„Gut. Aber wenn es Walker nicht war, wer dann? Eddie Messer?"

Ich schüttelte den Kopf. „Er mag der Punkgott des Rasiermessers sein, aber Eddie hat sich noch nie für Glauben interessiert. Ich glaube, er ist tatsächlich der einzige Gott, vor dem die anderen Schiss haben."

„Wie wäre es mit dem Dornenfürsten?"

„Du hast deine Hausaufgaben gemacht, was? Nein, er erholt sich immer noch vom Lilithkrieg und von dem Trauma herauszufinden, dass er nicht der ist, der er zu sein glaubte."

„Du kennst wirklich jeden, oder?", bewunderte mich Bettie. „Wer glaubte er denn zu sein?"

„Der Sachwalter der Nightside."

Bettie dachte nach. „Falls der Dornenfürst nicht über uns wacht, wer dann?"

„Gute Frage", meinte ich. „Eine Menge Leute streiten bis heute darüber."

Sie sah mich listig von der Seite her an. „Viele Leute behaupten, du hättest der König der Nightside sein können, wenn du gewollt hättest."

Ich lachte. „Du solltest nicht auf jedes Gerede hören."

„Mach dich nicht lächerlich, Schätzchen! Das ist mein Beruf?"

„Verdammt”, stieß ich hervor, als mir ein Gedanke kam.

„Du schaust ganz finster drein, John, und ich wünschte, du rdest das nicht tun. Das bedeutet nämlich normalerweise, du an irgendetwas Unangenehmes, Gruseliges oder richtig Gefährliches denkst."

„Korrekt in allen drei Vermutungen", sagte ich. „Es gibt einen Mann, vor dem der Sammler zu Recht Angst hat. Jeder mit etwas Hirn im Schädel sollte sich vor dem Entferner fürchten."

Rede zog ihren Arm unter meinem hervor und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Ich hielt auch an. Sie sah mich unverwandt an.

„Tritt mal kurz auf die Bremse, leg den Rückwärtsgang ein und sag das noch mal. Machst du dich über mich lustig, John? Denkst du ich glaube alles, nur weil du es sagst? Der Entferner ist eine moderne Legende. Oder?"

„Leider nein", antwortete ich.

„Aber ... ich kenne niemanden, der ihn gesehen hätte. Ich mir nicht mal wen, der behauptet, ihn gesehen zu haben. Der Unnatural Inquirer hat ein Mordsgeld nur für ein Foto geboten ... Es hat sich niemand gemeldet."

„Weil alle zu viel Angst haben", antwortete ich. „Man legt sich nicht mit dem Entferner an; nicht, wenn man an seiner Existenz hängt.

Bist du ihm jemals begegnet?", fragte Bettie mit bewusst beiufiger Stimme.

„Nein", entgegnete ich, „und ich habe immer gehofft, dass das auch so bleiben würde. Ich glaube nicht, dass er mich billigt, und Dinge und Personen, die der Entferner nicht billigt, haben die unangenehme Tendenz, spurlos zu verschwinden. Der Entferner hat es zu seiner Aufgabe gemacht, inkognito durch die Nightside zu streifen und auf seinem persönlichen Kreuzzug all die Dinge und Personen zu entfernen, die ihm übel aufstoßen. Entfernen wie in sie ,so vollständig verschwinden lassen, dass selbst die Leute ganz oben Schwierigkeiten haben, herauszufinden, was mit den armen Teufeln wirklich passiert ist."

„Er entfernt sie aus der Realität, weil sie ihm übel aufstoßen?”, fragte Bettie.

„Ja, das trifft es ziemlich." Ich begann, wieder die Straße entlangzubummeln, und Bettie trabte mir nach. Diesmal nahm sie nicht meinen Arm. „Im Prinzip zerrt der Entferner Personen auf den Richtblock, die er für eine Gefahr für die Nightside oder die Welt im Großen und Ganzen hält ... oder weil wer oder was sie sind, sein moralisches Weltbild beleidigen. Richter, Geschworener und Henker in einer Person, auch wenn ihn noch niemand dabei gesehen hat."

„Wie ... Jessica Sorrow?", fragte Bettie mit gerunzelter Stirn.

„Nein ... Jessica ließ Teile der Welt verschwinden, an die sie nicht glaubte, und ihr Unglaube war stärker als deren Realität.

Sehr unheimliche Dame. Zum Glück schläft sie im Augenblick sehr viel. Nein, der Entferner sucht sich aus, was er verschwinden lassen will. Niemand konnte seine Opfer je von den Toten zurückholen, und einige ziemlich mächtige Persönlichkeiten haben genau das versucht ... ich kenne kein einziges Gerücht, wie sein Name lauten könnte oder wer er war, bevor er hierher kam, um seine Rolle zu übernehmen, und das an einem Ort, der vor Gerüchten nur so überkocht. Er ist ein Mysterium, und wie es scheint, gefällt ihm das auch so."

„Du jagst mir Angst ein", sagte Bettie. „Bist du dir sicher, dass er in die Angelegenheit verwickelt ist?"

„Nein, aber es klingt nach ihm. Die Jenseitsaufnahme ist genau so ein Ding, das die Aufmerksamkeit des Entferners auf sich zieht. Gerüchten nach offenbart er seine Identität nur denen, die er nachher entfernt, und selbst dann nicht immer. Es gibt Hinweise, dass er sowohl aus nächster Nähe als auch aus einer gewissen Entfernung agiert. Ganz sicher sind ihm Ruhm, ein schlechter Ruf oder Belohnungen egal. Er arbeitet zu seiner eigenen Befriedigung. Es ist schwer, an einem Ort voller Wunder und Alpträume eine moderne Legende zu sein, doch er schafft es. Ich bin fast neidisch."

„Ich habe auch ein Gerücht aufgeschnappt", sagte Bettie vorsichtig. „Dass er einmal versuchte, Walker zu entfernen ... aber das hat nicht geklappt."

Ich zuckte die Achseln. „Falls das tatsächlich je passiert ist, hat Walker es nie erwähnt. Ich nehme an, es ist möglich, dass Walker im Geheimen ganz zufrieden mit dem Entferner ist. Tatsächlich würde es mich nicht überraschen, wenn der Entferner hie und da r ihn arbeitet und Leute verschwinden lässt, die Walker als eine Bedrohung für den Status quo ansieht ... nein ... nein, das kann einfach nicht stimmen."

„Warum nicht?"

„Walker hätte mir den Entferner längst auf den Hals gehetzt." Bettie lachte und nahm wieder meinen Arm. „Du bist ganz schön von dir überzeugt. Irgendeine Idee, wie der Entferner zu seiner Kraft gekommen ist?"

„Wie alle anderen auch. Er hat einen Pakt mit jemandem oder etwas geschlossen. Da fragt man sich, was er wohl im Gegenzug bezahlt hat ... ich denke mal, dass es sowohl der Entferner als auch sein Schutzherr sein könnten, die meine Gabe unterdrücken.

Ich hoffe ja nur, dass es nicht schon wieder der Satan ist."

,.Ich kann Mami anrufen, wenn du willst", bot Bettie an. „Sie hat nach wie vor Kontakt zur alten Firma."

„Ich passe", sagte ich.

Bettie zuckte ungezwungen die Achseln. „Wie du meinst. Du weißt aber, falls wir Donavon nicht vor dem Entferner finden, könnten wir sowohl ihn als auch die DVD verlieren, und meine Zeitung hat wirklich ein Heidengeld für das Ding hingeblättert.

Es kann auch sein, dass wir es nicht mit dem Entferner zu tun haben", sagte ich. „Ich habe nur laut gedacht. Habe mal wild spekuliert. Ich könnte mich irren. Ich habe mich schon häufiger geirrt. Ganz ehrlich, ich wünsche mir, dass ich dieses Mal falschliege."

„Er bereitet dir ernsthaft Kopfzerbrechen, stimmt's?"

Oh ja."

„Ich mache dir mal einen Vorschlag”, sagte Bettie und kuschelte freundschaftlich ihre Brust an meinen Arm. „Wenn du den neuesten Klatsch hören möchtest, frag einen Reporter. Oder noch besser, frag eine Menge Reporter! Komm mit mir, Süßer; ich bringe dich zu Des Druckers Teufel."

Glücklicherweise stellte sich Des Druckers Teufel als eine Bar heraus, in die Reporter nach ihrem Arbeitstag pilgerten; Druckers Teufel war offensichtlich ein alter Spitzname für einen Schriftsetzer. Die Bar hatte eine Stammkundschaft, die fast ausschließlich aus Journalisten bestand, die sich unter Ihresgleichen entspannen und all die Geschichten austauschen konnten, die niemals in Druck gehen würden. In einer schummrigen Seitenstraße gelegen, war Des Druckers Teufel ein altes und bewusst altmodisches Etablissement. Es hatte eine schwarzweiße Fachwerkfassade im Tudorstil mit hervorstehenden Giebeln und einem freihängenden Schild, auf dem ein mittelalterlicher Teufel zu sehen war, komplett mit roter Haut, Spitzbart und einem Hörnerpaar auf der Stirn, das mich sehr an Bettie erinnerte, der eine einfache Druckerpresse bediente. Reporter können Sachen ziemlich wortwörtlich nehmen, wenn sie außer Dienst sind.

Bettie schwebte wie eine Prinzessin auf einem offiziellen Empfang durch die Tür, und ich folgte in ihrem Windschatten. Das Innere des Pubs war genauso altertümlich, mit Sägespänen auf dem Boden, Pferdegeschirren über der Bar und einer niedrigen Decke mit frei liegenden Balken. Ein Dutzend verschiedene Biere wurden gezapft, viele mit altehrwürdigen Namen, wie „Langfords außerordentlich alte gefleckte Henne. Schmecket das Eiweiß!" Eine Schiefertafel pries das typische Bar Food an — Pommes mit allem. Moderne Gegenstände waren weit und breit nicht zu entdecken, Gott sei Dank auch keine Musikbox. Die Horde schäbiger, zwielichtiger Gestalten war an den Tischen und in den Nischen in ohrenbetäubendes Geplauder vertieft, und die Atmosphäre war heiß, schweißtreibend und verraucht. Es war so viel Nikotin in der Luft, dass man es buchstäblich kauen konnte. Ein außerordentliches Geschrei erhob sich, als sie Bettie erkannten, nur um jäh zu ersterben, als sie mich entdeckten. Bettie lächelte die versammelte Belegschaft süß an.

„Ist schon okay", sagte sie. „Er gehört zu mir."

Die Journalisten wandten uns augenblicklich den Rücken zu, um sich wieder ihren Debatten zu widmen, als sei nichts geschehen. Eine der Ihren hatte sich für mich verbürgt, und das genügte. Bettie marschierte zu der umlagerten Bar, und ich schloss mich ihr eilig an. Sie lächelte, winkte und warf diversen Menschen fröhliche Grüße zu, und alle lächelten, brüllten und grüßten zurück. Augenscheinlich war Bettie ein äußerst beliebtes Mädchen. An der Bar fragte ich sie, was sie gern trinken würde, und sie klimperte mit ihren schweren Wimpern und bat mich um einen Geilen Roten Teufel. Der Cocktail bestand aus Gin, Wodka und Worcestersoße in einem Wermut- und Schwefelglas. Jedem das Seine. Wenigstens wurde es ohne Schirmchen serviert. Ich bestellte eine Cola. Eine echte Cola, nicht so ein Diätzeug. Bettie blickte mich an.

"Nie im Dienst", sagte ich würdevoll.

„Echt? Bei mir ist es umgekehrt, Liebling. Ich könnte diesen Job nicht nüchtern erledigen." Sie lächelte heiter. „Mir ist aufgefallen, dass der Barmann kein Geld für die Getränke wollte. Bezahlst du eigentlich jemals für irgendetwas?"

„Ich bezahle meine Rechnungen im Strangefellows", entgegnete ich. „Der Inhaber ist ein Freund."

Ooooh, das Strangefellows, Süßer! Ich habe von der Bar gehört! Es schwirren so viele Gerüchte herum, was im Strangefellows so alles abgeht!"

„Fast alle entsprechen der Wahrheit. Schließlich ist es der älteste Pub der Welt."

„Kannst du mich einmal dorthin mitnehmen, wenn wir diesen Auftrag erledigt haben? Ich würde es lieben, im Strangefellows tanzen zu gehen. Wir könnten etwas entspannen und uns einen hinter die Binde kippen. Vielleicht zeige ich dir sogar meinen Schwanz."

„Wahrscheinlich verschlägt es uns früher oder später ohnehin dorthin", meinte ich. „Bei den meisten meiner Fälle führt mich mein Weg irgendwann in diesen Pub."

