The Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes by Johann Peter Hebel
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Title: Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen
Author: Johann Peter Hebel
Release Date: April, 2005 [EBook #7810] [Yes, we are more than one year ahead of schedule] [This file was first posted on May 19, 2003]
Edition: 10
Language: German
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHATZKAESTLEIN ***
Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen
This Etext is in German.
We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email— and one in 8-bit format, which includes higher order characters— which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 8-bit version.
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Schatzkästlein des
rheinischen Hausfreundes
Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen
Johann Peter Hebel
Inhalt
Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht
Baumzucht
Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will
Blutbad in Neuburg am Rhein
Böser Markt
Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813
Brennende Menschen
Brotlose Kunst
Dankbarkeit
Das Bettlerkind
Das Blendwerk
Das Bombardement von Kopenhagen
Das Branntweingläslein
Das fremde Kind
Das letzte Wort
Das Mittagessen im Hof
Das schlaue Mädchen
Das seltsame Rezept
Das Vivat der Königin
Das wohlbezahlte Gespenst
Das wohlfeile Mittagessen
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande
Der Barbierjunge von Segringen
Der betrogene Krämer
Der Bock
Der falsche Edelstein
Der fechtende Handwerksbursche in Anklam
Der fremde Herr
Der Fremdling in Memel
Der fromme Rat
Der Furtwanger in Philippsburg
Der geduldige Mann
Der geheilte Patient
Der geheilte Patient
Der Generalfeldmarschall Suwarow
Der geschlossene Magen
Der grosse Sanhedrin zu Paris
Der grosse Schwimmer
Der Handschuhhändler
Der Heiner und der Brassenheimer Müller
Der Herr Graf
Der Herr Wunderlich
Der Husar in Neisse
Der kann Deutsch
Der kluge Richter
Der kluge Sultan
Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld
Der Lehrjunge
Der listige Kaufherr
Der listige Quäker
Der listige Steiermarker
Der Prozess ohne Gesetz
Der Rekrut
Der Rekrut
Der schlaue Husar
Der schlaue Mann
Der schlaue Pilgrim
Der Schneider in Pensa
Der Schneider in Pensa
Der schwarze Mann in der weissen Wolke
Der sicherste Weg
Der silberne Löffel
Der sinnreiche Bettler
Der Star von Segringen
Der Talhauser Galgen
Der unschuldig Gehenkte
Der Vater und der Sohn
Der verachtete Rat
Der verwegene Hofnarr
Der vorsichtige Träumer
Der Wasserträger
Der Wegweiser
Der Wettermacher
Der wohlbezahlte Spassvogel
Der Wolkenbruch in Türkheim
Der Zahnarzt
Der Zirkelschmied
Des Dieben Antwort
Des Seilers Antwort
Die Bekehrung
Die Besatzung von Oggersheim
Die drei Diebe
Die falsche Schätzung
Die gute Mutter
Die lachenden Jungfrauen
Die leichteste Todesstrafe
Die nasse Schlittenfahrt
Die Ohrfeige
Die Ohrfeige
Die Probe
Die Raben
Die Schlafkameraden
Die Schmachschrift
Die Tabaksdose
Die Wachtel
Die Wachtel
Die Weizenblüte
Die zwei Postillione
Drei Worte
Drei Wünsche
Drei Wünsche
Ein gutes Rezept
Ein Hausmittel
Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler
Ein Wort gibt das andere
Eine merkwürdige Abbitte
Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte
Eine sonderbare Wirtszeche
Einer Edelfrau schlaflose Nacht
Einer oder der andere
Einfältiger Mensch in Mailand
Einträglicher Rätselhandel
Erinnerung an die Kriegszeit
Etwas aus der Türkei
Farbenspiel
Franz Ignaz Narocki
Franziska
Geschwinde Reise
Gleiches mit Gleichem
Glück im Unglück
Glück im Unglück
glücklich über die Grenzen kam
Gute Antwort
Gute Geduld
Gutes Wort, böse Tat
Heimliche Enthauptung
Herr Charles (Eine wahre Geschichte)
Hilfe in der Not
Hochzeit auf der Schildwache
Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf
Jakob Humbel
Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne
Kannitverstan
Kindesdank und Undank
König Friedrich und sein Nachbar
König Friedrichs Leibhusar
Lange Kriegsfuhr
List gegen List
Mancherlei gute Lehren 1
Mancherlei gute Lehren 2
Mancherlei gute Lehren 3
Mancherlei gute Lehren 4
Mancherlei gute Lehren 5
Mancherlei gute Lehren 6
Mancherlei gute Lehren 7
Mancherlei gute Lehren 8
Mancherlei gute Lehren 9
Mancherlei gute Lehren 10
Mancherlei gute Lehren 11
Mancherlei gute Lehren 12
Merkwürdige Gespenstergeschichte
Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers
Merkwürdiges Rechnungsexempel 5
Merkwürdiges Rechnungsexempel 6
Missverstand
Missverstand
Mittel gegen Zank und Schläge
Mohammed
Moses Mendelssohn
Pieve
Reise nach Frankfurt
Rettung einer Offiziersfrau
Rettung vom Hochgericht
Schlechter Gewinn
Schlechter Lohn
Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz
Seinesgleichen
Seltene Liebe
Seltsame Ehescheidung
Seltsamer Spazierritt
Streich spielen
Suwarow
Teure Eier
Teures Spässlein
Tod vor Schrecken
Unglück der Stadt Leiden
Unglück in Kopenhagen
Untreue schlägt den eigenen Herrn
Unverhofftes Wiedersehen
Unverhofftes Wiedersehen
Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte)
Verloren oder gefunden
Wasserläufer
Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und
Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal
einen
Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist
Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird
Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus
Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht
Willige Rechtspflege
Willige Rechtspflege
Zwei Erzählungen
Zwei Gehilfen des Hausfreunds
Zwei honette Kaufleute
Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk
Zwei Sprichwörter
Zwei Weissagungen
Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht
Jetzt schwingen wir den
Hut.
Der Wein, der war so gut.
Der Kaiser trinkt Burgunder Wein,
Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
Und schmeckt ihm doch nicht besser,
Nicht besser.
Der Wirt, der ist bezahlt,
Und keine Kreide malt
Den Namen an die Kammertür
Und hintendran die Schuldgebühr.
Der Gast darf wiederkommen,
Ja kommen.
Und wer sein Gläslein trinkt,
Ein lustig Liedlein singt
Im Frieden und mit Sittsamkeit
Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
Der Gast darf wiederkehren,
Mit Ehren.
Des Wirts sein Töchterlein
Ist züchtig, schlank und fein,
Die Mutter hält's in treuer Hut,
Und hat sie keins, das ist nicht gut,
Musst' eins in Strassburg kaufen,
Ja kaufen.
Jetzt, Brüder, gute Nacht!
Der Mond am Himmel wacht;
Und wacht er nicht, so schläft er noch.
Wir finden Weg und Haustür doch
Und schlafen aus im Frieden,
Ja Frieden.
Baumzucht
Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne dass er's weiss, mit blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern zu dem Hausfreund. "Die Kirschen", sagt er, "schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf dem luftigen Baum kann sitzen und essen frischweg von den Zweigen die schönsten— auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.
Wir nähren uns doch alle", sagt er, "an dem
nämlichen grossen
Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand; die Biene,
die
Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rösslein und der Herr
Vogt,
der darauf reitet.
Hausfreund", sagt der Adjunkt, "singt mir einmal in
Eurer Weise das
Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt."
Der lieb Gott het zum Früehlig gseit:
"Gang, deck im Würmli au si Tisch!" Druf het der Chriesbaum Blätter treit, viel tausig Blätter grüen und frisch. Und's Würmli, us em Ei verwacht's, 's het gschlofen in sim Winterhus; es streckt si und sperrt 's Müli uf Und ribt die blöden Augen us.
Und druf, se het's mit stillem Zahn am Blättli gnagt enanderno und gseit: "Wie isch das Gmües so guet! Me chunnt schier nimme weg dervo."
Und wieder het der lieb Gott gseit:
"Deck jetz im Imli au si Tisch!"
Druf het der Chriesbaum Blüete treit, viel tausig Blüete wiss und frisch.
Und 's Imli sieht's und fliegt druf los, früeih in der Sunne Morgeschin; Es denkt: "Das wird mi Kaffi sy, sie hen doch chosper Porzelin."
"Wie sufer sin die Chächeli geschwenkt!"
Es streckt si troche Züngli dry.
Es trinkt und seit: "Wie schmeckt's so süess,
Do muess der Zucker wolfel sy."
Der lieb Gott het zuem Summer gseit:
"Gang, deck im Spätzli au si Tisch!"
Druf het der Chriesbaum Früchte treit,
viel tausig Chriesi rot und frisch.
Und 's Spätzli seit: "Isch das der Bricht?
Do sitzt me zue und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei
Und stärkt mer d' Stimm zuem neue Gsang."
"Hausfreund", sagte der Adjunkt, "hat Euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschenbäumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist."
"Das geht natürlich zu,", sagte der Hausfreund;
"man hat am längsten
Zeit daran zu denken."
Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
"Rum ab! sie hen jetz alli gha!" Druf het e chüele Bergluft gweiht, Und 's het scho chleini Rife gha. Und d' Blättli werden gel und rot und fallen eis im andere no, und was vom Boden obsi chunnt, muss au zuem Bode nidsi go.
Der lieb Gott het zuem Winter gseit:
"Deck weidli zui, was übrig isch."
Druf het der Winter Flocke gstreut—
"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte: ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum oder Nussbaum, lieber ein Baum."
Der Hausfreund sagt: "Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt' ich auch einen eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustüre wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein."
"Das ist's eben", sagt der Adjunkt, "so ein Baum frisst keinen Klee und keinen Haber. Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem Sonnenschein und frisches aus der Luft und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüssten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak geniesst, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können und jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht heimgehen. Nein, sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fusspfade verschneit sind: "Rechts— jetzt links—jetzt noch ein wenig links über das Berglein.
"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, so müsst Ihr Eure Untergebenen fleissig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr könnt Eurer Gemeinde keinen grösseren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig; wenn er aber gross ist, so ist er ein Kapital für die Kinder und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheissung dieses und des zukünftigen Lebens".
"Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe", sagt der Adjunkt zum Hausfreund, "dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muss heissen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe leise hinab: "Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus."
Er ist kein unwäger Mensch, der Adjunkt.
Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will
Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidelberg gezogen. Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und ein Paar heraushängender Stiefelschuhe ein Handwerksbursche. "Darf ich auch mit für Geld und gute Worte? Was muss ich geben?" Der Schiffmeister, der ein gar lustiger Kumpan war, sagte: "Fünfzehn Kreuzer, wenn Ihr in's Schiff wollt sitzen. Wollt Ihr aber helfen ziehen, nur sechs. Das Felleisen könnt Ihr mir in das Schiff werfen, es hindert Euch sonst nur." Der Handwerksbursche fing an zu rechnen. "Fünfzehn Kreuzer—sechs Kreuzer—sechs von fünfzehn bleibt neun." Die neun Kreuzer, dachte er, kann ich verdienen. "Wenn's denn erlaubt ist", sagte er und warf das Felleisen in das Schiff. Hernach schlang er eins von den Seilern über die Achsel und half ziehen, was er nach Leibeskräften vermochte. "Wir kommen eher an Ort und Stelle", dacht' er, "wenn ich nicht lass bin." In Heidelberg aber entrichtete er sechs Kreuzer Fährgeld—für die Erlaubnis mit zu ziehen und nahm das Felleisen wieder in Empfang.
Blutbad in Neuburg am Rhein
Als im Dreissigjährigen Krieg der Schwed am Rhein war, stachen einmal die Neuburger eine schwedische Patrouille tot und sagten: "Wenn wir nach Schweden kommen, macht's uns auch so." Darob entrüstete sich der schwedische General dergestalt; dass er einen hohen und teuren Schwur tat. "Auch kein Hund soll am Leben bleiben", schwur er hoch und teuer, und hatte etwas im Kopf, ein Gläslein Norschinger zuviel. Als solches die Neuburger hörten, schlossen sie die Tore zu. Aber am andern Tag, als der Zorn und der Wein von dem General gewichen war, da reute es ihn, denn er war vormittags ein gar menschlicher Herr, und bekam fast grosse Anfechtung in seinem Gewissen, dass er mit viel unschuldigem Blut sein Wort und seinen Eid sollt' lösen. Also liess er den Feldprediger kommen und klagte ihm seine Not. Der Feldprediger meinte zwar, massen der Feldhauptmann einen Schwur getan hätte, der Gott leid sei, so sei brechen besser als halten. Das glaubte der Feldhauptmann nicht, denn er hielt sein Wort und seinen Schwur über alles teuer. Aber nach langem Besinnen kam's auf einmal wie Sonnenschein in sein Angesicht, und sagte: "Was ich geschworen habe, das will ich auch halten, Punktum!" Als aber die schwedischen Zimmerleute das Stadttor hatten eingehauen, und der Feldhauptmann ritt selber mit drei Fähnlein hinein, befahl er, alle Hunde im Städtlein zu töten, aber die Menschen liess er leben, und wurden selbigen Tages neunzehn grosse Metzgerhunde, drei Schäferhunde, vierundsechzig Pudel, acht Windhunde, zwölf Dachshunde und zwei gar feine Möpperlein jämmerlich teils zusammengehauen, teils mit Büchsen zu Tod geschossen. Also hat der Feldhauptmann das menschliche Blut verschont und doch seinen Eid gehalten. Denn er hatte den Schwur getan: Kein Hund soll am Leben bleiben, und ist auch keiner daran geblieben.
Böser Markt
In der grossen Stadt London und rings um sie her gibt es ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff, manchmal am hellen, lichten Tag und an der offenen Landstrasse. Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und der Scharfrichter wissen davon zu erzählen. Eine seltsame Geschichte begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann. Der König und viele andere grosse Herren und Frauen waren an einem schönen Sommertage in einem grossen königlichen Garten versammelt, dessen lange, gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man ass und trank, man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und zwischen dem duftenden Rosengebüsch, paarweise und allein, wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazu gehörte, mit einer Pistole unter dem Rock in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, dachte: es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen. Kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will spazieren gehn im kühlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihr Maul auf des Herrn Brust und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muss übel dran sein, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiss, was drin steckt. Der Herr dachte vernünftig: Der Leib ist kostbarer als das Geld; lieber den Ring verloren als den Finger; und versprach zu schweigen. "Gnädiger Herr", fuhr jetzt der Geselle fort: "wären Euch Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anderst, man weiss nie, wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt." Will der reiche Herr wohl oder übel, so muss er dem Halunken die Uhren verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, so man kaum ein Schöpplein dafür kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldne Herz, so er vorne auf der Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld und immer mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: Jetzt bin ich absolviert, gottlob! fing der Spitzbube von neuem an: "Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?" Der Herr denkt an das Sprichwort, dass man müsse zu einem bösen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: "Lasst sehen!" Da zog der Bursche allerlei Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkrämer gekauft oder auch schon auf einem ungewischten Bank gefunden hatte, und der gute Herr musste ihm alles abkaufen, Stück für Stück um teures Geld. Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole übrig hatte und sah, dass der Herr noch ein paar schöne Dublonen in dem grünen, seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: "Gnädiger Herr, wolltet Ihr mir für den Rest, den Ihr da, in den Händen habt, nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmied in London und zwei Dublonen unter Brüdern wert." Der Herr dachte in der Überraschung: "Du dummer Dieb!" und kauft die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach "Nun halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich dich heissen werde, oder ich schiesse dich auf der Stelle tot." Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: "Schiesst herzhaft los, gnädiger Herr; sie ist nicht geladen." Der Herr drückte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur beweist; denn sonst müsste man Rauch sehen. Er liess den Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engländer ging schamrot zurück, dass er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an vieles.
Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813
Im Spätjahr 1813 erfuhren wir Brassenheimer von dem Krieg in Sachsen auch lange nichts anders, als lauter Liebes und Gutes, wer nämlich französisch gesinnt war, und niemand hatte bei Turmstrafe das Herz, etwas anderes zu wissen, noch viel weniger zu sagen, ausgenommen ein lustiger Kumpan, der Spielmann in der untern Gasse, hat's gemerkt. Was tut der Spielmann? Er geht ins Amtshaus. "Herr Amtmann, die Hochzeiten- und Kirchweihtänze wollen heuer gar nicht recht geraten. Wolltet Ihr mir und meinen Kameraden nicht erlauben, dann und wann an einem Sonntag abends im Roten Löwen eine Komödie zu spielen für ein Geringes?" Der Amtmann erwiderte: "Reichenauer, das lob' ich an Euch, dass Ihr Euch lieber auf eine geziemliche Art forthelfen und Euern Mitbürgern einen lustigen Abend dafür machen wollt, als dass Ihr wieder Schulden macht oder stehlt." Also kündeten sie auf den nächsten Sonntag eine nagelneue Komödie an. Es sei die neueste, sagten sie, die es gibt. In derselben Komödie musste einer mitspielen, der hiess Franz, und hatte eine Frau mit Namen Viktoria, ein gar stattliches, handfestes Weibsbild. Im Verlauf der Komödie musste es sich schicken, dass der Franz mit einem fremden Mann Verdruss bekam. Der Zank gebar Schimpf, der Schimpf gebar Schläge, und wer die meisten bekam, war nicht der fremde Mann, sondern der Franz, also dass er zuletzt seine Frau zu Hilfe rief. Weil sie aber Viktoria hiess, konnte er nicht Apollonia oder Kunigunda rufen, und also fügete es sich, dass, je mehr er Schläge bekam und je besser sie aufsassen, desto lauter rief er: "Viktoria! Viktoria!" Daran haben wir Brassenheimer, was verständige Leute unter uns sind, zum ersten Mal gemerkt, wie es damals in Sachsen stehen mochte, und was es zu bedeuten hatte, wenn man schrie: "Viktoria! Viktoria!" Der Herr Amtmann hat zum Glück nichts gemerkt.
Brennende Menschen
Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft gehört, aber seltener von brennenden Frauen. Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in den Keller und will etwas holen. Die Magd steigt mit dem Licht auf eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche voll Branntwein um, worin ungefähr 6-8 Mass waren, und zerbricht sie, der Branntwein strömt plötzlich herab, so über die Magd, so über die Frau. Das Licht kommt der Magd an den Ärmel. Die Magd fangt an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein. Die Frau will ihr zu Hilfe eilen. Die Frau brennt auch an. Beide rennen brennend die Treppe hinauf in den Hof. Der Apothekerjung sieht's und springt davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht, den der Hausfreund nicht nennen darf. Im Hof am Brunnen begiessen sie sich mit Wasser. Das Wasser wird nicht Meister über den Branntewein. Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof und wälzt sich darauf. Die Frau wirft sich ebenfalls auf den Dunghaufen und wälzt sich auch. Beide löschten aus; die Magd wurde noch geheilt, aber die Frau musste sterben. Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen wälzen. Solches ist auch gut für die, welche den Branntewein inwendig im Leib haben.—
Brotlose Kunst
In der Stadt Aachen ist eine Fabrik, in welcher nichts als Nähnadeln gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn es werden in jeder Woche 200 Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf ein Pfund gehen; Facit: eine Million, und der Meister Schneider und die Näherin und jede Hausmutter weiss wohl, wieviel man für einen Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer auszurechnen, wie viel Geld an den Aachener Nadeln in der Fabrik selbst und durch den Handel jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und die meisten Arbeiter sind Kinder von acht bis zehn Jahren. Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten und wunderte sich, dass es möglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feinern Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast unsichtbare Faden kann gezogen werden. Aber ein Mägdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln ein Loch dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um und zog es durch die Öffnung zu einer artigen Schleife oder, wie man's sonst nennt, Schlupf oder Letsch.
Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür ein artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen sein. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleissigen Kinde wohl zu gönnen.
Aber während ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nützliches arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen und mit gutem Gewissen essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich grossen Entfernung durch ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brotlose Kunst. Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz unter anderm nach Rom kam, liess er sich auch vor dem Papst sehen, der sonst ein grosser Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein hübsches Stück Geld von ihm zu beikommen und machte schon ein paar wunderfreundliche Augen, als der Schatzmeister des Heiligen Vaters mit einem Säcklein auf ihn zuging, und bückte sich entsetzlich tief, als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot.
Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise Papst zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleisses übermachen liess, damit er sich in seiner Kunst noch ferner üben und immer grössere Fortschritte darin machen könne.
