sagte die Maschine. „Wieviel ist dann zwei plus zwei?" „Vi... das heißt sieben...", sagte Trurl noch leiser. „Haha!
Nicht vier, sondern sieben, was?" donnerte die Maschine. „Siehst du! Sieben, natürlich sieben, es war schon immer
sieben!" bestätigte eifrig Klapaucius. „Wirst du uns jetzt herauslassen?" fragte er vorsichtig. „Nein. Trurl soll noch einmal sagen, daß es ihm sehr leid tut, und dann noch, wieviel zwei plus zwei ist..." „Läßt du uns gehen, wenn ich es sage?" fragte daraufhin Trurl. „Ich weiß nicht. Das will ich mir noch überlegen. Du hast mir keine Bedingungen zu stellen. Sag, wieviel ist zwei plus zwei?" „Aller Wahrscheinlichkeit nach wirst du uns doch herauslassen", sagte Trurl, obwohl Klapaucius ihn am Arm zerrte und ihm ins Ohr flüsterte: „Sie ist eine Idiotin, eine Idiotin, streit dich nicht mit ihr, ich flehe dich an!" „Ich lasse dich nicht heraus, wenn es mir nicht paßt", erwiderte die Maschine. „Du wirst mir sowieso sagen, wieviel zwei plus zwei ist..." Trurl packte plötzlich die Wut. „Oh! Ich will es dir sagen, du sollst es hören!" rief er. „Zwei plus zwei ist vier und zwei mal zwei ist vier, und wenn du dich auf den Kopf stellst, wenn du die ganzen Berge in Staub verwandelst, wenn du dich am Meer verschluckst, wenn du den Himmel aussäufst, hörst du? Zwei plus zwei ist vier!" „Trurl! Du bist verrückt geworden! Was redest du? Zwei plus zwei ist sieben, ich bitte Sie, meine Dame! Meine liebe Maschine, sieben! Sieben!!!" rief Klapaucius, bemüht, den Freund zu übertönen. „Stimmt nicht! Vier! Nur vier, vom Anfang bis zum Ende der Welt vier!!" brüllte Trurl, bis seine Stimme versagte.
Plötzlich wurden die Felsen unter ihren Füßen von
fieberhaftem Schaudern erschüttert. Die Maschine rückte vom Höhleneingang ab, so daß graues Dämmerlicht hereinfiel, und gleichzeitig stieß sie einen durchdringenden Schrei aus: „Das ist nicht wahr! Sieben! Gleich sagst du es, wenn ich dich packe!"
„Nie werde ich es sagen!" erwiderte Trurl, so, als wäre
ihm alles einerlei, und da brach ein Steinhagel über ihre Köpfe herein, die Maschine begann mit ihrem achtstöckigen Leib ein ums andere Mal den Felshang wie ein Sturmbock zu bearbeiten und schlug mit sich selbst gegen den senkrechten Hang, bis von den Felsen riesige Brocken herab splitterten und mit Getöse ins Tal rollten. Donner und der Gestank von Kieselerderauch füllten im Verein mit den Funken, die der Stahl gegen den Felsen schlug, die Höhle aus, jedoch ließ sich Trurls Stimme durch die höllischen Sturmlaute hin und wieder vernehmen. Unaufhörlich rief er: „Zwei plus zwei ist vier! Vier!!!"
Klapaucius versuchte ihm den Mund mit Gewalt zu
stopfen, verstummte aber, denn er wurde heftig zurückgestoßen und setzte sich, wobei er den Kopf mit den Händen bedeckte. Die Maschine ließ in ihren höllischen Bemühungen nicht nach, und es hatte den Anschein, daß im nächsten Moment die Höhlendecke über den Gefangenen einstürzen, sie zermalmen und für Ewigkeiten begraben würde. Doch als sie schon alle Hoffnung begraben hatten, als beißender Staub die Luft erfüllte, knirschte es plötzlich entsetzlich, ein Donnerschlag ertönte, stärker als sämtliche Laute des verbissenen Hämmerns und Anstürmens, dann heulte es in der Luft, die schwarze Wand, die die Öffnung verdeckte, verschwand wie vom Sturmwind weggeblasen, und eine Lawine riesiger Felstrümmer stürzte herab. Noch rollte das Echo der Donnerschläge durch das Tal, von den Bergen hallend, als beide Freunde den Höhlenausgang erreichten, sich halb herauslehnten, die Maschine erblickten, die durch den selbst ausgelösten Felssturz zerschmettert und zermalmt dalag, ein gewaltiger Block mitten in ihren acht Stockwerken, durch den sie fast in zwei Teile zerbrochen wäre. Vorsichtig stiegen sie über den noch staubenden Geröllhaufen. Um zum Bett des ausgetrockneten Baches zu gelangen, mußten sie dicht am Wrack der platt daliegenden Maschine vorbei, das so groß wie ein gestrandetes Schiff war. Stumm blieben beide vor der eingedrückten stählernen Flanke stehen. Die Maschine bewegte sich noch schwach, und man hörte, wie in ihr etwas immer schwächer rasselte und kreiste. „Das also ist dein unrühmliches Ende, und zwei plus zwei ist weiterhin...", hob Trurl von neuem an, doch in diesem Augenblick summte die Maschine leise und stammelte, kaum hörbar und kaum verständlich, zum letzten Mal: „Sieben."
Hierauf knirschte etwas dünn in ihr, es regnete Steine,
und sie starb, in einen toten Eisenklumpen verwandelt. Beide Konstrukteure blickten einander an und gingen dann stumm am ausgetrockneten Bach entlang.


Die Tracht Prügel


An der Tür des Konstrukteurs Klapaucius klopfte es. Er
öffnete, steckte den Kopf heraus und erblickte eine bauchige Maschine auf vier kurzen Beinen. „Wer bist du und was willst du?" „Ich bin die Maschine zur Erfüllung aller Wünsche, und hergeschickt hat mich Trurl, dein Freund und großer Kollege, ich bin sein Geschenk." „Ein Geschenk?" sagte Klapaucius, der recht gemischte Gefühle für Trurl hegte und dem besonders mißfiel, daß die Maschine Trurl als „großen Kollegen" bezeichnet hatte. „Na schön", versetzte er nach kurzer Überlegung, „kannst kommen." Er befahl ihr, sich neben den Ofen in die Ecke zu stellen, und ging wieder, scheinbar ohne sie zu beachten, an seine Arbeit. Er baute an einer kugelförmigen Maschine auf drei Beinen. Sie war fast fertig, und er war gerade dabei, sie zu polieren. Eine Weile später meldete sich die Maschine zur Erfüllung aller Wünsche wieder: „Ich möchte an meine Anwesenheit erinnern."
„Ich habe dich nicht vergessen", sagte Klapaucius und
fuhr in seiner Arbeit fort. Eine Weile später sprach die Maschine von neuem: „Darf man erfahren, was du tust?" „Bist du eine Maschine zur Erfüllung von Wünschen oder eine Maschine zum Fragenstellen?" sagte Klapaucius und fügte hinzu: „Blaue Farbe brauche ich."
„Ich weiß nicht, ob ich gerade die Nuance habe, die du
brauchst", erwiderte die Maschine und schob ihm eine Büchse Farbe durch die Klappe im Bauch hin. Klapaucius machte sie auf, tauchte stumm seinen Pinsel hinein und fing an zu malen. Bis zum Abend verlangte er noch Schmirgel, Karborund, einen Bohrer und weiße Farbe sowie Schrauben, und jedesmal gab ihm die Maschine gleich, was er sich wünschte. Gegen Abend bedeckte er mit einer Plane die Vorrichtung, stärkte sich, setzte sich auf einen Hocker vor die Maschine und sagte: „Wollen mal sehen, was du kannst. Du behauptest, du könntest alles machen?"
„Alles nicht, aber verschiedene Dinge ja", erwiderte die
Maschine bescheiden. „Warst du nicht mit den Farben, mit den Schrauben und mit dem Bohrer zufrieden?"
„Freilich, freilich!" erwiderte Klapaucius. „Aber nun verlange ich von dir etwas viel Schwierigeres. Tust du es nicht, schicke ich dich mit dem entsprechenden Dankeswort und einem Gutachten an deinen Herrn zurück."
„Was ist es denn?" fragte die Maschine und trat neugierig
von einem Bein aufs andere. „Na, ein Trurl", erklärte Klapaucius. „Du sollst mir einen Trurl machen. So daß man einen nicht vom anderen unterscheiden kann!" Die Maschine brummte, summte, rauschte und sagte dann: „Gut, ich mache dir einen Trurl, aber geh behutsam mit ihm um, denn er ist ein sehr großer Konstrukteur!" „Ah, natürlich, sei unbesorgt", sagte Klapaucius. „Nun, wo ist denn dieser Trurl?"
„Wie? So schnell? Das ist keine Kleinigkeit", sagte die
Maschine. „Es dauert eine Weile. So ein Trurl — das ist keine Schraube und kein Lack!" Dennoch trompetete und klingelte sie erstaunlich schnell, eine ziemlich große Tür öffnete sich in ihrem Bauch, und aus dem dunklen Verlies trat Trurl heraus. Klapaucius erhob sich, ging um ihn herum, betrachtete ihn aus der Nähe, tastete und klopfte ihn genau ab, aber es bestand kein Zweifel — er hatte Trurl vor sich, der dem Original wie ein Tropfen dem anderen glich. Trurl, der aus dem Bauch der Maschine gekrochen war, blinzelte im Licht, aber sonst verhielt er sich ganz normal. „Trurl, wie geht's?" sagte Klapaucius. „Wie geht es dir, Klapaucius? Aber wie bin ich eigentlich hierhergekommen?" erwiderte Trurl und staunte. „Na eben so, du kamst einfach vorbei... Ich habe dich lange nicht gesehen. Wie gefällt es dir hier?" „Nicht schlecht, nicht schlecht... Was hast du da unter der Plane?"
„Ach, nichts Besonderes. Möchtest du nicht Platz nehmen?"
„I wo, mir kommt es vor, daß es schon spät ist. Draußen
ist es dunkel, ich muß wohl nach Hause" „Nicht so schnell, nicht gleich!" protestierte Klapaucius. „Komm erst in den Keller, du wirst dann sehen, wie interessant es wird..." „Hast du denn etwas Besonderes im Keller?" „Vorläufig noch nichts, aber gleich werde ich es haben. Komm, komm."
Klapaucius klopfte Trurl begütigend auf die Schulter und
führte ihn in den Keller, dort stellte er ihm ein Bein, und als Trurl der Länge nach hinfiel, fesselte er ihn und begann ihn dann mit einer dicken Stange nach allen Regeln der Kunst zu verprügeln. Trurl brüllte aus Leibeskräften, schrie um Hilfe, fluchte abwechselnd und flehte um Erbarmen, doch es half nichts — die Nacht war finster und kein Mensch in der Nähe, Klapaucius prügelte jedoch weiter, daß es nur so krachte.
„Oh! Au! Warum prügelst du mich so?" rief Trurl und versuchte den Schlägen auszuweichen. „Weil es mir Vergnügen bereitet", erklärte Klapaucius und holte von neuem aus. „Das hast du noch nicht ausprobiert, Trurl!" Und er traf ihn auf den Kopf, daß der wie ein Faß dröhnte.
„Du läßt mich sofort los, sonst gehe ich zum König und sage ihm, was du mit mir angestellt hast, er sperrt dich ins Gefängnis!" schrie Trurl. „Gar nichts wird er mir tun. Und weißt du, weshalb nicht?" fragte Klapaucius und setzte sich auf die Bank.
„Ich weiß es nicht", sagte Trurl, der froh war, daß in der
Prügelei eine Pause eintrat. „Du bist nämlich nicht der richtige Trurl. Der ist zu Hause, hat eine Maschine zur Erfüllung aller Wünsche gebaut und sie mir als Geschenk geschickt, und ich habe sie auf die Probe stellen wollen und habe ihr befohlen, dich zu konstruieren. Jetzt werde ich dir den Kopf abdrehen, ihn unter mein Bett stellen und ihn als Stiefelknecht benutzen!" „Du bist ein Ungeheuer! Warum willst du es tun?" „Ich habe es dir schon gesagt: Weil es mir Vergnügen bereitet. So, jetzt habe ich das leere Geschwätz satt!"
Mit diesen Worten ergriff Klapaucius beidhändig den Stock, und Trurl schrie: „Hör auf! Hör auf! Ich will dir etwas Wichtiges sagen!" „Da bin ich aber neugierig, was das sein könnte, das mich davon abhielte, deinen Kopf als Stiefelknecht zu benutzen", erwiderte Klapaucius, hörte jedoch auf, ihn zu schlagen. Hierauf rief Trurl: „Ich bin ja kein von der Maschine gemachter Trurl! Ich bin der echte Trurl, der echteste von der Welt, und ich wollte nur erfahren, was du da so lange treibst, nachdem du dich in deinen vier Wänden eingeschlossen hast! Ich habe also die Maschine gebaut, habe mich in ihrem Bauch versteckt und habe mich in dein Haus tragen lassen, unter dem Vorwand, sie sei für dich ein Geschenk!" „Ich bitte dich, was hast du dir da für eine Geschichte ausgedacht, und so auf die Schnelle!" sagte Klapaucius, erhob sich und preßte das dickere Ende des Stockes fester in die Hand. „Du brauchst dir keine Mühe zu machen, deine Lügen durchschaue ich. Du bist ein Trurl, den die Maschine gemacht hat, sie erfüllt alle Wünsche, ich habe von ihr Schrauben und weiße Farbe bekommen, auch blaue Farbe sowie Bohrer und andere Dinge. Wenn sie das geschafft hat, dann konnte sie auch dich machen, mein Lieber!" „Ich hielt das alles in ihrem Bauch bereit!" rief Trurl. „Es war nicht schwer vorauszusehen, was du bei deiner Arbeit brauchen würdest! Ich schwöre dir, ich sage die Wahrheit!"
„Wäre das die Wahrheit, dann bedeutete sie, daß mein
Freund, der große Konstrukteur Trurl, ein gewöhnlicher Betrüger ist, und das werde ich nie glauben!" erwiderte Klapaucius. „Da, da!"