Der Barmann donnerte unsere Getränke auf das auf Hochglanz polierte Holz der Bar vor uns und wandte sich dann eilig anderen Dingen zu. Ich mochte den Mann nicht, und ich denke, er spürte das. Er war einer dieser dicklichen, heiteren Typen mit rotem Gesicht und freundlichem Lächeln, die wahrscheinlich versuchten, ein wenig zu plaudern, während sie die Drinks bereiteten. Höchstwahrscheinlich redete er alle Kunden mit „mein Freund" an. Ich warf ihm einen bedeutungsschwangeren Blick zu, und er wieselte an das andere Ende der Bar, um ein paar saubere Gläser zu wienern.

„Mit dir kann man auch wirklich nirgendwo hingehen", schniefte Bettie.

Hinter der Bar hing ein Werbegeschenk, ein Kalender des Unnatural Inquirers, der nicht mit ein paar äußerst wohl entwickelten jungen Damen geizte, denen offensichtlich die Kleider vom Leib geblättert waren. Unter dem Bild prangte der Slogan der Zeitung: BEKOMMST DU ES AUCH REGELMÄSSIG? Einige recht hutzlige Fleischpastetchen waren in einer Glasvitrine ausgestellt, doch ein Blick reichte mir, um mich zu überzeugen, dass ich mir lieber die Zunge herausgerissen hätte, als eines zu probieren. Ein ausgestopfter Fuchskopf an der Wand zwinkerte mir zu, und ich brummte zurück. Tiere sollten ihren Platz kennen. Etwas weiter die Bar hinunter wurde eine altmodische Schreibmaschine von unsichtbarer Hand bedient, von einem echten Ghostwriter. Ich hatte ihn bereits einmal in der Redaktion der Night Times getroffen und konnte mir gerade noch den Kommentar verkneifen, dass Hochgeistiges hier nicht ausgeschenkt würde. Im Endeffekt war der Scherz unter meiner Würde. Ich beugte mich zu der Schreibmaschine hinüber, und das Klacken der Tasten hielt inne.

„Irgendwelche neuen Gerüchte über den Verbleib der Jenseitsaufnahme?”

Worte begannen schnell auf der Seite zu erscheinen: „Die Zukunft ist ungewiss, fragen Sie später noch einmal nach."

Ich überredete Bettie, sich mit ihrem Drink etwas zu beeilen und wehrte höflich ihre Versuche ab zu plaudern, mir näherzukommen oder zu persönlich zu werden, und endlich ließen wir die Bar hinter uns, um uns unter die versammelten Journalisten zu mischen. Bettie fungierte als mein eingeborener Führer, und wir gingen ungezwungen von Gruppe zu Gruppe, wobei ich mein Bestes gab, freundlich und charmant zu sein. Ich hätte mir keine Mühe geben müssen. Die Journalisten hatten nur Augen für Bettie, die ihren besten Flirtmodus hochgefahren hatte — quietschendes Stimmchen, flatternde Wimpern, und wo es nötig war, legte sie auch mal ihr bezauberndes Händchen an. Im Moment trug Bettie eine elegante weiße Bluse, die halb aufgeknöpft war, einen einfachen schwarzen Rock, Netzstrümpfe und hochhackige Schuhe. Ihre Hörner waren klar zu sehen, vielleicht, weil sie sich hier heimisch und sicher fühlte.

Alle Reporter waren gerne bereit, über die Jenseitsaufnahme zu sprechen; jeder hatte irgendetwas aufgeschnappt oder beteuerte es zumindest. Niemand wollte in dieser Gesellschaft den Anschein erwecken, nicht auf Draht zu sein. Leider war das meiste davon zweifelhaft, irreführend oder widersprüchlich. Donavon war da und dort und überhaupt überall gesehen worden, und alle möglichen Personen boten Kopien der Jenseitsaufnahme auf DVD feil. Etwas anderes hätte mich in der Nightside auch überrascht. Hier wussten die Leute einfach, wie man eine gute Idee abkupferte, während der ursprüngliche Erfinder sie noch nicht einmal Ende gedacht hatte. Es gab bereits Gerüchte, einige Leute tten schon gesehen, was auf der DVD war, und seien vor lauter Glückseligkeit sofort aus der Wäsche gefahren. Ob nach Oben oder Unten, konnte allerdings niemand sagen.

Bettie hielt an einem Tisch an und begrüßte einen bestimmten Journalisten besonders giftig mit einem garstigen Blick, der eine Klapperschlange auf vierzig Schritt getötet hätte. Er wirkte auf eine hoffnungslos ölige Art gewieft und kumpelhaft. An ihm sah selbst sein feiner Anzug zerknittert aus, und er trug eine diamantenbesetzte Krawattennadel, die groß genug war, um unter das Waffengesetz zu fallen.

„Möchtest du uns nicht vorstellen?", fragte ich Bettie unschuldig.

Sie schniefte laut. „John, Schatz, dieser schmierige Druckfehler ist Rick Aday, Reporter bei der Night Times."

„Enthüllungsreporter", korrigierte er lässig, und warf mir ein perfektes Lächeln zu, auch wenn seine Zähne etwas vergilbt waren. Er streckte mir die Hand zur Begrüßung hin. Ich sah sie an, und er zog sie wieder zurück. „Sie müssen meine Kolumne gelesen haben, Mr. Taylor, ich habe viel über sie geschrieben: Rick Aday, Schwierigkeiten sind mein zweiter Vorname."

„Nein, dein zweiter Vorname ist Cedric", sagte Bettie verschnupft.

Aday warf ihr einen bösen Blick zu. „Immer noch besser als Deiner, Delilah."

„Leck mich an den Schuppen!"

„Die waren mal zusammen", raunte mir ein anderer Journalist kumpelhaft zu. Ich nickte. Das hatte ich mir gedacht.

„Ich bin der Jenseitsaufnahme schon eine ganze Weile auf der Spur", erzählte Aday hochmütig. „Bin ein paar glaubwürdigen Hinweisen nachgegangen, wenn du es wissen willst. Ich warte im Moment auf den Anruf eines ziemlich kompetenten Informanten, und dann verschwinde ich hier, um Mr. Donavon ein lukratives Angebot für seine DVD zu unterbreiten."

„Das kannst du nicht tun!", keifte Bettie sofort. „Meine Zeitung hat einen rechtmäßigen Vertrag mit Donavon, der uns die Exklusivrechte für sein Material zusichert."

Aday grinste. „Wer's findet, behält's, und die Loser können das ganze dann in der Night Times nachlesen."

„Wie es scheint, ist in der Liebe und im Journalismus alles erlaubt", meinte ich, und Bettie zischte mich an.

Ich wandte mich ab, um Bettie und ihrer alten Flamme zu ermöglichen, sich ungestört zu beschimpfen. Ich hatte bemerkt, dass die nächste Wand eine ganze Reihe Karikaturen berühmter Persönlichkeiten der Nightside aufwies. Bestechende Ähnlichkeit, wenn auch brutal, übertrieben und oft einfach nur seelisch grausam. Sie waren alle mit einem Namen signiert, der mir etwas sagte. Bozies Arbeit war in der ganzen Nightside weithin bekannt und erschien in den besten Blättern und Zeitschriften. Er übertraf sich selbst, wenn es dazu kam, die schlimmsten Charakterzüge einer Person herauszustreichen und sie im gleichen Moment lächerlich erscheinen zu lassen. Die Portraitierten bissen für gewöhnlich die hne zusammen und machten so gut es ging gute Miene zum sen Spiel, da man in der Nightside niemand war, solange Bozie einen nicht karikiert hatte.

Es kursierten Gerüchte, dass Bozie ganz schöne Sümmchen nahm, um eines seiner Kunstwerke zu vernichten, bevor es an die Öffentlichkeit kam. So gelangte man in der Nightside zu einem gewissen Ansehen.

Ich war noch nie ein Freund unnötiger Grausamkeit gewesen. Die sollte man sich für Zeiten aufbewahren, da sie notwendig war.

Ich ging langsam die Wand entlang und sah mir die diversen Werke in Tinte und Tusche in ihren Weichholzrahmen an. All die üblichen Verdächtigen waren versammelt. Selbstverständlich Walker., der sehr sinister dreinblickte und bei dem man eine Spur Inzucht vermuten konnte. Julien Advent, unglaubwürdig edel, mit Heiligenschein und Stigmata. Der Schallmörder in seinem wallenden Mantel aus den Sechzigern, der an einem menschlichen Oberschenkelknochen knabberte, während er dem Betrachter gegenüber eine unanständige Geste machte, und ... Flintensuzie. Meine Suzie. Ich hielt vor der Karikatur an und musterte sie teilnahmslos. Bozie hatte sie als Monster gezeichnet. Ganz schwarzes Fetischleder mit unmöglich großen Brüsten und dem Gesicht einer Axtmörderin. Er hatte jedes Detail ihres Aussehens übertrieben, um sie so hässlich und wahnsinnig wie möglich darzustellen.

Dies war nicht einfach nur eine Karikatur; es war ein persönlicher Angriff. Eine Beleidigung.

„Gefällt es Ihnen?", sagte eine träge Stimme neben mir. Ich sah mich um, und da stand der Künstler selbst - der berühmte oder eher berüchtigte Bozie. Ein großer, schlaksiger Typ in zerknitterten Bluejeans und einem T-Shirt, auf dem ein idealisiert Bild seiner selbst prangte. Er hatte langes, dünnes Haar, dunkle durchdringende Augen und ein ganz offen verächtliches Lächeln. Er wies träge auf Suzies Karikatur. „Die kann man kaufen, wissen Sie. Falls Sie sie haben möchten."

Ich hatte eine Ahnung, wie der Kerl sein Spiel weiterführen würde, doch ich ging darauf ein. „Gut", sagte ich. „Wie viel?"

„Oh, für Sie ... sagen wir runde hunderttausend Pfund." Er kicherte plötzlich. „Ein wahres Schnäppchen. Sie können's auch gern hier lassen, damit die ganze Welt was davon hat. Wer weiß, wie viele Zeitungen und andere Blätter es gerne abdrucken würden?"

„Ich habe eine bessere Idee", antwortete ich.

„Oh, erzählen Sie."

Ich zertrümmerte das Deckglas mit der Faust, und es zersprang in tausend Stücke, so dass scharfkantige Splitter aus dem Rahmen rieselten. Bozie taumelte zurück, die Hände schützend erhoben. Ich riss die Karikatur aus dem Rahmen, zerfetzte sie und ließ die Schnipsel auf den Boden um meine Füße fallen. Bozie glotzte mich mit einem Ausdruck von Schock und blanker Wut an.

„Das ... das können Sie nicht tun!", stammelte er schließlich.

„Das habe ich gerade."

„Ich werde Sie verklagen!"

Ich lachte. „Viel Erfolg."

„Ich kann es jederzeit neu zeichnen", sagte Bozie boshaft. „Sogar noch besser!"

„Wenn du das tust", sagte ich, „werde ich dich finden."

Bozie konnte mir nicht in die Augen sehen. Er sah sich um, hoffte auf Hilfe oder Unterstützung, aber das wollte niemand wissen. Er setzte sich wieder an seinen Tisch, sah mich immer noch nicht an und schmollte. Ich schlenderte zu Betties Tisch zurück und nahm neben ihr Platz. Sie tätschelte meinen Arm.

Das war anständig von dir. Wenn auch ein bisschen heftig für den armen Bozie."

„Zur Hölle", sagte ich. „Ich habe ihm das Leben gerettet. Suzie hätte ihn abgeknallt, sobald sie seiner ansichtig geworden wäre. Freundlichkeit und Zurückhaltung waren noch nie ihre Stärke."

Um den Tisch herum war Husten und Räuspern zu hören, dann wandten sich die Gäste wieder ihren Gesprächen über die Jenseitsaufnahme und der Frage, was wohl darauf zu sehen wäre, zu. Es gab viele unterschiedliche Vermutungen, die man aber folgendermaßen zusammenfassen konnte:

Es gab einen neuen aufsässigen Engel im Himmel, der nach Jahrtausenden der Stille rebellierte, um endlich die Wahrheit über die Menschheit publik zu machen. Warum Gott uns erschaffen hatte, was unser Sinn in der Schöpfung sei und warum wir geboren werden, um zu leiden.

Es war eine Übertragung aus der Hölle, die besagte, dass Gott tot sei und es belegte. Satan herrschte nun über die Welt und quälte uns zu seinem persönlichen Vergnügen. Das würde so einiges erklären.

Ein feststehendes Datum für das letzte Gefecht zwischen den himmlischen und den höllischen Heerscharen. Besser, man machte das Ganze jetzt publik ... weil es in Kürze losging.

Es gab einen Himmel. Aber er war nur für unschuldige Geschöpfe. Menschen sterben lediglich.

Es gab einen Himmel, aber keine Hölle.

Es gab eine Hölle, aber keinen Himmel.

Alles ist ein Riesenhaufen Bockmist.