Dankbarkeit
In der Seeschlacht von Trafalgar, während die Kugeln sausten und die Mastbäume krachten, fand ein Matrose noch Zeit, zu kratzen, wo es ihn biss, nämlich auf dem Kopf. Auf einmal streifte er mit zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger bedächtig an einem Haare herab und liess ein armes Tierlein das er zum Gefangenen gemacht hatte, auf den Boden fallen. Aber indem er sich niederbückte, um ihm den Garaus zu machen, flog eine feindliche Kanonenkugel ihm über den Rücken weg, paff, in das benachbarte Schiff. Da ergriff den Matrosen ein dankbares Gefühl, und überzeugt, dass er von dieser Kugel wäre zerschmettert worden, wenn er sich nicht nach dem Tierlein gebücket hätte, hob er es schonend von dem Boden auf und setzte es wieder auf den Kopf. "Weil du mir das Leben gerettet hast", sagte er; "aber lass dich nicht zum zweiten Mal attrapieren, denn ich kenne dich nimmer."
Das Bettlerkind
Zu einem betagten Herrn, der zwar wohltätig, aber fast wunderlich war, kommt ein freundliches Bettelkind und bittet ihn um ein Almosen. "Wir haben schon seit dem Samstag kein Weissbrot mehr, und das schwarze ist so teuer, weil die Laibe so gross sind." Der Herr, der auf Ordnung hielt und das Betteln nicht wohl leiden konnte, sagte: "Weil du sonst so bescheiden bist, ich habe dich noch nie gesehen, und heute zum ersten Mal zu mir kommst, so will ich dir zwar ein Sechskreuzerlein schenken. Aber unterstehe dich nicht, dass du dich wieder bei mir blicken lassest, sonst geht's mit einem Groschen ab." Also holte das Kind in Zukunft den Groschen fast über jeden andern Tag. Als er aber des Überlaufens müde war, sagte er: "Jetzt bin ich's müde. Wenn du dich noch einmal unterstehst, so setze ich dich auf einen Kreuzer herab." Also kam das Kind in Zukunft alle Morgen und holte den Kreuzer. Die Köchin riet dem Herrn, er solle dem Kind gar nie mehr etwas geben, so wird's schon wegbleiben. "So?" sagte er, "das ist mir ein sauberer Rat. Seht Ihr nicht, je weniger man ihm gibt, desto öfter kommt's?"
Das Blendwerk
Manche Leute, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen, noch weniger nachmachen können, so sagen sie kurz und gut, das ist ein Blendwerk. Nämlich, dass man etwas zu sehen glaube, wo nichts ist, oder dass man die Sache anders sehe, als sie wirklich ist. Dass es aber viel Blendwerk gibt, das unterliegt keinem Zweifel. Z. B. wenn jemand im Mondschein auf der Strasse ist und sieht an einer Mauer oder im Nebel seinen Schatten aufrecht, dass er meint, es sei ein ungebetener Kamerad, der mit ihm geht, einer von der schwarzen Legion.
Item, wenn jemand einen falschen Freund für einen guten Freund hält und trotz aller Warnung dem Spitzbuben traut, bis er zuletzt um Hab und Gut betrogen ist und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Das ist ein grosses Blendwerk. Item, wenn jemand meint, etwas sei ein Blendwerk, und ist doch keins.
In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein Tausendkünstler, und bekam die Erlaubnis, auf einer alten Heubühne, die schon lange nicht mehr war gebraucht worden, seine Künste zu zeigen, und zwar gleich zum letzten Mal. Fast die ganze Gemeinde versammelte sich, und es war der Mühe wert.
Dem Vernehmen nach—der Hausfreund war nicht dabei—brachte der Tausendkünstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hörten einander das grosse Einmaleins ab und rechneten verschiedene Exempel aus der verkehrten Regeldetri.
Nachdem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch und kam auf der andern Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er vorher war.
Etwas an der Sache scheint übertrieben zu sein.
Hierauf sagte er, das sei aber noch alles nichts. Jetzt wolle er sich mit einem scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden. Hernach wolle er ganz in den Bauch hineinschlupfen, dass man gar nichts mehr von ihm sehe. Hernach wolle er sich wieder aus sich selber herauswickeln, dass er wieder sichtbar werde.
Ehe er aber das grosse Wägestück beginnen konnte, fing die Bühne an zu knacken. Es kracht links, es kracht rechts. Knack, stürzte der morsche Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft wäre in dem untern Raume zusammengestürzt, wenn nicht noch einer sich an einem schwebenden Balken erhalten hätte. Die andern lagen alle unten. Da entstand nun ein grosses, vierstimmiges Not- und Zetergeschrei von Männern, Weibern, Kindern und Säuglingen. Es ist gar klug, wenn man kleine Kinder zu so etwas mitträgt. Sie sehen alles gar gut, und wenn's an Musik fehlt, so können sie machen. Alles schrie: "O mein Kopf, o mein Arm, o meine Rippen", so dass der oben auf dem Balken genug zu trösten und zu ermahnen hatte. "Habt doch nur Geduld", sagte er, "und seid verständig! Man muss sich ja schämen vor dem fremden Mann: Merkt ihr denn nicht, dass es nur Blendwerk ist? Euch Leuten", sagte er, "ist keine Ehre anzutun." Denn er hielt das Unglück für ein Blendwerk vom Künstler und meinte, unversehens würden wieder alle an ihren Plätzen sitzen.
Das Bombardement von Kopenhagen
In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg gezogen wurde, hatte sich das Königreich Dänemark teils durch seine Lage, teils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden erhalten. Sie lebte niemand zu lieb und niemand zu leid, dachte nur darauf, den Wohlstand der Untertanen zu vermehren, wurde deswegen von allen Mächten in Ehren erhalten. Als aber im Jahr 1807 der Engländer sah, dass Russland und Preussen von ihm abgegangen sei, und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und dass die Franzosen in allen Häfen und festen Plätzen an der Ostsee Meister sind, und die Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Dänemark kommen, sagte er kein Wort, sondern liess eine Flotte auslaufen, und niemand wusste, wohin. Als aber die Flotte im Sund und an der dänischen Küste und vor der königlichen Haupt- und Residenzstadt Kopenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die Engländer Bericht nach Kopenhagen hinein: "Weil wir so gute Freunde zusammen sind, so gebt uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte, damit sie nicht in des Feindes Hände kommt, und die Festung. Denn es wäre uns entsetzlich leid, wenn wir euch müssten die Stadt über dem Kopfe zusammenschiessen." Als wenn ein Bürgersmann oder Bauer mit einem andern einen Prozess hat, und kommt in der Nacht mit seinen Knechten einem Nachbar vor das Bette, und sagt: "Nachbar, weil ich mit meinem Gevattermann einen Prozess habe, so müsst Ihr mir bis Ausgang der Sache Eure Rosse in meine Verwahrung geben, dass mein Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zünd' ich Euch das Haus an, und müsst mir erlauben, dass ich an der Strasse mit meinen Knechten in Euer Kornfeld stehe, auf dass, wenn der Gevattermann auf seinem eigenen Ross zum Hofgericht reiten will, so verrenn' ich ihm den Weg." Der Nachbar sagt: "Lass mir mein Haus unangezündet! Was gehn mich eure Händel an?" Und so sagten die Dänen auch. Als aber der Engländer fragte: "Wollt ihr gutwillig oder nicht?" und die Dänen sagten: "Nein, wir wollen nicht gutwillig!" so stieg er mit seinen Landungstruppen ans Ufer, rückte immer näher gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, führte Kanonen drein, und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit, jetzt sei die letzte Frist. Allein alle Einwohner von Kopenhagen und die ganze dänische Nation sagten: Das Betragen des übermütigen Feindes sei unerhört, und es wäre eine Schande, die der Belt nicht abwaschen könnte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen und in seine ungerechten Forderungen einzuwilligen. Nein! Da fing das fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal beschlossen war. Denn von abends um sieben Uhr an hörte das Schiessen auf Kopenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die ganze Nacht hindurch zwölf Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, namens Congreve, war dabei, der hatte ein neues Zerstörungsmittel erfunden, nämlich die sogenannten Brandraketen. Das war ungefähr ein Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuss entzündet sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal wo niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was brennen konnte. Auch diese Brandraketen flogen die ganze Nacht in das arme Kopenhagen hinein. Kopenhagen hatte damals 4000 Häuser, 85965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22 Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz sich nicht zu helfen wusste, wie manche Wunde blutete, und wie die Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der Kanonendonner durcheinander ging. Am 3. September, als der Tag kam, hörte das Schiessen auf, und der Engländer fragte, ob sie noch nicht wollten gewonnen geben. Der Kommandant von Kopenhagen sagte: "Nein!" Da fing das Schiessen nachmittags um vier Uhr von neuem an, und dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlass und ohne Barmherzigkeit. Und als der Kommandant noch nicht wollte Ja sagen, fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den 5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche; ganze Kirchtürme waren eingestürzt, und noch überall wütete die Flamme. Mehr als 800 Bürger waren schon getötet und mehrere schwer verwundet. Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich. Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch Hülfe und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7. September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt. Das erste war, die Engländer nahmen die ganze Seeflotte von Kopenhagen in Besitz und führten sie weg: 18 Linienschiffe, 15 Fregatten und mehrere kleinere bis auf eine Fregatte, welche der König von England ehemals dem König von Dänemark zum Geschenk gemacht hatte, als sie noch Freunde waren. Diese liessen sie zurück. Der König von Dänemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will nichts Geschenktes mehr zum Andenken haben. Im Land selbst und auf den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat weiss nicht, was er tut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub davon, und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich mit den Franzosen, und Kaiser Napoleon will nicht eher mit den Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder zurückgegeben, und Kopenhagen bezahlt haben. Dies ist das Schicksal von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen, es sei nicht so schlimm gemeint gewesen; andere aber sagen, es hätte nicht können schlimmer sein, und die Dänen meinen's auch.
Das Branntweingläslein
Ein Unteroffizier trat im Roten Rösslein ein von der Parade. Der Wirt sagt zu ihm: "Aber den habt Ihr nicht schlecht getroffen heut in dem Kasernenhof. Was hat er angestellt?"—"Nicht wahr, ich hab' ihn gut getroffen?" sagte der Unteroffizier. "Es ist ein ausgelernter Spitzbube, gegen den keine Vorsicht hilft. Er ist imstand und stiehlt Euch ein Rad vom Wagen, während Ihr darauf sitzt und Wein holt im Ramstal. Kommt Ihr herein, so habt Ihr noch drei Räder." Der Wirt sagt: "Mir ist keiner schlau genug. Der ist noch nicht auf der Welt." Denn der Wirt war ein wenig dumm. Es ist fast immer ein Zeichen von Unverstand, wenn man allein klüger zu sein glaubt als alle andern. Deswegen sagte er: mir ist keiner schlau genug. Der Unteroffizier sagte: "Gilt's einen Taler, er führt Euch an?" Der Wirt geht die Wette ein. Nachmittags kommt der Soldat mit einem Branntweinfläschlein in der Hand und verlangt für einen Sechser Branntenwein. Er habe daheim einen kranken Kameraden. Er hatte aber noch ein anderes Fläschlein von gleicher Grösse und Gestalt in der Tasche, darin war Brunnenwasser, so viel als man Branntwein bekommen mag für sechs Kreuzer. Als er in das leere Fläschlein den Branntwein bekommen hatte, steckte er es zu dem andern in die nämliche Tasche und gab dem Wirt einen Sechser, der war falsch. Als er aber schon an der Türe war, während der Wirt den Sechser umkehrte, ruft er dem Soldaten: "Guter Freund, Euer Sechser ist falsch auf der untern Seite. Gebt mir einen andern." Der Soldat stellte sich schrecklich erbost über den Spitzbuben, der ihm den falschen Sechser gegeben hatte, und zum Unglück habe er keinen andern bei sich. Er wolle aber sogleich einen holen.—"Nein", sagte der Wirt, "so ist's nicht gewettet. Gebt den Branntwein wieder heraus, und holt zuerst das Geld." Da stellte ihm der Soldat das Fläschlein auf den Tisch, wo das Brunnenwasser drin war, und ging und kam nicht wieder. Abends kam der Unteroffizier.
"Ei, seid Ihr es?" sagte der Wirt und lachte aus vollem Halse. "Was gilt's, Ihr wollt mir einen Taler bringen." Der Unteroffizier aber lächelte nur, zwar etwas spöttisch und sagte: "Nein, ich will einen holen. Versucht einmal Euern Branntwein, ob er nicht schmeckt akkurat wie Brunnenwasser." Da wusste der Wirt vor Verwunderung und Beschämung nicht, was er sagen wollte. Der Unteroffizier aber sagte spöttisch: "Euch ist keiner schlau genug." Also hatte er den Taler gewonnen, doch durfte der Wirt sechs Kreuzer davon abziehen, was der Branntwein kostete, und bekam, wie das Sprichwort sagt, zum Schaden den Spott.
Das fremde Kind
Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt abends am 5. Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb barfuss, halb nackt vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Gebirg und gesellt sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes, die vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans Fortgehen. Nicht anders als ein Schäflein, das sich vor der Herde verlaufen hat und in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu seinesgleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr. Der Taglöhner fragt das Kind, wo es herkomme. "Oben aben von Gutenberg."—"Wie heisst dein Vater?"—"Ich habe keinen Vater."—"Wie heisst deine Mutter?"—"Ich habe keine Mutter."—"Wem gehörst du denn sonst an?"—"Ich gehöre niemand sonst an."—Aus allem, was er fragte, war nur so viel herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und Gaunern sei herumgezogen, dass sie es zuletzt in St. Peter haben sitzen lassen, und dass es allein über St. Märgen gekommen sei und jetzt da sei. Als der Taglöhner mit den Seinigen zu Nacht ass, setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war zu schlafen, legte es sich auf den Ofenbank und schlief auch; so den andern Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: ich kann das arme Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich ankommt, eins mehr zu füttern. Aber am dritten Tag sagte er zu seiner Frau: "Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des armen Mannes, der Hausfreund auch; "aber das Mägdlein", sagte der Pfarrherr, "soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst werden die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine Mutter suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat, und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte: "Peter", sagte er, "wollt Ihr ein Geschenk annehmen?"—"Nach dem's ist", sagte der Mann.—"Es kommt von unserm lieben Herr Gott.— "Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler." Also bot ihm der Pfarrherr das verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte dazu, so und so. Der Mann sagte: "Ich will mit meiner Frau reden. Es wird nicht fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit Freuden auf. "Wenn's guttut", sagte der Mann, so will ich's erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber verdienen kann. Wenn's nicht guttut, so will ich's wenigstens behalten bis im Frühjahr. Denn dem Winter darf man keine Kinder anvertrauen." Jetzt hat er's schon viermal überwintert und viermal übersommert auch. Denn das Kind tat gut, ist folgsam und dankbar und fleissig in der Schule, und Speise und Trank ist nicht der grösste Gotteslohn, den das fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern die christliche Zucht, die väterliche Erziehung und die mütterliche Pflege. Wer das fremde Töchterlein unter den andern in der Schule sieht, sollt' es nicht erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es gekleidet. So etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den braven Taglöhner und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen nennen, wer sie sind, und wie sie heissen. Aber über seinen Mund kommt's nicht.
Das letzte Wort
Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau herwärts Ulm lebten miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch und hatte eine Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: "Du Knicker", und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: Du Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, danach spielen, endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf Borgs. Denn wenn die Frau nichts zu Rat hält und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts heraus. Als er aber im Roten Rösslein den letzten Rausch gekauft hatte, und konnte ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die Stubentür, und als er nach Haus kam und die Frau erblickte: "Nichts als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin", sagte er zu ihr. "Und nichts als Unehre und Verdruss hat man von dir, du Säufer, du der und jener, du Knicker", sagte sie. Da stieg es schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten zu ihm: "Wirf die Bestie in die Donau!" Das liess er sich nicht zweimal sagen. "Wart', ich will dir zeigen, du Vergeuderin" ("du Knicker", sagte sie ihm drauf), "ich will dir schon zeigen, wo du hingehörst", und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der Unmensch noch einmal: "Du Vergeuderin." Da hob die Frau noch einmal die Arme aus dem Wasser empor und drückte den Nagel des rechten Daumens auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man einem gewissen Tierlein den Garaus macht, und das war ihr Letztes.— Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man nicht sagen dürfen, dass der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt, sondern er ging heim und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an einen Pfosten.
Das Mittagessen im Hof
Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig und nie zu nachgiebig, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdriesslich nach Hause, und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich. Er fasste daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Teller stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war. "Verwegener, was soll das sein?" fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte ganz kalt und ruhig: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!"—Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer. Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre.
Das schlaue Mädchen
In einer grossen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen lustigen Tag. Einer von ihnen dachte: "Könnt ihr heute dem Wirt und den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen geben, so könnt ihr auch etwas für die liebe Armut steuern." Also kam, als die Herren am fröhlichsten waren, ein hübsches und nett gekleidetes Mädchen mit einem Teller und bat mit süssen Blicken und liebem Wort um eine Steuer für die Armen. Jeder gab, der eine weniger, der andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz. Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig. Weiter Beutel und grosses Herz gibt viel. So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das Mägdlein jetzt kommt. Denn als er ihm in die hellen, schmeichelnden Augen schaute, ging ihm das Herz fast in Liebe auf. Deswegen legte er zwei Louisdor auf den Teller und sagte dem Mägdlein ins Ohr: "Für deine zwei schönen blauen Augen." Das war nämlich so gemeint: Weil du, schöne Fürbitterin für die Armen, zwei so schöne Augen hast, so geb' ich den Armen zwei so schöne Louisdor, sonst tät's eine auch. Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz anders verstünde. Denn weil er sagte: "Für deine zwei schöne Augen" - nahm es ganz züchtig die zwei Louisdor vom Teller weg, steckte sie in den eigenen Sack und sagte mit schmeichelnden Gebärden: "Schönen, herzlichen Dank! Aber seid so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas für die Armen." Da legte der Herr noch einmal zwei Louisdor auf den Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen und sagte: "Du kleiner Schalk!" Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die Musikanten machten Tusch.
Das seltsame Rezept
Es ist sonst kein grosser Spass dabei, wenn man ein Rezept in die Apotheke tragen muss; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein Spass. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud sorgsam eine grosse tannene Stubentüre ab und trug sie hinein. Der Apotheker machte grosse Augen und sagte: "Was wollt Ihr da, guter Freund, mit Eurer Stubentüre? Der Schreiner wohnt um zwei Häuser links." Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau gewesen und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem ganzen Haus keine Feder, keine Tinte und kein Papier gewesen, nur eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre geschrieben, und nun soll der Herr Bachin so gut sein und das Tränklein kochen.
Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu helfen weiss.
Das Vivat der Königin
Nicht ebenso gut als der Franzos, der dem Engländer auf der Brücke zu Pferd begegnete, kam ein anderer Franzos zu Königszeiten mit einem andern Engländer davon in einem Wirtshaus. Der Engländer sass schon über eine halbe Stunde still und stumm in einer Ecke und wartete auf einen Chirurgus, hätte gern die Zähne zusammengebissen vor Ungeduld, aber einer davon war hohl und tat ihm von Zeit zu Zeit entsetzlich weh, zum Exempel diesmal. Kommt auf einmal der Franzose, ein Perückenmacher oder so etwas, an den Tisch, wo der Engländer sass, und wollte seinen Kameraden einen Spass zum besten geben. Denn er glaubte, der Engländer sei dumm oder noch scheu dortzuland. Also fing er ein langes Gespräch mit ihm an, worauf der Engländer wenig antwortete, rühmte ihm, was Frankreich für ein reiches und grosses Land sei, und dass einer schon ein gutes Pferd haben müsse, wenn er's in drei Vierteljahren durchreiten wollte, und wie der König so gerecht sei, und die Königin so gut. "Aber auf das Wohl der Königin", sagte er, "trinkt Ihr doch eins mit mir, und noch mehr?" Als sie ausgetrunken hatten, zerriss der Franzos die Hemdkrause an seinem alten, abgewaschenen Hemde und sagte: "Es lebe die Königin! Gentleman", sagte er, "Ihr müsst Eure Hemdkrause auch zerreissen auf das Wohlsein der Königin. Ich hab' meine auch zerrissen." "Geht zum Henker, Ihr Sapperment", sagte der Engländer, "Euer Hemd hat nimmer weit in die Papiermühle. Meins kommt nagelneu von der Näherin weg und ist an einigen Orten noch ganz heiss vom Durchzug der Nadel." Aber der Perückenmacher sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass! Entweder zerreisst Ihr Euer Hemd, oder Ihr müsst Euch mit mir stechen auf Leben und Tod." Wollte der fremde Engländer keinen Spektakel haben, so musste er seine Hemdkrause zerreissen wie der Franzose. Aber jetzt wurde er auf einmal freundlich und redselig und erzählte dem Perückenmacher viel von England und von London und von dem grossen Kirchturm in London, und wie einer droben schon gute Augen haben müsse, wenn er unten die Stadt noch sehen wolle; bis der Chirurgus kam. Als der Chirurgus kain und fragte, was der fremde Herr befehle, "seid so gut", sagte der Engländer, "und zieht mir diesen Stockzahn da aus, den dritten, aufs Wohlsein der Königin von England.! Herr", sagt er zu dem Perückenmacher, "Ihr bleibt da sitzen und rührt Euch nicht." Als der Zahn glücklich heraus war, sagte er zu dem Zahnarzt: "Seid so gut und zieht jetzt diesem Herrn da ebenfalls einen Zahn aus aufs Wohlsein der Königin von England. Guter Freund", sagte er, "Ihr müsst Euch auch einen ausreissen lassen, ich hab' mir auch einen ausreissen lassen." Da verging dem Spassmacher der Mutwillen und die roten Backen, und protestierte zwar, die Sache sei nicht gleich. "Euer Zahn da", sagte er, "ist so hohl, dass eine Häsin drin setzen könnte. Die meinigen sind alle so kerngesund, dass ich eine Bleikugel damit breit beissen kann. Wenn drei Lilien drauf wären könnt' ich Geld damit prägen." Aber der andere gab darauf kein Gehör, sondern sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass! Entweder Ihr lasst Euch einen Zahn ausbrechen auf der Stelle, oder Ihr könnt Euch mit mir stechen auf Leben und auf Tod, und ich bohr' Euch da an die Tür hinan, dass der Degen eine Elle weit in die Kammer hineingeht." Da dachte der Perückenmacher: Ein Zahn,—Ein Leben!—Neun Kinder hab ich daheim.—Lieber ein Zahn. Also liess er sich wohl oder übel auch einen ausreissen, und schieden darauf in Frieden voneinander. Aber zu seinen Kameraden sagte er nachher: "Diesmal mit einem Fremden Mutwillen getrieben, den ich nicht kenne! Hört man mir nichts an, wenn ich rede?"
