Darauf erwiderte der erste: "Wegen der Vorsicht. Denn ich bin einmal im Traum in eine Glasscherbe getreten. So habe ich im Schlaf solche Schmerzen davon empfunden, dass ich um keinen Preis mehr barfuss schlafen möchte."

Der Wasserträger

In Paris holt man das Wasser nicht am Brunnen. Wie dort alles ins Grosse getrieben wird, so schöpft man auch das Wasser ohmweise in dem Strom, der hindurch fleusst, in der Seine, und hat eigene Wasserträger, arme Leute, die jahraus, jahrein das Wasser in die Häuser bringen und davon leben. Denn man müsste viel Brunnen graben für fünfmalhunderttausend Menschen in einer Stadt, ohne das unvernünftige Vieh. Auch hat das Erdreich dort kein ander trinkbares Wasser; solches ist auch eine Ursache, dass man keine Brunnen gräbt. Zwei solche Wasserträger verdienten ihr Stücklein Brot und tranken am Sonntag ihr Schöpplein miteinander manches Jahr, auch legten sie immer etwas weniges von dem Verdienst zurück und setzten's in der Lotterie.

Wer sein Geld in die Lotterie trägt, trägt's in den Rhein. Fort ist's. Aber bisweilen lässt das Glück unter viel Tausenden einen etwas Namhaftes gewinnen und trompetet dazu, damit die andern Toren wieder gelockt werden. Also liess es auch unsere zwei Wasserträger auf einmal gewinnen, mehr als 100000 Livres. Einer von ihnen, als er seinen Anteil heimgetragen hatte, dachte nach: Wie kann ich mein Geld sicher anlegen? Wie viel darf ich des Jahrs verzehren, dass ich's aushalte und von Jahr zu Jahr noch reicher werde, bis ich's nimmer zählen kann? Und wie ihn seine Überlegung ermahnte, so tat er, und ist jetzt ein steinreicher Mann, und ein guter Freund des Hausfreunds kennt ihn.

Der andere sagte: "Wohl will ich mir's auch werden lassen für mein Geld, aber meine Kunden geb ich nicht auf, dies ist unklug", sondern er nahm auf ein Vierteljahr einen an, einen Adjunkt wie der Hausfreund, der so lang sein Geschäft verrichten musste, als er reich war. Denn er sagte: "In einem Vierteljahr bin ich fertig." Also kleidet er sich jetzt in die vornehmste Seide, alle Tage ein anderer Rock, eine andere Farbe, einer schöner als der andere, liess sich alle Tage frisieren, sieben Locken übereinander, zwei Finger hoch mit Puder bedeckt, mietete auf ein Vierteljahr ein prächtiges Haus, liess alle Tage einen Ochsen schlachten, sechs Kälber, zwei Schweine für sich und seine guten Freunde, die er zum Essen einladete, und für die Musikanten. Vom Keller bis in das Speiszimmer standen zwei Reihen Bediente und reichten sich die Flaschen, wie man die Feuereimer reicht bei einem Brand, in der einen Reihe die leeren Flaschen, in der andern die vollen.

Den Boden von Paris betrat er nimmer, sondern wenn er in die Komödie fahren wollte oder ins Palais royal, so mussten ihn sechs Bedienten in die Kutsche hineintragen und wieder hinaus. Überall war er der gnädige Herr, der Herr Baron, der Herr Graf und der verständigste Mann in ganz Paris. Als er aber noch drei Wochen vor dem Ende des Vierteljahrs in den Geldkasten griff, um eine Handvoll Dublonen ungezählt und unbeschaut herauszunehmen, als er schon auf den Boden der Kiste griff, sagte er: "Gottlob, ich werde geschwinder fertig, als ich gemeint habe." Also bereitete er sich und seinen Freunden noch einen lustigen Tag, wischte alsdann den Rest seines Reichtums in der Kiste zusammen, schenkte es seinem Adjunkt und gab ihm den Abschied. Denn am andern Tag ging er selber wieder an sein altes Geschäft, trägt jetzt Wasser in die Häuser wie vorher, wieder so lustig und zufrieden wie vorher. Ja, er bringt das Wasser selbst seinem ehemaligen Kameraden, nimmt ihm aus alter Freundschaft nichts dafür ab und lacht ihn aus.

Der Hausfreund denkt etwas dabei, aber er sagt's nicht.

Der Wegweiser

Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner Frau, dass ihn sein Französisch fast unter den Boden bringe. Er sollte nämlich einem französischen Soldaten, der ausgerissen war, den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt und bekam für die beste Meinung Schläge genug zum Dank oder vielmehr zum Undank. Anders sah ein Wegweiser an der württembergischen Grenze die Sache an. Er sollte nämlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen den Weg über das Gebirg zeigen, wusste aber kein Wort von ihrer Sprache als Oui, welches so viel heisst als Ja, und Bougre, welches ein Schimpfname ist. Diese zwei Worte hatte er oft gehört und lernte sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen. Anfänglich ging alles gut, solange die Franzosen nur unter sich sprachen und ihn mit seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehängt hatten, voraus oder nebenher gehen liessen. Da er aber der Spur nach allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn einer französisch, ob er auch verstünde, was sie miteinander redeten. Er hätte herzhaft sagen dürfen: Nein! Aber eben weil er es nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete. Er nahm daher all sein Französisch zusammen und antwortete: "Oui, Bougre" (Ja, Ketzer!). Mit einem ellenlangen französischen Fluche riss der Soldat den Säbel aus der Scheide und liess ihm denselben um den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbeisausen. "Wie?" sagte er, "du willst einen französischen Soldaten schimpfen?" "Oui, Bougre!" war die Antwort. Die andern hatten die höchste Zeit, dem erbosten Kameraden in den Arm zu fallen, dass er dem Wegweiser, ohne welchen sie in der finstern Nacht nicht konnten weiterkommen, nicht auf der Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und Flintenstoss rechts und links zu verstehen, wie es gemeint sei, und fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher sein. "Oui, Bougre!" war die Antwort. Nun wurde er jämmerlich zerschlagen, und alle seine Bitten um Verzeihung, und alle seine Bitten um Schonung legte er ihnen mit lauter "Oui, Bougre" ans Herz. Endlich kamen sie auf die Vermutung, er sei verrückt (denn dass er französisch verstehe, hatte er bejaht). Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch ein Licht brannte, einen andern Führer, jagten diesen fort, und er erwiderte den Abschied des einen, dass er sich zum Henker packen sollte, richtig mit " Oui, Bougre". Als er aber so bald wieder nach Haus kam und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzählte er, wie die Soldaten unterwegs viel Spass mit ihm gehabt hätten, so dass es ihm fast sei zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zierhauser Hof einen andern genommen und ihn wieder heimgeschickt hätten. Die Franzosen (setzte er treuherzig hinzu) sind nicht so schlimm, als man meint, wenn man nur mit ihnen reden kann.

Der Wettermacher

Gleichwie einem Siebmacher oder einem Hafenbinder, wenn er in einem kleinen Ort zu Hause ist, können seine Mitbürger nicht das ganze Jahr Arbeit und Nahrung geben, sondern er begibt sich auf Künstlerreisen im Revier herum und geht seinem Verdienst nach; also auch der Zirkelschmied ist fleissig darauf im andern Revier und handelt nicht mit Zirkeln, sondern mit Trug und Schelmerei, um die Leute zu berücken und sich freizutrinken im Wirtshaus. Also erscheint er einmal in Obernehingen und geht gerade zum Schulz. "Herr Schulz", sagt er, "könntet Ihr kein ander Wetter brauchen? Ich bin durch Euere Gemarkung gegangen. Die Felder in der Tiefe haben schon zu viel Regen gehabt, und auf der Höhe ist das Wachstum auch noch zurück." Der Schulz meinte, das seie geschwind gesagt, aber besser machen sei eine Kunst. "Ei", erwidert der Zirkelschmied, "auf das reise ich ja. Bin ich nicht der Wettermacher von Bologna? In Italien", sagte er, "wo doch Pomeranzen und Zitronen wachsen, wird alles Wetter auf Bestellung gemacht. Darin seid ihr Deutsche noch zurück." Der Schulz ist ein guter und treuherziger Mann und gehört zu denen, die lieber geschwind reich werden möchten als langsam. Also leuchtete ihm das Anbieten des Zirkelschmieds ein. Doch wollte er vorsichtig sein. "Macht mir morgen früh einen heitern Himmel", sagte er, "zur Probe, und ein paar leichte weisse Wölklein dran, den ganzen Tag Sonnenschein und in der Luft so zarte, glänzende Fäden. Auf den Mittag könnt Ihr die ersten gelben Sommervögel los lassen, und gegen Abend darf's wieder kühl werden." Der Zirkelschmied erwiderte: "Auf einen Tag kann ich mich nicht einlassen, Herr Schulz. Es trägt die Kosten nicht aus. Ich unternehm's nicht anderst als auf ein Jahr. Dann sollt Ihr aber Not haben, wo Ihr Euere Frucht und Euern Most unterbringen wollt." Auf die Frage des Schulzen, wieviel er für den Jahrgang fordere, verlangte er zum voraus nichts als täglich einen Gulden und freien Trunk, bis die Sache eingerichtet sei, es könne wenigstens drei Tage dauern; "hernach aber von jedem Saum Wein, den ihr mehr bekommt", sagte er, "als in den besten Jahren, ein Viertel, und von jedem Malter Frucht einen Sester." "Das wär' nicht veil", sagte der Schulz. Denn dortzuland sagt man veil statt viel, wenn man sich hochdeutsch explizieren will. Der Schulz bekam Respekt vor dem Zirkelschmied und explizierte sich hochdeutsch. Als er nun aber Papier und Feder aus dem Schränklein holte und dem Zirkelschmied das Wetter von Monat zu Monat vorschreiben wollte, machte ihm der Zirkelschmied eine neue Einwendung: "Das geht nicht an, Herr Schulz! Ihr müsst auch die Bürgerschaft darüber hören. Denn das Wetter ist eine Gemeindssache. Ihr könnt nicht verlangen, dass die ganze Bürgerschaft Euer Wetter annehmen soll." Da sprach der Schulz: "Ihr habt recht! Ihr seid ein verständiger Mann."

Der geneigte Leser aber ist nun der Schelmerei des Zirkelschmieds auf der rechten Spur, wenn er zum voraus vermutet, die Bürgerschaft sei über die Sache nicht einig geworden. In der ersten Gemeindsversammlung wurde noch nichts ausgemacht, in der siebenten auch noch nichts, in der achten kam's zu ernsthaften Redensarten, und ein verständiger Gerichtsmann glaubte endlich, um Fried' und Einigkeit in der Gemeinde zu erhalten, wär's am besten, man zahlte den Wettermacher aus und schickte ihn fort. Also beschied der Schulz den Wettermacher vor sich: "Hier habt Ihr Euere neun Gulden, Unheilstifter, und nun tut zur Sache, dass Ihr fortkommt, eh' Mord und Totschlag in der Gemeinde ausbricht." Der Zirkelschmied liess sich nicht zweimal heissen. Er nahm das Geld, hinterliess eine Wirtsschuld von zirka 24 Mass Wein, und mit dem Wetter blieb es, wie es war.

Item, der Zirkelschmied bleibt immer ein lehrreicher Mensch. Merke, wie gut es sei, dass der oberste Weltregent bisher die Witterung nach seinem Willen allein gelenkt hat. Selbst wir Kalendermacher, Planeten und übrigen Landstände werden nicht leicht um etwas gefragt und haben, was das betrifft, ruhige Tage.

Der wohlbezahlte Spassvogel

Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus. Ein Spassvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt zum besten haben. Er sprach also zu ihm: "Weisst du auch, Mauschel, dass in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten müssen?" Dem hat der Jude also geantwortet: "Wenn das ist, artiger Herr, so wollen wir zwei auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon Ihr kein Jude seid."

Der Wolkenbruch in Türkheim

Ein ehemalig guter Bekannter des Hausfreundes tat im Oktober einen Streifzug auf Wein in das Elsass. Wie er in Türkheim abends in das Wirtshaus kommt, sitzt der Präsident da bei einem Schöpplein und isst zwei Bratwürste, eine nach der andern. "Herr Präsident", sagte der gute Bekannte, "treff' ich Euch hier an? Eher hätte ich des Himmels Einfall vermutet." Der Präsident lächelt und sagte: "Es ist alles möglich." Sie bleiben beisammen, diskurieren allerlei miteinander, trinken auch allerlei miteinander, gehn miteinander in das Schlafgemach, jeder in ein Bett apart. Das Bett des guten Freundes hatte einen Umhang. Früh gegen Tag, wenn man anfängt sich zu strecken, stemmte er sich mit den Füssen gegen das untere Brett der Bettlade. Das Brett gab nach, der Betthimmel gab auch nach. Ein paar Bretter, ein Haspel, zwei Paar Schuh usw., Brastbergers Predigtbuch und eine grosse Flasche voll Kirschenwasser stürzten herunter. Aber die Flasche zerbrach unterwegs an dem Haspel und übergoss den guten Bekannten mit Kirschenwasser und Glasscherben "Herr Präsident, kommt mir zu Hilfe!"—"Was ist Euch begegnet?" fragte der Präsident.—"Ich glaube, der Himmel, der über dem Bett ist, sei eingefallen." Da lachte der Präsident und sagte: "Es kommt mir auch so vor. Die Wolken hängen auch bis aufs Deckbett herunter. Sie sind von Tannenholz. Hab' ich Euch nicht gesagt, es sei alles möglich?"

Der Zahnarzt

Zwei Tagdiebe, die schon lange miteinander in der Welt herumgezogen, weil sie zum Arbeiten zu träg oder zu ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in grosse Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten und nicht geschwind wussten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden Einfall. Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers geniessen, sondern zum Betrug missbrauchen wollten. Sie kneteten nämlich und drehten aus dem Weichen desselben lauter kleine Kügelein oder Pillen und bestreuten sie mit Wurmmehl aus altem, zerfressenem Holz, damit sie völlig aussahen wie die gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein paar Batzen einige Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder (denn eine schöne Farbe muss gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen). Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein, je sechs bis acht Stücke in ein Päcklein. Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den Roten Löwen, wo er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern sass ganz wehmütig in einem Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut für sich und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, dass der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war zu tun? Man bedauerte ihn, man tröstete ihn, dass es schon wieder vergehen werde, trank sein Gläslein fort und machte seine Marktaffären aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite durch das Winseln des erstern, der im Winkel sass, aufmerksam zu werden schien. "Guter Freund", sprach er, "Ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?" und ging mit grossen, aber langsamen Schritten auf ihn zu. "Ich bin der Doktor Staunzius Rapunzia von Trafalgar", fuhr er fort. Denn solche fremde, volltönige Namen müssen auch zum Betrug behilflich sein wie die Farben. "Und wenn Ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt", fuhr er fort, "so soll es mir eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien von Euern Leiden zu befreien."—"Das wolle Gott", erwiderte der andere Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzia eines von seinen roten Päcklein aus der Tasche und verordnete dem Patienten, ein Kügelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beissen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit anzusehen. Nun könnt ihr euch vorstellen, was geschah. Auf diese erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr tat er einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. Der Schmerz, sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den Angstschweiss von der Stirne weg, obgleich keiner dran war, und tat, als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand drückte.—Der Streich war schlau angelegt und tat seine Wirkung. Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich gingen jetzt die zwei Schelmen wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie wieder zusammenkamen, über die Einfalt dieser Leute und liessen sich's wohl sein von ihrem Geld.

Das war teures Brot. So wenig für 24 Kreuzer bekam man noch in keiner Hungersnot. Aber der Geldverlust war nicht einmal das Schlimmste. Denn die Weichbrotkügelein wurden natürlicherweise mit der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und Tag Zahnweh bekam und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal und zweimal darauf biss, da denke man an den entsetzlichen Schmerz, den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer aus der eigenen Tasche machte.

Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn man den Vorspiegelungen jedes hergelaufenen Landstreichers traut, den man zum ersten Mal in seinem Leben sieht und vorher nie und nachher nimmer; und mancher, der dieses liest, wird vielleicht denken: "So einfältig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon gewesen."

[Merke: Wer so etwas kann, weiss an andern Orten Geld zu verdienen, läuft nicht auf den Dörfern und Jahrmärkten herum mit Löchern im Strumpf oder mit einer weissen Schnalle am rechten Schuh und am linken mit einer gelben.]

Der Zirkelschmied

In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, dass, wer sich an einem verheirateten Mann vergreift und gibt ihm eine Ohrfeige, der muss 5 Gulden Busse bezahlen und kommt 24. Stunden lang in den Turn. Deswegen dachte am Andreastag ein verlumpter Zirkelschmied im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im Goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen roten Heller hier und daheim habe und seit zwei Jahren nimmer weiss, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind. Darauf hin lässt er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen und trinkt viel Wein dazu, also dass die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreuzer ausmachte; was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmied schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig machen und in Jast bringen. "Das war ein schlechtes Essen, Herr Lammwirt", sagte er, "für ein so schönes Geld. Es wundert mich, dass Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch nichts habe rühmen hören." Der Wirt, so ein Ehrenmann war, antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es hatte ihm schon ein paar Mal im Arme gejuckt. Als aber der Zirkelschmied zuletzt sagte: "Es soll mir eine Warnung sein; denn ich habe mein Leben lang gehört, dass man in den schlechtesten Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird." Da gab ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die allein zwei Dukaten unter Brüdern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine Zeche bezahlen, "oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die Vorstadt hinausprügeln". Der Zirkelschmied aber lächelte und sagte: "Es ist nur mein Spass gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen war recht gut. Gebt mir nur für die Ohrfeige, die ich von Euch bar erhalten habe, zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer auf mein Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen. Es ist besser, wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft. Hat nicht Eure selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe gehoben?"—Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose Augen; denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei wohlhabender Mann und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen und nur eine Stunde des Turnhüters Hausmann sein. Deswegen dachte er: zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken abverdient; ringer, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer drauf, als dass ich das Ganze noch einmal bezahlen muss und werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber: "Jetzt komm mir nimmer ins Haus!"

Drauf, sagt man, habe es der Zirkelschmied in andern Wirtshäusern probiert, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel kr. gilt, als das bare Geld, wofür er verschrieben ist. Drauf seien sie schnell auf 50 Prozent heruntergesunken und am Ende, wie die Assignaten in der Revolution, so unwert worden, dass man jetzt wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische Grenze so viele unentgeltlich ausgeben und wieder einnehmen kann, als man ertragen mag.

Des Dieben Antwort

Einem Dieb, der sich mit Reden mausig machen wollte, sagte jemand: "Was wollt Ihr? Ihr dürft ja gar nicht mehr in Eure Heimat zurückkehren und müsst froh sein, wenn man Euch hier duldet."— "Meint Ihr?" sagte der Dieb; "meine Herren daheim haben mich so lieb, ich weiss gewiss, wenn ich heimkäme, sie liessen mich nimmer fort."

Des Seilers Antwort

In Donauwörth wurde zu seiner Zeit ein Rossdieb gehenkt, und der Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer heutzutag an den Galgen oder ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Ross zu stehlen? Kommt man nicht zu Fuss früh genug? Der Donauwörther hat auch geglaubt, der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite; und ist das Ross einem ungeschickten Dieb in die Hände gefallen, so fiel der Dieb einem ungeschickten Henkersknecht in die Hände. Denn als er ihm das hänfene Halsband hatte angelegt und stiess ihn von der Leiter vom Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her, als wenn er sich noch ein Rösslein aussuchen wollte in der Menge. Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwägen und dachten: man sieht's besser. Als aber das Volk anfing laut zu murren, und der ungeschickte Henker wusste sich nicht zu helfen, so warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfasste ihn mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen und ihm den Atem töten sollte. Da brach der Strick entzwei, und fielen beide miteinander auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missetäter lebte noch, und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: "Der Malefikant hat nur ein Ross gestohlen, nicht zwei, so hat er auch nur einen Strick verdient", und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie's machen. Der Henker aber, als er nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungebärdig an: "Ist das auch ein Strick gewesen?" sagte er, "man hätt' Euch selber dran henken sollen." Der Seiler aber wusste zu antworten: " Es hat mir niemand gesagt", sagte der Seiler, "dass er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Rossdieb."

Die Bekehrung

Zwei Brüder im Westfälinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb und ältere katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder. "Bruder", schrieb er, "es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht Einen Glauben haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser." Also beschied er ihn in den Roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft durchreiste. "Dort wollen wir's ausmachen." In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der Lutherische: "der Papst ist der Antichrist", schalt der Katholische: "Luther ist der Widerchrist." Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin, sagte der Lutherische: "Ich hab' nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei." Aber am Samstag ass schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. "Bruder," sagte er, "der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen"; und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. "Bruder," sagte er, "euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant." Den andern Tag wollten sie miteinander zuerst in die Frühmesse, danach in die lutherische Predigt, und was sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem Grünen Baum nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn. "Augenblicklich setzt Eure Reise fort! Hab' ich Euch auf eine Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr nicht vielmehr die Musterkarte reiten?" Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: "Lieber Sohn, komm heim sobald du kannst, du musst spielen." Also gingen sie noch den nämlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach, was er von dem andern gehört hatte. Nach sechs Wochen schreibt der jüngere dem Ladendiener einen Brief "Bruder, deine Gründe haben mich unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter die Augen kommen." Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen die Feder. "Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit Gewalt in die Verdammnis rennen, dass du die seligmachende Religion verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden." Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher, höchstens ein wenig schlimmer.

Merke: du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Überzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben und, was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, dass dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.

Die Besatzung von Oggersheim

Zu Oggersheim, gegenüber von Mannheim, um die Wahl etwas weiter oben oder unten, je nachdem man sich stellt, als im Dreissigjährigen Krieg unversehens die Spaniolen vor Oggersheim anrückten, flohen fast alle Einwohner nach Mannheim. Nur zwanzig Hausväter blieben zurück und hatten das Herz, die Zugbrücke aufzuziehen und die Tore zu schliessen. Es gehört nicht viel Herz zum Schliessen, aber zum Öffnen. Denn als der spanische Feldhauptmann Don Gonsalva hineintrompeten liess: "Wenn ihr bis morgen um diese Zeit den Platz nicht übergebt", liess er hineintrompeten, "alsdann gebt acht, wer am Leben bleibt, wenn ich den spanischen Sturmmarsch schlagen lasse und doch hineinkomme", da sahen die Helden einander an und sagten: "Der Weg nach Mannheim ist doch der sicherste." Nur einer dachte: "Was soll ich tun? Meine Frau steht an ihrem Ziel. Soll sie unterwegs oder gar auf dem Rhein ins Kindbett kommen? In Gottes Namen, ich bleibe da." Als nun die andern alle sich geflüchtet hatten und er noch allein in dem Städtlein war, trat er mit einem weissen Fähnlein auf die Stadtmauer und rief in das spanische Lager: "Kund und zu wissen sei euch im Namen des Herrn Kommandanten von Oggersheim, der Garnison und der ehrsamen Bürgerschaft! Ihr sollt uns versprechen, das Eigentum zu schonen und die protestantische Religion unangefochten zu lassen. Wenn ihr dieses tut und halten wollt, so sollen euch in einer Stunde die Stadttore geöffnet werden. Ich, der Trompeter."—Da sahen der Feldhauptmann und seine Leute einander an. ja, Nein—Nein, ja. "Was sollen wir katholisches Blut vergiessen lassen", sagte endlich der Feldhauptmann, "um einen ketzerischen Altar umzuwerfen, oder was werden wir in diesem Bauernstädtlein für Schätze finden?" und rief mit lauter Stimme: "Akkordiert!" Nach einer Stunde, als der Feind mit geschlossenen Reihen und Gliedern, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel einzog, am äussern Tor war niemand.—"Sie werden am innern sein." Am innern Tor war auch niemand.—"Sie werden auf dem Platz sein." Auf dem Platz stand mutterseelallein mit dem weissen Fähnlein der herzhafte Burgersmann.—"Was soll das heissen? Wo ist der Kommandant und die Besatzung, wo ist der Burgermeister und der Rat?" Da fiel der Burgersmann vor dem Feldhauptmann auf die Kniee nieder: "Gnädiger Herr, ich bin der einzige, der sich Euerer Grossmut anvertraut hat. Die andern sind nach Euerer Aufforderung alle nach Mannheim geflohen. Nur meine Frau ist noch bei mir im Städtlein, aber ein ellenlanger Rekrut wird nächster Tagen eintreffen.

Unterdessen bin ich mein eigener Kommandant und mein Trompeter, mein Gemeiner und mein Profoss. Wenn ich seit gestern hätte desertieren wollen, ich hätte mich selber wieder einfangen und Spiessruten jagen müssen." Da lächelte der Feldhauptmann und hiess ihn aufstehn, und obgleich die Spanier zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges keinen Spass verstanden, so leistete er doch, was er versprochen hatte, und noch mehr. Denn als den andern Morgen der brave Burgersmann wieder zu dem Feldhauptmann kam, "Ihro Gnaden", sagte er, "wolltet Ihr mir nicht auf eine Viertelstunde Euern Peldpater leihen, wenn er evangelisch taufen kann? Der ellenlange Rekrut ist angekommen und schon einquartiert", da sagte der Feldhauptmann: "Ja, braver Kamerad, und ich will Gevattermann sein und dein Kind zur Taufe halten." Also hielt der General das Kind zur Taufe und schenkte ihm ein spanisches Goldstück zum Andenken. Den folgenden Tag zogen die Spaniolen wieder weiters.

