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1. Kapitel Pongo befreit uns
Eine geheimnisvolle Gewalt hatte die beiden Wachtposten drüben am Rand des Urwaldes ins Dickicht gerissen, und Rolf meinte sofort: „Das war Pongo." Es konnte ja auch niemand anders fertiggebracht haben als dieser riesige Neger mit dem gräßlichen Kopf, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem eines Gorillas hatte. Und sein Name „Pongo", den wir erfahren hatten, bedeutete ja auch in der Sprache der Kongoneger „Gorilla". Um unsere Situation zu erklären, muß ich kurz den Inhalt der beiden vorigen Bände „Das Gespenst im Urwald" und „Chinesische Ränke" streifen. Wir, das heißt mein Freund Rolf Torring und ich, waren auf einem unserer Streifzüge durch die Welt in Singapore gelandet. Dort lernten wir im Klub Lord Abednego kennen, dessen Tochter vor wenigen Tagen geraubt worden war, angeblich von einem Menschenaffen. Rolf ahnte aber sofort, daß der eigentliche Urheber dieses Raubes ein Chinese Fu Dan war, dessen Antrag auf die Hand seiner Tochter Ellen der Lord lachend abgewiesen hatte. Wir verfolgten mit Hilfe eines kleinen Malaien-Boys die Spur des Chinesen bis nach Selimeum, einer Ansiedlung am Fuße des Vulkans Sejawa djanten auf Sumatra.
Als wir dort eintrafen, war Fu Dan schon wieder fort, aber wir blieben, um einen starken, schwarzen Panther zu schießen. Und dabei, mitten im Urwald, sahen wir den Neger zum erstenmal. Er erlegte die gefährliche Raubkatze mit einem Massaispeer. Später erzählte uns Diersch, der Wirt des Hotels in Selimeum, daß dieser Schwarze ihn auch bereits dreimal aufgesucht hätte. Und weiter erfuhren wir, daß Pongo dem Chinesen Fu Dan einen Koffer mit Damenwäsche geraubt hätte. Da kombinierte Rolf ganz richtig, daß wohl Pongo zuerst auf Fu Dans Befehl das junge Mädchen geraubt, sich dann aber wohl mit dem Chinesen entzweit und seine Beute hier in den Urwäldern verborgen hätte.
Mit Hilfe Pinhs, eines wunderbaren Wolfshundes des Wirtes, verfolgten wir die Spur Pongos bis in eine riesige Felsenspalte des Vulkans Sejawa djanten, nachdem wir in der Nacht vorher noch einem Mordanschlag Fu Dans entronnen waren - allerdings mit Hilfe Pongos, der sich geheimnisvoll als unser Beschützer aufspielte. Und er rettete uns zum zweitenmal, als wir in der Felsenspalte von Schwefeldämpfen überrascht wurden und bewußtlos zusammenbrachen. Wieder folgten wir dann seiner Spur mit Hilfe Pinhs quer durch unterirdische Gänge des Vulkans, nachdem wir noch den gräßlichen Tod zweier Kreaturen Fu Dans, der uns gefolgt war, gesehen hatten. Sie waren im Kratersee von Giftnattern getötet worden. Als wir dann aus dem Innern des Berges ins Freie traten, hastete Fu Dan, durch den Tod seiner Leute entsetzt, in planloser Flucht an uns vorbei. Wir folgten dem alten Nashornpfad und gelangten so in eine Ansiedlung in der Quellennähe des Atjeherflusses. Die holländische Regierung hatte einige Beamte mit hundertfünfzig Kulis dorthin geschickt, um nach Kohlen zu schürfen. Die Beamten trafen wir nicht an, sie waren landeinwärts gegangen. Nur der Wirt des dortigen Hotels war anwesend, der uns von geheimen, nächtlichen Transporten erzählte, hinter denen er Waffentransporte vermutete.
Plötzlich geschah ein Überfall der Kulis, die von Fu Dan mit Reisschnaps traktiert waren. Wir flüchteten in den Urwald, auf eine kleine Anhöhe und wurden im kritischsten Augenblick wieder von Pongo gerettet, der durch sein grauenhaftes Äußeres und seinen schrecklichen Angriffsschrei die Kulis in die Flucht jagte. Wir trennten uns dann von Meerkerk, dem Wirt, der nach Selimeum wollte, um von dort aus Fremdenlegionäre aus der Küstengarnison Kota-Radja herbeizurufen. Wir beide aber wollten zum Atjeherfluß weiter hinauf, um die holländischen Beamten zu warnen, denn sicher hatten Chinesen, unter ihnen Fu Dan, einen allgemeinen Aufstand der Atjeher geplant, um dabei im trüben fischen zu können. Und so war es auch.
Die Atjeher, die alten Herren des Landes, waren ja jederzeit zur Empörung geneigt.
Auf schmalem, von irgendeinem Großwild gebrochenem Pfad längs des Flusses hatten wir noch ein Abenteuer mit einem Tigerpaar zu bestehen, das wir mit den Parabellum-Pistolen, die uns Meerkerk geschenkt hatte, erlegten. Während wir noch berieten, wie wir die schönen Felle retten könnten, erschien plötzlich hinter uns Tomo, ein kleiner Malaien-Boy, der sich auf Seiten Fu Dans befunden hatte. Jetzt erklärte er uns zitternd, daß er uns treu wäre, da „Er" es befohlen hätte. Und auf unsere Frage, wer „Er" denn wäre, hatte es uns den Namen des Schwarzen genannt: „Pongo". Ein Name, der wahrlich bezeichnend war.
Wir konnten jetzt auf den kleinen Tomo rechnen, denn die Furcht vor dem geheimnisvollen schwarzen Riesen hätte ihm sicher keine Untreue erlaubt. So schritten wir denn weiter, nachdem Rolf noch den klugen Pinh zurückgesandt hatte, damit er eine Meldung in seinem Halsband nach Selimeum brächte. Wir konnten damit rechnen, daß der Hund eher eintreffen würde als Meerkerk. Auf unserem Weitermarsch verschwand plötzlich Tomo unter Warnungsrufen, und ehe wir uns recht besinnen konnten, waren wir von einer Anzahl Atjeher umgeben, die uns gefangen nahmen. Sie schleppten uns bis an den Fluß und luden uns dort in einen Sampan. Damit war scheinbar jede Möglichkeit verschwunden, daß uns Tomo und Pongo folgen könnten, aber beim unwillkürlichen Zurückblicken zum Ufer sah ich zu meiner Freude das verschmitzte Gesicht des kleinen Malaienboys durch die Wurzeln der Mangroven lugen.
Wir landeten schließlich im Lager der Atjeher und wurden in ein Zelt gebracht, in dem wir die holländischen Beamten trafen, die wir hatten warnen wollen. Es waren zwei Regierungsräte, ihr Sekretär und der Zahlmeister. Alle vier erklärten uns, daß ein Entkommen aus den Händen der Aufständischen unmöglich wäre, da wir zu scharf bewacht würden. Und sie schienen auch recht zu haben, da bei Einbruch der Nacht vier Eingeborene mit ihren fatalen Klewangs, diesen breiten, scharfen Schwertern, vor unserem Hütteneingang Platz nahmen, während rings um die kleine Lichtung, auf der sich das Lager befand, Doppelposten schritten.
Und jetzt waren die beiden Posten unserem Zeltlager gegenüber lautlos im Urwald verschwunden. Unwillkürlich hielten wir den Atem an, denn die vier Atjeher vor unserem Zelt mußten ja das Verschwinden ihrer Kameraden bemerken. Dann würden sie natürlich sofort Alarm schlagen, und unser Leben war vielleicht dadurch aufs höchste bedroht.
Wenn wir nur Waffen gehabt hätten! Aber anscheinend hatte nur Rolf, der auf ähnliches vorbereitet war, das plötzliche Verschwinden der Posten bemerkt, und wir, durch seine Handbewegung aufmerksam gemacht, mit ihm. Denn die vier Atjeher vor unserem Zelt rührten sich nicht.
„Donnerwetter", murmelte der eine Regierungsrat, „was war denn das? Wohl ein Freund von Ihnen, Herr Torring? Aber wie will er die verteufelten vier Posten hier erledigen und uns heil aus dem Lager herausholen? Das bekommt doch kein Mensch fertig."
„Warten Sie nur ab", gab Rolf leise zurück, „Freund
Pongo bekommt noch ganz andere Sachen fertig. Wir wollen uns aber ruhig verhalten, denn ich vermute, daß er bald bei uns sein wird."
Einige Minuten verstrichen unter atemlosem Schweigen. Da klang hinten an unserer Zweighütte ein leises Geräusch auf. Unendlich vorsichtig schien sich jemand damit zu beschäftigen, die Zweige auseinanderzuziehen. Gerade wollte ich Rolf zuflüstern, daß wir noch unbedingt ein harmloses Geräusch hervorbringen müßten, um die Laute zu übertönen, die der heimliche Besucher - sicher war es Pongo - hervorbrachte, als ein morscher Ast laut knackte. Sofort sprangen die vier Wächter auf, und während zwei dicht vor den Eingang unserer Hütte traten und uns die Klewangs entgegenhielten, eilten die beiden anderen um die Hütte.
Wir zogen uns schnell in den Hintergrund der Hütte zurück, und ich merkte dabei, daß Rolf den schweren eisernen Topf aufnahm, in dem uns das Essen gebracht war. Kaum standen wir an der hinteren Wand, als wir draußen zwei schwache Ausrufe vernahmen, denen ein dumpf-krachendes Geräusch folgte. Dann gab es einen schweren Fall auf dem grasbedeckten Boden.
„Er hat sie mit den Köpfen zusammengeschlagen", stellte Rolf leise fest. ,Jetzt werde ich aber wohl die beiden anderen Wächter beschäftigen müssen." Er stand vor mir, und gegen den Schein des Lagerfeuers vor dem Hütteneingang sah ich, daß er den schweren Topf hochhob. Und im nächsten Augenblick traten die beiden Atjeher auch schon mit vorgestreckten Klewangs ins Innere der Hütte.
Da schleuderte Rolf ihnen mit aller Kraft den eisernen Topf entgegen. Die beiden schlanken Burschen wurden mit voller Wucht getroffen und taumelten zurück, stießen dabei aber gellende Alarmrufe aus. Aber bevor sie sich noch zusammenraffen und uns angreifen konnten, tauchte hinter ihnen die Gestalt Pongos auf. Im lodernden Feuerschein war er wie ein Sendling der Hölle anzusehen, als er mit furchtbarem Griff die beiden Wächter packte und zusammen schmetterte. Lautlos knickten beide zusammen und hingen als leblose Bündel in den riesigen Fäusten.
Das Lager geriet in Aufruhr. Überall sprangen die dunklen Körper der Atjeher auf und stürzten auf unsere Hütte zu. Aber mit Schreckensrufen blieben sie stehen, als sie die Gestalt Pongos im flackernden Feuerschein gewahrten. Und der schwarze Riese zeigte sich jetzt in seiner ganzen Furchtbarkeit. Er ließ einen der toten Posten fallen, hob den anderen wie ein leichtes Bündel über seinen Kopf und schleuderte ihn mit furchtbarer Wucht in den dichtesten Haufen der Eingeborenen. Dann stieß er seinen brüllenden Kampfruf aus und sprang mit hoch geschwungenem Speer über das lodernde Feuer auf die Atjeher zu. Da flohen die abergläubischen Eingeborenen unter Schreckensrufen in den Urwald hinein. Die Waldlichtung war im nächsten Augenblick völlig leer. „Massers, schnell kommen!" drängte Pongo jetzt. „Kommen Sie, meine Herren", rief Rolf den Holländern zu, die völlig reglos an der hinteren Wand der Hütte standen. „Freund Pongo sieht zwar nicht schön aus, aber er meint es treu."
„Herrgott", flüsterte jetzt der ältere Regierungsrat, „das ist ein furchtbares Wesen."
„Schnell, schnell", drängte ich jetzt ebenfalls, „ehe sich die Atjeher aufraffen."
Das wirkte, und wir verließen rasch die Hütte. Rolf war schon vorausgeeilt und rief uns zu, um die Hütte herumzukommen. Dort gab es eine neue Überraschung, denn eine kleine Gestalt tauchte plötzlich auf, und Tomo, der Malaienboy, begrüßte uns mit der Aufforderung, ihm zu folgen. Und gleichzeitig gab er uns unsere Waffen, die er aus der Hütte des Anführers geholt hatte. Pongo wollte den Schluß eines kleinen Zuges machen, der sich jetzt quer durch den nächtlichen Urwald mit all seinen Gefahren begeben mußte.
Ich schritt hinter dem kleinen Tomo mit schußbereiter Parabellum, in der Linken die elektrische Taschenlampe zum sofortigen Gebrauch bereit. Hinter mir folgten die holländischen Beamten, während Rolf vor Pongo den Schluß machte. Der riesige Neger selbst war ein beträchtliches Stück zurückgeblieben, um ein Nachdringen der Atjeher zu verhindern.
Durch den dichten Urwaldgürtel am Rande der Lichtung war eine schmale Lücke gebrochen — sicher von der gewaltigen Kraft Pongos. Und diese Lücke endete auf einem Elefantenpfad, der nach seiner Beschaffenheit - es waren keine hindernden Zweige oder Lianen vorhanden - noch recht häufig von den Dickhäutern benutzt werden mußte. So hatten wir zwar ein angenehmes Gehen, aber ständig die Gefahr vor uns, daß uns plötzlich ein wütender Elefantenbulle attackierte. Das schien auch der kleine Tomo zu fürchten, denn er schlug ein Tempo an, das fast in Trab ausartete.
Wortlos eilten wir in dichter Reihenfolge dahin, während ringsum geheimnisvolles Leben sich regte. Vögel, kleine Affen, Flughunde, Eidechsen und Insekten ließen ihre mannigfaltigen Stimmen erschallen oder brachten zirpende und schnarrende Geräusche hervor. In der Tiefe des Urwaldes dröhnte manchmal ein gewaltiger Laut auf, die drohende Stimme irgendeines gefährlichen Großwildes, das auf Raub auszog. Und jedesmal schien Tomo seinen Gang dann zu beschleunigen. Plötzlich schimmerte ein heller Schein vor uns. „Tuan, der Fluß!" rief der kleine Tomo erfreut, brach aber mit einem Schreckenslaut ab und blieb so jäh stehen, daß ich hart auf ihn prallte. Ich wollte ärgerlich fragen, was es gäbe, da sah ich schon das Hindernis. Der Urwald zeigte uns noch seine Schrecken, ehe er uns freigab. Ungefähr einen Meter über dem Boden glühten da zwei grünliche Punkte - die Augen einer mächtigen Raubkatze auf nächtlichem Schleichpfad.
Die Holländer stießen inzwischen zu mir, und leise Fragen schwirrten auf. Schon wollte ich ärgerlich völlige Ruhe verlangen, da klang die Antwort bereits vor mir - das ärgerliche Schnarren eines Tigers. Die Beamten verstummten sofort, denn hinter diesem Laut verbarg sich der Tod. „Leuchte ihm in die Augen!" rief Rolf mir leise zu, und sofort schaltete ich meine Taschenlampe ein. Der grelle Schein beleuchtete ein furchterregendes und doch schönes Bild. Mitten auf dem Pfad stand ein riesiger Tiger, dessen Augen sich jetzt zu schmalen Schlitzen zusammenzogen, während er gleichzeitig die Lefzen hob und das funkelnde Gebiß entblößte.
Langsam hob ich meine Parabellum, aber ich muß offen gestehen, daß mir absolut nicht behaglich zumute war. Gewiß, meines Schusses war ich völlig sicher, aber jetzt war die Situation doch fast aussichtslos. Wenige Meter vor mir die riesige Bestie, die sich langsam zum Sprung anschickte, rechts und links dichtes Gestrüpp, in das ich nicht entweichen konnte, und hinter mir die Holländer, die ein Zurückspringen unmöglich machten.
Und wenn meine Kugel auch das Auge des Tigers traf, so hatte er doch sicher noch Kraft genug, um mich niederzureißen und im Todeskampf zu töten. Diese Erwägungen zogen blitzschnell durch meinen fiebernden Sinn, während ich - äußerlich fest und ruhig - mein Ziel suchte.