Und er versetzte ihm einen Schlag vom Ohr bis über den
Rücken.
„Dies für die Verleumdungen, die du für meinen Freund
Trurl hast. — Da, noch einmal!" Und er verpaßte ihm eins von der anderen Seite. Dann schlug er ihn noch, walkte ihn durch und prügelte, bis er müde wurde.
„Ich gehe jetzt schlafen und erhole mich ein bißchen",
sagte er erläuternd und warf den Stock fort. „Aber du warte nur, ich bin bald wieder da..." Als er fort war und man ihn im ganzen Haus schnarchen hörte, wand sich Trurl so lange in den Schnüren, bis er sie gelockert hatte, löste dann die Knoten, lief leise hinauf, kroch in die Maschine und fuhr stracks mit ihr nach Hause. Klapaucius lachte sich unterdessen ins Fäustchen, während er durch das obere Fenster seine Flucht beobachtete. Tags darauf stattete er Trurl einen Besuch ab. Der ließ ihn mit finsteren Blicken in die Stube. Dort herrschte Halbdämmer, aber der scharfsinnige Klapaucius hatte dennoch bemerkt, daß Trurls Rumpf und Kopf Spuren deftiger Prügel trugen, die er ihm verabreicht hatte, obwohl zu erkennen war, daß sich Trurl rechtschaffen bemüht hatte, die Vertiefungen, die von den Schlägen verursacht worden waren, geradezuklopfen und auszubessern.
„Warum blickst du so finster drein?" fragte heiter Klapaucius. „Ich bin gekommen, dir für das schöne Geschenk zu danken, es ist nur bedauerlich, daß es sich davongemacht hat, während ich schlief, und die Tür offengelassen hat, als sei ein Brand ausgebrochen!" „Ich habe den Eindruck, daß du, um es vorsichtig zu sagen, von meinem Geschenk nicht den richtigen Gebrauch gemacht hast!" platzte Trurl heraus. „Die Maschine hat mir alles erzählt, du brauchst dir keine Mühe zu geben", fügte er wütend hinzu, als er sah, daß Klapaucius den Mund aufmachte. „Du hast ihr befohlen, mich zu machen, und dann hast du mit List das Duplikat meiner Person in den Keller gelockt und es entsetzlich geschlagen! Und nach dieser Schande, die du mir angetan hast, nach diesem Dank für das prachtvolle Geschenk wagst du noch, zu mir zu kommen, so als wäre nichts geschehen? Was hast du mir zu sagen?"
„Ich verstehe deinen Ärger nicht", erwiderte Klapaucius.
„In der Tat, ich habe der Maschine befohlen, eine Kopie von dir anzufertigen. Und ich gebe zu, daß sie ausgezeichnet war, ich habe bei ihrem Anblick nicht schlecht gestaunt. Was das Schlagen betrifft, so muß die Maschine stark übertrieben haben — ich habe tatsächlich diesen Gemachten ein paarmal geknufft, ich war auch neugierig, wie er darauf reagieren würde. Er hat sich als äußerst scharfsinnig erwiesen. Und er sog sich auch auf der Stelle eine Geschichte aus dem Finger, als wärst du es in eigener Person; ich habe ihm keinen Glauben geschenkt, und da begann er zu schwören, das herrliche Geschenk sei gar kein Geschenk, sondern ein gewöhnlicher Betrug; du wirst verstehen, daß ich ihn zum Schutze deiner Ehre, der Ehre meines Freundes, für solche frechen Lügen verprügeln mußte. Aber ich habe mich überzeugen können, daß er sich durch eine hervorragende Intelligenz auszeichnete und nicht nur physisch, sondern auch geistig an dich erinnert hat, mein Lieber. Fürwahr, du bist ein großer Konstrukteur, das wollte ich dir nur sagen, und zu diesem Zweck bin ich so früh gekommen!" „Ach! Nun ja, freilich", erwiderte Trurl, ein wenig besänftigt. „Zwar scheint mir der Gebrauch, den du von der Maschine zur Erfüllung aller Wünsche gemacht hast, weiter nicht sehr glücklich zu sein, aber mag sein..."
„Ach ja, ich wollte dich gerade fragen, was du mit
diesem künstlichen Trurl angestellt hast?" fragte Klapaucius unschuldig. „Könnte ich ihn einmal sehen?" „Er war geradezu rasend vor Wut!" erwiderte Trurl. „Er
drohte, er werde dir den Schädel zerschmettern, und er wollte dir am großen Felsen in der Nähe deines Hauses auflauern, aber als ich es ihm auszureden versuchte, zankte er sich mit mir, fing nachts an, Fallen und Netze aus Drähten für dich zu flechten, mein Lieber, und obwohl ich der Ansicht war, daß du mich in seiner Person beleidigt hattest, zerlegte ich ihn, unserer alten Freundschaft eingedenk, und um dir die drohende Gefahr aus dem Wege zu räumen (denn er war wie rasend), und ich sah keinen anderen Ausweg, in kleine Stücke..." Während Trurl das sagte, stieß er gleichsam unabsichtlich mit dem Fuß gegen die auf dem Fußboden herumliegenden Überreste von Mechanismen. Hierauf verabschiedeten sie sich wärmstens und schieden als herzliche Freunde.
Von nun an erzählte Trurl jedem, der es hören und nicht
hören wollte, wie er Klapaucius die Maschine zur Erfüllung aller Wünsche geschenkt und wie unschön der Beschenkte gehandelt habe, indem er ihr einen Trurl zu machen befahl und ihm eine Tracht Prügel verabfolgte, wie die glänzend von der Maschine angefertigte Kopie mit geschickten Lügen versuchte, sich aus der mißlichen Lage zu befreien, und entwischt sei, sobald sich der ermattete Klapaucius schlafen gelegt hatte, und er selbst, Trurl, den fabrizierten Trurl, der in sein Haus gelaufen sei, in seine Bestandteile auseinandergenommen habe, dies aber nur, um seinen Freund vor der Rache des Geschlagenen zu schützen. Und er erzählte es und rühmte sich dessen und blähte sich auf und rief das Zeugnis den Klapaucius an, bis die Kunde an den königlichen Hof drang und sich dort niemand über Trurl anders als mit größter Bewunderung geäußert habe, obwohl man ihn noch unlängst allgemein als den Konstrukteur der dümmsten vernunftbegabten Maschine auf der Welt bezeichnet hatte. Als Klapaucius hörte, daß selbst der König Trurl reichlich beschenkt und ihn mit dem Orden der Großen Sprungfeder und dem Helikonoidalen Stern ausgezeichnet habe, rief er mit lauter Stimme: „Was denn? Dafür, daß es mir gelungen ist, ihn zu überlisten, als ich ihn durchschaute und ihm eine gehörige Tracht Prügel verabreichte, daß er sich hinterher geradeklopfen und flicken mußte, nachdem er geschändet auf krummen Beinen aus meinem Keller geflohen war? Jetzt schwimmt er für all das im Überfluß, mehr noch, der König zeichnet ihn dafür mit einem Orden aus? O Welt, Welt..."
Mit furchtbarem Ärger kehrte er nach Hause zurück, um sich in seine vier Wände einzuschließen. Er baute nämlich eine ähnliche Maschine zur Erfüllung von Wünschen wie Trurl, nur hatte sie jener früher beendet.


Die Falle des Gargancjan


Als der Kosmos noch nicht so reguliert wie heute war
und die Sterne ordentlich aufgestellt standen, so daß man sie leicht zählen konnte, von links nach rechts oder von oben nach unten, wobei die größeren und blaueren besonders gruppiert, die kleineren und gelblich schimmernden als Körper zweiter Kategorie in die Winkel und Ecken gestopft waren, und man noch keine Spur von Staub, Schutt oder anderem Nebelfleckenschmutz fand, herrschte in jenen guten alten Zeiten die Sitte, daß Konstrukteure, die ein Diplom der Perpetualen Omnipotenz mit Auszeichnung besaßen, zuweilen auf Reisen gingen, um fernen Stämmen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. So geschah es denn, daß sich Trurl und Klapaucius, die die Sterne so zu schaffen oder zu löschen verstanden, wie wenn jemand Nüsse knackt, im Einklang mit obiger Tradition auf Reisen begaben. Als die Größe des zurückgelegten Abgrunds in ihnen bereits die letzte Erinnerung an den heimatlichen Himmel verwischt hatte, erblickten sie vor sich einen Planeten, der weder zu klein noch zu groß, sondern gerade richtig war und nur einen Kontinent besaß. Durch dessen Mitte verlief eine rote Linie, und alles, was sich auf der einen Seite befand, war gelb, und auf der anderen Seite rosa. Sie begriffen also, daß sie zwei benachbarte Staaten vor sich hatten, und beschlossen, sich vor der Landung zu beraten.
„Da es hier zwei Staaten gibt", sagte Trurl, „wird es nur
recht sein, wenn du dich in den einen begibst und ich in den anderen ziehe. Dann ist keiner geschädigt."
„In Ordnung", erwiderte Klapaucius, „aber was ist, wenn
sie kriegerische Mittel von uns verlangen? Das kommt
vor."
„In der Tat, sie können Waffen, ja selbst Wunderwaffen
verlangen", pflichtete Trurl ihm bei. „Legen wir fest, daß wir es entschieden ablehnen." „Und wenn sie gewaltsam darauf dringen?" entgegnete Klapaucius. „Auch das kommt vor." „Wir wollen es prüfen", sagte Trurl und schaltete sein Radio ein, aus dem sogleich muntere Marschmusik drang.
„Ich habe eine Idee", sagte Klapaucius und schaltete das
Radio aus. „Wir können das Rezept des Gargancjan verwenden. Was meinst du?" „Ach, das Rezept des Gargancjan!" rief Trurl. „Ich habe noch nie gehört, daß es jemand angewandt hätte. Aber machen wir den Anfang. Warum nicht?" „Jeder von uns ist bereit, es anzuwenden", erläuterte Klapaucius, „aber wir müssen es unbedingt beide tun, sonst wird alles schlecht enden." „Ach, eine Kleinigkeit", meinte Trurl. Er holte eine goldene Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Darin lagen zwei weiße Kügelchen auf Samt. „Nimm die eine, die andere bleibt bei mir", sagte er. „Jeden Abend siehst du dir dein Kügelchen an. Wird es rosa, so bedeutet es, daß ich nach Vorschrift gehandelt habe. Du tust dann das gleiche." „Abgemacht", sagte Klapaucius und versteckte das Kügelchen. Sie landeten darauf, umarmten einander und schieden in entgegengesetzter Richtung. Der Staat, in den Trurl gelangt, wurde von König Unheuer regiert. Der war ein Militarist von alters her und dabei ein wahrhaft kosmischer Geizhals. Um das Staatssäckel zu entlasten, schaffte er alle Strafen mit Ausnahme der höchsten ab. Seine Lieblingsbeschäftigung war die Liquidierung überflüssiger Ämter, und seitdem er das Amt des Henkers abgeschafft hatte, mußte sich jeder Verurteilte selbst enthaupten oder, wenn ihm die große königliche Gnade zuteil wurde, mit der Hilfe der nächsten Verwandten. Von den Künsten unterstützte er nur die, die keine Ausgaben erforderten, so zum Beispiel Chorrezitationen, das Schauspiel und die militärische Gymnastik. Überhaupt schätzte er die Kriegskunst über alle Maßen, da ein gewonnener Krieg beträchtliche Einnahmen erbringt; andererseits kann man sich aber für den Krieg nur im Frieden ordentlich vorbereiten, und so unterstützte der König ihn, aber mit Maßen. Unheuers größte Reform war die Verstaatlichung des Hochverrats. Das Nachbarland schickte ihm Spione; der Monarch schuf also das Amt des Staatsverräters, der durch Vermittlung untergeordneter Beamter für reichliches Entgelt Staatsgeheimnisse an die feindlichen Agenten weitergab; die Agenten kauften lieber veraltete, denn die waren billiger, und sie mußten sich für ihre Ausgaben vor dem eigenen Finanzwesen ausweisen. Unheuers Untertanen standen früh auf, kleideten sich bescheiden und gingen spät zur Ruh, denn sie arbeiteten viel. Sie fertigten Körbe für Schanzen an und Faschinen, aber auch Waffen und Denunziationen. Damit der Staat nicht durch das Übermaß dieser letzteren auseinanderfiel, denn zu Zeiten des Hundertäugigen Sehrlimus vor mehreren hundert Jahren war eine solche Krise eingetreten, hatte der, welcher zu viele Denunziationen machte, eine besondere Luxussteuer zu zahlen. So hielten sie sich auf einem vernünftigen Stand. Nachdem Trurl an den Hof Unheuers vorgedrungen war, trug er ihm seine Dienste an, und der König, wie nicht zu schwer zu erraten war, verlangte von ihm mächtige Kriegswaffen. Trurl ersuchte um drei Tage Bedenkzeit, und als er in das für ihn bestimmte bescheidene Quartier gelangte, sah er sich das Kügelchen in der goldenen Schachtel an. Es war weiß, als er es aber betrachtete, begann es sich langsam rot zu verfärben. „Sieh an", sagte er sich, „es ist an der Zeit, Gargancjan zu befolgen!" Und er setzte sich sogleich an seine geheimen Notizen.