Die drei Diebe

Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles für wahr zu halten, was in dieser Erzählung vorkommt. Doch ist sie in einem schönen Buch beschrieben und zu Vers gebracht.

Der Zundelheiner und der Zundelfrieder trieben von Jugend auf das Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des Seilers Tochter kopuliert war, nämlich mit dem Strick; und ein Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit und war der Jüngste Doch mordeten sie nicht und griffen keine Menschen an, sondern visitierten nur so bei Nacht in den Hühnerställen und, wenn's Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und Speichern, allenfalls auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie immer am wohlfeilsten ein. Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so übten sie sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstücken, um im Handwerk weiterzukommen. Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eier, und fragt die andern: "Wer ist imstand und holt dem Vogel dort oben die Eier aus dem Nest, ohne dass es der Vogel merkt?" Der Frieder wie eine Katze klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam ein Löchlein unten drein, lässt ein Eilein nach dem andern in die Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos und bringt die Eier. - "Aber wer dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann",—sagte jetzt der Frieder, "ohne dass es der Vogel merkt!" Da kletterte der Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und während der Heiner dem Vogel langsam die Eier unterschob, ohne dass es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen ab, ohne dass es der Heiner merkte. Da gab es ein gross Gelächter, und die beiden andern sagten: "Der Frieder ist der Meister." Der rote Dieter aber sagte: "Ich sehe schon, mit euch kann ich's nicht zugleich tun, und wenn's einmal zu bösen Häusern geht und der Letze kommt über uns, so ist's mir nimmer Angst für euch, aber für mich." Also ging er fort, wurde wieder ehrlich und lebte mit seiner Frau arbeitsam und häuslich. Im Spätjahr, als die zwei andern noch nicht lang auf dem Rossmarkt ein Rösslein gestohlen hatten, besuchten sie einmal den Dieter und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten gehört, dass er ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig achtgeben, wo es liegt. Es hing in der Kammer an der Wand. Als sie fort waren, sagte der Dieter: "Frau, ich will das Säulein in die Küche tragen und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer unser." In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie können, die Mauer durch, aber die Beute war nicht, mehr da. Der Dieter merkt etwas, steht auf, geht um das Haus und sieht nach. Unterdessen schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett, wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an und sagt: "Frau, die Sau ist nimmer in der Kammer." Die Frau sagt: "Schwätz' nicht so einfältig! Hast du sie nicht selber in die Küche unter die Mulde getragen?" "Ja so", sagte der Heiner, "drum bin ich halber im Schlaf" und ging, holte das Schwein und trug es unbeschrieen fort, wusste in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald. Und als der Dieter wieder ins Haus kam und nach dem Säulein greifen will, "Frau", rief er, "jetzt haben's die Galgenstricke doch geholt."

Allein so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben nach, und als er den Heiner einholte (es war schon weit vom Hause weg), und als er merkte, dass er allein sei, nahm er schnell die Stimme des Frieders an und sagte: "Bruder, lass jetzt mich das Säulein tragen, du wirst müde sein." Der Heiner meint, es sei der Bruder, und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehn in den Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm um, sagte für sich selber: "Hab' ich dich wieder, du liebes Säulein!" und trug es heim. Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum, bis er im Wald das Feuer sah, und kam und fragte den Bruder: "Hast du die Sau, Heiner?" Der Heiner sagte: "Hast du sie denn nicht, Frieder?" Da schauten sie einander mit grossen Augen an und hätten kein so prasselndes Feuer von buchenen Spänen gebraucht zum Nachtkochen. Aber desto schöner prasselte jetzt das Feuer daheim in Dieters Küche. Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft verhauen und Kesselfleisch über das Feuer getan. Denn der Dieter sagte: "Frau, ich bin hungrig, und was wir nicht beizeiten essen, holen die Schelmen doch." Als er sich aber in einen Winkel legte und ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel das Fleisch herum und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann im Schlaf so ängstlich seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam durch das Kamin herab, spiesst das beste Stück im Kessel an und zog's herauf; und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweiten Mal und zum dritten Mal; und als die Frau den Dieter weckte: "Mann, jetzt wollen wir anrichten", da war der Kessel leer, und wär' ebenfalls kein so grosses Feuer nötig gewesen zum Nachtkochen. Als sie aber beide schon im Begriff waren, hungrig ins Bett zu gehen, und dachten: Will der Henker das Säulein holen, so können wir's ja doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch der Mauer in die Kammer und aus der Kammer in die Stube und brachten wieder, was sie gemaust hatten. Jetzt ging ein fröhliches Leben an. Man ass und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt hätte, es sei das letzte Mal, und war guter Dinge, bis der Mond im letzten Viertel über das Häuslein wegging und zum zweiten Mal im Dorf die Hahnen krähten und von weitem der Hund des Metzgers bellte. Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des roten Dieters sagte: "Jetzt ist's einmal Zeit ins Bett", kamen die Strickreiter von wegen des gestohlenen Rössleins und holten den Zundelheiner und den Zundelfrieder in den Turn und in das Zuchthaus.

Die falsche Schätzung

Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein anderer sagt.

Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Wert und nicht wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer Hochzeit angezogen hatte und sich mit seinen fetten, roten Backen im Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute: "Nun, Thadde", fragte er ihn, "wie viel mag ich wohl wert sein, wie ich dastehe?" Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit ausgestreckten Fingern so her und so hin. "Doch auch fünfhundertundfünfzig Gulden", sagte er endlich, "weil doch heutzutag alles teurer ist als sonst." Da sagte der Herr: "Du dummer Kerl, glaubst du nicht, dass mein Gewand, das ich anhabe, allein seine fünfhundert Gulden wert ist?" Da trat der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubentüre zurück und sagte: "Verzeiht mir meinen Irrtum, ich hab's etwas höher angeschlagen, sonst hätt' ich nicht so viel herausgebracht."

Die gute Mutter

Im Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rückzug aus Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine Mutter in der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war, und von dem sie lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte daheim keine Ruhe mehr. "Er muss bei der Rheinarmee sein", sagte sie, "und der liebe Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm führen", und als sie auf dem Postwagen zum St. Johannistor in Basel heraus und an den Rebhäusern vorbei ins Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig, wie alle Gemüter sind, die Teilnehmung und Hoffnung bedürfen, und die Schweizer ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten bald, was sie auf den Weg getrieben hatte. "Find' ich ihn in Kolmar nicht, so geh' ich nach Strassburg, find' ich ihn in Strassburg nicht, so geh' ich nacher Mainz." Die andern sagten das dazu und jenes und einer fragte sie: "Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? Major?" Da wurde sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er könnte wohl Major sein oder so etwas, weil er immer brav war, aber sie wusste es nicht. "Wenn ich ihn nur finde", sagte sie, "so darf er auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn." Zwei Stunden herwärts Kolmar aber, als schon die Sonne sich zu den Elsässer Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Strasse standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuss, und die Generale und Obersten standen vor dem Lager beisammen, diskurierten miteinander, und eine junge, weissgekleidete Person von weiblichem Geschlecht und feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind. Die Frau im Postwagen sagte: "Das ist auch keine gemeine Person, da sie nahe bei den Herren steht. Was gilt's, der, wo mit ihr redet, ist ihr Mann." Der geneigte Leser fängt allbereits an, etwas zu merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts. Ihr Mutterherz hatte keine Ahndung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren war, sondern bis nach Kolmar hinein war sie still und redete nimmer. In der Stadt im Wirtshaus, wo schon eine Gesellschaft an der Mahlzeit sass, und die Reisegefährten setzten sich auch noch, wo Platz war, da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und Hoffnung eingeengt, da sie jetzt etwas von ihrem Sohn erfahren könnte, ob ihn niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er etwas sei, und hatte doch den Mut fast nicht zu fragen. Denn es gehört Herz dazu, eine Frage zu tun, wo man das Ja so gerne hören möchte, und das Nein ist doch so möglich. Auch meinte sie, jedermann merke es, dass es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und dass sie hoffe, er sei etwas geworden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die Suppe brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Rocke fest und fragte ihn: "Kennt Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von einem gehört, so und so?" Der Diener sagt: "Das ist ja unser General, der im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag gegessen", und zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm wenig Gehör darauf, sondern meinte, es sei Spass; der Diener ruft den Wirt. Der Wirt sagt: "Ja, so heisst der General." Ein Offizier sagte auch: "Ja, so heisst unser General", und auf ihre Fragen antwortete er: "Ja, so alt kann er sein", und "Ja, so sieht er aus und ist von Geburt ein Schweizer." Da konnte sie sich nicht mehr halten vor inwendiger Bewegung und sagte "Es ist mein Sohn, den ich suche"; und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig einfältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham. Denn sie schämte sich, dass sie eines Generals Mutter sein sollte vor so vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen. Aber der Wirt sagte: "Wenn das so ist, gute Frau, so lasst herzhaft Eure Bagage abladen ab dem Postwagen, und erlaubt mir, dass ich morgen in aller Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch hinausführe zu Eurem Herrn Sohn in das Lager." Am Morgen, als sie in das Lager kam und den General sah, ja, so war es ihr Sohn, und die junge Frau, die gestern mit ihm geredet hatte, war ihre Schwiegertochter, und das Kind war ihr Enkel. Und als der General seine Mutter erkannte und seiner Gemahlin sagte: "Das ist sie", da küssten und umarmten sie sich, und die Mutterliebe und die Kindesliebe und die Hoheit und die Demut schwammen ineinander und gossen sich in Tränen aus, und die gute Mutter blieb lange in ungewöhnlicher Rührung, fast weniger, dass sie heute die Ihrigen fand, als darüber, dass sie sie gestern schon gesehen hatte.—Als der Wirt zurückkam, sagte er, das Geld regne zwar nirgends durch das Kamin herab, aber nicht zweihundert Franken nähme er darum, dass er nicht zugesehen hätte, wie die gute Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glück sah; und der Hausfreund sagt: Es ist die schönste Eigenschaft weitaus im menschlichen Herzen, dass es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehörige unverhofft wieder zusammenkommen, und dass es allemal dazu lächeln oder vor Rührung mit ihnen weinen muss, nicht ob es will.

Die lachenden Jungfrauen

Wer weiss, wo Saratow liegt? Der Hausfreund hat viel Bücher. Er weiss alles. Saratow liegt weit gegen Sonnenaufgang in das wilde Asien hinein und ist ebenfalls der Sitz einer russischen Statthalterschaft, nämlich wie Pensa, und war im Jahr 1812 ebenfalls der Sammelplatz, wo viel Tausend unglückliche Kriegsgefangene abgegeben und dann tiefer hineingeführt wurden in das Elend. Ein Transport von gefangenen Deutschen wird eines Tages eingebracht. Eine Menge von Einwohnern, wie zu geschehen pflegt, stehen auf den Gassen; die Neugierigen schauten, der Übermut trotzte und spottete, die Rachsucht fluchte und schimpfte. Keine Hand bot sich zur Pflege der kranken, der verwundeten, der verschmachtenden Fremdlinge an, eher zu etwas anderm. Niemand wehrte ihnen. Denn die Kriegsgefangenschaft spinnt keine Seide, und man kann nicht glauben, wie erbittert damals die Russen über ihre Feinde waren, und keiner wurde vorher gefragt, ob er zu den Schlimmen gehöre, sondern man nahm ihn dafür. Aber einem wohlbetagten Hauptmann und seinem Leutnant begegnete etwas Merkwürdiges. Denn eben als der Hauptmann den Leutnant an der Hand ergriff und ihn trösten wollte: "Fasse dich, junges Blut, auch das wird vorübergehen und ein Ende nehmen, mit dem Frieden oder mit dem Tode",—in dem Augenblicke hören sie zunächst vor sich ein mutwilliges Lachen, und indem sie unwillkürlich aufschauen,—sie hätten's bereits können gewohnt sein,—was erblicken ihre Augen? In einem vornehmen russischen Gefährt zwei Jungfrauen, schön wie zwei Sonnen, lieblich wie der Frühlingstag, wenn die Rosen blühen. Beide Teile schauten einander an, aber ob auch die Jungfrauen sich wollten Gewalt antun, sie konnten sich nicht erwehren, und trat auch eine die andere auf den Fuss, so ward's nur ärger. Das griff schmerzhaft den sonst vielgeprüften Mut des bejahrten Hauptmanns an. Noch so jung, dachte er, und schon so entartet, und der Leutnant dachte: so schön und doch so grausam, und der Schmerz des einen brach in eine Träne, der Unmut des andern aber in Worte aus: "Töchter dieses unwirtlichen Landes", fing der Hauptmann an, "ihr versteht zwar meine Rede nicht", die Jungfrauen lachten aufs neue,—"aber wollte Gott, ihr verstündet sie", da lachten auf einmal die Jungfrauen nicht mehr. "Gar unfein", fuhr der Hauptmann fort, "steht das euerem Geschleckte, euerer Jugend und euren schönen Kleidern an, an dem Jammer schuldloser Menschen eure Augen zu weiden und mit solchem Hohngelächter unsere Herzen zu durchschneiden." Da fiel ihm errötend die ältere der Jungfrauen in das Wort, sie war ungefähr 18 Jahre alt und die jüngere 17, und redete die Unglücklichen zu ihrem Erstaunen ebenfalls deutsch an, mitten in Saratow und mitten in Russland, mehr als 1000 Stunden weit von der Heimat deutsch. "Edle Fremdlinge", sagte sie, sanft wie ein Engel und mit tiefbewegter Stimme, "sprecht nicht also, dass wir gekommen seien, unsere Augen an euerem Elende zu weiden und euere Herzen durch Verhöhnung zu martern, die wir die Absicht haben, euch zu bitten, dass ihr mit uns gehen wollet in die Wohnung unserer Eltern und Pflege und Liebe anzunehmen, bis die Engel des Friedens euch zurückführen mögen zu euren Fahnen oder in die Umarmungen eurer Angehörigen, dass ihr bei ihnen glücklich sein möget alle Tage eures Lebens." Ihr entgegnete hinwiederum erstaunt über diese Worte der Hauptmann: "Edle Jungfrauen, wes herrlichen Geschlechts Töchter ihr sein möget, wenn dem also ist, wie ihr saget, so vertrauen wir uns eurer Einladung an, die ihr aus deutschem Blute entsprossen scheint, so ihr das Unrecht verzeihen könnt; womit mein Schmerz euch beleidigt hat."

Als sie aber in den Wagen einstiegen, und der Hauptmann wollte; wie es sich traf, neben die ältere der Jungfrauen sitzen, widerfuhr ihnen noch etwas Apartes, denn es zog ihn die jüngere sanft auf ihre Seite: "Verzeiht mir", sagte sie; "edler Fremdling, meine Ansprüche auf Euch sind mir zu wert. Meine Freundin hat kein Recht an Euch." Und zu dem Leutnant sprach die ältere ebenfalls: "Meine Freundin hat kein Recht an Euch",—und zog ihn sanft und sittsam an ihre Seite. Den zwei Kriegsgefangenen aber war alles recht, denn auch jedem andern hätte die Wahl zwischen beiden schönen Jungfrauen schwerer sein müssen als jeder andern Jungfrau die Wahl zwischen einem fünfzigjährigen Mann und einem zwanzigjährigen Jüngling.

Fragt sich nun: wer waren die Jungfrauen, und wo führten sie ihre Gefangenen hin? Antwort: Es leben in Saratow zwei reiche und angesehene deutsche Familienväter; der Deutsche kommt, wie das Quecksilber, überall durch, wenn er schon keins ist. Beide Familien waren des Abends vorher wie gewöhnlich beisammen und sprachen von allerlei. "Ist's wahr",—sagte der eine,—"dass morgen deutsche Kriegsgefangene ankommen?"—"Sie sind schon angesagt", erwiderte man ihm.—"Die armen Menschen haben einen schweren Gang",—sprach wehmütig eine der Mütter. Da trat die ältere Jungfrau ihren Vater an: "Werden wir auch einen bekommen, mein Vater? Wie sorglich wollte ich gleich einer Tochter oder Schwester sein pflegen und ihn trösten." Der Vater erwiderte: "Den Gefangenen bettet man nicht auf Rosen. Sie werden in den Vorstädten in den dürftigsten Hütten untergebracht."—"Oder wolltet Ihr denn nicht selbst einen einladen oder Euch einen ausbitten von dem Hauptmann ihrer Bewachung?"—"Das könnte mir wohl übel gedeutet werden", erwiderte der Vater, "sie sind Feinde des Vaterlandes, in welches wir selbst als Fremdlinge aus ihrer Heimat sind aufgenommen worden. Wir dürfen die Feinde nicht als unsere Landsleute erkennen. Doch wenn einen von ihnen mir das Schicksal ohne mein Zutun entgegenführt, will ich mich seiner nicht entschlagen", und ebenso sprach auch der Vater der andern Jungfrau. Da redeten die beiden Töchter miteinander, und leichtsinnig und gutmütig, wie die Jugend ist, beschlossen sie, wenn die Gefangenen kämen, zu tun, was sie taten.

Anfänglich fuhren sie ein wenig um den Transport herum, wie wenn man auf den Jahrmarkt geht, um einzukaufen. Man sieht zuerst die Waren an, was da ist, ehe man auf Geratewohl kauft, das Nächste, das Beste. Als aber die Jungfrauen den Hauptmann erblickten, wie er dastand, wenig gebeugt von seinen Leiden, und angeschmiegt an ihn den Jüngling, den Leutnant, den das Schicksal zum ersten Mal in die Schule der Prüfung genommen hatte, und zwar gleich in die oberste Klasse, sagten sie zueinander, "diese zwei wollen wir nehmen."— "Willst du den Alten?" sagte scherzhaft die jüngere. "Oder willst du ihn?" sagte zu ihr ihre Freundin. Da nahm die jüngere zwei Stecknadeln aus ihrem Busengewand, eine längere und eine kürzere, und zogen miteinander das Hälmlein mit Stecknadeln. Als aber die ältere den Leutnant zog und die jüngere den Hauptmann behielt, in dem Augenblick, als dieser sagte, "auch das wird ein Ende nehmen",— lachten die Jungfrauen. Denn diesen Erbschatz teilt noch die Kindheit mit der Jugend, dass Schmerz und Freude leichter an ihr vorübergehen und in schnellern Ablösungen miteinander wechseln. Hernach aber, als der Hauptmann so ernsthaft sie anredete, "euer Ohr versteht zwar meine Rede nicht", lachten sie von neuem. Denn wenn man einmal darin ist, man muss; und das Gefühl, dass es unschicklich sei, hilft nur dazu, die Unschicklichkeit zu begehen. Aber als sie den Schmerz erkannten, mit dem er nach einem süssen deutschen Wort in dieser fremden Welt wie nach einem Almosen seufzte, und sie hatten's in ihrem milden Herzen und konnten's ihm geben und waren deswegen da, da lachten sie nicht mehr und boten ihnen in deutscher Sprache und Rede die Pflege und Liebe ihrer Eltern an und führten sie zu ihnen. Die Väter hoben zwar die Finger gegen ihre Töchter auf "Was habt ihr getan!" aber im Herzen waren sie es froh. Sie zeigten sogleich der Obrigkeit an, was geschehen war, und der menschenfreundliche Statthalter gab ihnen gerne die Erlaubnis, auf ihre Bürgschaft zwar, ihre gefangenen Landsleute bei sich zu behalten bis auf ein Weiteres.

Da gebrach ihnen auf einmal nichts mehr, da waren sie auf einmal aller ihrer Leiden quitt, da verzogen sich alle ihre Bekümmernisse. Der Hauptmann in dem Hause, das ihn aufgenommen hatte, wurde angesehen und geliebt als ein Bruder, der Leutnant in dem seinigen als ein Sohn, von seiner schönen Retterin auch noch ein wenig anderst, nämlich ebenso wie sie von ihm, bis die Engel des Friedens kamen. Als aber die Engel des Friedens kamen, schangschierte der Leutnant seinen Glauben, nämlich, dass er in der Uniform sterben werde. Er verschaffte sich den Abschied von seinem Regiment und freut sich jetzt als Gatte der Liebe und der Jugend seiner schönen Retterin. Der Hauptmann aber trennte sich von diesen edeln Menschen und von seinem jungen Freund mit einer Rührung und mit einem Schmerz, der mehr Tränen als Worte hat, und kam wohlbehalten wieder in Deutschland und bei den Seinigen an, und wer ihn sah und vorher gekannt hatte, wunderte sich sein. "Ei, wie seid Ihr so jung geworden, Herr Hauptmann, in Eurer Gefangenschaft, Euch muss es nicht übel gegangen sein."

Der geneigte Leser darf an der Wahrheit dieser Erzählung nicht zweifeln, denn der Hausfreund hat sie aus dem zweiten Mund. Nämlich der Hauptmann hat sie selbst einem rheinländischen Herrn Kriegsobristen also mitgeteilt, der auch weiss, wie man über die Berezina geht, und von dem Kriegsobristen aber hat sie der Hausfreund und hat seitdem schon manches Täublein mit ihm verzehrt und schon manches Schöpplein mit ihm herausgemacht, Fuchs oder Has.

Die leichteste Todesstrafe

Man hat gemeint, die Guillotine sei's. Aber nein! Ein Mann, der sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte und bei dem Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt. Da half nicht Bitten, nicht Beten. Weil er aber sonst bei dem Fürsten wohl angeschrieben war, liess ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten sterben wolle; denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm werden. Also kam zu ihm in den Turn der Oberamtsschreiber: "Der Herzog will Euch eine Gnade erweisen. Wenn Ihr wollt gerädert sein, will er Euch rädern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er Euch henken lassen. Es hängen zwar schon zwei am Galgen, aber bekanntlich ist er dreischläferig. Wenn Ihr aber wollt lieber Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart Ihr wählen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden. Aber sterben müsst Ihr, das werdet Ihr wissen." Da sagte der Malefikant: "Wenn ich denn doch sterben muss, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber Ihr versteht's doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt, der Tod aus Altersschwäche sei der sanfteste, und den will ich denn auch wählen, und keinen andern", und dabei blieb er und liess sich's nicht ausreden. Da musste man ihn wieder laufen und fortleben lassen, bis er an Altersschwäche selber starb. Denn der Herzog sagte: "Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht brechen."

Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne umkommen lässt, wenn sie ihn retten kann.

Die nasse Schlittenfahrt

Der Hausfreund hat viel gute Freunde am Rhein auf und ab, zwischen Friedlingen und Andernach, unter andern ein paar lose. Einer davon versteht sich gut darauf, Kissen und Säcke auszustopfen, um weich darauf zu sitzen, und man darf ihn rekommandieren. Zwei andere gute Freunde von ihm sagten zueinander an einem schönen, kalten Wintertag: "Wollen wir nicht auf dem Schlitten fahren?"—"Wohin?"— "Zum Theodor." Sie nannten ihn nur mit dem Vornamen. Theodor heisst er mit dem Vornamen. Also spannten sie den Rappen an den Rennschlitten und legten einen Sack voll Spreu darauf, der Länge nach, um weicher zu sitzen. Als sie bei dem guten Freund angelangt waren, wurde lustig getrunken—der Wein lag ihm nie überzwerch im Fass—: Schliengener, Böllinger, Steinenstatter, Vierundachtziger, Achtziger, Vierundsiebenziger. Beim Vierundsiebenziger blieben sie sitzen, bis der Abendstern über dem Wasgau funkelte und die Bettglocken laut wurden in den Dörfern. Als die Bettglocken laut wurden, sagte einer von ihnen: "Jetzt will ich anspannen, unser Weg ist der weiteste." Der Theodor sagte: "Wahrscheinlich auch der krümmste. Hüst um! Dort links ist die Stubentür." Denn der Gast taumelte nach der Türe eines Milchschranks, in der Meinung, es sei die Stubentür. Als sie auf dem Schlitten noch eins genommen hatten zu St. Johannes' Segen und ungefähr an die Tannen gekommen waren, wurde es beiden nass zwischen den Beinen. Der vordere dachte: "Soll mir etwas passiert sein, oder ist mein Kamerad dahinten nicht wasserfest? Der andere dachte: Schmelzen die Spreu im Spreuersack, oder ist meinem Kameraden etwas passiert?—"Gevatter", stammelte endlich der vordere, " es scheint mir, Ihr habt's euch kommod gemacht. Ich hätt' Euch wohl ein paar Minuten lang das Leitseil halten mögen."—"Gevatter", erwiderte der andere, "mir kommt's vor, Ihr solltet nicht mehr saufen, als Ihr bei Euch behalten könnt." Während sie aber so Wortwechsel treiben und jeder die Schuld auf den andern warf, wurden sie immer nässer, und der Sack unter ihnen gab immer mehr nach, bis sie auf dem harten Brette sassen.

