war sofort stehen geblieben, betrachtete die vielen altertümlichen Hebel an den Wänden und im Boden und sagte dann:
„Wenn Sie schon Bescheid wissen, Hoheit, erleichtert es unsere Lage selbstverständlich. Aber ich möchte behaupten, daß ich bald den Zweck der Hebel herausgefunden hätte."
„Sie vergessen nur, Herr Torring, daß dieser Raum sozusagen das Herz des ganzen Tempels bildet. Von hier aus wurden früher die mechanischen Vorrichtungen ausgelöst, die einerseits zum Schutz des Götzenbildes, andererseits dazu dienten, um das abergläubische Volk i» seiner Furcht zu bestärken. Und selbstverständlich sind die Geheimnisse dieses Raumes auch durch raffinierte Fallen geschützt."
„Das hatte ich mir auch gedacht," meinte Rolf, „und deshalb hätte ich nur die Hebel betätigt, die am gefährlichsten aussehen. Denn gerade die harmlosen werden wohl die Fallen betätigen."
„Allerdings," gab der Fürst verwundert zu. „haben Sie schon früher einen solchen Raum gesehen? Woher wissen Sie es sonst?"
„Nun, das kann man sich doch kombinieren. Gerät wirklich ein Fremder in diesen Raum, dann ist er ängstlich und dadurch schon verloren. Er greift nach den Hebeln, die harmlos erscheinen."
„Tatsächlich, es stimmt," nickte Bima Sahi. .Sehen Sie, dieser so harmlos aussehende Hebel würde um sofort einer neuen Falle überliefern, aus der wir kaum herauskämen. Sie wollen in den Götzen? Dann muß dieser Hebel hier die Klappe öffnen."
Ruhig legte der Fürst einen mächtigen Hebel um, und über uns öffnete sich eine kleine Klappe in der Decke. Und gleichzeitig senkte sich mit einem leisen Schnurren eine Strickleiter aus der Öffnung herab.
„Sie sehen, sehr praktisch," lächelte der Fürst. .Wenn Sie aber hinaufsteigen, Herr Torring, hüten Sie sich, irgend einen Hebel im Innern der Figur zu berühren."
„Das würde ich allerdings nicht tun." Rolf hatte schon die Strickleiter gepackt und turnte gewandt empor. Als er verschwunden war, meinte Bima Sahi:
„Ich glaube ja nicht, daß er etwas entdecken wird, aber ich muß jetzt neben dem Mut Ihres Freundes auch seine geniale Kombinationsgabe bewundern. Ah, da kommt er schon wieder herunter, also hat er nichts gesehen, wie ich glaube."
Aber Rolf hatte ein so ernstes Gesicht, daß ich sofort das Gegenteil vermutete. Und da sagte er auch schon:
„Hoheit, wir müssen schnell hinaus, die beiden Schikaris, die Sie als Posten an die Tempeltür gestellt hatten, liegen reglos, offenbar tot, auf der Schwelle. Ich fürchte, es ist oben ein sehr schweres Verbrechen verübt worden, das ich gern verhindert hätte."
Erschrocken murmelte der Fürst einige Worte in seiner Landessprache vor sich hin, überlegte kurze Zeit und legte dann einen Hebel um
Eine Öffnung in der Wand wurde sichtbar.
„Dort muß es in einen Nebenraum des Tempels hinaufgehen," sagte er, „wir müssen den Tempel dann durchs Fenster verlassen, denn die Halle möchte ich nicht noch einmal passieren."
„Nun gut, Hoheit, ich werde oben auf Sie warten, wenn ich vorangehen darf. Hans, du machst den Schluß."
Sehr angenehm war es mir ja nicht, als Pongo in der Öffnung verschwand und ich als Letzter noch in dem geheimnisvollen Raum weilte. Und so beeilte ich mich sehr, unserem schwarzen Freund zu folgen. Hinter der engen Öffnung führte eine schmale, steile Treppe in die Höhe. Schnell hastete ich die Stufen hinauf, und endlich bemerkte ich Tageslicht.