Klapaucius hielt sich unterdessen in dem anderen Staat
auf, in dem der mächtige König Mägerle herrschte. Dort sah alles anders aus als in der Unheurei. Auch dieser Monarch lechzte nach Feldzügen, auch er gab Geld für die Rüstung aus, doch tat er es in aufgeklärter Weise, denn er war ein Herrscher von maßloser Freigebigkeit, und seine Kunstempfindlichkeit war ohnegleichen. Jener König liebte Uniformen und goldene Schnuren, Borten und Quasten, Achselbänder, Portieren mit Klingeln, Panzerschiffe und Epauletten. Er war wirklich sehr, sehr empfindlich: Jedesmal, wenn er ein neues Panzerschiff vom Stapel laufen ließ, zitterte er am ganzen Leibe. Freigebig warf er mit Mitteln für die Schlachtenmalerei um sich, wobei er aus patriotischen Gründen nach Anzahl der erlegten Feinde honorierte, daher türmten sich auf den Panoramen, von denen es im Königreich nur so wimmelte, die Berge der feindlichen Leichen bis zum Himmel. Im Alltag paarte er den Absolutismus mit Aufklärung und Strenge mit Großmut. An jedem Jahrestag seiner Thronbesteigung führte er Reformen ein. Einmal befahl er, alle Guillotinen mit Maiengrün zu schmücken, ein andermal sie zu schmieren, damit sie nicht quietschten, dann wieder, die Henkerschwerter zu vergolden, ohne zu vergessen, sie aus humanitären Gründen zu schärfen. Er hatte eine freigebige Natur, doch schätzte er Verschwendung nicht, daher ließ er durch einen besonderen Erlaß alle Pfähle, Pflöcke, Schrauben, Klubs und Fesseln normen. Die Exekutionen der Unorthodoxen, die übrigens selten waren, wurden mit Pomp und viel Aufwand begangen, in Reih und Glied, mit seelischer Tröstung, salbungsvoll, inmitten marschierender Karrees mit Borten und Pompons. Dieser aufgeklärte Monarch hatte auch eine Theorie vom allgemeinen Glück. Es ist ja bekannt, daß der Mensch nicht deshalb lacht, weil er lustig ist, sondern eben lustig ist, weil er lacht. Wenn alle sagen, es sei herrlich, bessert sich gleich die Stimmung. Mägerles Untertanen waren also verpflichtet, natürlich zum eigenen Nutzen und Frommen, laut zu wiederholen, daß sie sich geradezu außerordentlich wohl fühlten, und die alte unklare Begrüßungsformel „Guten Tag" ließ der König in die vorteilhaftere „Wiegut!" umändern, wobei Kindern bis zum vierzehnten Lebensjahr gestattet war, „Hu — ha" zu sagen, und Greisen „Gutwie!" Mägerle freute sich, als er sah, wie der Geist im Volke gerann, wenn er durch die Straßen mit einer Karosse in Form eines Panzerschiffs fuhr, er sah die „Vivat!" rufenden Mengen und grüßte sie huldvoll mit Gesten der Monarchenhand, sie indes jubelten um die Wette „Hu — ha!", „Gutwie!" und „Zauberhaft!". Er war übrigens von demokratischer Veranlagung. Er liebte es maßlos, sich mit alten Veteranen in kurze martialische Gespräche einzulassen, die Brot aus so manchem Ofen gegessen hatten, er lechzte nach kriegerischen Erzählungen, die in Biwaks zum besten gegeben wurden, und es kam vor, daß er, wenn er einen fremden Würdenträger in Audienz empfing, sich unvermittelt mit dem Streitkolben aufs Knie schlug und rief: „Der Sieg ist unser!" oder: „Man vernagele mir dieses Panzerschiff!" oder: „Daß mich die Kugeln treffen!" Nichts vergötterte er nämlich mehr, schätzte nichts so sehr wie Stärke, Mut und Selbständigkeit, Piroggen in Branntwein mit Schießpulver, Zwieback und Munitionskisten sowie Kartätschen. Wenn er also traurig war, ließ er Regimenter an sich vorbeidefilieren, die sangen: „Die gewindegeschnittene Armee", „Zum alten Eisen werfen wir des Lebens Schmelz", „Es hallt die Mutter, morgen ist alles in Butter" oder auch das alte Kronlied „Pack ich den Meißel mit Verschluß, ich auf Bajonette stürzen muß". Und er ordnete an, daß bei seinem Tode die alte Garde an seinem Grab sein Lieblingslied singen sollte: „Alter Robot, hast zu rosten".
Klapaucius gelangte nicht auf Anhieb an den Hof des
großen Monarchen. In der ersten Ortschaft, in die er kam, klopfte er an verschiedene Türen, aber niemand machte ihm auf. Schließlich erblickte er auf einer gänzlich unbelebten Straße ein kleines Kind, das an ihn herantrat und ihn mit einem dünnen Stimmchen fragte: „Wollen Sie kaufen? Ich verkaufe billig."
„Vielleicht kaufe ich, aber was?" fragte Klapaucius verwundert.
„Ein kleines Staatsgeheimnis", erwiderte das Kind und
zeigte unter dem Hemdsaum einen schmalen Streifen vom Mobilmachungsplan. Klapaucius wunderte sich noch mehr und sagte: „Nein, mein Kindchen, das brauche ich nicht. Weißt du nicht, wo hier der Schultheiß wohnt?"
„Und wossu brauchen Sie einen Ssultheiß?" fragte das
Kind lispelnd. „Ich habe mit ihm zu reden." „Unter vier Augen?" „Meinetwegen auch unter vier Augen." „Dann brauchen Sie einen Agenten? Mein Papa wäre dazu geeignet. Er ist verläßlich und billig." „Zeig mir mal deinen Papa", sagte Klapaucius, als er sah, daß er anders von diesem Gespräch nicht loskommen würde. Das Kindchen führte ihn in eins der Häuser; drinnen, bei brennender Lampe, obwohl es hellichter Tag war, saß die Familie — der greise Opa auf dem Schaukelstuhl, die Großmutter, die einen Strumpf strickte, und ihre zahlreiche reife Nachkommenschaft; und jeder war mit seiner eigenen Arbeit beschäftigt, wie das zu Hause üblich ist. Als sie des Klapaucius ansichtig wurden, erhoben sie sich und stürzten sich auf ihn; die Strickdrähte erwiesen sich als kleine Fesseln, die Lampe als ein Mikrophon und die Großmutter als der Polizeivorsteher am Orte. „Offenbar ein Mißverständnis", dachte Klapaucius, als man ihn nach vorheriger Mißhandlung in die Zelle warf. Geduldig wartete er die ganze Nacht, denn er konnte ja sowieso nichts anderes tun. Das Morgengrauen versilberte die Spinnweben an den Steinwänden und die verrosteten Überreste der einstigen Gefangenen; nach einiger Zeit führte man ihn zum Verhör. Es stellte sich heraus, daß sowohl die Siedlung wie auch die Häuser und das Kind vorgetäuscht waren; auf diese Weise fing man linkerhand feindliche Agenten. Ein Gerichtsprozeß drohte Klapaucius nicht, das Verfahren war nämlich kurz. Für den Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem verräterischen Vater stand das Fallbeil dritter Klasse, denn die örtliche Verwaltung hatte in jenem Rechnungsjahr bereits den Fonds für den Ankauf verbraucht, Klapaucius aber wollte seinerseits trotz wiederholter Überredungsversuche kein Staatsgeheimnis erwerben; zusätzlich belastete ihn der Mangel eines ernsthaften Barbetrages. Er blieb stets bei seinem Standpunkt; der ihn verhörende Offizier schenkte jedoch seinen Worten keinen Glauben, übrigens läge, selbst wenn er es gewollt hätte, die Freilassung des Häftlings nicht in seiner Kompetenz. Die Angelegenheit wurde immerhin an eine höher Instanz verwiesen, und in der Zwischenzeit unterwarf man Klapaucius Folterungen, mehr aus Diensteifer denn aus wirklicher Notwendigkeit. Nach einer Woche nahm seine Angelegenheit eine günstige Wendung: der Geläuterte wurde in die Hauptstadt geschickt, wo er über die Regeln der höfischen Etikette in Kenntnis gesetzt und sodann der Ehre einer persönlichen Audienz beim König teilhaftig wurde. Er erhielt sogar eine kleine Trompete, weil nämlich jeder Bürger seine Ankunft und seinen Abgang an behördliche Stellen durch Blasen auf der Trompete verkündete, und der allgemeine Diensteifer war so groß, daß im ganzen Staat der Sonnenaufgang ohne Reveille nichts galt.
Mägerle verlangte tatsächlich von ihm neue Waffen: Klapaucius versprach, dem Monarchen diesen Wunsch zu erfüllen; seine neue Idee, so versicherte er, bedeute eine Umwälzung in der Kriegsführung. Welche Armee — fragte er — sei denn unbesiegbar? Eine, die bessere Befehlshaber und diszipliniertere Soldaten habe. Der Kommandant befehlige und der Soldat gehorche; der eine müsse daher klug sein, der andere gehorsam. Der Klugheit des Verstandes jedoch, selbst der eines militärischen, seien natürliche Grenzen gesetzt. Überdies könne ein genialer Befehlshaber auf seinesgleichen stoßen. Er könne auch auf dem Felde der Ehre fallen und seine Abteilung verwaist zurücklassen, wie er auch etwas Schlimmeres anrichten könne, indem er, gewissermaßen von Berufs wegen zum Denken angehalten, sein Augenmerk auf die Macht richte. Sei denn ein Haufen im Kampf verrosteter Stabsoffiziere nicht gefährlich, denen das taktische Denken dermaßen die Schläfen verkleistert habe, daß es sie nach dem Thron gelüste? Hätten denn nicht schon zahlreiche Königreiche darunter gelitten? Wie daraus zu ersehen sei, sind die Kommandeure nur ein notwendiges Übel; es komme darauf an, dieses Übel zu liquidieren. Ferner — die Disziplin der Armee beruhe darauf, daß diese genau die Befehle ausführe. Ideal sei eine, die aus tausend Gedanken und Herzen ein Herz, einen Gedanken und einen Willen mache. Diesem Zweck diene die Militärdisziplin, all der Drill, die Manöver und die Übungen. Als ein unerreichbares Ziel erscheine eine solche Armee, die buchstäblich wie ein Mann handelt und selbst Schöpfer wie Ausführender der strategischen Pläne ist. Wer sei also die Verkörperung eines solchen Ideals? Nur das Individuum, man gehorche nämlich niemandem so bereitwillig wie sich selbst, und niemand führe die erteilten Befehle so eifrig aus wie der, der sie sich selbst gibt. Überdies könne ein einzelner Mann niemals auseinanderlaufen, sich selbst den Gehorsam versagen oder gegen sich selbst aufmucken. Es komme also darauf an, daß man diese Bereitwilligkeit zu gehorchen, diese Eigenliebe, wie sie im Individuum verkörpert sei, zur Eigenschaft tausendköpfiger Kolonnen mache. Wie dies zu bewerkstelligen sei? Hier nun begann Klapaucius dem gierig lauschenden König die Ideen Gargancjans zu erläutern, die einfach waren, wie alles, was genial ist. Jedem Rekruten wird — so führte er aus — vorn ein Stecker und hinten eine Steckdose angeschraubt. Auf das Kommando „Anschließen!" springen die Stecker in die Steckdosen, und dort, wo sich zuvor eine Bande Zivilisten befunden hatte, steht nun eine Abteilung vollkommenen Heeres. Wenn die jeweiligen Gemüter, die bislang von außerdienstlichen Dummheiten abgelenkt waren, in eine wortwörtliche Einheit militärischen Geistes zusammenfließen, ergebe sich nicht nur automatisch eine Disziplin, die sich darin äußert, daß die gesamte Armee stets ein und dasselbe tut, denn sie ist ein Geist in einer Million von Leibern, sondern es trete zugleich auch die Klugheit auf den Plan. Diese Klugheit aber stehe im direkten Verhältnis zur Kampfstärke. Der Zug besitzt die Psyche eines Unteroffiziers; die Kompanie ist so klug wie ein Hauptmann, das Bataillon wie ein Diplomoberst, und eine Division, selbst die der Reserve, ist so viel wert, wie alle Strategen zusammengenommen. Auf diese Weise könne man zu Formationen gelangen, die von geradezu erschreckender Genialität seien. Die erteilten Befehle können sie unmöglich verweigern, denn wer höre nicht auf sich selbst? Durch diese Methode werde den Extravaganzen und Eigenmächtigkeiten der Individuen, der Abhängigkeit von den zufälligen Befähigungen der Befehlshaber, ihrer gegenseitigen Mißgunst, ihren Rivalitäten und Konflikten ein Ende gesetzt; die einmal verbundenen Truppenteile dürfe man nicht mehr trennen, denn das hätte nur Wirrwarr zur Folge. „Eine Armee ohne Führer ist sich selbst Führer — das ist meine Idee!" beendete Klapaucius seine Rede, die einen großen Eindruck auf den König gemacht hatte.
„Geh er in sein Quartier", sagte der Monarch schließlich,
„ich werde mich unterdessen mit meinem Generalstab beraten..."
„Oh, tun Sie das nicht, Majestät!" rief Klapaucius listig
und täuschte große Verlegenheit vor. „Genau das hatte Kaiser Turbuleo getan, und sein Stab verwarf den Plan, um seine eigenen Stellungen nicht zu verlieren, woraufhin Turbuleos Nachbar, König Emalius, das Kaiserreich mit seiner organisierten Armee überfiel und es in Schutt und Asche legte, obwohl seine Truppen achtmal schwächer waren!" Nach diesen Worten begab er sich in das für ihn bestimmte Appartement und sah sich das Kügelchen an, das rot wie eine Rübe war; hieraus folgerte er, daß Trurl beim König Unheuer im gleichen Sinne handelte. Bald auch befahl ihm der König, einen Zug Infanterie nach seinen Vorstellungen umzubilden; darauf verband sich jene kleine Abteilung im Geiste, wurde eine Einheit und schrie: „Lauf und morde!" Sie rollte den Hügel hinunter, fiel über drei Schwadronen königlicher Kürassiere her, die bis zu den Zähnen bewaffnet waren und von sechs Dozenten der Akademie des Generalstabs angeführt wurden, und rieb sie restlos auf. Das betrübte die Groß- und Feldmarschälle, die Generale und Admirale. Der König ließ sich sogleich pensionieren, und da er von der umwälzenden Neuerung vollends überzeugt war, befahl er Klapaucius, die ganze Armee umzuorganisieren.