Das wohlbezahlte Gespenst
In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen könnte, geht ein üblicher Fussweg über den Kirchhof und von da durch den Acker eines Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun die Ackerwege bei nasser Witterung schlüpfrig und ungangbar sind, ging man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigentümer die Saat, so dass bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter und der Acker immer schmäler wurde, und das war kein Recht. Zum Teil wusste nun der beschädigte Mann sich wohl zu helfen. Er gab bei Tag, wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleissig acht, und wenn ein unverständiger Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und pfändete ihn oder tat's mit ein paar Ohrfeigen kurz ab. Bei Nacht aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, war's nur desto schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit welchen er den Wandernden verständlich machen wollte, wo der Weg sei, waren allemal in wenig Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und mancher tat's vielleicht mit Fleiss. Aber da kam dem Mann etwas anderes zustatten. Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe, über welchen der Weg ging. Bei trockenem Wetter und etwas hellen Nächten sah man oft ein langes, weisses Gespenst über die Gräber wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster war, hörte man im Beinhaus bald ein ängstliches Stöhnen und Winseln, bald ein Klappern, als wenn alle Totenköpfe und Totengebeine darin lebendig werden wollten. Wer das hörte, sprang bebend wieder zur nächsten Kirchhoftüre hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend dämmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war, gewiss keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein verständiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich an diesem Ort verspätete und den nächsten Weg nach Haus doch über diesen verschrienen Platz und über den Gerstenacker nahm. Denn ob ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten, so sagte er doch am Ende: "Wenn es ein Geist ist, geh' ich mit Gott als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu meiner Frau und zu meinen Kindern heim, habe nichts Böses getan, und ein Geist, wenn's auch der schlimmste unter allen wäre, tut mir nichts. Ist's aber Fleisch und Bein, so habe ich zwei Fäuste bei mir, die sind auch schon dabei gewesen." Er ging. Als er aber auf den Kirchhof kam und kaum am zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein klägliches Ächzen und Stöhnen, und als er zurückschaute, siehe, da erhob sich hinter ihm, wie aus einem Grab herauf, eine lange, weisse Gestalt. Der Mond schimmerte blass über die Gräber. Totenstille war ringsumher, nur ein paar Fledermäuse flatterten vorüber. Da war dem guten Manne doch nicht wohl zumute, wie er nachher selber gestand, und wäre gerne wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst hätte vorbeigehen müssen. Was war nun zu tun? Langsam und still ging er seines Weges zwischen den Gräbern und manchem schwarzen Totenkreuz vorbei. Langsam und immer ächzend folgte zu seinem Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war dumm.
Aber so geht es. Kein Betrüger ist so schlau, er vertratet sich. Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker erblickte, dachte er bei sich selber: Ein rechtes Gespenst muss wie eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf den Kirchhof gehört, geht nicht aufs Ackerfeld. Daher bekam er auf einmal Mut, drehte sich schnell um, fasste die weisse Gestalt mit fester Hand und merkte bald, dass er unter einem Leintuch einen Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf dem Kirchhof daheim sei. Er fing daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln, bis er seinen Mut an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem Leintuch selber nicht sah, wo er hinschlug, so musste das arme Gespenst die Schläge annehmen, wie sie fielen.
Damit war nun die Sache abgetan, und man hat weiter nichts mehr davon erfahren, als dass der Eigentümer des Gerstenackers ein paar Wochen lang mit blauen und gelben Zieraten im Gesicht herumging und von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen war. Denn solche Leute wie unser handfester Ehrenmann, das sind allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, dass jeder andere Betrüger und Gaukelhans ebenso sein Recht und seinen Meister finden möchte.
Das wohlfeile Mittagessen
Es ist ein altes Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selber darein.—Aber der Löwenwirt in einem gewissen Städtlein war schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und trotzig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüs für sein Geld. Der Wirt fragte ganz höflich, ob ihm nicht auch ein Glas Wein beliebe? "O freilich ja!", erwiderte der Gast, "wenn ich etwas Gutes haben kann für mein Geld." Nachdem er sich alles hatte wohl schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der Tasche und sagte: "Hier, Herr Wirt, ist mein Geld." Der Wirt sagte: "Was soll das heissen? Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?" Der Gast erwiderte: "Ich habe für keinen Taler Speise von Euch verlangt, sondern für mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab' ich nicht. Habt Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist's Eure Schuld."—Dieser Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehörte nur Unverschämtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüt, wie es am Ende ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. "Ihr seid ein durchtriebener Schalk", erwiderte der Wirt, "und hättet wohl etwas anderes verdient. Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier noch ein Vierundzwanzigkreuzerstück dazu. Nur seid stille zur Sache und geht zu meinem Nachbarn, dem Bärenwirt, und macht es ihm ebenso!" Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bärenwirt, aus Brotneid in Unfrieden lebte und einer dem andern jeglichen Tort und Schimpf gerne antat und erwiderte. Aber der schlaue Gast griff lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der andern vorsichtig nach der Türe, wünschte dem Wirt einen guten Abend, und sagte: "Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirt, bin ich schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein anderer." So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde hätte sich noch obendrein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute Lehre daraus gezogen und sich miteinander ausgesöhnt hätten. Denn Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 1.
In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die es sahen, verdross es, aber niemand konnte erraten, warum der arme Mann den Stein aufhob und, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und niemand dachte daran, dass er ihn von nun an so bei sich tragen würde. Aber das tat er.
Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nämlich er verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines Vermögens verlustig, sondern er musste auch nach dortiger Sitte zur Schau und Schande, rückwärts auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem rätselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, liess er ihn wieder fallen und ging mit einem bewegten Gesicht davon.
Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glück nicht übermütig, nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen sein. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war, und "wer dir als Freund nichts nutzen kann, der kann vielleicht als Feind dir schaden". Zweitens, man soll seinem Feind keinen Stein in der Tasche und keine Rache im Herzen nachtragen. Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen liess und davonging, sprach er zu sich selber so: "Rache an dem Feind auszuüben, so lange er reich und glücklich war, das war töricht und gefährlich; jetzt wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und schändlich."
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 2.
Ein anderer meinte, es sei schön, Gutes zu tun an seinen Freunden, und Böses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiderte, das sei schön, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden zu machen.
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 3.
Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und tun.
Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und wohlgefälligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: "Bei lauter unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat."
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 4.
Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer in gutem Frieden ausgekommen sei. Er sagte so: "Ein verständiger Mann und ein törichter Mann können nicht einen Strohhalm mit einander zerreissen. Denn wenn der Tor zieht, so lässt der Verständige nach, und wenn jener nachlässt, so zieht dieser. Aber wenn zwei Unverständige zusammenkommen, so zerreissen sie eiserne Ketten.
Der Barbierjunge von Segringen
Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich aussah, also dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt, eh' er etwas zu essen und zu trinken fordert: "Habt Ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasieren kann?" Der Wirt sagt Ja und holt den Barbierer. Zu dem sagt der Fremde: "Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl' ich Euch vier Kronentaler. Wenn Ihr mich aber schneidet, so stech' ich Euch tot. Ihr wäret nicht der erste." Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge lässt sich blenden von dem Geld und denkt: "Ich wag's. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und einen Schnepper. Geratet's nicht, so weiss ich, was ich tue", und rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiss nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zundel oder Fliesspapier darauf zu tun wäre und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut und dachte doch, als er fertig war: "Gottlob!"
Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler; sagt er zu ihm: "Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten hättest, so hätt' ich dich erstochen." Der Lehrjunge aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld und sagte: "Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht verstochen, sondern wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt' Euch ins Gesicht geschnitten, so wär' ich Euch zuvorgekommen, hätt' Euch augenblicklich die Gurgel abgehauen und wäre auf- und davongesprungen." Als aber der fremde Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch einen Kronentaler extra und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: "Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest."
Der betrogene Krämer
Ein Rubel ist in Russland eine Silbermünze und beträgt 27 Batzen hin oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und tut zehen Rubel; deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für einen Rubel einen Imperial. Allein ein schlauer Soldat in Moskau sagte doch: "Was gilt's? morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem Rubel einen doppelten Imperial angeln." Als den andern Tag in langen Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufging, vor allen Ständen standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu, und die Menge ging auf und ging ab, und die Knaben grüssten die Mägdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Händen. "Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel? Gehört er Euch?" fragt er jeden Krämer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld löste und lange zusah, dachte endlich: wenn dich dein Geld an die Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. "Hieher, Musketier, der Rubel ist mein." Der Soldat sagte: "Wenn Ihr mir nicht gerufen hättet, ich hätt' Euch schwerlich gefunden unter der Menge", und gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her und klingelt daran, ob er gut sei; ja, er war gut, und steckt ihn in die Tasche. "Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial", sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: "Ich habe keinen Imperial von Euch, so bin ich Euch keinen schuldig. Da habt Ihr Euren einfältigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spass wollt machen." Aber der Musketier sagte: "Meinen zweifältigen Imperial gebt mir heraus, mein Spass ist Ernst, und die Marktwache, die Polizei wird zu finden sein." Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und es hängt sich an den Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Auf einmal bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. "Was geht hier vor?" fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die Menge durchgebohrt hatte. "Was geht vor? frag' ich." Der Krämer wusste wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier. Vor keiner Viertelstunde, erzählte er, hab' er diesem Mann für einen Rubel abgekauft, das und das. Als er ihn bezahlen wollte, in allen Taschen hatte er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial, den ihm sein Pate geschenkt hatte, als er gezogen wurde. So habe er ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel bringe. Wie er mit dem Rubel wieder kommen sei, hab' er den rechten Kaufladen nimmer gefunden und an allen Ständen gefragt: "Wem bin ich einen Rubel schuldig?" so habe dieser da gesagt, er sei derjenige, und sei's auch und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem Imperial wolle er nichts wissen. "Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig herausgeben oder nicht?" Als aber der Polizeisergeant die Umstehenden fragte und die Umstehenden sagten: ja, der Musketier habe an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser habe bekannt, er gehöre ihm und habe ihn auch angenommen und daran geklingelt, ob er probat sei. Als der Polizeihauptmann das hörte, so gab er den Bescheid: "Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert Euch Euren Stand mit Lattnägeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und könnt Ihr alsdann lang Hunger leiden, so könnt Ihr auch lang leben." Das sagte der Anführer der Polizeiwache, und wer dem Musketier für seinen Rubel einen Imperial herausgeben musste, war der Kaufmann.
Merke: Fremdes Gut frisst das eigene, wie neuer Schnee den alten.
Der Bock
Einst im strengen Winter, an einem Sonntag abends, fuhr eine fremde, wunderschöne Frau den Schliengener Berg hinauf, und als auf einmal die Pferde stillstanden, waren sie auch klüger als ein Bauersmann, der vor ihnen mitten im Weg und im Schnee lag und schlief. Denn die Pferde hatten nur Haber im Leib, aber der Bauersmann Branntewein und kam von unten herauf, wollte nach Kandern gehen, verfehlte aber in Schliengen den Rang. Die wunderschöne Frau liess ihn wecken. "Fehlt Euch etwas, guter Mann, oder seid Ihr sonst in den Schnee gefallen?" - "Nein", stammelte der Bauersmann, " da ist mir eine schwarze Katze mit feurigen Augen vor meinen Augen herumgefackelt und hat mich irregeführt und schlaftrunken gemacht, und wenn ich weiss, wo ich bin,—so weiss es"—das Kind im Mutterleib, wollte er etwa sagen, aber er brachte es nicht heraus.—"Ihr seid betrunken, guter Mann, und wenn Ihr hier liegen bleibt, müsst Ihr erfrieren."—"Wenn ich betrunken bin", fragte er, "habt Ihr mir den Rausch bezahlt, oder hab' ich ihn bezahlt, oder bin ich ihn nicht vielmehr noch schuldig?" Als aber die Frau, so freundlich sie ist und sein kann, ihm zuredete, vornen auf den Bock zu sitzen bis zum nächsten Ort,— "Bock sitzen?" dachte er in seinem erschrecklichen Rausch und fing auf einmal an, aus einem andern Ton zu sprechen. "Ihr seid die schwarze Katze und habt Euch in eine heidnische Prinzessin verwandelt. Um Gottes willen, verschont mich nur diesmal!" Denn er dachte an einen andern Bock, auf dem die Hexen reiten, und jetzt geh' es zum Pech- und Schwefel-Brünnlein, und nicht zur Kalten Herberge, die auf dem Schliengener Berg steht, sondern zur heissen. In seinem Leben wollte er keinen Rausch mehr trinken. Allein das half alles nichts, sondern der Kutscher, der Postillion von Müllheim, band ihn auf den Bock. Und so fuhr er mausstill und in ängstlicher Erwartung seines Schicksals mit bis zur Station. Auf der Station aber, auf Kaltenherberge, legten ihn die Postknechte in einen warmen Kuhstall und liessen ihn seinen Rausch dort ausschlafen. Aber noch bis, auf diese Stunde glaubt der Mann, er sei verhext und bezaubert gewesen, und hat seitdem keinen Rausch mehr getrunken, ausgenommen an den Werktagen.
Dies Geschichtlein ist wahr, und wenn's auch nicht
zwischen
Schliengen und Kaltenherberge sollte geschehen sein, und der
Hausfreund kennt die schöne Frau. Hat sie's ihm nicht selber
geschrieben von Freiburg aus im Üchtland?
Der falsche Edelstein
In einem schönen Garten vor Strassburg vor dem Metzgertor, wo jedermann für sein Geld hineingehen und lustig und honett sein darf, da sass ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schöpplein trank, und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein und spiegelte den Ring. So kommt ein Jude und sagt: "Herr, Ihr habt einen schönen Edelstein in Eurem Fingerring, dem wär' ich auch nicht feind. Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem Brustschildlein des Aharons?" Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz kurz und trocken: "Der Stein ist falsch; wenn er gut wäre, steckte er wohl an einem andern Finger als an dem meinigen." Der Jud bat den Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben. Er wendet ihn hin, er wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links. Soll dieser Stein nicht echt sein? dachte er und bot dem Fremden für den Ring zwei neue Dublonen. Der Fremde sagte ganz unwillig: "Was soll ich Euch betrügen? Ihr habt es schon gehört, der Stein ist falsch." Der Jude bittet um Erlaubnis, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer, der dabei sass, sagte: "Ich stehe gut für den Israeliten, der Stein mag wert sein, was er will." Der Fremde sagte: "Ich brauche keinen Bürgen, der Stein ist nicht echt."
In dem nämlichen Garten sass damals an einem andern Tisch auch der Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und honett für ihr Geld, nämlich für das Geld der Gevatterleute, und einer davon ist ein Goldschmied, der's versteht. Einem Soldaten, der in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase war gut. Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte er nicht. Zu dem Gevattermann kommt der Jude. "Herr", sagte er, "soll dieses kein echter Edelstein sein? Kann der König Salomon einen schönern in der Krone getragen haben?" Der Gevattermann, der auch ein halber Sternseher ist, sagte: "Er glänzt wie am Himmel der Aldebaran. Ich verschaffe Euch neunzig Dublonen für den Ring. Was Ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist Euer Schmus." Der Jud kehrt zu dem Fremden zurück. "Echt oder unecht, ich gebe Euch sechs Dublonen", und zählte sie auf den Tisch, funkelnagelneu. Der Fremde steckte den Ring wieder an den Finger und sagte jetzt: "Er ist mir gar nicht feil. Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, dass Ihr ihn für einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut", und steckte die Hand in die Tasche, dass der lüsterne Israelit den Stein gar nicht mehr sehen sollte.—"Acht Dublonen."—"Nein."—"Zehn Dublonen." "Nein."—"Zwölf—vierzehn—fünfzehn Dublonen." "Meinetwegen", sagte endlich der Fremde, "wenn Ihr mir keine Ruhe lassen und mit Gewalt wollt betrogen sein. Aber ich sage es Euch vor allen diesen Herren da, der Stein ist falsch, und ich gebe Euch kein gut Wort mehr dafür. Denn ich will keinen Verdruss haben. Der Ring ist Euer."
Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring. "Morgen komm ich zu Euch und hole das Geld." Aber der Gevattermann, den noch niemand angeführt hat, machte ein paar grosse Augen. "Guter Freund, das ist nicht mehr der nämliche Ring, den Ihr mir vor zwei Minuten gezeigt habt. Dieser Stein ist zwanzig Kreuzer wert zwischen Brüdern. So macht man sie bei Sankt Blasien im Eieli in der Glashütte." Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in der Tasche, der völlig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger spiegelte, und während der Jud mit ihm handelte und er die Hand in der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den echten Ring vom Finger ab und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der Jud. Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakete geritten wäre, zu dem Fremden zurück: "Au waih, au waih! Ich bin ein betrogener Mann, ein unglücklicher Mann, der Stein ist falsch." Aber der Fremde sagte ganz kaltblütig und gelassen: "Ich hab' ihn Euch für falsch verkauft. Diese Herren hier sind Zeugen. Der Ring ist Euer. Hab' ich Euch ihn angeschwätzt, oder habt Ihr ihn mir abgeschwätzt?" Alle Anwesenden mussten gestehen: "Ja, er hat ihm den Stein für falsch verkauft und gesagt: der Ring ist Euer."
Also musste der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher vertuscht.
Der fechtende Handwerksbursche in Anklam
Im August des Jahrs 1804 stand in der Stadt Anklam in Pommern ein reisender Handwerksbursche an einer Stubentüre und bat um einen Zehrpfennig ganz fleissig. Als sich niemand sehen liess noch rührte, öffnete er leise die Türe und ging hinein. Als er eine arme und kranke Witwe erblickte, die da sagte, sie habe selber nichts, so ging er wieder hinaus.
Lieber Leser, denke nicht, der hat's lassen drauf ankommen, ob jemand in der Stube ist, hat seinen Zehrpfennig selber wollen nehmen. Sonst musst du dich schämen und in deinem Herzen einem edeln Menschen Abbitte tun. Denn der Handwerksbursche kam nach ungefähr fünf Stunden wieder. Die Frau, rief ihm zwar entgegen: "Mein Gott! ich kann Euch ja nichts geben. Ich selbst lebe von anderer Menschen Milde und bin jetzt krank." Allein der edle Jüngling dachte bei sich selber: Eben deswegen. Anständig und freundlich trat er bis vor den Tisch, legte aus beiden Taschen viel Brot darauf, das er unterdessen gesammelt hatte, und viele auf gleiche Art gesammelte kleine Geldstücke. "Das ist für Euch, arme, kranke Frau", sagte er mit sanftem Lächeln, ging wieder fort und zog leise die Stubentüre zu. Die Frau war die Witwe eines ehemaligen braven Unteroffiziers namens Laroque bei dem preussischen Regiment von Schönfeld.
