1. Kapitel

Barrington als Geisterseher

„Meine Herren, ich habe Sie zu mir gebeten, um mit Ihnen eine Sache zu besprechen. Ich weiß zwar schon jetzt, daß Sie mich auslachen werden, doch versichere ich Ihnen, daß sich alles so verhält, wie ich es erzähle. Zuvor jedoch eine Frage: Glauben Sie an Geister?" „Nein, lieber Barrington, Geister gibt es nicht", entgegnete mein Freund lächelnd.

„Diese Antwort habe ich von Ihnen erwartet, Mister Torring. Aber Sie werden vielleicht später doch anderer Ansicht sein, wenn Sie meine Geschichte gehört haben. Ich habe auch nie an Geister, an Spuk und dergleichen geglaubt, bin jedoch heute im Zweifel, ob es nicht doch etwas zwischen Himmel und Erde gibt. Sie sehen, ich drücke mich schon ganz vorsichtig aus, doch -" „Lieber Barrington, wozu die lange Vorrede? Fangen Sie an zu erzählen! Sie haben uns neugierig gemacht, und wir möchten nun gern Ihre Geschichte hören, die sehr wahrscheinlich von - Geistern und Spuk handeln wird." Lächelnd nickte mein Freund dem Kommissar zu. Wir hatten den Kommissar Barrington aus einer gefährlichen Lage erretten können, als er im Kampf mit einer chinesischen Bande gefangengenommen worden war, und hatten in ihm einen Menschen kennengelernt, der uns auf den ersten Blick sehr sympathisch gewesen war. Barrington war ein Mann, der vor nichts zurückschreckte und von seinen Taten nicht viel Aufhebens machte. Er blieb stets der bescheidene Mensch, der nur seine Pflicht kannte. Er hatte uns eingeladen, ihn am Abend in seinem Bungalow, der außerhalb der Stadt Singapore lag, zu besuchen. Daß er etwas auf dem Herzen hatte, ahnten wir, denn seine Andeutungen ließen das vermuten. Daß er uns jetzt mit Geister- und Spukgeschichten kam, enttäuschte uns ein wenig.

Barrington zündete sich umständlich seine erloschene Zigarre wieder an. Bei dieser Beschäftigung beobachtete ich ihn eingehend. Ich stellte fest, daß seine Gedanken nicht bei dem Gegenstand, also bei der Zigarre, waren, sondern weit fort. Ja, er ließ sogar das erloschene Zündholz zu Boden fallen, was er sonst nie tat. Barrington war ein ordnungsliebender Mensch.

„Ja, meine Herren, ich weiß wirklich nicht, wo ich beginnen soll. Die Sache betrifft nur mich und liegt schon ziemlich weit zurück. Ich habe die Geschichte ,Das Auge Buddhas' benannt."

Gedankenverloren blickte der Kommissar über die Brüstung der Veranda in den herrlichen Vorgarten, in dem es in allen Farben leuchtete. Barrington beschäftigte sich nämlich in seinen Mußestunden viel mit der Blumenzüchterei.

Wir warteten geduldig, daß er fortfahren würde. Er strich sich jetzt mit der rechten Hand durch das Haar und zuckte schließlich die Achseln. Seine Zigarre war schon längst wieder ausgegangen.

„Ja, das ,Auge Buddhas'", sagte er nickend. „Sie glauben nicht, wie viele schlaflose Nächte es mir schon bereitete. Ich wollte bereits meinen Dienst aufgeben und Singapore verlassen. Und das alles um einen Edelstein, den ich vor einem Jahr unter merkwürdigen Umständen fand. Der Stein lag hier auf dem Tisch, als ich eines Morgens auf die Veranda hinaustrat."

Barrington machte abermals eine Pause. Rolf blickte mich lächelnd an. Noch war Barrington nicht auf den Kern der Sache zu sprechen gekommen. Ich gewann den Eindruck, es falle ihm schwer, uns den wahren Sachverhalt mitzuteilen. Wieder warteten wir geduldig. Endlich begann er erneut zu sprechen:

„Es war also vor einem Jahr, meine Herren. Ich hatte diesen Bungalow von einem Engländer erworben, der Singapore verlassen wollte, um nach London zurückzukehren. Das Haus war ein Jahr zuvor erbaut worden, und wie Sie sehen, befindet es sich heute noch in gutem Zustand. Da mein Beruf sehr aufreibend ist, bin ich Junggeselle geblieben. Die Wirtschaft leitete mir damals eine Frau, die des Morgens kam und gegen Abend wieder ging. Ich erwähne das alles, damit Sie sich ein klares Bild von meinem Leben machen können.

Ein junger Polizist, Tellwan, war mir als Bursche und Hilfskraft zugeteilt worden. Tellwan schlief ebenfalls hier im Hause, ich hatte ihm eine kleine Kammer neben der Küche eingerichtet. Mir war das ganz lieb, denn als Gegner der Unterwelt Singapores allein in einem Hause zu schlafen, ist kein angenehmes Gefühl. Tellwan war ein kluger und intelligenter Mensch. Er war in meinem Hause ,Mädchen für alles'. Ihm machte es nichts aus, ob er mich des Nachts auf meinen Streifzügen als verkleideter Chinese begleitete oder das Haus reinigte, er tat eben alles, was man von ihm verlangte. Er war nie mürrisch. Seine sorglose Heiterkeit tat mir wohl. Ich lebte hier also recht zufrieden und freute mich über meinen Besitz, obgleich er von den anderen Bungalows etwas abgelegen ist, was Sie ja auch schon festgestellt haben.

Etwa vier Wochen nach meinem Einzug in dieses Haus erwachte ich plötzlich eines Nachts durch ein Geräusch in meinem Schlafzimmer. Ich richtete mich leise auf und lauschte.

Das Geräusch wiederholte sich nicht. Um so erschrockener war ich, als plötzlich eine Stimme aus dem Dunkel des Zimmers zu mir sprach.

Es war eine dumpfe, hohle Stimme, die, wie ich erst später feststellte, einen Klang hatte, als käme sie aus dem Grabe."

Der Kommissar schwieg, er sah das leise Lächeln auf Rolfs Gesicht. Er ärgerte sich jedoch nicht darüber, sondern meinte nur erklärend:

„Sie entschuldigen, Mister Torring, wenn ich so ausführlich berichte, aber wie ich schon betonte, muß ich das tun. Im ersten Augenblick, als ich die Stimme vernahm, kam sie mir nicht so geheimnisvoll und wie aus dem Grabe tönend vor, das fiel mir erst später auf, als ich sie nochmals hörte.

Die Stimme sagte zu mir:

"Bleiben Sie liegen, Barrington, Sie können mich doch nicht sehen, denn ein Toter spricht zu Ihnen."

Durch solche Worte ließ ich mich natürlich nicht einschüchtern. Ich schaltete das Licht ein und sah mich blitzschnell im Zimmer um. Hinter mir vernahm ich ein ironisches Lachen. Ich fuhr herum. Kein Mensch außer mir befand sich im Zimmer. Die Türen und Fenster waren wie üblich fest verschlossen.

Ich durchsuchte den Raum ganz genau. Selbst in das kleinste Versteck schaute ich. Nichts war zu entdecken. Und doch hatte ich soeben klar und deutlich die Stimme vernommen. Sie konnte nicht von draußen zu mir gedrungen sein, ebenso wenig das Lachen.

Ich läutete nach Tellwan, der in einer halben Minute erschien, und erzählte ihm den Vorfall. Tellwan war zuerst der Ansicht, ich hätte geträumt. Aber das war nicht der Fall, wie ich später beweisen konnte. Um ganz sicher zu gehen, durchsuchten wir das Haus. Wir fanden jedoch nichts. Tellwan erbot sich, außerhalb des Hauses den Rest der Nacht zu wachen. Ich war damit einverstanden und legte mich wieder nieder. Noch eine Viertelstunde blieb ich bei brennendem Licht liegen und dachte über den Vorfall nach. Unwillkürlich blickte ich auf die Wanduhr. Es war halb ein Uhr nachts, also die Geisterstunde.

Bei diesem Gedanken mußte ich damals auch lachen, meine Herren. Ich schaltete das Licht aus und versuchte wieder einzuschlafen. Draußen vor dem Hause stand ja Tellwan, der alle Viertelstunden mein Besitztum umschreiten wollte.

Ich war wieder am Einschlafen, als ich abermals das spöttische Lachen hörte. Von welcher Seite es kam, konnte ich jedoch nicht sagen. Meine Hand lag am Schalter, aber ich ließ das Licht noch nicht aufflammen. Und da hörte ich wieder die Worte, die mich vorher so erschreckt hatten, dieselbe Stimme begann abermals:

,Sie können mich nicht sehen, Barrington, denn ein Toter spricht zu Ihnen. Machen Sie kein Licht, denn von meiner Seite geschieht Ihnen nichts. Sie haben das ganze Haus durchsucht und nichts gefunden. Ich aber bin hier in Ihrem Zimmer. Bei Licht darf ich nicht sprechen. Ich habe Ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Morgen -' Knack - machte mein Schalter. Das Licht flammte auf und durchflutete den Raum. Nun war die Stimme nicht mehr zu hören. Die Fenster und Türen waren immer noch verschlossen.

Ich sprang erregt aus dem Bett, griff zum Revolver und stürzte hinaus auf die Veranda. Etwa zehn Meter vom Hause entfernt schritt Tellwan ruhig auf und ab.

,Die Stimme war schon wieder da", rief ich ihm zu. Der junge Polizist kam zu mir und schüttelte verwundert den Kopf.

,Ich kann es nicht glauben, Mister Barrington', meinte er bescheiden. ,Ihre Nerven sind erregt.' ,Zum Teufel, meine Nerven werden jetzt erst erregt', brüllte ich ihn an. ,1m Hause spukt es.' Tellwan blickte mich verwirrt an. Ich forderte ihn auf, mit in mein Zimmer zu kommen und sich dort ein Lager zurechtzumachen. Er tat es und legte sich in dem Glauben nieder, daß ich phantasierte. Ich schloß die Türen und kroch wieder in mein Bett. Nachdem ich das Licht ausgelöscht hatte, lauschte ich in die Dunkelheit hinein.

Da fuhren wir beide wieder auf. Ein lautes Lachen war an unsere Ohren gedrungen, ein Lachen, das so schaurig klang, daß mir fast die Haare zu Berge standen. Es verstummte sofort, als ich das Licht wieder aufflammen ließ. Im selben Augenblick schlug die Uhr eins, die Geisterstunde war vorüber.

Tellwan saß mit verstörtem Gesicht auf seinem Lager und - zitterte leicht. Er, der sonst Mutige, hatte plötzlich Furcht bekommen. Ich wollte ihn auslachen, aber ich brachte keinen Ton heraus, da ich selbst so erschrocken war. Wir nahmen beide auf der Veranda Platz und erwarteten dort den Anbruch des Tages. Keiner von uns konnte mehr schlafen. Ich grübelte während der ganzen Nacht über das Gehörte nach. Schließlich war ich der Ansicht, daß sich jemand einen schlechten Scherz mit mir machen wollte; wie er das zuwege brachte, konnte ich allerdings nicht feststellen.

Merkwürdigerweise dachte ich am Tage dann ganz anders darüber. Ich untersuchte die Wände meines Zimmers, den Boden und die Decke. Nichts war zu finden, nicht das kleinste Loch, durch das vielleicht hätte gesprochen werden können.

In der nächsten Nacht vernahm ich wieder die Stimme. Meine Uhr hatte gerade die Geisterstunde verkündet, als ich das leise ironische Lachen vernahm. Ich schaltete diesmal das Licht nicht ein, sondern wartete. In der Hand hielt ich den Revolver schußbereit. Ich habe diese Ereignisse aufgeschrieben, nicht zuletzt die Worte des feistes', wie ich den Besitzer der Stimme vorläufig bezeichnen will. In der zweiten Nacht sagte er zu mir, daß mir in einigen Tagen etwas gebracht würde, was ich am Morgen auf dem Tisch der Veranda finden würde. Ich sollte den Gegenstand gut aufheben und ihn nur dem Besitzer aushändigen. Wie ich den Besitzer erkennen sollte, würde ich später durch den ,Geist' erfahren.

Als die Stimme schwieg, schaltete ich das Licht ein. Es war niemand zu sehen. Ich schlich zu Tellwan in die Kammer und stellte fest, daß er fest und tief schlief. Kopfschüttelnd kehrte ich in mein Zimmer zurück und legte mich wieder nieder. Noch zwei Stunden lag ich im Dunkeln mit wachen Augen. Niemand meldete sich mehr. Dann schlief ich ein und erwachte erst am Morgen. Ich sprach nicht über den Vorfall, denn ich wollte mich nicht lächerlich machen. Mit großer Spannung erwartete ich die nächste Nacht. Aber alles blieb ruhig, der ,Geist' meldete sich nicht mehr. Mehrere Tage vergingen, und ich gewann immer mehr die Ansicht, daß ich von irgendeiner Seite genarrt worden war.