Die Gefährten erwarteten mich in einem kleinen Raum, der neben der Tempelhalle lag. Durch kleine Löcher in den Wanden konnte man die Halle völlig übersehen.
Der Fürst betrachtete aufmerksam die Fensteröffnung.
„Es scheint keine Falle vorhanden zu sein," erklärte er endlich. „Im allgemeinen pflegen schwere, zugespitzte Eisenstücke von oben herabzufallen, wenn jemand durch die Öffnung kriecht. Aber hier kann ich keine Öffnungen entdecken. Vielleicht sehen Sie doch einmal nach, Herr Torring?"
„Das wird wohl nicht nötig sein," sagte Rolf ruhig, packte den Rand der Öffnung, und schwang sich hinaus. „Kommen Sie ruhig, auch hier draußen scheint keine Gefahr in der Nähe zu sein. Und wir müssen uns sehr beeilen."
„Was haben Sie nur?" meinte der Fürst verwundert, während er durch die Maueröffnung kroch, „Sie scheinen genau zu wissen, was jetzt folgen wird?"
„Ich ahne es wenigstens," hörte ich Rolf antworten, „Hans, mache recht schnell."
Trotz seiner riesigen Figur war Pongo gewandt wie ein Wiesel durch die Öffnung geschlüpft. Ich tat es ihm nach bestem Können nach und atmete doch auf, als ich aus dem unheimlichen Tempel heraus war.
Rolf schritt sofort um das alte Gemäuer herum, dem Eingang zu. Und da lagen die beiden Schikaris, die der Fürst als Wache aufgestellt hatte. Rolf beugte sich über sie.
„Hinterrücks erstochen," erklärte er dann ernst. .Der Geheimnisvolle im Tempel muß also unbedingt einen Gehilfen haben. Jetzt müssen wir versuchen, seine Spur zu entdecken. Ich hoffe, daß es nicht schwer sein wird."
Zu meinem Erstaunen betrachtete Rolf aber nicht den Boden, um nach Fußspuren zu suchen, sondern musterte aufmerksam die Büsche, die den kleinen Platz begrenzten. Dann deutete er auf eine Stelle und sagte:
„Dort sind sie eingedrungen. Wir müssen ihnen schnell folgen, denn wir haben in der Falle kostbare Zeit verloren. Hoffentlich ist es nicht zu spät geworden."
Er schritt schon auf den bezeichneten Busch zu und verschwand in den elastischen Zweigen. Als ich mich ebenfalls hindurch drängte, bemerkte ich, daß verschiedene Zweige geknickt und Blätter abgerissen waren. Und das mußte wenigstens schon vor einer Stunde geschehen sein, denn in der furchtbaren Glut waren die Blätter schon schlapp und welk geworden.
Es sah aus, als wäre hier eine Last durch das Dickicht getragen worden. Das heißt, Dickicht ist nicht der richtige Ausdruck. Es war ein alter Wildpfad, den wir jetzt entlang schritten, der aber schon sehr verwachsen war. Unsere Vorgänger hatten aber die größten Hindernisse schon beseitigt, und so kamen wir ziemlich schnell vorwärts.
„Ah, wir nähern uns hier einem merkwürdigen Ort mitten im Walde," rief der Fürst plötzlich, "es ist ein verhältnismäßig großer Fleck, der ziemlich licht und unbewachsen ist. Natürlich dadurch ein Tummelplatz aller Wildarten"
„Das verstehe ich nicht ganz," gab Rolf nach kurzer Pause zurück, „wenn nicht noch eine ganz raffinierte Teufelei dahintersteckt."
„Nanu," lachte Bima Sahi, „was hatten Sie denn erwartet, Herr Torring?"
„Eher einen reißenden Fluß oder eine sehr tiefe Schlucht," war die rätselhafte Antwort.
„Was sollten unsere Feinde denn damit?" forschte der Fürst weiter. „Und wo sollten sie sich hinwenden?"
„Meiner Meinung nach wollen sie einen Menschen verschwinden lassen und sich dann nach Katmandu wenden."