Um uns herum wurde fleißig genickt, und beim letzten Punkt wurden viele Gläser gehoben. Als irgendwann der Inhalt der DVD aufs Gründlichste durchgekaut worden war, ließ ich die Möglichkeit, der Entferner könne etwas mit der Angelegenheit zu tun haben, ins Gespräch einfließen. Plötzlich spitzten alle die Ohren und überschlugen sich förmlich, um Geschichten und Anekdoten zum Besten zu geben, über die sie irgendwann gestolpert waren, die es jedoch nie in den Druck geschafft hatten. Da niemand etwas beweisen konnte.

„Erinnert ihr euch noch an Jonnie Reggae?", fragte Rick Aday. „Der war Headliner im alten Shell Beach Club. Wenn man den Gerüchten glaubt, verschwand er mitten während seiner Show. Offensichtlich war der Entferner im Publikum und hat irgendetwas an seinen Texten als anstößig empfunden. Die Geschäftsleitung war außer sich. Sie hatte Jonnie für die gesamte Saison gebucht.

„Er soll ein Haus verschwinden haben lassen, in der Blaiston Street", sagte Lovett vom Nightside Observer.

„Das ist nicht richtig", warf ich ein. „Das war ich."

Es gab peinlich berührtes Husten, bis sich Bettie entschied, das Gespräch wieder auf Kurs zu führen.

„Kennt ihr noch Schläger Bates?", fragte sie aufgeregt. „Wollte mal ein Schutzgeldding im Ausbeuterviertel hochziehen. Julien Advent war drauf und dran, das ganze in der Night Times aufzudecken, doch das war plötzlich nicht mehr notwendig, da Bates und all seine Spießgesellen verschwunden waren. Oder was war mit diesem außerirdischen Jäger, der sich als Rettungswagen verkleidet hatte, um die Leute zu fressen, die man in ihn einlud? Das war der Entferner. Angeblich. Er hat viel Gutes getan."

„Ja", stimmte Aday zu, wobei er aber das Wort so sehr in die Länge zog, dass es sich fast wie ein Nein anhörte, „aber schau dir auf der anderen Seite mal an, was er mit der ersten Inkarnation des Club Caligula getan hat. Ihr wisst schon, der Schuppen, der die extremsten sexuellen Spielarten bedient. Ziemlich viele Leute hatten damals einen Mordsspaß, und wenn ihre Bekannten nicht lügen, war alles ab 18 und in beiderseitigem Einverständnis ... aber offensichtlich zu verderbt für die puritanischen Moralvorstellungen des Entferners. Er ließ den Club mit allen Menschen darin einfach verschwinden. Einfach so! Aus diesem Grund hat der neue Club auch so schwere Sicherheitsmaßnahmen, und man kommt fast nicht mehr hinein. Heißt es ..."

Dann war es im gesamten Raum urplötzlich totenstill, als die Tür krachend aufflog und General Kondor in der Begleitung eines Dutzends bis an die Zähne bewaffneter Leibwächter eintrat. Diese sicherten den Raum und steckten erst dann ihre Schusswaffen weg. Der General ließ seinen Blick abschätzig durch den Pub schweifen. Er wirkte nicht gerade beeindruckt - weder von der Bar noch von den Gästen. Er trug immer noch seine Raumflottenuniform mit allen dazugehörigen goldenen Spangen auf der Schulter und einer Reihe Orden auf seiner Brust. Er sah aus wie ein alter Soldat, umgeben von einer ruhigen, gefassten Ausstrahlung, die erkennen ließ, dass er schon viele Männer hatte sterben sehen und dass ihn der Tod nicht im Geringsten beeindruckte.

„Ich will Taylor", sagte er mit einer tiefen, bedächtigen Stimme, die in der Stille wie Donner hallte.

Ich sah auf. „Stellen Sie sich hinten an", sagte ich. „Ich bin beschäftigt."

Er blickte zu mir herüber und überraschte mich mit einem flüchtigen Lächeln. Falls es irgendeine Auswirkung hatte, dann nur, dass er noch gefährlicher schien. „Ich muss mit Ihnen sprechen, Taylor, und Sie müssen sich anhören, was ich zu sagen

Ich sah ihn an, dann seine Leibwachen und dann schließlich all die Reporter, die uns mit geweiteten Augen sichtlich beeindruckt anstarrten, und das war es dann auch. Ich konnte sie nicht enttäuschen. Ich nickte dem General kurz zu, der zackig auf eine Ecknische zeigte. Der junge Mann und die junge Frau, die dort saßen, verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl sofort und verschwanden, wobei sie es so eilig hatten, dass sie sogar ihre Getränke stehen ließen. Der General ließ sich steif in der Nische nieder, und ich folgte seinem Beispiel. Bettie wollte sich anschließen, doch ich blieb hart. Sie schmollte und stampfte mit dem Füßchen auf, doch sie blieb an ihrem Platz. Ich setzte mich dem General gegenüber, und seine Leibwächter bildeten sofort eine schützende Barriere zwischen der Nische und dem Rest der Bar. Ihre Hände ruhten auf den Gewehrkolben. Die Reporter rümpften sichtlich die Nase und wandten sich demonstrativ wieder ihren Gesprächen zu.

Ich sah den General nachdenklich an. „Ich bin mir nicht sicher ob ich wissen will, was Sie zu sagen haben, General. Ich bin kein militärischer Typ. Ich habe ein Problem mit Autoritätspersonen und arbeite ungern in einem Team."

„Viele Leute hören nicht gern, was gut ist für sie. Die Ordnung in der Nightside verändert sich. Die Autoritäten sind Vergangenheit, und jemand muss sie ersetzen, ehe dieser gesamte Ort sich im Kampf um die Beute selbst zerfetzt. Ich kann die Nightside auf den rechten Weg führen. Sie zu einem Ort machen, auf den man stolz ist. Ich habe die Unterstützung aufrechter und einflussreicher Personen, aber ich könnte auch Sie an meiner Seite gebrauchen."

„Warum mich?", fragte ich aufrichtig neugierig.

„Seien Sie bitte nicht so heuchlerisch", seufzte der General und beugte sich über den Tisch nach vorn. „Sie waren immer ein Kämpfer für das Gute in der Nightside. Sie helfen Menschen. Es ist bekannt, dass Sie Ihre eigene Art von Gerechtigkeit walten lassen, wenn es notwendig ist. Helfen Sie mir, die Nightside vor ihren Ausschweifungen zu retten."

„Sie können den Wechsel in der Nightside nicht erzwingen“, sagte ich. Irgendwie erwärmte ich mich langsam für die linkische Ehrlichkeit des Generals, wenn mir auch sein Ziel missfiel. Also antwortete ich wahrheitsgetreu, wenn auch nicht gerade das, was er hören wollte. „Die Nightside ist, wie sie sein will. Sie hat Kriege gegen Himmel und Hölle ausgefochten, um ihren eigenen Weg zu gehen. Das Beste, was Sie erreichen können, was irgendeiner von uns erreichen kann, ist, den Wandel zum Besseren in kleinen Schritten herbeizuführen."

„Die Nightside hatte Jahrtausende, um erwachsen zu werden entgegnete der General. „Wenn sie sich selbst retten könnte, hätte sie es schon lange getan - sie braucht eine feste Hand, sie braucht Ordnung und Kontrolle, die von oben durchgesetzt werden, wie jede militärische Einheit, die nachlässig geworden ist. Walker hat es versucht, aber er war nur der Schoßhund der Autoritäten. Er kann die Nightside nicht führen. Er muss ersetzt werden."

„Viel Glück", antwortete ich.

Er lächelte nochmals. „Falls ich gedacht hätte, dass es einfach wird, würde ich nicht mit Ihnen reden."

„Er hat die Stimme", sagte ich.

„Die wirkt bei Ihnen nicht", meinte der General.

Ich hob eine Braue. „Wollen Sie, dass ich ihn das nächste Mal auf die Wange küsse?"

„Ich will, dass Sie das Richtige tun. Das Beste für alle."

„Selbst ich weiß nicht, was das sein könnte", sagte ich, „und ich habe weit länger danach gesucht als Sie."

„Wenn Sie nicht für mich sind, sind Sie wider mich", antwortete der General glatt, „und falls Sie nicht bald eine Seite wählen, kann es sein, dass die Wahl für Sie getroffen wird."

Ich lachte. „Auch dabei viel Glück."

Er lachte kurz und leise. „Ich hätte einen Mann wie Sie auf im meinem Flaggschiff brauchen können. Sie verbiegen sich nicht und geben nie nach. Nicht wahr?"

»Weshalb ist Ihnen das so wichtig?" fragte ich ernst. „Sie sind noch nicht lange hier. Warum diese Begierde, die Nightside vor sich selbst zu retten?"

Ich muss handeln", sagte der General. „Ich konnte meine Flotte nicht retten. Ich konnte meine Männer nicht retten. Ich muss irgendetwas tun ..."

Er stand auf, und ich tat es ihm nach. Er bot mir die Hand, und ich schüttelte sie. Der General verließ Des Druckers Teufel mit seiner Leibwache, und ich ging zu Bettie Göttlich zurück.

.Na?", fragte sie und hopste in ihrem Sessel auf und ab. „Was sollte dieser Zirkus?"

„Nur Politik", antwortete ich. „Nightsidepolitik. Irgendwas Neues oder Nützliches passiert, während ich weg war?"

„Aber John ...!"

„Weiter geht's", sagte ich.

„Sie sollten mit dem Sammler sprechen", meinte Rick Aday.

„Haben wir schon”, antwortete Bettie.

„Oh." Für einen Augenblick wirkte Aday niedergeschlagen, dann jedoch erhellte sich seine Miene. „Gut, aber was ist mit dem Kardinal? Ihr wisst schon, der einst die verbotene Bibliothek des Vatikans unter sich hatte? Bis man herausfand, dass er heimlich Dinge für seine Privatsammlung herausschmuggelte. Er musste fliehen und landete hier, wo er sich einen ziemlich eindrucksvollen Hort an religiösen Artefakten zugelegt haben soll. Er ist euer Mann. Falls irgendjemand nahe an die Jenseitsaufnahme herangekommen ist, dann der Kardinal."

„Guter Tipp", sagte ich. „Bettie, wir sollten dem Kardinal eine Besuch abstatten. Es ist ohnehin zu lange her, dass ich ihm um seines Seelenheils willen eine Höllenangst eingejagt habe."

„Ah", schmunzelte Aday. „Angeblich ist er umgezogen und hat seine Sammlung mitgenommen. Kaum jemand weiß, wo er sich im Moment aufhält."

„Aber du weißt es", mutmaßte Bettie.

„Natürlich."

„Oh bitte, bitte, Ricky-Schatz, sag' uns, wo er ist!", gurrte Bettie und flatterte ihm mit ihren göttlichen Wimpern verführerisch zu „Ich werde mich unglaublich dankbar erweisen, das verspreche ich."

Aday lächelte triumphierend. „Was lässt dich denken, dass ich eine wertvolle Information wie diese einfach so hergebe?"

„Weil Bettie nett gefragt hat", sagte ich. „Ich werde das nicht tun."

Aday gab uns die neue Adresse des Kardinals und eine Wegbeschreibung. Bettie und ich verließen Des Druckers Teufel. Sie winkte zum Abschied und hauchte Küsschen in alle Richtungen. Ich nicht. Ich hatte schließlich meine Würde.

 

 

 

 

 

Hitzige Gefühle

aus unerwarteten Richtungen

 

 Es ist schwer, den Ruf eines grimmigen, mysteriösen Einzelgängers aufrechtzuerhalten, wenn man von einem grellbunt gekleideten jungen Ding begleitet wird, das fröhlich neben einem herhüpft, Händchen hält und jeden ganz besonders lieb anlächelt. Trotzdem fühlte es sich gut an, Bettie bei mir zu haben. Ihr unerschütterlicher Enthusiasmus und Optimismus halfen mir, die Last leichter zu tragen, die mir bis jetzt überhaupt nicht bewusst gewesen war. Durch sie ... fühlte ich mich wieder ungemein lebendig.

Wir folgten Ricks Wegbeschreibung und bewegten uns in Richtung einer der mieseren Gegenden der Nightside, wo heruntergekommene Läden und Kaufhäuser enge Gassen säumten, dir Hälfte der Straßenlaternen kaputt war und bei den meisten Neonschildern der eine oder andere Buchstabe fehlte. Die Art Geschäft, in dem das ganze Jahr über Schlussverkauf ist, wo man sich auf eine ziemlich überzeugende Kopie einer bestimmten Marke spezialisiert hat, die gerade besonders angesagt ist, und in dem der Kunde nicht nur achtgeben, sondern am besten einen großen Prügel mit sich führen und seine Finger beim Verlassen des Geschäftes nachzählen sollte. Läden, die befleckte Träume und abgeschmackte Alpträume verkaufen, irreführende Wunder und seltsame Apparaturen, bei denen meist die Batterien leer waren. Mit anderen Worten, das untere Ende der Nahrungskette. Touristenfallen und die Brutstätte jeglicher billigen, fiesen Betrügerei, die man sich nur vorstellen kann. Die Menschenmenge war hier genauso dicht und rempelte sich gegenseitig vom Randstein und drängelte sich gegenseitig rücksichtslos aus dem Weg. Jeder liebte Schnäppchen.