Vier Tage später lag morgens auf dem Tisch der Veranda ein kleiner Pappkasten. Sofort fiel mir die geisterhafte Stimme wieder ein. Sie hatte mir ja verkündet, daß ich hier etwas finden würde, was ich aufheben sollte, um es dereinst seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Vorsichtig griff ich nach dem Kasten und öffnete ihn. Mit großen Augen blickte ich auf den herrlichen Edelstein, der darin lag. Es war ein blauer Diamant von der Größe eines Taubeneis. Sein Feuer war sprühend, da ihn gerade die Morgensonne traf. Ich nahm ihn heraus und betrachtete ihn von allen Seiten.

Der Stein war echt, das erkannte ich auf den ersten Blick.

Er stellte ein Vermögen dar.

Dieser Stein war mir von unbekannter Seite auf den Tisch gelegt worden.

Tellwan erschien. Ich schloß schnell den Deckel und steckte das Kästchen ein. Ich wollte Tellwan nichts davon sagen. Vielleicht stand er mit dem ,Geist' in Verbindung. Das konnte ich allerdings nicht glauben, denn noch nie hatte ich ihn bei einer Lüge ertappt. Tellwan war ehrlich und würde mich nicht betrügen.

Trotzdem zeigte ich ihm den Stein nicht und sprach auch nicht mehr über die nächtliche Stimme, die ich noch verschiedene Male hörte. Sie ermahnte mich in der nächsten Nacht, das ,Auge Buddhas' ja recht gut aufzuheben und es zu schützen. Wenn ich es verlöre, würde ich dafür verantwortlich gemacht werden.

Lange überlegte ich, was ich unternehmen sollte. Ich entschloß mich endlich abzuwarten, ob ein Diebstahl angezeigt werden würde.

Ich nahm den Edelstein mit in die Stadt, mietete ein kleines Tresorfach und schloß den Stein darin ein. Und nun kommt das Merkwürdigste bei der ganzen Sache, meine Herren. Ein volles Jahr hörte ich nichts mehr über den Stein. Kein Diebstahl oder Verlust wurde angezeigt, niemand meldete sich, auch der ,Geist' schwieg. Langsam geriet der Stein bei mir in Vergessenheit.

Ein Jahr ist eine lange Zeit, und Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich unendlich erschrak, als eines Nachts wieder die .Geisterstimme' erklang. Es war dieselbe Stimme wie vor einem Jahr. Sie fragte mich, ob

ich den Edelstein, ,das Auge Buddhas', noch besäße. Dann sollte ich ihn auf den Tisch der Veranda legen, um ihn somit dem Besitzer zurückzustellen. Das tat ich natürlich nicht -"

„Einen Augenblick, Mister Barrington", unterbrach mein Freund schnell. „Wann war das, wann vernahmen Sie die Stimme wieder?"

„Vor etwa vier Wochen, Mister Torring. Ich freue mich, daß Sie sich anscheinend für die Geschichte interessieren." „Fahren Sie fort, Mister Barrington, ich sage Ihnen später, was ich davon halte. Also es hat dann bei Ihnen gespukt, nicht wahr?"

„Woher wissen Sie das, Mister Torring? Ich -" „Später, lieber Barrington", winkte Rolf ab. „Jetzt möchte ich die Geschichte zu Ende hören. Also was geschah vor vier Wochen?"

„Da ertönte, wie ich schon sagte, nachts wieder die Stimme, die mich aufforderte, den Stein auf den Tisch der Veranda zu legen. Das tat ich aber nicht, außerdem hätte ich den Stein erst aus dem Tresorfach nehmen müssen, was ich des Nachts nicht tun konnte. Zwei Tage später wurde ich nochmals aufgefordert, und als ich noch nicht gehorchte, weil ich mit dem Besitzer des Edelsteins sprechen wollte, begann der ,Geist' zu drohen."

„Sie sprachen mit dem Geist?"

„Ja, ich konnte mich mit ihm unterhalten. Acht Tage vergingen. Als ich eines Abends im Dunkeln auf meiner Veranda saß - Tellwan hatte ich in die Stadt geschickt, um etwas zu besorgen -, stand plötzlich eine dunkle Gestalt vor mir. Sie war aus dem Innern meines Hauses aufgetaucht. Leider hatte ich meine Waffe abgelegt. Trotzdem erhob ich mich schnell und wollte mich auf die Gestalt stürzen. Doch da fuhr mir der blanke Lauf eines Revolvers entgegen. Und diesen Revolver umklammerte eine - Knochenhand."

Rolf brach in ein schallendes Gelächter aus. Er beruhigte sich erst nach einer ganzen Weile und bat dann wegen seiner Heiterkeit um Entschuldigung.

„Da gibt es wirklich nichts zu lachen, Mister Torring", erklärte der gekränkte Kommissar. „Ich sah die Knochenhand ganz deutlich und habe -"

„Das glaube ich Ihnen ohne weiteres, Mister Barrington. Soll ich Ihnen nun die Geschichte weitererzählen, wie ich sie mir denke?"

„Kennen Sie sie denn, Mister Torring? Das ist doch ganz ausgeschlossen, ich habe bisher zu keinem Menschen darüber gesprochen."

„Und doch weiß ich jetzt, was kommt. Der ,Geist' mit der Knochenhand" - Rolf konnte ein abermaliges Lächeln nicht unterdrücken - „drohte, Sie umzubringen, wenn Sie den Edelstein nicht zurückgäben. Sie sagten, daß Sie ihn nicht hätten, und wollten auch das Versteck vorerst nicht verraten. Da verließ Sie der ,Geist', nachdem er Ihnen gegenüber nochmals Drohungen ausgestoßen hatte. Er trat wieder in - Ihr Haus und verschwand darin, nicht wahr?"

Barrington machte ein so erstauntes Gesicht, daß auch ich jetzt zu lachen begann. Er gab zu, daß sich alles so verhielt.

„Und Sie glaubten nun an den ,Geist', Mister Barrington, Sie, der aufgeklärte, mutige Mensch?" „Ich wußte nicht mehr ein noch aus. Ich wollte am liebsten den Stein zurückgeben, aber eine innere Stimme warnte mich. Auch wollte ich über diesen ,Geist' Aufklärung haben. Ich behielt also den Stein. Aber seitdem ich mich weigerte, ihn herauszugeben, habe ich während der Nächte keine Ruhe mehr. Schreie durchtönen mein Haus, Flüche werden gegen mich ausgestoßen, und oft war in allen Zimmern ein Gepolter, als wären alle Geister bei mir zusammengetroffen, um sich hier ein Stelldichein zu geben. Ich habe sogar von zwanzig Polizisten mein Haus umstellen lassen, und trotzdem ging der Hexensabbat vor sich. Ich rief die Polizisten herein, die das Haus durchsuchten. Niemand konnte entkommen. Aber was wurde gefunden? Nichts. Die Leute schüttelten verwundert den Kopf, denn auch sie hatten, als sie draußen standen, die Schreie und den Lärm vernommen. Ich konnte ihnen nicht sagen, daß dieser Radau von Geistern herrühre, sonst wäre ich am nächsten Tage als verrückt in ein Sanatorium gebracht worden."

„Das glaube ich auch", warf mein Freund ein. „Doch wie ist nun der Schluß Ihrer Geschichte?" „Die Zustände in meinem Hause wurden derart, daß ich gezwungen war, es zu verlassen. Es wurde in meiner Abwesenheit eingebrochen. Nun konnte ich wenigstens dauernd hier Polizisten aufstellen, ohne den wahren Sachverhalt angeben zu müssen. Ich wagte es sogar wieder, mein Haus zu beziehen. Doch schon in der ersten Nacht, heute vor einer Woche, warnte mich die Stimme abermals und erklärte, daß ich innerhalb von acht Tagen ein toter Mann sein würde, wenn ich ,das Auge Buddhas' nicht herausgäbe. Ich weigerte mich dennoch. Inzwischen kam die Geschichte mit der chinesischen Bande, die meine ganze Tatkraft erforderte. Ich wurde gefangengenommen und durch Sie gerettet. Die Chinesen haben aber nichts mit der Sache zu tun. Gestern bezog ich nun nach meiner Befreiung mein Haus wieder. Sogleich war in der Nacht auch die rätselhafte Stimme wieder da. Sie erklärte mir, daß ich in der nächsten Nacht, also in dieser Nacht, sterben müsse.

Barrington schwieg und blickte uns erwartungsvoll an. Rolf lachte nicht mehr, er war nachdenklich geworden. „Also in dieser Nacht?" sagte er halblaut. Barrington nickte.

„Ich habe keine Furcht, meine Herren", betonte er. „Aber die ganze Geschichte geht mir jetzt auf die Nerven. Als ich Sie kennenlernte, wußte ich sofort, daß ich mich Ihnen anvertrauen könnte. Sie wissen, wie Sie eine Sache anzupacken haben. Nun sagen Sie mir, was Sie von der Geschichte halten!"

„Wo befindet sich der Edelstein?" erkundigte sich Rolf, ohne auf die letzte Frage des Kommissars einzugehen. „Immer noch im Tresor, Mister Torring." „Gut. Ist es möglich, ungesehen während der Nacht in Ihr Haus zu gelangen?"

„Nein, das ist unmöglich, da alle Fenster und Türen durch Alarmvorrichtungen gesichert sind."

„Wir möchten aber ungesehen ins Haus gelangen."

„Gut, Sie müßten dann durch den Hintergarten kommen."

„Wer schläft außer Ihnen noch im Hause?" „Tellwan."

„Schicken Sie ihn unter irgendeinem Vorwand in die Stadt, er soll dort übernachten. Können Sie das einrichten?"

„Ja, das geht zu machen."

„Gut. Dann werden wir jetzt zur Stadt zurückkehren. Es ist acht Uhr abends, um zehn sind wir wieder da und kommen durch den Hintergarten. Wollen Sie uns dort erwarten?"

„Selbstverständlich, ich werde aufpassen." „Und dann noch eins: Verhalten Sie sich während unserer Abwesenheit ganz ruhig, verstecken Sie sich möglichst, denn es könnte sein, daß der Angriff auf Sie schon früher unternommen wird, als ich erwarte." „Daran habe ich soeben auch gedacht. Ich werde im Hintergarten bleiben, dort kann mich niemand überraschen. Aber nun sagen Sie mir, was Sie von der Sache halten, Mister Torring!"

„Es geht um ,das Auge Buddhas', Mister Barrington. Ich nehme an, daß der Edelstein aus irgendeinem Tempel gestohlen wurde. Ich ahne auch, wer das tat. Mehr möchte ich jetzt nicht sagen, ich muß erst selbst Gewißheit erlangen."

Barrington wollte noch mehr fragen, aber Rolf erhob sich und verabschiedete sich von ihm. Mir war aufgefallen, daß er sehr leise gesprochen hatte, als er ihm unsere Hilfe

für die Nacht anbot. Ich hatte äußerst scharf aufpassen müssen, um seine Worte verstehen zu können. Barrington stellte uns seinen Wagen zur Verfügung, den Tellwan steuern sollte. Der Kommissar begleitete uns noch bis an den Gartenzaun und winkte uns abschiednehmend zu.

Wir wohnten nicht mehr bei Lord Abednego. Der Oberst hatte verreisen müssen, stellte uns jedoch während seiner Abwesenheit seinen Bungalow zur Verfügung. Mein Freund hatte das abgelehnt, da wir bald wieder die Stadt verlassen wollten. Wir hatten in einem kleinen Gasthaus Wohnung genommen. Hier erwartete uns unser treuer Pongo.

2. Kapitel

Barrington verschwindet

„Was hältst du von der Sache?" fragte ich Rolf, als wir in unserem Zimmer allein waren.

„Meiner Ansicht nach handelt es sich um einen ganz raffinierten Plan, der schon seit längerer Zeit vorbereitet wurde. Daß ausgerechnet Barrington den Bungalow kaufte, war wohl Zufall."

„Was hat das mit der Sache zu tun, lieber Rolf? Glaubst du denn, daß der sogenannte ,Geist' sich sonst einem anderen bemerkbar gemacht hätte?" „Ja, denn nur in diesem Bungalow kann er .spuken'." Rolf lächelte bei diesen Worten vielsagend. Ich konnte mir kein klares Bild machen, doch mein Freund schien schon alles erraten zu haben. Ich wagte nur noch die Frage, wie es möglich sei, daß Barrington die Stimme hörte.

„Darin liegt eben das Geheimnis des Bungalows, lieber Hans. Denk nach, dann wirst du auch auf den richtigen Gedanken kommen. Wir leben doch heute in einem aufgeklärten Zeitalter, im Zeitalter der Technik. Wunder gibt es nicht mehr."

„Aber die Erscheinung des .Geistes' mit der Knochenhand?"

„Der .Geist' kann zur Hintertür hereingekommen und dort wieder hinausgegangen sein. Und eine Knochenhand

können wir uns auch anschaffen, um jemandem einen Streich zu spielen."

„So ungefähr hatte ich mir diese ,Geistergeschichte' auch vorgestellt, Rolf. Ich wundere mich nur, daß Barrington darauf hereingefallen ist."