Da entstand eine leise Bewegung hinter mir, und im nächsten Augenblick berührte eine Hand meinen Arm. „Drücke dich etwas seitwärts in die Büsche", flüsterte Rolf, „dann nimmst du das rechte, ich das linke Auge." Jetzt auch innerlich völlig beruhigt, preßte ich mich so weit in einen Bambusstrauch, daß Rolf neben mich treten konnte. An Schießfertigkeit übertraf er mich ganz beträchtlich, und so wollte ich ihm ein möglichst weites Feld geben.
Langsam duckte sich jetzt der Tiger zum Sprung nieder. Wir wußten, daß er jetzt erst die Augen fast völlig schließen und dann - kurz vor dem Sprung - weit aufreißen würde. Dann war unser Augenblick zum Abdrücken gekommen.
Sekunden verstrichen in atemloser Spannung. Jetzt schloß die Bestie die funkelnden Augen bis zu kleinem Spalt - gleich würden wieder die grünfunkelnden Sterne aufleuchten und im nächsten Augenblick der Sprung erfolgen. Da wurden wir unsanft zur Seite geschoben. „Nicht schießen, Massers" knurrte die Stimme Pongos. „Feinde hinter uns. Pongo wird ,Sabaa' töten." Blitzschnell kam mir der Gedanke, daß Pongo wohl nicht lange auf Sumatra sein konnte, da er den Tiger als Sabaa, das heißt Herdenwürger, bezeichnete: ein Name, den die Araber dem Löwen gegeben haben. Und gleichzeitig war es auch ein Beweis, daß er weit herumgekommen sein und wohl unbedingt längere Zeit bei arabischen Stämmen verbracht haben mußte (diese Mutmaßung bestätigte sich auch, als wir später Näheres über sein Leben erfuhren). Aber jetzt war keine Zeit, diesem Gedanken nachzugehen, denn Pongo nahm den Kampf mit dem Tiger auf. Einen halben Schritt sprang er vor, so daß er vom Schein meiner Lampe getroffen wurde, und hob den mächtigen Arm mit dem riesigen Massaispeer. Ich mußte den Kopf schütteln, denn ich konnte mir nicht denken, daß ein Tiger mit einem Speer schwer verwundet, geschweige denn getötet werden könnte. Doch ich kannte noch nicht die übermenschliche Kraft des schwarzen Riesen. Pongo schleuderte den Speer. Es gab einen kurzen, pfeifenden Ton, so gewaltig war die Wucht, mit der die schwere Waffe die Luft durchschnitt, dann traf die breite Eisenspitze die Kehle der Bestie und grub sich tief ein. Der Tiger wurde durch die Gewalt des Wurfes hochgerissen und schwankte sekundenlang auf den Hinterpranken.
Und da sprang Pongo mit hoch erhobenem Klewang vor und warf mit furchtbarem Schräghieb über den Hals den mächtigen Körper der Raubkatze zur Seite, als wäre er ein leichtes Kleiderbündel. Schon der Speer mochte dem Tiger bis ans Rückgrat durch den Hals gedrungen sein, und der Hieb mit dem breiten, malaiischen Schwert hatte ihm den Rest gegeben. Ein wildes, kurzes Toben folgte unter den Dornenbüschen, dann streckte sich der gestreifte Körper mit dumpfem Jaulen. Pongo sprang hinzu, riß seinen Speer aus dem leblosen Körper und winkte uns, ruhig weiterzugehen.
„Massers, schnell", flüsterte er, „Boot auf Fluß." Damit glitt er schnell voraus, und wir folgten ihm natürlich in möglichst beschleunigtem Tempo. Speziell die Holländer, die jetzt den Schluß des Zuges bildeten, hatten es sehr eilig und drängten uns förmlich vorwärts. Und während des Laufens stieß der ältere Regierungsrat wieder keuchend hervor: „Herrgott, Herr Torring, sagen Sie mir doch nur, wer und was unser Beschützer ist. Er ist ja ein furchtbares, fast übernatürliches Wesen."
Ich wollte ihm gerade antworten, daß ich ihm später eine Erklärung geben würde, als schon von vorn die Stimme Pongos grollte, der mit scharfen Sinnen die leisen Worte gehörte hatte: „Massers still sein, Feinde auch vor uns." Das war ja eine sehr angenehme Aussicht! Dann hatten die Atjeher sich doch offenbar von ihrem panischen Schrecken erholt und waren uns auf schnellerem Wege vorausgeeilt. Wir hatten ja unsere Waffen, doch die Holländer waren schutzlos. Aber es waren andere Feinde, die Pongo vor uns wußte.
Nach wenigen Minuten gelangten wir ans Ufer des Atjeher-FIusses. Hier lag ein großer Sampan, und Pongo drängte zum Einsteigen. Ich saß mit Rolf an der Spitze, hinter uns hatte sich der kleine Tomo niedergekauert, während sich die Holländer in der Mitte auf den Boden des flachen Bootes gesetzt hatten. Am Heck stand Pongo aufrecht und stieß das Fahrzeug jetzt vom Ufer ab. Er hatte ein langes Ruder - übrigens das einzige im Boot - in der Hand und lenkte den Sampan geschickt in die Mitte des Flusses. Hier wurden wir von der Strömung ergriffen und langsam flußabwärts getrieben.
„Ich glaube, jetzt sind wir endlich in Sicherheit", flüsterte der ältere Regierungsrat, „jetzt können Sie mir doch endlich sagen..."
Aber er wurde wieder von Pongo unterbrochen, der ihm scharf zuflüsterte:
„Masser still sein. Feind vor uns."
Und da ertönte ein Ruf vom rechten Ufer:
„Fu... Fu."
Eigenartig, fast unheimlich wirkte dieser Ruf aus menschlicher Kehle hier mitten im Urwald. Und es kam Antwort vom linken Ufer: „Dan... Dan."
Ah, also die Chinesen waren vor uns! Fu Dan war ihr Erkennungsruf, und dieser listige Chinese leitete offenbar den ganzen Aufstand der Kulis und Atjeher. Dann hatten wir allerdings jetzt einen schweren Stand, denn sicher standen die Kulis auf beiden Seiten des Flusses Posten bis nach Selimeum hinunter, dem kleinen Orte am Fuße des Sejawa djanten, in dem unsere Abenteuer begonnen hatten. Und wenn es Tag wurde, konnten sie uns ganz bequem aus dem Hinterhalt abschießen. Eine Aussicht, die wirklich nicht sehr angenehm war. Wir mußten also unbedingt an ein Ufer und versuchen, im Schutze des Urwaldes zu entfliehen.
Ich flüsterte Rolf diese Meinung ganz leise zu und erhielt eine zustimmende Antwort von ihm. Da merkten wir, daß der Sampan sich langsam dem rechten Ufer näherte.
Pongo wußte also ganz genau, was zu tun war, und diese Erkenntnis befestigte unseren Glauben an ihn immer mehr.
2. Kapitel Fu Dans Streich
Wir glitten jetzt ganz dicht am Ufer hin, im Schatten der überhängenden Büsche und Sträucher. Pongo hatte sich geduckt, und ich merkte, daß er plötzlich das Ruder leise in den Sampan legte und seinen Speer ergriff. Zum Glück hatten die Holländer nichts gesehen, denn unbedingt näherten wir uns jetzt irgendeiner Gefahr. Ich hob unwillkürlich meine Parabellum, als Rolf, der diese Bewegung gemerkt hatte, seine Hand auf meinen Arm legte. „Laß nur", raunte er, „Pongo wird es schon machen." Da klang direkt neben uns ein leises Rascheln im Gebüsch auf, dem der Ruf folgte: „Fu... Fu."
Und am anderen Ufer antwortete es: „Dan... Dan."
Also wieder ein Doppelposten auf beiden Seiten des Flusses, der unser Entkommen weitermelden sollte! Ich war überzeugt, daß weiter unten vielleicht eine größere Menge der Kulis wartete, um uns gemeinschaftlich abschießen zu können. Jetzt waren wir noch im Schatten des Waldes, aber bald würde der Mond so weit herumgewandert sein, daß sein Licht den Fluß überfluten und uns deutlich zeigen würde. Durch eine heftige Bewegung, die den Sampan ins Schaukeln brachte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
Pongo hatte eingegriffen. Kaum war der Antwortruf vom anderen Ufer verklungen, als er seinen Speer mit aller Kraft in das Dickicht neben uns schleuderte. Er mußte den Posten irgendwie entdeckt haben, denn ein schwaches Röcheln zeigte uns, daß er sein Ziel getroffen hatte. Im nächsten Augenblick hielt er das Boot an den Zweigen des Busches fest und flüsterte: „Massers halten."
Schnell griffen wir auch zu, hielten den Sampan fest, und Pongo verschwand wie eine Schlange zwischen den Zweigen. Nach wenigen Augenblicken rief er aus dem Gebüsch: „Massers alle kommen."
„Hans, geh du als erster", entschied Rolf, „dann kommen die Herren, und ich werde mit Tomo den Schluß machen. Bitte, schnell, meine Herren."
Ich kroch bereits durch das Gebüsch und stieß plötzlich auf einen reglosen Körper. Es war der chinesische Wachtposten, den Pongos Speer schnell ins Jenseits befördert hatte. Der schwarze Riese selbst war nicht zu sehen, aber ich hörte in kurzer Entfernung wieder seinen Ruf. So schob ich mich weiter vor und leitete ebenfalls mit leisen Zurufen die mir folgenden Holländer.
Da die holländischen Regierungsvertreter diese Art Fortbewegung - auf dem Leib durch dichtes Urwaldgestrüpp zu kriechen - absolut nicht gewöhnt waren, ging es natürlich nur langsam vorwärts, anscheinend sehr zum Verdruß Pongos, dessen Rufe immer dringender wurden. Endlich stieß ich auf einen schmalen Wildpfad und konnte mich aufrichten. Nach wenigen Minuten traf ich auf den schwarzen Riesen.
„Massers viel langsam", grollte er. „Pongo weiter müssen. Tomo soll Massers führen."
Und im nächsten Augenblick war er verschwunden. Nur einige schwache Geräusche verrieten mir die Richtung, in der er sich entfernt hatte. Aber ich merkte, daß er den Weg zum Vulkan eingeschlagen hatte. Nach wenigen Minuten war unsere kleine Gesellschaft auf dem engen Pfad versammelt, und Tomo übernahm vor mir die Führung, während Rolf wieder den Schluß machte. Auf den Rat des kleinen Malaien-Boys faßten wir uns gegenseitig an und konnten auf diese Art leise, ohne Zurufe, unseren Weg verfolgen. Wieder schlug Tomo ein Tempo an, daß der ältere Regierungsrat hinter mir bald stöhnte, aber trotzdem hielten die Holländer die schnelle Gangart durch, denn sie hofften, wohl bald den Schrecken des nächtlichen Urwalds zu entkommen. Unsere Lage war ja auch scheußlich, denn nicht nur die großen Raubkatzen bedrohten uns, sondern außerdem die Atjeher und Chinesen.
Der Weg stieg plötzlich scharf an, und das Dickicht zu beiden Seiten des Pfades wurde lichter. Wir näherten uns also den oberen Regionen des Vulkans. Ich wollte bereits eine unwillige Bemerkung darüber machen, denn es schien mir besser, wenn wir uns nach Selimeum durchschlagen würden, da die Legionäre von Kota Radja vielleicht schon unterwegs waren. Da blieb Tomo plötzlich stehen und stieß einen leisen Warnungsruf aus.
Sofort nahm ich meine Taschenlampe in die linke Hand und zog mit der Rechten meine Parabellum, denn ich hörte im gleichen Augenblick das Brechen von Zweigen. Ein schwerer Körper näherte sich uns mit großer Geschwindigkeit.
Die Holländer hinter mir wurden erregt, denn anscheinend war es ein Dickhäuter, der da auf uns zustürmte. Und ein Elefant oder Rhino würde sich wohl schwerlich durch die Kugel einer Parabellum aufhalten lassen, wenn ich nicht zufällig das Auge treffen würde. Aber nach wenigen Augenblicken hatte sich Rolf schon neben mich gedrängt, lauschte kurz und meinte dann leise: „Es ist ein Mensch, der sich uns in großen Sprüngen nähert."
Und wie zur Bestätigung seiner Worte klang da in einiger Entfernung die Stimme Pongos auf, die keuchend rief: „Massers, wo seid?"
„Hier, Pongo", rief Rolf, „was ist geschehen?" „Massers!" stieß er hervor, „Fu Dan hat Missis geraubt!" Wir waren sekundenlang wie erstarrt, dann fragte Rolf aufgeregt: „Hast du Spuren bemerkt, wohin er sich gewandt hat?"
„Ja, Masser, Pongo hat Fährte, wird ihr folgen."
„Dann gehen wir mit dir", entschied Rolf sofort. „Tomo
kann die Herren nach Selimeum führen."
Dieser Entschluß erregte natürlich bei den Holländern
lebhaften Widerspruch, und auch Pongo war damit nicht
einverstanden.
„Andere Massers allein verloren", brummte er erregt, „Tomo alle Massers zu Askaris (damit meinte er die Legionäre) bringen, dann beide Massers (womit Rolf und ich gemeint waren) in Höhle führen. Pongo wird Zeichen machen."
Dieser Vorschlag war der vernünftigste. Wir mußten unbedingt zuerst die Holländer in Sicherheit bringen, ehe wir dem schwarzen Riesen folgen konnten. Die Höhle, zu der uns Tomo führen sollte, war sicher ein Unterschlupf, aus dem der hinterlistige Fu Dan die Tochter des Lords geraubt hatte. Nun, bei den Spürfähigkeiten Pongos würde er wohl schwerlich weit mit ihr kommen. Die Legionäre mußten schon längst auf dem Marsche sein, denn sowohl Pinh, der Wolfshund, als auch Meerkerk, der Wirt aus der zerstörten Ansiedlung, hatten die Nachricht vom Aufstand und die Bitte um schleunigste Hilfe sicher schon überbracht. Es hieß also für uns, den Atjehern und chinesischen Kulis, die Fluß und Wald besetzt hatten, zu entgehen, ein Vorhaben, das zwar nur wenige Stunden in Anspruch nahm, aber äußerst gefährlich war, zumal jetzt unsere beste Hilfe, Pongo, fehlte.
Soweit war ich mit meinen Überlegungen gekommen, als Rolf schon das leise Kommando zum Weitermarsch gab. Ich sollte diesmal den Schluß des Zuges machen, während er mit Tomo voranschritt. Jetzt merkte ich auch erst, daß Pongo spurlos verschwunden war. Nun, ich hätte jetzt nicht in der Haut Fu Dans stecken mögen. Die holländischen Beamten drängten sich mit merklicher Eile an mir vorbei und folgten Rolf, der durch leise Rufe zu schnellem Lauf antrieb. Es war für mich ein eigenes Gefühl, jetzt als letzter unseres kleinen Zuges durch den dunklen Urwald zu hasten, der ringsum von Gefahren erfüllt war, mochten sie nun von Großwild oder den menschlichen Feinden drohen. Das Leben der niederen Tiere mit seinen mannigfachen Geräuschen wirkte unheimlich, denn stets dachte ich beim Schrei des Nachtvogels oder beim Geckern einer Baumechse, daß die Feinde uns eingeholt oder gar umzingelt hätten.