"Mordsapperment, Ihr schwemmt mich noch über den Schlitten hinunter", fuhr der zweite fort.—"Oder Ihr mich", erwiderte der erste.—"Wenn ich nicht dasässe wie einer, der zwischen den zwei Buckeln eines Trampeltieres reitet, ich läge schon lange auf dem Boden, und die Stiefel sind mir bereits mitsamt den Füssen angefroren am Schlittenkufen."—"Drum eben", erwiderte der erste. "Woher kommt's, dass Euch das Wasser an den Beinen herabläuft?" Als sie aber halbsteif nach Hause gekommen waren und die Spreu aus dem Sacke ausleeren wollten, schoss etwas ganz anderes als Spreu heraus. Da sagte der eine: "Ich glaube gar, der Schalk, der Theodor, hat uns den Sack mit Schnee angefüllt. Darum sind wir so nass geworden." Der andere sagte: "Es kömmt mir auch so vor."—Es war auch so.

Die Ohrfeige

Ein Büblein klagte seiner Mutter: "Der Vater hat mir eine Ohrfeige gegeben." Der Vater aber kam dazu und sagte: "Lügst du wieder? Willst du noch eine?"

Die Probe

In einer ziemlich grossen Stadt, wo nicht alle Leute einander kennen, auch nicht alle Hatschiere, ging ein neu angenommener Hatschier in ein verdächtiges Wirtshäuslein hinein und hatte einen braunen Überrock an. Denn er dachte: Weil ich noch nicht lange angenommen bin, so kennt mich niemand, und niemand nimmt sich vor mir in acht; vielleicht gibt's etwas zu fischen. Ein bejahrter Mann in bürgerlicher Kleidung folgt ihm nach und geht auch in das Wirtshäuslein. Der neue Hatschier fordert einen Schoppen, der betagte Mann setzt sich an den nämlichen Tisch und fordert auch einen Schoppen. Unter ihnen und ober ihnen und an andern Tischen sassen mehrere Leute und sprachen in Friede und Eintracht von allerlei, von dem Elefant, von dem grossen Diebstahl, von den Kriegsoperationen. Einer zog mit dem Finger einen Strich von Wein über den Tisch und sagte: "Zum Exempel, dies wäre die Donau." Drauf legte er ein Stücklein Käsrinde daneben und sagte: "Jetzt, das wär' Ulm." Ein anderer, als er Ulm nennen hörte, sagte zu dem betagten Mann: "Ich bin von Ulm und hätte Haus und Gewerb daselbst. Aber die alten Zeiten sind nicht mehr." Der betagte Mann sagte: "Landsmann, Ulm ist überall, die guten Zeiten sind nirgends mehr", und fing an zu hadern und sich zu vermessen über die Zeit und über die Abgaben und über die Obrigkeit, wie es sich nicht geziemt. Da wurde der Hatschier im braunen Überrock aufmerksam und stille und sagte endlich: "Guter Freund, ich warne Euch." Der betagte Mann aber sagte: "Was habt Ihr mich zu warnen?" und trank ein Glas voll Wein nach dem andern aus und schimpfte über die Obrigkeit nur noch ärger. Der verkleidete Hatschier sagte: "Guter Freund, ich kenn' Euch nicht. Aber ich will Euch noch einmal gewarnt haben." Der Betagte erwiderte: "Warnen hin und warnen her! Was wahr ist, muss man reden dürfen. Was bleibt einem noch übrig als die freie Rede?" und so und so. Da schlug der verkleidete Hatschier den braunen Überrock zurück und zeigte sich, wie er war, in einem hechtgrauen Rocke mit roten Aufschlägen und einem Bandelier. "Jetzt, guter Freund", sagte er, "jetzt kommt mit mir!" Da stellte sich der Mann, als er an dem Rock den Hatschier erkannte, auf einmal wie umgewendet. "Guter Freund", sagte er, "Ihr werdet doch meinen Spass nicht für Ernst angesehen haben und nicht erst heute auf die Welt gekommen sein. Ich sehe schon", sagte er, "wir müssen eine Bouteille miteinander trinken, dass Ihr mich besser kennen lernt", und forderte noch eine Bouteille und winkte der Wirtin: "Vom Guten." Allein der Hatschier sagte: "Ich habe keinen Wein mit Euch zu trinken", und fasste ihn wohl oben am Arm, und fort zur Türe hinaus. Unterwegs fuhr der Arrestant fort zu reden: "Ihr meint zum Beispiel, ich sei ein Feind von Abgaben, weil ich über die Abgaben geschimpft habe. Aber nein, ich will Euch das Gegenteil beweisen, denn Ihr seid auch eine obrigkeitliche Person, und ich habe vor Euersgleichen Respekt." Also zog er einen Kronentaler aus der Tasche und wollte sich damit loskaufen. Aber der Hatschier sagte: "Ihr habt mir keine Abgaben zu bezahlen." Eine Gasse weiter fuhr der Arrestant fort: "Was gilt's, Ihr seid noch nicht verheiratet und habt für keine Frau noch Kinder zu sorgen, weil Ihr keine Abgabe von mir braucht. Ich will Euch zu einem schönen Weibsbild führen." Der Hatschier erwiderte: "Ihr habt mich zu keinem Weibsbild zu führen, aber ich Euch zu einem Mannsbild." Als sie aber miteinander in den Polizeihof und vor den Herrn Stadtvogt gekommen waren, fing der Stadtvogt an laut zu lachen, dann er gar ein lustiger Mann ist, und sagte: "Welcher von Euch zweien bringt den andern?" Denn es ist jetzt Zeit, dem geneigten Leser zu sagen, dass der Arrestant selber ein alter Hatschier war, und hatte sich verkleidet und war dem neuen nachgegangen, nur um ihn zu prüfen, ob er seine Pflicht tut. Deswegen sagte der Stadtvogt: "Welcher von Euch zweien bringt den andern." Der junge wollte anfangen, der alte aber, der vermeintliche Arrestant, schaute ihn gebieterisch an und sagte: "Es ist an mir zu reden, ich bin älter im Dienst. Ihro Gnaden, Herr Stadtvogt", sagte er, "dieser junge Mann ist probat, und wir können uns verlassen auf ihn, denn er hat mich arretiert mit Manier und in der Art und hat sich nicht von mir bestechen oder breitschlagen lassen, noch mit Wein, noch mit Geld, noch mit Weibsleuten." Da lächelte der Stadtvogt gar freundlich, dass ihm solches wohlgefalle, und schenkte jedem einen kleinen Taler.

Item, an einem solchen Ort mag es nicht gut sein, ein Spitzbube zu sein, wo ein Hatschier selber dem andern nicht trauen darf. Dies Stücklein ist noch ein Vermächtnis von dem Adjunkt, der jetzt in Dresden ist. Hat er nicht dem Hausfreund einen schönen Pfeifenkopf von Dresden zum Andenken geschickt und ist ein geflügelter Knabe darauf und ein Mägdlein und machen etwas miteinander. Aber er kommt wieder, der Adjunkt.

Die Raben

Zwei gute Freunde, ein Geistlicher und ein Kaufmann, machten miteinander eine Reise. Der Kaufmann neckte im Spass den Geistlichen, und der Geistliche neckte den Kaufmann. Nicht weit von dem Hochgericht, als die Raben aufflatterten und den beiden um die Köpfe flogen, sagte der Kaufmann: "Da haben wir's! Es ist kein Schick dabei, wenn man mit einem Geistlichen reist."—Denn manche Leute glauben sonst, es bedeute ein Unglück, wenn einem die Raben über den Kopf fliegen.—Der Geistliche sagte: "Glaubt doch nicht so einfältige Fabeln, ein Mann, wie Ihr seid. Ich habe in kurzer Zeit mehrere armen Sünder zum Tod begleitet. Jetzt meinen die dummen Tiere, ich bringe wieder einen, und halten Euch für gute Beute." Der Kaufmann sagte: "Herr Pfarrer, Ihr seid ein loser Vogel!"

Die Schlafkameraden

Eines Abends kam ein fremder Herr mit seinem Bedienten im Wirtshaus zu der goldenen Linden in Brassenheim an und liess sich bei dem Nachtessen beiderlei wohl schmecken, nämlich das Essen selbst und das köstliche Getränk. Denn der Lindenwirt hat Guten. Der Bediente aber an einem andern Tisch dachte: Ich will meinem Herrn keine Schande machen, und trank wie im Zorn ein Glas und eine Bouteille nach der andern aus, sagend zu sich selbst: "Der Wirt soll nicht meinen, dass wir Knicker sind." Nach dem Essen sagte der Herr zu dem Lindenwirt: "Herr Wirt, ich hab' an Eurem Roten sozusagen eine gefährliche Entdeckung gemacht. Bringt mir noch eine Flasche voll in das Schlafstüblein." Der Bediente hinter dem Rücken des Herrn winkte dem Wirt: "Mir auch eine!" Denn sein Herr liess sich vieles von ihm gefallen, weil er auf Reisen auch sein Leibgardist war und immer mit ihm in der nämlichen Stube schlafen musste, und je einmal, wenn er sich zuviel Freiheit herausnahm, war der Herr billig und dachte: Ich will nicht wunderlich sein. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er's tut. Also trank an seinem Tisch der Herr und las die Zeitung, und am andern Tisch dachte der Bediente: "Es ist ein harter Dienst, wenn man trinken muss anstatt zu schlafen, zumal so starken. Gleichwohl, als er dem Herrn die zweite Flasche holen musste, nahm er für sich auch noch eine mit vom nämlichen. Der Herr fing endlich an, laut mit der Zeitung zu reden, und der Bediente nahm wie ein Echo zwischen der Türe und dem Fenster auch Anteil daran, aber wie? Der Herr las von dem grossen Mammutsknochen, der gefunden wurde. Der Bediente, der eben das Glas zum Munde führte, lallte für sich: "Soll leben der Mohammedsknochen." Oder als der Herr von dem Seminaristen las aus dem Seminarium in Pavia, der mit Lebensgefahr eines Schriftgiessers Kind aus den Flammen rettete, ergriff er das Glas, und "Bravo", sagte er, "wackerer Seminarist!" Der Bediente aber stammelte für sich: "Soll leben der wackere Seeminister" und goss richtig das halbe Glas über die Liberei hinab. "Hast du's gehört, Anton? So eine Tat wiegt viele Meriten auf", fuhr der Herr fort.—"Sollen auch leben die Minoriten", erwiderte der Diener; und so oft jener z. B. sich räusperte oder gähnte, räusperte sich und gähnte der Anton auch. Endlich sagte der Herr: "Anton, jetzt wollen wir ins Bett." Der Anton sah seine Flasche an und erwiderte: " Es wird ohnehin niemand mehr auf sein in der Wirtschaft." Denn seine Flasche war leer. Aber in der Flasche des Herrn war noch ein Restlein. Früh gegen zwei Uhr weckte es den Anton, dass noch ein Restlein in der Flasche des Herrn sei. Also stand er auf und trank es aus. "Sonst verriecht es", dachte er. Als er aber sich wieder legen wollte, kam er ein wenig zu weit rechts an das Bett seines Herrn. Denn beide Betten standen an der nämlichen Wand mit den Fussstätten gegeneinander. Also legte sich der Anton neben seinen Herrn, mit dem Kopf unten und mit den Füssen oben, neben des Herrn Gesicht, weil er meinte, er liege wieder in seinem eigenen. Eine Stunde vor Tag aber, als der Herr erwachte, kam es ihm vor, er wusste selbst nicht recht, wie. "Soll ich denn gestern abend haben Backensteinkäs heraufkommen lassen?" dachte er. Als er aber sich umdrehen wollte, ob ein Schränklein in der Wand sei, fühlte er auf einmal neben sich etwas Lebendiges und Warmes, und das Warme und Lebendige bewegte sich auch. Jetzt rief er: "Anton, Anton!" mit ängstlicher und leiser Stimme, dass der unsichere Schlafkamerad nicht aufwachen sollte, und derjenige, den er wecken wollte, war doch der Schlafkamerad. "Anton", schrie er endlich in der Herzensangst, so laut er konnte. "Was befehlen Ihro Hochwürden", erwiderte endlich der Anton.—"Komm mir zu Hilfe! Es liegt einer neben mir."—"Ich kann nicht, neben mir liegt auch einer", erwiderte der Bediente und wollte sich strecken, so zwar, dass er mit dem linken Fuss unter des Herrn Kinn kam. "Anton, Anton", rief der Herr, "meiner reisst mir den Kopf ab", und suchte ebenfalls mit den Füssen eine Habung. "Meiner will mir die Nase aufschlitzen", schrie noch viel ärger der Anton. "Wirf deinen heraus", schrie der Herr, "und komm mir zu Hilfe."—Also fasste der Bediente seinen Mann an den Beinen, und dieser, als er Ernst sah, fasste er seinen Mann ebenfalls an den Beinen, und rangen also die beiden miteinander, dass keiner dem andern konnte zu Hilfe kommen; und der Bediente fluchte wie ein Türk, der Herr aber fluchte zwar nicht, aber doch rief er die unsichtbaren Mächte an, sie sollten seinem Gegner den Hals brechen, was auch fast hätte geschehen können; denn auf einmal hörte unten der Wirt, der schon auf war, einen Fall, dass alle Fenster zitterten und der Perpendikel an der Wanduhr sich in die Ruhe stellte. Als er aber geschwind mit dem Licht und dem Hauptschlüssel hinaufgeeilt war, ob ein Unglück sich zugetragen habe, denn er kannte seinen Roten, lagen beide miteinander ringend auf dem Boden und schrieen Zeter Mordio um Hilfe. Da lächelte der Wirt in seiner Art, als ob er sagen wollte, der Rote hat gut gewirkt, die gefährliche Entdeckung. Die beiden aber schauten einander mit Verwunderung und Staunen an. "Ich glaube gar, du bist es selbst, Anton", sagte der Herr.—"So, seid nur Ihr es gewesen", erwiderte der Diener, und legten sich wieder ein jeder in sein Bett, worein er gehörte.

Die Schmachschrift

Als bekanntlich eine Pasquille oder Schmachschrift auf den König Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platz aufgeheftet wurde und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: "Ihro Majestät", sagte der Kammerdiener, "es ist Ihnen heute nacht eine Ehre widerfahren, das und das. Alles hab' ich nicht lesen können; denn die Schrift hängt zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichts Gutes"; da sagte der König: "Ich befehle, dass man die Schrift tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazustelle, auf dass jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt." Nachderhand geschah nichts mehr.

Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim. Denn Brassenheim ist ein Amtsstädtlein. Als ihm eines Morgens eine Pasquille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit Teig in der Nacht an die Haustüre geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebärdig, fluchte wie ein Türk im Haus herum und schlug der unschuldigen Katze ein Bein entzwei, dass die Frau Amtsschreiberin ganz entrüstet wurde und fragte: "Bist du verrückt, oder was fehlt dir?" Der Amtsschreiber sagte: "Da lies! Du hast deinen Teil auch darin." Als das die losen Vögel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt hatten, dass der Herr Amtsrichter also im Harnisch sei, hatten sie grosse Freude daran und sagten: "Heut nacht tun wir's wieder." Den zweiten Morgen, als ihm die neue Schandtat gebracht wurde und ein Rezept für lahmgeschlagene Katzen darin, ward er noch viel wütender und warf Tische und Stühle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand einen zornigen Bericht darüber an den regierenden Grafen, ob er gleich niemand nennen konnte, und als er ihn geschrieben hatte und den Sand darauf streuen wollte, ergriff er in der Rasche statt der Sandbüchse das Tintenfass und goss die Tinte über den Bericht und über die weisstüchenen Amtshosen.

Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: "Hansstoffel", sagte er, "vigiliere heut nacht um das Haus herum, bis der Hahn kräht, und wenn du den Kujonen attrapierst, so bekommst du einen grossen Taler Fanggeld. Ich will sehen", sagte er, "ob ich mir soll auf der Nase herumtanzen lassen."

Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und der Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf dass, wenn der Stoffel den Pasquillenmacher brächte, dass er ihn gleich auf frischer Tat erstechen könnte. "Herr Amtsschreiber", sagte der Stoffel, "ich will nur melden, dass heute nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir erlauben, jetzt ins Bett zu gehen. Alle Lichter im Städtlein sind ausgelöscht, die Wirtshäuser sind leer, die zwei letzten sind nach Haus gegangen, und des Wagner-Mattheisen Hahn hat zweimal hintereinander gekräht, es wird wohl morgen auch wieder einmal regnen." Da fuhr ihn der Amtsschreiber wie ein betrunkener Heide an: "Dummes Vieh, auf der Stelle begib dich auf deinen Posten, bis der Tag aufgeht, oder ich schlage dir das Gehirn im Leib entzwei", sagte er im unvernünftigen Zorn. Der geneigte Leser denkt: Was gilt's, während der Stoffel bei dem Amtsschreiber war, ist die dritte Pasquille auch angepappt worden, und wenn er herabkommt, findet er sie jetzt. Nichts weniger. Sondern als der Stoffel im Fortgehen bereits an der Stubentür war und der Amtsschreiber ihm noch einmal nachsah, "Hansstoffel", rief er ihm, "komm noch ein wenig daher!"— Der Stoffel kam. "Dreh' dich um! Was hast du auf dem Rücken?" "Will's Gott, keinen Galgen", sagte der Stoffel. "Nein, vermaledeiter Dummkopf, aber wahrscheinlich ein Pasquill."—Wie gesagt, so erraten: der Stoffel trug das dritte Pasquill bereits auf dem Rücken geklebt, und standen darin noch viel mutwilligere Dinge als in dem ersten und zweiten, und unter andern ein Rezept für Tintenflecke aus den Amtshosen zu bringen. Dies war so zugegangen. Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen war, kamen zwei lose Gesellen heran, und einer von ihnen hatte schon die dritte Pasquille auf der flachen Hand liegen, also dass die beschriebene Seite des Papiers gegen die Hand hineinlag, die äussere Seite aber war mit Teig bestrichen, dass er im Vorbeigehen die Schrift nur an die Türe hätte drücken dürfen. Als sie aber den Bedienten des Amtsschreibers vor der Türe sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, aber nicht alle Leute kannte der Stoffel: "Ei, guten Abend", sagte der eine, "was schafft Er Guts hier, Herr Hansstoffel? Was gilt's, Er kann nicht hinein!" da erzählte er ihnen, warum er da sitzen müsse und bis wann, und wie ihm bereits die Zeit so lange sei, und es komme doch niemand. "Ei", sagte der eine, "die Lichter im Städtlein sind ausgelöscht, und die Wirtshäuser sind leer, und wir zwei sind die letzten, die heimgehen. Also gehe Er in Gottes Namen ins Bett." Der andere aber, der das Papier in der flachen Hand hatte, schlug ihm im Fortgehen sanft und freundlich die Hand auf den Rücken, dass das Papier am Rocke hängen blieb, und sagte: "Gute Nacht, Herr Hansstoffel, schlaf' Er wohl!" "Ebenfalls!" sagte der Stoffel, und als sie um das Eck herum waren, krähte einer von ihnen zweimal wie ein Hahn oder wie der russische General-Feldmarschall Suwarow Fürst Italinsky im Lager. Also brachte der Stoffel dem Amtsschreiber die Pasquille selber auf dem Rücken in die Stube, und der Herr Amtsschreiber prügelte zwar den Stoffel im Zimmer herum und schlug bei dem Ausholen ein paar Spiegel entzwei, aber den Schimpf und Schaden und Zorn musste er an sich selber haben und brachte nichts heraus. Denn die zwei Spassvögel sagten: "Der Klügste gibt nach. Jetzt wollen wir's aufgeben, eh' es zu bösen Häusern geht", und jedermann, der davon erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus. Merke: Der König von Preussen hat sich in diesem Stücke klüger betragen als der Herr Amtsschreiber von Brassenheim.

Die Tabaksdose

In einer niederländischen Stadt in einem Wirtshaus waren viele Leute beisammen, die einander einesteils kannten, zum Teil auch nicht. Denn es war ein Markttag. Den Zundelfrieder kannte niemand. "Gebt mir auch noch ein Schöpplein", sagte ein dicker, bürgerlich gekleideter Mann zu dem Wirt und nahm eine Prise Tabak aus einer schweren, silbernen Dose. Da sah der Zundelfrieder zu, wie ein windiger, gewürfelter Gesell sich zu dem dicken Mann stellte, ein Gespräch mit ihm anfing und ein paarmal wie von ungefähr nach der Rocktasche schaute, in welche der Mann die Dose gesteckt hatte. Was gilt's, dachte der Frieder, der führt auch etwas im Schild? Anfänglich stand der Gesell. Hernach liess er ein Schöpplein kommen, setzte sich auch auf den Bank und sprach mit dem Dicken allerlei kuriose Sachen, woran dieser Mann viel Spass fand. Endlich kam ein Dritter. "Exküse", sagte der Dritte, "kann man auch noch ein wenig Platz hier haben?" Also rückte der windige Gesell ganz nahe an den dicken Mann hin und diskurierte immer fort: "Ja", sagte er, "ich habe mich ein Rechtes verwundert, als ich in dieses Land kam und sah, wie die Windmühlen so flätig vom Winde umgetrieben werden. Bei mir zulande geht das ganze Jahr kein Lüftlein. Also muss man die Windmühlen anlegen, wo die Wachteln ihren Strich haben. Wenn nun im Frühjahr die Milliontausend Wachteln kommen vom Meer her aus Afrika und fliegen über die Mühlenräder, so fangen die Mühlen an zu gehen, und wer in dieser Zeit nicht kann mahlen lassen, hat das ganze Jahr kein Mehl im Haus." Darüber geriet der dicke Mann so ins Lachen, dass ihm fast der Atem verging, und unterdessen hatte der schlaue Gesell die Dose. "Aber jetzt hört auf", sagte der Dicke. "Es tut mir weh im Kreuz", und schenkte ihm von seinem Wein auch ein Glas ein. Als der Spitzbube ausgetrunken hatte, sagte er: "Der Wein ist gut. Er treibt. Exküse", sagte er zu dem Dritten, der vorne an ihm sass, "lasst mich einen Augenblick heraus!" Den Hut hatte er schon auf.

Als er aber zur Tür hinausging und fort wollte, ging ihm der Zundelfrieder nach, nahm ihn draussen auf die Seite und sagte zu ihm: "Wollt Ihr mir auf der Stelle meines Herrn Schwagers seine silberne Dose herausgeben? Meint Ihr, ich hab's nicht gemerkt? Oder soll ich Lärmen machen? Ich hab Euch schonen wollen vor den vielen Leuten, die drin in der Stube sitzen." Als nun der Dieb sah, dass er verraten sei, gab er zitternd dem Frieder die Dose her und bat ihn vor Gott und nach Gott, stille zu sein. "Seht", sagte der Frieder, "in solche Not kann man kommen, wenn man auf bösen Wegen geht. Euer Leben lang lasst es Euch zur Warnung dienen. Unrecht Gut faselt nicht. Ehrlich währt am längsten." Den Hut hatte der Freister auch schon auf. Also gab er dem Gesellen noch eine Prise Tabak aus der Dose und trug sie hernach zu einem Goldschmied.

Die Wachtel

Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbaren lebten sonst miteinander immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Lärmenmacher, Euer Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein Stündlein schlafen möchte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der ganzen Nachbarschaft?"—Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das Gegenteil. Ist's nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und Wachtel immer früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch einmal und sagt: "Freund, wär' Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie tot machen?"—"Das nicht", erwiderte der andere.—"Oder fliegen lassen?"—"Nein, auch nicht."—"Oder in eine andere Gasse stiften?"—"Auch das nicht, sondern hier vor mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören könnt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der Klügere von beiden. Ei, dachte er, wenn ich sie vor deinem Fenster umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ist's besser.— "Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll's ihm nicht verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel umquartiert.

Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf erweckte und er eben denken wollte: "Ei, meine gute Wachtel ist auch schon munter",—halbwegs des Gedankens fällt's ihm ein: "Nein, es ist meines Nachbars Wachtel,—das undankbare Vieh", sagte er endlich am dritten Morgen, "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt mir zum Schabernack.—Der Nachbar sollte verständiger sein und bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: "Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht wieder einen kurzen Schlaf gehabt."—"Es ist ein braver Vogel", erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft."—"Er ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?" Da lächelte der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht tot machen?"— "Nein!"—"Oder sie fliegen lassen?"—"Das auch nicht."—"Oder in eine andere Gasse vermachen?"—"Auch das nicht. Aber an ihren alten Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja eben so gut hören könnt wie an ihrem jetzigen."—"Freund", erwiderte ihm hierauf der Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen." Der Nachbar dachte bei sich: "Wohlfeiler kann ich sie nicht los werden, als für sein eigenes Geld." Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, und die Wachtel flog.

Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es nötig hat, was für ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem andern, ferner—denn es braucht keine Wachtel dazu—ob einer in einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt, oder ob es ein anderer anhören muss; item: ob einer selber bis nachts um 10 Uhr eine langweilige Geschichte erzählt, und ob ein anderer dabei sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss, gleich als ob er achtgäbe.