„Der Kommissar wurde durch die nächtliche Stimme schon ganz nervös und zermürbt, weil er sich die Grabesstimme' nicht erklären konnte." „Aber du weißt schon, wie sie zustande kam?" „Es gibt nur eine Lösung, lieber Hans. Im übrigen: traust du Tellwan?"

„Ich habe mir über Tellwan noch keine Gedanken gemacht, Rolf", wich ich aus. „Barrington scheint auf ihn zu schwören."

„Und mit Recht. Ich halte den jungen Burschen auch für ehrlich und anständig, er macht sich um seinen Herrn große Sorgen. Ich wundere mich, daß er bisher über die nächtlichen Vorfälle zu keinem Menschen gesprochen hat. Ein anderer wäre wohl nicht bei Barrington geblieben." „Das könnte man nun wieder anders auslegen, Rolf." „Das habe ich auch erwogen. Doch wir wollen uns jetzt für heute nacht fertig machen. Pongo wird uns begleiten. Er wird die Überwachung des Bungalows von außen übernehmen. Hauptsächlich der Hintergarten muß ständig beobachtet werden." „Du rechnest mit einem Überfall, Rolf?" „Ja, und deshalb wollen wir die Nacht bei Barrington bleiben. Mit Pongo sind wir vier kräftige Männer, die sich zu verteidigen wissen. Auch bin ich gespannt, den ,Geist' kennenzulernen."

Ich lachte.

„Glaubst du denn, daß er sich dir vorstellen wird, Rolf?" „Er wird sich mir nicht vorstellen, aber ich möchte ihn überraschen. Ich könnte dir seinen Namen schon aufschreiben, wenn du mir versprichst, ihn nicht eher zu lesen, als bis ich dir die Erlaubnis dazu gebe." Ich versprach es. Rolf riß aus seinem Notizbuch einen kleinen Zettel, schrieb zwei Worte darauf, kniffte ihn zusammen und reichte mir das Papier. Ich steckte es in meine Brieftasche. Rolf blickte auf seine Uhr.

„In einer Stunde bin ich wieder zurück, dann wollen wir aufbrechen, Hans. Ich habe noch etwas zu erledigen. Vergiß deine Revolver nicht, wir werden sie wahrscheinlich heute dringend brauchen, auch Munition steck zu dir." Ich unterließ es, meinen Freund nach dem Ziel seines Ganges zu fragen, denn er hätte es mir doch nicht verraten. Er liebte Überraschungen.

Während seiner Abwesenheit unterrichtete ich Pongo über das, was er während der Nacht zu tun hatte. Ich erzählte ihm kurz die Geschichte, vermied es jedoch, von einem „Geist" zu sprechen. Pongo war wie seine Stammesgenossen sehr abergläubisch.

Noch bevor die Stunde abgelaufen war, erschien Rolf wieder. Ich sah es seinem Gesicht an, daß er Erfolg gehabt hatte. Er holte aus der Tasche einen kleinen Pappkarton heraus, öffnete ihn und zeigte mir den Inhalt. Ein imitierter Edelstein von der Größe eines Taubeneies lag darin, ein Stein von blauer Farbe. „,Das Auge Buddhas'", lachte mein Freund.

Jetzt verstand ich ihn. Trotz der späten Abendstunde war es ihm geglückt, in einem Geschäft einen ähnlichen Stein aufzutreiben, wie Barrington ihn beschrieben hatte. Ich ahnte, was Rolf vorhatte. Er wollte den „Geist" täuschen und ihm den unechten Stein zurückgeben. Bei dieser Gelegenheit mußten wir dann den „Geist" zu sehen bekommen.

Auch ein Telefongespräch hatte Rolf gehabt und bei der Polizei einige Erkundigungen eingeholt. Die Uhr zeigte jetzt halb zehn nachts. Es war Zeit, daß wir aufbrachen. Wir verließen das Gasthaus, nahmen an der nächsten Ecke einen Wagen und ließen uns zur Europäersiedlung fahren. Natürlich vermieden wir es, zu nahe bei Barringtons Bungalow auszusteigen. Auf einem Umweg wollten wir dorthin gelangen. Wir verließen das Gefährt schon beim Botanischen Garten und schritten zu Fuß weiter. Als das Auto verschwunden war, wandten wir uns seitwärts einem dichten Waldgürtel zu. Hier konnten wir nicht gesehen werden. So leise und vorsichtig wie möglich gingen wir weiter. Nach zwanzig Minuten erreichten wir den Hintergarten des Kommissars. Hier blieben wir wartend stehen. Der Garten war ziemlich groß und von dichten Büschen bewachsen. Er bot viele Verstecke. Barrington sollte uns hier erwarten. Wenn er aufgepaßt hatte, mußte er uns schon bemerkt haben.

Im Hause brannte kein Licht, so daß der Anschein erweckt wurde, es halte sich kein Mensch darin auf. Und doch sollte Barrington zeigen, daß er anwesend war, sonst würden vielleicht seine Gegner den Angriff auf ihn nicht eröffnen.

Leise erteilte Rolf unserem schwarzen Begleiter Anweisungen. Pongo verließ uns. Wir warteten noch etwa zehn Minuten. Als sich Barrington dann noch nicht zeigte, drängte Rolf zur Eile.

„Komm, Hans, die Sache sieht verdächtig aus. Barrington wollte uns hier um zehn erwarten, jetzt ist es ein Viertel nach zehn. So unpünktlich ist kein Kommissar, wenn es sich um eine wichtige Sache handelt."

Wir öffneten vorsichtig die kleine Gartenpforte. Im selben Augenblick war es mir, als schlüge im Hause eine Glocke an. Rolf stieß eine Verwünschung aus.

„Daran habe ich nicht gedacht", murmelte er, „wir hätten den Zaun übersteigen sollen. Aber nun hilft es nichts mehr, wir müssen uns beeilen."

Wir huschten durch den Garten. Fast hatten wir schon das Haus erreicht, als plötzlich aus dem Dickicht drei Gestalten auf uns zusprangen. Da wir auf einen Überfall vorbereitet waren, flogen unsere Pistolen sofort hoch. Zwei Schüsse krachten. Die Gegner duckten sich und - verschwanden sofort wieder in den Büschen. Minuten später stand Pongo neben uns, der sofort herbeigeeilt war. „Wir müssen die Büsche durchsuchen, hier scheinen die Kerle zu stecken", raunte ich meinem Begleiter zu. „Es waren Priester, fanatische Inder, lieber Hans. Jetzt sind sie wahrscheinlich schon entflohen. Der Angriff galt Barrington. Die Priester haben erkannt, daß sie sich irrten, sonst hätten sie nicht von uns abgelassen."

„Priester?" flüsterte ich, „Priester, die das ,Auge Buddhas' suchen, Rolf?" „Wahrscheinlich."

Pongo war in die nächsten Büsche eingedrungen, kehrte jedoch schon nach kurzer Zeit wieder zurück. „Menschen verschwunden sind", erklärte er ruhig. „Massers keinen Überfall mehr zu befürchten brauchen." Wir gingen weiter zum Hause, das in seiner Stille einen unheimlichen Eindruck auf uns machte. Als Rolf an die Hintertür trat, fand er sie zu seinem Erstaunen offen. Seine Taschenlampe blitzte auf und erhellte den schmalen Gang, der durch das ganze Haus bis zur Veranda führte. Die Vordertür war geschlossen.

Wir blieben einige Minuten lauschend stehen. Nichts regte sich im Hause, es herrschte eine unheimliche Stille. Ich wollte vortreten, doch Rolf hielt mich am Arm zurück. „Vorsichtig!" mahnte er. Ich blieb stehen und zuckte fragend die Achseln. „Es scheint niemand im Hause zu sein, Rolf, wir wollen es schnell durchsuchen", schlug ich vor. Mein Freund achtete kaum auf meine Worte, die ich ihm zugeflüstert hatte. Irgend etwas mußte seine Aufmerksamkeit erregt haben. Er schaltete seine Taschenlampe wieder aus, verließ jedoch seinen Lauscherposten noch nicht. Schließlich wandte er sich an Pongo, der hinter uns stand. „Schleich um das Haus und beobachte die Veranda, ob sich dort jemand aufhält, Pongo." Lautlos verschwand der Schwarze.

„Ich verstehe dich nicht, Rolf. Wir -" Eine energische Handbewegung meines Freundes ließ mich verstummen.

Was hatte er nur? Kein Laut drang aus dem Hause zu uns, und doch tat Rolf so, als hätte er etwas bemerkt. Da zuckte ich zusammen. Aus einem der Zimmer drang ein leises ironisches Lachen zu uns, das sofort wieder verstummte.

Rolf rückte. Erst jetzt betrat er den Gang. Er ließ wieder seine Taschenlampe aufflammen und ging Schritt für Schritt weiter. Als ich ihm folgen wollte, gab er mir ein Zeichen, an der Hintertür stehenzubleiben. Ich tat es. Unwillkürlich blickte ich mich um. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würden wir beobachtet; waren es die indischen Priester, die uns angegriffen hatten? Ich konnte im Garten nichts entdecken. Leise raschelte es in den Büschen. Doch das war nur der Nachtwind, der kaum merklich durch die Zweige fuhr. Rolf hatte inzwischen die Tür erreicht, die in Barringtons Schlafzimmer führte. Hier blieb er wieder lauschend stehen, das Ohr gegen das Holz geneigt. Dann stieß er kurz entschlossen die Tür auf und leuchtete in das Zimmer hinein.

Da war wieder das rätselhafte leise Lachen. Ich sah nur noch den Rücken meines Freundes, der schon halb ins Zimmer getreten war. Jetzt verschwand er ganz. Der Schein seiner Lampe huschte geisterhaft umher, das Lachen war verstummt.

Ich wartete und wartete. Da plötzlich erlosch die Taschenlampe meines Freundes. Ich vernahm ein lautes Poltern, als wenn ein Stuhl umgeworfen würde. Dann wurde es still, so still, daß ich die plötzliche Ruhe als beängstigend empfand. Ich wäre am liebsten Rolf gefolgt, um zu sehen, was vorgefallen war.

Minute um Minute verging, und alles blieb ruhig. „Rolf!"

Ich rief den Namen meines Freundes durch das Haus. Keine Antwort. Da riß ich kurz entschlossen meine Taschenlampe hervor und schaltete sie ein. Mit wenigen schnellen Schritten erreichte ich die Türöffnung, durch die mein Freund verschwunden war. Vor mir lag das Schlafzimmer Barringtons und nahe dem Bett die Gestalt Rolfs lang ausgestreckt am Boden.

Ich wollte zu ihm stürzen, aber ein leises ironisches Lachen hielt mich an der Tür zurück. Rolf regte sich nicht, er lag mit dem Gesicht nach unten, neben ihm seine Taschenlampe, deren Glühbirne zerschmettert war. Das Lachen verstummte wieder. Der Schein meiner Lampe glitt durch den Raum. Niemand außer meinem Freund hielt sich darin auf. Die Fenster waren dicht geschlossen, und ich stand an der einzigen Tür, die in dieses Zimmer führte.

Mit zwei Schritten war ich bei meinem Freund und drehte ihn schnell um. Hastig untersuchte ich ihn. Gott sei Dank, er lebte noch, sein Herz schlug. Eine Wunde war nicht zu entdecken.

Was aber war mit ihm geschehen?

Ich fuhr herum, denn ich hatte hinter mir ein leises Geräusch vernommen. Ich sah eine mit einem langen dunklen Gewand bekleidete Gestalt soeben aus der Tür verschwinden. Sofort riß ich meine Taschenlampe, die ich bei der Untersuchung meines Freundes neben mich gelegt hatte, hoch und sprang auf. In diesem Augenblick klappte die Tür zu, und als ich sie erreichte, fand ich sie von außen verschlossen.

Eine Verwünschung entfuhr meinem Mund. Ich hatte in der Gestalt einen Inder erkannt. Wahrscheinlich war es gleichfalls ein Priester gewesen, der sich eingeschlichen hatte. Was aber hatte er mit meinem Freund getan? Nochmals leuchtete ich umher und suchte jeden Winkel ab. Nein, hier hielt sich niemand weiter auf. Beruhigt wandte ich mich wieder Rolf zu. Ich sah auf dem kleinen Tisch neben dem Bett eine Karaffe mit Wasser stehen, benetzte damit mein Taschentuch und rieb Rolfs Gesicht ab.

Da schlug er plötzlich die Augen auf und fragte mit leiser Stimme:

„Was ist geschehen, Hans?"

Ich berichtete schnell, was ich beobachtet hatte und daß wir jetzt Gefangene seien, wenn wir die Tür nicht aufbrechen könnten.

„Ich - ich muß hinterrücks niedergeschlagen worden sein, lieber Hans", sagte Rolf. „Der Mann scheint hinter der von mir aufgestoßenen Tür gestanden zu haben. Ein harter Gegenstand war es nicht, von dem ich getroffen wurde, ich vermute, daß ein kleiner Sandsack benutzt wurde."