Dann liefen urplötzlich alle schreiend davon. Ich hielt an, um mich umzusehen. Ich hatte doch gar nichts getan! Die Menge stob auseinander und gab den Blick auf Königin Helena frei, die die Straße entlangschritt und mich verärgert anstarrte. In ihrem Kielwasser ein kleines Heer von Speichelleckern, Anhängern und Bewaffneten. Ich blieb unerschüttert stehen und tat mein Best so lässig und unbeeindruckt wie möglich auszusehen. Bettie presste sich eng an mich und zitterte vor Aufregung. Königin Helena hielt schließlich mir direkt gegenüber unwirsch an und fixierte mich mit kalten, distanzierten Blicken. Von Kopf bis Fuß war sie in dicke, weiße Pelze gehüllt, die sich teilten, als sie eine möglichst königliche Pose einnahm, und den Blick auf ihre bläulichweiße Haut freigaben. Da stand sie nun wie jemand, der erfroren und im Permafrost begraben worden war. In ihren grausamen, edlen Zügen fand sich keinerlei Wärme, und in ihren Augen funkelte arroganter Hochmut. Sie sah mich an und erwartete offensichtlich, dass ich mich hinkniete, mich verbeugte oder ihre Hand küsste. Also ignorierte ich sie und schenkte meine ganze Aufmerksamkeit den bunten Gestalten, die aus der Nachhut ihrer Armee nach vorne an ihre Seite getreten waren.

„Schau dir das gut an", raunte ich Bettie vergnügt zu. „So viele prominente Mitglieder des Exilantenclubs bekommt man nicht aller Tage in der Öffentlichkeit zu Gesicht. Im Großen und Ganzen lungern diese aristokratischen Habenichtse lieber in ihren eigenen exklusiven Clubs unter ihresgleichen herum, reden sich gegenseitig noch immer mit den alten Titeln an, da sie die einzigen sind, die das noch tun. Sie liegen sich gegenseitig mit Erzählungen von verlorenen Ländereien und untergegangenen Reichen in den Ohren, und beschweren sich, dass an diesem grässlichen Ort niemand ihre wahren Qualitäten erkennt und dass man heutzutage einfach kein gutes Dienstpersonal mehr bekommen kann.

Der glatzköpfige Bucklige zu Königin Helenas Linken, der wie ein Geier aussieht, ist Zog, König der Kobolde. Es heißt, er habe die verranzten Federroben in den dreißig Jahren, die er hier nun schon sein Unwesen treibt, niemals ausgezogen und kein einziges Mal gewaschen. Versuch, nicht in der falschen Windrichtung zu stehen. Königin Mab persönlich hat ihn vom Feenhof verbannt, da er seinen Glamour benutzte, um menschliche Frauen rumzukriegen. Nachdem er seinen Spaß gehabt hatte, tötete er sie immer, aber das war Mab egal. Sex außerhalb der eigenen Art ist eines der größten Tabus der Feen. Nun ist er also hier, nachdem sie Ihm seinen Glamour genommen hat, ein gewöhnlicher Vergewaltiger und Mörder, dessen Titel nichts bedeutet.

Neben ihm haben wir Seine Hoheit Tobermoret, einst Monarch von ganz Schwarzafrika. Wahrlich ein dunkler, vornehmer Gentleman in seinem Anzug aus Zebrahaut und seiner Halskette aus Löwenklauen. Tobermoret war der Kriegshäuptling eines ganzen Kontinents, bis seine Untertanen bemerkten, dass er Kriege und Rebellionen nur zu seinem persönlichen Vergnügen vom Zaun brach. Er liebte es, junge Männer in den Tod zu schicken, während er entspannt in seinem Zelt saß und das Schlachtfeld überblickte. Es geht das Gerücht, seine Leute hätten ihn kastriert, ehe sie ihn durch eine Zeitanomalie warfen, und deshalb hat er immer so eine Stinklaune.

An Königin Helenas anderer Seite steht Prinz Xerxes, der Mordmonarch, und ja, das sind wirklich konservierte menschliche Augen und Organe und anderer Krimskrams, der da von all den Ketten baumelt, in die er sich gewickelt hat. Aber wenn man bedenkt, wie sehr er vergammelt ist, seit er hier angekommen ist, würde man sich wünschen, er trüge ein bisschen mehr als nur Ketten. Er praktiziert Nekromantie, die Magie des Mordes. Einerseits, weil das dort, wo er herkommt, Tradition ist, andererseits, weil es ihn einfach anmacht. Auch wenn er Touristen in Ruhe lässt, seit Walker ein Wörtchen mit ihm gewechselt hat.

Neben Xerxes schließlich haben wir König Arthur aus Finsteralbion. Für jeden gleißenden Traum gibt es irgendwo ein düsteres Spiegelbild. Für jede helfende Hand einen Tritt ins Gesicht. In Finsteralbion hatte Merlin Satansbrut beschlossen, den Eigenschaften seines Vaters zu frönen, anstatt ihnen zu entsagen, und so zog er den jungen Arthur zu seinem schrecklichen Ebenbild heran Unter ihrer Herrschaft wurde Camelot zum Ort des Blutes und des Schreckens, wo Ritter in furchtbaren Rüstungen sich an den Herzen guter Männer labten und Albion von einem Ende zum anderen mit brennenden Weidenmännern erleuchtet war. Der einzige Grund, warum ich Arthur nicht rein aus Prinzip getötet habe, ist, weil ich zu beschäftigt mit Wichtigerem war."

Ich grinste Königin Helena an. „Ich denke, das war alles. Oder habe ich etwas Wichtiges ausgelassen?"

„Du liebst wirklich den Klang deiner Stimme, Taylor", sagte Königin Helena, „und du wirst mich gefälligst mit Eure Majestät anreden."

„Erst am Sankt Nimmerleinstag", antwortete ich fröhlich. „Was willst du von mir, Helena? Oder führst du nur deine Verbannten Gassi?"

Sie brauchte einen Augenblick, bis sie eine Antwort parat hatte, Sie war es nicht gewohnt, dass jemand offen gegen sie aufbegehrte geschweige denn, sich über sie lustig machte. „Du bist gesehen worden", sagte sie schließlich, „wie du mit General Kondor gesprochen hast. Du wirst mir sagen, worum es bei dem Gespräch ging. Wie hast du dich entschieden? Welche Pläne habt ihr geschmiedet? Verrate mir alles, und ich werde dir einen Platz in meiner Armee zuweisen. Macht und Reichtum werden dein sein. Ich könnte einen Mann wie dich gebrauchen, Taylor."

„Ah, wie schön es doch ist, beliebt und begehrt zu sein", griente ich. „Die Herrschaft über die Nightside steht auf dem Spiel, und plötzlich will mich jeder an seiner Seite haben. Schmeichelhaft aber ... ziemlich ärgerlich. Ich bin gerade beschäftigt, Helena, und ich muss zugeben, selbst wenn ich nichts zu tun hätte ... es gibt nicht genug Gold in der gesamten Nightside, dass ich überredet werden könnte, für dich zu arbeiten, geschweige denn für diese Horde Kotzbrocken mit schnulzigen Titeln."

„Warum sprichst du so mit mir?", fragte Helena. „Wenn du genau weißt, dass ich dich dafür töten werde?"

Ich zuckte die Achseln. „Ich denke, du bringst einfach das schlechteste in mir an die Oberfläche. Es gibt einfach gewisse Scheiße, die ich mir nicht gefallen lasse."

Ihre Arme schossen unter ihrer Robe hervor, und die Haut wölbte sich bereits, als Tech-Implantate durch die bläulich weiße Haut drangen. Stumpfgraue Mündungen zielten auf mich. Zog hob einen verschrumpelten Arm, um mit einem Handschuh aus gehämmertem Kupfer zu protzen, an dem geschärfte Klauen blitzten und um den arkane Energien brummten. Tobermoret donnerte das Ende seines langen Stabes auf das Pflaster, und all die Runen und Siglen, mit denen er beschnitzt war, begannen in einem beunruhigenden Licht zu leuchten. Xerxes zog ein Paar langer, gebogener Dolche mit gezackter Klinge, die eher wie die Werkzeuge eines Fleischers aussahen. Er grinste mich an und zeigte dabei einen Mund voll brauner, spitz zugefeilter Zähne. Arthurs schwarze, brutal aussehende Schlachtrüstung erwachte zum Leben, als ihre Metallteile über ihn krochen und zu sich selbst in gespenstischen Stimmen wisperten. In dem Stahlhelm glühten seine Augen wie Leichenfeuer.

Hinter Königin Helena und ihren Verbannten hoben bewaffnete und gepanzerte Männer ihre unterschiedlichen Mordinstrumente und harrten ungeduldig auf den Angriffsbefehl.

Bettie stieß sachte, winselnde Laute aus und sah aus, als wäre sie lieber ganz woanders, aber sie blieb neben mir stehen.

Ich trat einen jähen, bestimmten Schritt vor, damit ich Helena direkt in die Augen blicken konnte. „Ich hätte König der Nightside sein können, wenn ich gewollt hätte. Dem war nicht so. Hast du wirklich geglaubt, ich hätte vor jemandem wie dir Haupt und Knie gebeugt?"

Ich habe starke Verbündete!", rief Königin Helena. „Eine Armee wartet nur auf meinen Befehl! Ich habe mächtige Waffen!"

Ich lachte ihr ins Gesicht. „Glaubst du, das würde einen Unterschied machen? Ich bin John Taylor."

Helena hielt meinem Blick länger stand, als ich erwartet hatte, doch schließlich brach sie den Blickkontakt ab und wich einen Schritt zurück. Ihre Tech-Implantate verschwanden wieder unter ihrer Haut. Ich sah mich ohne jede Eile um, und auch die Verbannten traten zurück und sicherten ihre Waffen. Ihre Anhänger. scharrten unruhig mit den Füßen und sahen einander an. Einige flüsterten meinen Namen.

Weil ich John Taylor war und weil niemand vorhersagen konnte, was ich tun würde. Es fiel mir schwer, nicht eklig zu lächeln.

Genau in diesem Moment, nun, da alles so gut lief, stürmte Oberstadt-Taffy Lewis an der Spitze einer eigenen kleinen Armee aus Schlägern, Leibwächtern und Vollstreckern die Straße entlang. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet. Ich wandte Königin Helena den Rücken zu, um mich Taffy entgegenzustellen. Bettie gluckste tief in ihrer Kehle und klammerte sich so eng an mich, dass sie sich praktisch in meiner Manteltasche versteckte. Taffy stampfte auf mich zu, pflanzte seine in exquisit geschneiderte Kleidung gepresste Masse vor mir auf, hielt einen Moment inne, um nach der Anstrengung wieder zu Atem zu kommen, und ignorier mich zunächst völlig, um Königin Helena und die Verbannten wütend anzufunkeln.

„Warum redest du überhaupt mit diesen Ewiggestrigen?" knurrte er mich an. „Du weißt, wer in der Nightside die Macht hat. Warum bist du nicht zu mir gekommen, um zu reden?"

„Ich will eigentlich mit überhaupt niemandem sprechen", sagte ich melancholisch. „Ich sage schon die ganze Zeit, dass ich im Augenblick sehr beschäftigt bin, aber ..."

„Was auch immer sie dir angeboten haben, ich verdopple es", japste Taffy, „und du kannst dir sicher sein, dass ich im Gegensatz zu denen da meinen Teil der Abmachung halte. Ich will dich an meiner Seite, Taylor, und ich bekomme immer das, was ich haben will."

„Ich schlage vor, dass du das mit Helena ausdiskutierst", meinte ich. „Sie scheint zu denken, sie hätte Exklusivrechte an mir, und du würdest nicht glauben, was für schlimme Dinge sie über dich erzählt hat."

Alles, was ich dann noch tun musste, war, schnell aus dem Weg gehen, als Oberstadt-Taffy Lewis vorwärts stürzte, um sich auf nigin Helena zu werfen und ihr Beleidigungen in das kalte, unbewegte Gesicht zu schleudern. Sie zischte Unfreundlichkeiten zurück, dann legten sich die Verbannten mit Taffys Leutnants an, und plötzlich gingen sich die beiden Armeen gegenseitig an die Kehle. Ich hatte mich schon in Sicherheit gebracht und Bettie den ganzen Weg hinter mir hergeschleift, als in unserem Rücken ein offener Krieg ausbrach. Die Touristen waren begeistert und sahen sich das Ganze aus sicherer Entfernung an, manche filmten sogar, um es später noch einmal zu genießen.