„Ach, das Fragen hat bei Ihnen ja doch keinen Zweck," meinte Bima Sahi nach kurzem Überlegen; „durch Ihre Antworten wird die Sache nur noch verwickelter."
„Ja, Hoheit," lachte ich, „in dieser Beziehung ist mein Freund Rolf manchmal unausstehlich. Aber ich muß zum Schluß doch immer einsehen, daß er mit seinem Verschweigen rechtgehabt hatte. Denn wenn er mir vorher alles erzählen würde, könnte ich mich manchmal nicht für unbefangen zeigen"
„Ja, Sie haben recht, Herr Warren," gab der Fürst zu, „in dieser Beziehung ist das System Ihres Freundes von großem Vorteil. Wir müssen uns also gedulden und die Überraschung abwarten, die Ihr Freund schon zu wisse» scheint."
„Wenn wir nicht zu spät kommen, dann wird Ihr» Überraschung vielleicht sehr groß sein," rief Rolf, „vorausgesetzt natürlich, daß sich meine Vermutungen auch bewahrheiten."
„Nun, bisher hast du stets das Richtige vermutet," meinte ich, „also wird es jetzt wohl auch stimmen."
„Ich hoffe es ja auch, wenn wir nur nicht zu spät kommen." Und Rolf vergrößerte noch sein treibendes Tempo. Ich mußte mich bald mit aller Kraft zusammenreißen, denn in der schwülen Glut wirkte dieser Gewaltmarsch atemberaubend.
,In wenigen Minuten werden wir die Lichtung erreicht haben," rief jetzt der Fürst, „ich kenne die Gegend genau, denn ich habe dort früher viel Wild geschossen."
„Dann müssen wir jetzt ruhig sein," sagte Rolf, „und uns bemühen, möglichst wenig Geräusch zu machen."
Wir schlichen weiter, zwar langsamer, aber doch noch in flottem Tempo. Plötzlich, bei einer Biegung des Pfades, blieb Rolf stehen und riß seine Pistole heraus. Da fiel ein fremder Schuß, und Rolf duckte blitzschnell den Kopf zur Seite.
Im nächsten Augenblick krachte sein Schuß, dem ein gellender Todesschrei antwortete. Wir stürmten Rolf nach, Oer vorgesprungen war. Er stand ruhig neben einem am Boden liegenden Inder.
„Er hätte nicht seine Waffe gegen mich erheben dürfen," sagte er ernst und deutete auf das kleine Loch, das der Tote mitten in der Stirn hatte. .Seine Kugel ist nur wenige Millimeter an meiner Schläfe vorbeigeflogen. Jetzt aber weiter."
„Ich kenne den Toten," rief da der Fürst. .Es ist ein früherer Unterpriester in Mahas Tempel."
„Ah, dann werde ich wohl mit meinen Vermutungen in jeder Beziehung recht behalten," meinte Rolf, „jetzt aber schnell weiter."
Ungefähr fünf Minuten ging es weiter, dann flüsterte Bima Sahi:
„Dort hinter den dichten Buschstreifen erstreckt sich die Blöße. Es steht oft Wild auf ihr."
Rolf beschleunigte sein Tempo. Der Pfad wurde immer breiter, und jetzt liefen wir nebeneinander über eine kurze Lichtung auf den bezeichneten Buschstreifen zu. Gleichzeitig langten wir an, warfen einen Blick über die ziemlich niedrigen Büsche und rissen mit leisem Schrek-kensruf die Büchsen von den Schultern. Ich glaube, selbst Rolf und Pongo hatten den Ruf nicht unterdrücken können.
5. Kapitel
Eine überraschende Lösung.
Das Bild, das wir sahen, war auch so entsetzlich, daß ich erst zu träumen glaubte. Eine derartige Teufelei, irgendeinen Feind zu beseitigen, konnte sich auch nur ein asiatisches Gehirn aussinnen.
Die Lichtung, die der Fürst schon vorher erwähnt hatte, war vielleicht zwanzig Meter breit und achtzig Meter lang. Gras und niedriges Buschwerk standen darauf, und die vielen Wildfährten, die als dunkle Striche hinüberliefen, zeigten, daß dieser Platz wirklich ein Tummelfeld der Tierwelt zu sein schien.