„Ich erkannte einen Inder, Rolf. Leider vermochte ich ihm nicht zu folgen, da er die Tür zuwarf und von außen abschloß. Er wird nun das Haus verlassen haben." Als mein Freund eine Erwiderung tun wollte, ertönte abermals das ironische Lachen. Wir sahen uns blitzschnell im Zimmer um. Niemand war anwesend, außer uns. Rolf nickte mir müde lächelnd zu und meinte: „Laß das Suchen, lieber Hans! Hier in diesem Zimmer wirst du den Mann nicht finden. Wir wollen lieber versuchen, hinauszugelangen. Barrington hält sich nicht in diesem Haus auf."

Wir gingen zur Tür und untersuchten sie. Sie war natürlich von außen verschlossen. Mein Freund wandte sich den Fenstern zu. Dabei meinte er achselzuckend: „Die Leute wissen ja doch, daß wir uns im Hause befinden, lieber Hans. Wir wurden beobachtet. Nehmen wir also den Weg durch das eine Fenster, und suchen wir Pongo auf! Dann wollen wir das Haus durchsuchen. Vielleicht können wir feststellen, wohin Barrington gebracht wurde."

„Gebracht wurde!" wiederholte ich. „Du nimmst an, daß er hier überwältigt und verschleppt wurde, Rolf?" „Ja."

Rolf hatte vorsichtig das Fenster geöffnet. Bevor er es aufstieß, löschte ich meine Taschenlampe. Spähend blickte er hinaus. Draußen lag heller Mondschein. Deutlich konnten wir den in einiger Entfernung liegenden Wald erkennen.

In dem Garten, der den Bungalow umgab und der am Zaun mit dichten Büschen bewachsen war, war niemand zu sehen. Mein Freund schwang sich hinaus. Er blieb auf dem Weg, der unter dem Fenster vorüber führte, stehen und wartete, bis ich ihm gefolgt war. Dann huschten wir gebückt bis zur Veranda, die die Vorderseite des Hauses einnahm.

Seitlich der Veranda löste sich aus dem Dickicht eine Gestalt. Es war Pongo. Er kam schnell auf uns zu. Hinter den Büschen versteckt, hatte er den Vordergarten und die Veranda beobachtet, doch nichts bemerken können. Wir betraten die Veranda. Mein Freund rüttelte an der Vordertür, die ins Haus hineinführte. Sie war verschlossen. Er beauftragte Pongo, von der Rückseite in den Bungalow einzudringen und die Vordertür aufzuschließen. Er warnte ihn jedoch vor dem Inder, den ich gesehen hatte, und händigte ihm meine Taschenlampe aus, damit Pongo sich schnell zurechtfinden konnte.

Kurze Zeit darauf hörten wir den Schlüssel im Schloß knacken, dann sprang die Tür auf.

Rolf und ich gingen ins Haus hinein. Wir öffneten die Tür zum Schlafzimmer Barringtons, dann betraten wir auch dessen Herrenzimmer. Ebenso durchsuchten wir die anderen Räume. Sie waren alle leer, kein Mensch hielt sich hier auf.

Nun verschlossen wir die Hintertür, schoben auch noch den festen Riegel vor und nahmen auf der Veranda Platz. Es war kurz vor Mitternacht.

„Willst du hier untätig sitzenbleiben, Rolf?" fragte ich leise, als mein Freund keine Anstalten traf, weiter nach Barrington zu suchen.

„Wir müssen abwarten, lieber Hans. Noch wissen wir nicht, was geschehen ist. Hast du ganz die .Geisterstimme' vergessen? Das Lachen hörten wir schon." Ja, an das ironische Lachen hatte ich infolge der Aufregungen nicht mehr gedacht.

„Was war das nur, Rolf, woher kam das Lachen?" fragte ich verwundert. „Niemand befand sich außer uns im Raum."

„Eine nette Einrichtung, lieber Hans. Wir werden in einigen Minuten wieder das Zimmer aufsuchen, vielleicht meldet sich dann der ,Geist' noch einmal. Ich möchte mit ihm sprechen."

„Mit ihm sprechen?" Ich blickte Rolf an, als zweifelte ich an seinem Verstande. Hatte der Schlag derart gewirkt, daß er -

„Ja, lieber Hans, ich denke, daß wir mit ihm reden können. Du brauchst nicht zu denken, daß ich irre rede, ich weiß, was hier gespielt wird. Ich habe doch mit der Polizei telefoniert und Erkundigungen eingezogen. Ich fragte nach dem Vorbesitzer dieses Bungalows. Es ist ein Mann namens Fred Korten. Seinen Beruf kennt niemand, doch wurde mir mitgeteilt, daß er ein Sammler gewesen sei und viel mit Edelsteinen gehandelt habe. Kannst du dir ein Bild machen?"

„Du meinst das ,Auge Buddhas', Rolf?" „Natürlich. Der Mann, der das ,Auge Buddhas' dem Kommissar zur Aufbewahrung übergab, war meiner Ansicht nach Fred Korten, der Edelsteinhändler." „Dann verstehe ich aber nicht, warum er diesen kostbaren Diamanten so sorglos auf den Tisch der Veranda legte, um ihn Barrington zu übergeben? Das ist mir ein Rätsel."

Rolf lachte leise.

3. Kapitel Die Stimme des »Geistes«

Ohne mir eine weitere Antwort zu geben, erhob sich mein Freund und winkte mir, ihm zu folgen. Die Uhr zeigte jetzt gerade die Mitternachtsstunde an. Wir betraten das Schlafzimmer Barringtons. Nachdem wir uns überzeugt hatten, daß sich hier inzwischen niemand eingeschlichen hatte, verriegelten wir die Tür, nahmen in den bequemen Korbsesseln Platz und löschten dann die Taschenlampen.

Pongo war draußen auf der Veranda geblieben. Er sollte dafür sorgen, daß niemand das Haus betrat, weder durch die Vorder- noch durch die Hintertür. Geduldig warteten wir. Eine Viertelstunde verging. Da vernahm ich plötzlich ein vertrautes Knacken. Ich konnte jedoch im Augenblick nicht angeben, weshalb mir der Klang bekannt vorkam. Ich wurde auch sofort abgelenkt. Wieder ertönte das leise ironische Lachen, dann sagte eine dumpfe Stimme:

„Barrington, die Zeit ist abgelaufen. Haben Sie das ,Auge Buddhas' mitgebracht?"

Mir lief ein leichter Schauer den Rücken hinunter. Die Stimme klang wirklich sehr unheimlich, und Barrington hatte recht, wenn er behauptete, sie erwecke den Eindruck, als käme sie „aus dem Grabe".

„Ja, ich habe den Stein hier in der Tasche", erwiderte Rolf, die Stimme Barringtons nachahmend. Einen Augenblick Stille, dann wieder die Stimme: „Wer spricht da? Das ist nicht die Stimme Barringtons. Wer sind Sie?"

„Fred Korten, warum treiben Sie diese Komödie? Sie wissen nicht, was vorgefallen ist. Die Priester waren hier, und Barrington ist verschwunden", erwiderte mein Freund ernst.

Wieder unheimliche Stille. Erst nach geraumer Zeit fragte die Stimme erneut:

„Ist das wahr, was Sie sagen? Wer sind Sie?" „Freunde Barringtons. Sie drohten ihm, ihn heute zu töten, wenn er den Edelstein nicht herausgäbe. Ich nehme an, daß Sie das nur getan haben, um den Stein zurückzuerhalten. Da aber Barrington verschwunden ist, fällt jetzt auf Sie der Verdacht, ihn getötet zu haben. Morgen wird die Polizei nach Ihnen suchen, Fred Korten." „Ich - ich habe wirklich nur gedroht", klang die Stimme zaghaft. Sie hatte jetzt einen ganz anderen Ton, deutlich hörte ich die Angst heraus.

„Kommen Sie zu uns, wir wollen uns auf der Veranda treffen, Korten. Barrington muß gefunden und befreit werden."

„Ich - ich möchte nicht kommen. Sie werden mich der Polizei anzeigen. Ich darf mich nicht sehen lassen. Geben Sie mir den Stein heraus, dann will ich Singapore verlassen."

„Kommen Sie zu uns, wir müssen Sie sprechen, Korten", drängte Rolf. „Sehen Sie denn nicht ein, was Sie angerichtet haben? Soll ein Mann, den Sie vorschoben, unschuldig getötet werden? Es handelt sich um fanatische Priester, das wissen Sie ebenso gut wie wir." Wieder Stille. Dann endlich erklärte sich die Stimme bereit zu kommen. Der Mann stellte jedoch die Bedingung, daß er ungehindert wieder gehen könne, wenn er wolle. Rolf versprach ihm das. Dann vernahm ich wieder das bekannte Knacken. Und nun wußte ich: es war ein Lautsprecher, der irgendwo geschickt in der Zwischenwand angebracht worden war.

Wir erhoben uns und gingen hinaus auf die Veranda.

„Na, Hans, was sagst du nun?" fragte mich mein Freund ironisch. „Glaubst du auch an den ,Geist'?"

„Der Mann hat die Sache sehr geschickt gemacht, Rolf, es wäre wohl jeder darauf hereingefallen."

„Ich habe den Schwindel gleich erkannt. Noch weiß ich jedoch nicht, was Korten damit bezweckt. Hat er nun die Anlage einbauen lassen, als ihm der Gedanke kam, den Bungalow zu verkaufen, oder war die Verständigung' mit einer anderen Stelle schon früher da? Hoffentlich klärt uns der Mann darüber auf."

„So spielte er auch den Geist mit der Totenhand, nicht wahr?"

„Natürlich, Barrington hatte vergessen, die Alarmvorrichtung der Hintertür einzustellen, oder sie wurde auch von Korten zerstört, der noch einen Schlüssel zu dieser Tür besaß. So konnte er ganz leicht ins Haus eindringen und es auf demselben Wege wieder verlassen." „Das sieht jetzt alles so einfach aus, lieber Rolf, ich wundere mich, daß Barrington nicht auch darauf gekommen ist."

„Bist du darauf gekommen, Hans?" Rolf ahmte das leise ironische Lachen nach, das mir auf die Nerven ging. Auf Rolfs Wunsch mußte sich Pongo wieder in den Büschen verstecken. Dann warteten wir. Eine halbe Stunde verging. Korten hatte nicht angegeben, wann er auf der Veranda erscheinen würde. Ich wurde schon ungeduldig. Ich wollte etwas sagen, doch da hob Rolf plötzlich warnend die Hand.

Aus dem Hause drang ein leises Geräusch zu uns. Dann stand wie aus dem Boden gewachsen eine vermummte Gestalt vor uns. Ich hatte aber gesehen, daß sie aus der Tür getreten war. Ein weiter dunkler Umhang mit einer Kapuze verhüllte den Mann, von dem nichts weiter zu sehen war als eine Hand, die einen Revolver hielt. „Bewegen Sie sich nicht, meine Herren!" warnte uns der Mann. „Ich muß vorsichtig sein. Geben Sie mir den Stein heraus, dann will ich schnell verschwinden." „Sie haben heute die Knochenhand vergessen, Fred Korten", erwiderte Rolf. „Ich soll Ihnen den Stein herausgeben, und Sie warnen uns, uns zu bewegen. Wie soll ich Ihnen da den Stein aushändigen?" „Wo haben Sie ihn?"

„Hier in der rechten Tasche. Sie müssen schon selber hinein fassen, wenn Sie das kleine Paket haben wollen." „Nehmen Sie die Arme hoch!"

Da Rolf gehorchte, tat ich ein gleiches. Langsam näherte sich uns der Mann. Er bemerkte nicht, daß hinter ihm ebenfalls eine dunkle Gestalt aufgetaucht war - unser Pongo!

Zwei Riesenfäuste umklammerten plötzlich den Hals des Mannes. Er versuchte sich zu wehren, er wurde jedoch nach hinten gerissen und verlor den Halt. Rolf war gleichzeitig aufgesprungen und hatte ihm mit einem schnellen Griff den Revolver entwunden. Dann riß er ihm die Kapuze vom Kopf. Das Gesicht eines etwa vierzig Jahre alten Mannes zeigte sich. „Guten Abend, Mister Korten, bitte, setzen Sie sich", sagte mein Freund, dem Mann lächelnd zunickend. „Ihr Spiel hier ist aus. Bei der geringsten Bewegung überlasse ich Sie dem hinter ihnen stehenden Mann, gegen den Sie nichts unternehmen können. Zuvor möchte ich Sie aber auf weitere Waffen durchsuchen."

Korten - er war es wirklich - hatte noch einen zweiten Revolver bei sich. Er mußte nun am Tisch Platz nehmen und saß so, daß er nicht entfliehen konnte. Außerdem wurde er ständig von Pongo beobachtet. „So, Mister Korten, jetzt erzählen Sie uns mal Ihre Geschichte, aber bitte, ohne zu schwindeln! Es geht hier um ein Menschenleben. Sie wollen doch nicht, daß der Inspektor Barrington für Sie büßt, nicht wahr?" „Ich will alles erzählen, meine Herren. Aber zuvor versprechen Sie mir, mich nicht der Polizei anzuzeigen. Ich will alles tun, um Barrington zu retten." „Wir haben keine Zeit zu verlieren, Mister Korten, berichten Sie also, was Ihr Handeln für einen Hintergrund hatte. Ich kann Ihnen nichts versprechen, ich muß erst wissen, wie weit Sie sich strafbar gemacht haben. Sie haben ,das Auge Buddhas' aus einem Tempel gestohlen, das ist schon eine strafbare Handlung." „Nein, ich habe den Stein nicht gestohlen, ich - ich erwarb ihn."