Helena hatte ihre Implantate, die Verbannten und ihre Anhänger, Taffy jedoch hatte die Überzahl auf seiner Seite. Die Masse überwältigte Königin Helena und ihre Leute trotz ihrer neumodischen Waffen und begrub sie unter sich. Ich sah, wie Zog zu Boden ging und unter schweren Stiefeln zertrampelt und wie Tobermoret mit seinem eigenen Stab verprügelt wurde, bis dieser brach. Xerxes weidete man mit seinen eigenen Dolchen aus. Helena und Arthur hielten sich zurück und töteten jeden, der in ihre Reichweite kam, bis die Übermacht zu groß wurde; dann verschwand das Paar in einem plötzlich aufgleißenden Licht und ließ die kämpfenden Armeen auf der Straße zurück. Die Leichen formten langsam kleine Hügel, und Blut floss dick in der Gosse.

Politik in der Nightside ist nie langweilig.

Ich begann, eine Seitenstraße hinabzugehen und das Gemetzel hinter mir zurückzulassen. Bettie trottete neben mir und blickte immer wieder über ihre Schulter zurück.

„Das war's dann?", fragte sie. „Wirst du überhaupt nichts tun?“

„Habe ich nicht genug getan?", wollte ich wissen. „Wenn die miteinander fertig sind, werden zwei der bedrohlichsten bewaffneten Mächte der Nightside sich gegenseitig ausgerottet haben. Was willst du denn noch?"

Nun, ich dachte ... eigentlich habe ich erwartet ..."

Was?"

„Ich weiß nicht! Einfach etwas ... Dramatischeres! Du bist John Taylor! Ich dachte, ich könnte dich endlich in Aktion erleben!”

"Aktion wird überbewertet", feixte ich. „Es kommt nur darauf an, wer gewinnt. Ist dir das Material nicht gut genug für deine Story?"

„Doch, ja, aber ... es ist nicht genau das, was ich erwartet habe. Du bist nicht, was ich erwartet habe." Sie sah mich nachdenklich an. „Du hast dich Königin Helena, den Verbannten und ihrer Armee entgegengestellt, und die haben den Schwanz eingezogen. Hast du geblufft?"

Ich schmunzelte. „Das werde ich dir nie verraten."

Bettie lachte laut. „Mit dieser Geschichte mache ich mir einen Namen als Journalistin! Meine Tage auf der Straße mit John Taylor!"

Sie packte mich bei den Schultern, drehte mich zu sich herum und küsste mich heftig auf die Lippen. Es war ein Impuls. Eine glückliche Geste. Sie konnte alles, aber auch nichts bedeutet haben. Wir standen einen Augenblick aneinandergepresst da, dann löste sie sich von mir und sah mich mit geweiteten, fragende Augen an. Ich hätte sie wegstoßen können. Hätte die Situation mit einem Lachen oder einem Scherz entschärfen können. Aber das tat ich nicht. Ich zog sie an mich und küsste sie. Weil ich es wollte. Sie füllte meine Arme aus. Wir küssten einander, bis uns der Atem schwand, während unsere Hände auf unseren Körpern auf und ab glitten. Schließlich lösten wir uns voneinander und sahen einander an. Ihr Gesicht war nahe an meinem, und ihr beschleunigter Atem schlug mir ins Gesicht. Sie war errötet, und ihre Augen leuchteten sehr hell. Mein Kopf war von ihrem Parfum und ihrem Geruch erfüllt. Ich spürte, wie ihr Herz so nahe an meinem raste, wie sich ihr Körper bestimmt an meinen presste.

„Nun", meinte sie. „Das habe ich nicht erwartet. Es ist wohl eine Weile her, dass du jemanden geküsst hast? Dass du ...?"

Ich stieß sie sanft von mir, und sie ließ es zu. Aber ihre Augen hielten mich fixiert.

 

„Ich kann das nicht”, stieß ich hervor. Meine Stimme klang ganz und gar nicht nach mir. Sie klang nicht wie die Stimme von jemandem, der sich unter Kontrolle hat.

„Dann ist es wahr, was man über Suzie sagt", sagte Bettie. Sie klang sanft und überhaupt nicht wertend. „Sie kann nicht ... oh, die Arme - und du Armer, oh John. Das ist keine Art zu leben. Du kannst keine Beziehung mit jemandem führen, den du nicht einmal berühren kannst."

Ich liebe sie", erwiderte ich. „Sie liebt mich."

Das ist keine Liebe", antwortete Bettie. „Das ist eine verwundete Seele, die sich Trost suchend an eine andere krallt. Ich könnte dich lieben, John."

Natürlich könntest du das", sagte ich. „Du bist die Tochter eines Sukkubus. Liebe ist einfach für dich."

Nein", sagte sie. „Im Gegenteil. Ich lache und schäkere und klimpere mit den Wimpern, weil man das von mir erwartet und weil es hilfreich ist, zumindest in meinem Beruf. Aber das bin nicht ich. Oder zumindest nicht ganz ich. Ich zeige diese Seite nur Menschen, die mir etwas bedeuten. Ich mag dich. Bewundere dich. Ich könnte lernen, dich zu lieben. Könntest du ...?"

„Ich kann im Augenblick nicht darüber reden", sagte ich.

Aber irgendwann wirst du darüber sprechen müssen, und manchmal ... kann man Fremden etwas anvertrauen, das man sonst niemandem sagen könnte."

„Wir sind keine Fremden", antwortete ich.

Oh, danke, John. Das ist das Netteste, was du bis jetzt zu mir gesagt hast."

Sie trat vor und schmiegte den Kopf an meine Schulter. Wir hielten einander sanft fest. Keine Leidenschaft, kein Druck, nur ein Mann und eine Frau, die zusammen waren, und es fühlte sich an, verdammt gut. Es war wirklich lange her, seit ich jemanden in den Armen gehalten hatte. Es fühlte sich an ... als ob ein Teil von mir geschlafen hätte. Am Ende schob ich sie von mir.

Wir müssen den Kardinal finden", sagte ich fest. „Donavon und seine vermaledeite Aufnahme sind immer noch irgendwo da draußen, und das bedeutet, dass Leute wie Taffy und Helena dahinter her sind, da sie hoffen, dass es ihren Ambitionen nützlich sein könnte. Mir gefällt nicht, wie sie mit ihren Armeen in aller Öffentlichkeit angegeben haben."

„Walker wird schon etwas unternehmen", meinte Bettie.

„Das ist es ja gerade, was mir Sorgen bereitet", entgegnete ich.

Rick Adays Wegbeschreibung führte uns schließlich zu einem schäbigen kleinen Geschäft, das sich Der Rosa Kakadu nannte. Ein einzelnes Schaufenster in einer langen Reihe von Läden, das zwischen einem Geschäft für gebrauchte Grimoires und einer Kannibalenmetzgerei eingeklemmt war. Das Fenster war voller Fetischklamotten, die aus wenig mehr als einigen Lederstreifen und Plastikbändern zu bestehen schien. Ein paar Korsette und BHs und ein Paar hochhackige Stiefel, die selbst mir zu groß waren. Räucherlampen, Plüschhandschellen und etwas mit Metalldornen, das ich mir gar nicht genauer ansehen wollte. Ich probierte den Türknauf, doch es war abgeschlossen. Eine verrostete Stahlgegensprechanlage war im hölzernen Türrahmen eingelassen. Ich drückte auf den Knopf und beugte mich näher heran.

„Mein Name ist John Taylor. Ich bin hier, um den Kardinal zu sprechen. Öffnen Sie, oder ich puste und pruste und blase die Tür aus den Angeln!"

„Dieses Etablissement ist geschützt", sagte eine leise, distinguierte Stimme. „Selbst vor Leuten wie dem berüchtigten John Taylor. Also verschwinden Sie, oder ich hetzte Ihnen die Höllenhunde auf den Hals."

„Wir müssen uns unterhalten, Kardinal."

„Überzeugen Sie mich."

„Ich war gerade beim Sammler", sagte ich. „Um die verschwundene Jenseitsaufnahme zu erörtern. Er hatte sie nicht. Nun lassen Sie mich entweder herein, oder ich sage ihm, Sie hätten sie und erzähle ihm in allen schillernden Details, wo er Sie finden kann, und Sie wissen ganz genau, wie scharf er darauf ist, ihre Sammlung seiner eigenen einzuverleiben."

„Brutaler Kerl", meinte die Stimme emotionslos. „Na gut. Ich denke, es ist besser, wenn Sie hereinkommen, und bringen Sie Ihr Dämonenflittchen mit."

Wir hörten, wie mehrere Schlösser geöffnet und Riegel zurückgeschoben wurden, dann schwang die Tür vor uns auf. Ich marschierte hinein, gefolgt von Bettie. Gut möglich, dass Fallen, versteckte Falltüren oder andere unangenehme Dinge auf uns warteten, aber in der Nightside kann man sich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Mut ist alles. Die Tür fiel hinter uns zu, und die Schlösser klickten. Ich war nicht überrascht, dass das Innere des Ladens nicht zu seinem Äußeren passte. Erstens war das Innere um einiges größer. Das ist einer der beliebtesten Zauber der Nightside, einfach große Orte an einen begrenzten Platz zu stopfen, da Lebensraum und Geschäftsräume äußerst rar gesät sind. Das Problem liegt in den magischen Sprüchen, die nur allzu oft von stümperhaften Hinterhofmagiern in aller Eile gewirkt werden, die sich nur in bar bezahlen lassen. Es bedarf nur eines winzigen Fehlers im Spruch, eines falsch ausgesprochenen mystischen Wortes; dann kann es passieren, dass der Spruch ohne Vorwarnung in sich zusammenbricht. Das Innere dehnt sich urplötzlich zu seiner wahren Größe aus und drückt alles aus dem Weg ... und dann klaubt man tagelang Körperteile aus den Trümmern dessen, was einst eine Straße war.

Das Innere des Ladens erstreckte sich weit vor mir, hell erleuchtet und geräumig, mit glänzenden Holzregalen und einem makellosen Boden. Die gewaltige, scheunenartige Konstruktion war angefüllt mit Meilen von offenen Glasvitrinen und Ständen, auf denen Hunderte bizarrer und wundersamer Gegenstände ausgestellt waren. Bettie stieß begeisterte Oooh!- und Aaah! - Laute aus, und ich musste sie mit Gewalt daran hindern, Gegenstände aus den Regalen zu pflücken, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Der Kardinal hatte gesagt, dieser Ort sei geschützt, und ich glaubte ihm. Hätte der Ort nicht unter starkem Schutz gestanden, wäre er schon längst vom Sammler geplündert worden.

Der Kardinal kam den hell erleuchteten Hauptgang entlanggeschlendert, um uns zu begrüßen. Er war ein großer, gut proportionierter Mann Ende Vierzig mit hohen Wangenknochen, eine gewinnenden Lächeln und einer Spur Mascara um die Augen. Er trug hautenge, weiße Freizeithosen und ein offenes rotes Hemd das den Blick auf seinen Nabel und seine rasierte Brust freigab und einen lose sitzenden, gemusterten Seidenschal um seinen Hals. Er hatte einen Martini in einer Hand und bot uns die andere nicht zum Gruß an.

„Wow", staunte ich. „Als Ihnen die Kirche Ihre Robe weggenommen hat, war sie offensichtlich ziemlich gründlich."

Der Kardinal lächelte mich entspannt an. „Die Mutter Kirche war noch nie mit meinen ... Vorlieben einverstanden. Auch wenn wir für einige der wundervollsten Kunstwerke verantwortlich sind, die die größten Kirchen und Kathedralen schmücken. Sie haben es nur so lange mit mir ausgehalten, weil ich nützlich war und ... diskret. Hat mir im Endeffekt auch nicht viel genutzt, als sie mir schließlich auf die Schliche kamen und mich anklagten ... es ist ja nicht so, dass ich etwas Wichtiges oder Bedeutsames genommen hätte. Wie auch immer; wenigstens muss ich diese grässlichen Roben nicht mehr tragen. So öde, und unten rum hat es immer schrecklich gezogen."

„Entschuldigung", mischte sich Bettie ein, „aber warum heißt das Geschäft eigentlich Der Rosa Kakadu? Was hat das mit ...na ja ... all dem hier zu tun?"

Das Lächeln des Kardinals wurde noch breiter. „Es ist ein kleiner Scherz. Es heißt so, weil ich einmal einen Kakadu besaß."

Bettie lachte. Ich warf dem ehemaligen Diener Gottes meinen besten Lassen-Sie-uns-bitte-zum-Punkt-kommen-Blick zu.

„Sind Sie gekommen, um einen Blick auf meine Sammlung zu werfen?", fragte er, während mein Blick an ihm abprallte. Er trank geziert von seinem Martini und spreizte elegant einen Finger ab. „Bitte schön. Tun Sie, was Sie nicht lassen können."