Aber sie schienen unsere Spur verloren zu haben, denn ungestört setzten wir unseren eiligen Marsch beinahe zwei Stunden fort, bis plötzlich der Tag hereinbrach. Wir befanden uns jetzt in der Nähe der zerstörten Siedlung, und nach einer halben Stunde endete der Pfad plötzlich auf der kleinen Anhöhe, auf die wir uns beim Angriff der Kulis zurückgezogen hatten, bis uns Pongo gerettet hatte. Wir konnten die weite Lichtung zu unseren Füßen übersehen. Die Brandruinen der Häuser des Wirtes und des Zahlmeisters rauchten noch leicht, aber die Kulis schienen die Siedlung verlassen zu haben, denn niemand war zwischen den leichten Holzhütten zu sehen. So wurden wir unvorsichtig und traten dicht an den Rand der Anhöhe. Von dort aus konnten wir einen Teil des Atjeherflusses übersehen, in der Hoffnung, daß bereits Boote mit den Legionären kämen. Aber der Fluß lag ebenfalls still und ruhig da. Und doch wußten wir an beiden Ufern die Wachtposten verteilt. Plötzlich gellte ein Schrei zwischen den Hütten auf. Ein Kuli war aus dem Innern einer Hütte dicht unter uns getreten, und sein erster Blick war auf uns gefallen. Im Nu wimmelte das Lager von den gelben Gestalten, die vor Wut laut brüllten, als sie uns gewahrten. Eine mächtige Stimme schaffte augenblicklich Ruhe, dann bemerkten wir einen riesigen Chinesen, der einen kurzen Befehl gab und zu uns hinauf deutete. Sofort setzten sich die Kulis mit lautem Geschrei in dichten Haufen gegen uns in Bewegung, aber im nächsten Augenblick krachte Rolfs Parabellum, und der Riese, der die Führung der Horde übernommen hatte, warf die Arme hoch, drehte sich langsam halb herum und stürzte schwer aufs Gesicht. Die Kulis hielten inne und starrten sich bestürzt an. Diese Pause benutzte Rolf, um leise zu sagen:
„Vielleicht war dieser Schuß unsere Rettung, so ungern ich ihn auch abgegeben habe. Jetzt haben sie keinen ruhigen Führer, und gegen eine wütende Menge, die planlos anstürmt, können wir uns besser verteidigen. Ah", er riß wieder den Arm mit der Pistole hoch, „den muß ich unschädlich machen."
Er meinte einen schlanken, hochgewachsenen Atjeher, der plötzlich dicht unter uns aus dem Wald aufgetaucht war und den Kulis einige Worte mit befehlender Stimme zurief.
Dann wandte er sich um und stieß einige gellende Schreie aus, die hinter uns im Wald von verschiedenen Seiten beantwortet wurden. Jetzt hob er den Arm - da faßte ihn Rolfs Kugel und warf ihn um. Aber die Kulis stürmten jetzt vor.
Unsere Lage war ziemlich aussichtslos. Wohl hatten wir unsere beiden Gewehre und vier Brownings an die Holländer verteilt, während wir uns auf die Parabellumpistolen verließen, aber die Beamten waren bestimmt keine große Hilfe, denn sie zitterten derartig, daß sie wohl kaum einen guten Schuß abgeben konnten. So lag die Verteidigung des Plateaus nur in unseren Händen, und wir mußten uns nach zwei Seiten wenden.
„Ich werde versuchen, die Kulis aufzuhalten", sagte Rolf ruhig zu mir, „behalte du den Pfad hinter uns im Auge. Die Atjeher müssen ihn ja benutzen, denn durch das Dickicht können sie unmöglich dringen."
Mit einem letzten Blick sah ich die Chinesen wie eine Brandungswelle anstürmen, dann ging ich schnell zum Waldesrand zurück, suchte mir hinter einem starken Urwaldriesen Deckung und starrte den schmalen Pfad hinunter, den ich ungefähr auf dreißig Meter übersehen konnte. Jetzt fielen die ersten Schüsse aus Rolfs Waffe, die mit einem erhöhten Wutgebrüll der Kulis quittiert wurden. Aber auch die Holländer schienen sich ermannt zu haben, denn ich hörte jetzt auch unsere Brownings und Gewehre. Umdrehen durfte ich mich auf keinen Fall, obgleich es mir schien, als kämen die Kulis immer näher, während sich das Feuer verstärkte.
Plötzlich zuckte ich zusammen. Wie aus der Erde gewachsen standen da zwei dunkle Gestalten auf dem Pfad und spähten vornübergebeugt zum Plateau hinüber. Und jetzt tauchte ein dritter Atjeher hinter ihnen auf, wohl ein Unterführer, denn er zeigte kurz nach vorn, worauf sich die beiden ersten näher schlichen. Da ließ ich meine Waffe sprechen. Die beiden vorderen stürzten sofort aufs Gesicht, während der dritte zwar fiel, sich dann aber aufraffte und taumelnd um die Biegung des Weges verschwand, ehe ich ihm einen weiteren Schuß nachsenden konnte. Und jetzt wurde es im Wald lebendig. Ein kurzes Wutgebrüll erscholl direkt hinter dem Knick des schmalen Weges, dann ertönten einige Rufe, offenbar Signale, die zu meinem Schrecken von allen Seiten her beantwortet wurden. Wir waren also ringsum von den aufständischen Atjehern eingeschlossen, während vor uns die Meute der rasenden
Kulis tobte. Jetzt konnte es sich nur noch um Minuten handeln, dann würden die Atjeher auch in Massen angreifen, und ich konnte wohl die ersten niederschießen, mußte aber der Menge dann doch erliegen.
Doch es blieb merkwürdig ruhig im Wald. Offenbar fand erst noch eine Beratung der Eingeborenen statt, aber diese Ruhe wirkte unheimlicher als hinter mir das Toben der Chinesen und das Krachen der Schüsse. Ich schnellte herum, denn plötzlich berührte eine Hand meinen Arm. Es war der kleine Tomo, an den ich fast gar nicht mehr gedacht hatte. Mit großen, starren Augen blickte er in den Wald und flüsterte ängstlich:
,,Tuan, wir sind verloren. Da und da und da, Feuer." Jetzt durchzuckte mich doch ein furchtbarer Schreck. An mindestens fünfzehn Stellen flammte Feuer im Wald auf, das am dürren Unterholz reiche Nahrung fand. Und der schwache Wind trieb die unheimlich schnell wachsende Glut direkt auf unsere Anhöhe zu. Die Atjeher hatten das sicherste Mittel gewählt, uns ohne Verluste zu vernichten, denn das Flammenmeer, das mit jeder Sekunde wuchs, trieb uns hinunter, den rasenden Kulis in die Arme. Ich sprang auf und eilte an den Rand des Plateaus. Vor den Atjehern selbst war ich ja sicher, sie lauerten hinter dem Flammengürtel, bis das furchtbare Element seine Schuldigkeit getan hätte.
„Feuer hinter uns!" schrie ich den Kameraden zu, dann gab es sofort Arbeit für meine Parabellum, denn die Kulis hatten sich bis auf wenige Meter an uns herangearbeitet. Wohl hatten sie große Verluste erlitten, aber sie benutzten die jetzt Gefallenen als Schild und schoben die reglosen
Körper immer höher in den schmalen Engpaß hinauf. Nur die Kugeln der Gewehre und der Parabellumpistolen durchschlugen diese grausigen Schutzwehren. Jetzt hatten die Chinesen das Feuer hinter uns bemerkt. Sie stießen ein mißtönendes Freudengeheul aus und zogen sich eilfertig zurück. Jetzt brauchten sie ja keine Opfer mehr zu bringen, denn jetzt mußten wir von unserem sicheren Hort herunter, und sie konnten uns aus dem Hinterhalt erschießen.
Aufatmend traten wir einige Schritte vom Engpaß zurück. Nach den anstrengenden Minuten des Kampfes trat jetzt eine gewisse Reaktion ein, und erst die ängstlichen Rufe des kleinen Malaienboys brachten uns wieder die drohende Gefahr im Rücken so recht zum Bewußtsein. Und als wir uns dem Wald zuwandten, wußten wir, daß jetzt das Ende nahte. Nur noch wenige Meter Gehölz waren zwischen uns und der Glut, die sich gierig heran fraß. Der Wind hatte sich verstärkt und strich glühend heiß über uns hin, so daß wir unwillkürlich bis an den Rand der Anhöhe traten. Und da stieß der Zahlmeister einen Schrei aus und ließ seine Waffe fallen. Der Schuß eines versteckten Chinesen hatte seinen Arm durchschlagen. In Sekundenschnelle folgten noch zwei weitere Schüsse des unsichtbaren Schützen, aber da hatten wir uns schon hingeworfen, und die Kugeln zischten über uns hinweg.
Wieder fauchte ein heißer Windstoß über die Anhöhe, daß wir vor Schmerz aufstöhnten. Da befahl Rolf ruhig: „Wir müssen den Engpaß hinunter. Ich werde hier am Rand aufpassen und sofort das Feuer erwidern, wenn auf euch geschossen wird. Ihr müßt vor allen Dingen blitzschnell Deckung hinter den Gefallenen und am Rand des Platzes suchen. Laßt euch einfach hinunterfallen, dann werdet ihr kaum von einem Schuß getroffen." Sein Rat war die einzige Rettung, und der kleine Tomo befolgte ihn zuerst. Er kroch an den Rand der Anhöhe und rollte einfach den steilen Pfad hinunter. Das ging so schnell, daß die Chinesen wohl gar nicht zum Zielen gekommen waren, denn es fiel kein Schuß. Als zweiter folgte der verwundete Zahlmeister. Er war nicht so flink, und sofort krachte ein Schuß aus dem Wald heraus, der aber zum Glück nicht traf. Doch Rolf hatte den Schützen entdeckt; blitzschnell warf er seinen Schuß hinunter, und ein gellender Aufschrei bewies, daß dieser gefährliche Feind erledigt war. Auf die anderen Kulis wirkte der Tod ihres Scharfschützen offenbar sehr einschüchternd, denn die anderen Holländer ließen sich unbehelligt von der Anhöhe hinab. Inzwischen hatten wir Zeit gefunden, neue Ladestreifen in unsere Waffen zu schieben, und das zu unserem Glück. Offenbar dachten die Kulis, daß wir jetzt alle in dem engen Pfad wären, denn plötzlich stürmten sie unter gellendem Geschrei aus dem Wald und hinter ihren Hütten hervor. Hätten Rolf und ich nicht zufällig noch am Rand der Anhöhe gelegen, so wären wir wohl verloren gewesen, so aber empfingen wir die Anstürmenden mit einem rasenden Schnellfeuer. Unter Zurücklassung einiger Genossen stürzte die Horde wieder in Deckung zurück. Diesen Widerstand hatten sie doch nicht mehr erwartet. Aber auch wir mußten jetzt von unserem Standpunkt herab, denn die Glut hatte bereits den Waldrand erfaßt, und die Temperatur war höllenmäßig. Ich hatte das Gefühl, daß sich meine Haut in Blasen zog, so glühend strichen die Windstöße über uns hinweg. „Hinunter!" rief Rolf auch im gleichen Augenblick, und ohne weiteres Besinnen ließen wir uns in den steilen Pfad hinunter gleiten. Glücklicherweise wuchsen an den Rändern einige dichte Bambusbüsche, hinter denen wir Deckung nehmen konnten. Auch die Holländer und Tomo hatten sich dort zusammengedrängt und blickten uns nun ängstlich, mit stummer Frage in den Augen an. „Es gäbe noch eine Rettung für uns", sagte Rolf plötzlich, „wir müssen den Wald hier unten rechts vor uns gewinnen. Die Kulis stecken zwar dort hinter den Bäumen, aber wir können uns dann auch hinter den riesigen Stämmen schützen. Es ist das einzige Mittel, denn der Brand hinter uns wird bald den Engpaß hier erfaßt haben. Und jetzt im Augenblick sind die Kulis noch durch unsere letzten Schüsse so erschreckt, daß wir jetzt die beste Aussicht haben, unbeschossen in Sicherheit zu kommen. Los, meine Herren, hier können wir uns nicht lange besinnen." Wohl fielen jetzt noch verschiedene Schüsse, und die Kugeln zischten von allen Richtungen her um uns herum, aber in der Geschwindigkeit, mit der wir dem Wald zusprangen, boten wir ein schlechtes Ziel und kamen unverletzt unter den Bäumen an. Sofort schmiegten wir uns eng an die Stämme, peinlich darauf bedacht, völlige Deckung zu finden. Denn rings waren wir von Kulis umgeben, vielleicht nur wenige Schritte entfernt, die jetzt natürlich alles daran setzen würden, um uns eine wohl gezielte Kugel senden zu können.
Ein lauter Schrei ließ mich um den mächtigen Baum, an den ich mich geschmiegt hatte, herum schauen. Ein furchtbares Bild bot sich mir. Der kleine Tomo hatte Unglück gehabt. Er war unter einen Baum gesprungen, hinter dem bereits ein Kuli auf der Lauer lag. Jetzt hatte ihn der gelbe Bursche mit der Linken fest im Genick gepackt und schwang mit der Rechten ein großes Messer, um es ihm durch die Kehle zu stoßen. Schreckerfüllt riss ich meine Parabellum heraus, aber da krachte schon dicht hinter mir Rolfs Waffe - und Tomo war frei. Jetzt zeigte der kleine Bursche seine Unerschrockenheit, denn kaum aus drohender Lebensgefahr befreit, nickte er Rolf vergnügt lachend zu, bückte sich dann über seinen toten Gegner und nahm ihm die Waffen ab.
3. Kapitel Auf Pongos Spuren
Ich lächelte noch über den tapferen Kleinen, als dicht neben meinem Kopf eine Kugel in den Baum einschlug. Da zog ich es doch vor, mich in Sicherheit zu bringen, das heißt, ich schlüpfte schnell auf die andere Seite des Urwaldriesen. Aber hier schien ich vom Regen in die Traufe gekommen zu sein, denn kaum hatte ich meinen neuen Posten eingenommen, als schon drei Schüsse fielen, von verschiedenen Seiten auf mich abgegeben. Die Kugeln zischten unangenehm nahe an meinem Gesicht vorbei. Da warf ich mich schnell auf den Boden. Hier bot mir das dichte Gestrüpp guten Schutz. Auch Rolf und die Holländer mußte sich hingeworfen haben, denn es fiel kein Schuß mehr.
Jetzt verstrichen sehr unangenehme Minuten. Die Feinde waren ringsum und wußten unseren Standort. Lebend wollten sie uns auf keinen Fall entkommen lassen, und so konnten wir mit sehr gefährlichen Überraschungen rechnen. Auch die Atjeher waren sehr zu fürchten, denn jetzt hatte der von ihnen angelegte Waldbrand sein Ende erreicht, nachdem alles Holz auf dem Plateau ausgebrannt war. Sicher näherten sie sich jetzt von beiden Seiten des Engpasses, durch den wir uns gerettet hatten, der Ansiedlung und schlössen uns dadurch im Rücken ein. Es schien mir wirklich, als wenn sich meine Ahnungen auch stets im Augenblick bestätigten, denn jetzt klangen plötzlich die bekannten Rufe auf, mit denen sich die Eingeborenen verständigten. Und die Rufe näherten sich von beiden Seiten dem Engpaß in unserem Rücken. Gleichzeitig wurde es rings um uns im Wald lebendig, denn die chinesischen Kulis gaben jetzt ihren Verbündeten durch schrille Rufe Kunde von dem Geschehenen und deuteten vor allen Dingen den Ort an, an dem wir versteckt lagen. Jetzt schien es also doch zum letzten Kampf zu kommen. Ich füllte schnell wieder die Magazine meiner Pistolen, fest entschlossen, mein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Aber da wandelten sich die anfeuernden Rufe der Kulis plötzlich in schrille Angstschreie, und jetzt brachen einige der Burschen sogar in wilder Flucht dicht an meinem Versteck vorbei. Die Erklärung dieser jähen Wendung wurde uns bald offenbar, denn nun schmetterte eine Trompete ein Angriffssignal, und im nächsten Augenblick rollte eine schwere Salve durch den Wald. Wilde Todes- und Schmerzschreie folgten, und immer mehr Gestalten suchten ihr Heil in kopfloser Flucht.
Wir blieben ruhig liegen, denn es widerstrebte uns, auf die Fliehenden zu schießen. Sie würden ja auch kaum ihrem Schicksal entgehen, denn die Legionäre würden sie planmäßig so lange verfolgen, bis der letzte sein wohlverdientes Schicksal erlitten hätte. Auch die Atjeher würden ihren Aufstand bitter zu bereuen haben, denn in dieser Beziehung verstanden die Holländer keinen Spaß. Diesen Stamm, der ständig zu kriegerischen Aktionen bereit war, bekämpften sie stets mit äußerster Energie. Eine zweite Salve prasselte durch den Wald, und die Kugeln sausten wie ein Bienenschwarm über uns fort. Jetzt wurde die Situation sogar bedenklich für uns, denn wenn die Soldaten uns entdeckten, konnten wir leicht einen Schuß erhalten, ehe wir Gelegenheit fanden, uns zu erkennen zu geben. Da wurde der ältere Regierungsrat unser Retter, der jetzt, kaum daß die Salve verklungen war, mit lauter Stimme rief, daß er sich mit den anderen Herren hier befände.