„Das werden wir später feststellen. Also was sollte die ganze Geschichte bedeuten?"

„Meine Herren, ich besitze noch ein zweites Haus, einen zweiten Bungalow, der dort drüben im Walde mitten im Dickicht steht. Ich hatte das Haus damals, als dieses hier errichtet wurde, ebenfalls erbauen lassen, um dort stets einige Zeit ganz ungestört leben zu können. Dort gefiel es mir dann so gut, daß ich nach einem Jahr diesen Bungalow verkaufte.

Ich hatte nun zwischen beiden Häusern eine Radioanlage gelegt, damit ich mich mit meinem Diener zu jeder Tages- und Nachtzeit verständigen konnte. Das hatte seine Gründe. In dem Lautsprecher, der in der Zwischenwand eingebaut ist, befindet sich ein kleines Mikrophon. Die Anlage ist Ihnen doch verständlich, nicht wahr?" Rolf nickte nur. Darauf fuhr Korten fort: „Als ich diesen Bungalow verkaufte, ließ ich die Anlage bestehen. Damals ahnte ich noch nicht, daß ich sie einst benutzen würde, um einen ,Geist' zu markieren. Ganz zufällig kam ich darauf, und daran war das ,Auge Buddhas' schuld.

Ich stand mit einem Mann in Verbindung, der mir oft Edelsteine zum Kauf und Verkauf anbot. Woher der Mann die Steine hatte, war mir gleich, ich vermute jedoch, daß er sie aus Tempeln stahl. Der Mann nannte sich Gibson. Ob es sein richtiger Name war, kann ich nicht sagen.

Eines Nachts klopfte nun jemand an der Tür meines Bungalows. Mein malaiischer Diener öffnete und weckte mich sofort. Gibson war eingetroffen. Er war sehr erregt und hatte es eilig. Er gestand mir, daß er verfolgt wurde. Inder waren hinter ihm her.

Er bot mir ,das Auge Buddhas' an. Ich wollte den Stein nicht erwerben, eine innere Stimme warnte mich davor. Gibson jedoch drängte mir den Edelstein auf, er sagte, daß ich ihn nicht gleich zu bezahlen brauchte, wir könnten später abrechnen. Er legte mir den Stein auf den Tisch und - verließ in aller Eile das Haus.

Ich war verblüfft. Mein Diener hatte hinter Gibson das Haus wieder verschlossen und kam zu mir, um nach meinen weiteren Wünschen zu fragen. Da fiel sein Auge auf den Edelstein. Der Mann erschrak derart, daß er am ganzen Körper zitterte.

,Das Auge Buddhas', stammelte er. ,Herr, nimm ihn nicht, ,das Auge Buddhas' ist gestohlen. Die Priester werden kommen und dich töten.'

Ich lachte den Mann aus. Er begann jedoch zu betteln und zu flehen, so daß ich schließlich ärgerlich wurde. Ich schickte ihn schlafen und untersuchte nun erst einmal den Stein gründlich. Ich erkannte seinen hohen Wert und schloß ihn in meinen Tresor ein.

Am nächsten Morgen erzählte mir Thogo - das ist mein Diener -, daß während der Nacht dunkle Gestalten mein Haus umschlichen hätten.

Ich lachte den Malaien wieder aus. Als ich dann jedoch einen Spaziergang unternahm, tauchte plötzlich ein Inder vor mir auf, der einen langen Dolch in der Hand trug. Ich war aber schneller als er, hatte schon meinen Revolver zur Hand und schoß, bevor er auf mich eindringen konnte. Ich verwundete den Mann, der daraufhin floh. Eiligst kehrte ich in meinen Bungalow zurück. Ich hatte das Haus, da ich stets sehr wertvolle Steine darin aufbewahrte, sehr fest erbauen lassen. Ich beauftragte Thogo, alles fest zu verschließen und niemanden hereinzulassen. Jetzt erkannte ich auch die Gefahr, in der ich wegen des Steines schwebte.

Thogo flehte mich nochmals an, den Stein zurückzugeben, dann würde mich die Rache der Priester nicht treffen. Ich war auch schon willens, es zu tun. Doch als ich den Edelstein hervorholte und ihn erneut betrachtete, brachte ich es nicht über mich, ihn fortzugeben. Außerdem wollte ja Gibson zurückkehren und mit mir abrechnen. Er würde mir nicht glauben, wenn ich ihm erzählte, daß ich den Stein zurückgegeben hätte.

In der Nacht nun umschlichen wieder dunkle Gestalten mein Haus. Mehrmals wurde der Versuch gemacht, durch eines der Fenster einzudringen. Die Fenster sind aber vergittert.

Ich verscheuchte die Leute. Doch ich fand nun keine Ruhe mehr. Ich wurde buchstäblich belagert. Am nächsten Tage fand Thogo in einem Dickicht die Leiche Gibsons. Dieser war erwürgt worden.

Nochmals kämpfte ich mit mir, aber ich konnte mich von dem Stein nicht trennen. Als dann plötzlich Thogo spurlos verschwand und in der Nacht wieder die Gestalten mein Haus umschlichen, kam ich auf den Gedanken, den Stein fortzugeben. Ich hätte ihn nach Singapore bringen und

dort einschließen können, aber auf dem Wege dorthin wäre ich bestimmt überfallen worden. Mir fiel die geheime Radioanlage ein. Mit ihrer Hilfe hätte ich wohl den Kommissar um Hilfe bitten können, aber dann wäre ich gezwungen gewesen, alles einzugestehen.

Als ich des Nachts wach lag und nochmals überlegte, kam ich auf den Gedanken, den ,Geist' zu spielen. Fiel Barrington darauf herein, so war es gut. Auf jeden Fall war dann der Edelstein bei ihm besser aufgehoben als bei mir. Ich konnte den Indern mein Haus öffnen und ihnen beweisen, daß ich den Stein nicht besaß. Ich ließ also eines Nachts meine Stimme im Schlafzimmer Barringtons ertönen. Durch das Mikrophon hörte ich stets, wenn er sein Licht ein- oder ausschaltete. Ich erklärte ihm, daß er eines Morgens auf dem Tisch seiner Veranda einen Gegenstand finden würde, den er aufheben sollte. Ich hatte die Absicht, mich zu Barringtons Bungalow zu schleichen und dort den Stein niederzulegen. Aber ich konnte diese Absicht in der nächsten Nacht noch nicht ausführen, weil die Inder immer zudringlicher wurden. Erst später gelang es mir. Es machte mir großen Spaß, Barrington durch das Mikrophon zu hören. Die ganze ,Geistergeschichte' war ihm ein Rätsel, und noch rätselhafter wurde sie ihm, als er den Stein fand. Als mir die Sache mit den Indern zu bunt wurde, machte ich, daß ich fortkam. Ich verschwand eines Tages und kehrte erst nach einem Jahr zurück. Nun glaubte ich, daß die Inder die Sache aufgegeben hätten. Da ich nicht wußte, was Barrington mit dem Edelstein getan hatte, beschloß ich, die Radioanlage wieder in Ordnung zu bringen und mich von neuem als Geist zu melden. Ich tat das nur aus Vorsicht, um allen Fragen des Kommissars auszuweichen.

Ich forderte also den Stein zurück. Barrington weigerte sich. Ich begann zu drohen. Er wollte, daß ich den Stein selbst abholen sollte. Schließlich erklärte ich ihm, daß er an einem bestimmten Tage sterben würde. Dieser Tag war heute. Ich hatte jedoch nicht die Absicht, ihn zu töten, ich wollte nur einen Druck auf ihn ausüben, um in den Besitz des kostbaren Edelsteines zu gelangen. Eines Nachts war ich ihm in derselben Kleidung wie jetzt erschienen. Um den Spuk glaubwürdig zu machen, hatte ich von dem Skelett eines Affen, das ich besitze, die Knochenhand gelöst und den Revolver daran gebunden. Ich betrat das Haus durch die Hintertür, von der ich noch einen Schlüssel besaß. Später verschwand ich auf demselben Wege.

Heute nacht hoffte ich nun Barrington so weit zu haben, daß er mir den Stein herausgeben würde. Ich erkannte aber sofort, daß es nicht Barringtons Stimme war, die zu mir sprach. Ihre Mitteilung, daß der Kommissar verschwunden sei, erschreckte mich. Ich wollte alles tun, um ihm zu helfen. Auf dem Wege hierher kam mir jedoch der Gedanke, daß diese Mitteilung nur ein Bluff gewesen sein könnte. Deshalb wollte ich Sie hier überraschen, den Stein an mich nehmen und schnell wieder verschwinden." „Und jetzt, da Sie wissen, daß der Kommissar tatsächlich vermißt wird, Mister Korten?"

„Jetzt bleibe ich hier und stelle mich Ihnen ganz zur Verfügung. Sie kennen meine Geschichte. Ich frage Sie: Habe ich mich strafbar gemacht, als ich den Stein hier ins Haus des Kommissars schmuggelte?"

„Das zu beurteilen, wollen wir Barrington überlassen. Ich hoffe, ihn zu finden und aus den Händen der Priester zu befreien. Hätten wir den Stein, so dürften wir ihn jetzt zurückgeben, nicht wahr?"

„Jetzt würde ich mich des Kommissars wegen gern von ihm trennen, meine Herren. Das Leben Barringtons ist mehr wert als ein toter Gegenstand."

„Sie wissen nicht, woher der Edelstein stammt, Mister Korten?"

„Leider nicht. Mein Diener Thogo sagte es mir nicht, er sprach nur vom ,Auge Buddhas'."

„Wir müssen uns genau erkundigen. Heute haben uns Inder überfallen, als wir auf dem Wege zum Bungalow waren."

„Die - die Inder - sind wieder hier?" Erschrocken blickte Korten meinen Freund an.

„Ja, und Barrington ist verschwunden. Die Inder müssen also wissen, daß er den Edelstein in Verwahrung hat. Hoffentlich gibt ihn der Kommissar heraus, wenn er erfährt, daß er gestohlen ist."

„Ich wünschte es auch", murmelte Korten. „Wir können nun in der Nacht nichts unternehmen, wir müssen den Tag abwarten. Kennen Sie einen Mann, der Kenntnisse von den indischen Tempeln hat, der uns sagen könnte, woher das ,Auge Buddhas' stammt?"

„Da käme wohl der Polizist Baika in Frage. Er ist zwar ein Siamese, aber er steht im Dienst der englischen Polizei. Er kennt fast alle Tempel und könnte uns einen Wink geben."

„Es ist schade, daß wir ihn jetzt nicht erreichen können. Eigentlich müßte ich das Verschwinden Barringtons der Polizei melden, aber in mir ist immer noch die Hoffnung, daß der Kommissar nicht überfallen wurde, sondern sich freiwillig entfernte, um vielleicht einer Spur nachzugehen. Ich schließe das daraus, daß wir überfallen werden sollten. Wäre der Kommissar überwältigt worden, hätten uns die Inder nicht auch noch angegriffen." Ich war anderer Ansicht. Für die Inder kam es nur darauf an, den Stein zu erhalten. Da Barrington ihn nicht bei sich trug, hatten sie wahrscheinlich den Bungalow durchsucht, den Stein aber nicht gefunden. Nun erschienen wir und wurden angegriffen. Nur unserem schnellen Handeln war es zu verdanken, daß wir nicht ebenfalls in die Hände der Inder fielen.

4. Kapitel

Der Dschungeltempel

Wir verbrachten die Nacht auf der Veranda. Pongo wachte für uns, während wir schliefen. Wir wollten am nächsten Tage nicht übermüdet sein und hatten uns deshalb in den bequemen Liegestühlen ausgestreckt. Als die Sonne endlich aufstieg, bereitete uns Pongo in der kleinen Küche ein Frühstück. Eine Stunde später tauchte Tellwan auf. Wir berichteten ihm, was vorgefallen war. Der Polizist tat sehr erschrocken. Er riet uns sofort, Baika, den siamesischen Polizisten, rufen zu lassen. Rolf ließ sich mit der Polizei verbinden. Er erzählte dem diensthabenden Kommissar, was vorgefallen war, verschwieg jedoch die Erklärung Kortens. Barrington selbst sollte später entscheiden, was er unternehmen wollte. Der Kommissar versprach uns schnelle Hilfe. Vorerst wollte er uns Baika schicken. Auch sollten einige Polizisten kommen, die die Umgebung des Bungalows abzusuchen hatten. Der Kommissar war der Ansicht, daß Barrington etwas unternommen hatte, was wir nicht wußten, daß er also nicht überfallen worden war. Eine halbe Stunde später fuhr Baika auf einem Motorrad vor dem Bungalow vor. Wir beschrieben ihm den Diamanten. Baika hörte aufmerksam zu. Seine Augen verrieten, daß er etwas wußte. Als Rolf dann schwieg, nickte er.