Ich wanderte zwischen den Regalen umher, um nicht unhöflich zu erscheinen und weil ich doch ein wenig neugierig war. Ich hielt Bettie eng an meiner Seite und passte auf, dass sie immer einen respektvollen Sicherheitsabstand zu den Ausstellungstücken wahrte. Ich bin mir sicher, dass der Kardinal ein Anhänger der Du-hast-es-kaputtgemacht-du-zahlst-dafür-Philosophie war. Er flanierte geduldig hinter uns her. Ich erkannte einige Dinge auf den Regalen, manche aber nur, weil ich davon gehört hatte. Der Kardinal hatte sie hilfreicherweise alle mit Etiketten, die penibel beschriftet waren, versehen. Es gab ein Evangelium der Maria Magdalena. (Mit Illustrationen, und ich ahnte, was für Abbildungen das waren.) pstin Johannas Dienstroben. Der Strick, mit dem Judas sich erhängt hatte. Ein halbes Dutzend Leinwände mit den Arbeiten der großen Meister, die ziemlich pornografische Szenen aus den saftigeren Kapiteln des Alten Testamentes darstellten, auch wenn die moderne Kunstgeschichte nicht das Geringste davon wusste. Wahrscheinlich private Auftragsarbeiten aristokratischer Mäzene aus den jeweiligen Perioden. Eine satanische Bibel, gebunden in schwarze Ziegenhaut, auf die ein umgedrehtes Kruzifix geprägt war.

„Das hier ist wirklich ein absolutes Sammlerstück", erklärte der Kardinal, der sich näher an mich heranlehnte, um mir über die Schulter zu spähen. „Hat Gilles de Rais gehört, dem alten Ungeheuer selbst, bevor er auf die Jungfrau von Orleans traf. Es gibt nur siebzehn Exemplare in dieser Ziegenhaut."

„Warum siebzehn?", wollte Bettie wissen. „Das ist eine willkürliche Zahl, nicht wahr?"

„Ganz meine Rede", stimmte der ehemalige Diener Gottes zu. „Ich habe Nachforschungen angestellt und dabei erfahren, dass man nicht mehr als siebzehn Bucheinbände aus einer Ziegenhaut machen kann. Ich wundere mich immer, ob es irgendwo ein Exemplar gibt, an dem noch die flauschigen Ziegenohren baumeln , und ich will gar nicht wissen, woraus die Buchrücken sind. Ah, Mr. Taylor. Ich sehe, Sie haben meine Würfel entdeckt. Auf die bin ich besonders stolz. Genau diese Würfel haben die römischen Soldaten benutzt, um die Kleider Christi untereinander aufzuteilen, als er am Kreuz hing."

„Haben die irgendwelche ... besonderen Fähigkeiten?", erkundigte ich mich, während ich mich über sie beugte, um sie besser betrachten zu können. Es schienen einfache Holzwürfel zu sein, von denen die Farbe und die Punkte schon vor langer Zeit abgeblättert waren.

„Nein", sagte der ehemalige Diener Gottes. „Das sind einfach nur Würfel. Ihr Wert, und der ist unermesslich, liegt in ihre Geschichte."

„Was ist das da?", fragte Bettie und rümpfte die Nase, während sie einen einzelnen, kleinen, sehr alten und offensichtlich stinknormalen Fisch genau beäugte, der in einen Kunstharzblock eingegossen war.

„Ah, das", seufzte der Kardinal. „Das ist das einzige überlebend Exemplar der Fische, die einst Fünftausend sättigten ... Sie glauben gar nicht, wie viel Geld, politischen Einfluss oder sexuelle Gefallen ich von gewissen Extremgourmets angeboten bekomme habe, wenn ich sie nur kosten lasse ... die Banausen!"

„Was hat Sie in die Nightside geführt, Kardinal?", wollte Bettie wissen und gab ihr Bestes, so unverfänglich, locker und überhaupt nicht wie ein Reporter zu klingen. Den Kardinal konnte sie keine Sekunde hinters Licht führen, doch er lächelte dennoch charmant und sie fuhr eilig fort. „Warum diese Sammlung von christlichen Artefakten? Sind Sie immer noch gläubig, nach alle dem, was Ihnen die Kirche angetan hat?"

„Selbstverständlich", entgegnete der Kardinal. „Die katholische Kirche ist der Mafia in vielerlei Hinsicht nicht unähnlich - einmal drin, kommt man nie wieder heraus, und was die Nightside betrifft - die ist die Hölle, und der kann ich nicht entrinnen. Ah, die alten Scherze sind doch immer die besten. Ich habe mich selbst zu einem Dasein in diesem Jammertal für die moralisch Unversöhnlichen verdammt, da ich mich der Sünde der Gier und des Sammelns hingegeben habe. Ich wurde in Versuchung geführt und bin gefallen. Manchmal fühlt es sich an, als fiele ich immer noch ... aber ich habe meine Sammlung, um mich zu trösten." Er trank den letzten Schluck Martini, schmatzte, stellte das Glas sorgltig neben einer Miniaturausgabe des goldenen Kalbes ab und sah mich fest an. „Warum sind Sie hier? Was wollen Sie? Sie wissen, ich kann Ihnen nicht vertrauen. Nicht, nachdem Sie für den Vatikan gearbeitet haben, um den Unheiligen Gral für sie zu finden."

„Ich habe für eine Einzelperson gearbeitet", sagte ich vorsichtig, nicht den Vatikan selbst."

„Sie haben ihn gefunden, oder?", fragte der Kardinal und sah mich beinahe wehmütig an. Ich spürte fast, wie seine Sammlerfinger zuckten. „Die düstere Schale ... wie war das damals?"

„Es gibt keine Worte, um das zu beschreiben", antwortete ich. „Aber sparen Sie sich die Mühe, ihn zu suchen. Er wurde ... entschärft. Nun ist er nicht mehr als eine unbedeutende Schale."

Er ist immer noch Geschichte", meinte der Kardinal.

Bettie bückte sich, um ein offenes Taschenbuch von einem Stuhl zu klauben. „,Sakrileg`? Das lesen Sie wirklich, Kardinal?" „Oh ja ... ich liebe es, herzhaft zu lachen."

„Leg` das wieder hin", sagte ich. „Wahrscheinlich ist das irgendein exotischer Fehldruck, und er wird uns zur Kasse bitten, wenn wir das Taschenbuch mit Fingertapsern ruinieren. Kardinal, wir sind wegen der Jenseitsaufnahme hier. Ich nehme doch stark an, Sie haben von Pen Donavons DVD gehört?"

„Natürlich. Aber ... ich habe beschlossen, an der Suche danach kein Interesse zu haben. Ich will sie nicht. Weil ich mich kenne. Es wäre mir nicht genug, die DVD bloß zu besitzen. Ich müsste sie mir ansehen ... und ich denke, ich bin nicht bereit zu wissen, was sich auf der DVD befindet."

„Meinen Sie, es könnte Sie an Ihrem Glauben zweifeln lassen?" fragte ich.

„Eventuell ..."

„Sind Sie nicht neugierig?", fragte Bettie.

„Selbstverständlich ... aber es ist eine Sache zu glauben und eine andere zu wissen. Ich zwinge mich, auf das Beste zu hoffen, aber wenn einem der Heilige Vater ins Gesicht sagt, man sei verdammt, nur weil man das Wesen ist, als das Gott einen erschaffen hat ... Hoffnung ist alles, was mir noch bleibt. Sie ist kein guter Ersatz für Glauben, aber selbst ein schwacher Trost ist besser als gar keiner."

„Ich denke, dass Gott mehr Gnade kennt als das", meinte ich. „Ich glaube nicht, dass sich Gott um solche Nebensächlichkeiten schert."

„Na ja", sagte der Kardinal trocken, „Sie sind ja fast gezwungen, genau das zu glauben, nicht wahr?"

„Falls Sie etwas herausfinden, lassen Sie es mich wissen", bat ich. „Solange sich die Jenseitsaufnahme da draußen befindet und durch die Nightside geistert, werden gewisse Leute versuchen, sie in die Finger zu bekommen, hauptsächlich aus äußerst fragwürdigen Gründen - es besteht sogar die Möglichkeit, dass der Entferner an ihr interessiert ist."

Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Kardinals, und seine spröde Freundlichkeit wurde durch schieres Entsetzen ersetzt. „Er darf nicht hierherkommen! Er darf nicht! Haben Sie ihn gesehen? Sie könnten ihn hergeführt haben! Zu mir! Nein ... Sie müssen gehen! Jetzt. Ich kann das Risiko nicht eingehen!'

Damit schob er mich und Bettie in Richtung Tür. Er war nicht groß genug, um uns beide herumzuschubsen, wenn wir es nicht wollten, aber ich sah keinen Grund, ihm eine Szene zu machen. Er wusste nichts. Also ließ ich zu, dass er uns zur Tür drängte und uns hinausschubste. Als wir wieder auf der Straße standen, schlug die Tür hinter uns ins Schloss, und eine ganze Reihe von Riegeln und Schlössern schnappte klickend zu. Wie es schien, war der ehemalige Diener Gottes auch wenn es seinen Schutz anbelangte Traditionalist. Ich rückte meinen Trenchcoat zurecht. Es war schon eine Weile her, seit ich irgendwo hinausgeworfen worden war. Dann erscholl von hinter der Tür ein Schrei, ohrenbetäubend und durchdringend, ein nervenzerreißender Laut voller Entsetzen. Ich hämmerte an die Tür und brüllte in die Gegensprechanlage, aber der Schrei dauerte immer weiter an, lange nachdem es menschlichen Lungen eigentlich nicht mehr möglich gewesen sein sollte. Der Schmerz und der Schrecken in diesem Laut waren fast unerträglich - und dann hörte er urplötzlich auf, was fast noch schlimmer war.

Die Schlösser und Riegel öffneten sich der Reihe nach langsam, und die Tür schwang auf. Ich drückte Bettie hinter mich und stieß die Tür auf. Dahinter sah ich den gigantischen Lagerraum. Keinerlei Lebenszeichen. Kein Geräusch. Ich bewegte mich langsam und vorsichtig vorwärts und ließ mich auch von Bettie nicht hetzen. Vom Kardinal war weit und breit keine Spur zu sehen. Seine Sammlung war auch bis aufs letzte Stück verschwunden. Zurück blieben nur leere Regale, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte.

„Der Entferner", sagte ich. Meine Stimme hallte in der Stille und wiederholte den Namen wieder und wieder.

„Glaubst du, wir haben ihn hierhergeführt?" fragte Bettie mit erstickter Stimme. Das Echo verwandelte ihre Worte in ein verstörendes Flüstern.

„Nein", entgegnete ich. „Ich hätte gemerkt, wenn uns jemand gefolgt wäre. Ich bin mir sicher!"

"Auch beim Entferner? Auch bei ihm?"

„Besonders bei ihm", sagte ich.

 

 

 

 

 

Für eine Handvoll

Zauberer mehr

 

 “So", sagte Bettie, die es sich auf einem leeren Holzregal bequem gemacht hatte und die Beine baumeln ließ, „was machen wir jetzt? Der Entferner hat soeben unsere letzte wirkliche Spur verschwinden lassen. Auch wenn ich zugeben muss ... ich hätte nie geglaubt, ihm einmal so nahe zu kommen. Der Entferner ist eine echte moderne Legende. Sogar noch mehr als du, Liebling. Wir sprechen hier über jemanden, dessen Wege wahrhaft unergründlich sind! Vielleicht sollte ich unsere Story einfach vergessen und mich auf ihn konzentrieren. Falls ich an ein Exklusivinterview mit dem Entferner herankäme ..."

„Du willst mich im Stich lassen?", fragte ich belustigt.

Bettie zuckte leichtfertig die Achseln. Sie trug nun einen blassblauen Catsuit, dessen Reißverschluss vom Kragen bis zum Schritt verlief. Ihr Haar war zu einem Knoten zusammengefasst, und ihre Hörner blitzen frech unter einer Schirmkappe hervor. „Nun ja, ich bin zur Hälfte ein Dämon, Schatz; du musst einfach mit ein paar Augenblicken der Herzlosigkeit rechnen."

„Wenn wir weiter zusammenbleiben, besteht wenigstens die nicht ganz unrealistische Chance, dass du das Ganze hier überlebst, um deine Story überhaupt schreiben zu können", erwiderte ich.

„Wer würde schon einem armen, schutzlosen Mädel wie mir wehtun wollen?", lachte Bettie und zog ein aufreizendes Schmollmündchen. „Ganz nebenbei ist es gar nicht so einfach, uns Halbdämonen umzubringen. Deshalb hat mich der Chefredakteur auch in diesem Fall zu deiner Partnerin gemacht, und dieser Fall, das muss einmal gesagt werden, verläuft gerade ziemlich im Sande. Was ich damit sagen will: Falls der Sammler die Jenseitsaufnahme nicht hat und der Kardinal sie nicht besitzt, wer bleibt dann noch übrig?"