Nach wenigen Augenblicken waren wir von Legionären umringt, die offenbar sehr erstaunt waren, uns noch am Leben zu finden. Und plötzlich brach auch Meerkerk, der frühere Wirt dieser Siedlung, durch die Büsche und schüttelte uns erfreut die Hände. Wie es sich dann im Laufe des Gesprächs herausstellte, war er zwei Stunden nach Pinh in Selimeum eingetroffen. Der dortige Wirt, Diersch, hatte telefonisch bereits die Küstenstation Kota-Radjah benachrichtigt, und Colonel van Graeve war bereits mit einer Kompanie Legionäre unterwegs. Aber alle hatten weder Hoffnung für die Regierungsbeamten noch für uns gehabt. Während die Soldaten die Verfolgung wieder aufnahmen, verabschiedeten wir uns von den Holländern. Auch van Graeve war hinausgekommen und wollte es gar nicht zugeben, daß wir wieder in den Urwald gingen. Als er aber hörte, daß es sich um die Rettung eines jungen Mädchens handelte, stellte er sich sogar selbst mit einigen Leuten zur Verfügung. Wir schlugen es aber ab, denn wir wollten Pongo allein folgen. Der schwarze Riese wog in unseren Augen gut eine halbe Kompanie Soldaten auf. Wir mußten einen großen Bogen um den ausgebrannten Teil des Waldes machen, dessen Boden immer noch glühte, und hauptsächlich dem Spürtalent des kleinen Tomo war es zu verdanken, daß wir bald den Pfad wiederfanden, auf dem wir uns von Pongo getrennt hatten. Wir verfolgten ihn aber nicht lange, denn plötzlich bog der kleine Malaie scharf nach links um ein großes Bambusgebüsch ab. Und da zeigte sich ein anderer, schmalerer Pfad, der offenbar nicht von einem Großwild, sondern von der gewaltigen Kraft Pongos gebrochen war. Und dieser Pfad führte direkt auf den Vulkan zu, wie wir aus der Richtung bald feststellten. Pongo hatte ja auch von einer Höhle gesprochen, in der er offenbar die junge Engländerin verborgen gehalten hatte.
Anderthalb Stunden folgten wir dem Pfad, der zuletzt anstieg, dann wurde das Unterholz lichter, und bald sahen wir auch die Felswand aus dem Grün hervor schimmern. „Tuan, dort ist die Höhle", sagte Tomo und zeigte auf ein dichtes Gebüsch, das aus den feinen Wedeln der Baumfarne gebildet war. Dann blieb er mit weit vorgestrecktem Arm stehen, wandte langsam den Kopf und blickt uns mit groß gewordenen Augen ängstlich an. So spaßig er auch in diesem Augenblick aussah, so war uns doch gar nicht zum Lachen zumute.
Denn aus dem Gebüsch, höchstens fünf Meter vor uns, schob sich langsam der Körper eines mächtigen „Matjang tutul itum", des schwarzen Sudanpanthers. Und ein kurzes Fauchen hinter dem Gebüsch belehrte uns, daß dort noch das Weibchen dieses riesigen Herrn steckte. Mit halbem Leibe hatte sich der Panther durch das Gebüsch geschoben, da gewahrte er uns. Sofort stand er ebenso reglos wie wir und starrte uns aus seinen großen, grünen Augen an.
Offenbar war er so überrascht, daß er nicht wußte, was er tun sollte.
Für uns war die Situation mehr als peinlich. Gewiß, mit einem sicheren Schuß aus der Parabellum hätten wir ihn leicht erlegen können, aber dann hätte uns das Weibchen mit derartigem Ansturm angegriffen, daß wenigstens einer von uns schwer verwundet, wenn nicht gar getötet worden wäre. Jetzt fauchte es wieder, als wollte es seinen Herrn auffordern, doch weiterzugehen.
Der riesige Panther wandte seinen Kopf halb zurück, und sofort hob ich die Pistole, denn jetzt hatten wir das beste Ziel. Aber Rolf flüsterte leise: „Warte!"
Sofort schnellte der mächtige Kopf unseres Gegners bei diesen leisen Worten herum, und die grünen Augen starrten wieder argwöhnisch und gereizt auf die fremden Gestalten, die hier in sein Reich eingedrungen waren. Jetzt erwartete ich ganz bestimmt seinen Angriff und freute mich, daß ich meine Waffe schon schußbereit erhoben hatte - da fauchte das Weibchen zum drittenmal, aber jetzt war es mehr ein kurzes, gereiztes Brüllen. Und, dann erfolgte ein entsetzlicher Schrei aus menschlicher Kehle, der in einem dumpfen Fall abbrach und in stöhnendem Röcheln ausklang. Das Pantherweibchen hatte also einen Menschen, der ahnungslos von der anderen Seite gekommen war, niedergerissen.
Ich blickte Rolf entsetzt von der Seite an. Wer mochte das gewesen sein? Etwa Pongo, der uns vielleicht erwarten wollte und nun dem heimtückischen Angriff der Raubkatze zum Opfer gefallen war? Da deutete Rolf mit dem Kopf auf das Farngebüsch, und als ich wieder hinblickte, da sah ich gerade den mächtigen Körper des Panthers mit schlangengleichen Bewegungen verschwinden.
„Rolf, ob es Pongo war?" flüsterte ich jetzt.
„Nein, der schwarze Riese hätte sich nie und nimmermehr von einem Panther niederreißen lassen. Ich vermute, daß es ein Mitglied der Bande Fu Dans war, der vielleicht noch irgendwas aus der Höhle holen sollte."
„Was machen wir aber jetzt? Wir können doch unmöglich durch das Gebüsch dringen, denn dann laufen wir ja den Panthern direkt in die Fänge."
„Oh, das können wir doch, denn ich denke, daß sie sich verzogen haben. Du mußt bedenken, daß noch vor wenigen Stunden Pongo hier war, also kann das Pantherpärchen erst jetzt hierhergekommen sein. Vielleicht wollte es die Höhle in Besitz nehmen, wird sich aber jetzt durch unseren und des Chinesen Besuch zu sehr gestört fühlen. Komm, wir können es ruhig wagen." Und ehe ich ihn hindern konnte, drängte er sich schon durch das Farngebüsch. Natürlich folgte ich ihm sofort, um bei einem eventuellen Zusammenstoßen mit den schwarzen Panthern sofort zur Stelle zu sein. Doch Rolf sollte recht behalten. Das Gebüsch war nicht sehr tief, schon nach einigen Schritten traten wir auf eine kleine, halbkreisförmige Lichtung, die vor uns von der hohen Felswand des Vulkans Sejawa djanten begrenzt war. In der Mitte der Wand zeigte sich eine schmale Spalte - der Eingang zur Höhle Pongos.
Wenige Schritte rechts von uns lag der Körper eines chinesischen Kulis. Von den Panthern war nichts zu sehen, so traten wir näher und beugten uns über den Toten. Ein unbekanntes, verzerrtes Gesicht mit gebrochenen Augen starrte uns entgegen. Hals und Brust waren von den scharfen Pranken der Raubkatze zerrissen; der Tod mußte aber durch Bruch des Genicks erfolgt sein, denn der Kopf hing unnatürlich weit nach hinten gebeugt. „Schade, daß er nicht mehr reden kann", brummte Rolf, „das heißt, er hätte uns wohl doch nichts verraten. Wollen aber mal seinen Gürtel untersuchen, vielleicht finden wir irgend etwas, was uns Aufschluß über die Bande des Fu Dan gibt."
Er zog die Waffen des Toten aus dem breiten Tuch, das sich der Chinese um die Hüften geschlungen hatte: zwei schwere, moderne Browningpistolen und einen malaiischen Kris mit eigenartigem, kunstvoll geschnitztem Holzgriff. In dem schwarzen Holz leuchteten drei chinesische Schriftzeichen, die in Perlmutter eingelegt waren, Rolf betrachtete den Griff genau.
„Ob dieser Dolch vielleicht ein Zeichen der Bande ist?" meinte er endlich sinnend. „Ich habe wenigstens noch nie eine derartige Verzierung des Griffes bei einem malaiischen Kris gesehen. So etwas bekommen nur die Chinesen mit ihrer unendlichen Geduld fertig. Jedenfalls werde ich mir diesen Kris aufbewahren."
„Die Bande scheint sehr gut ausgerüstet zu sein", sagte ich, indem ich die Browningpistolen betrachtete. „Wollen wir sie mitnehmen?"
„Na, wir haben zwar unsere Waffen sämtlich wieder, haben noch dazu die Parabellumpistolen Meerkerks bekommen, aber ich glaube, daß wir augenblicklich gar nicht genug Waffen bei uns haben können. Also wollen wir uns jeder eine Pistole nehmen."
Damit schob er sich die Waffe in seinen Gürtel, und ich folgte seinem Beispiel. Auch dreißig Patronen, die wir in einem kleinen Lederbeutel im Gürtel des Toten fanden, teilten wir uns. Dann trugen wir den leblosen Körper an den Rand der Lichtung und bedeckten ihn mit breiten Farnwedeln.
Der kleine Tomo war inzwischen einige Schritte vor der Felsenspalte stehengeblieben und starrte ängstlich in die dunkle Öffnung. Auf die Frage Rolfs, was er befürchte, meinte er, daß die beiden Matjangs sich leicht in der Höhle verborgen haben könnten. Da zeigte ihm aber Rolf nur die lockere Erde vor dem Eingang, die zwar Spuren menschlicher Füße - darunter auch Pongos, die an ihrer Größe leicht zu erkennen waren -, aber keine Pantherfährte zeigte. Jetzt war der Kleine beruhigt und schlüpfte in die Spalte. Wir zwängten uns hinterher und schalteten unsere Taschenlampen ein.
Der Gang war echt vulkanischer Natur, unregelmäßig in den Fels gerissen. Er führte weit ins Innere des Berges, wobei wir viele Seitengänge bemerkten, an denen aber Tomo vorbei schritt. Sie wären „nicht gut" zu begehen, erklärte er uns, womit er wohl meinte, daß dem achtlosen Eindringling dort der Tod drohe. Endlich gelangten wir in eine gewaltige, domartige Höhle, die mit wunderbaren Tropfsteingebilden geschmückt war.
Während Tomo aufmerksam die Gänge an der rechten Seite abzählte, meinte ich zu Rolf:
„Weshalb sind wir eigentlich hier so weit eingedrungen? Es
ist schade um die schöne Zeit. Pongo ist ja doch nicht hier, und womöglich werden seine Zeichen, die er uns hinterlassen hat, durch menschliche Hände - wie des Chinesen da oben - oder durch Tiere zerstört. Wir hätten ruhig von der Lichtung seinem Weg folgen sollen." „Umsonst wird er dem kleinen Tomo nicht befohlen haben, uns in die Höhle zu führen", entgegnete mein Freund. „Vielleicht hat er seine Zeichen hier unten angebracht und hat den Berg auf einem anderen Weg verlassen. Vielleicht gibt es einen anderen Gang, der den Weg Fu Dans abschneidet."
„Ah, du meinst, daß sich Fu Dan mit seinem Raub schleunigst der Küste zugewandt hat?"
„Ja, ich vermute, daß er sich in der Nähe von Segli einschiffen will, sicher auf einem Fahrzeug der Bande. Denn im Hafen selbst wird er mit Miß Abednego kaum einen Dampfer betreten können. Und er muß um den ganzen Vulkan herum flüchten, während Pongo ganz sicher einen abschneidenden Weg durch das Innere des Berges kennt."
Der kleine Malaie war stehengeblieben und winkte uns eifrig zu kommen. Wir bogen nach rechts in den wenige Meter entfernten Gang und gelangten nach kurzer Zeit in eine kleine Höhle, die sich durch merkwürdig frische, angenehme Luft auszeichnete.
„Hier müssen enge Spalten ins Freie führen", stellte Rolf fest, „ah, und dort ist auch ein ganz praktischer Herd eingerichtet. Und hier ein wunderbares Lager aus weichsten Fellen! Nun, Pongo hat für seinen Schützling sehr gut gesorgt, das kann man wohl ruhig behaupten. Sieh da, Tomo hat den Koffer der jungen Dame hervorgeholt. Nanu, willst du ihn denn mitnehmen?" „Ja, Tuan, hat Pongo befohlen", sagte der Kleine. „Richtig", gab Rolf zu, „wenn wir die Dame retten, muß sie auch sicher ihre Garderobe haben, denn Fu Dan wird ihr nicht lange Zeit zum Ankleiden gelassen haben. Ah, und jetzt kann ich mir auch denken, daß er den Kuli, der dem Pantherweibchen in den Weg gelaufen ist, nur geschickt hat, um den Koffer zu holen. Dann wird er sich aber sehr sicher fühlen, denn er kann sich doch denken, daß Pongo ihm auf der Spur ist."
„Er wird nicht gedacht haben, daß Pongo uns im Atjeher-lager so schnell befreien konnte. Und dann wird er sich auch auf seine Leute in der Ansiedlung verlassen haben, die uns auch sicher erledigt hätten, wenn die Legionäre nicht gekommen wären", warf ich ein. „Stimmt, und an der Küste wird sicher ein Schoner mit einem großen Teil seiner Bande liegen, da fühlt er sich selbst vor Pongo sicher."
„Hoffentlich erfahren wir auch bald, weshalb Pongo den Chinesen so oft geschont hat, obwohl es ihm ein leichtes gewesen wäre, ihn unschädlich zu machen." „Ja, das hoffe ich auch. Aber komm, Tomo wird schon ungeduldig."
Der kleine Malaie hatte sich den Koffer auf die Schulter gehoben und war bereits in den Gang getreten, der zur großen Höhle führte.
„Tuan, schnell, Pongo wartet", drängte er. Anscheinend war ihm der riesige Neger mit dem furchtbaren Gorillakopf eine Art Übermensch, ein Halbgott, vor dem er entsetzliche Angst hatte. Aber diese Angst hatte ihn auch aus unserem Gegner zu einem sehr treuen Gehilfen werden lassen.
Jetzt schritt er im Schein unserer Lampen schnell vor uns her. Nach wenigen Schritten bemerkten wir auch die Zeichen Pongos: verdorrte Zweige, die er im Abstand von einigen Metern in die rissige Wand gesteckt hatte. Wir durchquerten fast die ganze Höhle in ihrer gewaltigen Ausdehnung, dann war an einem engen Nebengang ein Zweig so gesteckt, daß seine geknickte Spitze in den Gang hineinragte.
Ohne auch nur nur einen Augenblick zu zögern, schlüpfte Tomo in die enge Öffnung, und wir folgten ihm, allerdings ziemlich mühsam. Der Gang war sehr niedrig und schmal, und die mannigfaltigen Zacken und Spitzen, mit denen Wände und Decken besät waren, ließen manches schmerzhafte Andenken auf unseren Körpern zurück. Wie der riesige Pongo hier durchgekomen war, konnte ich mir nur damit erklären, daß er auf Händen und Füßen gekrochen sein mußte.
Eine lange Strecke war kein Zeichen zu sehen, und schon befürchtete ich, daß wir doch in einen falschen Gang geraten seien, da war wieder ein Zweig angebracht, dessen Spitze auf ein Loch zeigte, das, groß genug zum Durchkriechen, dicht über dem Boden in der linken Felswand gähnte.