In der Tat begannen die Büchsenmacher- und
Elektrobetriebe Tag und Nacht waggonweise Stecker herzustellen, die in allen Kasernen vorschriftsmäßig eingeschraubt wurden. Klapaucius machte Inspektionsreisen von Garnison zu Garnison und erhielt eine Menge Orden vom König; Trurl, der in ähnlicher Weise in der Unheuerei tätig war, mußte sich wegen der bekannten Sparsamkeit jenes Monarchen mit dem lebenslänglichen Titel des Großen Vaterlandsverräters begnügen. Beide Staaten bereiteten sich somit auf Kriegshandlungen vor. Im Eifer der Mobilmachung wurden sowohl konventionelle als auch nukleare Waffen vorbereitet. Von früh bis spät putzte man Kanonen und Atome, damit sie laut Vorschrift blitzten. Die Konstrukteure, die eigentlich nichts mehr zu tun hatten, gingen daran, ihre Sachen heimlich zu packen, um sich zu gegebener Zeit an der verabredeten Stelle am Raumschiff zu treffen, das im Wald bereitstand.
Unterdessen geschahen verschiedene Wunder in den
Kasernen, vor allem in denen, wo die Infanterie stationiert war. Die Kompanien brauchten nicht mehr gedrillt zu werden und brauchten nicht mehr abzuzählen, um ihre Kampfstärke zu ermitteln, ähnlich wie derjenige nicht das linke Bein mit dem rechten verwechselt, der beide hat, und nicht zu zählen braucht, um zu wissen, daß es ihn einmal gibt. Es war eine Freude zuzuschauen, wie solche neuen Abteilungen marschierten, wie sie „Links um" und „Stillgestanden" exerzierten; nach den Übungen jedoch begannen sich die Kompanien mit Redensarten zu bewerfen, so hallte es denn aus den offenen Fenstern der Kasernenbaracken um die Wette über den Begriff der kohärenten Wahrheit, über analytische und synthetische A-priori-Urteile oder über das Sein als solches, denn so weit war die kollektive Vernunft bereits gediehen. Man erarbeitete sich auch die philosophischen Grundlagen, bis schließlich ein Pionierbataillon zum absoluten Solipsismus gelangte und verkündete, nichts außer ihm existiere real. Da nun hieraus zu folgern war, daß es weder einen Monarchen noch einen Feind gebe, mußte dieses Bataillon in aller Stille auseinandergeschaltet und auf andere Abteilungen verteilt werden, die auf den Positionen des epistemologischen Realismus standen. Angeblich ging zu der gleichen Zeit in der Unheurei die sechste Luftlandedivision von den Landeübungen zu mystischen Übungen über und versank derart in der Kontemplation, daß sie fast in einem Bach ertrunken wäre; es ist nicht genau bekannt, wie sich das in Wirklichkeit zugetragen hat, jedenfalls wurde damals gerade der Krieg erklärt, und die eisenklirrenden Regimenter rückten von beiden Seiten langsam an die Staatsgrenze heran. Das Gesetz des Meisters Gargancjan wirkte mit unerbittlicher Konsequenz. Als sich Formationen mit Formationen verbanden, wuchs proportional dazu auch die ästhetische Empfindlichkeit, die auf der Stufe der verstärkten Division ihr Maximum erreichte, deshalb auch kamen Kolonnen von dieser Stärke leicht im Verfolg des ersten besten Schmetterlings auf Abwege, und als das Sehrlimussche motorisierte Korps an die feindliche Festung, die im Sturm genommen werden mußte, heranrückte, erwies sich der nachts angefertigte Angriffsplan als ein glänzendes Porträt dieser Festung, zudem war er im abstraktionistischen Geiste gemalt, der den militärischen Traditionen gänzlich widersprach. Auf der Stufe der Artilleriekorps trat hauptsächlich die schwierigste philosophische Problematik zutage; zugleich ließen diese großen Einheiten aus Zerstreutheit, wie sie nun einmal genialen Personen eignet, unterwegs die Waffen und das schwere Kriegsgepäck liegen, oder sie vergaßen gänzlich, daß sie in den Krieg zogen. Was nun die ganzen Armeen betraf, so wurde ihr Geist von mannigfachen Komplexen beherrscht, und so mußte jeder einer besonderen motorisierten psychoanalytischen Brigade angeschlossen werden, die während des Marsches die entsprechenden Eingriffe vornahm.
Sechs Infanteriesturmregimenter, die sich mit einer
Haubitzenbrigade und einem Ersatzbataillon vereinigt hatten, dichteten, nachdem man ihnen einen Exekutionspeloton anschloß, das „Sonett von dem Geheimnis des Seins", und das während des Nachtmarsches zu den Stellungen. Zu beiden Seiten entstand eine gewisse Verwirrung; das achtzigste Marlabardsche Korps rief, die Definition des Begriffs „Feind" solle unbedingt präzisiert werden, da sie bisher von logischen Widersprüchen belastet und womöglich gar sinnlos zu sein scheine. Die Fallschirmjägerabteilungen versuchten, die umliegenden Dörfer zu algorithmisieren, die Formationen stießen aufeinander, also schickten beide Könige die Flügeladjutanten und Sonderkuriere aus, damit sie Ordnung in die Reihen brachten. Aber kaum war einer herangesprengt und hatte mit seinem Pferd eine Volte gezogen und sich dem jeweiligen Korps angeschlossen, um zu erfahren, woher diese Unordnung komme, gab er im Nu seinen Geist im Korpsgeist auf. So blieben die Könige ohne Adjutanten. Das Bewußtsein erwies sich als eine schreckliche Falle, in die man hineingeraten, unmöglich aber herauskommen kann. Vor den Augen Unheuers sprengte sein Vetter, der Großherzog Derboullion, um der Truppe Mut einzuflößen, zu den Linien, kaum aber hatte er sich zwischengeschaltet, hauchte er seinen Geist aus und war überhaupt nicht mehr vorhanden.
Als Mägerle sah, daß es schlecht stand, obwohl er nicht
wußte, warum das so war, winkte er die zwölf Leibtrompeter heran. Auch Unheuer winkte, der auf dem Kommandeurshügel stand; die Bläser legten das Erz an die Lippen, und von beiden Seiten ertönten die Trompeten zum Angriff. Auf dieses langhallende Zeichen hin verband sich jede der Armeen endgültig. Das drohende Eisengeklirr der sich schließenden Kontakte wurde vom Winde auf das künftige Schlachtfeld getragen, und anstelle der tausendfachen Bombardiere und Kanoniere, Richtschützen und Ladeschützen, Gardisten und Artilleristen, Pioniere, Gendarmen und Marineinfantristen entstanden zwei gigantische Geister, die mit einer Million Augen über die große Ebene hinweg, die unter weißen Wolken lag, einander ansahen, und es trat ein Augenblick völlige Stille ein. Auf beiden Seiten war es nämlich zu der berühmten Kulmination des Bewußtseins gekommen, die der große Gargancjan mit mathematischer Genauigkeit vorausgesehen hatte. Oberhalb einer bestimmten Grenze verwandelt sich nämlich das Militärische als lokaler Zustand in das Zivile, und zwar deshalb, weil der Kosmos als solcher absolut zivil ist, und die Geister beider Heere hatten eben bereits eine kosmische Dimension erreicht! Obschon also von außen der Stahl, die Panzer, Kartätschen und tödlichen Stichwaffen glänzten, wogte innen ein doppelter Ozean abgeklärter Heiterkeit, allumfassenden Wohlwollens und vollkommener Vernunft. Auf den Hügeln stehend, mit dem in der Sonne funkelnden Stahl, unter unausgesetztem Trommelwirbel lächelten beide Armeen einander an. Trurl und Klapaucius traten gerade an Deck ihres Schiffes, da geschah es, was sie erstrebt hatten: Vor den Augen der vor Scham und Wut schwarz gewordenen Könige räusperten sich beide Heere, faßten einander unter und gingen spazieren, Blumen pflückend unter den dahineilenden Wolken auf dem Felde der nicht stattgehabten Schlacht.






Von den Drachen der Wahrscheinlichkeit


Trurl und Klapaucius waren Schüler des großen Kerebron Emtadrat, der siebenundvierzig Jahre in der Neantischen Hochschule die allgemeine Drachentheorie gelehrt hatte. Bekanntlich gibt es keine Drachen. Einem simplen Verstand mag diese primitive Feststellung vielleicht genügen, nicht aber der Wissenschaft, denn die Neantische Hochschule befaßt sich überhaupt nicht mit dem, was existiert; die Banalität der Existenz ist längst erwiesen, als daß man auch nur ein Wort darüber verlieren sollte. So entdeckte der geniale Kerebron, der mit exakten Methoden dem Problem zu Leibe ging, drei Arten von Drachen: Nulldrachen, imaginäre und negative Drachen. Es existieren, wie gesagt, alle nicht, aber jede Gattung auf eine besondere und grundverschiedene Weise. Die imaginären und die Nulldrachen, Einbilder und Nuller von Fachleuten genannt, existieren auf eine viel weniger interessante Weise nicht als die negativen Drachen. In der Drakologie war seit langem ein Paradoxon bekannt, das darin bestand, daß, wenn zwei negative Drachen herborisiert wurden (eine Aktion, die in der Drachenalgebra etwa der Multiplikation in der üblichen Arithmetik entspricht), als Resultat ein Minidrachen in der Menge 0,6 entsteht. Die Welt der Spezialisten zerfiel nun in zwei Lager, von denen eins behauptete, es handele sich um einen Teil eines Drachen, vom Kopfe an gerechnet, das andere, es sei ein Teil, aber vom Schwanze aus betrachtet. Trurls und Klapaucius' großes Verdienst bestand darin, die Falschheit dieser beiden Ansichten zu beweisen. Sie wandten zum ersten Mal die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf diesem Gebiet an und schufen damit die probabilistische Drakologie, aus der hervorgeht, daß ein Drachen thermodynamisch nur im statistischen Sinne unmöglich sei, ähnlich wie Elfen, Waldschratte, Heinzelmännchen, Gnome, Hexen und anderes. Von der allgemeinen Formel der Unwahrscheinlichkeit zählten beide Theoretiker die Koeffizienten der Gnomisierung, Elfisierung u. ä. auf. Aus der gleichen Formel geht hervor, daß man etwa sechzehn Quintoquadrillionen Heptillionen Jahre auf eine spontane Manifestation eines durchschnittlichen Drachens warten müsse. Gewiß wäre dieses Problem eine mathematische Rarität geblieben, hätte nicht Trurl die allseits bekannte Erfindergabe besessen und beschlossen, diesem Problem empirisch auf den Grund zu gehen. Und da es sich um unwahrscheinliche Erscheinungen handelte, erfand er einen Wahrscheinlichkeitsverstärker und erprobte ihn zuerst bei sich im Keller, dann auf einem besonderen, von der Akademie gestifteten drakogenetischen Polygon, dem sogenannten Drakolygon. Die in der allgemeinen Unwahrscheinlichkeitstheorie Unbewanderten fragen sich bis auf den heutigen Tag, warum Trurl eigentlich einen Drachen und nicht eine Elfe oder ein Heinzelmännchen probabilisiert habe, und sie tun das aus Ignoranz, denn sie wissen nicht, daß ein Drachen ganz einfach viel wahrscheinlicher ist als ein Heinzelmännchen; vielleicht beabsichtigte Trurl in seinen Versuchen mit Verstärkern auch noch weiterzugehen, doch bereits der erste brachte ihm eine schwere Kontusion ein, denn der sich realisierende Drache schlug mit dem Bein aus. Zum Glück konnte Klapaucius, der bei der Inbetriebnahme zugegen war, die Wahrscheinlichkeit herabmindern, und der Drachen verschwand. Viele Gelehrte wiederholten dann die Versuche mit dem Drakotron, da es ihnen aber an Routine und Kaltblütigkeit gebrach, gelangte eine beträchtliche Menge der Drachensaat, nachdem sie sie übel zugerichtet hatte, in Freiheit. Erst dann erwies es sich, daß die ekelhaften Ungeheuer ganz anders existieren, nämlich als Schränke, Kommoden oder Tische; die Drachen zeichnen sich vor allem durch eine im allgemeinen recht beträchtliche Wahrscheinlichkeit aus, wenn sie erst einmal entstanden sind. Wenn man nämlich auf einen solchen Drachen eine Jagd veranstaltet, obendrein eine Treibjagd, stößt die Schar der Jäger mit schußbereiten Waffen nur auf ausgebrannte, ganz und gar stinkende Erde, denn der Drache flüchtet, wenn er sieht, daß es schlecht um ihn steht, aus dem realen Raum in den konfigurativen. Als äußerst stures und schmutziges Tier macht er das natürlich rein instinktiv. Primitiv denkende Personen, die nicht begreifen können, wie das vor sich geht, verlangen mitunter jähzornig, man möge ihnen doch diesen konfigurativen Raum zeigen; sie wissen nämlich nicht, daß sich die Elektronen, deren Existenz ja niemand, der hell im Kopfe ist, verneinen wird, ebenfalls nur im konfigurativen Raum bewegen und ihr Schicksal von den Wellen der Wahrscheinlichkeit abhängt. Übrigens fällt es einem Eigensinnigen leichter, der Nichtexistenz von Elektronen als der von Drachen zuzustimmen, denn die Elektronen schlagen, zumindest wenn sie einzeln sind, nicht mit den Beinen aus. Ein Kollege Trurls, Kyber Harboriseus, verquantete als erster einen Drachen, bestimmte eine Einheit, Drakon genannt, mit der man bekanntlich die Zähler der Drachen kalibriert, und fixierte sogar die Windung ihres Schwanzes, was er fast mit dem Leben bezahlt hätte. Was gingen jedoch diese Errungenschaften die von den Drachen geplagten breiten Massen an, unter denen diese durch Trampeln, allgemeine Zudringlichkeit, Gebrüll und Flammen großen Schaden anrichteten und hie und da sogar Abgaben in Form von Mädchen erzwangen? Was ging die Unglücklichen an, daß Trurls Drachen als indeterministische, also nichtlokale Drachen sich zwar gemäß der Theorie, aber jedem Anstand hohnsprechend, verhielten und daß diese Theorie sogar die Biegungen ihrer Schwänze voraussah, die Dörfer und Saaten vernichteten? Es war also nicht verwunderlich, daß die Allgemeinheit den spektakulären Erfolg Trurls verurteilte, statt ihn richtig einzuschätzen, und eine Gruppe ganz besonderer Ignoranten auf dem Gebiet der Wissenschaft recht schmerzhaft den hervorragenden Wissenschaftler verprügelte. Er jedoch wurde mit seinem Freund Klapaucius nicht müde, weiter zu forschen. Daraus ging hervor, daß ein Drache in dem Grade existiere, der von seiner Laune und vom Zustand der allgemeinen Sättigung abhängt, ebenso, daß die einzige verläßliche Liquidationsmethode die Reduktion der Wahrscheinlichkeit auf Null oder gar auf negative Werte sei. Es ist daher begreiflich, daß diese Forschungen viel Mühe und Zeit verschlangen, derweil sich die Drachen, die sich in Freiheit befanden, immer mehr ausbreiteten und zahlreiche Planeten und Monde verwüsteten. Schlimmer noch, sie vermehrten sich sogar. Das gab Klapaucius die Gelegenheit, eine glänzende Arbeit zu veröffentlichten, nämlich „Die kovarianten Übergänge von Drachen zu Schlangen oder der spezifische Fall des Übergangs von physisch verbotenen zu polizeilich verbotenen Zuständen". Diese Arbeit machte in der wissenschaftlichen Welt viel Furore, wo es noch um den berühmten Polizeidrachenlaut war, mit dessen Hilfe tapfere Konstrukteure das Unglück ihrer unvergessenen Kollegen an dem bösen König Greulich rächten. Aber was für Verwicklungen entstanden, als bekannt wurde, daß ein Konstrukteur, ein gewisser Basilius, genannt der Emerdwaner, in der ganzen Milchstraße herumreiste und allein durch seine Gegenwart dort das Auftreten von Drachen verursachte, wo man sie früher nie zu Gesicht bekommen hatte. Wenn die allgemeine Verzweiflung und die nationale Katastrophe den Höhepunkt erreichten, erschien er bei dem Herrscher des jeweiligen Landes, um die Vernichtung der Monstren in Angriff zu nehmen, nachdem er zuvor das Honorar dafür in langen Verhandlungen bis zur Unmöglichkeit hochgeschraubt hatte. In der Regel gelang ihm auch die Vertilgung, obschon niemand wußte, wie er das zuwege brachte. Er verbürgte sich übrigens nur für eine statistische Garantie des Erfolges seiner Drakolyse, und als ihm ein Monarch Gleiches mit Gleichem vergalt und ihn mit Dukaten bezahlte, die auch nur statistisch gut waren, fluchte er furchteinflößend.