„Oh, da gibt es noch ein paar Verdächtige", antwortete ich. „Der seltsame Harald, der Schrottmann. Die Treibholz GmbH; ihr Motto lautet: ,Wir kaufen und verkaufen alles, was nicht niet- und nagelfest ist oder von Höllenhunden bewacht wird', und dann gibt es da noch Bischof Bestialisch ... aber ich gebe zu, das sind nicht wirklich große Fische im Teich. Eigentlich sind sie viel zu klein, um mit einer Beute wie der Jenseitsaufnahme umgehen zu können. Sie hätten die DVD eilends weiterverkauft; und davon hätte ich gehört. Weißt du, es ist immer noch möglich, dass Pen Donavon draufgekommen ist, wie tief er im Schlamassel steckt und die DVD vernichtet hat."

„Das will ich ihm nicht geraten haben!", sagte Bettie, und ihre Augen blitzten gefährlich. „Diese DVD gehört der Zeitung, egal was drauf ist."

Ich sah sie nachdenklich an. „Falls sie echt ist ... interessiert es dich, was sie enthält?"

„Selbstverständlich", erwiderte sie ohne Zögern. „Ich will es wissen. Ich will immer alles wissen."

„Also bleiben wir zusammen? Bis wir sie haben?"

„Natürlich! Vergiss den Entferner! Das war nur so eine Laune, Nein; wir sind etwas auf der Spur, das die gesamte Nightside auf den Kopf stellen könnte, falls es sich nicht um eine Fälschung handelt, und weißt du, was das bedeutet? Vielleicht habe ich endlich mal eine echte Story in Händen! Ist dir eigentlich bewusst, wie lange ich davon geträumt habe, an einer echten Story zu arbeiten, an etwas wirklich Sinnvollem? Es darf nicht hier enden! Du bist der Privatdetektiv, der legendäre John Taylor. Tu was!"

„Ich bin für Vorschläge offen", sagte ich.

Mein Mobiltelefon klingelte. Ich drückte den grünen Knopf, und sofort bohrte sich mir Alex Morriseys bittere Stimme ins Ohr, der mich vom Strangefellows aus anrief. Wie immer klang Alex bekümmert über die Welt, das Universum und den ganzen Rest. „Taylor, beweg deinen Arsch mit Warp zehn hier herüber. Ein gewisser Pen Donavon ist gerade in meiner Bar aufgetaucht und sieht wie der lebende Tod aus, den man noch dazu gratiniert hat! hat irgendeine DVD in den Krallen und klammert sich daran, als hinge sein Leben davon ab. Er hyperventiliert und heult sich die Augen aus dem Kopf, scheint so, als sei er der festen Überzeugung, der Entferner wäre hinter ihm her. Sieht fast so aus, als wäre er dem wenig nachvollziehbaren Irrglauben verfallen, du seist Einzige, der ihn beschützen kann. Er sagt, du bist die einzige Person, der er vertraut, und das wiederum zeigt, dass er dich nicht genau kennt. Würdest du nun also die Güte besitzen, vorbeizukommen, ehe er auch noch den letzten Kunden verschreckt? Die meisten haben aus unerfindlichen Gründen beschlossen, nicht im Kreuzfeuer enden zu wollen. Habe ich schon erwähnt, dass mich Ganze hier überhaupt nicht glücklich stimmt? Du kostest mich die Einnahmen einer ganzen Nacht!"

„Schreib' es einfach an", sagte ich. „Ich kann dafür aufkommen; habe ein Spesenkonto. Setz dich auf Donavon, bis ich da bin. Niemand redet mit ihm außer mir."

Ich steckte mein Mobiltelefon weg und grinste Bettie an. „Wir sind wieder im Spiel. Donavon ist gerade im Strangefellows aufgetaucht."

Bettie klatschte begeistert in die Hände, schlug mit ihren hochhackigen Schuhen aus wie ein Pferdchen und hüpfte vom Regal. Ich wusste, dass du ihn finden würdest, John! Ich habe keinen einzigen Augenblick an dir gezweifelt! Endlich gehen wir ins Strangefellows! Wie cool ist das denn?"

„Du wirst enttäuscht sein", sagte ich. „Es ist nur eine Bar."

„Die älteste Bar der Welt! Wo alle Gäste Mythen und Legenden sind und in regelmäßigen Abständen das Schicksal der Welt entschieden wird!"

Nur manchmal", sagte ich.

Ist es weit von hier?"

„Genau auf der anderen Seite der Stadt. Zum Glück kenne ich eine Abkürzung.”

Ich fischte meine Strangefellows-Mitgliedskarte aus der Tasche. Alex hatte in einem seltenen Moment der Freizügigkeit einmal ein Dutzend verteilt, und bis heute versucht er verzweifelt, sie wieder zurückzubekommen. Nicht, dass wir sie je wieder hergeben würden. Sie sind viel zu praktisch. Die Karte selbst sieht nicht nach viel aus. Es ist einfach nur ein geprägter Karton, auf dem der Name der Bar in dunklen, gotischen Lettern geschrieben steht, darunter die Worte „Sie sind hier" in blutroten Buchstaben. Ich zog Bettie an mich, und sie kuschelte sich eng an meinen Körper. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt. Es war schon eine Weile her, dass ich jemanden so nahe an mich herangelassen hatte. So ungezwungen. Es gefiel mir. Ich presste meinen Daumen fest auf die purpurnen Buchstaben auf der Karte und sie erwachte pochend und vibrierend vor Energie zum Leben. Sie sprang mir aus der Hand und hing in der Luft vor uns. Dann begann sie, sich zu drehen und zu überschlagen und knisterte vor arkaner Kraft. Helle Lichter loderten und stoben um uns herum. Alex hatte nicht geknausert und das Gesamtpaket gekauft. Die Karte dehnte sich plötzlich aus und hatte schließlich die Größe einer Tür, die sich vor uns öffnete. Zusammen traten Bettie und ich durch die Tür, die hinter uns heftig zuschlug, ins Strangefellows.

Ich steckte die Karte wieder in die Manteltasche und sah mich um. Die Bar war ungewöhnlich ruhig und mit Ausnahme eines einzigen Betrunkenen, der über einem Tisch zusammengesunken seinen Rausch ausschlief, vollständig leer. Ich kannte ihn flüchtig. Thallassa, ein verschrumpelter alter Zauberer, der behauptete, für den Untergang von Atlantis verantwortlich zu sein. Er gab an zu trinken, um zu vergessen, doch es war erstaunlich, an wie viele Geschichten er sich erinnern konnte, solange irgendjemand dumm genug war, ihn weiter mit Getränken zu versorgen. Der Rest hatte eindeutig beschlossen, es sei eine weise Entscheidung, so schnell wie möglich die Beine in die Hand zu nehmen, da die Kombination aus Donavon, der DVD und mir nur zu schnell eine kritische Masse erreichen konnte. Selbst die Leute, die sich an einem Ort wir dem Strangefellows den Kummer von der Seele soffen, hatten ihre Schmerzgrenze, und die war nur zu oft ich.

Donavon war einfach auszumachen. Er saß zusammengesunken auf einem Hocker an der Bar. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der so armselig, niedergeschlagen und verängstigt aussah. Er blickte sich suchend um, als Bettie und ich nähertraten, und fiel fast vom Barhocker, als er mich erkannte. Er war ein kleiner, normal aussehender Mann, den man auf der Straße wohl keines zweiten Blickes gewürdigt hätte. Ihm war die Sache über den Kopf gewachsen, und er befand sich auf dem besten Weg zu einer ziemlich schlimmen Bruchlandung. Aus der Nähe sah man, in was für einem bejammernswerten Zustand er sich befand. Er zitterte und bebte wie Espenlaub, sein Gesicht war abgehärmt und grau, mit tiefen Ringen unter den Augen, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen. Höchstwahrscheinlich, weil er sich davor zu sehr fürchtete. Er konnte nicht viel älter als Mitte zwanzig sein, sah aber mindestens doppelt so alt aus. Irgendetwas hatte ihn altern lassen und war dabei nicht eben sanft mit ihm umgesprungen. Er hatte einen langen, versifften Mantel um sich gelegt, als beschütze dieser ihn vor einer Kälte, die nur er verspürte.

Er sah wie ein Mann aus, der die Hölle gesehen hatte. Oder den Himmel.

Alex blitzte mich wütend an und wandte sich dann wieder Donavon zu, um ihm mit sanfter Gewalt ein Branntweinglas abzunehmen, um ihm etwas frisch gekochte Suppe vorzusetzen. Donavon sah nicht überzeugt aus. Er starrte mit geweiteten Augen ins Leere, bis Bettie und ich direkt vor ihm standen. Dann seufzte er tief, und ein Teil der Anspannung schien von ihm abzufallen. Er leerte das Glas in einem Zug und verlangte mit einem Wink nach einem neuen. Alex stellte die Terrine ab, schniefte laut und öffnete zögernd eine neue Flasche.

Alex gehörte das Strangefellows, und er betrieb die Bar auch. Vielleicht war er aus diesem Grund auf die ganze Welt nicht gut zu sprechen. Er verabscheute seine Kunden, verachtete Touristen und gab aus Prinzip nie richtig heraus. Er hatte kurz zuvor sein dreißigsten Geburtstag gehabt, was die Sache nicht besser machte. Er trug immer Schwarz, da er behauptete, in ständiger Trauer um sein Liebesleben zu sein. (Elendiglich dahingeschieden, aber niemals vergessen.) Seine ständige Leichenbittermiene hatte eine tiefe Falte in seine Stirn gemeißelt, direkt über der Designersonnenbrille, die sein Markenzeichen war. Er trug ein schickes schwarzes Barett, das weit hinten auf seinem Kopf thronte, um die sich fortwährend ausweitende kahle Stelle zu verbergen. Ich kannte krankhaft depressive Leprakranke, die mehr lächelten als Alex Morrisey. Wenigstens musste man sich bei ihm keine Sorgen machen, wenn er nieste. Ich lehnte mich an die Bar und sah ihn kritisch an.

„Mir hast du noch nie eine heiße Suppe gekocht, Alex."

Er schnaubte laut. „Meine selbstgemachte Suppe ist voller Dinge, die gut für dich sind. Manche davon sind sogar ernstlich gesund. All das wäre wie Perlen vor die Säue geworfen, wenn ich mir deinen ausgemergelten, verlebten Körper so ansehe."

„Nur weil ich kein Gemüse mag ..."

„Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der sich beim Anblick von Brokkoli bekreuzigt - und wechsle nicht das Thema! Abermals liegt es an mir, bei einem deiner Fälle hinter dir aufzuwischen. Als hätte ich selbst nicht genug Probleme. Die verdammten Aale haben schon wieder einen Weg in die Bierfässer gefunden, die Kobolde haben an den Snacks genascht - das werden sie noch bereuen, die armen Narren -, und mein Hausgeier ist schwanger! Irgendjemand wird dafür bitter bezahlen ..."

Er hielt inne, als Donavon plötzlich seine Hand ausstreckte und meinen Arm packte. Er war so schwach, dass es sich anfühlte, als zupfe ein Geist an meinem Ärmel. Sein Mund zuckte, bis nach einer Weile etwas zu erkennen war, das beinahe ein Lächeln hätte sein können, und aufrichtige Tränen der Dankbarkeit glänzten in seinen Augen.

„Gott sei Dank, Sie sind hier, Mr. Taylor. Ich hatte solche Angst…sie sind hinter mir her. Alle. Sie müssen mich beschützen!"

„Natürlich werde ich das", sagte ich beruhigend. „Sie sind jetzt sicher. Niemand wird Sie in die Finger bekommen."

„Halten Sie sie einfach fern", winselte er. „Halten Sie sie fern. Ich kann nicht denken ... ich bin vor allen auf der Flucht. Entweder wollen sie mich erpressen, ihnen die Jenseitsaufnahme zu verkaufen, oder sie wollen mich umbringen, um mir die DVD abzunehmen. Ich kann niemandem mehr trauen. Ich dachte, ich sei in Sicherheit, sobald ich das Geschäft mit dem Unnatural Inquirer gemacht hatte, aber ich geriet auf dem Weg zur Zeitung in einen Hinterhalt. Seitdem bin ich auf der Flucht und verstecke mich."

Er ließ mich los und sah wieder auf das volle Glas Branntwein vor ihm. Er schüttete die Hälfte davon in einem Schluck hinunter, und Alex zuckte sichtbar zusammen. Das musste das gute Zeug fein. Ich sah Bettie an.

„Könnte jemand in der Redaktion verraten haben, dass Donavon mit der DVD auf dem Weg war?"

„Für einen Anteil an der Belohnung? Würde mich nicht überraschen. Beim Unnatural Inquirer werden wir nicht gerade überbezahlt, und die Telefone in der Rezeption sind ständig verwanzt. Wir entfernen alle Abhöreinrichtungen am Beginn eines jeden Arbeitstages, aber es belauscht uns immer irgendjemand und hofft auf einen Vorteil. Schließlich kommen uns die meisten Dinge zuerst zu Ohren."