Und nun das grauenhafte Bild vor uns. Dicht vor den Büschen, hinter denen wir standen, ragte — der Kopf eines Menschen aus der Erde. Es war ein Inder mit grauem Haar und Bart. Sein Gesicht konnten wir nicht erkennen, das hatte er den gegenüberliegenden Büschen zugewandt.
Und aus diesen Büschen schlichen Tiere heraus. Ein, zwei, drei Stück. Wie große Hunde krochen sie aus den Zweigen hervor, schlichen noch eine Strecke auf dem Bauch, um sich dann aufzurichten. Und nun standen sie und beäugten den Kopf auf der Erde.
Da erst erkannte ich sie. Es waren Streifen-Hyänen, die bekanntlich außer fast dem ganzen Afrika auch das
südliche Asien bis zum nordwestlichen Indien hinauf bevölkern.
Diesen furchtbaren Henkern hatten also die beiden Verbrecher aus dem Tempel den unglücklichen Gefangenen überlassen.
Die Gefühle des Eingeborenen mußten furchtbar sein. Völlig wehrlos, mitten im Dschungel, sah er da den Tod in seiner furchtbarsten Gestalt heranschleichen.
Jetzt machte die erste Hyäne einen Satz. Der Unglückliche stieß einen Schrei aus, der auch die anderen Hyänen bewog, näher zu kommen, als wüßten sie, daß dieser Kopf wehrlos war, wieder ein gequälter Schrei — da krachte Rolfs Büchse.
Die erste Hyäne brach sofort zusammen, zuckte ein paarmal mit den Beinen und lag dann still. Die beiden anderen machten sofort kehrt und strebten den rettenden Büschen zu.
Wir wußten aber nicht, wie groß das Rudel, das noch In und hinter den Büschen steckte, war. Eine größere Anzahl hätte uns vielleicht angegriffen, da war es ganz gut, wenn von Anfang an ihre Zahl gelichtet wurde.
Und so wurden die beiden Flüchtigen von den Kugeln aus des Fürsten und meiner Büchse niedergeworfen, ehe sie die Büsche erreichten. Im Gestrüpp entstand darauf lebhafte Bewegung. Das Rudel hatte den Tod seines Vortrabes gesehen, und feige liefen nun die häßlichen Räuber davon. Aber sie würden wohl nach einiger Zeit wiederkommen, um die Körper ihrer Gefährten zu verzehren.
Einige Augenblicke warteten wir noch, dann drangen wir schnell durch die Büsche und eilten auf den unglücklichen Eingegrabenen zu. Ich war zuerst bei ihm, beugte mich nieder und strich leise über sein Haar.
Er zuckte zusammen, glaubte wohl, daß ihn jetzt .eine der furchtbaren Bestien berühre, dann schlug er die Lider hoch und blickte mich mit großen, dunklen Augen an. Ein, Freudenschimmer breitete sich über seine leidzerfurchten Züge, und leise sagte er in tadellosem Englisch:
„Ich danke Ihnen, mein Herr. Retten Sie mich völlig, ich kann es Ihnen lohnen."
„Aber wir verlangen ja gar keinen Lohn," lachte ich, „wir tun es mit größter Freude."
Ich wollte ihm noch weiter gut zusprechen, als mich Fürst Bima Sahi plötzlich zur Seite schob. Aufgeregt beugte er sich hinab und starrte den Eingeborenen an. Dann warf er sich vor ihm auf die Knie und streichelte die eingefallenen Wangen.
„Bahadur, mein Onkel Bahadur," rief er dabei mit erstickter Stimme.
Ich war vor Staunen starr, und blickte verwundert Rolf an. Aber mein Freund nickte mir nur lächelnd zu, und da wußte ich, daß er das geahnt hatte.
„Komm, Hans," lächelte er dann, „dort drüben an den Büschen liegen zwei Spaten. Wir wollen den Fürst aus seiner entsetzlichen Lage schnell befreien."