Den Namen des frommen Jünglings aber hat ein Engel im Himmel für ein ander Mal aufgeschrieben. Ich kann nicht sagen, wie er heisst.
Der fremde Herr
Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet und die Schere zusammengewachsen; also nährt er sich, so gut er kann. "Gevatter", sagt zu ihm der Peruckenmacher, "Ihr tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt Euch den Gang."—"Gevatter", sagt der Schneider, "es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der Euch angeschmiert hat, so stell' ich auf dem Jahrmarkt etwas vor." Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen Markt weiss, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so gibt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damaszener Maultrommeln. Also sass jetzt der Adjunkt auch zu Brassenheim im Wilden Mann und musterte die Lieder. Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen usw. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen usw. Drittes Lied: Kein schöner Leben auf Erden usw. und probierte die Trommeln. Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem Rock, hirschledernen Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran und zwei Sporen. Der Wirt zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und: "Hat Euch, Herr Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?" fragte ihn der Wirt. "Mein Normänder, der Scheck?" sagte der Schneider.
"Ich hab' ihn au Cerf eingestellt, im Hirschen. Ich will hier nur ein Schöpplein trinken. Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf Menschenkenntnis und Weinkunde. Platz da!" sagte er zum Adjunkt. "Holla", denkt der Adjunkt, "der meint auch, grob sei vornehm. Was gilt's, er ist nicht weit her?" Als aber der Schneider die Gerte breit über den Tisch legte und räusperte sich wie ein Kamel und betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch, steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in das Ohr. Ein Ehninger, der es hörte, sagt: "Herr Landsmann, Ihr seid auf der rechten Spur. Ich hab' ihn gesehn die Stiefel am Bach abwaschen und eine Gerte schneiden. Er ist zu Fuss gekommen." Ein Scherenschleifer sagte: "Ich kenn' ihn wohl, er ist einmal ein Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh' gesetzt und tut Botengänge um den Lohn." Also geht der Wirt ein wenig hinaus und kommt wieder herein. "So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein Unglück vorübergehen", sagt er im Hereinkommen. "Da suchen die Hatschierer in allen Wirtshäusern einen Herrn in einem roten Rocke, der heute durch die Dörfer galoppiert ist und ein Kind zu Tod geritten hat." Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan an; der sagte in der Angst: "Mein Rock ist eher gelb als rot." Aber der Ehninger sagte: "Nein, aber Euer Gesicht ist eher blass als gelb, und hat auf einmal viel Schweisstropfen darauf geregnet. Gestehts, Ihr seid nicht geritten."—"Doch, er ist geritten", sagte der Wirt; "ich hab' ihm eben das Ross draussen angebunden. Es ist losgerissen im Hirsch und sucht ihn. Hat nicht Euer Normänder die Mähnen unten am Hals und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier nicht meinen, dass es ein Ross ist! Zahlt Euer Schöpplein und reitet ordentlich heim." Als er aber vor das Haus kam und den Normänder sah, den ihm der Wirt an die Türe gebunden hat, wollte er nicht aufsitzen, sondern ging zu Fuss zum Flecken heraus und wurde von den Gästen entsetzlich verhöhnt.
Merke: Man muss nie mehr scheinen wollen, als man ist und als man sich zu bleiben getrauen kann wegen der Zukunft.
Der Fremdling in Memel
Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus. Das erfuhr ein Fremder, der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Küsten der Ostsee ankam. Damals war der russische Kaiser bei dem König von Preussen auf Besuch. Beide Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei rechte gute Freunde beieinander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie zu, meinte, es seien zwei Kaufleute oder andere Herren aus der Gegend, und fing ein Gespräch mit ihnen an, war begierig, allerlei Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sei. "Ich bin der König von Preussen", sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er: Es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Kompliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muss man immer das Sicherste und Beste wählen und lieber eine Höflichkeit aus Irrtum begehen als eine Grobheit.
Als aber der König weiter sagte und auf seinen Begleiter deutete: "Dies ist Se. Majestät der russische Kaiser", da war's doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Vögel ihn zum besten haben wollten, und sagte: "Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spass haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. Bin ich deswegen aus Westindien hierher gekommen, dass ich euer Narr sei?"— Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, dass er allerdings derjenige sei. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. "Ein russischer Spassvogel möget Ihr sein", sagte er. Als er aber nachher im Grünen Baum die Sache erzählte und andern Bericht bekam, da kam er ganz demütig wieder, bat fussfällig um Vergebung, und die grossmütigen Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel Spass an dem Vorfall.
Der fromme Rat
Ein achtzehnjähriger Jüngling ging, noch unerfahren, katholisch und fromm, zum ersten Mal aus der Eltern Haus auf die Wanderschaft. In der ersten grossen Stadt auf der Brücke blieb er stehen und wollte rechts und links ein wenig umschauen, weil er fürchtete, es möchten ihm nimmer viel solche Brücken kommen, an welche unten und oben solche Städte angebaut seien wie diese. Als er aber rechts umschaute, kam daher von einer Seite ein Pater und trug das hochwürdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig ist und es recht meint. Als er aber links umschaute, kam von der andern Seite der Brücke auch ein Pater und trug auch das hochwürdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig ist und es recht meint, und beide waren ihm schon ganz nahe, und beide waren im Begriff, an ihm vorbeizugehen im nämlichen Augenblick, der eine links von daher, der andere rechts von dorther. Da wusste sich der arme Mensch nicht zu helfen, vor welchem hochwürdigen Gut er niederknien, und welches er mit Gebet und Liebe grüssen soll, und es war ihm auch schwer zu raten. Als er aber den einen Pater mit Bekümmernis anschaute und ihn gleichsam mit den Augen fragte und bat, was er tun sollte, lächelte der Pater wie ein Engel freundlich die fromme Seele an und hob die Hand und den Zeigefinger gegen den hohen und sonnenreichen Himmel hinauf. Nämlich vor dem dort oben soll er niederknien und ihn anbeten. Das weiss der Hausfreund zu loben und hochzuachten, obwohl er noch nie einen Rosenkranz gebetet hat; sonst schrieb' er den lutherischen Kalender nicht.
Der Furtwanger in Philippsburg
Im Jahre 1734, als der Franzos Sturm lief auf Philippsburg, und die Reichstruppen lagen darin, steht ein Rekrut, ein Furtwanger, auf einem einsamen Posten seitwärts vom Angriff und denkt: "Wenn's nur nicht hieher kommt!" Indem wächst ganz leise eine französische Grenadierkappe hinter dem Rempart herauf, und kommt ein Kopf nach mit einem Schnauzbart, wie wenn der Mond aufgeht hinter den Bergen. Denn ein paar Dutzend Waghälse hatten draussen eine Sturmleiter angelegt, um unbeschrien auf den Rempart zu kommen, und sahen die Schildwache nicht, dass eine da sei. Springt der Furtwanger herbei und gibt dem Franzosen einen Stich. Pfeifen auf einmal Kugeln genug um ihn her aus Windbüchsen, und geht ein zweites Franzosengesicht auf hinter dem Rempart. Gibt ihm der Furtwanger auch einen Stich und sagt: "Aber jetzt kommst du nimmer." Item: es kam der dritte und der vierte und bis zum zwölften. Als der Sturm abgeschlagen war und der Platzkommandant auf dem Platz herumritt, ob alles in der Ordnung sei, sieht er von weitem die Sturmleiter und zwölf tote Franzosen dabei, und wie er zu dem Posten kommt, fragt er den Furtwanger: "Was hat's hier gegeben?"—"So?" sagt der Furtwanger, "Ihr habt gut fragen. Wisst Ihr, dass mir einer mehr zu schaffen gemacht hat als Euch alle? Nur zwölfmal hintereinander hat er angesetzt. Unten im Graben muss er liegen." Denn er meinte, es sei immer der nämliche gewesen, und es könne nur mit dem Bösen zugegangen sein, dass ihm allemal hinter dem Bajonett die Wunde wieder heilte. Da lächelte der Kommandant und die Offiziere, so mit ihm waren, und nahm ihm seinen Unverstand nicht übel, sondern er liess ihm für jeden ein Halbguldenstück Stechgeld bezahlen, und durfte er überdies selbigen Abend auf Rechnung der Reichs-Operationskasse Wein trinken und Speck essen, so viel er wollte.
Der geduldige Mann
Ein Mann, der eines Nachmittags müde nach Hause kam, hätte gern ein Stück Butterbrot mit Schnittlauch darauf gegessen oder etwas von einem geräucherten Bug. Aber die Frau, die im Haus ziemlich der Meister war und in der Küche ganz, hatte den Schlüssel zum Küchenkästlein in der Tasche und war bei einer Freundin auf Besuch. Er schickte daher die Magd und den Knecht, eins um das andere, die Frau soll heimkommen oder den Schlüssel schicken. Sie sagte allemal: "Ich komm' gleich, er soll nur ein wenig warten." Als ihm aber die Geduld immer näher zusammenging und der Hunger immer weiter auseinander, trägt er und der Knecht das verschlossene Küchenkästlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch war und sagt zu seiner Frau: "Frau, sei so gut und schliess mir das Kästlein auf, dass ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt' ich's nimmer aus." Also lachte die Frau und schnitt ihm ein Stücklein Brot herab und etwas vom Bug.
Der geheilte Patient
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draußen oder schnauft der Nachbar so?" Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter Langeweile bis an den Abend, so daß man bei ihm nie redet sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war wie ein Sack. Essen und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht redet gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere.
Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver und Pillen wie Enteneier so groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts, denn er befolgte nicht, was ihm die Arzte befahlen, sondern sagte: "Wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich leben soll wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?" Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund würden, wenn er sie nur redet anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Wege, wo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte, nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung, und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein böses Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und Ihr müßt zu mir kommen. Aber für's erste, so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, mittags ein Bratwürstlein dazu, und nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, so daß er Euch die Leber verdrückt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im anderen Frühjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit sich reden hörte, ließ er sich sogleich den anderen Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß eine Schnecke hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten, und der Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Felde so rot, und alle Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes ankam und den anderen Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm: "jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das hat Euch. ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib, deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen und daheim fleißig Holz sägen und nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter Mann werden", und lächelte dazu.
Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr
seid ein feiner
Kauz, und ich versteh Euch wohl', und hat nachher dem Rat
gefolgt
und siebenundachtzig Jahre, vier Monate, zehn Tage gelebt, wie
ein
Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt
zwanzig
Dublonen zum Gruß geschickt."
Der geheilte Patient
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob! der arme Mann nichts weiss; denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener hautreiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag sass er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, ass aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draussen oder schnauft der Nachbar so?"—Den ganzen Nachmittag ass und trank er ebenfalls, bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile, bis an den Abend, also, dass man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte, und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere. Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mussten ihm raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver, und Pillen wie Enteneier so gross, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte: "Foudre, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich soll leben wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?" Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stund weit wegwohnte, der sei so geschickt, dass die Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Weg, wenn er sich sehen lasse. Zu dem Arzt fasste der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehle, nämlich nicht Arznei, sondern Mässigkeit und Bewegung, und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen schlimmen Umstand; doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muss ich selber reden, und Ihr müsst zu mir kommen. Aber fürs erste, so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem Rösslein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beisst Euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, Mittags ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm grösser, also, dass er Euch die Leber verdruckt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im andern Frühjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit ihm reden hörte, liess er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, dass perfekt eine Schnecke hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn grüsste, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, dass er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm: "Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das hat Euch ein guter Geist geraten, dass Ihr meinem Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib. Deswegen müsst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und daheim fleissig Holz sägen, dass niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter Mann werden", und lächelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh' Euch wohl", und hat nachher dem Rat gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen zum Gruss geschickt.
Der Generalfeldmarschall Suwarow
Das Stücklein von Suwarow im Kalender 1809 hat dem geneigten Leser nicht übel gefallen. Von ihm selber wäre viel Anmutiges zu erzählen. Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmütig ist, sondern redet auch mit geringen Leuten und stellt sich manchmal, als wenn er nur ihresgleichen wäre, so sagt man zu seinem Lob: er ist ein gemeiner Herr. Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust hängen, manchen Diamantring an die Finger stecken, und aus mancher goldenen Dose Tabak schnupfen. War er nicht Sieger in Polen und in der Türkei, russischer Generalfeldmarschall und Fürst und an der Spitze von dreimal hunderttausend Mann, soviel als seinesgleichen ein anderer? Aber bei dem allen war er ein sehr gemeiner Herr. Wenn es nicht sein musste, so kleidete er sich nie wie ein General, sondern wie es ihm bequem war. Manchmal, wenn er kommandierte, so hatte er nur Einen Stiefel an. An dem andern Bein hing ihm der Strumpf herunter, und die Beinkleider waren auf der Seite aufgeknüpft. Denn er hatte einen Schaden am Knie.
Oft war er nicht einmal so gut gekleidet. Morgens, wenn's noch so frisch war, ging er aus dem Bett oder von der Streue weg vor dem Zelt im Lager spazieren, nackt und bloss wie Adam im Paradies, und liess ein paar Eimer voll kaltes Wasser über sich herabgiessen zur Erfrischung.
Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht, keine Kutsche und kein Ross. In dem Treffen setzte er sich aufs nächste beste.
Sein Essen war gemeine Soldatenkost. Niemand freute sich gross, wenn man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde. Manchmal ging er zu den gemeinen Soldaten ins Zelt und war wie ihresgleichen. Wenn ihn auf dem Marsch oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam, wo ein anderer an einen Baum steht oder hinter eine Hecke geht, da machte er kurzen Prozess. Seinetwegen durfte ihm jedermann zuschauen, wer's noch nie gesehen hat.
Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten Marschallsuniform voll Ehrenkreuzen und Ordenssternen dastand und, wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb er's doch wie ein säuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in die Rocktasche steckt. Er schneuzte die Nase mit den Fingern, strich die Finger am Ärmel ab und nahm alsdann wieder eine Prise aus der goldenen Dose.
Also lebte der General und Fürst Italinsky-Suwarow.
Der geschlossene Magen
Als einst der Zirkelschmied wieder auf vier bis sechs Wochen in gute Umstände gekommen war, lebte er so lange gar ehrbar und häuslich mit seiner Frau, der Bärbel, und war in keinem Wirtshaus mehr zu sehen. Nein, er ass alle Mittag ein Pfündlein Fleisch mit ihr daheim und liess eine halbe Mass Wein dazu holen aus dem Adler und gab auf ihre Ermahnungen. Einmal jedoch, als es ihm besonders schmeckte, schickte er nach dem Essen das Büblein heimlich in das Wirtshaus, dass es noch eine Halbe holen sollte. Als aber das Büblein die zweite Halbe brachte und auf den Tisch stellte, schaute seine Frau ihn bittend an: "Männlein", sagte sie, "lass es jetzt genug sein! Weisst du nicht, was im Doktorbuch steht, dass der Magen nach dem Essen geschlossen sei." Dem entgegen schaute der Zirkelschmied so lieb und freundlich zuerst den Wein, hernach die Bärbel an: "Liebes Weiblein", sagte er, "sei unbesorgt! Soll der Magen auch geschlossen sein, so viel bring' ich noch wohl durch das Schlüsselloch."
Der grosse Sanhedrin zu Paris
Dass die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das heisst, seit mehr als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht auf der ganzen Erde in der Zerstreuung leben; dass die meisten von ihnen, ohne selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden Einwohnern eines Landes nähren; dass sie daher auch an vielen Orten als Fremdlinge verachtet, misshandelt und verfolgt werden, ist Gott bekannt und leid.—Mancher sagt daher im Unverstand: "Man sollte sie alle aus dem Lande jagen." Ein anderer sagt im Verstand: "Man sollte arbeitsame und nützliche Menschen aus ihnen machen und sie alsdann behalten."
Der Anfang dazu ist gemacht. Merkwürdig für die Gegenwart und für die Zukunft ist dasjenige, was der grosse Kaiser Napoleon wegen der Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und veranstaltet hat.
Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich wohnen, das französische Bürgerrecht, und man sagte frischweg: Bürger Aaron, Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die Hand. Aber was will da herauskommen? Der christliche Bürger hat ein anderes Gesetz und Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein anderes Gesetz und Recht und will nicht haben Gemeinschaft mit den Gojim. Aber zweierlei Gesetz und Willen in einer Bürgerschaft tut gut wie ein brausender Strudel in einem Strom. Da will Wasser auf, da will Wasser ab, und eine Mühle, die darin steht, wird nicht viel Mehl mahlen.
Das sah der grosse Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe er antrat die grosse Reise nach Jena, Berlin und Warschau und Eylau, liess er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, dass sie ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer aus allen Departementern des Kaisertums. Da war nun jedermann in grossem Wunder, was das werden sollte, und der eine sagte das, der andere jenes, z. B. der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in ihre alte Heimat am grossen Berg Libanon, an dem Bach Ägypti und am Meer.
Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern, worin Juden wohnen, beisammen waren, liess bald der Kaiser ihnen gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen und beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben und von einer festen Verbindung der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und in dem Königreich Italien. Denn alle diese Fragen gingen darauf hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben könne ansehen und liebem als sein Vaterland und die andern Bürger desselben als seine Mitbürger und die bürgerlichen Gesetze desselben halten.
Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht gut sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein.
Allein die Abgeordneten sagen, dass der Geist der
göttlichen
Weisheit erleuchtet habe ihre Gemüter, und sie erteilten eine
Antwort, die war wohlgefällig in den Augen des Kaisers.
Darum formierte die jüdische Versammlung aus sich, zum unerhörten Wunder unsrer Zeit, den Grossen Sanhedrin. Denn der Grosse Sanhedrin ist nicht ein grosser Jude zu Paris wie der Riese Goliath, so aber ein Philister war, sondern—Sanhedrin, das wird verdolmetscht: eine Versammlung, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt der Hohe Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71 Ratsherren, die wurden für die verständigsten und weisesten Männer gehalten, ein ganzes Volk, und wie diese das Gesetz erklärten, so war es recht und musste gelten in ganz Israel.
Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder ein und sagen, es sei seit 1500 Jahren kein Grosser Sanhedrin gewesen als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon. Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der Grosse Sanhedrin aussprach zu Paris im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar desselbigen Jahres, am 22sten Tag des Monats:
1. Die jüdische Ehe soll bestehen aus einem Manne und einer Frau. Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben als eine Frau.
2. Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei nach dem bürgerlichen Gesetz aufgelöst.
3. Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sei dann, dass die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen Trauschein haben.
Aber ein Jude darf eine Christentochter heiraten und ein Christ eine jüdische Tochter. Solches hat nichts zu sagen.
4. Denn der Grosse Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden seien Brüder, weil sie Einen Gott anbeten, der die Erde und den Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit dem Franzosen und Italiener und mit den Untertanen jedes Landes, in welchem sie wohnen, so leben als mit Brüdern und Mitbürgern, wenn sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren.
5. Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten, wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausüben, ebenso gegen die Christen, weil sie seine Brüder sind, als gegen seine eigenen Glaubensgenossen in oder ausser Frankreich und dem Königreich Italien.
6. Der Grosse Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite geboren und erzogen ist oder wo er sich niedergelassen hat und den Schutz der Gesetze geniesst, sei sein Vaterland, und befiehlt daher allen Israeliten in Frankreich und in dem Königreich Italien, solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu verteidigen usw.
Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei, die damit nicht vereinbar sind.
7. Der Grosse Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe zur Arbeit einzuflössen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen und allen Beschäftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer Mitbürger können verhasst oder verächtlich werden.
8. Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer Hausvater in der Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein Werk der Liebe. Aber ein Kapital, das auf Gewinn in den Handel gesteckt wird, ist verzinsbar.
9. Das nämliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen. Aller Wucher ist gänzlich verboten, in und ausser Frankreich und dem Königreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger, sondern auch gegen Fremde.
Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. März 1807 und unterschrieben von dem Vorsteher des Grossen Sanhedrin, Rabbi d. Sinzheim von Strassburg und andern hohen Ratsherren.