„,Das Auge Buddhas' stammt aus dem Dschungeltempel", sagte er. Wir horchten auf.

„Wo ist dieser Tempel gelegen, Baika?" erkundigte sich mein Freund. „Ist er weit von hier?" „Sehr weit, Tuan, viele Stunden zu fahren mit Motorrad." „Du wirst uns begleiten, wir nehmen einen Wagen", bestimmte Rolf.

Der Polizist machte ein ängstliches Gesicht.

„Baika Tempel nicht betreten darf, Tuan", murmelte er leise.

„Du sollst uns ja nur den Weg weisen, du kannst später zurückbleiben, Baika. Wir müssen deinen Kommissar Barrington finden. Glaubst du auch, daß er überwältigt und mitgenommen wurde?"

„Ja, Tuan, Baika es glaubt. Baika alte Sekte kennt, die sehr grausam ist. Kommissar getötet werden soll durch Feuer."

Wir blickten uns entsetzt an. Rolf sprang auf.

„Dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren, wir müssen sofort einen Wagen haben. Wann kommen die Polizisten her, Baika?"

„Sie schon unterwegs sind, Tuan, sie bald hier eintreffen müssen."

„So werde ich nochmals mit der Polizeistation sprechen." Rolf ließ sich verbinden. Als er wieder die Veranda betrat, fuhr gerade das Polizeiauto vor, dem ein Sergeant und fünf Polizisten entstiegen. Rolf wandte sich sofort an den Sergeanten.

„Ich habe soeben mit dem Kommissar Geliert gesprochen, Sergeant, Sie können ihn anrufen, wenn Sie wollen. Geliert stellt uns das Polizeiauto zur Verfügung. Baika und noch ein Polizist, den Sie uns empfehlen mögen, sollen uns begleiten, Sie selbst, Korten und die anderen Leute können inzwischen den Bungalow Barringtons bewachen. Geliert wünscht es so." Der Sergeant, der uns kannte, salutierte. „Brauche nicht anzurufen, Mister Torring, weiß schon, daß alles in Ordnung ist. Gebe Ihnen Thomson mit, er ist ein intelligenter Bursche, und ihm macht es Spaß, mit den indischen Fanatikern mal abzurechnen. Ich hoffe, daß Sie Barrington finden werden."

„Mit dem Auto holen wir den Vorsprung, den die Inder haben, bald wieder ein. Der Tempel liegt also nicht auf der Insel Singapore, sondern auf dem Festland." „Da müssen Sie vorsichtig sein, meine Herren. Ich weiß schon, welche Gegend Baika meint. In dem Urwaldgürtel, der sich meilenweit erstreckt, hausen noch Tiger." „Die sollen uns nicht stören, wir nehmen unsere Büchsen mit. Außerdem besitzt Barrington auch einige gute Gewehre, da brauchen wir nicht erst zur Stadt zu fahren, um unsere zu holen. Jetzt wollen wir uns nur noch mit Proviant versorgen, dann kann es losgehen. Ist genügend Benzin im Tank?"

„Er ist ganz gefüllt, Sie werden damit reichen, Mister Torring."

Eine halbe Stunde später fuhren wir los. Thomson, der Polizist, war ein ausgezeichneter Fahrer, der es verstand, die schwierigsten Wege zu nehmen. Er kannte auch die Strecke, die Baika angab, er war den Hauptweg schon mehrmals gefahren.

Drei Stunden später befanden wir uns auf dem Festland. Hier begann sogleich das Dschungelgebiet, das in seiner Urwüchsigkeit noch unberührt zu sein schien. Nur ab und zu stießen wir auf Niederlassungen Eingeborener, die dem schnellen Wagen erschrocken und verwundert nachblickten.

Wir machten keine Rast, denn wir wollten so schnell wie möglich die Gegend erreichen, in der der Dschungeltempel stand.

Gegen Mittag gab Baika, der siamesische Polizist, das Zeichen zum Halten. Wir hatten bisher die Hauptstraße verfolgt, einen Weg, den man eigentlich nicht als Straße bezeichnen konnte. Es war mehr ein breiter Urwaldpfad, der sich nordwärts zog.

An der Stelle, wo Baika den Wagen abstoppen ließ, mußten wir die Straße verlassen. Da der Weg bis zum Dschungeltempel noch weit war, erbot sich Thomson, den Wagen noch eine Strecke in das Urwalddickicht hineinzufahren. Er hatte keine Furcht vor den Tigern, die in dieser Gegend noch den Wald durchstreiften. Bisher hatten wir allerdings keinen zu sehen bekommen. Obgleich die Landstraße genauso verlassen war wie der Wald selbst. Noch eine volle Stunde fuhren wir „durch dick und dünn". Der Pfad wurde oft so uneben und unzugänglich, daß ein Weiterkommen fast unmöglich schien. Und doch brachte es Thomson fertig, das Auto über alle Hindernisse zu bringen.

Endlich gab Baika auf einer versteckten kleinen Lichtung abermals ein Zeichen zum Halten. Hier mußten wir nun den Wagen verlassen. Wir glaubten, daß uns der siamesische Polizist noch weiterführen würde, sahen uns darin aber getäuscht. Der Mann war nicht dazu zu bewegen, auch nur einen Schritt zu tun.

Er beschrieb uns genau die Stelle, wo der Dschungeltempel lag. Wir hatten danach noch eine volle Stunde zu laufen, um ihn zu erreichen. Wir brauchten nur einem schmalen Wildpfad zu folgen.

Rolf, Pongo und ich machten uns also auf den Weg. Wir bestimmten, daß Thomson genau vierundzwanzig Stunden warten sollte. Waren wir in dieser Zeit nicht zurückgekehrt, sollte er nach Singapore zurückfahren und unser Verschwinden melden. Die Fahrt hierher hatten wir ja auf eigene Gefahr unternommen, weil der diensthabende Kommissar nicht an ein Verschleppen Barringtons glaubte.

Langsam schritten wir über den schmalen Pfad weiter. Immer dichter und undurchdringlicher wurde der Wald. Dazu kam noch, daß wir uns einem Sumpfgebiet näherten. Der Boden unter unseren Füßen begann zu „wanken", und wir sanken oft bis zu den Knöcheln ein. Nur mühsam kamen wir weiter. Kurz vor unserem Aufbruch von der kleinen Lichtung hatten wir eine Mittagsrast gemacht. In unseren Taschen führten wir nur wenig Proviant mit uns, da wir hofften, bis zum Abend die Zurückgelassenen wieder zu erreichen. Eine halbe Stunde verging. In den Zweigen der Bäume und Büsche lärmten die Vögel und Affen. Kreischend flatterte bei unserem Näherkommen eine ganze Papageienfamilie auf. Einige neugierige Affen turnten bis zu uns heran und begannen uns mit Aststücken und Früchten zu bewerfen. Ich hätte auf sie am liebsten einen Schuß abgegeben, um ihrem Gekreisch ein Ende zu bereiten. Nur allmählich ließen sie wieder von uns ab. Wir kamen an verschiedenen anderen Wildpfaden vorüber, die den von uns eingeschlagenen kreuzten. Baika hatte uns jedoch gesagt, daß wir von der eingeschlagenen Richtung nicht abweichen sollten, sonst würden wir den Dschungeltempel nicht finden.

Pongo, der uns einige Schritte vorausging, blieb plötzlich lauschend stehend. Dabei hob er warnend den Arm. Irgend etwas mußte ihm aufgefallen sein. Obgleich auch wir unsere Ohren anstrengten, vermochten wir nichts festzustellen.

„Massers, Mann kommt", raunte uns Pongo zu, als wir ihn erreichten. „Mann aus Gegend wie Massers kommt." Er zeigte den Pfad zurück, über den wir gekommen waren.

Die Tiere des Waldes vollführten noch immer einen Heidenlärm, so daß wir nichts Genaues hören konnten. Pongo jedoch behauptete nach einer Weile, daß der Mann schon viel näher gekommen sei und uns nun bald erreicht haben müsse.

„Massers schnell auf Baum klettern", riet er uns, auf einen am Wege stehenden Baum weisend. „Massers schnell machen müssen."

Er stellte sich am Baum auf, um uns beim Klettern behilflich zu sein. Rolf und ich überlegten auch nicht lange. In die dichten Büsche konnten wir nicht eindringen, dabei hätten wir unsere Kleidung zerrissen. Darum ließen wir uns von Pongo hochheben, ergriffen die untersten Äste des Baumes und schwangen uns hinauf. Dann turnten wir schnell höher, bis uns das Laub völlig verdeckte. Pongo war uns geschickt gefolgt. Er bog einige Zweige fort, so daß wir den Pfad, den wir gekommen waren, gut übersehen konnten. Noch einige Minuten vergingen, dann tauchte bei einer Krümmung des Pfades ein seltsames Paar auf.

Ein alter Inder, mit einem langen weißen Gewand bekleidet, schritt langsam den Pfad herauf. An seiner Seite mit einer Leine verbunden, trottete ein ausgewachsener großer Tiger.

Tastend bewegte sich der Inder vorwärts.

„Er ist blind", flüsterte Rolf mir zu, „der Tiger scheint ihn zu führen."

Diesen Eindruck erweckte das Paar auch auf mich. Voller Spannung beobachtete ich das Näherkommen des Inders. Eine Mutmaßung stieg in mir auf: Dieser Priester gehörte wahrscheinlich in den Dschungeltempel. Langsam mit müden, kurzen Schritten ging der Mann an der Seite des Tigers unter unserem Baum vorüber. Ich hegte schon die Befürchtung, daß uns die Raubkatze wittern werde, aber das war zum Glück nicht der Fall. Der Tiger lief immer etwas voraus, bis sich der kurze Strick, den der Inder in der Hand hielt, straffte. Dann blieb er einige Sekunden stehen und wartete, bis sein Herr ihn erreicht hatte.

Bald waren beide um die nächste Krümmung verschwunden.

„Fatal", meinte Rolf leise. „Der Tiger wird uns verraten, wenn wir ungesehen in den Tempel eindringen wollen. Damit haben wir nicht gerechnet."

„Wir haben ja unsere Gewehre und Pistolen bei uns, Rolf", erklärte ich. „Werden wir von dem Tier angegriffen, müssen wir eben von unseren Waffen Gebrauch machen."

„Was ich jedoch vermeiden möchte, lieber Hans. Der Tiger ist sehr wahrscheinlich von dem Priester großgezogen worden und dient ihm nun wie ein Hund. Es wäre schade um das Tier."

„Es geht hier um Barrington, Rolf, wir müssen unter allen Umständen versuchen, ihn zu befreien." „Noch wissen wir ja gar nicht, ob er überhaupt hierher verschleppt wurde, lieber Hans. Wir haben das ,Auge Buddhas' mit dem Dschungeltempel nur in Verbindung gebracht, weil Baika uns diesen Tempel nannte. Wir wollen vorerst einmal feststellen, ob sich Barrington überhaupt hier befindet."

Nach etwa einer Viertelstunde verließen wir den Baum wieder. Pongo schlich uns abermals voraus. Wir konnten uns auf ihn verlassen, wir wußten, daß er uns rechtzeitig warnen würde, wenn uns eine Gefahr drohte. Der Pfad lief in vielen Krümmungen dahin. Er führte oft um vom Sturm gefällte Urwaldriesen herum. Der Boden wurde wieder etwas fester, so daß wir nun ganz gut vorwärts kamen.

Plötzlich zuckten wir zusammen. Ganz in unserer Nähe war das Brüllen eines Tigers erklungen. Im Nu hatten wir unsere Büchsen zur Hand und machten sie schußfertig.

Pongo hob jedoch die Hand zum Zeichen, daß wir keine Überraschungen zu erwarten hätten.

„Zahmer Tiger gewesen ist, Massers", sagte er leise zu uns. „Dschungeltempel in der Nähe ist."

Jetzt wurden wir noch vorsichtiger. Pongo mußte nun stets bis zur nächsten Krümmung des Pfades vorausgehen, und wir folgten erst, wenn er uns ein Zeichen gab, daß die Luft rein war.

Zwei solcher Pfadkrümmungen hatten wir schon passiert, als Pongo uns kundtat, daß wir am Ziel unseres Marsches angelangt waren. Vor ihm lag auf einer Lichtung des Urwaldes, zwischen hohen Bäumen und dichten Büschen versteckt, der Dchsungeltempel.

Es war nur ein kleines Gemäuer, das mehr wie eine Ruine aussah. Das Dach war stellenweise schon eingefallen. Der Tempel machte einen verlassenen Eindruck auf uns. Nie hätten wir geglaubt, daß sich hier noch Menschen aufhielten, fanatische Menschen, die in aller Heimlichkeit ihrer Gottheit huldigten.

Uns unmittelbar gegenüber lag das alte bronzene Tor, das zu unserem Erstaunen weit offen stand. Wir konnten ins dämmerige Innere des Tempels hineinsehen, vermochten jedoch nur verschwommen etwas zu erkennen. Ich sah Säulen aufragen und im Hintergrund eine Statue, die die Rückwand der Halle einnahm.