Trurl und Klapaucius begegneten sich zu jener Zeit an
einem heiteren Nachmittag, und es kam zwischen ihnen zu dem folgenden Gespräch: „Hast du schon von diesem Basilius gehört?" fragte Trurl. „Ja, das habe ich." „Und was ist deine Meinung?" „Die Geschichte gefällt mir nicht." „Mir auch nicht. Was denkst du darüber?" „Ich glaube, daß er einen Verstärker anwendet." „Für die Wahrscheinlichkeit?" „Ja, oder auch räsonierende Systeme." „Oder einen Drachengenerator." „Du meinst das Drakotron?" „Ja."
„Tatsächlich, das wäre gut möglich." „Aber weißt du",
rief Trurl, „es wäre auch eine Niedertracht. Das würde ja bedeuten, daß er diese Drachen sozusagen mitführt, aber nur im potenziellen Zustand, mit einer Wahrscheinlichkeit, die Null nahekommt."
„Und was meinst du, annulliert er sie dann mit einem
nihilisierenden Retrokreator, oder verringert er nur zeitweilig die Wahrscheinlichkeit, um sich in der Zwischenzeit mit dem Gold aus dem Staube zu machen?" „Schwer zu sagen. Wenn er nur entprobabilisierte, dann
wäre das eine noch größere Schurkerei, denn früher oder später müssen Null-Fluktuationen zur Aktivierung der Drakomatrize führen, und dann fängt die ganze Geschichte von neuem an." „Gewiß, aber er ist dann mit dem Geld schon weg...", murmelte Klapaucius. „Meinst du nicht, daß man in dieser Angelegenheit eigentlich an das Hauptamt für Drachenregulierung schreiben sollte?" „O nein, das nicht. Schließlich tut er das vielleicht gar
nicht. Wir besitzen diese Gewißheit nicht. Auch keine Beweise. Aber statistische Fluktuationen treten auch ohne Verstärker auf; früher hat es weder Matrizen noch Verstärker gegeben, und die Drachen waren manchmal aufgetaucht. Einfach rein zufällig." „Scheint so...", versetzte Trurl, „aber... sie tauchen erst dann auf, wenn er auf dem jeweiligen Planeten angekommen ist!"
„Gewiß. Doch es schickt sich eben nicht, zu schreiben;
immerhin ist er ein Fachkollege. Wir könnten höchstens selbst gewisse Schritte unternehmen." „Das können wir." „Auch ich bin dieser Meinung. Aber was tun?" Hier
vertieften sich beide berühmten Drakologen in eine Fachdiskussion, von der ein uneingeweihter Zuhörer nicht ein Wort begriffen hätte, weil er nur rätselhafte Wörter vernommen hätte, wie zum Beispiel „Drachzähler", „ungeschwänzte Transformation", „schwache drakonale Reaktionen", „Diffraktion und Diffusion von Drachen", „harter Drache", „weicher Drache", „draco probalisticus", „labiles Basiliskenspektrum", „Drache im Zustand der Erregung", „Annihilation zweier Drachen mit entgegengesetztem Amok im Kraftfeld allgemeiner Kopflosigkeit" usw.
Ergebnis dieser durchdringenden Analyse der
Erscheinung war eine Expedition, auf die sich beide Konstrukteure sehr sorgfältig vorbereiteten, ohne zu versäumen, ihr Schiff mit einer Menge komplizierter Apparaturen vollzuladen.
Insonderheit nahmen sie einen Diffusator sowie einen
Mörser mit, der mit Antiköpfen schoß. Während der Reise, als sie nacheinander auf Enzien, Penzien und Coerulea landeten, wurde ihnen klar, daß sie außerstande sein würden, den gesamten von der Plage heimgesuchten Bereich durchzukämmen, selbst wenn sie sich für diesen Zweck in Stücke reißen würden. Einfacher war es natürlich, wenn sie sich trennten, und nach der Arbeitsbesprechung begab sich denn auch jeder in seine Richtung. Klapaucius arbeitete lange auf Prestopondien, wo ihn Kaiser Ruhmreich Ampetricius engagiert hatte, welcher auch bereit war, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, nur um die Monstren loszuwerden. Drachen von maximaler Wahrscheinlichkeit drangen sogar bis in die Straßen der hauptstädtischen Burg vor, und von virtuellen wimmelte es geradezu allenthalben. Ein virtueller Drache „existiert" zwar nicht, würde ein naiver Durchschnittsmensch sagen, d. h. er kann in keiner Weise wahrgenommen werden, wie er auch nichts unternimmt, was seine Offenbarung hervorriefe, jedoch die von KyberTrurl-Klapaucius-Minog angestellte Berechnung, namentlich die Drako-Wellen-Gleichung, läßt deutlich erkennen, daß ein Drache aus dem konfigurativen Raum leichter in den realen Raum hinüberwechseln vermag als ein Kind aus dem Haus in die Schule. So konnte man also in der Wohnung, im Keller oder auf dem Dachboden jeden Augenblick bei allgemeinem Anstieg der Wahrscheinlichkeit einem Drachen begegnen, ja sogar einem Superdrachen.
Anstatt Drachen nachzujagen, was auch nicht viel
eingebracht hätte, ging Klapaucius als echter Theoretiker methodisch an die Sache heran — stellte auf Plätzen und Squares, in Dörfern und Städten probabilistische Drakoreduktoren auf, und in kurzer Zeit waren die Ungeheuer eine große Seltenheit. Nachdem Klapaucius die Gebühren, das Ehrendiplom und die Wanderfahne kassiert hatte, startete er, um sich mit seinem Freund zu treffen. Unterwegs beobachtete er einen Planeten, von dem ihm jemand verzweifelt zuwinkte. In der Annahme, es könne Trurl sein, dem etwas Schlimmes widerfahren sei, landete Klapaucius. Jedoch die Zeichen stammten von den Bewohnern Trufloforas, den Untertanen des Königs Grellius. Sie huldigten zahlreichen Vorurteilen und dem primitiven Glauben, und ihre Religion, die drakonistische Pneumatologie hieß, besagte, daß die Drachen als Strafe für Sünden erschienen und Seelen besäßen, die jedoch unsauber seien. Als er merkte, daß es zumindest unvernünftig wäre, sich mit den königlichen Drakologen auf Diskussionen einzulassen, denn die von ihnen benutzten Methoden beschränkten sich auf eine Beweihräucherung der heimgesuchten Stellen und auf die Verteilung von Reliquien, zog Klapaucius vor, das Terrain selbst zu sondieren. Den Planeten bewohnte augenblicklich nur ein Monstrum, aber eins von der scheußlichen Gattung der Jechiden. Er bot dem König seine Dienste an; aber der antwortete ihm nicht gleich frei heraus, da er sich ganz offensichtlich unter dem Einfluß der unsinnigen Doktrin befand, die die Ursachen der Entstehung von Drachen in eine metazeitliche Welt übertrug. Beim Studium der lokalen Zeitungen erfuhr Klapaucius, daß die Jechide, die auf dem Planeten grassiere, von den einen als Einzelexemplar, von den anderen hingegen als Pluralität aufgefaßt werde und imstande sei, sich an vielen Stellen zugleich einzufinden, Das gab ihm zu denken, obwohl er sich überhaupt nicht wunderte, denn die Lokalisierung der abscheulichen Wesen unterliegt sogenannten Drakoanomalien, und manche Exemplare, zumal die Zerstreuten, pflegten im Raum „verwischt" zu sein, was ein gewöhnlicher Effekt einer isospinalen Verstärkung des Quantenmoments ist. Wie eine Hand, die aus dem Wasser taucht, über der Wasseroberfläche fünf scheinbar miteinander gänzlich unzusammenhängende Finger zeigt und auf diese Weise aus dem konfigurativen Raum in den realen übergeht, wirken die Drachen pluralistisch, obwohl sie nur singulär sind. Gegen Ende einer der Audienzen fragte Klapaucius den König, ob nicht vielleicht schon Trurl auf seinem Planeten gewesen sei; und er beschrieb genau seinen Freund. Wie groß war seine Überraschung, als er vernahm, daß sein Kollege tatsächlich unlängst im Grelliusschen Reiche geweilt habe und es sogar übernommen hatte, die Jechide zu beseitigen, er habe eine Anzahlung genommen und sich in die nahe gelegenen Berge begeben, wo das Drachenweib besonders häufig beobachtet worden war; er sei darauf am nächsten Tag zurückgekehrt und habe das Gesamthonorar verlangt, und zum Beweis seines Triumphes habe er vierundzwanzig Drachenzähne gezeigt. Es kam jedoch zu gewissen Mißverständnissen, und die Auszahlung wurde bis zur Aufhellung der Angelegenheit gestoppt. Trurl soll darauf sehr erregt gewesen sein und sich in einer Weise mehrfach und laut über den herrschenden Monarchen ausgedrückt haben, die unverkennbar eine Majestätsbeleidigung geglichen habe, daraufhin habe er sich in unbekannter Richtung entfernt. Von diesem Tage an sei es um ihn stillgeworden, die Jechide jedoch sei zurückgekehrt, als wäre nichts geschehen, und verwüstete noch ärger Dörfer und Burgen zu allgemeinem Kummer.
Die Geschichte erschien Klapaucius recht verworren,
aber es fiel schwer, die Worte, die aus dem königlichen Munde kamen, anzuzweifeln, so nahm er denn einen Rucksack voll der stärksten drakoziden Mittel und ging einsam in die Berge, deren verschneiter Kamm sich majestätisch über dem östlichen Horizont erhob.
Recht bald entdeckte er auf den Felsen die ersten Spuren
des Monstrums, und selbst wenn er sie nicht bemerkt hätte, hätte er den charakteristischen stickigen Geruch der Schwefelausdünstungen wahrgenommen. Unverdrossen ging er weiter, jeden Augenblick bereit, zur Waffe zu greifen, die er sich über die Schulter gehängt hatte, und schaute ununterbrochen auf den Drachenzähler mit dem Pfeil. Eine Zeitlang stand er auf Null, dann begann er beunruhigend zu oszillieren, bis er allmählich, einen unsichtbaren Widerstand überwindend, in die Nähe der Eins rückte. Jetzt konnte Klapaucius nicht mehr daran zweifeln, daß sich die Jechide in der Nähe befand. Ihn wunderte es maßlos, denn es wollte ihm nicht in den Kopf, daß sein erprobter Kumpan und ein berühmter Theoretiker, wie Trurl es war, in seinen Berechnungen einen Bock schießen und somit das Drachenweib nicht vernichten konnte. Es fiel auch schwer, daran zu glauben, daß er, ohne sein Ziel erreicht zu haben, an den königlichen Hof zurückgekehrt sei und Belohnung für etwas verlangt habe, was er nicht gemacht hatte.
Bald begegnete er unterwegs einer Kolonne
Einheimischer, die ganz augenscheinlich maßlos verängstigt waren, denn sie warfen besorgt Blicke nach allen Seiten und waren bemüht, dicht beieinander zu bleiben. Gebeugt unter der Last, die sie auf dem Rücken und auf dem Kopf trugen, stapften sie im Gänsemarsch den Hang hinauf. Klapaucius grüßte sie, hielt den Zug an und fragte den Wegführer, was sie denn täten.
„O Herr!" erwiderte ihm jener, ein königlicher Beamter
niederen Ranges. „Wir bringen dem Drachen den Tribut." „Den Tribut? Ach so! Und was ist das für ein Tribut?"
„Er besteht aus dem, was der Drachen verlangt: aus Gold,
Edelsteinen, ausländischen Parfüms und einer Menge anderer Sachen, die von höchstem Wert sind." Hier kannte Klapaucius' Verblüffung keine Grenzen mehr, denn Drachen fordern nie einen solchen Tribut, und ganz bestimmt nicht aromatische Düfte, die gar nicht imstande wären, ihren natürlichen Gestank zu überwinden, auch kein Bargeld, mit dem sie überhaupt nichts anzufangen wüßten. „Und Jungfrauen verlangt der Drachen nicht, mein Bester?" fragte er noch.