Mit Feuereifer machten wir uns ans Werk, wurde« nach einiger Zeit von Bima Sahi und Pongo abgelöst, und bald konnten wir den Fürsten Bahadur, den eigentlichen Herrscher Nepals, aus dem entsetzlichen Grab herausziehen
Er war brutal gefesselt, und wir mußten seine Glieder lange Zeit massieren, bis er sie wieder gebrauchen konnte. Endlich erhob er sich, umarmte seinen Neffen und bot uns die Hand.
„Meine Herren. Sie können ja selber ermessen, welche Dankbarkeit ich für Sie im Herzen trage. Nun möchte ich aber gern die ganzen Zusammenhänge kennen lernen. Bima Sahi, willst du mir alles genau erzählen?"
Wir setzten uns in den Schatten eines Baumes, und Bima Sahi erzählte von den Schwierigkeiten, die er seit dem Verschwinden des Onkels gehabt hatte, von den geheimnisvollen Sendungen, die seine Lage immer noch verschlimmerten.
Dann kam er auf uns zu sprechen. Daß er uns in der Hoffnung zu sich gerufen hätte, wir könnten ihm helfen, und daß wir nun den verschollenen Onkel in so kurzer Zeit wiedergefunden hätten.
Als er geendet hatte, sann Fürst Bahadur lange Zeit nach. Dann sagte er:
„Meine Bewunderung für Sie, meine Herren, ist ebenso groß geworden wie meine Dankbarkeit. Wollen wir jetzt .nach Katmandu aufbrechen?"
Rolf lächelte.
„Hoheit, ich glaube kaum, daß Sie dort einen guten Empfang finden werden. Ich weiß, wer die Macht an sich reißen wollte, und deshalb erst Sie gefangen nahm und dann, als wir auftauchten, Ihren Neffen im alten Tempel beseitigen lassen wollte. Nur noch eine Frage: Ihr Wächter dort unten im Tempelverließ war doch der alte Priester Maha?"
„Allerdings," gab Bahadur erstaunt zurück, während Bima Sahi meinen Freund verwundert anstarrte, „aber er sagte mir nie, weshalb ich gefangen war."
Aber Rolf achtete nicht auf die erstaunten Mienen, sondern fuhr fort:
„Dann ist er jetzt nach Katmandu geeilt, um dem neuen Herrn mitzuteilen, daß der Weg frei sei. Aber wir dürfen nicht offen kommen, sondern müssen die Verbrecher überraschen. Hoheit, wissen Sie genau, daß die Soldaten Ihnen treu sind?"
„Aber ja," riefen die beiden Fürsten einstimmig, „besonders da doch Dschang der Oberkommandierende ist."
„So. Haben sich die Offiziere mit Herrn Dschang stets gut vertragen?"
„Das muß ich nun allerdings verneinen," sagte Bima Sahi. „Besonders seitdem mein Onkel verschwunden war, haben sie sich bei mir oft über Dschang beklagt. Aber ich habe seine Strenge stets als ein Zeichen seiner Zuneigung zu mir betrachtet und deshalb immer wieder zu schlichten versucht."
„So, das ist sehr gut. Jetzt schlage ich folgendes vor: Die Nacht muß in ungefähr drei Stunden hereinbrechen. Dann könnten wir ja schon auf der Straße nach Katmandu sein, würden aber erst spät in der Nacht ankommen Und das würde meinen Plan sehr gefährden. Deshalb schlage ich vor, daß wir jetzt zum Tempel zurückkehren. Vielleicht sind Ihre vier Schikaris noch da, die ja in weiterer Entfernung den Tempel umstellt hatten. Proviant haben wir auch noch an den Madjams. Wir können also unbesorgt dort übernachten und uns morgen früh auf den Weg machen. Denn die Autos werden nicht wiederkommen."
„Ja, aber weshalb wollen Sie nicht schon in dieser Nacht in Katmandu eintreffen?" fragte Fürst Bahadur verwundert. „Im gleichen Augenblick, da ich wieder auftauche, ist doch aller Verdacht gegen meinen Neffe» hinfällig."