Tomo hatte haltgemacht und blickte nachdenklich in die Öffnung. Rolf schob ihn zur Seite, streckte Arm und Kopf in die Öffnung und leuchtete hinein. Dann schob er sich vollends hinein, rief uns zu, „ihr könnt kommen!" und verschwand völlig. Schnell schob Tomo den Koffer hinein und folgte, während ich den Schluß machte. Staunend blickte ich mich um, als ich mich aufgerichtet hatte. Wieder standen wir in einer riesigen Höhle, deren Ausmaße die zuerst durchschrittene noch bei weitem zu übertreffen schienen. Welch ein Fund wäre das für die Höhlenforscher gewesen, die sich ja gerade jetzt so lebhaft betätigten. Aber ich hatte nicht lange Zeit zu derartigen Erwägungen, denn Rolf und Tomo hatten sich bereits eine ziemliche Strecke entfernt. Schnell eilte ich ihnen nach, und nun wanderten wir ziemlich zwei Stunden durch die gigantische Höhle, von Zeit zu Zeit durch die Zeichen Pongos belehrt, daß wir auf dem rechten Weg waren. Endlich waren wir am Ende dieses Naturwunders angelangt, und hier wies ein Zweig in eine enge Spalte, deren Boden nach dem Betreten ziemlich steil emporstieg. „Jetzt werden wir ins Freie kommen!" meinte Rolf. Und richtig, wir waren höchstens fünfzehn Minuten emporgestiegen, als uns Tageslicht entgegen schimmerte. Und bald standen wir auf einem engen Pfad, anscheinend von einem Nashorn getreten, der sich am Felsen hinzog, während vor uns der undurchdringliche Urwald stand. Undurchdringlich im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann sich nur schwer einen Begriff von einem derartigen Urwald machen, wie er speziell auf dem Alluvialboden Sumatras gedeiht. Ein Gewirr von Zweigen und Ranken, Dornen und dicken Lianentauen. Jeder Zoll müßte hier mit dem Hackmesser erobert werden. Nur ein Dickhäuter kann sich hier einen Weg schaffen, den er dann beim ständigen Wechsel immer fester stampft. Ja, in weichem Fels gibt es sogar tiefe Höhlungen auf einem derartigen Nashornpfad, die durch die Urwaldriesen tief ins Gestein hineingetreten sind. So ähnlich war es auch hier.
„Wir müssen hier nach links abbiegen", entschied Rolf, „denn hier scheint sich der Weg zu senken. Ah, da hat Pongo auch die junge Sagopalme geknickt und ihren Wipfel in diese Richtung gedreht. Ich schätze, wir sind hier höchstens zweihundert Meter hoch, denn in den oberen Regionen ist der Wald lichter. Dann werden wir vielleicht in zwei Stunden rüstigen Marsches das Flachland erreicht haben."
Rolf schritt jetzt voran, während ich wieder den Schluß machte. Zwischen uns ging der kleine Tomo mit dem Koffer. Mein Anerbieten, ihm seine Last abzunehmen, hatte er energisch abgelehnt mit dem Bemerken, daß Pongo es verboten hätte, da wir stets unbehindert zum Gebrauch unserer Waffen sein müßten. Das war ja auch richtig und von Pongo sehr wohl überlegt, denn abgesehen von Großwild und Raubkatzen, die hier in diesen Wäldern massenhaft vorkommen, hatten wir ja auch die hinterlistigen Chinesen vor uns, und die Leute, die Fu Dan persönlich um sich versammelt hatte, waren sicher die verwegensten und schlauesten Mitglieder der Bande.
Längere Zeit führte der Pfad dicht am Felsen entlang, dann bog er tiefer in den Urwald und senkte sich immer stärker. Mehrfach wurde er von anderen Wechseln durchkreuzt, aber immer hatte Pongo dann ein Zeichen angebracht, das uns den richtigen Weg wies.
Plötzlich stand mitten im Pfad ein Zeichen, das wir zuerst nicht erklären konnten. Es waren zwei Zweige, die so in die Erde gesteckt waren, daß sich ihre Spitzen kreuzten. Sie waren aber wieder geknickt und wiesen geradeaus auf eine kleine Lichtung, in die der Pfad mündete. „Was kann das bedeuten?" fragte ich leise. „Zwei gekreuzte Zweige?" brummte Rolf, „hm, bei dem doch ziemlich naiven Sinn Pongos soll es wohl heißen, daß wir uns decken sollen, das heißt vor irgendeiner Gefahr auf der Hut sein sollen. Vielleicht ist hier auf dieser Lichtung ein beliebter Aufenthaltsort der Chinesen?" Wir hatten natürlich so leise gesprochen, daß wir selbst uns mehr an der Bewegung der Lippen als aus den Tönen verstanden hatten. Ein längeres Zögern hatte auch keinen Zweck, denn ich mußte Rolf recht geben, daß Pongos Zeichen wohl auf irgendeine Gefahr aufmerksam machen sollte. So zogen wir unsere Browningpistolen und betraten vorsichtig die Lichtung. Der kleine Tomo hielt sich jetzt hinten, da er bei einem eventuellen Zusammentreffen mit den Chinesen uns sonst hinderlich gewesen wäre. Unendlich behutsam, auf jedes Geräusch achtend, schritten wir weiter. Wir beobachteten auch genau die Gebüsche auf irgendeine verdächtige Bewegung, denn wie leicht hätte uns ein heimtückisch verborgener Schütze niederstrecken können. Aber kein verdächtiges Geräusch, keine Bewegung in den Zweigen war zu merken. „Die Chinesen werden sich schon verzogen haben", meinte ich halb lachend, als wir uns in der Mitte der Lichtung befanden. Doch da kam die Gefahr schon, aber es waren nicht die Kulis.
Denn urplötzlich stürmte von der linken Seite hinter einem dichten Bambusgebüsch hervor ein riesiger Schatten unter gefährlichem Schnauben auf uns zu. Gott sei Dank hatte uns das lange Leben in der gefährlichen Wildnis gelehrt, keinen Augenblick die Geistesgegenwart zu verlieren, und so sprangen wir sofort mit gewaltigem Satz auseinander und zur Seite, und zwischen uns hindurch schoß der mächtige Angreifer.
„Ein Banteng-Stier!" brüllte Rolf, „Parabellum heraus!" Jetzt hieß es schnell die Browning-Pistole in ihr Futteral zurückzuschieben und die Parabellum herauszureißen. Wenn diese Pistolen infolge ihrer Länge auch etwas unbequem zu tragen waren, so wirkten ihre schweren Kugeln doch durch ihre enorme Durchschlagskraft, selbst beim stärksten Großwild.
Und wir hatten jetzt einen äußerst gefährlichen und starken Gegner vor uns. Es war ein Banteng, das Urwild Sumatras, und ein riesiger, alter Stier, ein sogenannter Einsiedler. Diese Gesellen sind infolge ihrer Unverträglichkeit von der Herde ausgestoßen, leben mürrisch und ständig gereizt im dichtesten Urwald und erklären jedem Lebewesen, das unbedacht ihren Weg kreuzt, den Krieg. Durch die Wucht seines Anpralles war er einige Meter vorgeschossen, Zeit genug für uns, um unsere Pistolen zu wechseln und noch einen Satz rückwärts zu springen. Da warf sich schon der Stier herum und stürmte auf Rolf los, der ihm am nächsten stand.
4. Kapitel Die Schmuggler-Dschunke
Rolf feuerte einen Schuß auf die anstürmende Bestie ab, doch hörte ich keinen Anschlag der Kugel. Die Bewegungen waren zu schnell vor sich gegangen, so daß der sonst so treffsichere Freund einen Fehlschuß getan hatte. Jetzt warf er sich zur Seite und setzte in gewaltigen Sprüngen auf den nächsten Baum zu. Der Stier stürmte sofort hinterher. Ich hatte den mächtigen Schädel seitwärts von mir und feuerte nach blitzschnellem Zielen auf die Schläfengegend meinen ersten Schuß ab. Aber ich merkte am Klang der einschlagenden Kugel sofort, daß ich einen starken Knochen getroffen hatte; der Stier war also nicht schwer verletzt, sondern jetzt nur noch mehr gereizt. Er warf sich sofort herum und stürmte auf mich los. Zwar gab ich noch einen Schuß mitten auf den einstürmenden Schädel ab, hörte auch Rolfs Waffe zweimal krachen, dann mußte ich aber das Feld räumen. Ich drehte mich um und sprang auf einen mächtigen Tamarindenbaum zu. Hinter mir donnerte der Boden unter den Hufen des Stieres, ein Geräusch, das meine Eile erheblich vergrößerte. Blitzschnell schlug ich einen Haken um den mächtigen Stamm, wobei ich allerdings in verschiedene, sehr unangenehme Dornenranken geriet, aber der gefährliche Verfolger raste dicht an mir vorbei und prallte in ein hohes Farngebüsch. Sofort nahm ich hinter dem Stamm Deckung und feuerte, zwar atemlos, aber doch wesentlich ruhiger, zwei Schüsse dicht hinter das Auge des herum schnellenden Burschen. Und da krachte auch rechts von mir Rolfs Waffe. Der Stier quittierte die Kugeln mit wütendem Gebrüll und, obwohl er schwer verwundet sein mußte, gab er noch keineswegs den Kampf auf, sondern stürmte jetzt dicht an dem Baum, hinter dem ich mich gedeckt hatte, vorbei auf Rolf los, der, völlig frei, mitten auf der Lichtung stand. Und der Stier entwickelte eine derartige Schnelligkeit, daß mir um meinen Freund bange wurde. Der nächste Baum, hinter dem er sich hätte schützen können, war ein riesiger Rasamal, ungefähr zwanzig Meter von ihm entfernt. Aber dessen Stamm war derartig mit verwuchertem Dornengestrüpp umgeben, daß er unmöglich eindringen konnte. Auch mußte ihn der rasende Stier auf dieser Strecke schon eingeholt haben.
Ich überblickte die Gefährlichkeit der Situation sofort und sprang einen Schritt seitwärts, um ein besseres Schußfeld zu haben. Und während Rolf in Sätzen, wie ich sie noch nie von ihm gesehen hatte, dem Rasamal zustürmte, zielte ich ruhig auf die Hinterhand des Banteng. Zwei Schüsse schickte ich ihm nach und hatte gut getroffen, denn der Koloß zuckte zusammen, machte noch einen schwerfälligen Sprung und knickte dann hinten ein. Die schweren Kugeln mußten ihm also das Rückgrat zerschlagen haben. Dann sah ich, daß Rolf noch immer in seinen gewaltigen Sprüngen auf den Rasamal zuschnellte, und mußte unwillkürlich laut auflachen.
„Hallo, Rolf!" rief ich; „du kannst ihm den Gnadenschuß geben."
Mein Freund blieb sofort stehen und drehte sich rasch um.
„Du hast gut lachen", rief er zurück; „ich glaube, er hätte mich doch erwischt, wenn du ihn nicht so gut getroffen hättest."
Dann trat er ganz dicht an den Stier heran, zielte einen Augenblick und gab ihm die erlösende Kugel ins Auge. Mit kurzem Aufbäumen stürzte der schwere Körper zur Seite, zuckte noch wenige Augenblicke und streckte sich dann. Staunend betrachteten wir das riesige Wild. Es war ein ganz enorm großes Stück, und wir bedauerten tief, daß wir die Decke und das Gehörn nicht für ein Museum retten konnten. Ein solch prächtiges Exemplar dieses Wildrindes besaß wohl keine zoologische Schau. Endlich rissen wir uns von diesem für uns schönen Bilde los und wandten uns zum Weitergehen. Da erst bemerkten wir, daß der kleine Tomo mit seinem Koffer fehlte. Wohin er beim Angriff des wütenden Stieres geflüchtet war, hatten wir nicht bemerkt. Leise rief ihn Rolf, und sofort kam von oben Antwort. Als wir jetzt emporblickten, mußten wir doch an uns halten, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Es war auch ein urkomisches Bild, das sich uns da bot. Der kleine Boy saß in mindestens zehn Meter Höhe auf dem Ast eines riesigen Tamarindenbaumes am Eingang der Lichtung. Aber er hatte - krampfhaft den Koffer in der Hand. Wie es ihm möglich gewesen war, mit dem ziemlich schweren Gepäckstück so hoch hinaufzuklettern, ist mir heute noch ein Rätsel, aber wir konnten daraus sehen, daß die Furcht vor Pongo, der ihm offenbar den Koffer auf die Seele gebunden hatte, selbst die Angst vor dem Stier überwog. Jetzt saß der kleine Kerl da und traute sich offenbar mit der hindernden Last nicht herabzuklettern. Erst als wir unter den Baum getreten waren und ihm zuriefen, er solle uns den Koffer herunter werfen, erhellten sich seine Züge und strahlten wieder die vergnügte Pfiffigkeit aus, die sie sonst erfüllte. Wir fingen das herunterfallende Gepäckstück auf, und Tomo kletterte flink wie ein Wiesel von Ast zu Ast herunter. Unten nahm er uns sofort den Koffer wieder ab und bedankte sich für unsere Hilfe. Wir überschritten dann die Lichtung und sahen uns plötzlich in sehr unangenehmer Lage. Wir entdeckten nämlich wieder ein Zeichen Pongos an einer Stelle, von der sich außer dem geraden Pfad noch zwei andere abzweigten. Und eben dieses Zeichen hatte der Bantengstier überrannt. Der geknickte Zweig war aus der Erde gerissen und fort geschleudert worden. Jetzt war guter Rat teuer, denn Pongo hätte das Zeichen sicher nicht mitten auf die Pfadkreuzung gesetzt, wenn unser Weg geradeaus führen sollte. Dann hätte er nur einen Zweig in entsprechender Richtung umzuknicken brauchen. Also sollten wir einen der abzweigenden Wildwechsel benutzen. Aber welchen nun? Rolf brummte leise vor sich hin. Ich wußte, daß er jetzt scharf überlegte. Auch ich dachte eine Weile völlig nutzlos nach, bis es mir einfiel, den kleinen Tomo zu fragen, der vielleicht zufällig den richtigen Weg wußte. Als ich mich zu ihm umdrehte, machte er eine warnende Bewegung und legte den Finger auf die Lippen. Sofort stieß ich Rolf an, der mit seinem Brummen aufhörte und sich ebenfalls dem Malaien zuwandte. Tomo lauschte angestrengt in den links abzweigenden Pfad hinunter, dann winkte er uns plötzlich zu und zog uns über die Lichtung hinter ein mächtiges Bambusgebüsch. „Tuan, Mann kommt leise", flüsterte er dabei. Wir duckten uns unter die schützenden Zweige, gaben aber acht, daß wir die Lichtung und den Pfad überblicken konnten. Geraume Zeit verstrich, und schon wollte ich Tomo fragen, ob er sich nicht getäuscht hätte, als plötzlich ein Chinese aus dem Pfad auftauchte. Es war ein hünenhafter Mensch mit Augen, die unruhig und mißtrauisch hin und her wanderten. Er trug einen schmutzig-weißen Leinenanzug mit breitem Ledergurt, aus dem die Kolben zweier Pistolen und der Griff eines Messers ragten. Er machte den Eindruck eines gefährlichen Gegners, mit dem absolut nicht zu spaßen war.
Jetzt betrat er die Lichtung, stutzte einen Augenblick beim Anblick des toten Stieres und riß dann sofort eine Pistole aus dem Gürtel. Wir wagten kaum zu atmen, als sein Blick über das Gebüsch hinweg streifte, hinter dem wir kauerten; er schien aber endlich zu der Überzeugung zu kommen, daß sich die Leute, die den Stier getötet hatten, nicht mehr auf der Lichtung befinden, und schritt langsam auf den mächtigen Körper zu. Kopfschüttelnd betrachtete er die verschiedenen Einschlagstellen unserer Kugeln, die ihm wegen ihrer Kleinheit wohl auffallen mußten. Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er richtete sich mit jähem Zusammenzucken auf, drehte sich schnell um und spähte den Pfad entlang, der geradeaus hinabführte. Dann nickte er befriedigt und verließ mit leisen, aber weit ausholenden Schritten die Lichtung, indem er den linken Pfad einschlug, den er heraufgestiegen war.