„Nein, Herr. Früher tat er das. Vergangenes Jahr habe ich
sie ihm mandel- und dutzendweise, je nachdem, wie sein Appetit war, zugeführt. Seit der Zeit jedoch, als bei uns ein Fremder erschien, das heißt ein Ausländer, Herr, und mutterseelenallein mit Schachteln und Apparaten durch die Berge schweifte..." Hier unterbrach der brave Mann seine Rede zögernd und betrachtete besorgt Gerätschaften und Waffen des Klapaucius, hauptsächlich aber das große Zifferblatt des Drachenzählers, der die ganze Zeit leise getickt hatte und seinen roten Pfeil auf dem weißen Blatt zucken ließ. „Bei ihm war alles genauso wie bei Hochwohlgeboren!" sagte er mit einer etwas zitternden Stimme. „Die gleiche Ausrüstung und überhaupt..." „Ein Gelegenheitskauf auf dem Markt", sagte Klapaucius, in dem Bemühen, sein Mißtrauen einzuschläfern. „Aber sagt mir, meine Teuersten, wißt ihr vielleicht, was mit diesem Fremdling geschehen ist?" „Was aus dem geworden ist? Nun, wissen tun wir es nicht mehr, Herr. Das heißt, es war so: Einmal, es wird wohl zwei Wochen her sein — stimmt, was, Gevatter Barbaron? Zwei Wochen, mehr nicht?" „Freilich, Ihr sagt die Wahrheit, die reine Wahrheit, warum nicht? Zwei Wochen werden es sein oder auch vier. Vielleicht auch sechs."
„Also! Er kam, betrat unser Haus, stärkte sich, ich will
nichts sagen: Er hat gezahlt, wie es sich gehört, hat sich bedankt, es läßt sich wirklich nichts sagen, o nein, er hat sich umgeschaut, hat die Dielen beklopft, hat sich nach den Preisen vom vergangenen Jahr erkundigt, hat die Apparate auseinandergenommen, hat von den Zifferblättern etwas emsig abgeschrieben, daß ihm die Hände dabei flatterten, aber sorgfältig, eins nach dem anderen, in ein kleines rotes Buch, das er im Latz hatte, dann nahm er das — wie heißt es doch, Gevatter? Das Ter... Temper... ich krieg's nicht..."
„Das Thermometer, Schulze!" „Freilich, na klar! Er nahm
also das Thermometer und meinte, das wäre gegen die Drachen, und er steckte es hierhin und dorthin, schrieb wieder in seinem Heft, steckte die Apparate in den Sack, hievte den Sack auf den Rücken, verabschiedete sich und ging. Weiter wurde er nicht mehr gesehen. Doch da war noch etwas. In der gleichen Nacht gab es einen Knall und eine Explosion, jedoch in weiter Ferne. Als wäre es hinter dem Mydragower Berg gewesen — das heißt neben der Spitze, mit dem Sperber obendrauf, dieser nämlich ist dem Grellius seiner, er heißt so nach unserem wohlgeborenen König, der andere, der von der anderen Seite, der so mehr angelehnt ist, wie eine Hinterbacke an die andere, heißt Pakusta, weil einmal ein..." „Berge sind nicht so wichtig", sagte Klapaucius, „Ihr behauptet also, es hätte in der Nacht einen Knall gegeben. Was war dann?"
„Dann — gar nichts. Als es knallte, zitterte das Haus, daß
ich von der Pritsche herunterfiel. Aber ich bin es gewohnt, wenn sich die Drachin nämlich manchmal den Hintern am Haus reibt, dann wird man noch ganz anders durchgeschüttelt; und was der Bruder von Barbaron ist, den hat es in den Wäschekessel geworfen, weil die gerade wuschen, als die Drachin Lust bekam, sich an der Ecke zu kratzen..." „Doch zur Sache!" rief Klapaucius. „Es gab einen Knall — Ihr seid auf den Fußboden gefallen — und was weiter?"
„Ich sage doch — gar nichts. Hätte es etwas gegeben,
dann könnte man was sagen, aber wenn nichts war, dann gibt es auch nichts, worüber es sich lohnte, den Mund fußlig zu reden. Nicht, Gevatter Barbaron?" „Klar, so ist die Sache."
Klapaucius entfernte sich, hierauf zog die Trägerkolonne
weiter zum Berg, gebeugt unter der Last, denn der Drachentribut war schwer. Klapaucius vermutete, daß sie ihn in der vom Drachen bestimmten Höhle niederlegen würden, doch er wollte nicht nach den Einzelheiten fragen, denn er schwitzte am ganzen Leibe von diesem Gespräch mit dem Schultheiß und seinem Gevatter. Übrigens hatte er zuvor noch gehört, wie einer der Einheimischen zum anderen sagte, daß der Drache „einen solchen Ort gewählt habe, wo er es nicht weit und auch wir es nicht weit haben—".
Er schritt fürbaß auf dem Weg dahin, den er nach den
Messungen des Drakoindikators wählte, welches Gerät er sich um den Hals gehängt hatte, auch den Zähler vergaß er nicht, doch der zeigte ununterbrochen Null und acht Zehntel Drachen an. „Das muß ein sehr diskreter Drache sein, weiß der Teufel!" dachte Klapaucius, während er so marschierte, und alle Augenblicke blieb er stehen, denn die Strahlen der Sonne brannten entsetzlich, und in der Luft war eine Hitze, daß es über den erwärmten Felsen nur so zitterte, ringsum war nicht ein einziges Blättchen Vegetation zu sehen, nur rissiger trockener Schlamm in den Felsspalten und glühende Geröllhaufen, die sich bis zu den majestätischen Gipfeln erstreckten.
Eine Stunde verging, die Sonne neigte sich bereits auf die
andere Seite des Himmels, und er schritt noch immer über Kiesfelder, über Felsspalten, bis er sich schließlich im Land der engen Hohlwege und Spalten voller Finsternis befand. Der rote Pfeil kroch bis zur Neun unter der Eins und erstarrte zitternd.
Klapaucius legte den Rucksack auf den Felsen und war
gerade dabei, den Entdrakonisator herauszunehmen, als der Zeiger lebhaft zu schwanken begann. Er packte also den Wahrscheinlichkeitsreduktor und musterte scharfen Auges die Umgebung. Er befand sich auf einem Felsrücken und konnte in die Tiefe des Hohlwegs hineinschauen, in dem sich etwas bewegte.
„Potzblitz, da ist sie!" durchfuhr es ihn. Die Jechide war
nämlich weiblichen Geschlechts. Ihm kam der Gedanke, daß sie sich vielleicht aus diesem Grunde keine Jungfrauen wünsche. Früher jedoch hatte sie sie gern genommen. „Merkwürdig, sehr merkwürdig, aber jetzt ist Treffgenauigkeit die Hauptsache, dann wird alles noch gut!" überlegte er und langte für alle Fälle noch einmal in den Rucksack nach dem Drakodestruktor, dessen Kolben die Drachen ins Nichtsein befördert hatten. Er beugte sich hinter einem Felsen vor. Auf dem Grunde des engen Talkessels kroch eine Drachin riesigen Ausmaßes in einem trockenen Flußbett, dunkelgrau, mit eingefallenen Flanken, als hätte sie großen Hunger gelitten. Chaotische Gedanken jagten einander in Klapaucius Hirn. Konnte er sie annihilieren, indem er das Vorzeichen der Drachenmatrix von positiv in negativ änderte, wodurch die statistische Wahrscheinlichkeit des Nichtdrachens Oberhand über den Drachen bekommen hätte? Doch wie riskant war es, zog man in Betracht, daß schon eine winzige Oszillation eine Änderung verursachen konnte, deren Folgen katastrophal wären, denn schon manchem war in solcher Bestrahlung an Stelle eines Nichtdrachens ein Nichtlachen der Lohn, und wie soll auch von einem einzigen oder auch von zwei Buchstaben soviel abhängen! Übrigens würde eine totale Deprobabilisierung eine Untersuchung der Natur der Jechide unmöglich machen. So zögerte er und sah in Gedanken schon das reizvolle Bild der gewaltigen Drachenhaut in seinem Arbeitszimmer, zwischen dem Fenster und dem Bücherschrank: doch es war jetzt nicht die Zeit, sich Träumereien hinzugeben, obwohl sich ihm nun eine weitere Möglichkeit aufdrängte, als er niederkniete: dieses Exemplar mit so eigenartigem Geschmack an einen Drachenzoo abzutreten! Er hatte sogar noch Zeit für den Gedanken, was für eine wissenschaftliche Arbeit er, gestützt auf ein gut erhaltenes Exemplar, nebenbei schreiben könnte, er nahm also die Flinte mit dem Reduktor aus der rechten Hand in die linke, packte mit der rechten die mit dem Antikopf geladene Donnerbüchse, zielte sorgfältig und drückte ab.
Es krachte mordsmäßig. Ein perlgraues Rauchwölkchen
ringelte sich um den Lauf und um Klapaucius, so daß er das Ungeheuer für einen Moment aus den Augen verlor.
Aber gleich verzog sich der Rauch wieder.
Die alten Mären berichten eine Unmenge unwahrer Dinge über die Drachen. So heißt es zum Beispiel darin, die Drachen besäßen sieben Köpfe. So ist es nie. Ein Drache kann nur einen Kopf haben, denn zwei würden sogleich zu heftigen Streitigkeiten und Zänkereien führen; deshalb auch sind die Vielköpfer, wie die Gelehrten sie nennen, infolge innerer Zwistigkeiten ausgestorben. Von Natur aus hartnäckig und stumpfsinnig, vertragen diese Monstren nicht den geringsten Widerspruch, also führen zwei Köpfe an einem Körper zum schnellen Tode, denn jeder verweigert, um dem anderen zuwiderzuhandeln, die Nahrungsaufnahme und hält böswilligerweise sogar den Atem an — mit sattsam bekanntem Erfolg. Ebendieses Phänomen hatte sich Euphorius Rührselig, der Erfinder der Antikopfbüchse, zunutze gemacht. Man schießt dem Drachen ein kleines handliches Elektronenköpfchen in den Leib, und es kommt im Nu zu Hader und Skandalen, und als Folge davon bleibt der Drache wie gelähmt, völlig erstarrt, einen Tag, eine Woche, manchmal einen Monat auf einer Stelle; es kommt vor, daß ihn die Erschöpfung erst nach einem Jahr bezwingt. In dieser Zeit kann man mit ihm anstellen, wozu es einem gerade gelüstet. Jedoch der Drache, den Klapaucius angeschossen hatte, verhielt sich zumindest sonderbar. Er stellte sich zwar auf die Hinterbeine mit einem Gebrüll, von dem Steinlawinen über die Hänge rollten, er schlug auch mit dem Schwanz gegen die Felsen, bis der Geruch der entfachten Funken den ganzen Talkessel ausgefüllt hatte, dann kratzte er sich aber am Ohr, räusperte sich und ging weiter, als wäre nichts gewesen, er beschleunigte lediglich ein wenig seine Gangart, so daß er nun trabte. Klapaucius traute seinen Augen nicht, er jagte ihm über den Felsgrat nach und verkürzte sich so den Weg zum Ausgang des ausgetrockneten Flußbetts, denn nun schwebten ihm nicht nur eine kleine wissenschaftliche Arbeit vor oder ein, zwei Artikel im „Drachenalmanach", sondern zumindest eine Monographie auf Kreidepapier mit einem Abbild des Drachens und dem des Autors!
An der Biegung kauerte er sich hinter dem Felsen nieder,
legte den Unwahrscheinlichkeitswerfer an, zielte und betätigte die Depossibilitatoren. Der Kolben zitterte ihm in der Hand, die erwärmte Waffe umgab sich mit einem Schleier, den Drachen umringte ein Halo, wie den Mond, wenn sich schlechtes Wetter ankündigt, doch er löste sich nicht auf! Erneut machte Klapaucius den Drachen ganz und gar unwahrscheinlich; die Intensität der Impossibilität wuchs dermaßen an, daß ein vorbeifliegender Schmetterling mit dem Morsealphabet das zweite „Dschungelbuch" zu senden begann, und inmitten der Felsumrisse tauchten Schatten von Wahrsagerinnen, Hexen und Wurzelweibern auf, und das vernehmliche Echo galoppierender Hufe kündete an, daß irgendwo Zentauren hinter dem Drachen einherjagten, die die horrende Spannung des Werfers aus der Unmöglichkeit beschworen hatte. Der Drache jedoch tat, als wäre nichts geschehen, kauerte sich schwerfällig hin, gähnte und begann vergnügt die hängende Wamme mit den Hinterpranken zu kratzen. Die glühende Waffe brannte bereits Klapaucius' Finger, der verzweifelt auf den Abzugshahn drückte, denn er hatte bisher noch nie derartiges erlebt — die kleineren Steine in der Nähe erhoben sich langsam in die Lüfte, der Staub aber, den der sich kratzende Drache unter seinem Hinterteil emporwühlte, ordnete sich, anstatt in völligem Chaos niederzugehen, in der Luft in die gut lesbare Aufschrift DOKTOR, STEHE IHNEN ZU DIENSTEN. Es war dunkel geworden, denn aus dem Tag wurde Nacht, und ein paar Kalkfelsen brachen zu einem Spaziergang auf, unterhielten sich leise über dies und jenes, mit einem Wort, es geschahen wahre Wunder, das scheußliche Vieh jedoch, das kaum dreißig Schritt von Klapaucius entfernt ruhte, dachte nicht im geringsten daran, zu verschwinden. Klapaucius ließ den Werfer fahren und griff in den Brustlatz, holte eine Antidrachengranate hervor und schleuderte sie, seine Seele der Matrix allspinoraler Umwandlungen anvertrauend, nach vorn. Es donnerte, mit den Felsbrocken flog auch der Schwanz des Drachen in die Luft, welch letzterer mit unverfälscht menschlicher Stimme „Hilfe" rief und davonstiebte, geradewegs auf Klapaucius zu. Dieser sprang, als er den unausweichlichen Tod nahen sah, aus seinem Versteck hervor und hielt die kurze Antimateriearmbrust fest umklammert. Er holte aus, doch erneut ließ sich ein Schreien vernehmen:, ,Hör auf! Hör auf! Schlag mich nicht tot!"