Die Wachtel

Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten sonst miteinander immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, daß mir Euer Lärmenmacher, Euer Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein Stündlein schlafen möchte, und daß Ihr Euch unwert macht bei der ganzen Nachbarschaft?" Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das Gegenteil. Ists nicht aller Ehren wert, daß meine Wachtel der ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und die Wachtel immer früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch einmal und sagt: "Freund, wär Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie totmachen?" —"Das nicht", erwiderte der andere. "Oder fliegen lassen?" —"Nein, auch nicht." —"Oder in eine andere Gasse stiften?" —"Auch das nicht, sondern hier vor mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören könnt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der Klügere von beiden. ›Ei‹, dachte er, ›wenn ich sie vor deinem Fenster umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ists besser.‹ —"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch solls ihm nicht verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel umquartiert.

Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf erweckt und er eben denken wollte: ›Ei, meine gute Wachtel ist auch schon munter‹, —halbwegs des Gedankens fällts ihm ein: ›Nein, es ist meines Nachbars Wachtel.‹ —"Das undankbare Vieh", sagte er endlich am dritten Morgen; "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt mir zum Schabernack. —Der Nachbar sollte verständiger sein und bedenken, daß er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruß es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: "Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht wieder einen kurzen Schlaf gehabt." —"Es ist ein braver Vogel", erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft." —"Er ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was verlangt Ihr Aufgeld, daß er Euch wieder feil werde?" Da lächelte der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht totmachen?" — "Nein." —"Oder fliegen lassen?" —"Das auch nicht." —"Oder in eine andere Gasse vermachen?" —"Auch das nicht. Aber an ihren alten Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja ebenso gut hören könnt wie an ihrem jetzigen." —"Freund", erwiderte ihm hierauf der Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so laß ich sie fliegen." Der Nachbar dachte bei sich: ›Wohlfeiler kann ich sie nicht loswerden als für sein eigenes Geld.‹ Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, und die Wachtel flog.

Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es nötig hat, was für ein großer Unterschied es sei, ob etwas vor dem eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem andern, ferner —denn es braucht keine Wachtel dazu —, ob einer in einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt oder ob es ein anderer anhören muß; item: ob einer selber bis nachts um zehn Uhr eine langweilige Geschichte erzählt und ob ein anderer dabei sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muß, gleich als ob er achtgäbe.

Die Weizenblüte

Nie muss sich einer über fremdes Unglück freuen, weil es ihm Nutzen bringt, sonst kommt die Zeit, es freuen sich andere wieder. In einigen Gegenden hat man das Sprichwort, wenn man sagen will, dass man einen Gewinn oder Vorteil zu hoffen habe—sagt man: "Mein Weizen blüht." Als daher der Chirurgus und ein Zimmermann in der Nacht miteinander auf der Strasse gingen und in einiger Entfernung ein bekanntes Dörflein brannte, deutete der Zimmermann hinüber und sagte zu dem Chirurgus: "Herr Gevatter, mein Weizen blüht." Nämlich, weil es neue Häuser aufzuschlagen gibt, wenn die alten verbrennen. Weil er aber auf den Brand und nicht auf den Weg sah, fiel er im nämlichen Augenblick in einen Graben und brach einen Arm entzwei. Da sagte zu ihm der Chirurgus: "Gevatter, es kommt mir vor, mein Weizen sei zeitig."—Der geneigte Leser versteht's.

Die zwei Postillione

Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fürth nach Hechingen oder von Hechingen nach Fürth, wie jeden sein Geschäft ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld, so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: "Für was soll ich dem Postknecht einen Zwölfer schenken? Ich trag ja nicht schwer daran." Die Postillione aber, der von Dinkelsbühl und der von Ellwangen, sagten

"Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen könnten, dass sie spendaschlicher würden!" Eines Tages kommt der Fürther in Dinkelsbühl an und will weiters. Der Postillion sagte zu seinem Kameraden: "Fahr du den Passagier." Der Kamerad sagte: "Es ist an dir." Unterdessen sass der Reisende ganz geduldig in seinem offenen Eliaswagen, bis der Postillion aufsass. Als er sah, dass der Postillion im Sattel recht sass und die Peitsche erhob, sagte er: "Fahr' zu, Schwager! Werf' Er mich nicht um!" Am nämlichen Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der Postillion dachte bei sich selbst: "Wenn jetzt nur mein Kamerad von Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Weg wäre!" Indem er fährt, bergauf bergab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund und seinem Reisekumpan in München auch einmal die Haare geschnitten worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern ausweichen. Jeder sagt: "Ich führe einen honetten Herrn, einen Schwitie, keinen Pfennigschaber wie du, dem seine Sechsbatzenstücke aussehen wie Hildburghäuser Groschen." Endlich legte sich der Fürther auch in den Streit. "Gott's Wunder!" sagte er, "sollen wir noch einmal vierzig Jahr in der Wüste bleiben?" und schimpfte zuletzt den Ellwanger, dass ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb ins Gesicht gab. Der Dinkelsbühler sagt: "Du sollst meinen Passagier nicht hauen, er ist mir anvertraut und zahlt honett; oder ich hau' den deinigen auch."—"Untersteh dich und hau mir meinen Herrn!" sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers Passagier, und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühlers Passagier, und riefen einander in unaufhörlichem Zorn zu: "Willst du meinen Herrn in Frieden lassen, oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem Lungenmus zusammenhauen?" und je schmerzlicher der eine Au und der andere Weih schrie, desto kräftiger hieben die Postillione auf sie ein, bis sie des unbarmherzigen Spasses selber müde wurden. Als sie aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten die Postillione zu ihren Reisenden so und so: "Nicht wahr, ich hab' mich Euer rechtschaffen angenommen? Mein Kamerad wird's niemand rühmen, wie ich ihm seinen Herrn zerhauen habe. Aber diesmal kommt's Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn's der Fürst wüsste", sagte der Dinkelsbühler, "es wäre ihm um einen Maxd'or nicht leid. Er sieht darauf, dass man die Reisenden gut hält." Merke: Es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wofür man gehauen oder sonst verunehrt wird. Für ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit und guten Willen kaufen.

Merke: Der Herr, der auf der Abbildung seitwärts steht, hat's mit angesehen und hat's dem Hausfreund vier Wochen hernach zu Karlsruhe am Mittagessen erzählt.

Drei Worte

Ein Jude in Endingen im Wirtshaus erblickte einen Kaufherrn, der ihm bekannt vorkam. "Seid Ihr nicht einer von den graussmütigen Herrn, dass ich hab' die Gnad' gehabt mit ihnen von Basel nach Schalampi zu fahren auf dem Wasser?" Der Gersauer Kaufherr, er war von Gersau, sagte: "Hast du unterdessen nichts Neues ausspintisiert, Reiskamerad?" Der Jud antwortet: "Habt Ihr gute Geschäfte gemacht auf der Messe? Wenn Ihr gute Geschäfte gemacht habt,—um einen Sechsbätzner, Ihr könntet mir drei Worte nicht nachsagen." Der Gersauer dachte: Ein paar Franken hin oder her. "Lass hören!" Der Jud sagte: Messerschmied. Der Gersauer: Messerschmied. Dudelsack— Dudelsack. Da schmunzelte der Jude und sagte: Falsch!—Da dachte der Gersauer hin und her, wo er könnte gefehlt haben. Aber der Jude zog eine Kreide aus der Tasche und machte damit einen Strich. "Einmal gewonnen." Noch einmal! sagte der Kaufherr. Der Jud sagte: Baumöl. Der Kaufherr: Baumöl. Rotgerber—Rotgerber. Da schmunzelte der Hebräer abermal und sagte: Falsch, und so trieben sie's zum sechsten Mal. Als sie's zum sechsten Mal so getrieben hatten, sagte der Kaufherr: "Nun will ich dich bezahlen, wenn du mich überzeugen kannst, wo ich gefehlt habe." Der Jude sagte: "Ihr habt mir das dritte Wort nie nachgesprochen. Falsch war das dritte Wort, das habt Ihr mir nie nachgesprochen, und also war die Wette gewonnen."

Drei Wünsche

Diesmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabei, auch riecht es nicht nach Rosenduft und Morgenrot, sondern nach Klingenberger und nach Kalbfleisch in einer sauren Brühe. Drei lustige Kameraden sassen beisammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen verzehrt hatten und noch eine Flasche voll Klingenberger miteinander tranken, sprachen sie von allerlei und fingen zuletzt an zu wünschen. Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch einen kernhaften Wunsch tun, und wer den grössten Wunsch hervorbringe, der soll frei ausgehen an der Zeche.

Da sprach der erste: "So wünsch' ich dann, dass ich alle Festungsgräben von ganz Strassburg und Kehl voll feiner Nähnadeln hätte und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider müsste mir ein Jahr lang lauter Maltersäcke nähen, und wenn ich dann jeden Maltersack voll doppelte Dublonen hätte, so wollte ich zufrieden sein."

Der zweite sagte: "So wollt' ich denn, dass das ganze Strassburger Münster bis unter die Krone des Turmes hinauf voll Wechselbriefe vom feinsten Postpapier läge, so viel darin Platz haben, und wäre mir auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen deinen Maltersäcken Platz hat, und ich hätt's." Der dritte sagte: "So wollt ich denn, dass ihr beide hättet, was ihr wünscht, und dass euch alsdann beide in Einer Nacht der Henker holte, und ich wär euer Erbe."

Der dritte ging frei aus an der Zeche, und die zwei andern bezahlten.

Drei Wünsche

Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beisammen und hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim ist: wenn man's gut hat, hätt man's gerne besser. Aus diesem Fehler entstehen so viele törichte Wünsche, woran es unserm Hans und seiner Liese auch nicht fehlte. Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald des Löwenwirts Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg. Eines Abends aber, als sie friedlich am Ofen sassen und Nüsse aufklopften und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam durch die Kammertür ein weisses Weiblein herein, nicht mehr als eine Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze Stube war voll Rosenduft. Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem Weiblein aus und überzog alle Wände. Über so etwas kann man nun doch ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit wundersüsser, silberreiner Stimme sprach: "Ich bin eure Freundin, die Bergfei Anna Fritze, die im kristallenen Schloss mitten in den Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden." Hans drückte den Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das lautet nicht übel. Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu öffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Kappen, seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: "Acht Tage lang", sagte sie, "habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl und übereilt euch nicht." Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe brannte wie vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube.

So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter Bassgeigen, so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor lauter Wunsch nicht wussten, was sie wünschen wollten, und nicht einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren, ehe sie es genug überlegt hätten. "Nun", sagte die Frau, "wir haben ja noch Zeit bis am Freitag."

Des andern Abends, während die Grundbirn zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der russigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Grundbirn aus der Pfanne auf das Plättlein anrichteten und ihr der Geruch lieblich in die Nase stieg:—"Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu hätten", sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu denken, und—o weh, da war der erste Wunsch getan.—Schnell wie ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Grundbirn lag die schönste Bratwurst.—Wie gewünscht, so geschehen.—Wer sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht ärgern? Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht unwillig werden? "Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase angewachsen wäre", sprach er in der ersten Überraschung, auch in aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken—und wie gewünscht so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so sass die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen im Mutterleib und hing zu beiden Seiten hinab wie ein Husarenschnauzbart.

Nun war die Not der armen Eheleute erst recht gross. Zwei Wünsche waren getan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher. Noch war ein Wunsch zwar übrig. Aber was half nun aller Reichtum und alles Glück zu einer solchen Nasenzierat der Hausfrau? Wollten sie wohl oder übel, so mussten sie die Bergfei bitten, mit unsichtbarer Hand Barbiersdienste zu leisten und Frau Liese wieder von der vermaledeiten Wurst zu befreien. Wie gebeten, so geschehen, und so war der dritte Wunsch auch vorüber, und die armen Eheleute sahen einander an, waren der nämliche Hans und die nämliche Liese, nachher wie vorher, und die schöne Bergfei kam niemals wieder. Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht geizig, sondern wünsche

Numero eins: Verstand, dass du wissen mögest, was du Numero Zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es leicht möglich wäre, dass du alsdann etwas wähltest, was ein törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch Numero Drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue. Oder so

Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den
Verstand nicht hat, sie zu benutzen.

Ein gutes Rezept

In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch, wie jedermann weiss; aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert hat. Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: "Kind, hol' mir einen Doktor, sonst kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen." Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten; aber keiner wollte kommen, denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Tränen, die wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wusste, dass es der Kaiser ist, und dachte: Ich will's probieren. "Gnädiger Herr", sagte er, "wollet Ihr mir nicht einen Gulden schenken? Seid so barmherzig!" Der Kaiser dachte: "Der fasst's kurz und denkt, wenn ich den Gulden auf einmal bekomme, so brauch' ich nicht sechzig Mal um den Kreuzer zu betteln. "Tut's ein Käsperlein oder zwei Vierundzwanziger nicht auch?" fragt ihn der Kaiser. Das Büblein sagte: "Nein", und offenbarte ihm, wozu er das Geld benötigt sei. Also gab ihm der Kaiser den Gulden und liess sich genau von ihm beschreiben, wie seine Mutter heisst, und wo sie wohnt, und während das Büblein zum dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also dass man ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht express darum ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und sah recht leer und betrübt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: "Ich will Euch dann jetzt ein Rezept verschreiben", und sie sagte ihm, wo des Bübleins Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept und belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heimkommt, und legte es auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war, kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hörte, er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es sei schon so einer dagewesen und hab' ihr etwas verordnet, und sie habe nur auf ihr Büblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was für einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch nicht wenig und sagte zu ihr: "Frau", sagte er, "Ihr seid einem guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch fünfundzwanzig Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und untendran steht: Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe und Augentrost hätt' ich Euch nicht verschreiben können." Da tat die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau kuriert und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich nachgehends wieder verheiratet.

Ein Hausmittel

Ein fremder Mann in einem Wirtshause bemerkte lange bei seinem Schöpplein, wie die Frau Vogtin (der Vogt führte die Wirtschaft) unaufhörlich am Stricken gehindert wurde durch etwas anderes. Endlich sagte er: "Es scheint, Ihr wollt ander Wetter prophezeien, Frau Vögtin. Euere braunen Tierlein machen Euch viel Zeitvertreib." Die Wirtin ward dessen fast verschämt und sagte: "Ihr habt mir nicht sollen zusehen." Darauf erwiderte der Fremde: "Ein Floh ist doch auch ein Geschöpflein, und ich weiss nicht, warum man nicht davon reden soll. Wenn sie Euch aber zur Plage sind, und es kommt Euch auf einen Vierundzwanziger nicht an, ich wollte Euch wohl sagen, was Ihr tun müsstet, damit Ihr nie in Euerm Leben einen Floh bekämet." Die Wirtin sagte: "Einen Vierundzwanziger wär' es wohl noch wert", und als er sich denselben voraus hatte bezahlen lassen, sagte er mit schelmischem Lächeln: "Nämlich, wenn Euch ein Floh am rechten Arm beisst, müsst Ihr ihn am linken suchen. Beisst er Euch aber am linken, so sucht ihn am rechten. Alsdann bekommt Ihr gewiss keinen. Ich hab's von der Polizei in Brassenheim gelernt", sagte er. Es war der Zirkelschmied.

Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler

Als der letzte König von Polen noch regierte, entstand gegen ihn eine Empörung, was nichts Seltenes war. Einer von den Rebellern, und zwar ein polnischer Fürst, vergass sich so sehr, dass er einen Preis von 20000 Gulden auf den Kopf des Königs setzte. Ja, er war frech genug, es dem König selber zu schreiben, entweder um ihn zu betrüben oder zu erschrecken. Der König aber schrieb ihm ganz kaltblütig zur Antwort: "Euern Brief habe ich empfangen und gelesen. Es hat mir einiges Vergnügen gemacht, dass mein Kopf bei Euch noch etwas gilt. Denn ich kann Euch versichern: für den Eurigen gäb' ich keinen roten Heller."

Ein Wort gibt das andere

Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris, dass er sollte Französisch lernen und ein wenig gute Sitten. Nach einem Jahr oder drüber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch nach Paris. Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll Staunen und Freude aus: "Ei, Hans, wo führt dich der Himmel her? Wie steht es zu Hause, und was gibt's Neues?"—"Nicht viel Neues, Herr Wilhelm, als dass vor zehn Tagen Euer schöner Rabe krepiert ist, den Euch vor einem Jahr der Weidgesell geschenkt hat."

"O das arme Tier", erwiderte der Herr Wilhelm. "Was hat ihm denn gefehlt?"

"Drum hat er zu viel Luder gefressen, als unsere schönen Pferde verreckten, eins nach dem andern. Ich hab's gleich gesagt." "Wie! Meines Vaters vier schöne Mohrenschimmel sind gefallen?", fragte der Herr Wilhelm. "Wie ging das zu?"

"Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserführen, als uns
Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen."

"Um Gottes willen!" rief der Herr Wilhelm voll Schrecken aus. "Ist unser schönes Haus verbrannt? Wann das?"

"Drum hat man nicht aufs Feuer achtgegeben an Ihres Herrn Vaters seliger Leiche, und ist bei Nacht begraben worden mit Fackeln. So ein Fünklein ist bald verzettelt!"

"Unglückliche Botschaft!", rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus.
"Mein Vater tot? Und wie geht's meiner Schwester?"

"Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu Tod gegrämt, als Ihre Jungfer Schwester ein Kindlein gebar und hatte keinen Vater dazu. Es ist ein Büblein.

Sonst gibt's just nicht viel Neues", setzte er hinzu.

Eine merkwürdige Abbitte

Das ist merkwürdig, dass an einem schlechten Menschen der Name eines ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und dass er durch solchen nur ärger geschimpft ist.

Zwei Männer sassen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im Wirtshaus. Aber der eine von ihnen hatte bösen Leumund wegen allerlei, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof. Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts. Mit dem bekam der andere Zwist im Wirtshaus, und im Unwillen und weil er ein Glas Wein zuviel im Kopfe hatte, so sagte er zu ihm: "Du schlechter Kerl!"—Damit kann einer zufrieden sein, wenn er's ist, und braucht nicht mehr. Aber der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben, schimpfte auch und verlangte Beweis. Da gab ein Wort das andere, und es hiess: "Du Spitzbub! du Felddieb!"—Damit war er noch nicht zufrieden, sondern ging vor den Richter. Da war nun freilich derjenige, welcher geschimpft hatte, übel dran. Leugnen wollt' er nicht, beweisen konnt' er nicht, weil er für das, was er wohl wusste, keine Zeugen hatte, sondern er musste einen Gulden Strafe erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheissen habe, und ihm Abbitte tun, und dachte bei sich selber: Teurer Wein! Als er aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er: "Also einen Gulden kostet es, gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben nennt? Was kostet's denn, wenn man einmal in der Vergesslichkeit oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann?" Der Richter lächelte und sagte: "Das kostet nichts, und damit ist niemand geschimpft." Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Kläger um und sagte: "Es ist mir leid, ehrlicher Mann! Nichts für ungut, ehrlicher Mann! Adies, ehrlicher Mann!" Als der erboste Gegner das hörte und wohl merkte, wie es gemeint war, wollte er noch einmal anfangen und hielt sich jetzt für ärger beleidigt als vorher. Aber der Richter, der ihn doch auch als einen verdächtigen Menschen kennen mochte, sagte zu ihm, er könne jetzt zufrieden sein.

Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte

Zwei Schiffer fuhren frühmorgens den Strom herab, und der Tag war schon ins enge, stille Tal gekommen, als sie an der hohen Felsenwand, genannt die Riesenmauer, vorbeifahren wollten. Es steigen nämlich daselbst die Felsen fast senkrecht in die Höhe. Weit oben ist's wie abgeschnitten, und der heilige Nepomuk, ob er gleich von Stein ist, meint man doch, es müsse ihm schwindlig werden, und es wird's einem für ihn, wenn man hinaufschaut. Keine Ziege weidet an dieser Halde, kein Fusspfad führt den Wanderer hinauf oder hinab. Nur einzelne arme Tannen oder Eichen sind aus den Felsenspalten da und dort herausgewachsen, mehr hangend als stehend, und nähren sich, so gut sie können, vom Wasserduft und Sonnenschein. Als aber die Schiffer gegen die Felsenwand kamen, hörten sie ein klägliches Notgeschrei, und um einen Buck herumfahrend, sahen sie mit Entsetzen, dass ein lebendiger Mensch in einsamer Todesnot und Angst auf einem solchen Eichstämmlein sass und sich mit den Händen an einem schwachen Ästlein festhielt wie ein furchtsamer Reiter am Kammhaar, und sah auch wirklich aus, als wenn er in die Luft hinausreiten wollte, unten Wasser, oben Himmel, vor ihm nichts. Aber der eine Schiffer verwunderte sich noch viel mehr, als er den Mann ins Auge fasste und erkannte. "Seid Ihr es, Herr Schulmeister, oder trügt mich ein Blendwerk?" Ja, es war der Herr Schulmeister, ein braver, unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut kennt als sich selbst oder seinen Adjunkt, ein Vater von drei Kindern.

Der Hausfreund müsste sich sehr an dem geneigten Leser oder an seiner eigenen Beschreibung irren, wenn derselbe früher fragen sollte, was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann auf diesen Baum hinaufgekommen, als vielmehr, wie er wieder herabgebracht und aus des Todes Angst und Not gerettet worden sei. Man holte die längste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an dem schmalen Bort zwischen dem Strom und den Felsen auf. Sie reichte nicht hinan. Man band die zwei längsten aneinander und richtete sie mit unsäglicher Mühe und eigener Todesgefahr auf. Sie reichten nicht hinan. Es war schon 10 Uhr, und die Sonne schwamm über das Tal, als ob sie das seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und Hoffnung machen wollte zur Rettung. Man erstieg auf der andern Seite die Anhöhe, schlang das längste Seil, das zu haben war, um den heiligen Nepomuk und liess es hinab, dass er es um den Leib binden, sich alsdann mit den Händen und Füssen gegen die Felsenwand stemmen und seine Auffahrt regieren sollte. Aber der arme Mann durfte mit den Händen den Ast nicht verlassen, weil er sonst keine Habung hatte auf dem schwachen Stamm und unvermeidlich das Gleichgewicht und das Leben hätte verlieren müssen. Endlich liess man auf die nämliche Art noch einen Mann von Mut und Kraft zu ihm hinab, der ihm das eine Seil um den Leib befestigte, und zog alsdann unversehrt einen nach dem andern herauf. Der Herr Schulmeister aber, als er wieder Boden erfasst und sozusagen gelandet hatte, küsste er zuerst mit Dank und Gebet die Füsse des Schutzheiligen, der ihm gleichsam in der Gestalt des Seils seine hilfreiche Hand hinabgereicht hatte und absichtlich um seiner Rettung willen da zu stehen schien, und dankte seinen Mitbürgern. Hernach winkte er seiner zagenden Frau und seinen weinenden Kindern, die am jenseitigen Ufer standen, dass es jetzt nichts mehr zu sagen habe. Aber auf die Frage, wie er auf den Baum herabgekommen sei, konnte er keine Antwort geben, sondern er bewies hernach als ein Mann, dem an seiner Reputation viel gelegen ist, dass er in dem Dorf auf dem Berge ein einziges Schöpplein getrunken habe und nüchtern fortgegangen sei, um nach Hause zu kommen. Was sich aber weiter mit ihm zugetragen habe, wisse er nicht, sondern, als er aufgewacht sei, sei er auf dem Baum gesessen.

Dem Hausfreund aber ist es insofern lieb für seine Leser, dass die Sache im Dunkeln bleibt. Denn ob es gleich muss natürlich zugegangen sein, so sieht es doch wunderbarer aus und greift besser an, wenn man nicht weiss, wie. So viel ist klar auf alle Fälle: "Er hat seinen Engeln über dir Befehl getan, dass sie dich behüten auf deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen."

Eine sonderbare Wirtszeche

Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet's den Rock, oft sogar die Haut dazu. Diesmal aber nur den Rock. Denn obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so gingen sie doch noch einmal in ein Wirtshaus und dachten, sie wollten sich schon wieder hinaus helfen und doch nicht wie Schelmen davon schleichen, und es war ihnen gar recht, dass die junge und artige Wirtin ganz allein in der Stube war. Sie assen und tranken guten Mutes und führten miteinander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn die Welt schon viele tausend Jahre alt wäre und noch ebenso lang stehen würde, und dass in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder Stunde des Jahrs alles wieder so komme und sei, wie es am nämlichen Tag und in der nämlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen sei. "Ja", sagte endlich einer zur Wirtin—die mit einer Stickerei seitwärts am Fenster sass und aufmerksam zuhörte—"ja, Frau Wirtin, das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen." Und einer war so keck und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, dass sie vor sechstausend Jahren schon einmal da gewesen seien, und das hübsche, freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch wohlbekannt. Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser liessen sich die jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel schmecken, bis eine Rechnung von 5 fl. 16 kr. auf der Kreide stand. Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der List heraus, worauf es abgesehen war.