Der grosse Schwimmer
Vor dem leidigen Krieg, als man noch unangefochten aus Frankreich nach England reisen und in Dover ein Schöpplein trinken oder Zeug kaufen konnte zu einem Westlein, ging wöchentlich zweimal ein grosses Postschiff von Calais nach Dover durch die Meerenge und wieder zurück. Denn dort ist das Meer zwischen beiden Ländern nur wenige Meilen breit. Aber man musste kommen, eh' das Schiff abfuhr, wenn man mitfahren wollte. Dies schien ein Franzos aus Gaskonien nicht zu wissen, denn er kam eine Viertelstunde zu spät, als man schon die Hühner eintat in Calais, und der Himmel überzog sich mit Wolken. Soll ich jetzt ein paar Tage hier sitzen bleiben und Maulaffen feil haben, bis wieder eine Gelegenheit kommt? Nein, dachte er, ringer, ich gebe einem Schiffsmann ein Zwölfsousstücklein und fahre dem Postschiff nach. Denn ein kleines Boot fährt geschwinder als das schwere Postschiff und holt es wohl ein. Als er aber in dem offenen Fahrzeuge sass, "wenn ich daran gedacht hätte", sagte der Schiffsmann, "so hätt' ich ein Spanntuch mitgenommen"; denn es fing an zu tröpfeln; aber wie? In kurzer Zeit strömte ein Regenguss aus der hohen Nacht herab, als wenn noch ein Meer von oben mit dem Meer von unten sich vermählen wollte. Aber der Gaskonier dachte: "Das gibt einen Spass."—"Gottlob!" sagte endlich der Schiffsmann, "ich sehe das Postschiff." Als er nun an demselben angelegt hatte, und der Gaskonier war hinaufgeklettert und kam mitten in der Nacht und mitten im Meer auf einmal durch das Türlein hinein zu der Reisegesellschaft, die im Schiff sass, wunderte sich jeder, wo er herkomme, so spät, so allein und so nass. Denn in einem solchen Meerschiff sitzt man wie in einem Keller und hört vor dem Gespräch der Gesellschaft, vor dem Geschrei der Schiffsleute, vor dem Getöse, vor dem Rauschen der Segel und Brausen der Wellen nicht, was draussen vorgeht, und keinem dachte das Herz daran, dass es regnete. "Ihr seht ja aus", sagte einer, "als wenn Ihr wäret gekielholt, das heisst unter dem Schiff durchgezogen worden."—"So? Meint Ihr", sagte der Gaskonier, "man könne trocken schwimmen? Wenn das noch einer erfindet, so will ich's auch lernen, denn ich bin der Bote von Oleron und schwimme alle Montage mit Briefen und Bestellungen nach dem festen Lande, weil's geschwinder geht. Aber jetzt hab' ich etwas in England zu verrichten. Wenn's erlaubt ist", fuhr er fort, "so will ich nun vollends mitfahren, weil ich euch glücklicherweise angetroffen habe. Es kann den Sternen nach nimmer weit sein nach Dover."—"Landsmann", sagte einer und stiess eine Wolke von Tabaksrauch aus dem Mund (es war aber kein Landsmann, sondern ein Engländer), "wenn Ihr von Calais bis hierher geschwommen seid durch das Meer, so seid Ihr noch über den schwarzen Schwimmer in London."—"Ich gehe keinem aus dem Weg", sagte der Gaskonier.— "Wollt Ihr's mit ihm versuchen", erwiderte der Engländer, "wenn ich hundert Louisdor auf Euch setze?" Der Gaskonier sagte: "Mir an!" Reiche Engländer haben im Brauch, auf Leute, die sich in einer körperlichen Kunst hervortun, grosse Summen untereinander zu verwetten; deswegen nahm der Engländer im Schiff den Gaskonier auf seine Kosten mit sich nach London und hielt ihm gut zu mit Essen und Trinken, dass er bei guten Kräften bliebe. "Mylord", sagte er in London zu einem guten Freund, "ich habe einen Schwimmer mitgebracht vom Meer. Gilt's hundert Guineen: er schwimmt besser als Euer Mohr?" Der gute Freund sagte: "Es gilt!" Den andern Tag erschienen beide mit ihren Schwimmern auf einem bestimmten Platz an dem Themsefluss, und viel hundert neugierige Menschen hatten sich versammelt und wetteten noch extra, der eine auf den Mohr, der andere auf den Gaskonier, einen Schilling, sechs Schilling; eine, zwei, fünf, zehn, zwanzig Guineen, und der Mohr schlug den Gaskonier nicht hoch an. Als sich aber beide schon ausgekleidet hatten, band sich der Gaskonier mit einem ledernen Riemen noch ein Kistlein an den Leib und sagte nicht warum, als wenn's so sein müsste. Der Mohr sagte "Wie kommt Ihr mir vor? Habt Ihr so etwas dem grossen Springer abgelernt, der Bleikugeln an die Füsse binden musste, wenn er einen Hasen fangen wollte, damit er den Hasen nicht übersprang?" Der Gaskonier öffnete das Kistlein und sagte: "Ich habe nur eine Flasche Wein darin, ein paar Knackwürste und ein Laiblein Brot. Ich wollte Euch eben fragen, wo Ihr Euere Lebensmittel habt. Denn ich schwimme jetzt geradeswegs den Themsefluss hinab in die Nordsee und durch den Kanal ins Atlantische Meer nach Cadix, und wenn's nach mir geht, so kehren wir unterwegs nirgends ein, denn bis Montag, als den sechzehnten, muss ich wieder in Oleron sein. Aber in Cadix im Rösslein will ich morgen früh ein gutes Mittagessen bestellen, dass es fertig ist, bis Ihr nachkommt." Der geneigte Leser hätte kaum gedacht, dass er sich auf diese Art aus der Affäre herausziehen würde. Aber der Mohr verlor Hören und Sehen. "Mit diesem Enterich", sagte er zu seinem Herrn, "kann ich nicht in die Wette schwimmen. Tut, was ihr wollt", und kleidete sich wieder an. Also war die Wette zu Ende, und der Gaskonier bekam von seinem Engländer, der ihn mitgebracht hatte, eine ansehnliche Belohnung, der Mohr aber wurde von jedermann ausgelacht. Denn ob man wohl merken mochte, dass es von dem Franzosen nur Spiegelfechterei war, so fand doch jedermann Vergnügen an dem kecken Einfall und an dem unerwarteten Ausgang, und er wurde nachher von allen, die auf ihn gewettet hatten, noch vier Wochen lang in allen Wirtshäusern und Bierkneipen freigehalten und bekannte, dass er noch sein Leben lang in keinem Wasser gewesen sei.
Der Handschuhhändler
Ein Handschuhhändler, welcher eine Kiste voll feine Handschuh aus Frankreich nach Deutschland bringen wollte, gebrauchte folgende List. Nämlich, es ist ein Gesetz an den französischen Zollstätten, dass, wer mit einer Ware hinüber oder herüber will, der muss angeben, "wie hoch schätzest du sie", wegen dem Zoll. Schätzt er sie nun, dass es gehen und stehen mag, gut, so zahlt er den Zoll, so viel oder so wenig. Sieht aber der Zollgardist, dass der Kaufmann oder der Krämer seine Ware viel zu gering anschlägt, damit er nicht viel dafür entrichten muss, so darf der Zollgardist sagen: "Gut, ich gebe dir so viel dafür, ich geb' dir auch zehn Prozent mehr", so muss sich's dann der Krämer gefallen lassen. Der Krämer bekommt das Geld, und der Zollgardist behaltet die Ware, die alsdann versteigert wird in Kolmar oder in Strassburg oder so. Solches ist listig ausgedacht, und man kann nichts dagegen sagen. Aber der Listigste findet seinen Meister.
Ein Kaufmann, welcher zwei Kisten voll Handschuh über den Rhein bringen wollte, verabredete zuerst etwas mit einem Freunde. Alsdann legte er in die erste Kiste lauter rechte Handschuhe, nämlich für die rechte Hand, je zwei und zwei, in die andere lauter linke. Die linken schmuggelte er bei Nacht und Nebel herüber. Siehst du nichts, merkst du nichts. Mit den andern kam er an der Zollstätte an. "Was habt Ihr in Eurer Kiste?" "Pariser Handschuhe." "Wie hoch schlagt Ihr sie an?" "Zweihundert Franken." Der Zollgardist betastete die Handschuhe; zart war das Leder, fest war es auch, fein die Naht, kurz sie waren 400 Franken wert zwischen Brüdern. "Ich gebe euch 220 Franken dafür, sagte der Zollgardist, "sie sind mein." Der Krämer sagt: "Sind sie Euer, so sind sie mein gewesen. Zehn Prozent sind auch Profit." Also nahm er 220 Franken und liess die Kiste im Stich. Freitags drauf in Speier im Kaufhaus, es war noch in der alten Zeit, kamen die Handschuhe zur Steigerung.
"Wer gibt mehr als zweihundert und zwanzig?"
Die Liebhaber besichtigten die Ware. " Es scheint mir", sagte der Freund des Krämers, "die linken seien etwas rar." "Parbleu", sagte ein anderer, "es sind lauter rechte." Kein Mensch tat ein Gebot. "Wer gibt zweihundert?—hundertundfünfzig?—hundert?—Wer gibt achtzig?"—Kein Gebot. "Wisst ihr was", sagte endlich der Freund des Krämers, "es kommen vielleicht viel Leute mit einzechten Armen aus dem Feld zurück." Es war Anno 13. "Ich geb sechzig Franken!" sagte er. Wem zugeschlagen wurde, war er. Wer vor Zorn des Henkers hätte werden mögen, war der überrheinische Zollgardist. Der angestellte Käufer aber hat hernach die rechten Handschuhe ebenfalls über den Rhein geschmuggelt—siehst du nichts, merkst du nichts, und hat sie in Waldangelloch mit seinem Freund wieder zusammensepariert, je einen linken und einen rechten, und haben sie in Frankfurt auf der Messe für ein teures Geld verkauft. An dem Zollgardist aber hat der Krämer gewonnen: einhundertundvierzig Franken und den Zoll. Item, wie sagt die Schrift? "Ich wusste nichts von der Lust, so das Gesetz nicht hätte gesagt: lass dich nicht gelüsten!"
Der Heiner und der Brassenheimer Müller
Eines Tages sass der Heiner ganz betrübt in einem Wirtshaus und dachte daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und danach sein eigener Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. "Nein", dachte er, "es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint, es sei einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub." Unterdessen kommen mehrere Gäste in das Wirtshaus und trinken Neuen, und "wisst Ihr auch," sagte einer, "dass der Zundelheiner im Land ist und wird morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand?" Als das der Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den Augen, denn er dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten. Ein anderer aber sagte: "Es ist wieder einmal ein blinder Lärm. Sitzt nicht der Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?" Drüber kommt auf einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit roten Pausbacken und kleinen, freundlichen Augen dahergeritten. Und als er in die Stube kam, und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen, Bescheid und hört, dass sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er: "Ich hab' schon so viel von dem Zundelheiner erzählen gehört. Ich möcht' ihn doch auch einmal sehen." Da sagte ein anderer: "Nehmt Euch in acht, dass Ihr ihn nicht zu früh zu sehen bekommt! Es geht die Rede, er sei wieder im Land." Aber der Müller mit seinen Pausbacken sagte: "Pah! ich komm' noch bei guter Tageszeit durch den Fridstädter Wald, dann bin ich auf der Landstrasse; und wenn's fehlen will, geb' ich dem Schimmel die Sporen." Als das der Heiner hörte, fragt er die Wirtin: "Was bin ich schuldig", und geht fort in den Fridstädter Wald. Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein lahmer Mensch. "Gebt mir für ein Käsperlein Eure Krücke", sagte er zu dem lahmen Soldaten. "Ich habe das linke Bein übertreten, dass ich laut schreien möchte, wenn ich drauf treten muss. Im nächsten Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der Wagner eine neue." Also gab ihm der Bettler die Krücke. Bald darauf gehen zwei betrunkene Soldaten an ihm vorbei und singen das Reiterlied. Wie er in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen Ast, setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Strasse und zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre. Drüber kommt auf stattlichem Schimmel der Müller daher trottiert und macht ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: "Bin ich nicht der reiche Müller, und bin ich nicht der schöne Müller, und bin ich nicht der witzige Müller?" Als aber der witzige Müller zu dem Heiner kam, sagte der Heiner mit kläglicher Stimme: "Wolltet Ihr nicht ein Werk der Barmherzigkeit tun an einem armen, lahmen Mann? Zwei betrunkene Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet sein, haben mir all mein Almosengeld abgenommen und haben mir aus Bosheit, dass es so wenig war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist an den Ästen hängen blieben, dass ich nun nimmer weiter kann. Wolltet Ihr nicht so gut sein und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?" Der Müller sagte: "Ja, sie sind mir begegnet an der Waldspitze. Sie haben gesungen: So herzig, wie mein Liesel ist halt nichts auf der Welt." Weil aber der Müller auf einem schmalen Steg über einen Graben zu dem Baum musste, so stieg er von dem Ross ab, um dem armen Teufel die Krücke herabzuzwicken. Als er aber an dem Baum war, und schaut hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen und reitet davon. "Lasst Euch das Gehen nicht verdriessen," rief er dem Müller zurück, "und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruss aus von dem Zundelheiner!" So etwas muss man selber sehen, wenn man's glauben soll. Deswegen steht's hierneben abgebildet. Als er aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die Mühle kam und alle Räder klapperten, dass ihn niemand hörte, stieg er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel wieder an der Haustüre an und setzte seinen Weg zu Fuss fort.
Der Herr Graf
Eines Abends, da sassen wir in einem vornehmen Gasthause und vexierten einander mit allerlei. "Wisst Ihr noch, zum Beispiel", fragte der Graf den Hausfreund, "wie Ihr einst mit einem fremden Herrn angegangen seid, an dem nämlichen Platz, wo Ihr jetzt sitzet, von wegen der Sternseherei, und wie Ihr von einem beschrien worden seid, als Ihr nachher auf dem linken Flügel wolltet abziehen? Man muss sich mit fremden Leuten in acht nehmen, die man nicht kennt", sagte der Graf im Scherz, und erfuhr es bald nachher im Ernst. Denn mancher gibt eine gute Lehre und befolgt sie selber nicht. Es kamen jetzt aus einer Chaise vier fremde Personen in die Stube und darunter zwei schöne weibliche Gestalten, wie sie der Graf gerne sieht, und freute sich schon der angenehmen Tischgesellschaft. Als wir aber näher zusammenrückten, damit die Fremden Platz hätten am Tisch, bestellten sie ihr Nachtessen in ein eigenes Gemach, denn sie seien müde von der Reise und reich. Als aber der Hausfreund hinwiederum den Grafen vexieren wollte: "denkt Ihr auch noch daran, wie Ihr einmal seid heimgeschickt worden, als der ungarische Major im Land war", da war schon kein Graf mehr weit und breit zu sehen, sondern er war mit des Wirts Vorwissen und Gefälligkeit in eine Kammer gegangen und kleidete sich daselbst anderst an, als wenn er in die Wirtschaft gehörte. In solcher Gestalt ging er in die Stube, wo die Fremden waren, deckte den Tisch, brachte das Essen, wartete auf und erfreute sein Herz an der Schönheit der weiblichen Gestalten und an ihren süssen Reden. Auch musste er ihnen Neuigkeiten erzählen. Mehr Unglücksfälle sind in zehn Jahren nicht geschehen, als damals an einem Tag nach des Grafen Erzählung. Den andern Tag reisten die Fremden wieder weiter, wir meinten nach Basel. Am Mittwoch aber oder Donnerstags drauf wurden wir einig, in die lustige Badestadt zu gehen, wo unzählige Fremde aus allen Weltteilen der Gesundheit pflegen und sich der wunderschönen Landschaft erfreuen. Als wir aber dort um die Mittagszeit in einen Speisesaal traten, es waren schon viele Leute da, erblickten wir die nämlichen vier Personen wieder und sie uns; und wer uns kannte, bewillkommte uns laut mit Namen und tat uns unsre Ehre an. "Seid uns höchlich gegrüsst, Herr Graf! Guten Tag, Herr Hausfreund! Was führt Euch für ein Glücksstern zu uns, Herr Graf? Hausfreund, was bringt Ihr Neues von daheim?" Da schaute mit Schweisstropfen auf der Stirne der Graf den Hausfreund an: "Jetzt ist guter Rat teuer, wenn Ihr keinen wisst. Was Ihr aber tut, bringt's nicht in den Kalender." "Herr Graf", erwiderte der Hausfreund, "diesmal will ich Euch noch retten. Aber künftig befolgt die Lehren selbst, die Ihr andern gebt! In solche Verlegenheit kommt man mit Euch." Also redete der Hausfreund mit dem Wirt, was er zu den fremden Personen sagen sollte. Der Wirt sagte: "Wenn das so ist, so muss man freilich aus der Not eine Tugend machen", und redete mit den Fremden. "Wisst ihr", sagte er, "wer die zwei Personen sind, die zuletzt da hereinkamen? Der eine ist eines Wirts Sohn nicht weit von hier, sonst ein wahrheitsliebender junger Mann, nur bisweilen, nachdem als der Mond steht, kommt es ihm in den Kopf, er sei der Graf Susse. Deswegen machen ihm die Leute, weil er gut ist, diesen Spass. Der andere ist der Rheinländische Hausfreund, dem im Jahr 1814 auf 1815 eine Eule aufgesessen ist, wie ihr im Morgenblatt könnt gelesen haben." Da sprach die eine weibliche Gestalt halb seufzend: "Der arme Mensch!" - nämlich der Graf—"wir kennen ihn", sagte sie. "Wir haben auch damals schon etwas an ihm gemerkt. Statt des Kaffee, den er uns auf den andern Morgen bestellen sollte, bestellte er uns eine Habermehlsuppe." Also wurde die Sache noch glücklich vertuscht, und als sie hernach sahen, mit welcher Feinheit und Würde er sich gegen jedermann benahm, sagten sie: "Man sieht's ihm recht an, dass ihm der Graf von Herzen geht. Mit Vorsatz könnte sich einer nicht so verstellen."
Der Herr Wunderlich
Nicht nur wird die Einfalt von dem Mutwillen irregeführt, oft auch von dem Zufall. Seltener erlöst sie der Zufall wieder aus den Fangstricken des Mutwillens. Wie erging es jenem Bauersmann, der in der Stadt einem Bürger namens Wunderlich einen Wagen voll Holz verkauft hatte auf dem Marktplatz? "Fahrt jetzt nur dort die Strasse hinaus", sagte der Bürger, "bis zum Eisenladen, hernach links in die Gasse, hernach beim ersten Brunnen wieder rechts, hernach beim Roten Löwen wieder links. Numero 428 ist mein Haus, Jakob Wunderlich." Und bis so weit gut. Der Bauersmann aber dachte: "Ist's nicht noch früh am Vormittag, hab' ich nicht das Holz um einen guten Preis verkauft, will ich nicht zuerst noch ein Schöpplein trinken in der Kneipe da?" und repetierte für sich: "Eisenladen,—links—rechts—links— Numero 428." Aber in der Kneipe sassen bei einem Saueressen auch schon ein paar lustige Gesellen, und als sie ihn sahen hereinkommen, stiess einer den andern mit den Ellenbogen, und der andere fing an, als wenn er fortführe: "Drum muss man's selber gesehen haben", sagte er, "und bei den Russen gewesen sein, wenn man's glauben soll, wo der Mann im mittleren Glied, ich will vom Flügelmann nicht reden, zwanzig Ellen misst, auch weniger. Jeder Finger ist eine Pistole, die Zähne sind Pallisaden mit Feldschlangen dazwischen, die Nase ein Bollwerk, die Augen Bombenkugeln. Jedes Barthaar ist ein Bajonett, jedes Haupthaar ein Sabel. Ein solcher Sabel lässt sich auseinanderziehen, wie ein Perspektiv, für in die Nähe zu fechten und in die Weite. Verliert ihn einer, so zieht er einen andern aus dem Haar. An den Füssen sind ihnen Schiffe gewachsen, und es ist ihnen einerlei, ob auf dem Wasser oder auf dem Land. Der Mann schultert seinen Achtundvierzigpfünder. Jeder hat sieben Leben. Tötet Ihr ihm eins, so hat er noch sechs. Jeder Gemeine hat Majorsrang." Der geneigte Leser wird an diesem Müsterlein genug haben. Unserm Bauersmann aber verging Hören und Sehen, und so weit war es nicht gut. Denn als er wieder auf die Strasse kam, waren ihm vor Staunen und Entsetzen der Eisenladen, die Gasse links, die Gasse rechts und der Herr Wunderlich aus dem Gedächtnis heraus verschwunden, und wen er fragte: "Guter Freund, wisst Ihr mir nicht zu sagen, wo der Herr wohnt, dem ich das Holz verkauft habe, so und so sieht er aus?" der gab ihm keine Antwort oder eine falsche. Der eine sagte: "Am obern Tore Numero 1." Dort sagte ein anderer: "Nein, er ist ausgezogen und wohnt jetzt in der untern Vorstadt Numero 916. Glücklicherweise führte ihn sein Weg nach der untern Vorstadt durch die Schulgasse, und einige Schüler standen vor der Türe. Die Bürschlein, dachte er, wissen sonst den Bescheid in der Stadt herum am besten, weil sie der Wind aus allen Gassen zusammengeht. "Junger Herr", sagte er zu einem, "wolltet Ihr mir nicht sagen, wo der Herr wohnt, der mir dieses Holz abgekauft hat", und so und so. Der Schüler, ein durchtriebener Kopf, erwiderte: "Guter Freund, ich bin noch nicht in der Schwarzen Kunst, ich bin noch in der Philosophie (so hiess die Klasse, worin er sass). Wenn ihr aber", sagte er, "zu dem Herrn in der obern Stube gehen wollt, der das grosse Buch hat, wo Gribis Grabis drin steht: Tunkus, Blemsum, Schalelei, Ikmack und Norma, der schlagt's Euch auf für zwei Schillinge." In der obern Stube legte er zwei Schillinge auf den Tisch. "Herr Magister, ich habe vergessen, wie der Herr heisst, und wo er wohnt, dem ich mein Holz verkauft habe. Wollet Ihr nicht so gut sein und es mir aus Euerm Gribis-Grabis-Buch dort sagen." Der Schulherr aber schaute diese Zumutung mit ungemeinem Staunen an, also dass er zuletzt die Brille abhob und den baumwollenen Schlafrock übereinadernahm. "Guter Freund", wollte er sagen, "das ist wohl wunderlich von Euch, dass Ihr meint, ich könne Euch aus meinen Büchern sagen, was Euch im Kopf fehlt." Als er aber angefangen hatte: "Guter Freund, das ist wohl wunderlich", fiel ihm der Bauersmann mit freudiger Verwunderung in die Rede. "Ganz richtig", sagte er, "es ist Herr Wunderlich. Sapperment", sagte er, "das heiss ich ins Schwarze getroffen gleich auf den ersten Schuss und ohne Buch", und entsetzte sich jetzt noch viel mehr über die allwissende Gelehrsamkeit des Schulherrn, als vorher über die fürchterlichen Soldaten in der Kneipe. Der Schulherr aber gab ihm seine zwei Schillinge wieder und liess ihm hernach durch ein Büblein zeigen, wo der Herr Wunderlich wohnt. Also hat dem Mann ein lächerlicher Zufall wieder auf die Spur geholfen, von welcher er war abgeleitet worden durch den Mutwillen.