„Was, ein redender Drache?" überlegte Klapaucius. „Das
kann nicht sein, ich muß wahnsinnig geworden sein..." Jedoch er fragte: „Wer spricht? Bist du's, Drache?" „Was
für ein Drache? Ich bin's!" Und tatsächlich tauchte Trurl aus der zerfließenden Staubwolke empor; er faßte den Hals des Drachen an, hantierte daran, und der Riese fiel sacht auf die Knie und erstarb mit langanhaltendem Klirren. „Was soll diese Maskerade? Was hat das zu bedeuten? Woher der Drache? Was hast du in ihm gemacht?" Klapaucius' Fragen prasselten auf Trurl nieder, der seine vollgestaubte Kleidung säuberte und sich seines Freundes zu erwehren versuchte. „Aber woher, wie denn, wo, was... Laß mich doch zu Wort kommen! Ich habe einen Drachen vernichtet, der König verweigerte mir aber
den Lohn dafür..." „Weshalb?"
„Sicherlich aus Geiz, ich weiß es nicht. Er wälzte das auf
die Bürokratie ab, es müsse erst das Gutachtenprotokoll einer Kommission vorliegen, mit Messungen und mit einer Sektion, der Thronbetriebsrat müsse zusammentreten, dies und das, der Hauptschatzmeister habe geäußert, man könne sich nicht einigen, wie die Auszahlung vorzunehmen sei, denn sie falle weder in den Bereich des Lohnfonds noch in den des Allgemeinfonds, mit einem Wort, obwohl ich ihn bat und drängte, obwohl ich zur Kasse und zum König ging, beim Thronrat antichambrierte, es wollte mich niemand anhören; und als sie mir schließlich empfahlen, meinen Lebenslauf mit Paßbildern einzureichen — da ging ich eben, doch der Drache befand sich bereits in einem nicht mehr umkehrbaren Zustand. Ich zog ihm die Haut ab, schnitt einige Armvoll Haselnußruten, dann fand sich noch ein alter Telegraphenmast, und mehr war nicht nötig, ich stopfte ihn aus, na, und dann — dann spielte ich eben etwas vor..."
„Unmöglich! Solltest du zu einer so schändlichen
Methode Zuflucht genommen haben? Du? Warum, um Himmels willen, wenn sie dich nicht bezahlten? Ich begreife überhaupt nichts mehr." „Ach, dumm bist du!" Trurl zuckte herablassend mit den Schultern. „Sie zollen mir ja unablässig Tribut! Ich habe schon mehr erhalten, als ich verlangen durfte."
„So ist das!!!" Eine Erleuchtung kam über Klapaucius.
Aber gleich fügte er hinzu: „Es ist ungehörig, durch Zwang..."
„Wieso ungehörig? Habe ich denn etwas Böses getan?
Ich bin in den Bergen herumspaziert, und abends habe ich etwas geheult. Ich war schrecklich echauffiert...", fügte er
hinzu und setzte sich neben Klapaucius.
„Wodurch eigentlich? Vom Heulen?" „Nein, wieso das?
Kannst du wirklich nicht eins und eins zusammenzählen? Was denn für Heulen? Jede Nacht bin ich gezwungen, Säcke mit Gold aus der verabredeten Höhle nach oben zu schaffen, schau nur dorthin!" Er deutete mit der Hand auf einen entfernten Bergrücken. „Dort habe ich mir einen kleinen Startplatz vorbereitet. Wenn du solche Zwanzigpudlasten von früh bis spät schleppen müßtest, würdest du schon sehen! Dieser Drache ist ja gar kein Drache, allein die Haut wiegt an die drei Tonnen, ich muß sie schleppen, muß brüllen, muß stampfen — das am Tage, und nachts diese Plackerei. Ich freue mich, daß du gekommen bist. Ich hatte es wirklich schon satt..." „Aber warum eigentlich ist dieser Drache — das heißt
diese scheußliche Larve — nicht verschwunden, als ich die Wahrscheinlichkeit bis auf Wunder herabminderte?" wollte Klapaucius wissen. Trurl räusperte sich, als wenn er verwirrt wäre. „Das ist meiner Umsicht zu verdanken", erläuterte er. „Schließlich hätte hier irgend so ein dummer Jäger auftauchen können, meinetwegen der Basilius, also habe ich unter der Haut antiprobabilistische Schirme angebracht. Und jetzt komm, da sind noch ein paar Säcke Platin übriggeblieben — es ist das Schwerste von allem, ich wollte es nicht allein tragen. Es trifft sich wunderbar, du wirst mir helfen..."

Wie Trurl und Klapaucius einen Dämon Zweiter
Ordnung schufen, um Mäuler den Mörder zu
besiegen


„Von den Völkern der Größeren Sonnen führen zwei Karawanenstraßen nach Süden. Die erste, die alte, vom Vierstern zum Gaurosauron, einem sehr hinterlistigen Gestirn mit veränderlichem Schein, das durch Verlöschen dem Abassitenzwerg ähnlich wird, wodurch Verirrte häufig in die Kirowwüste geraten und nur eine Karawane von zehn heil herauskommt. Die neue, die zweite Trasse, hat das Reich der Mirapuden eingerichtet, nachdem seine Rakentensalven einen sechs Milliarden Urmeilen langen Tunnel durch den weißen Gaurosauron gebohrt hatten. Der nördliche Eingang zum Tunnel ist so zu finden: Man folgt sieben elektrische Paternoster lang dem Kurs von der letzten Großen Sonne direkt zum Pol. Dann biegt man nach links ab mit einem kleinen Hals, bis die Feuerwand, das heißt die Flanke des Gaurosauron, aufgetaucht ist, worin die Tunnelöffnung als schwarzer Punkt im weißen Flammenmeer zu sehen ist. Von hier nun geht man stracks geradeaus, ohne etwas befürchten zu müssen, denn es können acht Schiffe Bord an Bord nebeneinander durch den Tunnel fahren; und es gibt keinen schöneren Anblick als den, der sich dann durch die Bordscheiben bietet. Meistens ist es ein Feuerregen; wenn die Sterninnereien aber von magnetischen Stürmen bewegt werden, die in einer Entfernung von einer oder zwei Milliarden Meilen tosen, sind große Feuerknoten und glühende Feuerarterien mit weiß flammenden Gerinnseln zu sehen, wenn jedoch der Sturm oder ein Taifun von der Stärke sieben naht, dann zittern die Gewölbe, als ob der weiße Teig der Glut einstürzen müßte, doch ist das nur Schein, denn er fliegt und stürzt nicht ein, er flammt, verbrennt aber nicht, da die Streben der starken Felder ihn halten. Sieht man aber, wie die Protuberanzfülle anschwillt und die langblitzigen Quellen, Höllenböller genannt, wüten und nahen, ist es gut, das Steuerrad fester zu packen, denn dann tut größte Steuergewandtheit not, und es ziemt sich, nicht auf die Landkarte, sondern auf die Eingeweide der Sonne zu blicken, denn es legt niemand diesen Weg zweimal auf die gleiche Weise zurück. Der mit dem Degen in den Gaurosauron gestochene Tunnel windet sich, schlängelt sich dahin und zittert wie eine Schlange unter Schlägen; deshalb hat man die Augen offenzuhalten, darf sich vom rettenden Eis nie trennen, das die Helmkappen mit durchsichtigen Zapfen umrankt, und muß aufmerksam die entgegenjagenden Brandwände beobachten, die prasselnde Zungen vorstrecken, und sich auf nichts außer auf den eigenen Scharfsinn verlassen, wenn man den feuergepeitschten und von Sonnenglut bespienen Schiffspanzer zischen hört. Zugleich aber muß man beachten, daß nicht jede Feuerbewegung und nicht jede Schrumpfung des Tunnels gleich ein Zeichen für das Beben des Sterns bedeutet, auch nicht der weiße Einbruch der Glutozeane, der erfahrene Schiffsmann wird daher, wenn er sich das eingeprägt hat, nicht gleich beim geringsten Anlaß ,zu den Pumpen' rufen, um nicht zu seiner Schande von den Erfahreneren zu hören, er habe mit einem Tropfen kühlenden Ammoniaks das ewige Feuer des Gestirns löschen wollen. Dem Fragenden, der wissen will, was er zu tun habe, wenn ein echtes Sternbeben über das Schiff hereinbricht, wird jeder Vakuumexperte sofort entgegnen, daß es dann genüge, zu seufzen, denn für größere Todesvorbereitungen bleibe ohnehin keine Zeit, die Augen aber könne man dann offen- oder geschlossen halten, ganz nach Belieben, das Feuer werde sie ja sowieso durchbohren. Jedoch gehört solch ein Mißgeschick zu den seltensten, denn die von den Mirapudanern eingesetzten Verklammerungsklammern halten die Gewölbe recht gut, und eine Direktreise durch das Sterninnere zwischen den biegsam blitzenden Spiegeln des Gaurosauronwasserstoffs kann durchaus zauberhaft sein. Nicht umsonst wird berichtet, daß derjenige, der den Tunnel betreten habe, ihn bald wieder verlassen werde; was man von der Kirowwüste nicht gerade behaupten könne. Wenn aber einmal in einem Jahrhundert der Tunnel von einem Beben demoliert wird, gibt es keinen anderen Weg außer diesem. Die Wüste ist schwärzer als die Nacht, denn das Licht der Sterne aus der näheren Umgebung wagt nicht, in sie zu dringen. Dort rasseln wie in einem Mörser die Wracks jener Schiffe, die durch den hinterhältigen Gaurosauron vom Kurs abgekommen und in der Umarmung der bodenlosen Strudel geborsten waren, um so bis zur letzten galaktischem Umdrehung zu kreisen, schauderhaft plattgedrückt von der Gravitation. Östlich von der Kirowwüste liegt das Reich der Schlüpfrigkiefrigen, im Westen das der Armäugigen, und nach Süden verlaufen die Wege, die dicht durchsetzt sind von Todesackern — hin bis zu der leichteren Sphäre der himmelblauen Lasurea und weiter zum flammenblättrigen Murgund, wo der Archipel eisenfreier Sterne blutet, der als Karosse des Alzaron bezeichnet wird. Wie gesagt, die Wüste ist ebenso voller Schwarz wie die Sonnenpassage des Gaurosauron voller Weiß. Nicht alle Not rührt dort von den Strudeln her, vom Sand, von den Strömungen, die aus der Höhe herab ziehen oder von rasenden Meteoren; von manchen wird nämlich behauptet, daß ein Ding oder auch ein Unding, genannt der Unbekannte, an einem unbekannten Ort sitze, in trüber Finsternis, seit alters her in unfaßbarer Tiefe: wer seinen wahren Namen kennenlernen will, indem er ihm begegnet, wird der Welt nichts mehr offenbaren können, weil er sie nicht mehr sehen wird. Man erzählt sich, der Unbekannte sei ein Räuber und Zauberer gewesen und bewohne eine eigene Burg, errichtet aus schwarzer Gravitation, die Burggräben seien eine ewige Lawine, ihre Mauern das Nichtsein, das vollkommen in seinem Nichts ist, ihre Fenster seien blind, ihre Türen taub; der Unbekannte lauere den Karawanen auf, und wenn ihn großes Verlangen nach Gold und nach Skeletten heraustreibe, blase er schwarzes Pulver auf die Sonnenscheiben, die die Wege weisen; und wenn er sie zum Verlöschen gebracht und die Wanderer vom sicherem Kurs weggelockt hat, stürzt er, Kobolz schießend, aus dem Nichtsein, umgibt sie mit engen Ringen und verschleppt sie in das Nichts seiner Burg, sorgsam darauf achtend, nicht die kleinste Rubinagraffe fallen zu lassen — so übergenau ist er in all seiner Schrecklichkeit. Danach schwimmen nur besagte Wracks von Nirgendwoher und kreisen in der Wüste, ihnen hinterher fliegen aber noch Schiffsniete, wie Kerne, die der Rachen des ungeheuerlichen Unbekannten ausgespien hat. Seit aber der Gaurosauronsche Tunnel durch die Sklavenarbeit der Raketenscharen der öffentlichen Nutzung übergeben werden konnte und die Raumfahrerei durch diese hellste aller Rinnen vor sich ging, wütet der Unbekannte, seiner Beute beraubt, und erhellt mit der Glut seiner Wut dermaßen die Finsternis der Wüste, daß sein Leib durch die schwarze Mauer der Gravitation hindurchschimmert, wie ein Larvengerüst, das in seiner Bespinnung wie in einem Grab, aber doch phosphorisch modert. Manche Besserwisser behaupten, ihn gebe es gar nicht, und es habe ihn nie gegeben; sie haben gut reden. Es ist nämlich viel schwerer, um die Darstellung der Dinge zu ringen, für die das Wort, in lauer Stille, fern von flammenden Gluten und Wüsteneien entstanden, keine Entsprechung besitzt. Es fällt leicht, das Ungeheuer zu leugnen, schwerer jedoch, dieses zu überwinden und seiner ekelhaften Gier zu entrinnen. Hatte es nicht gar den Murgunder Kybernator mit achtzig Gefolgsleuten auf drei Schiffen verschlungen, daß von all diesen Magnaten nichts übrigblieb außer ein paar angenagten Klammern, die von Bewohnern der Siedlungen der kleinen Solara gefunden wurden, da die Nebelfleckendrift sie an ihre Gestade geworfen hatte? Hatte es nicht zahllose andere Männer ohne Pardon aufgefressen? So mag denn wenigstens stilles elektrisches Gedenken diesen Unbeerdigten eine Huldigung darbringen, wenn sich schon niemand findet, der sich ritterlich, nach altem Sternumkreisungsgesetz, an jenen Übeltäter richte." Dies alles las Trurl einmal in einem vom Alter verblichenen Buch, das er von einem Verkäufer zufällig erworben hatte, und gleich brachte er es zu Klapaucius, um ihm diese Absonderlichkeiten von Anfang bis Ende laut vorzulesen, da sie ihm sehr gefielen. Klapaucius, der weise Konstrukteur, in Dingen des Kosmos erfahren und in Sonnen und Nebelflecken jeglicher Art beschlagen, lächelte nur, nickte und sagte: „Ich hoffe, du glaubst davon kein Wort?" „Warum sollte ich nicht glauben?" rief Trurl empört. „Sieh nur, hier ist sogar eine kunstvoll gemachte Gravüre, die den Unbekannten darstellt, wie er gerade zwei Sonnensegler verspeist und in den Kasematten die Beute birgt. Übrigens, gibt es denn nicht wirklich einen Tunnel in einem Superstern, zugegeben, in einem anderen, dem Beth-el Geus? Du bist doch wohl in der Kosmographie nicht so unbewandert, daß du das bezweifeln würdest?" „Hinsichtlich des Kupferstichs kann ich dir auf der Stelle einen Drachen mit Augen von je tausend Sonnen zeichnen — wenn dir eine Zeichnung als Wahrheitsbeweis gilt", sagte hierauf Klapaucius. „Und was den Tunnel betrifft, so hat er nur eine Länge von zwei Millionen und nicht von zwei Milliarden Meilen, zweitens ist der Stern nahezu erloschen, und drittens stellt die Fahrt durch den Tunnel nicht die geringste Gefahr dar, was dir sehr wohl bekannt sein dürfte, da du ja dort geflogen bist. Was nun die sogenannte Kirowwüste anbelangt, so ist das in Wirklichkeit einfach eine zehn Kiloparsek breite Masse kosmischen Mülls, die zwischen Maerydia und Tetrarchidis kreist und nicht in der Nähe irgendwelcher Feuerköpfe oder Gaurosaurier, die es überhaupt nicht gibt. Es stimmt zwar, daß es dort finster ist, aber nur von dem vielen Schmutz. Einen Unbekannten gibt es selbstverständlich dort nicht! Das ist nicht einmal ehrbarer antiker Mythos, sondern Phantasterei, die in einem wirren Kopf entstanden ist."