"Frau Wirtin", sagte einer, "es steht diesmal um unsere Batzen nicht gut, denn es sind der Wirtshäuser zu viele an der Strasse. Da wir aber an Euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn's Euch recht ist, so wollen wir in sechstausend Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte Zeche samt der neuen bezahlen." Die verständige Wirtin nahm das nicht übel auf, war's vollkommen zufrieden und freute sich, dass die Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die Stubentüre und bat, die Herren möchten nur so gut sein und jetzt die 5 fl. 16 kr. bezahlen, die sie vor sechstausend Jahren schuldig geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es wieder komme. Zum Unglück trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit ein paar braven Männern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb. Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil gefällt und vollzogen: "Es sei aller Ehren wert, wenn man sechstausend Jahre lang geborgt habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld bezahlen, oder ihre noch ziemlich neuen Oberröcke in Versatz geben."

Dies letzte musste geschehen, und die Wirtin versprach, in
sechstausend Jahren, wenn sie wieder kommen und besser als jetzt bei
Batzen seien, ihnen alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen.
Dies ist geschehen im Jahr 1805 am 17ten April im Wirtshause zu
Segringen.

Einer Edelfrau schlaflose Nacht

Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit, wie in dem menschlichen Leben alles zusammenhängt, wenn man es zu entdecken vermag, z. B. Zahnschmerzen und das Glück eines Ehepaars, und wie selbst das, was unrecht und verboten ist, wieder gutgemacht werden kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt, und wie in dem grossen, unaufhörlichen Wechsel der Dinge alles einzelne wieder verschwimmt, dass man ihm nimmer nachkommt, und doch getan bleibt und nicht verloren geht, es sei gut oder bös. Gleich als wenn man ein Glas Wasser in den Rhein ausgiesst, kein Sterblicher ist imstand, es wieder herauszuschöpfen, sondern es ist jetzt dem Rhein vermählt und augenblicklich verschwemmt in der grossen Flut. Ja, wenn die Sonne Wasser aufzieht, wie man zu sagen pflegt, sind ein paar Tröpflein davon vielleicht auch dabei und fallen irgendwo, in Bayern oder Lothringen, wieder aus einer Wasserwolke vom Himmel herab und erquicken ein Blümlein.

Eine Dienstmagd, jung und brav, auch hübsch, und ein Knecht gleicher Qualität dienten miteinander auf einem Edelhof und hätten nicht so gerne Kaffee getrunken oder alle Tage Braten gegessen, als vielmehr einander geheiratet. Allein sie waren Leibeigene, insoweit, dass sie verpflichtet waren, eine gewisse Zeit Hofdienste zu tun, und die Edelfrau auf dem Hofe wollte sie nicht früher aus dem Dienst entlassen, weil sie so brav waren in ihrer Aufführung und so fleissig und treu in ihren Geschäften. Deswegen sassen sie oft beisammen und weinten, oder sie weinte, und er nagte an einem Holzsplitter. Ein ander Mal, wie die menschliche Laune wechselt, sprachen sie sich Mut ein, dass es ja nur noch um zwei Jährlein zu tun sei, und freuten sich schon zum voraus ihres zukünftigen Glücks, "wenn du mein Weib bist"—sagte er—"und ich dein Mann", und einmal vergassen sie sogar die Zukunft und meinten, es sei jetzt. Nach Verlauf aber eines Jahres hat die Frau auf dem Edelhof in der Nacht desperates Zahnweh, nicht gerade deswegen. Sie steht aus dem Bette auf und wirft sich auf einen Stuhl, sie läuft aus einer Stube in die andere, aus der andern in die dritte. In der dritten setzt sie sich gegenüber einem Fensterlein, das in die Küche geht, mit einem weissen Vorhang davor, und das Zahnweh wird ihr nun bald vergehen. Sie sitzt jetzt am rechten Orte dazu. Denn auf einmal sieht sie hell werden hinter dem weissen Vorhang, sie hört etwas sich bewegen, sie hört etwas flüstern und knistern, sie schiebt leise das Vorhänglein weg, und in der Küche stehen der Knecht und die Magd an einem Feuerlein nachts um zwölf Uhr und legen Späne an das Feuer, und auf dem Feuer steht ein Pfännlein.—Bereits gibt das Zahnweh ein wenig nach.—"O ihr gottloses Lumpenpack", sagte sie inwendig für sich. "So ist denn keinem Menschen mehr zu trauen. Habt ihr nicht alle Tage euer ordentliches Essen. Ist es euch nicht gut genug? Müsst ihr mich noch in der Nacht bestehlen und Leckerbissen kochen!" Nach einiger Zeit stellt das Weibsbild das Pfännlein von dem Feuer, als ob sie jetzt die Leckerbissen verzehren wollten, der Knecht aber geht zur Türe hinaus.—"Wie der Tag anbricht, lass ich beide in das Gefängnis werfen", so fuhr die Edelfrau fort, "und jage sie weg ohne ehrlichen Abschied. Am Ende wird mir die Dirne auch noch schwanger von dem Burschen in meinem eigenen Haus. So weit soll's mir nicht kommen." Indem kommt der Knecht zurück und bringt ein vierteljähriges Kind auf dem Arme und gibt's der Mutter auf die Schoss. Da hörte plötzlich das Zahnweh der Edelfrau auf wie weggeflogen. Die Mutter gibt dem Kindlein aus der Pfanne den Brei, sie legt es an die mütterliche Brust, und der Schein des abnehmenden Feuers ging zur rechten Zeit über ihr Angesicht, als sie mit nassen Blicken ihr Kindlein noch einmal beschaute und dem Vater zurückgab und etwas zu ihm sagte. Denn da ward das Herz der Edelfrau wunderbar bewegt und kam auf andere Gedanken. Denn es war ihr, als ob die Mutter mit den nassen Blicken gesagt hätte: "Gott wird des armen Würmleins sich auch erbarmen", und als ob sie dazu bestimmt wäre. Ja, es fuhr ihr mit Grausen durch die Seele, was für ein Unglück in ihrem Hause hätte geschehen können, wenn nicht Gott das Herz der Eltern vor einem schweren Verbrechen bewahrt hätte.

Am frühen Morgen aber liess sie beide Eltern vor sich bescheiden. Beide sahen einander an. "Was gilt's",—sagte sie—"wir bekommen unsere Freiheit."—"Oder auch nicht",—sagte er. Die Edelfrau aber, als sie hereingetreten waren, redete sie ernsthaft und gebieterisch an: "Wo habt ihr euer Kind?" Da glaubten beide in den Boden zu versinken vor Schrecken und Scham und schauten einander verstohlenerweise an, gleichsam ob das andere noch da sei. "Wo ihr euer Kind habt",—wiederholte die Edelfrau.—"Weil wir denn doch eins haben",—stotterte endlich der Vater,—"in der Holzkammer hinter einer Beige." Als es aber der Bursche holen musste, bracht' er es, wie es war in einem alten Felleisen. Es war reinlich gehalten und gebüschelt auf einem Bettlein von Heu und weinte, als ob es schon wusste, wie man es machen muss. Da erbarmte sich das Herz der Edelfrau noch mehr, und als die treue Magd und Mutter reuevoll und mit Tränen bat, sie und ihr unschuldiges Kind nicht unglücklich zu machen, konnte die Edelfrau ihre Rührung nicht mehr verbergen: "Nein, ich will euch nicht unglücklich machen",—sagte sie. "Ich will euch die Härte vergelten, die ich an euch begangen habe. Ich will euch den Kummer versüssen, den ihr getragen habt. Ich will eure Sünde wieder gut machen. Ich will euch die Barmherzigkeit vergelten, die ihr an euerm Kinde getan habt." Meint man nicht, man höre den lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen? Ein Gemüt, das zum Guten bewegt ist und sich der Elenden annimmt und die Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich das Ebenbild Gottes an und fällt deswegen auch in seine Sprache.—"Ihr könnt euch am Sonntag in der Stille zusammengeben lassen",—sagte die Edelfrau. "Ich will euch ein angenehmes Heiratsgut stiften. Ich will aus eurem Kinde etwas werden lassen. Ist's ein Büblein?"—Also wurden sie am nächsten Sonntag auf Geheiss der Edelfrau zusammengegeben und lebten seitdem in Liebe und Frieden ehelich beisammen. Das Büblein aber kann jetzt schon Haselnüsse aufbeissen und lernt fleissig und hat runde, rote Backen.—Was aber weiter daraus werden soll, weiss der, der den Himmel mit der Spanne misst und den Staub der Erde mit einem Dreiling.

Einer oder der andere

Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekrönte Häupter sich unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie König Heinrich der Vierte in Frankreich, sei es auch nur zu einem gutmütigen Spass. Zu König Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein vom Lande her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt gesellt sich zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welches der König war, und sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung zurück. "Woher des Landes, guter Freund?"—"Da und da her."—"Ihr habt wohl Geschäfte in Paris?"—"Das und das; auch möchte ich gerne unsern guten König einmal sehen, der so väterlich sein Volk liebt." - Da lächelte der König und sagte: "Dazu kann Euch heute Gelegenheit werden."—"Aber wenn ich nur auch wüsste, welcher es ist unter den vielen, wenn ich ihn sehe!"—Der König sagte: "Dafür ist Rat. Ihr dürft nur achtgeben, welcher den Hut allein auf dem Kopf behaltet, wenn die andern ehrerbietig ihr Haupt entblössen." Also ritten sie miteinander in Paris hinein, und zwar das Bäuerlein hübsch auf der rechten Seite des Königs. Denn das kann nie fehlen. Was die liebe Einfalt Ungeschicktes tun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das tut sie. Aber ein gerader und unverkünstelter Bauersmann, was er tut und sagt, das tut und sagt er mit ganzer Seele und sieht nicht um sich, was geschieht, wenn's ihn nichts angeht. Also gab auch der unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landbau, nach seinen Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topf habe, gesprächige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber, als er doch sah, wie sich alle Fenster öffneten und alle Strassen mit Leuten sich füllten und alles rechts und links auswich und ehrerbietig das Haupt entblösst hatte, ging ihm ein Licht auf. "Herr", sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit Bedenklichkeit und Zweifel an, "entweder seid Ihr der König oder ich bin's. Denn wir zwei haben noch allein die Hüte auf dem Kopf." Da lächelte der König und sagte: "Ich bin's. Wenn Ihr Euer Rösslein eingestellt und Euer Geschäft versorgt habt", sagte er, " so kommt zu mir in mein Schloss. Ich will Euch alsdann mit einem Mittagssüpplein aufwarten und Euch auch meinen Ludwig zeigen." Von dieser Geschichte her rührt das Sprichwort, wenn jemand in einer Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf dem Kopf behält, dass man ihn fragt: "Seid Ihr der König oder der Bauer?"

Einfältiger Mensch in Mailand

Ein einfältiger Mensch in Mailand wollte sein Haus verkaufen. Damit er nun um so eher davon los werden möchte, brach er einen grossen Stein aus demselben heraus, trug ihn auf den grossen Marktplatz, wo viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter die Verkäufer. Wenn nun ein Mann kam und fragte ihn: "Was habt Ihr denn feil?" so sagte er: "Mein zweistöckigtes Haus in der Kapuzinergasse. Wenn Ihr Lust dazu habt—hier ist ein Muster."

Der nämliche sagte einmal bei einer Gelegenheit, als von der Kinderzucht die Rede war: "Es ist ein Glück für meine Kinder, dass ich keine habe. Ich könnte so zornig werden, dass ich sie alle totschlüge."

Einträglicher Rätselhandel

Von Basel fuhren elf Personen in einem Schiff, das mit allen Kommlichkeiten versehen war, den Rhein hinab. Ein Jude, der nach Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel zu setzen und auch mitzufahren, wenn er sich gut aufführen und dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte es zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur noch ein Dreibatzenstück darin; denn das andere war ein messingener Knopf. Dessenungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar an. Denn er dachte: "Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen. Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich geworden." Im Anfang und von dem Wirtshaus zum Kopf weg war man sehr gesprächig und lustig, und der Jude in seinem Winkel und mit seinem Zwerchsack an der Achsel, den er ja nicht ablegte, musste viel leiden, wie man's manchmal diesen Leuten macht und versündiget sich daran. Als sie aber schon weit an Hüningen und an der Schusterinsel vorbei waren und an Märkt und an dem Isteiner Klotz und St. Veit vorbei, wurde einer nach dem andern stille und gähnten und schauten den langen Rhein hinunter, bis wieder einer anfing: "Mausche", fing er an, "weisst du nichts, dass uns die Zeit vergeht? Deine Väter müssen doch auch auf allerlei gedacht haben in der langen Wüste."—Jetzt, dachte der Jude, ist es Zeit, das Schäflein zu scheren, und schlug vor, man sollte sich in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen vorlegen, und er wolle mit Erlaubnis auch mithalten. "Wer sie nicht beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen; wer sie gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen." Das war der ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag hinein, was ihm einfiel. So fragte z. B. der erste: "Wie viel weichgesottene Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?"—Alle sagten, das sei nicht zu erraten, und bezahlten ihre Zwölfer. Aber der Jude sagte: "Eins, denn wer ein Ei gegessen hat, isst das zweite nimmer nüchtern." Der Zwölfer war gewonnen.

Der andere dachte: Wart', Jude, ich will dich aus dem Neuen Testament fragen, so soll mir dein Dreibätzner nicht entgehen. "Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Korinther geschrieben?" Der Jud sagte: "Er wird nicht bei ihnen gewesen sein, sonst hätt' er's ihnen mündlich sagen können." Wieder ein Zwölfer.

Als der dritte sah, dass der Jude in der Bibel so gut beschlagen sei, fing er's auf eine andere Art an: "Wer zieht sein Geschäft in die Länge, und wird doch zu rechter Zeit fertig?" Der Jud sagte: "Der Seiler, wenn er fleissig ist."

Der vierte: "Wer bekommt noch Geld dazu und lässt sich dafür bezahlen, wenn er den Leuten etwas weismacht?" Der Jud sagte: "Der Bleicher."

Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte: "Das ist
Bamlach." Da fragte der fünfte: "In welchem Monat essen die
Bamlacher am wenigsten?" Der Jud sagte: "Im Hornung, denn der hat
nur 28 Tage."

Der sechste sagt: "Es sind zwei leibliche Brüder, und doch ist nur einer davon mein Vetter." Der Jud sagte: "Der Vetter ist Eures Vaters Bruder. Euer Vater ist nicht Euer Vetter."

Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: "Welche Fische haben die Augen am nächsten beisammen?" Der Jud sagte: "Die kleinsten."

Der achte fragt: "Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von
Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiss scheint?"
Der Jud sagt: "Wo kein Schatten ist, muss er absteigen und zu Fuss
gehn."

Fragt der neunte: "Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet und hat die Handschuhe vergessen, wie muss er's angreifen, dass es ihn nicht an die Hand friert?" Der Jud sagt: "Er muss aus der Hand eine Faust machen."

Fragt der zehnte: "Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?" Der Jud sagt: "Wenn die Fässer Türen hätten, könnte er aufrecht hineingehen."

Nun war noch der elfte übrig. Dieser fragte: "Wie können fünf Personen fünf Eier teilen, also dass jeder eins bekomme und doch eins in der Schüssel bleibe?" Der Jud sagte: "Der letzte muss die Schüssel samt dem Ei nehmen, dann kann er es darin liegen lassen, solang er will."

Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst einen guten Fang zu machen. Mit viel Komplimenten und spitzbübischer Freundlichkeit fragte er: "Wie kann man zwei Forellen in drei Pfannen backen, also dass in jeder Pfanne eine Forelle liege?" Das brachte abermal keiner heraus, und einer nach dem andern gab dem Hebräer seinen Zwölfer.

Der Hausfreund hätte das Herz, allen seinen Lesern, von Mailand bis nach Kopenhagen, die nämliche Frage aufzugeben, und wollte ein hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als am Kalender selber, der ihm nicht viel einträgt. Denn als die elfe verlangten, er sollte ihnen für ihr Geld das Rätsel auch auflösen, wand er sich lange bedenklich hin und her, zuckte die Achseln, drehte die Augen. "Ich bin ein armer Jüd", sagte er endlich. Die andern sagten: "Was sollen diese Präambeln? Heraus mit dem Rätsel!"—"Nichts für ungut!"—war die Antwort—"dass ich gar ein armer Jüd bin."—Endlich nach vielem Zureden, dass er die Auflösung nur heraussagen sollte, sie wollten ihm nichts daran übelnehmen, griff er in die Tasche, nahm einen von seinen gewonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: "Dass ich's auch nicht weiss. Hier ist mein Zwölfer!"

Als das die andern hörten, machten sie zwar grosse Augen und meinten, so sei's nicht gewettet. Weil sie aber doch das Lachen selber nicht verbeissen konnten, und waren reiche und gute Leute, und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen-Kems bis nach Schalampi die Zeit verkürzt, so liessen sie es gelten, und der Jud hat aus dem Schiff getragen—das soll mir ein fleissiger Schüler im Kopf ausrechnen: wie viel Gulden und Kreuzer hat der Jude aus dem Schiff getragen? Einen Zwölfer und einen messingenen Knopf hatte er schon. Elf Zwölfer hat er mit Erraten gewonnen, elf mit seinem eigenen Rätsel, einen hat er zurückbezahlt und dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld entrichtet.

Erinnerung an die Kriegszeit

Es ist nicht zu leugnen: wenn hie und da ein siegreiches Truppenkorps in eine feindliche Landschaft einrückte und Quartiere nahm, dass sich alsdann der arme Einwohner viel musste gefallen lassen, nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von dem Unverstand und höhnendem Übermut. Zu einem solchen Unteroffizier, als er eben am Mittagessen war, kam sein Kamerad und verwunderte sich über ihn mit folgenden Worten:

"Herr Kamerad", sagte er zu ihm, "seit wann seid Ihr ein Jude geworden, dass Ihr Euch zwicken lasst? Euch ist seit gestern ein kurioser Bart gewachsen."

Nämlich der Unteroffizier, der am Mittagessen war, ass gerne Nudeln. Deswegen musste ihm der Wirt jeden Mittag Nudeln aufstellen und natürlich ein fettes Huhn darin. Der Unteroffizier wusste, dass die Nudeln von feinem Mehl und Teig längere Fäden haben als die groben. Deswegen musste ihm der Wirt lange und feine Nudeln aufstellen, welche sich fast mit keiner Geschicklichkeit um die Gabel herumspinnen lassen, sondern wann man meint, jetzt sei eine umgesponnen, haspelt sich eine andere wieder ab, und eine Gabel oder einen Löffel voll mit allen Enden auf einmal in den Mund zu bringen, ist eine Kunst. Zwar darf man sie nur zuerst ein wenig auf dem Teller zerschneiden. Allein das wollte der Unteroffizier nicht. Nein, der Wirt, und wenn er auch des Kuckucks hätte werden mögen, musste, solang der Unteroffizier an den Nudeln ass, mit einer Schere neben ihm stehen, und was zu lange war und nicht in den Mund hinein zu bringen war, musste er ihm von den Lippen vorsichtig abschneiden. Deswegen, als dieses der andere Unteroffizier sah, verwunderte er sich und sagte zu ihm scherzweise und lachend: "Euch ist ein kurioser Bart gewachsen. Seit wann lasst Ihr Euch zwicken wie ein Jud?" Dem Wirt kam der Spass nicht lächerlich vor. Allein der andere Unteroffizier tröstete ihn. "Landsmann", sagte er zu ihm, "es ist Krieg."

So etwas kann man schon erzählen und zur Erinnerung an die
überstandenen Zeiten lesen, wann durch Gottes Gnade und durch die
Weisheit der friedliebenden Potentaten alle Plackereien und
Hudeleien ein Ende haben.

Etwas aus der Türkei

In der Türkei ist Justiz. Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der Nacht und Müdigkeit überfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren Waren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an einen Baum, legt sich selber unter das Obdach des Baumes und schläft ein. Früh, als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut geschlafen, aber das Rösslein war fort.

Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, nämlich zu dem Prinzen Karosman Oglu, der in der Nähe sich aufhielt, und klagte vor seinem Richterstuhl seine Not. Der Prinz gab ihm wenig Gehör. "So nahe bei dem Wachthaus; warum bist du nicht die fünfzig Schritte weiter geritten, so wärest du sicher gewesen. Es ist deines Leichtsinns Schuld." Da sagte der Kaufmannsdiener: "Gerechter Prinz, hab' ich mich fürchten sollen, unter freiem Himmel zu schlafen, in einem Lande, wo du regierst?" Das tat dem Prinzen Karosman wohl und wurmte ihn zugleich. "Trink heute Nacht ein Gläslein türkischen Schnaps," sagte er zu dem Kaufmannsdiener, "und schlafe noch einmal unter dem Baum." So gesagt, so getan. Des andern Morgens, als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut geschlafen, denn das Rösslein stand mit allen Kostbarkeiten wieder angebunden neben ihm, und an dem Baum hing ein toter Mensch, der Dieb, und sah das Morgenrot nimmermehr.

Bäume gäb' es noch an manchen Orten, grosse und kleine.

Farbenspiel

In einer Schule sassen zwei Schüler, von denen hiess der eine Schwarz, der andere Weiss, wie es sich treffen kann; der Schullehrer aber für sich hatte den Namen Rot. Geht eines Tages der Schüler Schwarz zu einem andern Kameraden und sagt zu ihm: "Du, Jakob", sagt er, "der Weiss hat dich bei dem Schulherrn verleumdet." Geht der Schüler zu dem Schulherrn und sagt: "Ich höre, der Weiss habe mich bei Euch schwarz gemacht und ich verlange eine Untersuchung. Ihr seid mir ohnehin nicht grün, Herr Rot!" Darob lächelte der Schulherr und sagte: "Sei ruhig, mein Sohn! Es hat dich niemand verklagt, der Schwarz hat dir nur etwas weisgemacht.

Franz Ignaz Narocki

Man erfährt doch durch den Krieg allerlei, unter vielem Schlimmen auch manchmal etwas Gutes, und es heisst da wohl: Die Berge kommen nicht zusammen, aber die Leute. So wird wohl zum Beispiel ein Polack, namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran gedacht haben, dass nach 100 Jahren der französische Kaiser Napoleon noch zu ihm nach Polen kommen und ihm ein sorgenfreies Alter verschaffen werde; und doch ist's geschehen in den ersten Wochen des Jahres 1807. Er ist geboren im Jahr 1690 und lebt noch, und ich will glauben, dass er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht ausschweifend gelebt habe, denn er hat in seinem hundertsiebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in seiner Jugend Kriegsdienste tat, als Gefangener von den Russen nach Asien geführt wurde und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte. Diesem Mann hat es in 117 Jahren manchmal auf den Hut geschneit, und er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darin liegt. In seinem losten Jahr, wenn andere bald ans Sterben denken, hat er zum ersten Mal geheiratet und vier Kinder gezeugt. Im 86sten Jahr nahm er die zweite Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder. Aber von allen ist nur noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben. Der König von Preussen liess diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von 24 polnischen Gulden bezahlen. Das ist doch auch schön. Ein polnischer Gulden aber beträgt nach deutschem Geld ungefähr 15 kr. Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend seiner Heimat kam, wünschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen. Es geschah, und er überreichte ihm ein sehr artiges Bittschreiben, welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben hatte. Der Kaiser nahm es mit Wohlgefallen auf und machte ihm ein schönes Geschenk von hundert Napoleonsd'or. Ein Napoleonsd'or ist eine Goldmünze von 9 fl. 18 kr. unseres Geldes.

Auf nebenstehender Figur sieht man

1. den alten Narocki an seinem Stab. Er sieht noch recht gut aus für sein Alter.

2. Seinen einzigen Sohn, der ihn mit kindlicher Liebe begleitet.

3. Den Kaiser Napoleon, der ihn freundlich ansieht und ihm das Schreiben abnimmt, nebst einem General und einem Adjutanten.

4. Einige Polacken und Soldaten, die den alten Mann neugierig betrachten. Mancher von ihnen, der selber schon einen engen Atem hat und mehr Leid erfahren, als ihm lieb ist, der denkt: So alt möchte ich nicht werden. Ein junges Blut daneben denkt so: Das möchte ich in hundert Jahren, Anno 1907, meinen Enkeln noch erzählen können.

Aber der Klügste zwischen beiden sagt:

Froher Mut, gutes Blut,
Leb' solang es Gott gefällt
Fromm und redlich in der Welt!