Wir warteten noch eine geraume Zeit, ehe wir das schützende Gebüsch verließen. Dann sagte Rolf: „Ich bin überzeugt, daß dieser Pfad, der hier geradeaus führt, irgendein Geheimnis birgt, das dem, der es nicht kennt, den Tod bringt. Vielleicht irgendeine Fallgrube für Wild mit spitzen Pfählen oder auch irgendeine große Raubkatze, die dort ihren ständigen Standort hat. So ähnlich wie der berüchtigte ,man eater', ,Menschenfresser' Ostindiens. Warum sollte es hier nicht auch solche Tiger geben? Nun, wir werden wenigstens diesen Pfad vermeiden und dem Chinesen folgen. Also Ruhe und Vorsicht." Langsam schlichen wir den Pfad hinunter. Es war sehr unangenehm, daß er sich in dauernden Windungen hinzog, denn hinter jeder Biegung konnten wir auf einen Feind treffen. Stets hieß es, erst vorsichtig horchen und dann um die Ecke schauen, ob das nächste, gerade Stück des Weges auch frei und gefahrlos sei. Rolf hatte diese gefährliche Aufgabe übernommen, und obwohl er sich sehr beeilte, kamen wir doch für meine Empfindungen unendlich langsam vorwärts. Aus dem Erscheinen des Chinesen konnten wir schließen, daß sich Fu Dan in der Nähe befand, selbstverständlich mit Ellen Abednego, der geraubten Tochter des Lords. Und da drängte es mich förmlich, ihr zu Hilfe zu eilen und sie aus den Händen der gelben Kerle zu befreien.
Beinahe zwei Stunden dauerte unser Abstieg. Während dieser Zeit aßen wir gedörrtes Fleisch aus dem Vorrat, den uns die Legionäre mitgegeben hatte, denn jetzt waren wir seit Tagesanbruch bereits weit über acht Stunden unterwegs, die Zeit abgerechnet, in der wir mit den Atjehern und Chinesen an der Ansiedlung im Kampf gelegen hatten. Endlich blickte Rolf nach seinem üblichen Lauschen wieder um eine Biegung des Pfades und hob den Arm. Ein Zeichen, daß er etwas Auffälliges bemerkt hatte. Einige Minuten spähte er, während ich vor Unruhe und Neugierde schon ganz nervös wurde und ihn wiederholt anstieß. Dann schob er sich ein Stück zurück, drehte sich um und sagte ernst:
„Schau selbst, Hans, aber nimm dich zusammen. Gib keinen Laut von dir!"
Langsam und zögernd schob ich mich auf Händen und Füßen an den Rand des Pfades und spähte um den Knick. Es war gut, daß Rolf mich gewarnt hatte, sonst hätte ich wohl doch irgendeine Unvorsichtigkeit begangen. Wir waren am Strand angekommen, der sich ungefähr hundert Meter weit bis zum Meer hinzog. Ein kleines Zeltlager befand sich dicht am Wasser, und gerade führten zwei Chinesen eine Gestalt in weißem Gewand, die sich heftig sträubte, auf ein Boot zu, das im seichten Wasser lag. Es mußte Ellen Abednego sein, denn hinter der kleinen Gruppe schritt eine Gestalt, die ich nur zu gut wiedererkannte - Fu Dan.
Vielleicht wieder hundert Meter von Ufer entfernt lag eine chinesische Dschunke, wie man sie oft in den Gewässern des malaiischen Archipels trifft. Trotz der Entfernung erkannte ich an ihrem Bug drei eigentümliche Zeichen in weißer Farbe und wußte plötzlich, daß es genau dieselben waren, die sich auf dem Kris befanden, den Rolf jenem Chinesen abgenommen hatte, den das Pantherweibchen getötet hatte. Dann wandte ich den Blick wieder auf die Gruppe am Strand, die jetzt das Boot erreicht hatte. Unwillkürlich griff ich zum Gürtel, an den Kolben meiner Parabellum, als ich sah, wie heftig sich das junge Mädchen sträubte, da zog mich Rolf energisch zurück. „Es nutzt alles nichts", flüsterte er, „wir können gegen die Übermacht mit Gewalt nichts ausrichten. Und wir wollen vor allen Dingen auf Pongo warten, der sich schon melden wird. Blicke jetzt wieder hinüber, aber bleibe auf dem Boden liegen. Ich werde mich auf dich legen, dann können wir beide spähen, ohne allzu große Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden."
Ich schob mich wieder vor und griff dabei mit dem rechten Arm unwillkürlich tiefer unter den Strauch, um den wir blicken mußten. Dabei stießen meine Finger an einen harten Gegenstand, der sich wie Eisen anfühlte. Ich machte Rolf leise darauf aufmerksam, und jetzt untersuchten wir den Gegenstand genauer, indem wir uns halb unter den Strauch zwängten und unsere Taschenlampen gebrauchten. Und da fanden wir zu unserer Verblüffung - Pongos Massaispeer und seinen Klewang.
Langsam schoben wir uns zurück und blickten uns draußen verdutzt an. Dann meinte Rolf:
„Ich möchte wissen, wo er augenblicklich steckt. Paß auf, der ist da unten, mitten im Zeltlager der Chinesen. Komm, wir wollen schnell um die Ecke schauen, ob er vielleicht die junge Dame schon befreit."
Schnell, aber doch vorsichtig, kroch ich vor und lugte um die Ecke, während sich Rolf auf mich legte, so daß sein Kopf über dem meinen war. Aber da schwamm schon das Boot mit den Chinesen und Ellen Abednego weit vom Strand und hielt auf die Dschunke zu. Im Zeltlager aber herrschte reges Treiben. Kisten und Fässer wurden dicht an den Strand gerollt und die leeren Zelte zusammengeschlagen und verschnürt.
„Aha, mit Schmuggel befaßt sich die Gesellschaft auch!" brummte Rolf über mir, „nun, dann werden wir sie vielleicht in Singapore fassen. Wir können nicht weit von Segli sein, und ein holländisches Kanonenboot von dort erreicht die Malakka-Halbinsel drüben viel schneller als die alte Dschunke. Ein Telegramm an die dortige englische Polizei möchte ich nicht aufgeben, denn wer weiß, ob es nicht von der Bande aufgefangen wird. Hast du die Zeichen am Bug der Dschunke bemerkt? Es sind dieselben, die hier auf dem Kris des toten Chinesen mit Perlmutt eingelassen sind. Da werden wir die Dschunke in Singapore wiedererkennen." „Wenn sie nicht womöglich die Zeichen unterwegs übermalen", warf ich ein. „Das ist doch ein Kniff, den die Schmuggler und Seeräuber oft anwenden." „Donnerwetter, da hast du recht! Dann müssen wir sehen, daß wir uns das Fahrzeug an anderen Kennzeichen merken können. Aber leider haben ja die Dschunken meistens dieselbe Bauart. Doch halt, da sind mittschiffs drei Bullaugen eingebaut, die ich sonst bei derartigen Schiffen nie gesehen habe. Aha, da wird die ehrenwerte Bande wohl Aufenthaltsräume für entführte Mädchen geschaffen haben. Das scheint ja eine sehr vielseitige Gesellschaft zu sein. Und paß weiter auf, die ganze Bauart scheint mir viel schnittiger zu sein, als es sonst der Fall ist. Ob sie nicht einen starken Motor haben, der dem Fahrzeug eine hohe Geschwindigkeit verleiht?"
„Dann wird uns wohl auch das Kanonenboot nicht viel nützen."
„Doch! Denn selbst wenn wir später ankommen, erkennen wir die Dschunke jetzt doch auf jeden Fall wieder. Und zweiunddreißig Knoten, wie ein modernes Kanonenboot, wird sie auch bestimmt nicht machen. Ah, da kommt das Beiboot zurück! Jetzt werden sie wohl die Schmuggelware an Bord bringen und dann in See stechen. Dann können wir uns schnellstens auf den Weg machen." Es dauerte vielleicht noch eine Stunde, während der das Beiboot noch zweimal zur Dschunke ruderte und zehn Kulis neben der Schmuggelware und den Zelten hinüber brachte. Dann wurde das Boot an Deck gehißt, und die Mannschaft machte Anstalten, den Anker zu heben. Ich muß noch erwähnen, daß wir - um bequemer liegen und beobachten zu können - unsere Winchesterbüchsen dicht neben uns griffbereit gelegt hatten. Wir sollten sie bald gebrauchen, denn jetzt trat ein Ereignis ein, wie ich es aufregender wohl kaum wieder erlebt habe. Der Anker tauchte gerade aus der Flut empor, und die Dschunke wurde von der eintretenden Ebbe langsam abgezogen, als plötzlich die helle Gestalt Ellen Abednegos an Deck erschien. Hinter ihr zwei Kulis, offenbar bestrebt, die Flüchtige wieder einzufangen.
„Hans, schnell, die Winchester bereit!" brüllte Rolf, indem er von meinem Körper herabglitt und mit der Büchse in der Hand aus dem Pfad heraussprang. Ich packte meine treue Büchse und folgte ihm sofort, während Tomo sich dicht hinter uns aufstellte und sagte:
„Tomo wird schnell laden, wenn Tuan Patronen gibt."
Schnell drückten wir dem kleinen Burschen mehrere Ladestreifen in die Hand und hoben unsere Waffen. Ellen Abednego war dicht an der Reling angelangt, und es schien, als hätten ihre Verfolger sie schon erreicht. Und wir konnten nicht schießen, weil das junge Mädchen in der Schußlinie war. Da machte sie eine jähe Schwenkung, erreichte die Reling und schwang sich kurz entschlossen in weitem Sprung hinüber.
Die beiden Kulis beugten sich über die Reling und starrten ihr verblüfft nach. Da stieß ein dritter Chinese zu ihnen, in dem wir sofort Fu Dan erkannten. Er schien seinen Kreaturen die heftigsten Vorwürfe zu machen und schrie dann Befehle über das Deck, worauf mehrere Leute an das Beiboot rannten.
„Daran müssen wir sie hindern!" rief Rolf und hob seine Büchse.
Aber ehe wir ein Ziel suchen konnten, hörten wir laute Schreie von der Dschunke herüberklingen, und mehrere Kulis deuteten aufgeregt ins Meer hinaus. Wir blickten ebenfalls hin, und ein eisiger Schreck durchzuckte uns. Denn dort kam für Ellen Abednego der unerbittliche Tod. Es war die hohe schwarze Dreieckflosse eines Haies, die in rasender Eile das Meer durchschnitt, als hätte der gefräßige Mörder sein Opfer bereits erspäht. „Schießen!" stieß Rolf rasch hervor und richtete seine Waffe auf diese Flosse, unter der sich der Tod verbarg. Aber wieder ließen uns furchtbare Schreie zur Dschunke blicken.
5. Kapitel Pongos Heldentat
Auf dem Deck des immer weiter abtreibenden Fahrzeuges herrschte hellste Aufregung. Und plötzlich sahen wir die beiden Kulis, die das junge Mädchen gehetzt hatten, in weitem Bogen durch die Luft fliegen und schwer auf die Deckplanken aufschlagen, wo sie reglos liegen blieben. Und dann schwang sich eine riesige, schwarze Gestalt über Bord und flog in gewaltigem Satz ins Meer. Es war Pongo.
Nach wenigen Sekunden tauchte er auf und schwamm in mächtigen Stößen dem herannahenden Hai entgegen. Er wollte sich also opfern, um das junge Mädchen, das er doch selbst geraubt hatte, vor dem grausigen Tode zu bewahren. „Achtung, aufgepaßt!" rief da Rolf, „er will den Hai angreifen. Hast du soeben gesehen, daß er seinen Kris im Munde trägt?"
Tatsächlich. Rolf hatte recht gesehen. Jetzt, bei einer halben Wendung, die Pongo machte, um besser über eine gewaltige Welle zu kommen, sah ich es auch deutlich. Auch auf Deck der Dschunke mußten die Kulis das Vorhaben des tollkühnen Negers bemerkt haben, denn sie standen dicht beieinander an der Reling und starrten aufs Meer hinaus.
Ellen Abednego aber schwamm indessen mit aller Kraft dem rettenden Strand zu, aber der Weg war weit, und die Ebbe zog sie mächtig hinaus. Nur sehr, sehr langsam kam sie vorwärts.
Der schwarze Riese dagegen hatte ein leichteres Schwimmen, und seine mächtigen Arme brachten ihn dem gefürchteten „Tiger der Meere" schnell näher. Und jetzt - unwillkürlich hielt ich den Atem an -, jetzt waren sie zusammen.
Der Hai - ein kolossaler Bursche, ein Exemplar der größten Art von gut neun Meter Länge - hatte seine Schnelligkeit verringert und kam jetzt langsam, fast spielend, auf sein vermeintliches Opfer zu. Nur noch drei, noch zwei Meter trennten die ungleichen Gegner, da legte sich der Hai gemächlich auf den Rücken, um sein furchtbares Gebiß, das bekanntlich an der Unterseite des Kopfes liegt, gebrauchen zu können.
Und da schnellte Pongo vor, um ihm den Kris in den Leib zu stoßen. Aber der Hai schien die blitzschnelle Bewegung bemerkt zu haben, denn mit gewaltigem Schwanzschlag warf er sich zur Seite und schoß knapp an dem schwarzen Riesen vorbei. Dann warf er sich herum und stürmte in gewaltigem Schwung auf sein Opfer, das sich noch wehren wollte, zu.
Doch Pongo behielt die Ruhe. Mächtig wassertretend, daß sein halber Oberkörper über den Wellen tanzte, erwartete er den wütenden Feind. Jetzt war der Hai heran und warf sich mitten im Ansturm herum. Wohl kaum ein anderer Mensch hätte sich jetzt noch retten können, aber Pongo war seiner Sache sicher. Er sprang förmlich im Wasser seitwärts, tauchte. Dann hob sich sein Arm und zuckte blitzschnell wieder hinab.
Der Hai schoß so schnell an seiner erwählten Beute vorbei, daß er unbedingt den Riesen berührt haben mußte, aber der scharfe Kris Pongos saß bereits tief in seinem Leib. Und durch die Wucht, mit der die beiden Körper aneinander vorbeischössen, riß der scharfe Stahl, von der unlöslichen Hand des Schwarzen gehalten, den riesigen weißschimmernden Leib des furchtbaren Seeräubers bis zur Schwanzflosse auf.
Der tödlich verletzte „Tiger der Meere" warf in rasendem Toben blutige Wellen hoch und zerschlug sie im Todeskampf zu Schaum. Pongo aber hatte seinen Kris wieder zwischen die Zähne genommen und schwamm nun in mächtigen, weit ausholenden Stößen dem Strand zu. Jetzt kam Leben in die Kulis, die bisher - genau wie wir - dem aufregenden Schauspiel atemlos zugeschaut hatten. Sie stießen ein Wutgebrüll aus, daß ihnen ihr Opfer wieder entgehen sollte. Denn jetzt war nicht mehr daran zu denken, daß sie ihr Beiboot zu Wasser lassen und Ellen Abednego einholen konnten. Das junge Mädchen war höchstens noch fünfzig Meter vom Strand entfernt, und hinter ihr kam schon Pongo angeschossen, der sie bald erreicht haben mußte. Und daß der schwarze Riese sie nicht gutwillig wieder herausgab, das hatten sie ja soeben zur Genüge erfahren.
„Achtung, Hans, die Kulis!" brüllte Rolf, und ich sah es auch im gleichen Augenblick, daß verschiedene von ihnen jetzt mit Gewehren an Deck erschienen, um die beiden Schwimmer abzuschießen. Und wenn die Chinesen auch im allgemeinen sehr schlechte Schützen sind, so befanden sich doch gerade bei dieser Bande einige Scharfschützen, wie wir es bei dem Kampf im Engpaß bemerkt hatten. Wir hatten gutes Zielen, denn die Chinesen standen dichtgedrängt nebeneinander an der Reling. Und so fingen wir nach kurzer Verständigung an - ich von der linken Seite, Rolf von der rechten - das Deck mit den Schnellfeuergewehren zu bestreichen. Kaum hatten wir die zehnschüssigen Magazine geleert, so nahm uns Tomo die Gewehre ab, um sie neu zu laden, während wir aus unseren Parabellumpistolen weitere Bleigrüße hinüber schickten. Die Wirkung war besser, als wir erhofft hatten. Mehrere Kulis wälzten sich schreiend an Deck, einige lagen auch ganz still, die anderen aber suchten ihr Heil in der Flucht oder nahmen hinter Aufbauten und Mast Deckung. Wir hatten gerade unsere Pistolen ausgeschossen und nahmen die neugeladenen Winchester wieder in Empfang, als auch kein Feind mehr zu sehen war, der eine drohende Bewegung machte.