„Es ist aber doch schon zu spät, Hoheit," sagte Rolf ernst. „Glauben Sie mir, der neue Machthaber würde Sie sofort beseitigen lassen. Wir müssen ihn überrasche» und es mit List ausführen."
„Dann kennen Sie also unseren Feind schon?"
„Ich ahnte es am ersten Tag, habe jetzt aber erst die Gewißheit erhalten. Trotzdem könnte ich mich ja auch noch irren, und deshalb will ich den Namen noch für «lieh behalten."
„Onkel," sagte da Bima Sahi, „ich meine, wir können uns auf Herrn Torring und seine Gefährten völlig verlassen. Wenn er es für gut erachtet, erst morgen abend in Katmandu zu sein, dann hat er sicher so zwingende Gründe, daß wir ihm folgen sollten."
„Gewiß, du hast recht," gab Bahadur zu. „Also, meine Herren, wir vertrauen Ihnen in jeder Hinsicht und werden Ihren Ratschlägen stets folgen."
„Das freut mich, Hoheit," sagte Rolf, „und glauben Sie mir, daß Sie morgen Abend die Richtigkeit meiner Handlungen einsehen werden. Jetzt also zurück zum Tempel."
Wir kamen erst kurz vor Einbruch der Nacht an, denn Fürst Bahadur war noch zu geschwächt, um einen längeren, schnellen Marsch aushalten zu können.
Wir stießen jetzt auf einen der ausgestellten Schikaris. Und auf Rolfs Wunsch befahl Bima Sahi ihm, seine Gefährten zusammenzurufen.
Gerade, als wir den Eingang des Tempels erreichten, kamen die vier hohen, kräftigen Gestalten zusammen. Als sie den Fürsten Bahadur erblickten, starrten sie ihn erst entgeistert an, dann warfen sie sich zu Boden und gaben ihrer Freude lauten Ausdruck.
Der Fürst sprach sehr gütig mit ihnen, und ich merkte, «aß Rolf ein vergnügtes Gesicht machte. Offenbar waren ihm diese vier Männer eine sehr willkommene Hilfe.
Als sie sich auf einen Befehl des Fürsten wieder erhoben, schickte er sie auf Rolfs Wunsch fort, um den Proviant und Holz zum Feuer zu holen.
Dann sagte mein Freund, als die vier Inder sich entfernt hatten:
„Hoheit, sagen Sie, bitte, den Leuten, daß inzwischen •ein anderer die Herrschaft an sich gerissen hat. Wenn die Leute Ihnen treu sein wollen, können sie uns von großem Nutzen sein."
„Sie sind mir treu," sagte Bahadur mit großer Würde.
„Dann wird mein Plan ganz bestimmt gelingen. Noch eine Frage, Hoheit. Haben Sie einen höheren Offizier in Ihren Regimentern, der sich besonders schlecht mit Ihrem Herrn Vetter Dschang steht?"
„Ah," lächelte Bima Sahi, an den diese Frage gerichtet war, erstaunt, „das ist Atja, der Kommandeur der Leibwache. Also ihn haben Sie in Verdacht? Ja, das könnte sein. Herr Torring, ich 'bewundere Ihren Scharfsinn immer mehr."
Rolf lächelte.
„Ich bin überzeugt, Hoheit, daß Ihnen eine große Überraschung bevorsteht. Leider wird sie nicht sehr angenehm für Sie sein."
„Sie haben recht, Herr Torring," nickte Bima Sahi, „auf Atja hätte ich bisher geschworen."
Die jetzt zurückgekehrten Schikaris beendeten das Gespräch. Nachdem sie ein Feuer auf der Lichtung vor dem Tempel angezündet hatten, machten sie sich daran, die Leichen ihrer ermordeten Kameraden zu bestatten.
Nachdem sie dieses traurige Werk beendet hatten, erklärte ihnen Fürst Bahadur die Sachlage. Und die vier Inder beschworen ihm sofort ihre unwandelbare Treue.