Der Husar in Neisse
Als vor achtzehn Jahren die Preussen mit den Franzosen Krieg führten und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran, dass sich das Blättlein wenden könnte, und dass der Franzos noch im Jahr 1806 nach Preussen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen werde. Denn nicht jeder führte sich auf, wie es einem braven Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals ein brauner preussischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel war, und viel Geldeswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Überzug und misshandelte Mann und Frau. Ein Knabe von acht Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen Eltern nur das Bett wiedergeben. Der Husar stosst ihn unbarmherzig von sich. Die Tochter läuft ihm nach, hält ihn am Dolman fest und fleht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie und wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neisse in Schlesien, denkt nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meint, es sei schon lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? Die Franzosen rücken in Neisse ein; ein junger Sergeant wird abends einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich auf und scheint guter Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum Frühstück. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe auf und will sehen, ob ihm etwas fehlt.
Da sass der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Hände ineinander gelegt und seufzte, als wenn ihm ein gross Unglück begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte oder so etwas, und sah nicht, dass jemand in der Stube ist. Die Frau aber ging leise auf ihn zu und fragte ihn: "Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant, und warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit einem Blick voll Tränen an und sagte, die Überzüge dieses Bettes, in dem er heute Nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in Champagne angehört, die in der Plünderung alles verloren haben und zu armen Leuten geworden seien, und jetzt denke er an alles und sein Herz sei voll Tränen. Denn es war der Sohn des geplünderten Mannes in Champagne und kannte die Überzüge noch, und die roten Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja auch noch daran. Da erschrak die gute Frau und sagte, dass sie dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch hier in Neisse lebe, und sie könne nichts dafür.
Da stand der Franzose auf und liess sich in das Haus des Husaren führen und kannte ihn wieder.
"Denkt Ihr noch daran", sagte er zu dem Husaren, "wie Ihr vor 18 Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut und zuletzt auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung anflehte, und an meine Schwester?" Anfänglich wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Kriege nicht alles, wie es soll, und was der eine liegen lasse, hole doch ein anderer, und Lieber nimmt man's selber. Als er aber merkte, dass der Sergeant der nämliche sei, dessen Eltern er geplündert und misshandelt hatte, und als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissensangst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternden Knie nieder und konnte nichts mehr herausbringen als: "Pardon!", dachte aber: Es wird nicht viel helfen.
Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: "Jetzt wird der Franzos den Husaren zusammenhauen", und freut sich schon darauf. Allein das könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem vergelten. So dachte der Franzose auch und sagte: "Dass du mich misshandelt hast, das verzeihe ich dir. Dass du meine Eltern misshandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Dass du meine Schwester in den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott!"—Mit diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem jüngsten Gericht gestanden wäre und hätte keinen guten Bescheid bekommen. Denn er hatte von dieser Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach einem Vierteljahr gestorben sein.
Merke: Man muss in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim nicht darf finden lassen.
Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.
Der kann Deutsch
Bekanntlich gibt es in der französischen Armee viele Deutschgeborene, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer merken lassen. Das ist alsdann für einen Hauswirt, der seinen Einquartierten für einen Stockfranzosen hält, ein gross Kreuz und Leiden, wenn er nicht französisch mit ihm reden kann. Aber ein Bürger in Salzwedel, der im letzten Krieg einen Sundgauer im Quartier hatte, entdeckte von ohngefähr ein Mittel, wie man bald dahinter kommt. Es ging so zu. Der Sundgauer parlierte lauter Foudre Diable, forderte mit dem Säbel in der Faust immer etwas anders, und der Salzwedler wusste nie, was? Hätt's ihm gern gegeben, wenn er gekonnt hätte. Da sprang er in der Not in seines Nachbarn Haus, der sein Gevatter war und ein wenig französisch kann, und bat ihn um seinen Beistand. Der Gevatter sagte: "Er wird aus der Dauphine sein, ich will schon mit ihm zurechtkommen." Aber weit gefehlt. War's vorher arg, so war's jetzt ärger. Der Sundgauer machte Forderungen, die der gute Mann nicht zu befriedigen wusste, so dass er endlich im Unwillen sagte "Das ist ja der vermaledeiteste Spitzbube, mit dem mich der Bolettenschreiber noch heimgesucht hat." Aber kaum war das unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeinten Stockfranzosen eine ganz entsetzliche Ohrfeige. Da sagte der Nachbar: "Gevattermann! Nun lasst Euch nimmer Angst sein, der kann Deutsch."
Der kluge Richter
Dass nicht alles so uneben sei, was im Morgenlande geschieht, das haben wir schon einmal gehört. Auch folgende Begebenheit soll sich daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine beträchtliche Geldsumme, welche in ein Tuch eingenähet war, aus Unvorsichtigkeit verloren. Er machte daher seinen Verlust bekannt und bot, wie man zu tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von hundert Talern, an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann dahergegangen. "Dein Geld habe ich gefunden. Dies wird's wohl sein! So nimm dein Eigentum zurück!" So sprach er mit dem heitern Blick eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schön. Der andere machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er sein verloren geschätztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld, und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um seine versprochene Belohnung bringen könnte. "Guter Freund", sprach er hierauf, " es waren eigentlich 800 Taler in dem Tuch eingenäht. Ich finde aber nur noch 700 Taler. Ihr werdet also wohl eine Naht aufgetrennt und Eure 100 Taler Belohnung schon herausgenommen haben. Da habt Ihr wohl daran getan. Ich danke Euch." Das war nicht schön. Aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten, und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem es weniger um die 100 Taler als um seine unbescholtene Rechtschaffenheit zu tun war, versicherte, dass er das Päcklein so gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden habe. Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide beistanden auch hier noch auf ihrer Behauptung, der eine, dass 800 Taler seien eingenäht gewesen, der andere, dass er von dem Gefundenen nichts genommen und das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so an: er liess sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste und feierliche Versicherung geben, und tat hierauf folgenden Ausspruch: "Demnach, und wenn der eine von euch 800 Taler verloren, der andere aber nur ein Päcklein mit 700 Talern gefunden hat, so kann auch das Geld des letztern nicht das nämliche sein, auf welches der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das Geld, welches du gefunden hast, wieder zurück, und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Taler verloren hat. Und dir da weiss ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis derjenige sich meldet, der deine 800 Taler findet." So sprach der Richter, und dabei blieb es.
Der kluge Sultan
Zu dem Grosssultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die Kirche gehen wollte, trat ein armer Teufel von seinen Untertanen mit schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln, schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte: "Glaubst du auch, grossmächtiger Sultan, was der Prophet sagt?" Der Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: "Ja, ich glaube, was der Prophet sagt." Der arme Teufel fuhr fort: "Der Prophet sagt im Alkoran: Alle Muselmänner (das heisst, alle Mohammedaner) sind Brüder. Herr Bruder, so sei so gut und teile mit mir das Erbe." Dazu lächelte der Kaiser und dachte: Das ist eine neue Art, ein Almosen zu betteln, und gibt ihm einen Löwentaler. Der Türke beschaut das Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende schüttelt er den Kopf und sagt: "Herr Bruder, wie komme ich zu einem schäbigen Löwentaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als hundert Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz zuwachsen. Heisst das geteilt mit einem Bruder?" Der gütige Sultan aber hob warnend den Finger in die Höhe und sagte: "Herr Bruder, sei zufrieden, und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn unsere Familie ist gross, und wenn unsere andern Brüder alle auch kommen und wollen ihr Erbteil von mir, so wird's nicht reichen, und du musst noch herausgeben." Das begriff der Herr Bruder, ging zum Bäckermeister Abu Tlengi und kaufte ein Laiblein Brot, der Kaiser aber begab sich in die Kirche und verrichtete sein Gebet.
Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld
Folgende Begebenheit verdient, dass sie im Andenken bleibe, und wer keine Freude daran hat, den will ich nicht loben.
Im verflossenen Winter, als die französische Armee und ein grosser Teil der bundesgenossischen Truppen in Polen und Preussen stand, befand sich ein Teil des badischen Jägerregiments in Hessen und in der Stadt Hersfeld auf ihren Posten. Denn dieses Land hatte der Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen und mit Mannschaft besetzt. Da gab es nun von seiten der Einwohner, denen das Alte besser gefiel als das Neue, mancherlei Unordnungen, und es wurden besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeübt und unter andern ein französischer Offizier getötet. Das konnte der französische Kaiser nicht geschehen lassen, während er mit einem zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, dass auch hinter ihm Feindseligkeiten ausbrachen und ein kleiner Funke sich zu einer grossen Feuersbrunst entzündete. Die armen Einwohner von Hersfeld bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte Kühnheit zu bereuen. Denn der französische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu plündern und alsdann an vier Orten anzuzünden und in die Asche zu legen. Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken und daher auch viele reiche und wohlhabende Einwohner und schöne Gebäude hat; und ein Menschenherz kann wohl empfinden, wie es nun den armen Leuten, den Vätern und Müttern zumute war, als sie die Schreckenspost vernahmen; und der arme Mann, dem sein Hab und Gut auf einmal auf dem Arm konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran als der reiche, dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte; und in der Asche sind die grossen Häuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln auch so gleich als die reichen Leute und die armen Leute auf dem Kirchhof. Nun, zum Schlimmsten kam es nicht. Auf Fürbitte der französischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe so gemildert: es sollten zwar nur vier Häuser verbrannt werden, und dies war glimpflich; aber bei der Plünderung sollte es bleiben, und das war noch hart genug. Die unglücklichen Einwohner waren auch, als sie diesen letzten Bescheid hörten, so erschrocken, so alles Mutes und aller Besinnung beraubt, dass sie der menschenfreundliche Kommandant selber ermahnen musste, statt des vergeblichen Klagens und Bittens die kurze Frist zu benutzen und ihr Bestes noch geschwind auf die Seite zu schaffen. Die fürchterliche Stunde schlug; die Trommel wirbelte ins Klaggeschrei der Unglücklichen. Durch das Getümmel der Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave Kommandant von Hersfeld vor die Reihen seiner baldigen Jäger, stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft vor die Augen und sagte hierauf: "Soldaten! Die Erlaubnis zu plündern fängt jetzt an. Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem Glied!" So sprach der Kommandant; und wer jetzt ein Glas voll Wein hat neben sich stehen, der trinke es aus zu Ehren der badischen Jäger. Kein Mann trat aus dem Glied. Nicht einer! Der Aufruf wurde wiederholt. Kein Fuss bewegte sich; und wollte der Kommandant geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen. Aber es war niemand lieber als ihm, dass die Sache also ablief; das ist leicht zu bemerken. Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zumute wie einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre Freude ist nicht zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandtschaft an den Kommandanten, liessen ihm für diese Milde und Grossmut danken und boten ihm aus Dankbarkeit ein grosses Geschenk an. Wer weiss, was mancher getan hätte! Aber der Kommandant schlug dasselbe ab und sagte: er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen. "Nur zum Andenken von euch", setzte er hinzu, "erbitte ich mir eine silberne Münze, auf welcher die Stadt Hersfeld vorgestellt ist und der heutige Auftritt. Dies soll das Geschenk sein, welches ich meiner künftigen Gattin aus dem Krieg mitbringen will." Dies ist geschehen im Februar des Jahrs 1807, und so etwas ist des Lesens zweimal wert.
Der Lehrjunge
Eines Tages wurde in Rheinfelden ein junger Mensch wegen eines verübten Diebstahls an den Pranger gestellt, an das Halseisen, und ein fremder, wohlgekleideter Mensch blieb die ganze Zeit unter den Zuschauern stehen und verwandte kein Auge von ihm. Als aber der Dieb nach einer Stunde herabgelassen wurde von seinem Ehrenposten und zum Andenken noch 20 Prügel bekommen sollte, trat der Fremde zu dem Hatschier, drückte ihm einen Kleinen Taler in die Hand und sagte: "Setzt ihm die Prügel ein wenig kräftig auf, Herr Haltunsfest! Gebt ihm die besten, die Ihr aufbringen könnt"; und der Hatschier mochte schlagen, so stark er wollte, so rief der Fremde immer: "Besser! Noch besser!" und den jungen Menschen auf der Schranne fragte er bisweilen mit höhnischem Lachen: "Wie tut's, Bürschlein? Wie schmeckt's?"
Als aber der Dieb zur Stadt war hinausgejagt worden, ging ihm der Fremde von weitem nach, und als er ihn erreicht hatte auf dem Weg nach Degerfelden, sagte er zu ihm: "Kennst du mich noch, Gutschick?" Der junge Mensch sagte: "Euch werde ich so bald nicht vergessen. Aber sagt mir doch, warum habt Ihr an meiner Schmach eine solche Schadenfreude gehabt und an dem Pass, den mir der Hatschier mit dem Weidenstumpen geschrieben hat, so ich doch Euch nicht bestohlen, auch mein Leben lang sonst nicht beleidiget habe." Der Fremde sagte: "Zur Warnung, weil du deine Sache so einfältig angelegt hattest, dass es notwendig herauskommen musste. Wer unser Metier treiben will, ich bin der Zundelfrieder", sagte er, und er war's auch—"wer unser Metier treiben will, der muss sein Geschäft mit List anfangen und mit Vorsicht zu Ende bringen. Wenn du aber zu mir in die Lehre gehen willst, denn an Verstand scheint es dir nicht zu fehlen, und eine Warnung hast du jetzt, und so will ich mich deiner annehmen und etwas Rechtes aus dir machen." Also nahm er den jungen Menschen als Lehrjungen an, und als es bald darauf unsicher am Rhein wurde, nahm er ihn mit sich in die spanischen Niederlande.
Der listige Kaufherr
Der Adjunkt, der dieses schreibt, hat allemal eine grosse Freude, wenn er auch ein Geschichtlein einmauren kann in den Kalender. Denn was er in gelehrte Bücher hineinstiftet, lesen nicht viel Leute, am wenigsten die Gelehrten selber. Der Hausfreund aber hat nach den neuesten Zählungen 700000 Leser, ohne die, welche umsonst zuhören. Diesmal aber freut er sich insbesondere zu erzählen, wie einmal ein grosser Spitzbube auch hinter das Licht geführt worden ist; denn die Wölfe beissen bisweilen auch ein gescheites Hündlein, sagt Doktor Luther.
Ein französischer Kaufherr segelte mit einem Schiff voll grossen Reichtums aus der Levante heim, aus dem Morgenland, wo unser Glaube, unsere Fruchtbäume und unser Blut daheim ist, und dachte schon mit Freuden daran, wie, er jetzt bald ein eigenes Schlösslein am Meer bauen, und ruhig leben und alle Abend dreierlei Fische zu Nacht speisen wolle. Paff, geschah ein Schuss. Ein algierisches Raubschiff war in der Nähe, wollte uns gefangen nehmen und geraden Wegs nach Algier führen in die Sklaverei. Denn hat man zwischen Wasser und Himmel gute Gelegenheit Luftschlösser zu bauen, so hat man auch gute Gelegenheit zu stehlen. So denken die algierschen Seeräuber auch. Hat das Wasser keine Balken, so hat's auch keine Galgen. Zum Glück hatte der Kaufherr einen Ragusaner auf dem Schiff, der schon einmal in algierischer Gefangenschaft gewesen war und ihre Sprache und ihre Prügel aus dem Fundament verstand. Zu dem sagte der Kaufherr: "Nicolo, hast du Lust noch einmal algierisch zu werden? Folge mir, was ich dir sage, so kannst du dich erretten und uns." Also verbargen wir uns alle im Schiff, dass kein Mensch zu sehen war, nur der Ragusaner stellte sich oben auf das Verdeck. Als nun die Seeräuber mit ihren blinkenden Säbeln schon nahe waren und riefen, die Christenhunde sollten sich ergeben, fing der Ragusaner mit kläglicher Stimme auf algierisch an: Tschamiana, fing er an, tschamiana halakna bilabai monaschid ana billah onzorun min almaut. "Wir sind alle an der Pest gestorben bis auf die Kranken, die noch auf ihr Ende warten, und ein deutscher Adjunkt und ich. Um Gottes willen rettet mich!" Dem Algierer Seekapitän, als er hörte, dass er so nah an einem Schiff voll Pest sei, kam's grün und gelb vor die Augen. In der grössten Geschwindigkeit hielt er das Schnupftuch vor die Nase, hatte aber keins, sondern den Ärmel; und lenkte sein Schiff hinter den Wind. Lajonzork, sagte er, Allahorraman arrahim atabarra laka it schanat chall. "Gott helfe dir, der Gnädige und Barmherzige! Aber geh zum Henker mit deiner Pest! Ich will dir eine Flasche voll Kräuteressig reichen." Darauf liess er ihm eine Flasche voll Kräuteressig reichen an einer langen Stange und segelte so schnell als möglich linksum. Also kamen wir glücklich aus der Gefahr, und der Kaufherr baute hernach in der Gegend von Marseille das Schlösslein und stellte den Ragusaner als Haushofmeister an auf lebenslang.
Der listige Quäker
Die Quäker sind eine Sekte, zum Exempel in England, fromme, friedliche und verständige Leute, wie hierzuland die Wiedertäufer ungefähr, und dürfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen: nicht schwören, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehn, aber reiten dürfen sie, wenn sie Pferde haben. Als einer von ihnen einmal abends auf einem gar schönen, stattlichen Pferd nach Haus in die Stadt wollte reiten, wartet auf ihn ein Räuber mit kohlschwarzem Gesicht ebenfalls auf einem Ross, dem man alle Rippen unter der Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen konnte, nur nicht die Zähne, denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Haber, aber am Stroh. "Kind Gottes", sagte der Räuber, "ich möchte meinem armen Tier da, das sich noch dunkel an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten erinnern kann, wohl auch ein so gutes Futter gönnen, wie das Eurige haben muss dem Aussehen nach. Wenn's Euch recht ist, so wollen wir tauschen. Ihr habt doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich." Der Quäker dachte bei sich selbst: "Was ist zu tun? Wenn alles fehlt, so hab' ich zu Haus noch ein zweites Pferd, aber kein zweites Leben." Also tauschten sie miteinander, und der Räuber ritt auf dem Ross des Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des Räubers am Zaum. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten Häuser kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: "Geh voraus, Lazarus; du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich." Und so liess er das Pferd vorausgehen und folgte ihm nach Gasse ein, Gasse aus, bis es vor einer Stalltüre stehen blieb. Als es stehen blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in die Stube, und der Räuber fegte gerade den Russ aus dem Gesicht mit einem wollenen Strumpf. "Seid Ihr wohl nach Hause gekommen?" sagte der Quäker. "Wenn's Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestätigt. Gebt mir mein Rösslein wieder, das Eurige steht vor der Tür." Als sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte er wohl oder übel, gab er dem Quäker sein gutes Pferd zurück. "Seid so gut", sagte der Quäker, "und gebt mir jetzt auch noch zwei Taler Rittlohn; ich und Euer Rösslein sind miteinander zu Fuss spaziert." Wollte der Spitzbube wohl oder übel, musst' er ihm auch noch zwei Taler Rittlohn bezahlen. "Nicht wahr, das Tierlein lauft einen sanften Trab?" sagte der Quäker.