Jetzt konnten wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf das junge Mädchen und Pongo richten, warfen aber doch alle paar Sekunden einen Blick auf die Dschunke. Pongo hatte die schon halb ermattete Schwimmerin jetzt eingeholt, nahm sie am Arm und riß sie förmlich durch das Wasser dem Strande zu. Er schwamm mit äußerster Anstrengung, und das wollte bei seinen übermenschlichen Kräften schon etwas bedeuten, aber nach unglaublich kurzer Zeit hatte er festen Fuß gefaßt, hob die Erschöpfte wie eine Feder auf seine mächtigen Arme und setzte in weiten Sprüngen über den Strand auf uns zu. Die Dschunke war inzwischen so weit abgetrieben, daß wir nichts mehr, selbst von guten Schützen, zu befürchten hatten.
Und da war auch Pongo heran, wir traten um die Biegung in den Pfad zurück, und der Riese setzte das junge Mädchen behutsam nieder.
Ellen Abednego war noch hübscher, als die Photographie auf dem Schreibtisch ihres Vaters gezeigt hatte. Jetzt sank sie allerdings völlig erschöpft und weinend zusammen, denn die Ereignisse der letzten Stunden hätten wohl auch eine starke Männernatur überwältigen können. Aber sie streichelte dabei unter abgerissenen Dankesworten die Hand Pongos, der dazu ein ganz unbeschreibliches Gesicht machte. Endlich hatte sie sich etwas beruhigt, und Rolf gab ihr einen Trinkbecher voll Tee, der mit ein wenig Rum vermischt war. Fast gierig genoß sie die belebende Flüssigkeit, sprang dann elastisch auf und reichte uns die Hand. Schnell stellten wir uns vor und berichteten, daß ihr Vater uns gebeten hätte, nach ihr zu forschen, daß aber Pongo allein der Preis ihrer Rettung gebühre. „Dafür hat er mich aber auch zuerst geraubt", lächelte sie, wurde dann aber ernst und fuhr fort: „Fu Dan hat ihm erzählt, daß ich im Hause meines Vaters völlig fremd sei und dort als Gefangene gehalten würde. Erst langsam dämmerte ihm die Wahrheit, und er entführte mich einfach in den Urwald. Denn er wußte genau, daß ich in Singapore nicht sicher war, solange Fu Dan und seine Anhänger nicht unschädlich gemacht seien. Aber in der Nacht holte Fu Dan mich aus der Felsenhöhle, in der ich mich so sicher glaubte. Es waren furchtbare Stunden, die ich durchmachte, bis ich endlich aus der Kabine, in die sie mich gesperrt hatten, entfliehen konnte. Aus Verzweiflung sprang ich dann über Bord. Es war entsetzlich, als ich beim Zurückblicken sah, daß Pongo im Kampf mit dem Riesenhai war. Aber der gute Mensch ist ja unvergleichlich!" „Das ist er allerdings", gab Rolf zu. „Massers, schnell machen", brummte da Pongo, der sich seine Waffen unter dem Strauch hervorgeholt hatte. „Müssen schnell Singapore, Fu Dan im ,Blauen Hai'." „Ah, ist das ein Restaurant?" Der Schwarze nickte eifrig. „Pongo gehört, als sich allein glaubten." „Oh, dann werden wir sie ja fassen. Komm, Pongo, wir fahren von Segli, das hier links ganz in der Nähe liegen muß, mit einem schnellen Boot."
„Pongo hierbleiben", murrte der Riese, „Pongo nicht nach Singapore. Gute Massers wiederkommen, mit Pongo große, gute Jagd machen." „Willst du nicht mithelfen, Fu Dan zu fangen?" „Pongo nicht bei Askaris wollen."
„Du bist mehr wert als die meisten von ihnen", sagte Rolf ernst.
„Askaris lachen, wenn Pongo sehen", beharrte der menschenscheue Neger.
„Du bekommst eine Uniform wie die Askaris, dann wird niemand lachen", versprach Rolf.
„Nicht Uniform, Anzug wie Massers", gab Pongo etwas nach.
„Gut, den kannst du auch bekommen. Nun aber schnell, wir wollen vor Abend dort sein." Da klagte das junge Mädchen:
„Oh, Herr Torring, ich kann kaum gehen. Ich wurde von den Kulis so schnell den Berg hinabgezogen."
„Dann werde ich Sie tragen", entschied mein Freund. Aber ehe er Anstalten dazu machen konnte, hatte schon Pongo die lachende Ellen hochgehoben und setzte sich in schnellen Trab, so daß wir ihm kaum folgen konnten. Wir nahmen unseren Weg direkt am Strand entlang, und wenn auch der weiche Sand einige Schwierigkeiten bereitete, so hatten wir dafür kein Hindernis durch Zweige oder Dornen. Zum Schluß unseres Zuges stapfte der kleine Tomo keuchend mit dem Koffer, aber er weigerte sich selbst jetzt entschieden, ihn mir zu geben, und heftete seine Augen immer wieder scheu auf den schwarzen Riesen. Viel eher, als wir dachten, tauchten die langgestreckten Wellblechschuppen der Militärstation auf. Jetzt machte Pongo halt und setzte seine leichte Bürde nieder. „Pongo hier bleiben, Tomo Anzug bringen", erklärte er. Dabei warf er dem Boy einen Blick zu, der den kleinen Burschen erzittern ließ.
„So, nun werde ich mich umziehen", meinte Ellen; „ich habe im Koffer ein hübsches Kostüm entdeckt." Damit verschwand sie mit dem Koffer hinter einem dichten Gebüsch. Also selbst nach diesen Aufregungen und Strapazen verleugnete sich die Evastochter doch keinen Augenblick. Und sie sah auch ganz reizend aus, als sie nach kurzer Zeit im neuen, schneeweißen Leinenkostüm erschien. Selbst Rolf meinte lachend, daß wir uns nun eigentlich einen Frack anziehen müßten, um neben ihr bestehen zu können. Nach einer halben Stunde trafen wir im Lager ein und wurden vor den Kommandanten, Colonel Daendels, geführt. Er wollte erst unsere Erzählung kaum glauben, ließ sich aber doch überzeugen und stellte uns sein schnellstes Motorboot, das mit zwei Maschinengewehren ausgerüstet war, zur Verfügung. Er schätzte, daß die chinesische Dschunke selbst mit starkem Motor kaum vor dem nächsten Morgen in Singapore eintreffen könnte, während wir mit dem Motorboot wenigstens fünf Stunden früher einträfen. So konnten wir das liebenswürdig angebotene Mahl nicht abschlagen und schickten nur Tomo mit dem größten Anzug, den wir auftreiben konnten, zu Pongo. Die Legionäre wurden vom Colonel auf das Aussehen des Schwarzen aufmerksam gemacht, aber gleichzeitig wurde ihnen befohlen, keine Überraschung zu zeigen. Daendels erzählte dabei auch, daß der Riese den Hai mit dem Messer erlegt hätte. Trotzdem sahen wir vom Fenster des Speisezimmers aus verschiedene Soldaten zusammenzucken, als Pongo kam. Und dabei sah er halb so furchterregend aus wie im Sarong. Daendels ging ihm entgegen, als er ins Zimmer trat, und begrüßte ihn herzlich. Wir sahen, daß der arme, bisher wohl nur verlachte und verspottete Riese förmlich auftaute. Er weigerte sich aber entschieden, mit uns am selben Tisch zu sitzen, und der Colonel mußte für ihn in einem Nebenzimmer besonders decken lassen. Endlich sah unser liebenswürdiger Wirt ein, daß wir darauf brannten, nach Singapore zu kommen, denn wir wollten Ellen ihrem Vater zurückbringen und Fu Dan mit seiner Bande unschädlich machen. So fuhren wir nach einer halben Stunde in dem schnellen Boot aus dem kleinen Hafen. Kaum faßten uns die leichten Wellen der Malakka-Straße, so ließ der Führer den Motor mit voller Kraft laufen. Und jetzt schienen wir fast über das Meer zu fliegen, eine derartige Geschwindigkeit entwickelte der Renner. Und kurz nach Mitternacht sahen wir die Lichter von Singapore auftauchen.
Wieder gab es auf der Hafenpolizei ein langes Verhör, und unsere Angaben wurden mit sichtlichem Mißtrauen entgegengenommen. Aber da wurde Ellen energisch und sagte den Herren ziemlich unverblümt ihre Meinung, daß nämlich die gesamte Polizei Singapores nicht das fertiggebracht hätte, was uns so schnell gelungen sei. Sie rief auch sofort ihren Vater an, und nach kurzer Zeit hielt der Lord seine schluchzende Tochter im Arm.
Jetzt wurden wir plötzlich mit ausgezeichneter Höflichkeit behandelt. Die Beamten erboten sich zu jeder Hilfeleistung, als Rolf erklärte, daß wir den Rest der großen Verbrecherbande noch unschädlich machen wollten. Rolf zeigte den Kris und fragte, ob irgendeine Dschunke die eingelegten Zeichen am Bug trüge. Aber keiner der Beamten konnte darüber Auskunft geben. Also hatte ich mit dem Übermalen doch recht gehabt. Erst als wir das Fahrzeug genau beschrieben und vor allen Dingen die drei Bullaugen erwähnten, sprangen die Beamten auf und riefen einstimmig: „Das ist die Dschunke Ki Lungs." „Wer ist Ki Lung?"
„Ein Spediteur, der nebenbei das Restaurant ,Zum blauen Hai' besitzt."
„Dann sind wir an der richtigen Schmiede", atmete Rolf auf: „wir müssen Ki Lung unschädlich machen und sein Restaurant besetzen, noch ehe die Dschunke hier eintrifft."
Die Beamten machten bedenkliche Mienen. Auf Rolfs Frage, was sie hätten, sagte endlich ein baumlanger Sergeant, indem er sich verlegen das Kinn kraulte: „Tja, das ist nicht so einfach mit dem ,Blauen Hai'. Verschiedene Kollegen sind da schon verschwunden, aber eine Razzia hat nie Erfolg gehabt. Wir können diesem Ki Lung nicht beikommen, obwohl wir alle überzeugt sind, daß er ein ganz schwerer Verbrecher ist." „Wir können ihn aber jetzt überführen", rief Rolf energisch. Und da fiel Pongo, den auch die Polizisten scheu betrachteten, ein:
„Pongo ,Blauen Hai' kennen. Pongo Askaris führen." „Dann haben wir schon gewonnen, meine Herren", rief Rolf wieder aufmunternd, „ich habe ihnen ja erzählt, was mein schwarzer Freund hier alles vollbracht hat. Selbstverständlich müssen wir noch Verstärkung anfordern. Vielleicht sind Sie so liebenswürdig, Lord, und rufen den Polizeichef an. Wenn Sie es ihm vorschlagen, wird er sicher viel geneigter für eine größere Aktion sein." „Selbstverständlich, Herr Torring." Lord Abednego rief den ihm bekannten Chef an, der ihm auch sofort eine größere Menge Polizisten zusagte. Dann verließen wir die Hafenwache mit der dort entbehrlichen Mannschaft. Insgesamt waren wir jetzt sechzehn Mann, die unter Führung Pongos dem ,Blauen Hai' zu schritten. Unterwegs stießen von allen Seiten weitere Mannschaften zu uns. Das Kommando übernahm ein tüchtiger, energischer Offizier, während wir mit unserer Hafenwache unter Pongos Führung blieben. Der englische Offizier sollte hauptsächlich die Speicher- und Restaurationsräume Ki Lungs abriegeln und jeden Chinesen festnehmen, der dort
angetroffen wurde. Wir aber wollten in die geheimen Gänge eindringen und dort die Besatzung der Dschunke empfangen.
Pongo führte uns durch die winkligen Gassen des Hafenviertels. Er blieb endlich vor einem kleinen Haus stehen, riss plötzlich mit einem Ruck die Tür auf und griff in den dunklen Hausflur hinein. Es gab da drinnen ein kurzes Scharren und Kratzen, dann zog der Riese seinen Arm zurück und warf einen leblosen Körper aufs Pflaster. „Posten!" brummte er lakonisch.
„Donnerwetter, den brauchen wir nicht mehr zu fesseln", staunte der Polizeisergeant, der sich über den Chinesen gebeugt hatte, „Ihr schwarzer Freund hat ihm das Genick zerdrückt."
Pongo lauschte ins Haus hinein, indem er gleichzeitig die Hand erhob, um uns völliges Schweigen zu gebieten. Trotzdem konnte es sich der Sergeant nicht versagen, uns ganz leise zuzuflüstern:
„Kennt Ihr schwarzer Freund den ,Blauen Hai' genau, meine Herren? Ich sagte ja schon, daß sich bestimmt hier Fallen befinden, in denen schon mehrere unserer Kollegen spurlos verschwunden sind. Wir können ohne größere Vorsichtsmaßregeln gar nicht hinein." „Ich glaube, Pongo kennt das Haus", gab Rolf ebenso leise zurück, „aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß er alle Geheimnisse kennt. Sie haben recht, es ist sehr gefährlich, in die Verbrecherhöhle einzudringen." „Ja, es wäre schade, wenn tapfere Leute wegen dieser Halunken ihr Leben lassen müßten, vielleicht auf grausame Weise, indem sie sich aufspießen oder ertrinken. Mit Falltüren arbeiten die Chinesen ja sehr gern. Am besten wäre es vielleicht, wenn wir diesen Fu Dan am Hafen mit seinen Leuten abfingen und sie dann durch Drohungen zwängen, uns die Geheimnisse dieser Mörderhöhle zu verraten." „Ich glaube nicht, daß sie es verraten würden, selbst wenn Sie die Leute foltern könnten. Sie wissen genau, daß sie ja doch aufgehängt werden."
„Wenn man nun einem Mann das Leben versprechen würde?"
„Dann wüßte er genau, daß ihn für diesen Verrat seine Landsleute grausam ermorden würden. Denn ich glaube, daß alle Chinesen im stillen gegen die englische Herrschaft sind, und einen derartigen Verrat werden selbst völlig Unbeteiligte rächen. Sein Tod wäre auf jeden Fall sehr unangenehm, da würde er das Hängen doch vorziehen. Nein, wir müssen schon in das Haus hinein. Und ich glaube, daß Pongo selbst die Fallen entdecken wird. Er ist ja mit unvergleichlichen Sinnen begabt."
„Na, eine Falltür kann er unmöglich riechen, und wenn er sie bemerkt, liegt er schon unten. Wir hätten uns ein Seil mitnehmen sollen, dann hätten sich die ersten anbinden und einen Abfallenden retten können." „Ja, das wäre vielleicht ganz gut gewesen, aber jetzt ist es schon zu spät!"
„Warum, Herr Torring? Ich schicke schnell einen Mann zurück. Er kann in wenigen Minuten wieder da sein. Vielleicht fragen Sie erst Ihren Pongo, ob er es auch für gut hält."
„Nein, ich möchte ihn jetzt nicht stören", gab Rolf nach kurzem Blick auf den schwarzen Riesen zurück; „er scheint irgend etwas zu hören. Sehen Sie nur, wie gespannt er lauscht."
Pongo drückte in seiner ganzen Haltung Spannung und Aufmerksamkeit aus. Er stand unbeweglich, hatte nur den Kopf vorgestreckt und schien die Dunkelheit des Eingangs mit Auge und Ohr förmlich zu durchdringen. „Ach, ich werde den Mann ruhig zurückschicken", raunte der Sergeant wieder, „denn anscheinend will unser schwarzer Kamerad noch nicht ins Haus hinein. Entschuldigen Sie, bitte, einen Augenblick." Während der Sergeant an einen seiner Leute herantrat und mit ihm flüsterte, fragte ich Rolf leise: „Glaubst du, daß selbst ein Seil helfen wird, wenn die Fallgrube mit spitzen Pfählen ausgestattet ist? Es wäre doch schrecklich, wenn Pongo, der doch sicher als erster eindringen wird, auf so grausige Art ums Leben käme. Läßt sich die Bande nicht auf andere Art überrumpeln?" „Ich habe bisher vergeblich darüber nachgedacht, aber ich glaube auch, daß unser Eindringen in die Höhle der Bande unbedingt notwendig ist. Es kann ja auch sein, daß Pongo wenigstens die gefährlichsten Fallen kennt, denn er war doch sicher längere Zeit bei Fu Dan. Ich wundere mich nur, daß er noch nicht hineingegangen ist. Worauf mag er nur warten?"