Von dem Inder und dem Tiger war nichts zu sehen. Wir standen hinter den dichten Büschen gut gedeckt und überlegten, was wir nun unternehmen konnten. Sollten wir schnell in den Tempel eindringen und die anwesenden Priester zwingen, uns die Wahrheit über Barrington zu sagen? Hatte es Zweck, uns mit den Leute zu einigen und ihnen das „Auge Buddhas" zu versprechen? Oder waren es Fanatiker, die vor allen Dingen den Raub des Kleinods rächen wollten?

Das waren Fragen, die wir uns vorerst nicht beantworten konnten. Rolf und ich wußten, daß solche alten Tempel viele Geheimnisse bargen. Es gab darin verborgene Türen, Fallgruben und dergleichen, um jeden fremden Eindringling unschädlich zu machen, da solche Tempel stets kostbare Dinge enthielten, die schon oft die Habgier der Menschen erregt hatten.

„Wir müssen es wagen, Hans", raunte mir Rolf zu. „Ich werde schnell hinüber springen und den Tempel betreten. Halt du deine Büchse schußbereit, falls ich von dem Tiger angegriffen werde. Ich gebe dir dann ein Zeichen, mir zu folgen. Pongo muß zurückbleiben, um uns den Rücken zu decken."

Unser schwarzer Begleiter nickte nur. Er sah ein, daß er als „Rückendeckung" für uns sehr wertvoll war. Im Tempel konnte er doch nichts ausrichten, es sei denn, daß uns die Priester angriffen.

Rolf nickte mir zu, dann teilte er vorsichtig die Büsche, zwängte sich hindurch und sprang schnell zum Tempel hinüber. Gleich darauf stand er im offenen Portal. Suchend glitten seine Augen umher, dann tat er einige Schritte und verschwand im Innern. Ich sah seinen Schatten nach links verschwinden.

Ich wartete und wartete. Mich packte plötzlich große Unruhe. Warum kam mein Freund nicht zurück und gab mir das verabredete Zeichen? War ihm irgend etwas zugestoßen?

Noch drei Minuten wartete ich, dann raunte ich Pongo zu, daß ich ebenfalls hinüber springen wolle. „Masser vorsichtig sein müssen", erwiderte Pongo. „Masser Torring nicht genug aufgepaßt hat." „Folge mir erst, wenn ich dich rufe, Pongo, nicht früher!" sagte ich ihm noch, dann zwängte ich mich gleichfalls durch die Büsche und huschte über die Lichtung. Vor dem Portal blieb ich unschlüssig stehen. Meine Augen versuchten das Halbdunkel im Innern zu durchdringen. Ich blickte hauptsächlich nach der Seite, wo Rolf verschwunden war. Von ihm war aber nichts zu sehen. Ich hatte die Büchse über die Schulter geworfen, um nicht behindert zu sein. Jetzt griff ich zu meiner Taschenlampe und schaltete sie ein. Ihr greller Strahl durchdrang die vor mir liegende Finsternis.

Ich sah die alte Tempelhalle und im Hintergrund ein Standbild, das wohl Buddha vorstellen sollte. Deutlich erkannte ich, daß das rechte Auge fehlte, obgleich mein Blick nur kurze Zeit darauf geruht hatte. Wo aber war Rolf geblieben?

Die Halle war weit und leer, niemand hielt sich darin auf. Meiner Ansicht nach war mein Freund nicht bis zum Hintergrund der Halle gegangen.

Aber vielleicht stand er hinter einer der vielen dicken Säulen, die das gewölbte Dach trugen?

Ich trat einige Schritte vor. Dann sah ich mich schnell noch einmal nach Pongo um. Er kauerte immer noch hinter den Büschen. Ich wußte, daß er sprungbereit dastand, um mir bei der geringsten Gefahr zu Hilfe kommen zu können.

Diese Gewißheit gab mir den Mut, weiter in die Halle hineinzugehen. Ich wandte mich gleichfalls nach links. Ich erreichte die erste dicke Säule und schritt um sie herum. Niemand war dahinter. Der Schein meiner Taschenlampe glitt über die Wände bis hinauf zur Galerie. Da vernahm ich plötzlich hinter mir ein leises Knacken. Ich wollte herumfahren, aber da wurde es plötzlich dunkel um mich. Ein schwerer dicker Sack war mir blitzschnell über den Kopf gezogen worden. Ich versuchte, mich zu wehren und rief laut nach Pongo, aber ich war überzeugt, daß er mich nicht mehr hören konnte. Ich wurde nach hinten gerissen und sank dann in die Tiefe. Ich war wohl drei Meter gefallen und knickte unten in die Knie. Der Anprall war nicht sehr hart, weil der Boden mit einer dicken Schicht verwelkten Laubes bedeckt war. Ich versuchte mich zu befreien. Mir war der Revolver entfallen, den ich schußbereit in der Hand getragen hatte, ebenso die Taschenlampe. Nun packten mich mehrere Hände und schnürten mir die Arme und Beine zusammen. Dann wurde der Sack von meinem Kopfe entfernt. Ich holte tief Atem. Erst jetzt kam es mir so recht zum Bewußtsein, daß ich dem Ersticken nahe gewesen war. Die Hände ließen von mir ab. Ich lag nun gebunden auf dem weichen Laub, und tiefe Dunkelheit umgab mich. Tappende Schritte entfernten sich, dann gab es ein Geräusch, als würde eine dicke Tür zugeworfen. „Hans?"

Ich fuhr halb auf. Das war Rolfs Stimme gewesen.

„Ja, du bist auch hier, Rolf?" fragte ich verwundert. „Wie du hörst; ich wurde ebenfalls blitzschnell überwältigt. Wir müssen beobachtet worden sein, als wir uns dem Tempel näherten. Es wäre wohl besser gewesen, bis zum Anbruch der Nacht zu warten. Wo ist Pongo?" „Ich ließ ihn im Dickicht zurück, Rolf. Leider konnte ich keinen Ruf mehr ausstoßen, um ihn zu warnen oder herbeizurufen."

„Das war vielleicht ganz gut, er hätte wahrscheinlich auch nichts ausrichten können. Bist du stark gefesselt?" „Ja, an Händen und Füßen."

„Wir müssen versuchen, uns zu befreien, Hans. Komm, wir wälzen uns so, daß wir Rücken an Rücken liegen. Dann will ich versuchen, deine Handfesseln zu lösen." Das Laub unter uns raschelte. Es galt jetzt, schnell zu handeln, denn sicher würden die Priester uns so bald wie möglich verschwinden lassen, weil sie die englische Polizei fürchteten. Aus unserem Hiersein ersahen sie, daß uns und wahrscheinlich auch der englischen Polizei die Lage des Dschungeltempels bekannt war. Rolf befühlte meine Fesseln. Er konnte zum Glück seine Finger bewegen und die Knoten meiner Stricke langsam lösen. Ich fühlte, daß sich die Fesseln lockerten. Dann hatte ich plötzlich die Hände frei.

Nun war es für mich eine Kleinigkeit, auch die Stricke meines Freundes zu lösen, was gar nicht lange dauerte. Auch unsere Fußfesseln streiften wir nach kurzer Zeit ab. Aber nun hieß es für uns, aus diesem Gefängnis herauszukommen. Ich befühlte meinen Gurt und - und stieß einen erfreuten Ruf aus. Die Inder hatten in der Eile vergessen, meinen zweiten Revolver an sich zu nehmen. Das konnte unsere Rettung bedeuten.

Auch Rolfs Taschenlampe befand sich noch in seiner Kleidung. Er ließ sofort einen grellen Lichtstrahl aufflammen und beleuchtete unseren Kerker.

Ja, es war tatsächlich ein Kerker, in dem wir uns befanden. Dicke Quadermauern umschlossen uns. Der Raum war etwa vier Meter breit und ebenso lang. Eine Tür war nirgends zu entdecken. Dafür erkannten wir an der kaum zwei Meter hohen Decke eine viereckige Klappe, die wohl in die hohle Säule führte, durch die wir hinunter befördert worden waren. Aus dieser Säule waren auch unsere Angreifer hinterrücks hervorgesprungen, um uns die Säcke über die Köpfe zu streifen.

„Schnell hinauf!" raunte mir Rolf zu. „Versuche die Klappe zu öffnen!"

Ich stieg auf die Schultern meines Freundes und hantierte an der Klappe. Sie saß jedoch fest im Mauerwerk und schien nur von oben zu öffnen zu sein. Sie mit Gewalt zu sprengen, konnte uns kaum gelingen. Ich stieg wieder herunter.

„Wir müssen eben warten, Hans. Die Priester werden wahrscheinlich hierher kommen, um uns zu holen, lange wird es wohl nicht mehr dauern. Dabei wollen wir sie überraschen. Wir tun so, als lägen wir noch gefesselt am Boden, springen jedoch im geeigneten Augenblick auf." Ich sah ein, daß das die einzige Möglichkeit war, aus diesem Kerker herauszukommen. Unsere Geduld wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt. Die Nacht mußte schon längst hereingebrochen sein, und noch immer ließ sich niemand bei uns sehen.

Da endlich ein leises, knackendes Geräusch. Rolf hatte seine Taschenlampe ausgeschaltet, und wir lagen im Dunkeln am Boden. Plötzlich drang ein schwacher Lichtschein zu uns herein. Ich sah, daß ein dicker Quaderstein in der uns gegenüberliegenden Wand sich verschoben hatte und eine Öffnung freigab. Durch diese Öffnung kroch jetzt ein Inder zu uns herein, dem ein zweiter mit einer alten Laterne folgte. Er stellte sie auf den Boden und wollte sich gleich seinem Begleiter mit uns beschäftigten. Doch da fuhren wir auf. Der Kolben meiner Waffe sauste auf den Kopf des Mannes nieder, der sich über mich gebeugt hatte. Mit einem stöhnenden Laut brach er zusammen.

Rolf hatte seinen Gegner ebenfalls unschädlich gemacht. Mit den Stricken, mit denen wir gefesselt gewesen waren, banden wir nun die Inder und ließen sie auf dem welken Laub liegen. Dann krochen wir durch die Maueröffnung. Ein alter breiter Gang, dessen Seitenwände gleichfalls aus dicken Quadersteinen bestanden, lag vor uns. Mein Freund drehte sich um und schob den in alten Steinangeln beweglichen Quaderstein wieder in die Öffnung hinein. Deutlich erkannten wir jetzt den Mechanismus, der es uns ermöglichte, notfalls diese Öffnung wieder herzustellen. Rolfs Taschenlampe erhellte den Gang, der meiner Ansicht nach etwa fünf Meter unter der Erde liegen mußte. Ganz hinten erkannten wir eine Steintreppe, die nach oben führte. Auf sie schritten wir zu, musterten aber unterwegs die Seitenwände des Ganges scharf. Rolfs Augen entging nicht der winzige Hebel, der aus einer Fuge zwischen den Steinen hervorragte. Er drückte ihn langsam nach unten.

Ein anderer Quaderstein, der ebenfalls in Angeln lief, löste sich aus der Mauer. In die nun entstandene Öffnung glitt der Schein von Rolfs Taschenlampe hinein. Er selbst beugte sich weit vor und - stieß plötzlich einen leisen erfreuten Ruf aus. „Barrington!"

„Mister Torring?" erklang die fragende Antwort zurück. „Ja, ich komme schon, Sie zu befreien, warten Sie eine Sekunde!"

Mein Freund kroch durch die Öffnung. Ich wartete in großer Ungeduld. Plötzlich vernahm ich seitwärts von mir ein Geräusch. Da Rolf die Taschenlampe mitgenommen hatte, duckte ich mich unwillkürlich nieder und sprang dann zur Seite. Etwas sauste durch die Luft und prallte auf den Boden. Undeutlich bemerkte ich jetzt eine dunkle Gestalt, die sich schnell entfernte.

Ich rief nach Rolf. Er tauchte im nächsten Augenblick auf und leuchtete den Gang ab. Niemand war zu sehen. Am Boden lag ein langer indischer Dolch, der offenbar auf mich geschleudert worden war.

Hinter meinem Freund tauchte Barrington auf. Er drückte mir stumm die Hand. Das Auftauchen des Mannes, der den Dolch auf mich geschleudert hatte, machte uns allen große Sorge. Jetzt war unsere Flucht entdeckt. Wir rannten zur Steintreppe und sprangen sie schnell hinauf. Wir hatten befürchtet, hier unten eingeschlossen zu werden, sahen uns aber darin getäuscht. Vorsichtig stießen wir die Tür auf und erkannten vor uns die weite Halle, in der die Statue stand. Etwa zwölf Priester hatten sich hier versammelt. Fackeln knisterten an den Wänden und gaben der Halle ein gespensterhaftes Aussehen. Die Schatten der reglos dastehenden Inder schienen zu leben, sie bewegten sich und riefen den Eindruck hervor, als wäre die Halle von viel mehr Menschen angefüllt. Die Blicke aller Inder waren auf uns gerichtet. Erst jetzt erkannte ich, daß sie lange Dolche in den Händen hielten. Sie schienen nur auf ein Wort zu warten, um zum Angriff gegen uns vorzugehen.