Nach dem Imbiß aus unseren Konserven legte sich Fürst Balladur auf das weiche Laublager, das ihm die Schikaris zusammengetragen hatten. Er bedurfte ja auch nach all den Strapazen und furchtbaren Aufregungen dringend der Ruhe. Besonders, da wir am nächsten Tag den langen Marsch nach Katmandu vor uns hatten.
Da die Schikaris die Wache übernahmen, konnten wir uns auch bald zur Ruhe legen. Aber die Nacht sollte doch nicht ungestört vorübergehen.
Wir hatten gar nicht daran gedacht, daß der alte Tempel unheimliche Gäste beherbergen könnte. Ich erwachte plötzlich durch eine Berührung. Und im nächsten Augenblick durchzuckte mich ein eisiger Schreck, denn als ich die Augen aufschlug, sah ich eine mächtige Cobra, die sich dicht neben meinem Kopf zusammengeringelt hatte. Und gleichzeitig fühlte ich auch eine Bewegung an meinen Füßen.
Und jetzt fiel es mir ein. Das alte Gemäuer barg sicher Unmengen der giftigen Reptile, die sich jetzt zum warmen Feuer begaben. Zu rufen wagte ich nicht Es-hieß jetzt völlig bewegungslos liegen. Eine unvorsichtige Bewegung konnte den Tod bedeuten.
Ich dachte schon mit Schaudern daran, daß ich vielleicht bis zum Morgengrauen so liegen müßte. Und nicht ich allein, sondern alle am Feuer Liegenden.
Aber Gott sei Dank sollte die Tortur nicht so lange dauern. Der Posten kam zum Feuer, um neues Holz aufzuwerten. Ich hörte ihn einen halb unterdrückten Schreckensruf ausstoßen. Dann rief er seine Kameraden.
Und jetzt konnte ich bewundern, mit welcher Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit die vier Jäger uns von den ungebetenen Gästen befreiten. Sie gebrauchten keine Waffen dazu, schlichen sich unendlich behutsam heran, 4ann schnelle Griffe mit beiden Händen, und zwei Schlangen wurden fortgerissen.
Zweimal griffen sie so zu, also hatten sieh vier Schlangen an unserem Feuer versammelt. Die beiden Fürsten und meine Gefährten waren ebenfalls durch die Berührung der kalten Körper wach geworden und hatten sich ebenfalls unbeweglich verhalten.
Jetzt richteten wir uns auf. Fürst Bahadur rief den Schikaris einige Dankesworte zu, und Bima Sahi meinte lachend zu uns:
„Sie erleben wirklich viele Abenteuer in unserem Lande, meine Herren. Aber hoffentlich haben wir bald Ruhe, und Sie genießen als unsere Gäste auch die Schönheiten und Vergnügungen Nepals."
„Ach, Hoheit," lachte Rolf, „für uns bedeuten gerade solche Abenteuer Vergnügen."
Zum Schutz gegen weiteren Schlangenbesuch wurde jetzt ein zweites Feuer auf der Schwelle des Tempels entzündet, das beste Hindernis für die Reptile. Nachdem noch das Laublager Bahadurs durchsucht war, konnten wir uns zum zweiten mal niederlegen.
Und jetzt wurde unsere Ruhe nicht mehr gestört. Sofort nach Sonnenaufgang weckte uns der Posten, schnell wurde Tee bereitet und ein kurzes Frühstück eingenommen, dann ging es durch den Wald der Straße zu, die nach Katmandu führte.
Rolf hatte wohl sehr richtig berechnet, daß wir erst gegen Abend dort anlangen würden, denn Fürst Bahadur konnte immer noch nicht schnelle, anstrengende Märsche zurücklegen. Er erzählte uns jetzt von seiner Leidenszeit während der drei Jahre. Immer unten in dem furchtbaren Kerker, "nur täglich eine Stunde einen Spaziergang auf der Lichtung am Weiher, neben sich Maha^ oder den Unterpriester mit gezückter Waffe. Und nur die Hoffnung, daß er doch noch einmal gerettet werden könnte, hatte ihn davon abgehalten, einen nutzlosen Versuch zu machen, den Wächter zu überwältigen.
