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„Darf ich reinkommen?“

Schott trat zur Seite. „Entschuldige, klar ...“

Gruber betrat die Wohnung, zwei Räume im zweiten Stock, mit Blick nach Süden, spartanisch möbliert, sauber und penibel aufgeräumt. Das einzig Persönliche waren zwei Bücher, die auf dem Tisch neben dem Durchgang zur Küche lagen: „Desert Solitaire“ von einem gewissen Edward Abbey und Carl Zuckmayers Autobiographie „Als wär’s ein Stück von mir“.

„Lange nicht gesehen, hm?“, sagte Schott und drückte die Tür zu.

„Allerdings ...“

„Hätte dich fast nicht erkannt, so mit Glatze.“ „Tja, du hast leicht reden ...“

„Und, bist du noch bei dem Verein?“

„Sicher. Und du schreibst inzwischen Drehbücher, wie ich erfahren habe.“

„Ja. Von irgendwas muss der Mensch ja leben.

Woher weißt du überhaupt, dass ich hier wohne?“ „Von einer gemeinsamen Bekannten ...“ Gruber war noch immer unschlüssig, wie er die Sache anpacken sollte. Du bist ein Profi, sagte er sich zum wiederholten Mal. Also benimm dich auch wie ein Profi. Keine Gefühle, keine Vorurteile. Zugleich fragte er sich, ob es nicht auch an ihm gelegen haben könnte, dass Schott damals so blitzartig verschwunden war. Und wieso er nicht versucht hatte, die Verbindung trotzdem zu halten.

Schott hatte sich kaum verändert, genau, wie sein Konterfei in dem Drehbuch-Führer angedeutet hatte. Das Haar noch voll und nur an den Schläfen leicht ergraut, die Figur drahtig wie eh und je. Und auch sonst war ihm kaum etwas anzumerken. Er wirkte vorsichtig und leicht angespannt, aber nicht wie jemand, der ein Kapitalverbrechen auf dem Gewissen hatte. Aber so war es schon immer gewesen, fiel Gruber ein. Soweit er sich erinnern konnte, war Schott niemals ausgeflippt, hatte niemals die Nerven oder die Übersicht verloren. Nicht bei diesem Autounfall in Bulgarien, als sie nachts und völlig zugedröhnt auf einen unbeleuchteten Traktor aufgefahren waren. Nicht bei diesem Revierkampf auf St. Pauli, als sie unvermutet zwischen die Fronten zweier verfeindeter Rockergangs geraten waren. Schotts unglaubliche Anpassungsfähigkeit, die hatte er schon immer bewundert.

„Du kannst dir sicher denken, warum ich hier bin“, sagte er, als ihm nichts Besseres einfallen wollte.

„Also nicht aus reiner Freundschaft, hm?“

„Lass den Scheiß, Walter. Du weißt genau, was los ist ...“

Schott schob die Bücher beiseite und bedeutete Gruber, am Tisch Patz zu nehmen.

„Ich habe absolut keine Ahnung“, sagte Schott. „Habe ich irgendwo ein Stoppschild überfahren oder schlecht über jemanden geredet, der zufällig Beziehungen zur Polizei hat?“

Gruber ging nicht darauf ein. Er blickte Schott nur fest ins Gesicht.

„Auf Gerd Hauser wurde gestern Nacht geschossen ...“, sagte er.

Keine Reaktion. Jedenfalls keine, die etwas ausgesagt hätte. Schott blickte ihn nur mit gerunzelter Stirn erstaunt an und gab sich ratlos.

„Auf den Gerd?“, fragte er schließlich.

„Ja. Gerd Hauser. Der mal in deiner Straße gewohnt hat ...“

„Und was, bitte schön, habe ich damit zu tun?“ „Um das herauszufinden, bin ich hier. Tut mir leid.“

Schott erhob sich. „Willst du was trinken? Kaffee? Wasser?“

Gruber winkte ab.

„Und, ist er schwer verletzt?“, fragte Schott, während er sich ein Glas Leitungswasser aus der Küche holte.

„Er hat Glück gehabt. Hat nur ein paar Streifschüsse abbekommen.“

Schott setzte sich wieder und nippte an seinem Wasser.