Ich sah aber noch mehr. Auf dem Sockel der Statue, unmittelbar zu ihren Füßen, lagen unsere Waffen, die meines Freundes und meine mir entfallene Pistole sowie die Revolver Barringtons. Diese Waffen mußten wir unter allen Umständen haben, denn im Augenblick besaß nur ich einen Revolver, mit dem ich gegen diese Übermacht nichts ausrichten konnte.

Unbeweglich standen wir da und blickten auf die Inder - und diese wieder auf uns.

Da gellte plötzlich ein Ruf durch die Halle. Im selben Augenblick stürzten die Inder vor. Sie hoben ihre langen Dolche und drangen mit solcher Rücksichtslosigkeit auf uns ein, daß wir gezwungen waren, uns schnell zurückzuziehen. Ich gab zwei Schreckschüsse ab, erreichte damit jedoch nur, daß die Inder zu toben begannen. Jetzt mußte ich Ernst machen, wollten wir nicht diesen Fanatikern zum Opfer fallen.

Ich verwundete zwei Inder, die laut schreiend zu Boden sanken. Langsam mußten wir uns über die Treppe zurückziehen. Ich befürchtete, daß sie die Türe nun doch schließen und wir keinen Ausgang mehr finden würden. Doch das Vordringen der Inder stockte plötzlich. In der Halle ertönte ein derartiges Gebrüll, daß uns selbst fast die Haare zu Berge standen. So konnte nur ein Gorilla brüllen, wenn er seinen Kampfruf ausstößt. In dieses Brüllen mischten sich die Schreckensschreie der Inder, die nach allen Seiten auseinander liefen. Blitzschnell verschwanden sie.

Wir betraten vorsichtig die Halle und - brachen in ein lautes Gelächter aus.

Am Eingang stand unser treuer Pongo. Er sah in der Beleuchtung wie ein richtiger Teufel aus und hatte durch sein Gebrüll die Inder derart erschreckt, daß diese an ein überirdisches Wesen glaubten. Pongo war zur rechte Zeit aufgetaucht und hatte uns aus einer fatalen Lage errettet. Wir nahmen nun schnell unser Eigentum an uns und verließen die Tempelhalle.

Es war wirklich schon Nacht geworden, doch Pongo versicherte, daß er uns auch im Dunkeln führen könne. Von den Indern wurden wir nicht mehr verfolgt. Wir erreichten Thomson und machten sofort alles zur Abfahrt bereit. Thomson brachte es auch wirklich fertig, mit Hilfe seiner guten Scheinwerfer das Auto durch den nächtlichen Wald zu steuern.

Als wir dann die Landstraße erreichten und in flotter Fahrt Singapore zustrebten, berichtete uns Barrington sein Abenteuer.

Er hatte sich eine halbe Stunde vor unserem Erscheinen im Garten versteckt und war hier plötzlich von den Indern überwältigt worden. Er hatte nicht mehr Zeit gehabt, sich zu verteidigen oder gar um Hilfe zu rufen. Er wurde gefesselt und fortgetragen. Die Inder lösten sich unterwegs im Tragen ab und brachten ihn in den Dschungeltempel. Hier wurde er von einem alten blinden Priester aufgefordert, das „Auge Buddhas" herauszugeben, was er natürlich nicht tun konnte. Er versprach jedoch dem Priester, es ihm auszuhändigen, wenn er sofort freigelassen würde. Darauf gingen die Inder jedoch nicht ein. Erst gegen Morgen, kurz vor Anbruch des Tages, erreichten wir Barringtons Bungalow wieder. Korten atmete erleichtert auf, als er Barrington erkannte, ebenso die Polizisten, die der Kommissar sofort mit dem Wagen nach Singapore zurückschickte.

Als sie verschwunden waren, ließ sich Barrington nochmals Kortens Geschichte erzählen. Dieser bat den Kommissar zum Schluß, keine Anzeige gegen ihn zu erstatten, da er ja nicht die Absicht gehabt habe, Barrington zu schädigen.

Und der Kommissar drückte beide Augen zu, zumal Korten ihm auch den zweiten Bungalow billig zum Kauf anbot. Korten wollte die Gegend für immer verlassen. Barrington setzte sich mit seiner vorgesetzten Behörde auseinander und gab nur so viel bekannt, daß es sich um einen versteckten indischen Tempel handelte, der auf dem Festland lag. Er wollte dafür sorgen, daß diesen Fanatikern das Handwerk gelegt wurde.

Doch der Kommissar änderte bald seine Absicht. In der nächsten Nacht, als wir erzählend auf der Veranda saßen, stand plötzlich jener alte blinde Priester vor uns, der von seinem Tiger begleitet wurde.

Der Priester bat in kurzen Worten um das „Auge Buddhas". Er hob beschwörend die Arme gen Himmel und versprach, mit seinen Anhängern jenen versteckten Tempel zu verlassen.

Und Barrington, der den kostbaren Edelstein aus dem Tresor geholt hatte, um ihn uns zu zeigen, überreichte ihn dem Priester.

Darüber wunderten wir uns derart, daß wir ganz still dasaßen. Erst als der Priester verschwunden war und mit ihm der Edelstein, riß Barrington plötzlich die Augen weit auf und blickte sich erstaunt um.

„Was war das soeben?" fragte er erschrocken.

Wir klärten ihn schnell auf.

„Er war also wirklich hier, und ich habe ihm den Edelstein ausgehändigt?" rief er aus. Auch das mußten wir bejahen.

Da sprang Barrington auf und lief in der Richtung davon, die der Priester eingeschlagen hatte. Er kehrte jedoch schon nach kurzer Zeit wieder zurück. „Es nützt nichts mehr, meine Herren. Der Priester hatte mich hypnotisiert und unter seinen Willen gezwungen, ich mußte ihm das ,Auge Buddhas' herausgeben. Den Mann wiederzufinden, wird unmöglich sein, aber ich werde den Dschungeltempel aufsuchen und ihn ausheben lassen." Das hat Barrington auch am nächsten Tage getan, doch er fand in dem Tempel keinen Menschen. Nur stellte er noch fest, daß auch das zweite Auge Buddhas verschwunden war.

Wir blieben noch einige Tage seine Gäste und besuchten ihn noch einmal in seinem Arbeitszimmer in der Stadt. Gerade, als wir dort weilten, meldete eine Ordonanz eine Dame, die Barrington zu sprechen wünschte. Wir wollten uns schnell verabschieden, doch Barrington hielt uns zurück.

„Vielleicht ist das gerade etwas für Sie", meinte er scherzend, ohne zu ahnen, wie wahr seine Worte werden sollten.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Polizist meldete laut den Namen der Eintretenden: „Frau von Valentini!"

Und dann stand uns die Frau gegenüber, die unser Geschick für die nächsten Zeiten bestimmen sollte, und der Weg, den wir dabei gehen mußten, führte durch die schlimmsten Höllen.

Eine schlanke, große Frau war es, die mit federnden Schritten an den Tisch des Kommissars trat. Ihr hübsches Gesicht verriet einen seelischen Schmerz, und jetzt füllten sich auch ihre Augen mit Tränen, als sie flehend sagte: „Helfen Sie mir, Mister Barrington, mein Mann ist verschwunden."

Ich hatte der Dame einen Stuhl zurechtgerückt, auf dem sie nun Platz nahm.

Barrington musterte die Frau eingehend. „Ja", meinte er, „das ist leider nicht meine Angelegenheit, Frau von Valentini, da müssen Sie sich an die Vermißtenzentrale wenden."

Die Dame holte ihren Paß aus der Tasche und überreichte ihn dem Kommissar. Barrington sah ihn schnell durch und nickte.

„Erzählen Sie uns immerhin, was vorgefallen ist, Frau von Valentini, vielleicht kann ich Ihnen wenigstens einen Rat geben, bevor Sie sich an die Vermißtenzentrale wenden."

„Mein Mann reiste vor sechs Wochen nach Siam, nach Bangkok. Er schrieb mir regelmäßig. Aber dann ließ er plötzlich nichts mehr von sich hören. Auch sein letztes Schreiben hatte schon einen ganz merkwürdigen Eindruck auf mich gemacht. Darin schrieb er nämlich, daß unsere Trennung nun doch wohl länger dauern würde, aber ich solle mich nicht länger ängstigen. Er gab darin auch keine neue Adresse an, wohin ich meinen nächsten Brief hätte richten können."

Barrington strich sich über den Kopf, was er stets tat, wenn er nicht genau wußte, was er tun sollte. Er wollte dieser Frau wohl gern helfen, aber es war nicht seine Angelegenheit, nach einem verschwundenen Ehemann in Siam zu suchen.

„Haben Sie sich schon an das Konsulat in Bangkok gewandt?" erkundigte er sich.

„Ja, doch ich erfuhr nur, daß mein Mann plötzlich ins Innere des Landes abgereist sei."

„Woher kam seine letzte Nachricht?"

„Von Tschainat am Menam-Fluß."

„Hm, ich weiß wirklich nicht, was ich da -"

Frau von Valentini unterbrach Barrington.

„Da ist noch eine Sache, Mister Barrington. Ich habe aus

Bangkok einen Brief erhalten, in dem nichts weiter lag als ein kurioses Stück Seide. Wer es mir geschickt hat, weiß ich nicht, aber ich habe das Empfinden, daß es nicht von meinem Mann ist. Auch ist die Adresse nicht von seiner Hand geschrieben."

„Haben Sie das Seidenstück bei sich, Frau von Valentini? Lag kein Schreiben bei der Sendung?" erkundigte sich der Kommissar.

„Nein, es lag kein Schreiben bei, aber das Seidenstück habe ich mitgebracht. Jedesmal, wenn ich es betrachte, bekomme ich ein so beängstigendes Gefühl, daß ich es am liebsten fortwerfen möchte. Aber dann bringe ich es doch nicht fertig."

Die Dame hatte aus ihrer Handtasche ein handgroßes Stück roter Seide, das mit weißer Stickerei bedeckt war, hervorgeholt und reichte es dem Kommissar. Kopfschüttelnd betrachtete dieser es und gab es dann uns. Auch wir konnten nichts daraus entnehmen und hielten die Übersendung für einen Scherz.

Barrington drückte auf einen Klingelknopf und befahl dem eintretenden Polizisten, Baika zu schicken. Gleich darauf stand der siamesische Polizist vor seinem Vorgesetzten.

Barrington zeigte ihm das Stück Seide. Doch kaum hatte der Siamese einen Blick darauf geworden, als er heftig zusammenzuckte. Und sein sonst immer ruhiges Gesicht drückte plötzlich Furcht, regelrechte Angst aus. Mit vorgestreckten, gespreizten Fingern taumelte er zurück und rief aus:

„Tuan, böser Geist!"

„Was?" brüllte Barrington aufspringend. „Baika, nimm dich zusammen! Was ist mit dem Seidenlappen los?" Der Siamese stierte den Kommissar an und sagte mit tonloser Stimme:

„Tuan, ich kann nicht helfen, ich kann nicht in mein Land. Der Gott ist gegen uns. Bleibt hier, denn er ist schrecklich und wird euch vernichten." „Aber Baika", sagte Barrington mit sanftem Vorwurf, „du bist doch aufgeklärt. Meinst du wirklich, daß euch ein Gott schaden kann?"

Doch Baika war durch den Anblick des Seidentuches so aus der Fassung gebracht, daß er nur immer wieder sein „Böser Geist" stammelte. Und es war nicht aus ihm herauszuholen, was eigentlich los war. Auch weigerte er sich ganz entschieden, mit nach Siam zu fahren, um nach dem Verbleib des Herrn von Valentini zu forschen. Keine Versprechungen und keine Drohungen halfen. „Na, dann nicht", brummte der Kommissar. „Aber was soll nun werden? Was meinen Sie dazu, meine Herren?" Diese Frage war an uns gerichtet. Rolf nickte Barrington lächelnd zu.

„Wir werden nach Bangkok reisen und Herrn von Valentini suchen", erklärte er.

Die Dame stieß einen Freudenruf aus und ergriff dankbar die Hand meines Freundes. Rolf erkundigte sich noch, wann das Seidenstück eingetroffen sei. Als er erfuhr, daß der Brief vor vier Wochen aus Bangkok abgeschickt worden war, drängte er:

„Dann haben wir keine Zeit zu verlieren und müssen schleunigst aufbrechen. Geben Sie uns Ihre Adresse an,

Frau von Valentini, damit wir Sie benachrichtigen können. Auch können Sie uns jetzt noch einige Aufklärungen geben."

„Ich begleite sie, meine Herren", erklärte sie bestimmt, „ich kann nicht untätig in Singapore zurückbleiben, wenn Sie nach meinem Mann suchen. Ich komme mit." Und sie war durch keine Überredungskünste meines Freundes von ihrem Vorhaben abzubringen. Zwei Tage später bestiegen wir den Dampfer, der uns nach Bangkok bringen sollte. Frau von Valentini begleitete uns und ebenso unser treuer Pongo. Wir fuhren Abenteuern entgegen, so sonderbar und gefährlich, wie ich sie nie erwartet oder geahnt hätte.

Rolf Torring 008 - Das Auge Buddhas
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