Der listige Steiermarker
In Steiermark, ein wenig abhanden von der Strasse, dachte ein reicher Bauer im letzten Krieg: wie fang' ich's an, dass ich meine Kronentaler und meine Dukätlein rette in dieser bösen Zeit? Die Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, tröst' sie Gott, und der Kaiser Joseph, tröst' ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott schenk' ihm Leben und Gesundheit. Und wenn man meint, man habe die lieben Herrschaften noch so gut verborgen und geflüchtet, so riecht sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und führt sie in die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne, dass einem armen Untertanen das Herz dabei bluten möchte vor Patriotismus. "Jetzt weiss ich," sagte er, "wie ich's anfange", und trug das Geld bei dunkler, blinder Nacht in den Krautgarten. "Das Siebengestirn verratet mich nicht", sagte er. Im Krautgarten legte er das Geld geradezu zwischen die Gelveieleinstöcke und die spanischen Wicken.
Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten und warf allen Grund daraus auf das Geld und zertrat rings herum die schönen Blumenstöcke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut einstampft. Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen Revier, und am Donnerstag kam eine Partie ins Dorf, frisch auf die Mühle zu, und aus der Mühle mit weissen Ellenbogen zu unserm Bauern: und "Geld her, Buur," rief ihm ein Sundgauer mit blankem Säbel entgegen, "oder bet' dein letztes Vaterunser." Der Bauer sagte, sie möchten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden. Er habe nichts mehr, es sei gestern und vorgestern schon alles in Rapuse gegangen. "Vor euch kann man etwas verbergen," sagt er, "ihr seid die Rechten." Als sie nichts fanden ausser ein paar Kupferkreuzer und einen vergoldeten Sechser mit dem Bildnis der Kaiserin Maria Theresia und ein Ringlein dran zum Anhängen, "Buur," sagte der Sundgauer, "du hast dein Geld verlochet; auf der Stelle zeig', wo du dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein letztes Vaterunser aus der Welt." "Auf der Stelle kann ich's euch nicht zeigen," sagte der Bauer, "so sauer mich der Gang ankommt, sondern ihr müsst mit mir in den Krautgarten gehen. Dort will ich euch zeigen, wo ich es verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist. Der Herr Feind ist schon gestern und vorgestern dagewesen und haben's gefunden und alles geholt." Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein, fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte daran, dass das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder schaute in das leere Loch und dachte: wär' ich nur früher gekommen. "Und hätten sie nur die schönen Gelveieleinstöcke und den Goldlack nicht so verderbt", sagte der Bauer, und so hinterging er diese und alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze erzherzogliche Haus, den Kaiser Franz, den Kaiser Joseph, die Kaiserin Maria Theresia und den allerhöchstseligen Herrn Leopold den Ersten gerettet und glücklich im Land behalten.
Der Prozess ohne Gesetz
Nur weil es unter allen Ständen einfältige Leute gibt, gibt es solche auch unter dem achtungswerten Bauernstand; sonst wär es nicht nötig. Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen Rettich und ein Stück Brot in die Tasche, und "Frau", sagte er, "gib acht zum Haus, ich gehe jetzt in die Stadt." Unterwegs sagte er von Zeit zu Zeit: "Dich will ich bekommen. Mit dir will ich fertig werden", und nahm allemal eine Prise darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit ihm woll' er fertig werden; er meinte aber seinen Schwager, den Ölmüller. In der Stadt ging er geradeswegs zu einem Advokaten und erzählte ihm, was er für einen Streit habe mit seinem Schwager wegen einem Stück Reben im untern Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein gewesen sei und seine Voreltern drauf ins Land gekommen seien, der Schwager aber sei von Enzberg im Württembergischen, und der Herr Advokat soll jetzt so gut sein und einen Prozess daraus machen. Der Advokat mit einer Tabakspfeife im Mund, sie rauchen fast alle, tat gewaltige Züge voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein in der Luft, der Adjunkt kann auch machen. Dabei war er aber ein aufrichtiger Mann, als Rechtsfreund und Rechtsbeistand natürlich. "Guter Mann", sagte er, "wenn's so ist, wie Ihr mir da vortragt, den Prozess könnt Ihr nicht gewinnen", und holte ihm vom Schaft das Landrecht hinter einem porzellinen Tabakstopf hervor. "Seht da", schlug er ihm auf, "Kapitel soundsoviel, Numero vier, das Gesetz spricht gegen Euch unverrichteter Sachen." Indem klopft jemand an der Türe und tritt herein, und ob er einen Zwerchsack über die Schulter hängen hatte und etwas drin, genug, der Advokat geht mit ihm in die Kammer abseits. "Ich komm' gleich wieder zu Euch." Unterdessen riss der Bauersmann das Blatt aus dem Landrecht, worauf das Gesetz stand, drückte es geschwind in die Tasche und legte das Buch wieder zusammen. Als er wieder bei dem Advokaten allein war, stellt er den rechten Fuss ein wenig vor und schlotterte mit dem Knie ein paarmal ein- und auswärts, teils weil es dortzuland zum guten Vortrag gehört, teils damit der Advokat etwas sollte klingeln hören oben in der Tasche. "Ihr Gnaden", sagte er zu dem Advokaten, "ich hab' mich unterdessen besonnen. Ich meine, ich will's doch probieren, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten", und, machte ein verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch etwas wüsste und sagen wollte: Es kann nicht fehlen. Der Advokat sagte: "Ich habe aufrichtig mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt." Der Bauersmann schaute unwillkürlich auf den Tisch, aber er sah keinen. "Wenn Ihr's wollt drauf ankommen lassen", fuhr der Advokat fort, "so kommt's mir auch nicht drauf an." Der Bauersmann sagte: "Es wird nicht alles gefehlt sein."
Kurz, der Prozess wird anhängig, und der Advokat brauchte das Landrecht nicht mehr weiters dazu, weil er das Gesetz auswendig wusste wie alle. Item was geschieht? Der Gegenpart hatte einen saumseligen Advokaten, der Advokat verabsäumt einen Termin, und unser Bauersmann gewinnt den Prozess. Als ihm nun der Advokat den Spruch publizierte, "aber nicht wahr", sagte der Advokat, "diesen schlechten Rechtshandel hab' ich gut für Euch geführt?"—"Den Kuckuck hat Er", erwiderte der Bauersmann und zog das ausgerissene Blatt wieder aus der Tasche hervor: "Sieht Er da? Kann Er gedruckt lesen? Wenn ich nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen hätte, Er hätt' den Prozess lang verloren." Denn er meinte wirklich, der Prozess sei dadurch zu seinem Vorteil ausgefallen, dass er das gefährliche Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und auf dem Heimweg, so oft er eine Prise nahm, machte er allemal ein pfiffiges Gesicht und sagte: "Mit dir bin ich fertig worden, Ölmüller." Item. So können Prozesse gewonnen werden. Wohl dem, der keinen zu verlieren hat.
Der Rekrut
Ein Rekrut, dem schon in den ersten 14 Tagen das Schildwachstehen langweilig vorkam, betrachtete einmal das Schilderhaus unten und oben und hinten und vornen, wie ein Förster, wenn er einen Baum schätzt, oder ein Metzger ein Häuptlein Vieh. Endlich sagte er: "Ich möchte nur wissen, was sie an dem einfältigen Kasten finden, dass den ganzen Tag einer dastehen und ihn hüten muss." Denn er meinte, er stehe da wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus wegen ihm.
Der Rekrut
Zum schwäbischen Kreiskontingent kam im Jahr 1795 ein Rekrut, so ein schöner, wohlgewachsener Mann war. Der Offizier fragte ihn, wie alt er sei. Der Rekrut antwortete: "Einundzwanzig Jahr. Ich bin ein ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst wär' ich zweiundzwanzig."
Der schlaue Husar
Ein Husar im letzten Kriege wusste wohl, dass der Bauer, dem er jetzt auf der Strasse entgegenging, 100 Gulden für geliefertes Heu eingenommen hatte und heimtragen wollte. Deswegen bat er ihn um ein kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein. Wer weiss, ob er mit ein paar Batzen nicht zufrieden gewesen wäre. Aber der Landmann versicherte und beteuerte bei Himmel und Hölle, dass er den eigenen letzten Kreuzer im nächsten Dorfe ausgegeben und nichts mehr übrig habe. "Wenn's nur nicht so weit von meinem Quartier wäre", sagte hierauf der Husar, "so wäre uns beiden zu helfen; aber wenn du hast nichts, ich hab' nichts, so müssen wir den Gang zum heiligen Alfonsus doch machen. Was er uns heute beschert, wollen wir brüderlich teilen." Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg. Der Landmann hatte anfangs keine grosse Lust zu dieser Wallfahrt. Aber der Husar nahm keine Vorstellung an und versicherte unterwegs seinen Begleiter so nachdrücklich, der heilige Alfonsus habe ihn noch in keiner Not stecken lassen, dass dieser selbst anfing, Hoffnung zu gewinnen. Vermutlich war in der abgelegenen Kapelle ein Kamerad und Helfershelfer des Husaren verborgen? Nichts weniger! Es war wirklich das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jetzt niederknieten, während der Husar gar andächtig zu beten schien. "Jetzt", sagte er seinem Begleiter ins Ohr, "jetzt hat mir der Heilige gewunken." Er stand auf, ging zu ihm hin, hielt die Ohren an die steinernen Lippen und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter zurück. "Einen Gulden hat er mir geschenkt: in meiner Tasche müsse er schon stecken." Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und teilte ihn versprochenermassen brüderlich zur Hälfte. Das leuchtete dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, dass der Husar die Probe noch einmal machte. Alles ging das zweite Mal wie zuerst. Nur kam der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurück.
"Hundert Gulden hat uns jetzt der gute Alfonsus auf einmal geschenkt. In deiner Tasche müssen sie stecken." Der arme Bauer wurde todesblass, als er dies hörte, und wiederholte seine Versicherung, dass er gewiss keinen Kreuzer habe. Allein der Husar redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heiligen Alfonsus haben und nachsehen. Alfonsus habe ihn noch nie angeführt. Wollte er wohl oder übel, so musste er seine Taschen umkehren und leer machen. Die hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher dem schlauen Husaren die Hälfte von seinem Gulden abgenommen, so musste er jetzt auch seine hundert Gulden mit ihm teilen, da half kein Bitten und kein Flehen.
Das war fein und listig, aber eben doch nicht
recht, zumal in einer
Kapelle.
Der schlaue Mann
Einem andern, als er das Wirtshaussitzen bis nach Mitternacht anfing, schloss einmal die Frau nachts um zehn Uhr die Türe zu und ging ins Bett, und wollt' er wohl oder übel, so musste er unter dem Immenstand im Garten über Nacht sein. Den andern Tag, was tut er? Der geneigte Leser gebe acht! Als er ins Wirtshaus ging, hob er die Haustüre aus den Kloben und nahm sie mit, und früh um ein Uhr, als er heimkam, hängt er sie wieder ein und schloss sie zu, und seine Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen, sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmut gebessert.
Der schlaue Pilgrim
Vor einigen Jahren zog ein Müssiggänger durch das Land, der sich für einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn und laufe geradenweges zum Heiligen Grab nach Jerusalem, fragte schon in Müllheim an der Post: "Wie weit ist es noch nach Jerusalem?" Und wenn man ihm sagte: "Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fussweg über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher", so ging er, um auf dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das wäre nun so übel nicht. Man muss einen kleinen Vorteil nicht verachten, sonst kommt man zu keinem grossen. Man hat öfter Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, als einen Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700 Stunden nur allemal an fünf Stunden weiss eine Viertelstunde abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen—rechnet selber aus, wieviel? Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht ebenso, sondern weil er nur dem Müssiggang und guten Essen nachzog, so war es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten Sprichwort nie verirren, muss in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er nicht mehr drin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreisst, zumal wenn er barfuss geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer darauf, sobald als möglich wieder an die Landstrasse zu kommen, wo reiche Häuser stehen und gut gekocht wird. Denn der Halunke war nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte Kieselsteinsuppen. Wenn er nämlich irgendwo so ein braves Wirtshaus an der Strasse stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in Krotzingen oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und bat ganz demütig und hungrig um ein gutes Wassersüpplein von Kieselsteinen, um Gottes willen, Geld habe er keines.—Wenn nun die mitleidige Wirtin zu ihm sagte: "Frommer Pilgrim, die Kieselsteine könnten Euch hart im Magen liegen!" so sagte er: "Eben deswegen! Die Kieselsteine halten länger an als Brot, und der Weg nach Jerusalem ist weit. Wenn Ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt, um Gottes willen, so könnt' ich's freilich besser verdauen." Wenn aber die Wirtin sagte: "Aber, frommer Pilgrim, eine solche Suppe kann Euch doch unmöglich Kraft geben!" so antwortete er: "Ei, wenn Ihr anstatt des Wasser wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, um Gottes willen, so wär's freilich nahrhafter." Brachte nun die Wirtin eine solche Suppe und sagte: "Die Tünklein sind doch nicht so gar weich geworden", so sagte er: "Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet Ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüs darein oder ein Stücklein Fleisch oder beides um Gottes willen?" Wenn ihm nun die mitleidige Wirtin auch noch Gemüs und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: "Vergelts Euch Gott! Gebt mir jetzt Brot, so will ich die Suppe essen." Hierauf streifte er die Ärmel seines Pilgergewandes zurück, setzte sich und griff an das Werk mit Freuden, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und Gemüs und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ärmel ab, oder auch gar nicht, und sagte: "Frau Wirtin, Eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so dass ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schad dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich Euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Askalon oder eine Rose von Jericho."
(Drum hüte dich; nicht das Gewand macht den Pilgrim, sondern der fromme Sinn, und eine Sünde ist es, dasselbe zu missbrauchen.)
Der Schneider in Pensa
Der Schneider in Pensa, was
ist das für ein Männlein!
Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein für
halb
Rußland Arbeit genug und doch kein Geld, aber ein froher,
heiterer
Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in
Asien
deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.
Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, das für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spät. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert, auch sechzehn Rheinländer, badische Offiziere, die damals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und Brandstätten Europas ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder "Wann wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutschen da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Großherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlägt sieben bis acht mal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld.
Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne Freudenernte Sooft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und "Sind keine Deutschen da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum anderen, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so aussähen", dachte er. Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele brave Landsleute, auch Darmstädter und andere, hineinrief: "Sind keine Deutschen da?" er mußte zum zweitenmal fragen, denn das erstemal konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er sei er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte. "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo Mannheim liegt; der andere sagte: Yon Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim", da zog es wie ein warmes, auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich bin von Bretten`, sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Egetmeier von~Bretten, wie Joseph von Agypten zu den Söhnen Israels sagte: "Ich bin Joseph, euer Bruder" und die Tränen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatliebe traten a112n in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider oder der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am gerührtesten war. jetzt führte der gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklichen Mahle, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um dit Gnade, daß er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. "Anton", sagte der Statthalter, wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?" jetzt lief er in der Stadt herum und suchte für die, die in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem anderen. "Herr Landsmann", sagte er zu dem einen, "mit Eurem Weißzeug sieht's windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder sorgen." "Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem andern Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinischen Hausfreunde. In wenigen Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinischen Hausfreunde: "Herr Landmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt keine Münzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure großen Auslagen werden schadlos halten können und wann."Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt in Würde, die Güte hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Großmut, sondern auch die liebe häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin. jetzt führte er sie freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der Erzähler hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen, das er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es. jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tage von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wußte und seinen Kindern er nannte sie nur noch seine Kinder mit Freudentränen zubrachte, darum, daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu vergüten. "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine Freude nicht!" Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserem Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben und um das Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war.
Das gute Geld war für einen anderen Gebrauch zu bestimmen; aber man kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung schlug, gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der Trennung und zu dem bitteren Schmerz die Not. Denn es fehlte an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: "Kinder, es ist Rat; Geld genug!" Was war's? Die gute Seele hatte für 2000 Rubel das Haus verkauft "Ich will schon eine Unterkunft finden", sagte er, wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt." 0 du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu großem Trost für die edlen Gefangenen, wieder rückgängig gemacht.
Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystok in Polen wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reisegeld zurück.
Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier,
Schneidermeister in
Asien.
Der Schneider in Pensa
Ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen, nämlich, dass er die Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung für die Hilfe sorgt, noch ehe die Not da ist, und dass er kundmache das Lob vortrefflicher Menschen, sie mögen doch auch stecken, fast wo sie wollen.
Der Schneider in Pensa, was ist das für ein
Männlein!
Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus jahrein für
halb
Russland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein froher,
heiterer
Sinn, ein Gemüt treu und köstlich wie Gold und mitten in Asien
deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.
Im Jahr 1812, als Russland nimmer Strassen genug hatte für die Kriegsgefangenen an der Berezina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, welches für sich schon mehr als hundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spat. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert auch sechzehn rheinländische Herren Leser, badische Offiziere, die damals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und Brandstätten von Europa ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmassen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder: "Wann wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutsche da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füssen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Grossherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlagt sieben bis achtmal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber liess er sich unter ein russisches Kavallerie-Regiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles anderst ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederliess, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreissig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an, er findet bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld.
Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne. Freudenernte. So oft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und "Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehener Weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so aussähen", dachte er. "Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele geneigte Leser, auch Darmstädter und andere hineinrief: "Sind keine Deutsche da?"—er musste zum zweiten Mal fragen, denn das erste Mal konnten sie vor Staunen und Ungewissheit nicht antworten, sondern das süsse deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er sei—er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte: "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewusst hätte, wo Mannheim liegt, der andere sagte: "Von Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim"; da zog es wie ein warmes, auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich bin von Bretten", sagte das herrliche Gemüte, Franz Anton Egetmeier von Bretten, wie Joseph in Ägypten zu den Söhnen Israels sagte: "Ich bin Joseph, euer Bruder"—und die Tränen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatsliebe traten allen in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie einen freudigern Fund an dem Schneider oder der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am gerührtesten war. Jetzt führte der gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, dass er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. "Anton", sagte der Statthalter, "wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. Jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem andern. "Herr Landsmann", sagte er zu einem, "mit Euerm Weisszeug sieht's windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder sorgen.—Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem andern.—"Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinländischen Hausfreunde. In wenig Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, missbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinländischen Hausfreunde: "Herr Landsmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt keine Münzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure grossen Auslagen werden schadlos halten können, und wann." Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn eingefasst in Würde die Güte hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Grossmut, sondern auch die liebe häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin. Jetzt führte er sie freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der Kalender hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen, was er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es. Jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wusste, und seinen Kindern—er nannte sie nur noch seine Kinder—mit Freudentränen zubrachte, darum, dass sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu vergüten. "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine Freude nicht!"—"Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserm Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben, und um das Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war. Das gute Geld war für einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung schlug, gesellte sich zur Freude ohne Mass der bittere Schmerz der Trennung und zu dem bittern Schmerz die Not. Denn es fehlte an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch Russland zu reisen hatten, täglich 13 Kreuzer verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit grossen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: "Kinder, es ist Rat. Geld genug!"—Was war's? Die gute Seele hatte für zweitausend Rubel das Haus verkauft. "Ich will schon eine Unterkunft finden", sagte er, "wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt." O du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu grossem Trost für die edeln Gefangenen, wieder rückgängig gemacht.
Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dass dieses für ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystock in Polen wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reisegeld zurück.
Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in Asien. Der Hausfreund wird im künftigen Kalender noch ein freudiges Wort von ihm zu reden wissen, und es wäre nimmer der Mühe wert, einen Kalender zu schreiben, wenn sich die geneigten Leser nicht auf sein Bildnis freuen wollten, was er ihnen zu stiften verspricht.