„Ich habe ihn einmal getroffen, vor ein paar Wochen, allerdings rein zufällig“, sagte er. „An der Eisdiele auf dem Maxplatz. Er hat mich erkannt und angesprochen ...“

„Und?“

„Nichts und. Wir haben kurz über die alten Zeiten gesprochen, dann ist er zurück in sein Büro und das war es dann.“

„Du hast ihn nachher nicht wiedergesehen?“ „Nicht, dass ich wüsste ...“

Gruber Gedanken schweiften ab, es fiel ihm plötzlich schwer, die Sache weiter zu verfolgen. Sollte er Schott nach der Hochfelln-Klause fragen oder nicht? Besser nicht, entschied er. Noch war Schotts mögliche Anwesenheit dort sein kleines Geheimnis. Und das sollte es vorerst auch bleiben. Warum schlafende Hunde wecken?

„Du warst doch öfter mal hier, als deine Eltern noch gelebt haben“, wechselte er das Thema. „Warum hast du dich eigentlich nie gemeldet?“

„Tja, warum? Ich bin mal bei dir vorbeigefahren. An einem Sonntag im Sommer neunzig oder einundneunzig. Du warst mit Frau und Kind im Garten. Ich wollte erst rein zu euch, aber dann wusste ich plötzlich nicht mehr, was ich da eigentlich sollte. Aber jetzt hör endlich auf, hier den Geheimnisvollen zu spielen. Sag mir endlich, warum bist du hier, warum du ausgerechnet mich als Verdächtigen anschaust?“

Gruber stieß einen Seufzer aus, berichtete dann so knapp und sachlich wie möglich von dem Anschlag auf Hauser, von Monika Hochstätters Auftritt und wie sie den Schwindel aufgedeckt hätten. Und wie die Rede dabei auf Schotts Schwester Astrid und Schotts Engagement für Monika Hochstätter gekommen war.

„Ich war unglaublich wütend, wie ich davon erfahren habe, das gebe ich gerne zu“, sagte Schott daraufhin. „Aber mehr auf mich selbst. Weil ich damals nichts bemerkt habe. Weil ich nur ... Na ja, du weißt ja am besten, wie ich damals so drauf war. Und was diesen Anschlag auf den Gerd angeht, so kann ich nur sagen, dass der Täter, wer immer es sein mag, ganz in meinem Sinn gehandelt hat. Aber ich war’s nicht. Punkt. Aus “

„Trotzdem muss ich dich nach deinem Alibi fragen?“

„Für welchen Zeitraum?“

„Gestern Abend zwischen acht und neun.“

„Tja, da muss ich dich leider enttäuschen. Ich bin gestern Abend wie schon öfters ziellos durch die Gegend gefahren, durch das Achental bis hinter nach Unterwössen und wieder zurück. Was ist denn mit anderen Verdächtigen? Oder bin ich etwa der Einzige?“

Gruber zögerte kurz.

„Er hat in den letzten Wochen ein paar Drohbriefe erhalten“, sagte er dann. „Er soll Leute beschissen haben, in seiner Tätigkeit als Anlageberater. Soll in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.“

Schott lächelte vage. „Wenn es nach dem ginge, müssten eine Menge Leichen herumliegen, meinst du nicht auch?“

Schott stand erneut auf und bedeutete Gruber, ihm auf den Balkon hinaus zu folgen. Gruber war erstaunt über die Aussicht, die sich ihm bot. Eine kleine Oase inmitten in der Stadt. Mit einem großen Garten, in dem ein paar Kinder und ein Hund um eine Holzhütte herumtollten. Weitab vom Verkehr und der Hektik ringsum.

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte Schott. „Musst du vielleicht ein Protokoll aufnehmen oder dergleichen?“

„Eigentlich schon. Aber um nochmals auf die Frau, diese Hochstätter zurückzukommen, was ist denn nun mit ihrem Manuskript, taugt es was?“

Schott schnitt eine Grimasse. „Offen gesagt, ist es ziemlicher Käse. Aufstieg und Fall eines Flittchens, wenn du so willst. Aber du weißt ja, jeder glaubt, dass sein Leben Stoff für eine spannende Geschichte hergeben würde.“

„Aber du hilfst ihr trotzdem?“

„Warum nicht?“

Grubers Handy klingelte.

Es war Bischoff.

„Haben Sie ihn aufgetrieben?“

„Habe ich ...“

„Und, was sagt er?“

„Nichts von Bedeutung. Und bei euch?“

„Sie ist noch immer ziemlich zerknirscht. Außerdem habe ich gerade noch einmal mit ihrem Hausarzt telefoniert. Wir bringen sie über Nacht im Krankenhaus unter. Sind Sie sicher, dass er nicht unser Mann ist?“

„Wenn Sie wollen, können Sie morgen selbst mit ihm reden. Bis dann.“ Gruber steckte sein Handy wieder ein und wandte sich zum Gehen.

„Ich komme mit runter“, sagte Schott.