„Vielleicht weiß er, daß noch ein Posten weiter im Innern steht und wartet, bis er in seine Nähe kommt." „Na, dann wird dieser Posten auch schnell erledigt sein. Aber aus welchem Grunde sollte er seinen Standort verlassen und herauskommen? Ja, wenn Pongo ihn durch irgendein Geräusch herauslocken würde, aber so?"
„Halt, ich habe es", flüsterte ich aufgeregt; „Pongo wird wissen, daß dieser Posten, den er getötet hat, jetzt bald abgelöst wird. Paß auf, so wird es bestimmt sein." „Ja, du wirst recht haben; anders kann ich mir sein Verhalten auch nicht erklären. Aber dann wäre es vielleicht besser, wenn wir von dem Eingang fortgingen, denn der zweite Posten kann uns sicher vom Innern des Hauses aus sehen. Und dann wird er natürlich sofort ein Alarmsignal geben." „Das müßte Pongo doch eigentlich wissen", wandte ich ein; „ich glaube nicht, daß er eine derartige Unvorsichtigkeit begehen wird. Sicher wird der Aufpasser aus einer Seitentür des Hauseinganges herauskommen und gerade in Pongos Bereich laufen."
„Dann werden sich seine Ahnen über sein plötzliches Erscheinen in ihrem Kreise freuen", meinte Rolf in bitterem Spott. „Bekanntlich haben ja die Chinesen diesen schönen, festen Glauben, daß sie nach dem Tode sofort in den Himmel zu ihren Vorfahren eingehen. Und deshalb lachen sie auch, wenn sie zur Hinrichtung geführt werden." Es war ja eigentlich verwunderlich, daß wir in unserer Situation noch anfingen, über den Glauben der Chinesen zu philosophieren, aber es half uns wenigstens über die furchtbare Spannung hinweg. Deshalb griff ich seinen Gedanken sofort auf und erwiderte:
„Ja, das weiß ich auch, und eigentlich ist das Hängen gar keine Strafe für sie. Die Engländer sollten lieber das Köpfen einführen, denn die Gelben glauben ja, daß sie in diesem Fall, also ohne Kopf, nicht ins Jenseits gelangen. Ich glaube, es würden nicht so viele Verbrechen verübt werden, wenn diese Todesstrafe eingeführt würde."
„Vielleicht schlägst du es dem Lord Abednego vor", meinte mein Freund; „er hat jetzt am eigenen Leibe erfahren, wie gewalttätig und listig die Gelben sein können." Mir wurde die Antwort durch das Hinzutreten des Sergeanten abgeschnitten.
„Ich habe meinem Mann die größte Eile empfohlen", berichtete er, „und wir können in einigen Minuten das Seil haben. Donnerwetter, lauscht Ihr schwarzer Freund immer noch auf die unbekannte Gefahr?"
Schnell teilte ich ihm meine Meinung mit, und der brave Beamte sagte staunend:
„Herrgott, dann scheint diese Bande ja ganz militärisch organisiert zu sein. Es ist doch unglaublich, daß sie so etwas direkt unter unseren Augen wagen. Man müßte eigentlich allen Chinesen das Betreten Singapores verbieten. Dann hätten wir endlich Ruhe, denn die Malaien machen uns kein Kopfzerbrechen."
„Das wäre allerdings eine sehr rigorose, aber auch gründliche Lösung", meinte Rolf ; „nur wird dann der Handel Singapores an jeder Bedeutung verlieren. Denn die Chinesen sind doch die größten Kaufleute hier, so traurig es auch für die Europäer klingen mag."
„Stimmt, wir haben hier Chinesen, die sich ruhig mit amerikanischen Multimillionären messen können. Und ich glaube, daß die Holländer die Chinesen gern, sehr gern in dem gegenüberliegenden Riouw aufnehmen würden, wenn sie dadurch unseren Handel totmachen könnten. Herrgott, was macht Ihr schwarzer Freund so lange da?" Der Sergeant hatte bestimmt nicht unsere Ruhe, denn er trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Seien Sie doch froh", meinte Rolf ruhig, „es ist doch besser, Ihr Mann ist mit dem Seil zurück, ehe Pongo eindringt. Aber..."
Rolf brach in seinem Flüstern plötzlich ab, als Pongo eine ungeduldige Handbewegung machte und sich - anscheinend sehr erbost — zu uns umdrehte. Anscheinend kam jetzt ein Chinese aus dem Innern des Hauses, denn unser schwarzer Freund winkte uns energisch zu, daß wir zur Seite treten sollten. Er selbst schmiegte sich eng an die Hausmauer, und sein gewaltiger Körper zog sich sprungbereit zusammen.
Unsere Spannung stieg ins Unerträgliche, denn jetzt konnte vielleicht die Entscheidung kommen. Ein Schrei des Postens, und unser Plan war bestimmt gescheitert. Wir konnten uns zwar auf Pongo verlassen, aber trotzdem hätte wohl jeder von uns lieber an seiner Stelle gestanden, denn dann hätte er wenigstens gewußt, welche Gefahr da nahte. Aber untätig zur Seite stehen müssen, war noch aufregender.
Wir zuckten unwillkürlich zusammen, als im Innern des Hauses eine Tür knarrte. Dann rief eine Stimme leise einen Namen. Jetzt wurde es sehr kritisch, denn der Rufer war, dem Klang nach zu urteilen, ziemlich weit vom Eingang entfernt. Und wenn jetzt der andere Posten nicht antwortete, dann mußte er ja Verdacht schöpfen und würde vielleicht ein Alarmsignal geben.
Wieder rief der Mann, diesmal aber näher, und erleichtert stellten wir fest, daß er offenbar so leichtsinnig war, zum Eingang zu kommen. Pongo duckte sich noch mehr zusammen, er machte mir jetzt ganz den Eindruck eines sprungbereiten Tigers. Und furchtbarer konnte ein solcher „Herr des Dschungels" wohl auch nicht sein als dieser Riese mit seinen übermenschlichen Kräften. Denn so lautlos wie Pongo konnte selbst ein Tiger nicht töten. Langsam hob Pongo jetzt den rechten Arm, und da klang der Ruf ganz dicht vor der offenen Tür, jetzt aber besorgt und ängstlich, wie wir deutlich am Klang hörten. Sicher würde der zweite Chinese nicht heraustreten, sondern jetzt zurücklaufen und Alarm schlagen. Ich mußte mich mit aller Kraft zurückhalten, um nicht selbst vorzuspringen, und ich war überzeugt, daß es den Gefährten ebenso erging, denn die nächst stehenden atmeten tief und schwer. Und plötzlich schnellte Pongo vor. Sein Arm zuckte in die dunkle Türöffnung hinein; es gab einen gurgelnden Laut, dann wieder ein Scharren und Kratzen, wie beim ersten Posten. Dann zog der Riese seinen Arm zurück und warf den leblosen Körper neben den ersten Chinesen. Der Sergeant beugte sich sofort über ihn. „Donnerwetter", brummte er, während er einen scheuen Blick auf Pongo warf, „auch ihm ist das Genick zermalmt. Herrgott, hat Ihr Freund furchtbare Kräfte." „Massers kommen", klang da die Stimme Pongos aus dem Innern des Hauses. Schnell traten wir ein und stiegen im Schein unserer Taschenlampen eine schmale, steile Treppe hinab. Endlich standen wir in einem kleinen Raum, dessen Wände zwei Türen aufwiesen. Ein Polizist wollte die erste öffnen, als Pongo flüsterte: „Nicht gut, lassen. Eingang hier."
Damit steckte er seinen Kris in eine kleine Fuge dicht über dem Boden, und mit leisem Schnarren öffnete sich eine kleine, kunstvoll angelegte Tür in der anscheinend massiven Mauer vor uns. Schnell schlüpften wir hindurch und befanden uns in einem breiten Gang, auf den viele Türen mündeten. Pongo bog nach rechts ab, und wir gelangten in einen großen, runden Raum. Jetzt verteilte der schwarze Riese die Polizisten auf einer Seite dieses Raumes, indem er je zwei Mann in die tiefen Nischen der Türen drückte, die sich auf dieser Seite befanden. Uns beiden nebst Tomo und dem Sergeanten wies er einen Platz am Anfang des Raumes an, deutete dann zum anderen Ende und sagte: „Fu Dan dort kommen. Massers Chinamänner hereinlassen, dann angreifen. Pongo hinten aufpassen." Dann schritt er schnell, ohne eine Widerrede abzuwarten, durch den Raum und verschwand am anderen Ende. Sein Plan war ja sehr einfach und vielversprechend, nur hatte er wieder den schwersten Teil auf sich genommen, den Kulis den Rückweg abzuschneiden.
Totenstille herrschte im Raum. Die Leute wagten kaum zu atmen, standen in fieberhafter Erwartung, die Pistolen und Gummiknüppel in den Händen. Es kam den Engländern darauf an, möglichst viele Gefangene zu machen - vielleicht um durch ein scharfes Strafgericht ihr Ansehen zu steigern.
Während ich darüber nachdachte, blickte ich zufällig über den Boden des großen Raumes hinweg. Und da - ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen -, da hob sich plötzlich in der Mitte eine Falltür. Lautlos und gespenstisch ging das breite und lange Stück des Fußbodens in die Höhe, und dann tauchte der Kopf eines Chinesen auf, der argwöhnisch und spähend umherblickte.
Ich wagte nicht, einen Finger zu rühren, und flehte im stillen, daß nur die Kameraden diesen Kopf auch bemerkt hätten und sich ebenfalls völlig unbeweglich verhielten. Das schien auch Gott sei Dank der Fall zu sein, denn langsam schob sich der Chinese weiter heraus. Endlich stand er neben der Falltür und ließ die Bretter vorsichtig zurück sinken. Es war ein riesiger Mann, der sicher nicht so einfach zu überwältigen war. Jetzt richtete er sich hoch und blickte umher. Aber die Polizisten hatten sich so gut in den tiefen Nischen verborgen, daß der unerwartete Gegner nichts bemerkte.
Und jetzt kam er direkt auf unsere kleine Gruppe am Anfang des Raumes zu. Ich muß gestehen, daß meine Gefühle in diesem Augenblick nicht die angenehmsten waren, denn an den leisen, schleichenden Bewegungen des Chinesen konnten wir so recht erkennen, welch riesige Kraft in diesem mächtigen Körper steckte: nicht nur robuste Kraft, sondern zähe, gefährliche Geschmeidigkeit. Das war ein Gegner, der wahrlich nicht zu verachten war, hauptsächlich, da es hieß, ihn lautlos unschädlich zu machen. Sonst hätte ich wirklich lieber zur Pistole gegriffen. Ich beneidete jetzt den Sergeanten um seinen Gummiknüppel; denn das war unter Umständen die beste Waffe. Ein gut geführter Hieb, selbstverständlich mit aller verfügbaren Kraft, mußte selbst diesen Riesen umwerfen. Auf jeden Fall zog ich meine Parabellum und packte sie am Lauf. Ein Hieb mit dem Kolben mußte ja auch wirken und, durch die Länge und Schwere der Waffe, vielleicht ebenso gut wie ein Gummiknüppel.
Der Chinese war vielleicht noch sechs Meter von uns entfernt. Ich hörte den Sergeanten schneller atmen; auch ihn hatte die Aufregung gepackt. Und dieses Geräusch, so leise es auch war, mußte unser Gegner gehört haben, denn er blieb plötzlich stehen, spähte argwöhnisch in den dunklen Gang und zog plötzlich ein riesiges Messer aus dem Gürtel. Jetzt wurde es tatsächlich ungemütlich für uns, denn dieser zähe Riese würde sicher noch einen furchtbaren Stich führen, selbst wenn ihm durch einen Hieb von uns schon das Bewußtsein schwand.
Da stand plötzlich Pongo hinter ihm, der sich so lautlos angeschlichen hatte, daß ich zusammenzuckte, seine mächtige Gestalt tauchte hinter dem argwöhnischen Chinesen auf, als sei er aus dem Boden gestiegen. Der Chinese hob jetzt die Rechte mit dem Messer und machte einen Schritt vorwärts.
Da packte Pongo sein Handgelenk und legte gleichzeitig seine Linke um den Hals des gefährlichen Gegners. Der mächtige Mann röchelte leise und wand sich krampfhaft unter diesem entsetzlichen Griff. Aber in Pongos Fäusten war er wie ein Kind. Ich sah, wie der schwarze Riese plötzlich mit beiden Armen eine schnelle Bewegung machte. Und es gab zwei dumpfe Krache, als ginge ein Tontopf in Scherben. Der Chinese klappte zusammen und hing reglos in den mächtigen Armen Pongos, während gleichzeitig sein Messer herunterfiel. Pongo hatte ihm mit seinen gewaltigen Kräften des Handgelenk gebrochen und das Genick umgedreht.
Ruhig trug er den Toten zur Falltür, öffnete sie und ließ den leblosen Körper langsam hinunter gleiten. Dann schloß er die Klappe, nahm das Messer des Getöteten auf und verschwand wieder auf seinem Posten im Hintergrund des Raumes.
Wieder standen wir - erstaunt und entsetzt über Pongos Tat - und warteten in äußerster Spannung auf Fu Dan und seine Leute.
Endlich knarrte irgendwo ganz leise eine Tür. Und dann huschten die Kulis in den Raum. Immer mehr. Sie kamen direkt auf uns zu, und die vordersten hatten uns beinahe erreicht, als hinten ein entsetzlicher Schrei erscholl. Die Kulis blieben stehen und schnellten herum. Da stand am anderen Ende des Raumes Pongo. In der linken Hand hielt er den leblosen Körper Fu Dans, hob jetzt den rechten Arm mit dem mächtigen Speer und schleuderte die schwere Waffe in die Gruppe der Nächststehenden hinein. Dann stieß er seinen Angriffsschrei aus, warf den toten Fu Dan zur Seite und stürmte mit geschwungenem Klewang vor.
Die Kulis wichen vor dem Neger zurück. Ihren abergläubischen Gemütern mochte er als irgendeine ihrer Gottheiten erscheinen, wozu sein furchtbares Gesicht ja auch allen Anlaß gab. Dann stürmten auf ein Kommando des Sergeanten die Polizisten von der Seite auf die Überraschten zu. Es gab einen kurzen, erbitterten Kampf, aber die Chinesen waren zu verblüfft, um sofort Widerstand zu leisten, auch taten die Knüppel der Engländer ihre Schuldigkeit in vollstem Maße. Nur ab und zu krachte ein Pistolenschuß, dem meist ein Todesschrei folgte.
Nach zehn Minuten war die ganze Bande unschädlich gemacht.
Außer Fu Dan waren noch acht Mann teils erschossen, teils von Pongo erledigt worden. Die anderen wurden gefesselt abgeführt.
Es war ein großer Fang, den die Engländer gemacht hatten, denn bei der näheren Untersuchung stellte sich heraus, daß Ki Lung alle möglichen schwersten Verbrechen mit seiner Bande begangen hatte. Und wie ich es vorausgeahnt hatte, wurden alle Mitglieder eines Tages gehenkt. Zu dieser Zeit befanden wir uns aber schon wieder auf Sumatra, denn eine Depesche des Amsterdamer Zoos veranlaßte uns, den Fang eines Schuppen-Nashorns zu wagen. Diese Rhinos leben in den furchtbarsten, unzugänglichsten Sümpfen; und es sind bisher überhaupt nur zwei Stück geschossen worden, aber dafür haben viele Jäger ihr Leben lassen müssen. Lebend ist es noch nie gefangen worden. Das war so recht eine Aufgabe für uns, und da Pongo uns helfen wollte, so gingen wir wohlgemut an das schwere Vorhaben.