Der schwarze Mann in der weissen Wolke
Sonst hat der Hausfreund nie viel auf Gespenster gehalten, wenn einem die Gespenster erscheinen; diesmal zwar auch nicht. Denn als er eines Tages, es war aber Nacht, mit dem Adjunkt und mit dem Vizepräsident durch den Brassenheimer Wald nach Hause ging; vornehme Herren schämen sich nicht, mit ihm zu gehen und gut Freund zu sein, absonderlich bei Nacht, wenn es niemand sieht, und wenn sie selber froh sind, dass sie jemand begleitet; denn als wir aus dem Wald kamen, schlug es 12 Uhr in Brassenheim, und die Mitternacht seufzte in den Bäumen. Ein schwacher Wind wehte durch die finstere Nacht, und der Himmel war verhängt; nur bisweilen schimmerte der abnehmende Mond ein wenig durch die Wolken, wo sie am brüchigsten waren. "Adjunkt", sagte der Vizepräsident, "wisst Ihr nichts zu erzählen?" "Ja", sagte der Adjunkt: "die Hirschauer wollten Anno 3 eine Brücke bauen, so stellten sie die Brücke der Länge nach in den Strom, denn sie sagten: Es sieht besser aus, und wenn ein grosses Wasser kommt, kann es besser an der Brücke vorbei und nimmt sie nicht mit."
"Adjunkt", sagte der Hausfreund, "sind wohl die Flinten zuerst erfunden worden oder die Ladstecken?" Der Adjunkt sagte: "Die Ladstecken. Denn sonst wäre es nicht der Mühe wert gewesen, die Flinten zu erfinden, weil man sie doch nicht hätte laden können." Als aber der Adjunkt niessen musste, drehte er den Kopf seitwärts gegen das Feld und niesst. Indem er den Kopf seitwärts dreht, druckt er sich auf einmal an den Hausfreund. "Habt Ihr nichts gesehn, Hausfreund?" sagte er ängstlich und leise. "Eine schneeweisse Wolke stieg aus der Erde auf, und in der Wolke stand ein schwarzer Mann und hat mir gewinkt, ich soll kommen." "Warum seid Ihr nicht gegangen?" sagte der Hausfreund. "Es sind Euch Funken aus den Augen gefahren, weil Ihr habt niessen müssen." "Er hat das Feuer im Elsass gesehen", sagte der Vizepräsident. Aber bald verging uns der Spass, und die Mitternacht schauerte allen durch Mark und Bein. Denn im nämlichen Augenblick erscheint wieder die weisse Wolke und in der weissen Wolke die schwarze Gestalt und winkt. Weg war's wieder auf einmal. "Habt Ihr's jetzt gesehen?" fragte der Adjunkt; "es ist gut, dass der Herr Präsident bei uns ist, mit uns zweien machte er kurzen Prozess." Aber der Präsident dachte, es ist gut, dass der Hausfreund bei mir ist, dass ich mich an ihm heben kann. Denn allen zitterten die Kniee, und der Mut stieg keinem sonderlich in die Höhe, aber das Haar. Der Hausfreund will's einstweilen dem geneigten Leser zu raten geben, was es war. Denn als wir wieder ein wenig zur Besinnung gekommen waren, obgleich die Erscheinung wenigstens siebenmal wiederkam, sagte endlich der Präsident: "Hausfreund, Ihr habt doch am meisten getrunken in Neuhausen, so werdet Ihr auch den meisten Mut haben; redet den Geist an!" Da rief der Hausfreund: "Alle guten Geister! Schwarze Gestalt der Mitternacht, wer bist du?" Da rief der Geist mit Zetergeschrei: "Ich bin der Xaveri Taubenkorn von Brassenheim. Um unsrer lieben Frauen willen verschont mich!"
Merke: Der Taubenkorn ist ein unbescholtener Gerichtsmann in Brassenheim und wirtet; also kennt ihn der Hausfreund wohl, und ist ein lobenswerter Feldmann, dem keine Stunde in der Nacht zu spät oder zu früh ist für seinen Acker. Als ihn nun der Hausfreund fragte: "Xaveri, was treibt Ihr für Blendwerk? Seid Ihr mit dem Bösen im Bund?"—sagte er: "Seid Ihr's, Hausfreund? Nein, ich streue Ips auf meinen Kleeacker. Der Wind ist gut, und es kommt bald ein linder Regen." Also, wenn er eine Handvoll Gips auswarf, entstand die Wolke, ein wenig vom Mond erhellt, und man sah darin den Xaveri wie einen Schatten, und wenn er die Hand zurückzog, meinte man, er winke; aber wenn das Gipsmehl verflogen und gefallen war, sah man nichts mehr.—"Ihr habt mich rechtschaffen erschreckt", sagte der Xaveri zum Hausfreund, "denn ich habe nicht anders geglaubt, als es beschreit mich ein Gespenst. Ein ander Mal lasst Euere Possen bleiben."
Der sicherste Weg
Bisweilen hat selbst ein Betrunkener noch eine Überlegung oder doch einen guten Einfall, wie einer, der auf dem Heimweg aus der Stadt nicht auf dem gewöhnlichen Pfad, sondern gerade in dem Wasser ging, das dicht neben dem Pfade fortläuft. Ihm begegnete ein menschenfreundlicher Herr, der gerne der Notleidenden und Betrunkenen sich annimmt, und wollte ihm die Hand reichen. "Guter Freund", sagte er, "merkt Ihr nicht, dass Ihr im Wasser geht? Hier ist der Fusspfad!" Der Betrunkene erwiderte: sonst finde er's auch bequemer, auf dem trockenen Pfad zu gehen, aber diesmal habe er ein wenig auf die Seite geladen. "Eben deswegen", sagte der Herr, "will ich Euch aus dem Bache heraushelfen!" "Eben deswegen", erwiderte der Betrunkene, "bleib' ich drin. Denn wenn ich im Bach gehe und falle, so falle ich auf den Weg. Wenn ich aber auf dem Weg falle, so falle ich in den Bach." So sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf die Stirne, nämlich, dass darin ausser dem Rausche auch noch etwas mehr sei, woran ein anderer nicht denke.
Der silberne Löffel
In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im Roten Ochsen zu Mittag essen, und geht in den Roten Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmässige, ehrliche Leute und Spitzbuben wie überall. Man ass und trank, der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von dem Machin in Frankreich, der mit dem grossen Wolf gekämpft hat. Das sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt alles ein Jahr früher als andere Leute.—Als nun das Essen fast vorbei war, einer und der andere trank noch eine halbe Mass Ungarwein zum Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brot, als wenn er ein Apotheker wär' und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit dem Messer oder mit der Gabel oder mit dem silbernen Löffel. Da sah der Offizier von ungefähr zu, wie einer in einem grünen Rocke mit dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam. Ein anderer hätte gedacht: was geht's mich an? und wäre still dazu gewesen oder hätte grossen Lärm angefangen. Der Offizier dachte: Ich weiss nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für ein Verdruss geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zum, andern hinaus, wie es manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel mitbringen, aber keine Suppe.—Währenddem der Offizier seine Zeche bezahlte, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muss sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, dass er zum Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat; oder ist's gar einer von meinen eigenen? Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: "Und der Löffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu." Der Wirt sagte: "So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentlöffel schenken, aber meinen silbernen lasst mir da." Da stand der Offizier auf, klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. "Wir haben nur Spass gemacht", sagte er, "ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt Ihr Euern Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben."
Als der Löffelschütz merkte, dass er verraten sei, und dass ein ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spass als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum,. und der Löffeldieb lachte auch—aber nicht lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande und ein paar Tritten unter der Türe zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute.
Merke: Man muss keine silbernen Löffel stehlen.
Merke: Das Recht findet seinen Knecht.
Der sinnreiche Bettler
Sonst bemessen die Bettler ihre dankbaren Wünsche nach dem Wert der Gabe, die ihnen gereicht wird. Derjenige, von welchem hier die Rede ist, sagt, das sei grundfalsch. Wer ihm viel gibt, dem wünscht er eine hundertfältige Vergeltung von Gott. Wer ihm aber wenig gibt, dem wünscht er eine tausendfältige oder, wenn es noch weniger ist, eine hunderttausendfältige Vergeltung. Denn er sagt: "Ich muss einen gleich guten Willen bei allen voraussetzen. Wer wenig reicht, wird wenig haben. Ich muss ihm also mehr wünschen. Soll ich das Meinige auch noch dazu beitragen, dass zuletzt die Reichen alles bekommen?"
Der Star von Segringen
Selbst einem Staren kann es nützlich sein, wenn er etwas gelernt hat, wie viel mehr einem Menschen.—In einem respektabeln Dorf, ich will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch. In Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Star lernte nicht nur alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte, zum Exempel: so so lala; oder par compagnie (das heisst so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder: du Dolpatsch. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Schermesser am Rücken abzog anstatt die Schneide, oder wenn er ein Gütterlein verheite. Alle diese Redensarten lernte nach und nach der Star auch. Da nun täglich viel Leute im Haus waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste miteinander ein Gespräch führten, und der Star warf auch eins von seinen Wörtern drein, das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte; und manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: "Hansel, was machst du?" antwortete er: "du Dolpatsch!" und alle Leute in der Nachbarschaft wussten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war offen und das Wetter schön, da dachte der Star: Ich hab' jetzt schon so viel gelernt, dass ich in der Welt kann fortkommen, und husch! zum Fenster hinaus. Weg war er. Sein erster Flug ging ins Feld, wo er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: sie wissen die Gelegenheit hierzuland besser als ich. Aber sie flogen unglücklicherweise alle miteinander in ein Garn. Der Star sagte: "Wie Gott will." Als der Vogelsteller kommt und sieht, was er für einen grossen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern behutsam heraus, dreht ihm den Hals um und wirft ihn auf den Boden. Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: "Ich bin der Barbier von Segringen!" Als wenn er wüsste, was ihn retten muss. Der Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: "Ei, Hansel, hier hätt' ich dich nicht gesucht; wie kommst du in meine Schlinge?" da antwortete der Hansel: "Par compagnie." Also brachte der Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum Balbierer von Segringen.
Merke: So etwas passiert einem Staren selten. Aber schon mancher junge Mensch, der auch lieber herumflankieren als daheim bleiben wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten und nimmer herauskommen.
Der Talhauser Galgen
"Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja niemand", sagte zu dem Vogt von Gillmannshofen endlich der Obmann. Nämlich der Vogt war Tages vorher in der Stadt gewesen und hatte sich bei dem Herrn Amtmann Rates erholt in irgend einer Sache. "Es ist ganz gut", sagte der Amtmann, "dass Ihr da seid: hier sind vier Oberamtsbefehle an Euch, die könnt Ihr nun selber mitnehmen." Als der Vogt in den Roten Löwen zurückgekommen war, während er fortfuhr, wo er vorher war stehen geblieben, nämlich am fünften Schöpplein, zog er die vier Befehle aus der Tasche, ob er ihnen nicht vorderhand aussen ansehen könne, was inwendig stehen möchte, wie man bisweilen seltsamerweise tut. Hernach schob er die Befehle wieder in die Rocktasche. Hernach bei dem sechsten Schöpplein legte er die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Arme und schlief ein. Lustige Herren sassen an einem andern Tisch, und der durchtriebenste von ihnen, einer wie der Herr Theodor, sagte: "Ich will einen Spass machen." Nämlich er schrieb einen falschen Befehl, dass, da morgen den 15ten drei Juden sollen gehenkt werden, so habe sich der Vogt von Gillmannshofen mit vierundzwanzig Mann und einem Obmann, nicht minder sämtlichen Schulkindern bei dem Talhauser Galgen früh um 9 Uhr unfehlbar einzufinden. Hernach zog er dem Vogt einen Befehl heimlich aus der Tasche und schob an dessen Stelle den falschen hinein. Auf dem Heimwege nach Gillmannshofen fing doch der Vogt an die Befehle aufzutun, was der Amtmann wieder mit ihm wolle, und als er anfing, den falschen Befehl zu lesen, "das muss ein Irrtum sein", sagte er zu sich selber, und ging in die Stadt zurück, um den Amtmann darüber zu befragen. Der Amtmann und seine Frau und der Herr Oberrevisor und seine Frau ergötzten sich nach des Tages Last und Arbeit mit einem Kartenspiel. "Was wollt Ihr schon wieder", fuhr ihn der Amtmann an, "seht Ihr nicht, dass Gesellschaft bei mir ist?" Der Vogt wollte ihm erklären, dass er einen Anstoss habe an einem von den Befehlen, und dass er meine—"Ein unruhiger Kopf seid Ihr", sagte der Amtmann, wie er's denn auch wirklich war. "Ihr habt nichts zu meinen— Gehorsam habt Ihr zu leisten, was man Euch befiehlt, und damit Punktum. Seid Ihr noch nicht genug gestraft worden?" Demnach so ging der Vogt wieder seines Wegs, und den andern Morgen zog er mit einer Rotte von vierundzwanzig Mann und einem Obmann und der Herr Schulmeister mit der Schuljugend und viele Freiwillige nach dem Talhauser Galgen, der linker Hand auf einer kleinen Anhöhe steht, wenn man von der Neuhauser Mühle in die Stadt geht. "Es ist schade", sagte der Vogt zum Obmann, "dass es so entsetzlich regnet. Es wird mancher daheim bleiben." Als sie vor den Talhauser Wald hinauskamen und den Galgen noch mutterseelallein im Felde stehen sahen, "wir sind die ersten", sagte der Vogt zum Obmann, "es ist noch niemand da." Der Freiwilligen suchte sich jeder einen guten Platz aus, wo man's gut sehen kann. Einige setzten sich zum voraus auf nahestehende Bäume, andere standen einstweilen unter. Aber es geschah nichts. Wandersleute, die in ihren Geschäften des Weges zogen, blieben auch im Regen stehen und wollten abwarten, was aus dem seltsamen Aufzug werden wolle. Aber es geschah nichts. "Sie werden warten", sagte der Vogt, "bis es nimmer so arg schüttet." Der Herr Schulmeister hielt zur Zeitverkürzung eine Standrede um die andere an die Schuljugend, dass, ob es gleich nur Juden seien, sollten sie doch ein christliches Exempel daran nehmen. Aber es wollt noch nichts kommen. Es läutete schon Mittag in allen Dörfern, aber der Mittag läutete auch nichts herbei. Deswegen sagte zuletzt der Obmann zu dem Vogt: "Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja niemand. Oder sind wir gar zuletzt Eure Narren?" sagte er. "Es wäre kein Wunder, wir henkten Euch selber daran, damit die Leute nicht umsonst dagewesen sind."—Kurz, es kam eben niemand.
Seitdem, wer durch Gillmannshofen geht und fragt in guter Meinung oder aus Mutwillen, ob schon lang niemand mehr am Talhauser Galgen gehenkt worden sei, oder so, der wird geschlagen.
Der unschuldig Gehenkte
Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten miteinander an einer Berghalde unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerlei und ahmten untereinander, wie dieses Alter zu tun pflegt, die Handlungen und Geschäfte der erwachsenen Menschen spielend nach. Eines Tages sagte der eine von ihnen: "Ich will der Dieb sein."—" So will ich das Oberamt sein", sagte der zweite. "Seid ihr die Hatschiere", sagte er zum dritten und vierten, "und du bist der Henker", sprach er zum fünften. Gut! Der Dieb stiehlt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und setzt sich auf flüchtigen Fuss; der Bestohlene klagt beim Oberamt; die Hatschiere streifen im Revier, attrapieren den Dieb in einem hohlen Baum und liefern ihn ein. Der Richter verurteilt ihn zum Tode. Unterdessen hört man im Wald einen Schuss fallen; Hundegebell erhebt sich. Man achtet's nicht. Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also, dass er mit den Füssen nicht gar kann die Erde berühren, denkt, ein paar Augenblicke kann er's schon aushalten. Plötzlich rauscht es im dürren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehörst; ein schwarzer, wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald hervor und läuft über den Richtplatz. Die Hirtenbuben, denen es ohnehin halber zumute war, als ob es doch nicht ganz recht wäre, mit einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Mutwillen zu treiben, erschrecken, meinen, es sei der Teufel, vor dem uns Gott behüte, laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf und erzählt, was geschehen sei. Aber als man kam, um den Gehenkten abzulösen, war er erstickt und tot. Dies ist eine Warnung. Das Oberamt und die Hatschiere kamen nachher auf drei Wochen ins Zuchthaus, und der Henker auf sechs. Dass aber der Eber soll der Teufel gewesen sein, hat sich nicht bestätigt. Denn er wurde von den nacheilenden Jägern erlegt und zum Forstamt geliefert; der Teufel aber befindet sich noch am Leben.
Der Vater und der Sohn
Der Vater stellte ein Gläslein voll Arznei in die Schublade, weil er glaubte, es sei nirgends besser verwahrt. Als aber der Sohn nach Hause kam und die Schublade schnell aufziehn wollte, fiel das Gläslein um und zerbrach. Da gab ihm der Vater eine zornige Ohrfeige und sagte: "Kannst du nicht zuerst schauen, was in der Tischlade ist, eh' du sie auftust?" Der Sohn erwiderte zwar: Nein, das könne niemand. Aber der Vater sagte: "Den Augenblick sei still, oder du bekommst noch eine."
Merke: Man ist nie geneigter Unrecht zu tun, als wenn man Unrecht hat. Recht ist gut beweisen. Aber für das Unrecht braucht man schon Ohrfeigen und Drohungen zum Beweistum.
Der verachtete Rat
Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als wenn man auf die Stunde einhalten will. Ein Fussgänger auf der Basler Strasse drehte sich um und sah einen wohlbeladenen Wagen schnell hinter sich hereilen. "Dem muss es nicht arg pressieren", dachte er.—"Kann ich vor Torschluss noch in die Stadt kommen?" fragte ihn der Fuhrmann.—"Schwerlich", sagte der Fussgänger, "doch wenn Ihr recht langsam fahrt, vielleicht. Ich will auch noch hinein."—"Wie weit ist's noch?"—"Noch zwei Stunden."—"Ei", dachte der Fuhrmann, "das ist einfältig geantwortet. Was gilt's, es ist ein Spassvogel." Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden hineinkomme, dachte er, so zwing' ich's mit Geschwindigkeit in anderthalber und hab's desto gewisser. Also trieb er die Pferde an, dass die Steine davonflogen und die Pferde die Eisen verloren. Der Leser merkt etwas. "Was gilt's", denkt er, "es fuhr ein Rad vom Wagen?" Es kommt dem Hausfreund auch nicht darauf an. Eigentlich aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz, der Fuhrmann musste schon im nächsten Dorf über Nacht bleiben. An Basel war nimmer zu denken. Der Fussgänger aber, als er nach einer Stunde durch das Dorf ging und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den Zeigfinger in die Höhe. "Hab ich Euch nicht gewarnt", sagte er, "hab' ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!"
Der verwegene Hofnarr
Der König hatte ein Pferd, das war ihm so lieb, dass er sagte: "Ich weiss nicht, was ich tue, wenn das Pferd mir stirbt. Aber den, der mir von seinem Tod die erste Nachricht bringt, den lass ich auch gewiss aufhenken." Item, das Rösslein starb doch, und niemand wollte dem König die erste Nachricht davon bringen. Endlich kam der Hofnarr. "Ach, gnädigster Herr", rief er aus, "Ihr Pferd! Ach das arme, arme Pferd! Gestern war es noch so"—da stotterte er, und der erschrockene König fiel ihm ins Wort und sagte: "Ist es gestorben? Ganz gewiss ist es gestorben, ich merk's schon." "Ach gnädigster Herr", fuhr der Hofnarr mit noch grösserm Lamento fort, "das ist noch lange nicht das Schlimmste." "Nun, was denn?" fragte der König. "Ach, dass Sie jetzt noch sich selber müssen henken lassen. Denn Sie haben's zuerst gesagt, dass Ihr Leibpferd tot sei. Ich hab's nicht gesagt." Der König aber, betrübt über den Verlust seines Pferdes, aufgebracht über die Frechheit des Hofnarren und doch belustigt durch seinen guten Einfall, gab ihm augenblicklich .den Abschied mit einem guten Reisegeld. "Da, Hofnarr", sagte der König, "da hast du 100 Dukaten. Lass dich statt meiner dafür henken, wo du willst. Aber lass mich nichts mehr von dir sehen und hören! Sonst, wenn ich erfahre, dass du dich nicht hast henken lassen, so tu ich's."
Der vorsichtige Träumer
Es gibt doch einfältige Leute in der Welt. In dem Städtlein Witlisbach im Kanton Bern war einmal ein Fremder über Nacht, und als er ins Bett gehen wollte und ganz bis auf das Hemd ausgekleidet war, zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Bündel, legte sie an, band sie mit den Strumpfbändeln an den Füssen fest und legte sich also in das Bette. Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der nämlichen Kammer über Nacht war: "Guter Freund, warum tut Ihr das?"