Franziska

In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein sass eines Abends, als es schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem Webstuhl und dachte während der Arbeit unter andern an den König Hiskias, hernach an Vater und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch schon von der Spule abgelaufen war, hernach an den Grossvater selig, dem er einst auch noch auf den Knieen gesessen und an das Grab gefolgt war, und war so vertieft in seinen Gedanken und in seiner Arbeit, dass er gar nichts davon merkte, wie eine schöne Kutsche mit vier stattlichen Schimmeln vor seinem Häuslein anfuhr und stillehielt. Als aber etwas an der Türfalle druckte, und ein holdes, jugendliches Wesen trat herein von weiblichem Ansehen mit wallenden, schönen Haarlocken und in einem langen, himmelblauen Gewand, und das freundliche Wesen fragte ihn mit mildem Ton und Blick: "Kennst du mich, Heinrich?" da war es, als ob er aus einem tiefen Schlaf aufführe, und war so erschrocken, dass er nichts reden konnte. Denn er meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es war auch so etwas von der Art, nämlich seine Schwester Franziska, aber sie lebte noch. Einst hatten sie manches Körblein voll Holz barfuss miteinander aufgelesen, manches Binsenkörbchen voll Erdbeeren am Sonntag miteinander gepflückt und in die Stadt getragen und auf dem Heimweg ein Stücklein Brot miteinander gegessen, und jedes ass weniger davon, damit das andere genug bekäme. Als aber nach des Vaters Tod die Armut und das Handwerk die Brüder aus der elterlichen Hütte in die Fremde geführt hatte, blieb Franziska allein bei der alten, gebrechlichen Mutter zurück und pflegte ihrer, also, dass sie dieselbe von dem kärglichen Verdienst ernährte, den sie in einer Spinnfabrik erwarb, und in den langen, schlaflosen Nächten mit ihr wachte und aus einem alten, zerrissenen Buch von Holland erzählte, von den schönen Häusern, von den grossen Schiffen, von der grausamen Seeschlacht bei Doggersbank, und ertrug das Alter und die Wunderlichkeit der kranken Frau mit kindlicher Geduld. Einmal aber, früh um zwei Uhr, sagte die Mutter: "Bete mit mir, meine Tochter! Diese Nacht hat für mich keinen Morgen mehr auf dieser Welt." Da betete und schluchzte und küsste das arme Kind die sterbende Mutter, und die Mutter sagte: "Gott segne dich und sei"—und nahm die letzte Hälfte ihres Muttersegens "und sei dein Vergelter!" mit sich in die Ewigkeit. Als aber die Mutter begraben und Franziska in das leere Haus zurückgekommen war und betete und weinte und dachte, was jetzt aus ihr werden sollte, sagte etwas in ihrem Inwendigen zu ihr: "Geh nach Holland!" Und ihr Haupt und ihr Blick richtete sich langsam und sinnend empor, und die letzte Träne für diesmal blieb ihr in dem blauen Auge stehen. Als sie von Dorf zu Stadt und von Stadt zu Dorf betend und bettelnd und Gott vertrauend nach Holland gekommen war und so viel ersammelt hatte, dass sie sich ein sauberes Kleidlein kaufen konnte, in Rotterdam, als sie einsam und verlassen durch die wimmelnden Strassen wandelte, sagte wieder etwas in ihrem Inwendigen zu ihr: "Geh in selbiges Haus dort mit den vergoldeten Gittern am Fenster! "Als sie aber durch den Hausgang an der marmornen Treppe vorbei in den Hof gekommen war, denn sie hoffte, zuerst jemand anzutreffen, ehe sie an einer Stubentüre anpochte, da stand eine betagte, freundliche Frau von vornehmem Ansehen in dem Hofe und fütterte das Geflügel, die Hühner, die Tauben und die Pfauen.

"Was willst du hier, mein Kind?" Franziska fasste ein Herz zu der vornehmen, freundlichen Frau und erzählte ihr ihre ganze Geschichte: "Ich bin auch ein armes Hühnlein, das Eures Brotes bedarf", sagte Franziska und bat sie um Dienst. Die Frau aber gewann Zutrauen zu der Bescheidenheit und Unschuld und zu dem nassen Auge des Mädchens und sagte: "Sei zufrieden, mein Kind! Gott wird dir den Segen deiner Mutter nicht schuldig bleiben. Ich will dir Dienst geben und für dich sorgen, wenn du brav bist." Denn die Frau dachte: Wer kann wissen, ob nicht der liebe Gott mich bestimmt hat, ihre Vergelterin zu sein, und sie war eines reichen Rotterdamer Kaufmanns Witwe, von Geburt aber eine Engländerin. Also wurde Franziska zuerst Hausmagd, und als sie gut und treu erfunden ward, wurde sie Stubenmagd, und ihre Gebieterin gewann sie lieb, und als sie immer feiner und verständiger ward, wurde sie Kammerjungfer. Aber jetzt ist sie noch nicht alles, was sie wird. Im Frühling, als die Rosen blühten, kam aus Genua ein Vetter der vornehmen Frau, ein junger Engländer, zu ihr auf Besuch nach Rotterdam, er besuchte sie fast alle Jahre um diese Zeit, und als sie eins und das andere hinüber und herüber redeten und der Vetter erzählte, wie es aussah, als die Franzosen vor Genua in dem engen Pass in der Bocchetta standen und die Österreicher davor, trat heiter und lächelnd, mit allen Reizen der Jugend und Unschuld geschmückt, Franziska in das Zimmer, um etwas aufzuräumen oder zurechtzulegen, und dem jungen Engländer, als er sie erblickte, ward es sonderbarlich um das Herz, und die Franzosen und Österreicher verschwanden ihm aus den Sinnen. "Tante", sagte er zu seiner Base, "Ihr habt ein bildschönes Mädchen zur Kammerjungfer. Es ist schade, dass sie nicht mehr ist als das." Die Tante sagte: "Sie ist eine arme Waise aus Deutschland. Sie ist nicht nur schön, sondern auch verständig, und nicht nur verständig, sondern auch fromm und tugendhaft und ist mir lieb geworden als mein Kind." Der Vetter dachte: Das lautet nicht bitter. Den andern oder dritten Morgen aber, als er mit der Tante in dem Garten spazierte, "wie gefällt dir dieser Rosenstock?" fragte die Tante; der Vetter sagte: "Sie ist schön, sehr schön." Die Tante sagte: "Vetter, du redest irr. Wer ist schön? Ich frage ja nach dem Rosenstock." Der Vetter erwiderte: "Die Rose",—"oder vielmehr die Franziska?" fragte die Tante. "Ich hab's schon gemerkt", sagte sie. Der Vetter gestand ihr seine Liebe zu dem Mädchen, und dass er sie heiraten möchte. Die Tante sagte: "Vetter, du bleibt noch drei Wochen bei mir. Wenn es dir alsdann noch so ist, so habe ich nichts darwider. Das Mädchen ist eines braven Mannes wert." Nach drei Wochen aber sagte er: "Es ist mir nimmer wie vor drei Wochen. Es ist noch viel ärger, und ohne das Mägdlein weiss ich nicht, wie ich leben soll." Also geschah der Verspruch. Aber es gehörte viel Zureden dazu, die Demut der frommen Magd zu ihrer Einwilligung zu bewegen.

Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Gebieterin, aber nicht mehr als Kammermädchen, sondern als Freundin und Verwandte in dem reichen Haus mit vergoldetem Fenstergitter, und noch in dieser Zeit lernte sie die englische Sprache, die französische, das Klavierspielen: "Wenn wir in höchsten Nöten sein" usw. "Der Herr, der aller Enden" usw. "Auf dich, mein lieber Gott, ich traue" usw.— und was sonst noch ein Kammermädchen nicht zu wissen braucht, aber eine vornehme Frau, das lernte sie alles. Nach einem Jahr kam der Bräutigam, noch ein paar Wochen vorher, und die Trauung geschah in dem Hause der Tante. Als aber von der Abreise des neuen Ehepaars die Rede war, schaute die junge Frau ihren Gemahl bittend an, dass sie noch einmal in ihrer armen Heimat einkehren und das Grab ihrer Mutter besuchen und ihr danken möchte, und dass sie ihre Geschwister und Freunde noch einmal sehen möchte. Also kehrte sie jenes Tages bei ihrem armen Bruder, dem Weber, ein, und als er ihr auf ihre Frage: "Kennst du mich, Heinrich?" keine Antwort gab, sagte sie: "Ich bin Franziska, deine Schwester." Da liess er vor Bestürzung das Schifflein aus den Händen fallen, und seine Schwester umarmte ihn.

Aber er konnte sich anfänglich nicht recht freuen, weil sie so vornehm geworden war, und scheute sich vor dem fremden Herrn, ihrem Gemahl, dass sich in seiner Gegenwart die Armut und der Reichtum so geschwisterlich umarmen und zueinander sagen sollen Du, bis er sah, dass sie mit dem Gewande der Armut nicht die Demut ausgezogen und nur ihren Stand verändert hatte, nicht ihr Herz. Nach einigen Tagen aber, als sie alle ihre Verwandten und Bekannten besucht hatte, reiste sie mit ihrem Gemahl nach Genua, und beide leben vermutlich noch in England, wo ihr Gemahl nach einiger Zeit die reichen Güter eines Verwandten erbte.

Der Hausfreund will aufrichtig gestehen, was ihn selber an dieser Geschichte am meisten rührt. Am meisten rührt ihn, dass der liebe Gott dabei war, als die sterbende Mutter ihre Tochter segnete, und dass er eine vornehme Kaufmannsfrau in Rotterdam in Holland und einen braven, reichen Engländer am welschen Meere bestellt hat, den Segen einer armen sterbenden Witwe an ihrem frommen Kinde gültig zu machen.

Weg hat er aller Wege, an Mitteln fehlt's ihm nicht.

Geschwinde Reise

Ein italienischer Kaufmann, der auf die Frankfurter Messe reisen wollte, hatte sich in Stuttgart um einen Tag verspätet. Also musste er die Extrapost anspannen lassen. Wie fang' ich's an, dachte er, dass ich geschwind aus dem Feld komme, und doch mit geringen Kosten? "Postillion", sagte er, als er in das Kaleschlein sass, "fahr langsam, denn ich sitze nicht nur auf dem Kutschenkistlein, sondern auch auf einem Blutgeschwür, und meine entsetzliche Kopfwunde da auf der linken Seite wirst du hoffentlich sehn. " Eigentlich aber war sie nicht wohl zu sehen. Denn fürs erste war der Kopf mit einem Tüchlein verbunden, das zwar blutig aussah, fürs zweite hatte er unter dem Verband keine Wunde. "Wenn du recht langsam fahrst", sagte er, "auf der Station soll's dich nicht reuen." Der Postillion dachte: solchen Gefallen kann ich den Rossen tun und, was das Trinkgeld anbelangt, mir auch, und fuhr so langsam, dass die Pferde selber anfingen, eins nach dem andern vor langer Weile zu gähnen, was doch selten geschieht. Nichtsdestoweniger schrie der Italiener unaufhörlich: "Zetter und Mordio. O mein Kopf! o mein Bein! Fahr langsam!" Der Postillion sagte: "Wollt Ihr auf der Strasse über Nacht bleiben, so will ich Euch abladen. Ich kann nicht gar fahren, als wenn ich etwas anders ausführte auf den Acker. Tu ich nicht langsam genug?" Aber der Passagier sagte: "Ich schiess dich tot, wenn du nicht gemach fahrst." Auf der Station in Ludwigsburg, als er dem Postillion das Trinkgeld gab, gab er ihm zwei schäbige Zwölfer, einen Albus und ein paar verrufene Kreuzerlein, bis es einen halben Gulden ausmachte. Andere gaben sonst wenigstens achtundvierzig Kreuzer, auch einen Gulden und drüber. Wenn's recht pressiert und wenn's recht in der Tasche klingelt, auch einen Kronentaler. Aber alle Vorstellung des Postillions und alles Protestieren half nichts. "Hab' ich Euch nicht schlecht genug geführt", fragte er. "Nein, du hast mich nicht langsam genug geführt. Geh zum Henker." Der Postillion nahm das Geld und dachte: lieber wenig als gar nichts. Aber wart' nur, dachte er, du bist noch lange nicht zu Frankfurt. Als der Ludwigsburger die Pferde einspannte, fragte er den Stuttgarter: "Ist der Weg gut?"—"Schlecht", antwortete der Stuttgarter und winkte ihm ein wenig abseits. Ein wenig abseits sagte er ihm, was er für einen wunderlichen und geizigen Passagier führe, wie ihm noch keiner vorgekommen sei. "Fahr den Ketzer drauf los", sagte er, "dass die Räder davonfliegen. Er hat drei Bluteisen, drei Löcher im Kopf und eine gespaltene Kniescheibe." Der Passagier, als der Postknecht aufsass, sagte: "Fahr langsam, Schwager. Es kommt mir auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Aber der Postillion dachte: Dein Trinkgeld kenn ich. "Meine Pferde sind auf gesunde Herrn dressiert", sagte er, "ich kann sie nicht halten, wenn sie im Lauf sind", und fuhr drauf los, als wenn die ganze türkische Armee hinter ihm dreinkäme. Der Passagier im Kaleschlein bittet vor Gott und nach Gott, lamentiert, flucht, dass sich der Himmel mit Wolken überzieht. Alles vergeblich. Auf der Station in Besigheim gibt er dem Postillion dreissig Kreuzer wie dem erstern. "Was bringst du für einen presthaften Herrn?" sagte der Besigheimer. "Fahr ihn gar tot", sagte der Ludwigsburger, "es ist ohnedem nicht mehr viel an ihm", und so rekommandierte ihn einer dem andern, und einer fuhr mit ihm geschwinder davon als der andere, so dass er noch eine Stunde früher nach Frankfurt kam, als nötig war. In Frankfurt sprang er zur Verwunderung und zum Staunen des Postillions kerngesund aus dem Kaleschlein heraus und gab ihm auch dreissig Kreuzer.

Gleiches mit Gleichem

Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines Nachmittags am Fenster. Da ging mit seinem Zwerchsack der Jud von Brassenheim vorbei. "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinem Ross einen guten Käufer weisst, 20 Dublonen ist es wert, so bekommst du . . ."—"Na, was bekomm ich?"—"Einen Sack Haber."— Es vergingen aber drei Wochen, bis der Jud den rechten Liebhaber fand, der nämlich 6 Dublonen mehr dafür bezahlte als es wert war, und unterdessen stieg der Preis des Habers schnell auf das Doppelte, weil die Franzosen überall aufkauften; damals kauften sie noch. Also gab der geistliche Herr dem Juden statt eines ganzen Sackes voll einen halben. "Vielleicht bekehr' ich ihn", dachte er, "wenn er sieht, dass wir auch gerecht sind in Handel und Wandel."

Das war nun zu nehmen, wie man wollte. Der Jud nahm's aber für recht und billig. "Wart nur, Gallech", dachte er, "du kommst mir wieder." Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der Jud von Brassenheim ging durch das Dorf. "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinen zwei fetten Ochsen…"—"Na was bekomm ich, wenn ich Euch einen guten Käufer schaffe?"—"Zwei Grosse Taler."

Jetzt ging der Jud zu einem verunglückten Metzger, der schon lange kein Messer mehr führt, weil alles guttut nur, solange es mag, z. B. das Schuldigbleiben. Endlich sagte er zu seinen zwei letzten Kunden: "Ich weiss nicht, ich bin seit einiger Zeit so weichmütig, dass ich gar kein Blut mehr sehen kann", und schloss die Metzig zu. Seitdem heisst er zum Übernamen der Metzger Blutscheu und nährte sich wie der Zirkelschmied von kleinen Künsten und Projekten, wie wirklich eins im Werk ist. Denn an ihm suchte und fand der Jud seinen Mann und sagte ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art. Nach zwei Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen Herrn. Aber wie war der Metzger ausstaffiert? In einem halbneuen, brauntüchenen Rock, in langen, schön gestreiften Beinkleidern von Barchent, um den Leib eine leere Geldgurt, am Finger einen lotschweren silbernen Ring, ein dito Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch, hinter sich her einen wohlgenährten Hund, alles auf des Juden Bürgschaft zusammengeborgt, nichts sein eigen als das rote Gesicht. Die Ochsen wurden kunstmässig umgangen, betastet, mit den Augen gewogen und wie mit einer Klafterschnur gemessen.—"Na, wie jauker."—"Zwanzig Dublonen."—"Siebenzehn!"—"Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "macht neunzehn draus, Ihr verkauft Euch nicht."—"Die Ochsen sind brav", sagte der Blutscheu; "wenn ich's zwei Stunden früher gewusst hätte, als meine Gurt noch voll war, dass ich sie alsogleich fassen könnte, so wären sie mir ein paar Dublonen mehr wert. Aber am Freitag hol' ich sie für achtzehn", und zog den ledernen Beutel aus, als wenn er etwas draufgeben wollte. Unterdessen flüsterte der Jude dem geistlichen Herrn etwas in das Ohr, und "wenn Ihr für die Jungfer Köchin zwei Grosse Taler in den Kauf geben wolltet", sprach er dem Metzger zu, "so könnt Ihr die Ochsen alsogleich mitnehmen für neunzehn. Ihr seid ein Ehrenmann, und der Herr Dechant ist auch so einer. Am Freitag bringt Ihr ihm das Geld." Der Kauf war richtig, zwei Grosse Taler gingen auf die Hand. "Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "Ihr habt einen guten Handel gemacht." Also trieb der Blutscheu die schöne, fette Beute fort. Die meisten geneigten Leser aber werden bereits merken, dass der Herr Dechant sein Geld am Freitag noch nicht bekam. Eines Nachmittags, nach vier Wochen oder nach sechs, stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der Jud ging durch das Dorf. "Nausel", rief der geistliche Herr ihm zu:

"wo bleibt der Adlerwirt? Ich habe mein Geld noch nicht."—"Na, wo wird er bleiben", sagte der Nausel. "Er wird warten bis eine Dublone das Doppelte gilt, alsdann bringt er Euch statt neunzehn neun und eine halbe. Verliert Ihr etwas dabei? Hab ich vor einem Jahr an meinem Haber etwas verloren?"

Da ging dem Herrn Dechant ein Licht auf.

Das Artigste an dieser ganzen Geschichte ist die Wahrheit. Der Jud hat es nachgehends selber erzählt und gerühmt, wie ehrlich der Metzger an dem Scheideweg im Wald mit ihm geteilt habe. "Was er geton hat", sagte er, "den schönsten hat er für sich behalten und mir den geringern gegiben."

Glück im Unglück

Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück und Unglück im Glück noch selten beisammen gewesen wie in dem Schicksal zweier Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und Türken. Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zuging, die Kugeln sausten, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht gelöscht werden. Es muss schrecklich sein, wenn man keine andere Wahl hat, als dem Tod ins Wasser entgegenzuspringen oder im Feuer zu verbrennen. Aber unsern zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl erspart. Ihr Schiff fing Feuer in der Pulverkammer und flog mit entsetzlichem Krachen in die Luft. Beide Matrosen wurden mit in die Höhe geschleudert, wirbelten unter sich und über sich in der Luft herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer hinab und waren noch lebendig und unbeschädigt, und das war ein Glück. Allein die Türken fuhren jetzt wie Drachen auf sie heraus, zogen sie wie nasse Mäuse aus dem Wasser und brachten sie in ein Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen Flotte schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte sie in den untersten feuchten und dunkeln Teil des Schiffes an Ketten, und das war kein Glück. Unterdessen sausten die Kugeln fort, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und paff! sprang auch das türkische Schiff, auf welchem die Gefangenen waren, in tausend Trümmern in die Luft. Die Matrosen flogen mit, kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden eilig von ihren Freunden hineingezogen und waren noch lebendig, und das war ein grosses Glück. Allein für diese wiedererhaltene Freiheit und für das zum zweiten Mal gerettete Leben mussten diese guten Leute doch ein teures Opfer geben, nämlich die Beine. Diese Glieder wurden ihnen beim Losschnellen von den Ketten, als das türkische Schiff auffuhr, teils gebrochen, teils jämmerlich zerrissen und mussten ihnen, sobald die Schlacht vorbei war, unter dem Knie weg abgenommen werden, und das war wieder ein grosses Unglück. Doch hielten beide die Operation aus und lebten in diesem Zustande noch einige Jahre. Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste.

Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Mann bekanntgemacht, welcher beide Matrosen ohne Beine selber gesehen und die Erzählung davon aus ihrem eigenen Munde gehört hat.

Glück im Unglück

Wie hat zu einem Bauersmann ein Doktor gesagt? "Ihr Landleute", sagte er, "habt's doch immer gut. Wenn des Getreides wenig gewachsen ist, so verkauft ihr es um einen teuern Preis. Ist es wohlfeil, so habt ihr viel zu verkaufen und löset auch viel Geld."—"Umgekehrt, Herr Doktor", sagte der Bauersmann, "wir kommen auf keinen grünen Zweig. Denn wenn das Getreide teuer ist, so haben wir nicht viel zu verkaufen. Wenn wir aber viel haben, so ist es wohlfeil und macht uns doch nicht reich."—Auch gut gegeben.

Gute Antwort

Wer ausgibt, muss auch wieder einnehmen. Reitet einmal ein Mann an einem Wirtshaus vorbei, der einen stattlichen Schmerbauch hatte, also, dass er auf beiden Seiten fast über den Sattel herunterhängte. Der Wirt steht auf die Staffel und ruft ihm nach: "Nachbar, warum habt Ihr denn den Zwerchsack vor Euch auf das Ross gebunden und nicht hinten?" Dem rief der Reitende zurück: "Damit ich ihn unter den Augen habe. Denn hinten gibt es Spitzbuben." Der Wirt sagte nichts mehr.

Gute Geduld

Ein Franzos ritt eines Tages auf eine Brücke zu, die über ein Wasser ging und fast schmal war, also, dass sich zwei Reitende kaum darauf ausweichen konnten. Ein Engländer von der andern Seite her ritt auch auf die Brücke zu, und als sie auf der Mitte derselben zusammenkamen, wollte keiner dem andern Platz machen. "Ein Engländer geht keinem Franzosen aus dem Wege", sagte der Engländer. "Par Dieu", erwiderte der Franzos, "mein Pferd ist auch ein Engländer. Es ist schade, dass ich hier keine Gelegenheit habe, es umzukehren und Euch seinen Stumpfschweif zu zeigen. Also lasst doch wenigstens Euern Engländer, auf dem Ihr reitet, meinem Engländer, wo ich darauf reite, aus dem Wege gehen. Euerer scheint ohnehin der jüngere zu sein; meiner hat noch unter Ludwig dem Vierzehnten gedient in der Schlacht bei Käferolse Anno 1702."

Allein der Engländer machte sich wenig aus diesem Einfall, sondern sagte: "Ich kann warten. Ich habe jetzt die schönste Gelegenheit, die heutige Zeitung zu lesen, bis es Euch gefällt, Platz zu machen." Also zog er kaltblütig, wie die Engländer sind, eine Zeitung aus der Tasche, wickelte sie auseinander wie eine Handzwehle und las darin eine Stunde lang auf dem Ross und auf der Brücke, und die Sonne sah nicht aus, als wenn sie den Toren noch lange zusehen wollte, sondern neigte sich stark gegen die Berge. Nach einer Stunde aber, als er fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte, sah er den Franzosen an und sagte: "Eh bien!" Aber der Franzos hatte den Kopf auch nicht verloren, sondern erwiderte: "Engländer, seid so gut und gebt mir jetzt Eure Zeitung auch ein wenig, dass ich ebenfalls darin lesen kann, bis es Euch gefällt auszuweichen." Als aber der Engländer diese Geduld seines Gegners sahe, sagte er: "Wisst Ihr was, Franzos? Kommt, ich will Euch Platz machen." Also machte der Engländer dem Franzosen Platz.

Gutes Wort, böse Tat

In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im Felde an. "Ist's noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?" Der Herr Schulmeister sagt: "Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium." Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jäger. "Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben." Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: "Es steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Mass wird man in euern Schoss geben", und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurück und sagte: "Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie legen einander nur die heilige Schrift aus."

Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann liess den Bauern noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.

Heimliche Enthauptung

Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seinerzeit die sechste Bitte des Vater Unsers mit Andacht gebetet, so weiss ich's nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: "Nachrichter von Landau! Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen und Euer grosses Richtschwert mitbringen. Was Ihr zu tun habt, wird man Euch sagen und wohl bezahlen."—Eine Kutsche zur Reise stand auch schon vor der Haustüre. Der Scharfrichter dachte: Das ist meines Amts, und setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken unter, und der Kutscher hielt stille und sagte: "Wir bekommen morgen wieder schön Wetter", da standen auf einmal drei starke, bewaffnete Männer an der Strasse, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter und versprachen ihm, dass ihm kein Leids widerfahren sollte; "aber die Augen müsst Ihr Euch zubinden lassen"; und als sie ihm die Augen zugebunden hatten, sagten sie: "Schwager, fahr zu!" Der Schwager (das ist der Kutscher) fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und konnte nicht wissen, wo er war. Er hörte die Nachteulen der Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Betglocken läuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man führte ihn in ein Haus und gab ihm eins zu trinken und einen guten Wurstwecken dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man ihn weiter im nämlichen Haus, Tür ein und aus, Treppe auf und ab, und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem grossen Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und auf den Tischen brannten Wachskerzen. Der Künstler aber, der nebenstehende Abbildung dazu verfertiget hat, sagt, es sei besser, er lasse das Tageslicht hinein, der Scharfrichter sehe alsdann auch besser zu seinem Geschäft. Denn in der Mitte sass auf einem Stuhl eine Person mit entblösstem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht und muss etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Wänden standen mehrere Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den Angesichtern, also dass der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt hätte, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet wäre, und einer von ihnen überreichte ihm sein Schwert mit dem Befehl, dieser Person, die auf dem Stühlein sass, den Kopf abzuhauen. Da ward's dem armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser stünde bis übers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht übel nehmen; sein Schwert, das dem Dienst der Gerechtigkeit gewidmet sei, könne er mit einer Mordtat nicht entheiligen. Allein einer von den Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen und sagte "Entweder, oder! Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heisst, so seht Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr." Da dachte der Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, "und wenn's nicht anders sein kann", sagte er, "und ich vergiesse unschuldiges Blut, so komme es auf Euer Haupt", und schlug mit einem Hieb der armen Person den Kopf vom Leibe weg. Nach der Tat so gab ihm einer von den Herrn einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren. Man band ihm die Augen wieder zu und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück. Die nämlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten. Und als endlich die Kutsche stillehielt, und er bekam die Erlaubnis auszusteigen und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder, wo die drei Männer zu ihm eingesessenes waren, eine Stunde herwärts Nanzig auf der Strasse nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche aber fuhr eiligs wieder zurück.

Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die auf einem so blutigen Wege in die Ewigkeit hat gehen müssen. Nein, es hat niemand erfahren, wer sie war, und was sie gesündiget hat, und niemand weiss das Grab.

Herr Charles (Eine wahre Geschichte)

Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose, wiegte eben sein wunderschönes Büblein auf dem Knie und machte ein Gesicht dazu, dass er ein wohlhabender und glücklicher Mann sei und sein Glück für einen Segen Gottes halte. Indem trat ein fremder Mann, ein Pole, mit vier kranken, halberfrorenen Kindern in die Stube. "Da bring' ich Euch die Kinder." Der Kaufmann sah den Polen kurios an. "Was soll ich mit diesen Kindern tun? Wem gehören sie? Wer schickt Euch zu mir?"—"Niemand gehören sie", sagte der Pole, "einer toten Frau im Schnee, siebenzig Stunden herwärts Wilna. Tun könnt Ihr mit ihnen, was Ihr wollt." Der Kaufmann sagte: "Ihr werdet nicht am rechten Orte sein", und der Hausfreund glaubt's auch nicht. Allein der Pole erwiderte, ohne sich irremachen zu lassen: "Wenn Ihr der Herr Charles seid, so bin ich am rechten Ort", und der Hausfreund glaubt's auch. Er war der Herr Charles. Nämlich es hatte eine Französin, eine Witwe, schon lange im Wohlstande und ohne Tadel in Moskau gelebt. Als aber vor fünf Jahren die Franzosen in Moskau waren, benahm sie sich landsmannschaftlicher gegen sie, als den Einwohnern wohlgefiel. Denn das Blut verleugnet sich nicht; und nachdem sie in dem grossen Brand ebenfalls ihr Häuslein und ihren Wohlstand verloren und nur ihre fünf Kinder gerettet hatte, musste sie, weil sie verdächtig sei, nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus dem Land reisen. Sonst hätte sie sich nach Petersburg gewendet, wo sie einen reichen Vetter zu finden hoffte. Der geneigte Leser will bereits etwas merken. Als sie aber in einer schrecklichen Kälte und Flucht und unter unsäglichen Leiden schon bis nach Wilna gekommen war, krank und aller Bedürfnisse und Bequemlichkeiten für eine so lange Reise entblösst, traf sie in Wilna einen edlen russischen Fürsten an und klagte ihm ihre Not. Der edle Fürst schenkte ihr dreihundert Rubel, und als er erfuhr, dass sie in Petersburg einen Vetter habe, stellte er ihr frei, ob sie ihre Reise nach Frankreich fortsetzen oder ob sie mit einem Pass nach Petersburg umkehren wolle. Da schaute sie zweifelhaft ihr ältestes Büblein an, weil es das verständigste und das kränkste war. "Wo willst du hin, mein Sohn?"—"Wo du hingehst, Mutter", sagte der Knabe, und hatte recht. Denn er ging noch vor der Abreise ins Grab. Also versah sie sich mit dem Notwendigen und akkordierte mit einem Polen, dass er sie für fünfhundert Rubel nach Petersburg brächte zum Vetter; denn sie dachte, er wird das Fehlende schon drauflegen. Aber alle Tage kränker auf der langen, beschwerlichen Reise, starb sie am sechsten oder siebenten.—"Wo du hingehst", hatte der Knabe gesagt; und der arme Pole erbte von ihr die Kinder, und konnten miteinander so viel reden, als ein Pole verstehen mag, wenn ein französisches Kind russisch spricht, oder ein Französlein, wenn man mit ihm reden will auf polnisch. Nicht jeder geneigte Leser hätte an seiner Stelle sein mögen. Er war es selber nicht gern. "Was anfangen jetzt?" sagte er zu sich selbst. "Umkehren—wo die Kinder lassen? Weiter fahren— wem bringen?" Tue, was du sollst, sagte endlich etwas in seinem Inwendigen zu ihm. Willst du die armen Kinder um das Letzte und Einzige bringen, was sie von ihrer Mutter zu erben haben, um dein Wort, das du ihr gegeben hast? Also kniete er mit den unglücklichen Waisen um den Leichnam herum und betete mit ihnen ein polnisches Vaterunser. "Und führe uns nicht in Versuchung." Hernach liess jedes ein Händlein voll Schnee zum Abschied und eine Träne auf die kalte Brust der Mutter fallen, nämlich, dass sie ihr gerne die letzte Pflicht der Beerdigung antun wollten, wenn sie könnten, und dass sie jetzt verlassene, unglückliche Kinder seien. Hernach fuhr er getrost mit ihnen weiter auf der Strasse nach Petersburg, denn es wollte ihm nicht eingehen, dass, der ihm die Kindlein anvertraut hatte, könne ihn stecken lassen, und als die grosse Stadt vor seinen Augen sich ausdehnte, wie ein Hauderer tut, der auch erst vor dem Tor fragt, wo er stillhalten soll, erkundigt er sich endlich bei den Kindern, so gut er sich verständlich machen konnte, wo denn der Vetter wohne, und erfuhr von ihnen, so gut er sie verstehen konnte: "Wir wissen's nicht."—Wie er denn heisse? "Wir wissen's auch nicht."—Wie denn ihr eigener Geschlechtsname sei? "Charles." Der geneigte Leser will schon wieder etwas merken, und wenn's der Hausfreund für sich zu tun hätte, so wäre der Herr Charles der Vetter. Die Kinder wären versorgt, und die Erzählung hätte ein Ende. Allein die Wahrheit ist oft sinniger als die Erdichtung. Nein, der Herr Charles ist der Vetter nicht, sondern dieses Namens ein anderer, und bis auf diese Stunde weiss noch niemand, wie der wahre Vetter eigentlich heisst, nicht, ob und wo in Petersburg er wohnt. Also fuhr der arme Mann in grosser Verlegenheit zwei Tage lang in der Stadt herum und hatte Französlein feil. Aber niemand wollte ihn fragen: "Wie teuer das Pärlein?" und der Herr Charles begehrte sie nicht einmal geschenkt, und war noch nicht willens, eines zu behalten. Als aber ein Wort das andere gab und ihm der Pole schlicht und menschlich ihr Schicksal und seine Not erzählte,—eins, dachte er, will ich ihm abnehmen,— und es füllte sich immer wärmer in seinem Busen,—ich will ihm zwei abnehmen, dachte er; und als sich endlich die Kinder um ihn anschmiegten, meinend, er sei der Herr Vetter, und anfingen, auf französisch zu weinen, denn der geneigte Leser wird auch schon bemerkt haben, dass die französischen Kinder anders weinen, und als der Herr Charles die Landesart erkannte, da rührte Gott sein Herz an, dass ihm ward wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen und klagen sieht, und "in Gottes Namen", sagte er, "wenn's so ist, so will ich mich nicht entziehen", und nahm die Kinder an. "Setzt Euch ein wenig nieder", sagte er zu dem Polen, "ich will Euch ein Süpplein kochen lassen."

Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, ass die Suppe und legte den Löffel weg,—er legte den Löffel weg und blieb sitzen,— er stand auf und blieb stehen. "Seid so gut", sagte er endlich, "und fertigt mich jetzt ab, der Weg nach Wilna ist weit. Auf fünfhundert Rubel hat die Frau mit mir akkordiert"; da fuhr es doch dem milden Menschen, dem Herrn Charles, über das Gesicht, wie der Schatten einer fliegenden Frühlingswolke über die sonnenreiche Flur. "Guter Freund", sagte er, "Ihr kommt mir ein wenig kurios vor. Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder abgenommen habe, soll ich Euch auch noch den Fuhrlohn bezahlen?" Denn das kann dem redlichsten und besten Gemüt begegnen, wenn's ein Kaufmann ist, jedem andern aber auch, dass es wider Wissen und Willen zuerst ein wenig handeln und markten muss, sei es auch nur mit sich selbst. Der Pole erwiderte: "Guter Herr, ich will Euch nicht ins Gesicht sagen, wie Ihr mir vorkommt. Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder bringe? Sollt' ich sie auch noch umsonst geführt haben? Die Zeiten sind bös, und der Verdienst ist gering."—"Eben deswegen", sagte Herr Charles, "darüber lasst mich klagen. Oder meint Ihr, ich sei so reich, dass ich fremde Kinder aufkaufe, oder so gottlos, dass ich mit ihnen handle? Wollt Ihr sie wieder?" Als aber noch einmal ein Wort das andere gab und der Pole jetzt erst mit Staunen erfuhr, dass der Herr Charles gar nicht der Vetter sei, sondern nur aus Mitleiden die armen Waisen angenommen habe, "wenn's so ist", sagte er, "ich bin kein reicher Mann, und Eure Landsleute, die Franzosen, haben mich auch nicht dazu gemacht, aber wenn's so ist, so kann ich Euch nichts zumuten. Tut den armen Würmlein Gutes dafür", sagte der edle Mensch, und es trat ihm eine Träne ins Auge, die wie aus einem überwältigten Herzen kam, wenigstens überwältigte sie dem Herrn Charles das seinige. Monsieur Charles, dachte er, und ein armer polnischer Fuhrmann!—und als der Pole schon anfing, eines der Kinder nach dem andern zum Abschied zu küssen und sie auf polnisch zur Folgsamkeit und Frömmigkeit ermahnte, "guter Freund", sagte der Herr Charles, "bleibt noch ein wenig da. Ich bin doch so arm nicht, dass ich Euch nicht Euern wohlverdienten Fuhrlohn bezahlen könnte, so ich doch die Fracht Euch abgenommen habe", und gab ihm die fünfhundert Rubel.

Also sind jetzt die Kindlein versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt, und so ein oder der andere geneigte Leser vor den Toren der grossen Stadt hätte zweifeln mögen, ob der Vetter auch zu finden seie, und ob er's, tun werde, so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht einmal dazu vonnöten gehabt.

Hilfe in der Not

Als im verwichenen Spätjahr der Zirkelschmied mit seiner Frau ungegessen ins Bett gehen wollte—schon seit drei Tagen war kein Feuer mehr in die Küche gekommen, und das letzte Mäuslein hatte sich ausquartiert—, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von Brassenheim einen fetten Schinken, so gross als manches Säulein, was noch ganz ist, und drei Würste dazu, so lang wie Glockenseiler, und der Zirkelschmied wusste nicht warum; der geneigte Leser weiss es auch nicht. Aber er erfahrt's.

Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied sass damals auch schon drin, etwa beim dritten Schöpplein oder beim vierten. Als der Fremde eine Zeitlang da war und dem Zirkelschmied weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich will ein Gespräch mit ihm anfangen. Vielleicht lässt er sich über den Löffel halbieren. "Ihr seid wohl auch zum ersten Mal hier, seitdem der Rosenwirt dies schöne Haus gebaut hat, weil Ihr so lange an einem Nagel gesucht habt für Euern Kaputrock?" Der Fremde sagte: "Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte mein Haus noch nicht gegen dieses, wenn eins nicht wäre."—"Habt Ihr noch namhafte Schulden darauf?"—"Das nicht."—"Oder riecht der Abtritt?"—"Das auch nicht."—"Oder habt Ihr ein böses Weib im Haus?"—"Das auch nicht, aber sonst nichts Gutes." Endlich erfuhr der Zirkelschmied nach einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das Unglück habe in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht auf seinem Speicher erwache und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen sehe und an den Lücken im Dach. Der wohlbelehrte Leser des Rheinländischen Hausfreundes ist darüber im klaren, ehe man ihm sagt, dass dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des Hausbesitzers könne gewesen sein. Nämlich es war sein eigener Schwager, der ihm das Haus verleiden und feilmachen wollte. Der Zirkelschmied sagte: "Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch gegessen und noch keinem Ross das Einmaleins abgehört habt, so ist Rat, wenn's Euch auf zwei Grosse Taler nicht ankommt, einen sogleich, den andern, wenn Euch geholfen ist." Der Fremde griff sogleich in die Tasche. "Jetzt geht zum Herr Barbier", sagte der Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst niemand in der Stube war, "und klagt ihm Eure Not. Anfänglich wird er Euch kein Gehör geben, denn es ist ihm bei Strafe verboten. Wenn Ihr aber nicht nachlasst, so bekommt Ihr das Mittel" (oder den Buckel voll Schläge, dachte für sich der Zirkelschmied). Als aber der Fremde zu dem Barbier gekommen war, der ein gar vernünftiger Mann ist, fuhr der Barbier ihn an: "Wer hat Euch zu mir geschickt?"—"Einer in einem abgeschabten Röcklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit einer breiten messingenen Schnalle, drei Finger hoch über dem Rockkragen, hinten auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreissig Härlein und doch ein Kamm drin." Da hob der Barbier drohend und zürnend den Zeigefinger auf und sagte: "Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab' ich dich einmal ausgekundschaftet?" Der Fremde aber fiel ihm ins Wort: "Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiss alles, und helft mir von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst." Der Barbier bekam gute Laune, weil er den Zirkelschmied ausgekundschaftet hatte. "Ich will Euch ein stinkendes Rauchpulver geben", sagte er, "mit dem geht dem Geist auf den Leib und schlagt ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem braven Weidenstumpen lederweich, bis er vor Euch zur Erde fällt, nur nicht zu Tod, denn die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod schlägt. Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrien nach Hause kann." Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier und dachte nicht daran, was die Sache für ein schlimmes Ende nehmen könnte. Aber sie nimmt ein gutes Ende. Der Hausfreund weiss es schon.

Denn, wie gesagt, im verwichenen Spätjahr am Katharinentag, als der Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von Brassenheim, wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens ein in einem Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen Schild sieht. Als er aber in der Stube war und den Wirt erblickte, erschrak er gar sehr und dachte: "O weh, wie werd' ich wieder da herauskommen", und machte in der Geschwindigkeit ein krummes Maul, dass ihn niemand kennen sollte, denn der Wirt war der nämliche, dem er das Rauchpulver gegeben hatte, und er wusste nicht, wie der Handel ausgegangen war. Der Wirt aber, während er ihm ein Schöpplein holte, sann hin und her. "Den Mann sollt' ich kennen. Wenn er nicht das Maul so verdammt krumm im Gesicht hätte, so wär's der Barbier von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom Gespenst erlöst hat. Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt"; und als er hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: "Woher des Landes und wohin?" sagte er: "Herr Landsmann, nehmt mir meine Neugierde nicht zum Vorwitz auf! Wenn Euer Mund besser im Blei läge, so wollt' ich glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von Brassenheim." Dem Barbier ging der Angstschweiss aus. "Wenn Euch mein krummes Maul irre macht", sagte er, "so muss der Barbier von Brassenheim ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der nämliche sein. Zudem, so bin ich der Papiermüller von Neuhausen." Jetzt erzählte ihm der Wirt die ganze Geschichte, und unmerklich, wie sie immer besser lautete, zog sich sein Mund immer gerade in die Linie, "und Ihr seid es doch", rief endlich der Wirt.—"Freilich bin ich's", erwiderte der Barbier, "ich habe Euch nur ein wenig vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt. Aber nicht wahr", sagte er, "das Mittel hat geholfen?"—"Gleich aufs erste Mal", erwiderte der Wirt und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und die Kinder herein und bestellte ein gutes Mittagsessen für seinen ehrenwerten Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun könne. Als daher der Barbier sich entschuldigte, dass er noch nach Waldsheim auf den Katharinenmarkt gehen und ein Säulein kaufen wolle, da ging eine freundliche Heiterkeit über das Angesicht des Wirtes, und sagte er zu ihm: "Ei, steht Euch keine von meinen an?" Jetzt liess er ihm sechs gemästete Schweine, eines grösser als das andere, in den Hof herausspringen. "Da sucht Euch eine heraus, Herr Doktor." Der Barbier kam in Verlegenheit, so ein Schwein könne er nicht bezahlen, auch nicht gewältigen in seiner kleinen Haushaltung. Aber der Wirt fasste kurzweg eine am Bein. "Die ist Euer." Also blieben sie beisammen über den Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken hatten, befahl der Wirt dem Knecht, das Wägelein anzuspannen und den Herrn Doktor und die Sau nach Brassenheim zu führen.—Deswegen schickte der Barbier dem Zirkelschmied tags darauf den Schinken und die Würste, weil sein Mutwillen ihm dazu verholfen hatte. "Sieh, Bärbel", sagte hernachmals der Zirkelschmied zu seiner Frau, " du hast mich schon oft verkannt. Mit einem Mann, wie ich bin, ist eine Frau versorgt."

Hochzeit auf der Schildwache

Ein Regiment, das sechs Wochen lang in einem Dorfbezirk in Kantonierung gelegen war, bekam unversehens in der Nacht um 2 Uhr Befehl zum plötzlichen Aufbruch. Also war um 3 Uhr schon alles auf dem Marsch, bis auf eine einsame Schildwache draussen im Feld, die in der Eile vergessen wurde und stehen blieb. Dem Soldaten auf der einsamen Schildwache wurde jedoch zuerst die Zeit nicht lang, denn er schaute die Sterne an und dachte: "Glitzert ihr, solange ihr wollt, ihr seid doch nicht so schön als zwei Augen, welche jetzt schlafen in der untern Mühle." Gegen fünf Uhr jedoch dachte er: " Es könnte jetzt bald drei sein." Allein niemand wollte kommen, um ihn abzulösen. Die Wachtel schlug, der Dorfhahn krähte, die letzten Sterne, die selbigen Morgen noch kommen wollten, waren aufgegangen, der Tag erwachte, die Arbeit ging ins Feld, aber noch stand unser Musketier unabgelöst auf seinem Posten. Endlich sagte ihm ein Bauersmann, der auf seinem Acker wandelte, das ganze Bataillon sei ausmarschiert schon um drei Uhr, kein Kamaschenknopf sei mehr im Dorf, noch weniger der Mann dazu. Also ging der Musketier unabgelöst selber ins Dorf zurück. Des Hausfreunds Meinung wäre, er hätte jetzt den Doppelschritt anschlagen und dem Regiment nachziehen sollen. Allein der Musketier dachte: "Brauchen sie mich nimmer, so brauch ich sie auch nimmer." Zudem dachte er: Es ist nicht zu trauen. Wenn ich ungerufen komme und mich selber abgelöst habe, so kann's spanische Nudeln absetzen; er meinte Röhrlein. Zudem dachte er: Der untere Müller hat ein hübsches Mägdlein, und das Mägdlein hat einen hübschen Mund, und der Mund hat holde Küsse, und ob sonst schon etwas mochte geschehen sein, geht den Hausfreund nichts an. Also zog er das blaue Röcklein aus und verdingte sich in dem Dorf als Bauernknecht, und wenn ihn jemand fragte, so antwortete er wie jener Hüninger Deserteur, es sei ihm ein Unglück begegnet, sein Regiment sei ihm abhanden gekommen. Brav war der Bursche, hübsch war er auch, und die Arbeit ging ihm aus den Händen flink und recht. Zwar war er arm, aber desto besser schickte sich für ihn des Müllers Töchterlein, denn der Müller hatte Batzen. Kurz die Heirat kam zustande. Also lebte das junge Paar in Liebe und Frieden glücklich beisammen und bauten ihr Nestlein. Nach Verlauf von einem Jahr aber, als er eines Tages von dem Felde heimkam, schaute ihn seine Frau bedenklich an: "Fridolin, es ist jemand dagewesen, der dich nicht freuen wird."—"Wer?"—"Der Quartiermacher von deinem Regiment; in einer Stunde sind sie wieder da." Der alte Vater lamentierte, die Tochter lamentierte und sah mit nassen Augen ihren Säugling an. Denn überall gibt es Verräter. Der Fridolin aber nach kurzem Schrecken sagte: "Lasst mich gewähren. Ich kenne den Obrist." Also zog er das blaue Röcklein wieder an, das er zum ewigen Andenken hatte aufbewahren wollen, und sagte seinem Schwiegervater, was er tun soll. Hernach nahm er das Gewehr auf die Achsel und ging wieder auf seinen Posten. Als aber das Bataillon eingerückt war, trat der alte Müller vor den Obristen. "Habt doch ein Einsehen, Herr General, mit dem armen Menschen, der vor einem Jahr auf den Posten gestellt worden ist draussen an der Waldspitze. Ist es auch permittiert, eine Schildwache ein geschlagenes Jahr lang stehen zu lassen auf dem nämlichen Fleck und nicht abzulösen." Da schaut der Obrist den Hauptmann an, der Hauptmann schaute den Unteroffizier an, der Unteroffizier den Gefreiten, und die halbe Kompanie, alte gute Bekannte des Vermissten, liefen hinaus, die einjährige Schildwache zu sehen, und wie der arme Mensch müsse zusammengeschmoret sein, gleich einem Borstdorfer Äpfelein, das schon vier Jahre am Baum hängt. Endlich kam auch der Gefreite, der nämliche, der ihn vor zwölf Monaten auf den Posten geführt hatte, und löste ihn ab: "Präsentiert das Gewehr, das Gewehr auf die Schulter, Marsch", nach soldatischem Herkommen und Gesetz. Hernach musste er vor dem Obristen erscheinen, und seine junge, hübsche Frau mit ihrem Säugling auf den Armen begleitete ihn und mussten ihm alles erzählen. Der Obriste aber, der ein gütiger Herr war, schenkte ihm einen Federntaler und half ihm hernach zu seinem Abschied.

Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf

Einem König von Frankreich wurde durch seinen Kammerdiener der Namen eines Mannes genannt, der das 75. Jahr zurückgelegt habe und noch nie aus Paris herausgekommen sei. Er wisse noch auf diese Stunde nicht anderst als vom Hörensagen, was eine Landstrasse sei oder ein Ackerfeld oder der Frühling. Man könnte ihm weismachen, die Welt sei schon vor zwanzig Jahren untergegangen. Er müsse es glauben. Der König fragte, ob denn der Mann kränklich oder gebrechlich sei. "Nein", sagte der Kammerdiener, "er ist so gesund wie der Fisch im Wasser." Oder ob er trübsinnig sei. "Nein, es ist ihm so wohl wie dem Vogel im Hanfsamen." Oder ob er durch seiner Hände Arbeit eine zahlreiche Familie zu ernähren habe. "Nein, er ist ein wohlhabender Mann. Er mag eben nicht. Es nimmt ihn nicht wunder." Des verwunderte sich der König und wünschte diesen Menschen zu sehen. Der Wunsch eines Königs von Frankreich ist bald erfüllt, zwar auch nicht jeder, aber dieser, und der König redete mit dem Menschen von allerlei, ob er schon lange gesund und wohlauf sei. "Ja, Sire", erwiderte er, "allbereits 75 Jahre." Ob er in Paris geboren sei. "Ja, Sire! Es müsste kurios zugegangen sein, wie ich anderst hineingekommen wäre, denn ich bin noch nie draussen gewesen."—"Das soll mich doch wunder nehmen", erwiderte der König. "Denn eben deswegen hab' ich Euch rufen lassen. Ich höre, dass Ihr allerlei verdächtige Gänge macht, bald zu diesem Tor hinaus, bald zu jenem. Wisst Ihr, dass man schon lange auf Euch Achtung gibt?" Der Mann war über diesen Vorwurf ganz erstaunt und wollte sich entschuldigen. Das müsse ein anderer sein, der seinen Namen führe, oder so. Aber der König fiel ihm in die Rede: "Kein Wort mehr! Ich hoffe, Ihr werdet in Zukunft nicht mehr aus der Stadt gehen ohne meine ausdrückliche Erlaubnis."—Ein rechter Pariser, wenn ihm der König etwas befiehlt, denkt nicht lange, ob es notwendig sei und ob es nicht auch anderst ebensogut sein könnte, sondern er tut's. Der Unsrige war ein rechter, obgleich, als auf seinem Heimweg die Postkutsche vor ihm vorbeifuhr, dachte er: "O ihr Glücklichen da drinnen, dass ihr aus Paris hinausdürft!" Als er nach Hause kam, las er die Zeitung wie alle Tage. Aber diesmal fand er nicht viel drin. Er schaute zum Fenster hinaus, das war auf einmal so langweilig. Er las in einem Buch, das war auf einmal so einfältig. Er ging spazieren, er ging in die Komödie, in das Wirtshaus, das war so alltäglich. So das erste Vierteljahr lang, so das zweite, und mehr als einmal im Gasthaus sagte er zu seinen Nachbarn: "Freunde, es ist ein hartes Wort, fünfundsiebenzig Jahre kontinuierlich in Paris gelebt zu haben und jetzt erst nicht hinauszudürfen." Endlich im dritten Vierteljahr konnte er's nimmer aushalten, sondern meldete sich einen Tag um den andern wegen der Erlaubnis: das Wetter sei so hübsch, oder es sei heut' ein schöner Regentag. Er wolle sich gern auf seine Kosten von einem vertrauten Mann begleiten lassen, wenn's sein müsse, auch von zweien. Aber vergebens. Nach Verlauf aber eines schmerzlich durchlebten Jahrs, gerade am nämlichen Tage, als er abends nach Hause kam, fragt er mit bösem Gesicht die Frau: "Was ist das für ein neues Kaleschlein im Hof? Wer will mich zum besten haben?"