Und dann die furchtbaren Stunden am vergangenen Tage. Als die beiden Wächter plötzlich in den Kerker kamen, ihn fesselten und knebelten. Ihn an den erstochenen Schikaris vorüber schnell in den Wald trugen bis zur Lichtung, auf der sie das Loch auswarfen Und nachdem sie ihn hineingestellt hatten, entfernten sie den Knebel, und Maha höhnte, daß er jetzt seine Retter herbeirufen könnte.
Bima Sahi knirschte bei dieser Erzählung oft mit den Zähnen. Und ich wußte, daß der Tod Mahas furchtbar sein müsse, wenn er in die Gewalt des Fürsten fallen würde.
Endlich sahen wir in der Ferne die Häuser Kathmandus. Noch eine halbe Stunde warteten wir in einem nahe» Hain, bis die Dunkelheit hereingebrochen war, dann ging es vorsichtig vor.
Auf den Straßen schien die Menge in großer Erregung» zu sein. Wir drängten uns wortlos hindurch, stets bemüht, nicht in den Schein der wenigen Straßenlampen und erleuchteten Fenster zu kommen.
Zu aller Erstaunen hatte Rolf die Fürsten gebeten, ihn zum Hause des Atja, des Kommandeurs der Leibwache zu führen. Zwar hatten die Fürsten verwundert den Kopf geschüttelt aber diesen Wunsch natürlich erfüllt.
Jetzt standen wir vor dem prächtigen Haus. Rolf lies zwei der Schikaris hineinschicken, die den Kommandeur in einer sehr wichtigen Sache in die Diele seines Hauses bitten sollten.
Durch die Scheiben der Haustür sahen wir den hochgewachsenen Inder in seiner prächtigen Uniform ba1« die Treppe herunterkommen. Da stieß Rolf die Haustür auf und bat die Fürsten einzutreten. Erstaunt taten sie es. denn sie glaubten vielleicht, daß mein Freund sie jetzt dem Verdächtigten überliefern wollte.
Als aber Atja die Herren erblickte, eilte er mit Freudenrufen auf sie zu und warf sich dann auf den Boden. Und seine Freude war so echt, daß Bahadur und Bima Sahi meinen Freund ganz erstaunt anblickten.
„Ich wußte, meine Herren, daß Atja treu ist," lächelte Rolf, „der Verräter ist leider — Dschang."
Entsetzt prallten die Fürsten zurück. Aber ehe sie noch fragen konnten, bestätigte Atja Rolfs Worte, indem er traurig sagte:
„Dschang hat in Verbindung mit Siga und dem alten Maha die Herrschaft an sich gerissen. Ich persönlich hätte wohl nicht mehr gelebt, wenn meine Soldaten nicht so treu zu mir gehalten hätten."
„Nun, das hatte ich auch gehofft," lächelte Rolf, „daher meine Fragen an Sie, Hoheit. Und jetzt wollen wir die Herren im Palast überraschen. Vielleicht kann Herr Atja seine Truppen alarmieren."
Ich glaube, so freudig hat noch nie eine Truppe ihren Dienst ausgeführt. In wenigen Minuten war der Fürstenpalast von den treuen Truppen besetzt, und die beiden Fürsten stiegen unter ihren Ehrenbezeugungen die breite Treppe hinauf.
Als wir den großen Saal betraten, in dem Dschang mit den Ministern saß, gab es vor Schreck erstarrte Gesichter. Dann aber zeigte es sich, daß die meisten Minister doch den alten Fürsten treu waren.
Nur wenige hatten sich beeilt, dem neuen Herrn zuzujubeln. Sie wurden nach wenigen Tagen zusammen mit Dschang, Siga und dem alten Maha hingerichtet. Und zu meiner großen Freude hatte Fürst Bahadur auf alle persönlichen Rachegefühle verzichtet und ließ die Verräter enthaupten.
Noch einige Tage blieben wir Gäste der dankbaren Fürsten. Dann zog es uns aber nach neuen Abenteuern. Und wir sollten sie sehr bald erleben.
Im nächsten Band habe ich sie beschrieben:
Band 18: „Die Dschungel-Fürstin".
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