„Ich hätte die Übertragung nie aufnehmen dürfen", jammerte Donavon. Er hockte tief über sein Branntweinglas gebeugt auf seinem Stuhl, als hätte er Angst, jemand könnte es ihm wegnehmen. „Das war ein grausiger Fehler. Ja, ich habe versucht, mit der anderen Seite Verbindung aufzunehmen, aber ich hätte niemals geglaubt ... seitdem bin ich nicht mehr Herr meines eigenen Lebens. Ich hätte nie versucht, die Jenseitsaufnahme zu verkaufen, hätte ich gewusst, dass sie mein gesamtes Leben zerstören würde."

„Sie haben sich die Übertragung angesehen", sagte Bettie und beugte sich mit ihrem gewinnendsten Lächeln näher an ihn heran. „Was haben Sie gesehen?"

Donavon setzte zu reden an. Er versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Ton hervor. Er schloss fest die Augen, und Tränen rannen über seine bebenden Wangen. Alex seufzte schwer und schenkte das Branntweinglas erneut voll. Er lächelte mich fies an.

„Diese Drinks schreibe ich dir alle auf die Rechnung, Taylor!" Ich lächelte zurück. „Tu, was du nicht lassen kannst. Spesen, du erinnerst dich?"

„Na ja", warf Bettie ein. „Du bekommst die Spesen ersetzt, falls wir die DVD abliefern."

Ich starrte sie an. „Wie? Was heißt ‚falls'? Niemand hat gesagt, dass die Spesen erfolgsabhängig sind."

„So ist es halt im Zeitungsgewerbe. Es gibt immer Bedingungen."

Ich runzelte die Stirn, riss mich aber dann zusammen, da ich Donavon nicht noch weiter verunsichern wollte. Ich spazierte etwas die Bar entlang von Donavon weg und bedeutete Alex, sich zu mir zu beugen, damit er mich besser verstehen konnte. „Du kannst darauf wetten, dass einige deiner Kunden gerade die Straße unsicher machen und überall herumerzählen, wer und was sich im Strangefellows befindet. Das wiederum bedeutet, dass wir jeden Augenblick mit unerfreulichem Besuch rechnen müssen. Schließ ab und lass' die Rollläden herunter. Wo sind die Coltranes?"

„Die sind hinten und tun genau, was du vorgeschlagen hast", sagte Alex. „Ich kann schon alleine denken, danke. Meine Verteidigungsmaßnahmen werden bis auf die Entschlossensten alle draußen halten; sollte es dennoch jemand hier herein schaffen, setze ich dir die Folgeschäden auf die Rechnung. Ich hätte mich schon längst gegen dich versichern lassen, aber du wurdest offiziell als höhere Gewalt eingestuft."

„Ruf Suzie an”, meinte ich. „Ich glaube, wir brauchen ihre Hilfe."

„Verdammt", sagte Alex. „Ich hatte den Laden gerade renovieren lassen."

Bettie hängte sich wieder bei mir ein und drehte mich zu sich um. „Ich will ja nicht enttäuscht klingen", meinte sie, „aber ich fürchte, das bin ich doch ein wenig. Hier sieht alles ... so gewöhnlich aus. Ich meine, das ist einfach nicht, was ich erwartet habe. Na ja, gewöhnlich, verglichen mit den Standards der Nightside. Ich hatte mir ... etwas Extremeres erhofft."

Ich werde jetzt nicht die vom Körper abgetrennte Hand erwähnen, die über den Tresen krabbelte. (Alex hatte sie einmal als Entgelt für eine alte Schuld akzeptiert.) Die Hand polierte die Oberfläche des Tresens und füllte Schüsseln mit Knabbereien nach. Ein weiterer guter Grund, diese nicht anzurühren, wenn man mich fragt. Alex weigerte sich aus Prinzip, irgendetwas umsonst herzugeben, und das zeigte sich an seiner Auswahl von Knabbereien. Isst überhaupt noch jemand in Honig eingelegte Heuschrecken? Der übliche Sitzplatz des Geiers war zwar leer, doch gab es immer noch einen Haufen Sehenswertes. Blitze, die in einer Buddel zuckten. Ein kleines, hässliches Pelzknäuel, das auf der Theke saß, zufrieden schnurrte und hie und da furzte. Zumindest bis die Hand es packte und als Wischmopp missbrauchte. Ein Spucknapf voller Tannablätter mit dem Markennamen „Lieblingskraut der Mumie". Wirklich nett und heimelig.

„Ich hätte gern was zu trinken", stellte Bettie fest. „Hast du einen Maiden's Bloody Ruin? Oder Drachenodem? Engelstränen?"

„Die ersten zwei sind keine Cocktails", erklärte ich, „und das letzte Getränk heißt in Wahrheit Engelsurin."

„Hat sich ganz gut verkauft", beschwerte sich Alex. „Bis rauskam, dass es sich hier nicht um eine Markenbezeichnung, sondern vielmehr um eine tatsächliche Beschreibung handelt."

Bettie lachte und kuschelte sich an mich.

„Du suchst aus."

„Gib der Dame einen Wermutbranntwein", bestellte ich.

Alex blitzte mich böse an, dann kramte er unter der Bar aus seinen speziellen Vorräten, die er für seine ganz besondere Kundschaft aufbewahrte, eine Flasche hervor.

„Ich glaube, ich mag den Laden trotzdem", befand Bettie. „Hier ist es so bequem und behaglich. Ich bin sicher, die Atmosphäre ist sonst auch ganz besonders, wenn noch weitere Leute hier sind.

Ah, Süßer, du bringst mich an die interessantesten Orte!"

Sie küsste mich. Als sei es das Natürlichste auf der Welt. Vielleicht war es das für andere Leute auch. Ich nahm sie in den Arm und ihr Körper schmolz mir entgegen und drückte sich an mich. Als wir uns wieder voneinander trennten, stand Alex vor uns und schob Bettie ein Glas Wermutbranntwein hin. Sie schnappte es sich mit einem aufgeregten Quietschen, nippte daran und sti genießerische Laute aus. Alex blickte mich an. Ich blickte ihn an. Keiner von uns erwähnte Suzie, aber wir dachten beide an sie. Wir fuhren herum, als das Geräusch schwerer Tritte aus der Eingangshalle über uns an unser Ohr drang. Sie kamen in unsere Richtung und es klang ganz und gar nicht nach Nachtschwärmern. Alex fluchte gleichmütig.

„Meine Verteidigungsmaßnahmen setzten mich davon in Kenntnis, dass gerade eine Gruppe Kampfzauberer mühelos durch sie hindurchgebrochen ist. Wirklich starke Kampfzauberer."

„Woher willst du das wissen?", fragte Bettie.

„Weil nur wirklich starke Kampfzauberer so einfach durch die Verteidigungen kommen", antwortete ich.

Dreizehn äußerst gefährliche Männer kamen die Metallstiege in die Bar herabgetrampelt und machten dabei einen Höllenlärm. Sie bewegten sich mühelos in einer engen Formation und schwärmten am Fuß der Treppe aus, um uns von den Ausgängen abzuschneiden. Da standen sie nun, mit stolzgeschwellter Brust und strahlten Mut und Erfahrung aus. Sie waren alle in Cowboykleidung aus schwarzem Leder gekleidet, komplett mit Stetsons, Chaps, Stiefeln und silbernen Sporen. Überraschender- und auch ziemlich beunruhigenderweise trugen sie keine Halfter. Alle besaßen diverse Amulette, Talismane, Fetische und Gris-Gris, die sie offen um den Hals trugen, damit jeder sie sehen und verzweifeln konnte. Es waren Machtquellen aus der Oberliga, um ihnen Stärke und Geschwindigkeit zu verleihen und ihnen Verwandlungszauber und die Manipulation der Elemente zu ermöglichen. Ein wenig einfallslos, aber nichtsdestotrotz gefährlich.

Sie alle waren große Männer in der Blüte ihres Lebens. Eine Art nonchalante Arroganz hing um sie in der Luft, die sicher daher stammte, dass sie alles, was sich ihnen je in den Weg gestellt hatte, gnadenlos in den Boden gestampft hatten. Man wird kein Kampfzauberer, ohne auf der Karriereleiter eine ganze Menge Leute ins Grab zu befördern. Sie hatten alle ein Zeichen auf die Stirn tätowiert, direkt über ihrem dritten Auge, um ihre Clanszugehörigkeit offen zu zeigen. Kampfzauberer sind zu gefährlich, als dass man sie ohne jede Überwachung einfach herumlaufen lassen konnte. Entweder schlossen sie sich einem Clan an, oder sie verbündeten sich gegen einen, um mit ihm den Boden zu wischen. Diese Horde gehörte dem Draufgängerclan an.

Ihr Anführer trat nach vorn, um sich mir entgegenzustellen. Er war einen guten Kopf größer als ich, mit breiten Schultern und einer schmalen Taille. Wahrscheinlich aß er sein Gemüse jeden Tag tapfer auf und machte hundertfünfzig Liegestütze vor dem Frühstück. Er hatte drei unterschiedliche Talismane an Silberketten um den Hals und auf die Brust hängen, und um seine Hüfte war ein Amulett gebunden, das ich mir gar nicht genauer ansehen wollte. Der Cowboy hatte eine ganz ansehnliche Artillerie mitgebracht. Er fixierte mich mit seinen kalten, blauen Augen und machte bereits den Mund auf, aus dem nur eine Beleidigung oder eine Forderung kommen konnten, doch ich war nicht in der passenden Laune für so ein Theater; also führte ich einfach einen präventiven Vergeltungsschlag.

Das sind ganz schön geschmacklose Klamotten", sagte ich. „Was wollt ihr eigentlich? Uns mit Squaredance zu Tode tanzen?"

Der Befehlshaber zögerte. Offensichtlich lief nicht alles nach Plan. Er war Gegendruck nicht gewohnt, geschweige denn, in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht zu werden. Er zog Schultern hoch und fing noch mal von vorn an.

„Wir sind der Draufgängerclan. Wir arbeiten für Kid Cthulhu und du hast etwas, was wir haben wollen."

„Was denn?", wollte ich wissen. „Stil?"

Die Hand des Befehlshabers zuckte an die Stelle, wo sein Halfter gewesen wäre. Die anderen Kampfzauberer folgten sein Beispiel. Einige hatten plötzlich Pistolen aus Licht in Händen, die leuchtende Funken sprühten. Wie die Geister von Waffen, die durch Blutbäder gesättigt worden waren. Ein paar, darunter auch der Befehlshaber, deuteten einfach mit ihren Zeigefingern mich wie Kinder, die Waffen darstellten. Ich sah den Befehlshaber an und hob eine Augenbraue.

„Konzeptrevolver", erläuterte er. „Konstrukte unserer Gedanken, die ihre Kraft aus Magie schöpfen. Sie treffen immer, ihn geht nie die Munition aus, und sie können durch alles ein Loch ballern; sie töten, was auch immer sie treffen. Wenn ich das einmal demonstrieren darf?"

Er wies auf die Flaschenreihen hinter der Bar. Ich schnapp Bettie und Donavon und riss sie aus dem Weg. Eine der Flasche explodierte, und Glasscherben und zischende Flüssigkeit regneten auf die Bar herab. Alex blieb einfach stehen und zuckte mit keiner Wimper, als Alkohol sein Hemd tränkte und ein davonstiebendes Glasstück einen Kratzer auf seiner Wange hinterließ. Der Befehlshaber hob seinen Finger an seine Lippen, um eine imaginäre Rauchwolke wegzublasen. Die körperlose Hand zeigte ihm den Stinkefinger und verschwand unter der Theke. Die Cowboys grinsten. Alex blitzte sie böse an.

„Es besteht kein Grund, so süffisant aus der Wäsche zu schauen Ihr habt nur das Zeug erwischt, das ich normalerweise Touristen vorsetze. Der gute Stoff kann auf sich selbst aufpassen."

Der Befehlshaber starrte ihn einen Augenblick lang an. Er hatte seinen Lieblingstrick angebracht, und keiner von uns sah auch nur im mindesten ängstlich drein. Er reckte sein Kinn und versuchte es erneut.

„Ich bin wegen der Jenseitsaufnahme hier."

„Mach dir keine Sorgen, Schätzchen", gurrte Bettie. „Ich bin mir ganz sicher, dass du einfach ein wenig zu aufgeregt warst."

Ich trat vor, zwischen sie und den Befehlshaber. Ich sah ihm in Augen. „Du willst hier nicht sein", sagte ich. „Das sind nicht Leute, die du suchst."

Ich hielt seinen Blick mit meinem fest, und er stand ganz ruhig da. Hinter ihm scharrten die übrigen Kampfzauberer nervös mit den Füßen. Dann lächelte mich der Anführer kalt an.

„Ich habe von deinem bösen Blick gehört. Wird bei keinem von uns funktionieren. Wir sind geschützt."