"Herzensschatz", antwortete die Frau, "ich habe dich überall suchen lassen. Der König schenkt dir das Kaleschlein und die Erlaubnis, darin spazieren zu fahren, wohin du willst." "Ma foi!" erwiderte der Mann mit besänftigter Miene, "der König ist gerecht."—"Aber nicht wahr", fuhr die Gattin fort, "morgen fahren wir spazieren aufs Land?"—"Ei nun", erwiderte der Mann kalt und ruhig, "wir wollen sehn. Wenn's auch morgen nicht ist, so kann's ein ander Mal sein, und am Ende, was tun wir draussen? Paris ist doch am schönsten inwendig."

Jakob Humbel

Jakob Humbel, eines armen Bauern Sohn von Boneschwyl im Schweizer-Kanton Aargau, kann jedem seinesgleichen zu einem lehrreichen und aufmunternden Beispiel dienen, wie ein junger Mensch, dem es ernst ist, etwas Nützliches zu lernen und etwas Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen am Ende seinen Zweck durch eigenen Fleiss und Gottes Hilfe erreichen kann.

Jakob Humbel wünschte von früher Jugend an ein Tierarzt zu werden, um in diesem Beruf seinen Mitbürgern viel Nutzen leisten zu können. Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht.

Sein Vater gab ihn daher in seinem 16. Jahr einem sogenannten
Viehdoktor von Mummental in die Lehre, der aber kein geschickter
Mann war.

Bei diesem lernte er zwei Jahre, bekam alsdann einen braven
Lehrbrief und wusste alles, was sein Meister wusste, nämlich
Tränklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten für den bösen
Wind, sonst nichts—und das war nicht viel.

Ich weiss einen, der wäre damit zufrieden gewesen, hätte nun auf seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, Pflaster gestrichen drauf und dran für den bösen Wind, das Geld dafür genommen und selber gemeint, er sei's.

Jakob Humbel nicht also. Er ging zu einem andern Viehdoktor in Oberoltern im Emmental noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein Jahr bei ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief und wusste abermal—nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber nicht verstand, keine Kenntnis hatte von der innern Beschaffenheit eines Tieres im gesunden und kranken Zustand und von der Natur der Arzneimittel.

Ich weiss einen, der hätt's jetzt bleiben lassen, wär' eben wieder heimgekommen, wie er fortgegangen, und hätt' sich mit andern getröstet, aus denen auch nichts hat werden wollen.

Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel ebenso aus. Mit bösen
Wind-Salben war wenig Geld, noch weniger Kredit und Ehre zu
verdienen. Was er verdiente, zog der Vater. Humbel wurde gemeiner
Tagelöhner, ging in armseliger Kleidung umher, ohne Geld und ohne
Rat, und dennoch hatte er noch immer den Tierarzt—nicht im Kopf,
denn das wäre schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen
Verlangen. Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bei Herrn
Ringier im Klösterli zu Zofingen. Bei diesem Herrn war er drei
Jahre, bekam einen guten Lohn und wurde gütig behandelt wie ein
Kind.

Ich weiss einen, der hätte die Güte eines solchen Herrn missbraucht, wäre meisterlos worden, den Lohn hätten bekommen der Wirt und der Spielmann.

Aber Jakob Humbel wusste mit seinem Verdienst etwas Besseres anzufangen. Oft, wann er bei dem Essen aufwartete, hörte er die Herren am Tisch französisch reden. Da kam er auf den Gedanken, diese Sprache auch zu lernen. Vermutlich hoffte er dadurch auf irgend eine Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und braver Tierarzt zu werden. Er ging mit seinem zusammengesparten Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell und lernte so viel, als in neun Monaten zu lernen war. Jetzt war sein Vorrat verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzen konnte, musste er darauf denken, wie er wieder Geld verdiente.

Gott wird mich nicht verlassen, dachte er. Er ging zu Herrn Landvogt Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Diensten, erwarb sich bei diesem und nachher bei einem andern Herrn wieder etwas Geld und befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in seinem Geburtsort zu Boneschwyl und trieb mit seinem erworbenen Geld einen kleinen Kornhandel nach Zürich, der recht gut vonstatten ging und seine Barschaft nach Wunsch vermehrte. Jetzt war er im Begriff, ins Ausland zu gehen und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich seine Kunst rechtschaffen zu studieren. Da wurde ein Korps von 18000 Mann helvetischer Hilfstruppen errichtet. Die Gemeinde Boneschwyl musste acht Mann stellen. Die jungen Bursche müssen spielen: den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden. Ich weiss einen, der hätte gedacht: die Welt ist gross, und der Weg ist offen; wär' mit seiner kleinen Barschaft zum Teufel gangen und hätte seine Mitbürger dafür sorgen lassen, wo sie statt seiner den achten Mann nehmen wollten.

Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland und ist ein ehrliches Blut.

Er stellte einen Mann, den er zwei Jahre lang auf seine Kosten unterhalten musste. Das Beste von seinem erworbenen Vermögen, wovon er noch etwas lernen wollte, ging zu seinen unsäglichen Schmerzen drauf, und er dachte: jetzt habe ich hohe Zeit, sonst ist's Mathä am letzten. Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in die Tasche, einen Stecken in die Hand und lief eines Gangs, ohne sich umzusehen, nach Karlsruhe, und als er auf der Mühlburger Strasse zwischen den langen Reihen der Pappelbäume die Stadt erblickte, da dachte er: Gottlob! und Gott wird mir helfen.

Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will helfen lassen, und du hast es erfahren.

In Karlsruhe ist nämlich eine öffentliche Anstalt zum Unterricht in der Tierarzneikunst. Die Lehrstunden werden unentgeltlich erteilt. Die sehr geschickten Lehrer geben sich Mühe, ihre Lehrjünger gründlich zu unterrichten. Schon mancher brave Tierarzt hat in dieser nützlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und gebildet.

Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft befriedigen konnte, lernte ein krankes Tier mit andern Augen anschauen als in Mummental und Emmental, konnte andere Sachen lernen als Wind machen und bösen Wind vertreiben und war nicht viel im Bierhaus zur Stadt Berlin oder im Wirtshaus zur Stadt Strassburg oder in Klein-Karlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem Paradeplatz oder zur Mühlburg im Rappen, sondern vom frühen Morgen bis in die späte Nacht beschäftigte er sich zwanzig Monate lang unerfüllte und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder etwas Neues, Schönes und Nützliches gelernt hatte, so machte ihn das am Abend vergnügter als der Zapfenstreich mit der schönsten türkischen Musik; zumal wenn ihm bei derselben sein Kostgänger einfiel bei den helvetischen Hilfstruppen.

Endlich kehrte er als ein ausgelernter Tierarzt mit den schönsten Zeugnissen seiner Lehrer aus Karlsruhe freudig in sein Vaterland zurück, wurde von dem Sanitätsrat in dem Kanton Aargau geprüft, legte zu jedermann Erstaunen und Freude die weitläufigsten und gründlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten Lobsprüchen und Ehren das Patent auf seine Kunst—und ist nun nach allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten am schönen Ziel seiner lebenslänglichen Wünsche, einer der geschicktesten und angesehensten Tierärzte in dem ganzen Schweizerlande.

Jetzt weiss ich vier, die denken: wenn solcher Mut und Ernst dazu gehört, etwas Braves zu lernen, so ist's kein Wunder, dass aus mir nichts hat werden wollen.

Weisst du was? Nimm Gott zu Hilfe, und probiere es noch!

Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne

Der grosse Kaiser Napoleon brachte seine Jugend als Zögling in der Kriegsschule zu Brienne zu, und wie? Das lehrten in der Folge seine Kriege, die er führte, und seine Taten. Da er gerne Obst ass, wie die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthändlerin daselbst manchen schönen Batzen von ihm zu lösen. Hatte er je einmal kein Geld, so borgte sie. Bekam er Geld, so bezahlte er. Aber als er die Schule verliess, um nun als kenntnisreicher Soldat auszuüben, was er dort gelernt hatte, war er ihr doch einige Taler schuldig. Und als sie das letzte Mal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder süsser Trauben brachte, "Fraulein", sagte er, "jetzt muss ich fort und kann Euch nicht bezahlen. Aber Ihr sollt nicht vergessen sein." Aber die Obstfrau sagte: "O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler junger Herr. Gott erhalte Sie gesund und mache aus Ihnen einen glücklichen Mann!"—Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war, welche der junge Krieger jetzt betrat, kann doch auch der beste Kopf so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemüt ihn wieder daran erinnert. Napoleon wird in kurzer Zeit General und erobert Italien. Napoleon geht nach Ägypten, wo einst die Kinder Israel das Zieglerhandwerk trieben, und liefert ein Treffen bei Nazareth, wo vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte. Napoleon kehrt mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und Paris zurück und wird Erster Konsul. Napoleon stellt in seinem unglücklich gewordenen Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her und wird französischer Kaiser, und noch hatte die gute Obstfrau in Brienne nichts als sein Wort: "Ihr sollt nicht vergessen sein!" Aber ein Wort, noch immer so gut als bares Geld und besser. Denn als der Kaiser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille schon dort und mag wohl sehr gerührt gewesen sein, wenn er da an die vorige Zeit gedachte und an die jetzige, und wie ihn Gott in so kurzer Zeit und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen Kaiserthron geführt hatte, da blieb er auf der Gasse plötzlich stille stehen, legte den Finger an die Stirne wie einer, der sich auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau, erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufällig war, und trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein. Eine enge Türe führte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau mit zwei Kindern am Kamin kniete und ein sparsames Abendessen bereitete.

"Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?" so fragte der Kaiser.— "Ei ja!" erwiderte die Frau, "die Melonen sind reif", und holte eine. Während die zwei fremden Herren die Melone verzehrten und die Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, "kennt Ihr denn den Kaiser auch, der heute hier sein soll?" fragte der eine. "Er ist noch nicht da", antwortete die Frau, "er kommt erst. Warum soll ich ihn nicht kennen? Manchen Teller und manches Körbchen voll Obst hat er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war."—"Hat er denn auch alles ordentlich bezahlt?"—"Ja freilich, er hat alles ordentlich bezahlt." Da sagte zu ihr der fremde Herr: "Frau, Ihr geht nicht mit der Wahrheit um, oder Ihr müsst ein schlechtes Gedächtnis haben. Fürs erste, so kennt Ihr den Kaiser nicht. Denn ich bin's. Fürs andere hab' ich Euch nicht so ordentlich bezahlt, als Ihr sagt, sondern ich bin Euch zwei Taler schuldig oder etwas;" und in diesem Augenblick zählte der Begleiter auf den Tisch eintausendundzweihundert Franken, Kapital und Zins. Die Frau, als sie den Kaiser erkannte und die Goldstücke auf dem Tisch klingeln hörte, fiel ihm zu Füssen und war vor Freude und Schrecken und Dankbarkeit ganz ausser sich, wie man ihr auf nebenstehender Abbildung wohl ansehen kann; und die Kinder schauen auch einander an und wissen nicht, was sie sagen sollen. Der Kaiser aber befahl nachher, das Haus niederzureissen und der Frau ein anderes an den nämlichen Platz zu bauen. "In diesem Hause", sagte er, "will ich wohnen, so oft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen führen." Der Frau aber versprach er, er wolle für ihre Kinder sorgen.

Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll versorgt, und der Sohn wird auf kaiserliche Kosten in der nämlichen Schule erzogen, aus welcher der grosse Held selber ausgegangen ist.

Kannitverstan

Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese grosse und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein grosses und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, grösser als an des Vaters Haus daheim die Tür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. "Guter Freund", redete er ihn an, "könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heisst, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?"—Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: "Kannitverstan", und schnurrte vorüber. Dies war nur ein holländisches Wort oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heisst auf deutsch soviel als: Ich kann Euch nicht verstehn. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er und ging weiter. Gass aus Gass ein kam er endlich an den Meerbusen, der da heisst: Het Ei, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein grosses Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heisse, dem das Meer all diese Waren an das Land bringe. "Kannitverstan", war die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Teufel sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke und erblickte einen grossen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüssten, dass sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Exküse. "Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein," sagte er, "dem das Glöcklein läutet, dass Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht." "Kannitverstan!" war die Antwort. Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. "Armer Kannitverstan," rief er aus, "was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit diesem Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht achtgab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein grosses Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab.

Kindesdank und Undank

Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, dass Menschen im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernen's von den Eltern; sie sehen's und hören's nicht anders und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle.

Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite grosse Beherzigung verdient. Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleissigen und frohen Landmann an dem Ackergeschäft an und liess sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, dass der Acker nicht sein Eigentum sei, sondern dass er als Tagelöhner täglich um 15 Kreuzer arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit 15 Kreuzern auszureichen und noch so frohen Mutes dabei zu sein, und verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: "Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muss ein Dritteil davon genügen; mit einem Dritteil zahle ich meine Schulden ab, und den übrigen Dritteil lege ich auf Kapitalien an." Das war dem guten Fürsten ein neues Rätsel. Aber der fröhliche Landmann fuhr fort und sagte: "Ich teile meinen Verdienst mit meinen alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe ich, dass sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen werden." War das nicht artig gesagt und noch schöner und edler gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbenden Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.

Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, dass dieser wünschte, in ein Armenspital gebracht zu werden, das im nämlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bei dürftiger Pflege von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die letzten Tage seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war dem armen, alten Greis sein Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital auch nicht alles, wie er wünschte. Wenigstens liess er seinen Sohn nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohltat zu erweisen und ihm ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf blossem Stroh schlafen müsste. Der Sohn suchte die zwei schlechtesten, die er hatte, heraus und befahl seinem zehnjährigen Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit Verwunderung bemerkte er, dass der kleine Knabe vor der Tür eines dieser Tücher in einen Winkel verbarg und folglich dem Grossvater nur eines davon brachte. "Warum hast du das getan?" fragte er den Jungen bei seiner Zurückkunft.—"Zur Aushilfe für die Zukunft", erwiderte dieser kalt und bösherzig, "wenn ich Euch, o Vater! auch einmal in das Spital schicken werde."

Was lernen wir daraus?—Ehre Vater und Mutter, auf dass es dir wohlgehe!

König Friedrich und sein Nachbar

Der König Friedrich von Preussen hatte acht Stunden von Berlin freilich ein schönes Lustschloss und war gerne darin, wenn nur nicht ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstlich stehn ein königliches Schloss und eine Mühle nicht gut nebeneinander, obgleich das Weissbrot schmeckt auch in dem Schloss nicht übel, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl gebacken hat. Ausserdem aber, wenn der König in seinen besten Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal liess der Müller das Wasser in die Räder schiessen und dachte auch nicht an den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs stellten das Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder die Gedanken des Königs. Der geneigte Leser sagt: "Ein König hat Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und lässt sie niederreissen?" Der König wusste, warum. Denn eines Tages liess er den Müller zu sich rufen. "Ihr begreift", sagte er zu ihm, "dass wir zwei nicht nebeneinander bestehen können. Einer muss weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlösslein?"—Der Müller sagte: "Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König erwiderte ihm: "Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, dass Ihr mir mein Schloss abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?" Der Müller erwiderte: "Gnädigster Herr, so habt auch Ihr nicht so viel Geld, dass Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist mir nicht feil." Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. "Sie ist mir nicht feil. Wie ich darin geboren bin", sagte er, "so will ich darin sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten worden ist, so sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der König eine ernsthaftere Sprache an: "Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht nötig habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Euere Mühle taxieren und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!" Da lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem König: "Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in Berlin nicht wäre." Nämlich, dass er es wolle auf einen richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der König war ein gerechter Herr und konnte überaus gnädig sein, also dass ihm die Herzhaftigkeit und Freimütigkeit einer Rede nicht missfällig war, sondern wohlgefiel. Denn er liess von dieser Zeit an den Müller unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen Herrn Nachbar.

König Friedrichs Leibhusar

Der Leibhusar König Friedrichs von Preussen muss mit seinem Herrn in gutem Vernehmen gestanden haben. Denn einmal gab ihm der König wegen eines Versehens eine Ohrfeige, dass ihm die Haarlocke, wie man sie damals noch an den Seiten des Kopfes trug, aufeinanderfuhr und der weisse Puder davonflog, also, dass man's draussen ihm wohl ansehen konnte, wenn er hinauskam. Der Leibhusar bat wegen seines Versehens um Verzeihung, stellte sich aber geradewegs vor des Königs grossen Spiegel, der im Zimmer war, richtete seine Locke wieder zurecht und stäubte mit dem Schnupftuch den Puder vom Kleid, welches unschicklich war. Dem König kam's auch so vor, denn er sagte: "Was fällt dir ein? Willst du noch eine?" Der Leibhusar sagte: Nein, er habe genug an einer; "aber die andern", sagte er, "brauchen nicht zu wissen, wenn ich hinauskomme, was zwischen uns vorgefallen ist." Da lächelte der König wieder und war nimmer böse über den Leibhusar.

Item, einmal tut so etwas gut, ein ander Mal nicht.

Lange Kriegsfuhr

Dies ist die Geschichte, die dem Hausfreund vor einem Jahr ein unsichtbarer Freund geschenkt hat, und der Freund sagt, er kenne die Abkömmlinge des Wirts, und die Sache sei ganz gewiss.

Im Dreissigjährigen Krieg, der Schwed zog durch ein namhaftes Dorf im Wiesenkreis und in dem Dorf durchs Wirtshaus, und im Durchziehen durch den Hof blieb der Knecht des Wirts mit einem Wagen und vier Pferden an der Kolonne hängen. Denn er musste Tornister führen und Offizierskisten und Weibsleute. Der Meister sagte: "Komm bald wieder heim, Jobbi!" Der Jobbi dachte: An mir soll's nicht fehlen. Die Meisterin weinte und lamentierte, aber ein schwedischer Korporal sagte: "Man wird Ross nicht fressen. Tatar frisst Ross." Indessen ging die erste Tagsstation nur bis nach Freiburg, die zweite nur bis nach Kippenheim, die dritte nur bis nach Ortenberg, die vierte nur bis nach Hornberg, die fünfte nur bis nach Villingen im Schwarzwald. Dem armen Jobbi so hoch droben bei den Wolken war schon das Leben feil, und die Pferde hätten auch gern ins Gras gebissen, aber noch lieber in den Haber. Und unter allen vieren beklagte der Jobbi am meisten sein Lieblingsross, den Jockli, dass er schon in seinen besten Jahren ein Kriegsheld werden musste. Aber das half alles nichts. Wo man hinkam, waren keine Fuhren zu haben; so musste der Jobbi und der Jockli mit, ungefragt und ungebeten, bis weit hinein ins Schwabenland und hintersich und fürsich, und aus so viel Tagen wurden so viel Monate und mehr, bis er einmal zwischen einem Montag und Dienstag Gelegenheit fand, eine Spazierfahrt für sich zu machen ins Freie. Die österreichischen Vorposten riefen ihn an: "Wer da?"— "Gut Freund."—"Wer ist gut Freund?" "Der Jobbi von da und da." "Bassa mallergi", sagte der Korporal, "bist du Jobbi von da und da?" Der Korporal hatte auch schon einen Schluck Branntwein oder vierundzwanzig bei seinem Meister getrunken und kannte den Jobbi, und der Vorpostenhauptmann war auch schon auf dem Jockli nach Waldshut geritten und kannte den Jockli. Also sagte der Hauptmann: "Willst du einen Pass nach Haus oder willst du bei uns bleiben und Geld genug verdienen?" Da dachte der Jobbi: Aufgegeben hat mich der Meister schon lang und einen andern Zug gekauft. Attrapiert mich unterwegs der Schwed, so geht's zu bösen Häusern oder gar zu bösen Bäumen, und der Mund stand ihm voll Wasser, wenn er sah, wie die österreichischen Dukaten flogen und auf den Boden fielen, und niemand buckte sich darnach. Denn der österreichische Krieg hat Geld. Also blieb der Jobbi bei der Armee, hauderte hin und her, bis nach Pressburg hinein im Ungarland und wieder zurück, handelte auch ein wenig und gewann Hüte voll Geld. Der Wagen zerbrach; er kaufte sich einen neuen. Ein Pferd fiel nach dem andern, die Beute hatte andere. Nur der Jockli hielt aus bergauf und ab, durch dick und dünn. Gleichwohl dachte der alte Knabe oft an den Meister und an die Meisterin daheim, und wie er auch wieder einmal zurückwolle, wenn's sauber sei im Reich. Und der Meister und die Meisterin daheim dachten auch manchmal an den Jobbi selig, und wie es ihm möge ergangen sein bei den Schweden. Eines Tags, als schon alle Kanonen vom Rhein bis an die Donau und bis an die Ostsee versaust hatten, die Meisterin schnitt die Suppe ein zum Mittagessen, und der Wirt richtete den Zeiger an der Wanduhr, denn es schlug auf der Kirche, da seufzte die Frau und sagte nichts. Der Meister fragt: "Was fehlt dir?"—"He nichts", sagte sie; "ich hab' an den Jobbi gedacht, Gott hab' ihn selig, und an den schönen Zug; heut jährt sich's wieder."— " Es wird sich noch vielmal jähren", sagte der Mann; "gottlob! dass wieder Ruhe im Lande ist." Indem tritt der Hausknecht herein und sagt: "Meister, da draussen haltet ein obsonater Gesell, ein Ungar mit schneeweissem Bart und 4. Rossen, der aussieht wie ein Marketender, und hat auch so ein Brannteweinfässlein auf dem Wagen.

Kommt mir der Sapperment frangschemang in den Stall und sagt: An diesem Platz bin ich der Meister; drauf jagt er Eure Pferde in den Hof hinaus und bindet die seinigen an. Ist noch Krieg oder ist's Frieden?" Indem der Meister hinauswill, kommt der Ungar hinein und sagt: Gemach!—Der Wirt fragt: "Woher des Landes? Solche Gäste haben wir auch schon gehabt." "Eine Halbe will ich", sagte der Ungar, "von Eurem Besten und zwei Gläser."—"Das ist nicht von Euerm Besten", sagte er nachher. "Von dem Grenzacher will ich im hintern Keller oder von dem Laufemer hinter der Brotbahre, wo die Katz darauf sitzt." Der Wirt sagt: "Woher wisst Ihr, was ich für Wein im Keller habe?" Der Ungar sagt: "Von Euerm alten Knecht, dem Jobbi", und wollte sich noch lange verstellen. Als er aber seinen Namen hörte, wiewohl er ihn selber aussprach, konnte er nimmer an sich halten, sondern ergriff die Hand des Meisters, und die Tränen rannen ihm aus den Augen in den weissen Bart wie der köstliche Balsam, der herabfliesst in den Bart Aarons, der herabfleusst in sein Kleid und Lust und Freude erregt. "Ich bin ja der alte Jobbi", sagte der vermeinte Ungar, "wo einmal bei Euch"—aber der Wirt und die Wirtin unterbrachen ihn mit einem lauten Freudengeschrei, "und den Jockli hab' ich auch wieder mitgebracht", sagte der Jobbi, "die andern sind neu." Jetzt ging's an ein Bewillkommen und an ein Fragen, der Wirt rief die Kinder zusammen, der Jobbi sei wieder da, und die Mutter brachte die Kleinen, eins an der Hand, eins auf dem Arme; aber sie fürchteten sich und schrieen vor dem fremden Bart; und der Herr Schulmeister kam im Vorbeigehen auch hinein. Als aber der Meister ein Glas zum Willkommen mit ihm getrunken hatte und wollte ihm das zweite einschenken, sagte der Jobbi: "Das Fässlein! Wir müssen zuerst das Fässlein abladen." Drauf brachte der Wirt, der Jobbi und der Hausknecht ein Fässlein, aber nicht mit Branntwein, nein, voll kaiserlicher Taler und Kremnitzer Dukaten, ab dem Wagen herein, so schwer sie tragen konnten. "Dies ist Euer Geld", sagte der Jobbi, "das ich Euch ehrlich verdient habe. Ich verlange nichts als für die sechs Jahre meinen Lohn und für den Jockli den Ruhestand." Der Meister sagte: "Du sollst keinen Lohn von mir bekommen, sondern du sollst das Kind im Hause sein, und zwar das älteste." Aber der Jobbi sagte: "Ihr habt unterdessen, wie ich sehe, Kinder genug bekommen. Lasst mich, wie ich bin" und ging mit einem Mund voll Brot hinaus, um nach den Pferden zu sehen und seine alten Geschäfte zu verrichten wie vorher, als wenn er nie weggegessen wäre.

Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes / Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen
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