Trurl preßte die Lippen zusammen. „Der Tunnel ist nicht
wichtig", sagte er. „Du meinst, er sei ungefährlich, weil ich dort geflogen bin; wärst du es gewesen, würde man ganz andere Sachen zu hören bekommen. Aber lassen wir einmal den Tunnel, meine ich. Was die Wüste und den Unbekannten betrifft, so liegt mir nichts an einem Überzeugen durch Wortargumente. Fahr hin, dann wirst du sehen, was wahr daran ist" — hier ergriff er das dicke Buch, das auf dem Tisch lag — „und was nicht." Klapaucius versuchte ihm diese Absicht, so gut er konnte, auszureden, als er jedoch eingesehen hatte, daß Trurl, hartnäckig wie immer, nicht im geringsten daran dachte, auf eine so eigenartig begonnene Expedition zu verzichten, erklärte er zunächst, er wolle ihn nicht mehr sehen, bald jedoch begann auch er sich für den Weg zu rüsten, denn er wollte nicht, daß sein Freund allein ums Leben kam — zu zweit blickt man dem Tod mutiger ins Auge.
Nachdem er sich mit vielerlei Dingen ausgerüstet hatte,
denn der Weg sollte durch Wüsteneien führen (wenn diese auch nicht so malerisch waren, wie sie das Buch schilderte), brachen sie mit ihrem bewährten Raumschiff auf; während der Reise machten sie hier und da halt, um Erkundigungen einzuziehen, vor allem, als sie das Gebiet verlassen hatten, über das sie genaue Angaben besaßen. Jedoch war von den Einheimischen nicht viel zu erfahren, da sie nur über ihre nähere Umgebung sachlich zu berichten wußten, darüber aber, was sich dort befand und was sich ereignete, wo sie selbst nie gewesen, erzählten sie die unglaublichsten Dinge, und zwar in allen Einzelheiten, mit Behagen und mit Entsetzen zugleich. Klapaucius hatte eine kurze Bezeichnung für solche Berichte, er nannte sie korrosiv, auf jene Korrosion und Sklerose anspielend, von der alle Greisenhirne geplagt werden.
Als sie sich nun der schwarzen Küste bis auf fünf oder
sechs Millionen Feueratemzüge genähert hatten, kamen ihnen Gerüchte über einen gewalttätigen Riesen zu Ohren, der sich Diploj-Sbirre nannte; dabei hatte ihn nie einer gesehen, und man konnte sich auch nicht erklären, was das sonderbare Wort „Diploj", mit dem dieses Gebilde bezeichnet wurde, zu bedeuten habe. Trurl dachte, es könnte vielleicht der entstellte Terminus „Dipol" sein, was von der polaren und zugleich widersprüchlichen, ambivalenten Natur des Räubers zeuge, Klapaucius jedoch, der von beiden der Nüchternere war, zog es vor, sich jeglicher Hypothese zu enthalten. Offenbar — so verlautete es — sei jener Räuber grausam und jähzornig, was sich darin äußere, daß er, nachdem er seine Opfer aller Dinge beraubt habe, immer noch unzufrieden durch seinen schrecklichen Geiz, weil es ihm in seiner Gier niemand recht machen konnte, sehr lange und schmerzhaft zuzuschlagen pflege, bevor er jemanden freilasse. Die Konstrukteure überlegten eine Weile, ob sie sich nicht mit einer Feuer- oder Stichwaffe ausrüsten sollten, bevor sie den schwarzen Rand der Wüste überschritten, doch schließlich erkannten sie, daß ihre Köpfe die beste Waffe seien, geschärft bei der Konstruktion, weitreichend und universell, und so fuhren sie, wie sie da standen.
Es muß eingeräumt werden, daß Trurl im Verlaufe der
weiteren Reise recht bittere Enttäuschungen erleben mußte, denn in dem alten Buch waren die Sternballungen, die Flammenherde, die öden Wüsteneien, die Meteorenriffs und die wandernden Felsen viel schöner geschildert, als sie sich dem Auge des Reisenden in Wirklichkeit darboten. Die wenigen Sterne in dieser Gegend waren ganz unansehnlich und obendrein alt; die einen blinzelten kaum, wie in Asche glimmende Kohlenstückchen, die anderen waren an der Oberfläche bereits vollends nachgedunkelt, und nur durch die Risse ihrer schlampig gefalteten Rinde aus Schlacke glommen rote Äderchen; flammende Dschungel oder heimliche Strudel gab es hier gar nicht, auch hatte niemand von ihnen je etwas gehört. Die ganze Wüstenei zeichnete sich nämlich dadurch aus, daß sie todlangweilig war; was nun die Meteore betraf, so gab es sie wie Sand am Meer, jedoch flog in diesem klappernden Gerumpel mehr Schmutz mit als anständige magnetische Magnetite oder tektische Tektite, und das, weil man von hier mit der Hand zum galaktischen Pol reichen konnte und die Rotation der finsteren Strömungen gerade hierher, nach Süden, Unmengen von Abfällen und Staub aus den zentralen Sphären der Galaxis zog. Daher nannten die benachbarten Stämme und Völkerschaften dieses Gebiet nicht Kirowwüste, sondern einfach nur: Müllhaufen.
So steuerte Trurl also, bemüht, seine Enttäuschung vor
Klapaucius so gut wie möglich zu verbergen, das Raumschiff in die Wüste — und gleich schlug Sand gegen seine Panzerung, und all der Sternenunrat, den die Sonnen mit ihren Protuberanzen ausspien, ließ sich mit so dicker Schicht auf den Wänden des Rumpfes nieder, daß beim Gedanken an eine künftige Säuberung die Lust an allem, hauptsächlich aber an eine Reise, gründlich verging. Die Sterne waren lange schon im allgemeinen Dämmer
verschwunden, und so flogen sie aufs Geratewohl, doch plötzlich wurde das Schiff erschüttert, so daß alle Gerätschaften, Töpfe und Instrumente rasselten, und sie spürten, daß sie irgendwohin flogen, und das immer schneller; schließlich krachte es entsetzlich, das Schiff setzte ziemlich weich auf und erstarrte in schrägem Neigungswinkel, als habe sich seine Spitze in etwas Unbewegliches gebohrt. Sie stürzten zu den Fenstern, draußen jedoch herrschte völlige Finsternis — nichts war zu sehen. Schon hörte man es rattern, ein Unbekannter von entsetzlicher Kraft war dabei, gewaltsam in das Innere einzudringen, daß die Wände nur so hüpften. Jetzt erst hatten sie geringes Vertrauen in ihre vernünftige Wehrlosigkeit, aber hinterher war es nutzlos zu klagen, also machten sie selbst die Klappe von innen auf, jedoch nur, damit man sie ihnen nicht mit Gewalt zuschanden machte.
Was erblickten sie? Jemand steckte sein Maul durch die
Luke. Es war so groß, daß keine Rede davon sein konnte, daß er auch seinen Körper durchstecken konnte; dieses Maul war unheimlich abstoßend, war von oben bis unten, längs und quer, mit Augen besetzt und hatte eine Nase wie eine Säge sowie Kiefer oder auch Nichtkiefer, die hakenförmig und stählern waren; es rührte sich nicht, da es die Luke vollends ausfüllte, und nur seine Augen linsten diebisch nach allen Seiten, dergestalt, daß jedes Grüppchen davon einen anderen Teil der Umgebung erfaßte, und sie hatten einen Ausdruck, als wollten sie abschätzen, ob all das sich ehrlich lohnte; selbst ein Dümmerer als unsere Konstrukteure hätte begriffen, was dieses Anschauen bedeutete, da es außerordentlich vieldeutig war.
„Was ist?" sagte schließlich Trurl, den dieses unverschämte Beäugen, das sich in aller Stille abspielte, wütend machte. „Was willst du, gräßliche Fratze? Ich bin der Konstrukteur Trurl, der allgemeine Omnipotentiator, und dies ist mein Freund Klapaucius, ebenfalls eine Berühmtheit und eine große Leuchte, und wir sind mit unserem Raumschiff rein touristisch geflogen, also bitte ich darum, daß das Gesicht sofort verschwindet und wir aus diesem finsteren Ort, der sicherlich voll Unrat ist, herausgeführt werden, damit wir wieder in ein anständiges reines Vakuum gelangen, widrigenfalls sehen wir uns genötigt, eine Beschwerde einzureichen, und dann wird man dich, den Mülltonnenwühler, in deine Bestandteile zerlegen — hörst du, was ich sage?!" Jener erwiderte nichts — linste weiter umher und schien etwas zu berechnen. Stellte er Kalkulationen an — oder was? „Hör mal, du aufgeblähte Mißgeburt", rief Trurl, der jetzt
auf nichts mehr Rücksicht nahm, obwohl Klapaucius ihn
zur Mäßigung in die Rippen knuffte, „wir haben weder Gold noch Silber und auch keine Juwelen, laß uns also gleich von hier fort, nimm vor allem aber dein großes Maul weg, denn es ist unsäglich abstoßend. Und du", hier wandte er sich an Klapaucius, „du hör auf, mich zu knuffen, damit ich mich mäßige, ich habe meinen eigenen Verstand und weiß, wie mit wem zu reden ist!"
„Ich verlange nicht nur Gold und Silber", versetzte plötzlich das Maul und wandte tausend feurige Augen auf Trurl, „und zu reden hat man mit mir zartfühlend und mit Hochachtung, denn ich bin ein Räuber mit Diplom, bin gebildet und nervös von Natur. Ich hatte schon andere bei mir als euch und habe nachgeprüft, soviel ich wollte — und wenn ich alles bei euch zusammenschweiße, dann sickert auch aus euch Süßigkeit. Ich heiße Mäuler, messe dreißig Arschin in jede Richtung und raube tatsächlich Kostbarkeiten, aber in einer wissenschaftlich modernen Weise, das heißt: Ich entwende wertvolle Geheimnisse, Schätze der Wissenschaft, authentische Wahrheiten, überhaupt jede Information von Wert. Aber nun her damit, los, sonst pfeife ich! Ich zähle bis fünf — eins, zwei, drei..."
Er zählte bis fünf, und da sie ihm nichts gaben, pfiff er
tatsächlich, daß ihnen beinahe die Ohren abgefallen wären, Klapaucius aber begriff, daß dieses „Diploj", von dem die Eingeborenen mit Angst erzählt hatten, eben ein Diplom war, das der Räuber offenbar an einer Akademie für Räuberwesen erworben hatte. Trurl mußte sich mit den Händen an den Kopf fassen, denn Mäuler besaß eine Stimme, die seinem Wuchs angemessen war. „Gar nichts bekommst du!" rief er, indes Klapaucius nach Watte rannte. „Und du nimmst auf der Stelle das Maul weg!" „Wenn ich das Maul wegnehme, stecke ich die Hand 'rein", erwiderte Mäuler, „und die ist klaftergroß, zangenartig und schwer, daß Gott behüte! Achtung ich beginne!"
In der Tat: die Watte, die Klapaucius brachte, erwies sich
als unnötig, denn das Maul verschwand, und eine knorrige, stählerne, dreckige, schaufelfingrige Pranke erschien; gleich fing sie an zu wühlen, zerbrach Tische und Schränke und Hindernisse, daß die Bleche nur so kreischten. Trurl und Klapaucius flohen von der Pranke in die Atomsäule, und sobald sich nur ein Finger näherte, bekam er von oben eins verpaßt: bauz! Schließlich ärgerte sich der diplomierte Räuber, steckte erneut das Maul durch die Luke und versetzte: „Ich rate euch im guten, einigt euch gleich mit mir, denn sonst lege ich euch für später beiseite, in die Tiefe meiner Vorratsgrube, schütte euch mit Schmutz zu und drücke euch mit Steinen fest, daß ihr euch nicht rühren könnt und euch der Rost vollends auffrißt; ich bin schon mit anderen fertig geworden; ihr könnt wählen!" Trurl verwarf jeden Gedanken an Verhandlungen, aber Klapaucius war anderen Sinnes und fragte, was sich der Diplomand denn eigentlich wünsche. „Die Rede höre ich gern", versetzte er hierauf. „Ich sammle Schätze des Wissens, denn dies ist das Hobby meines Lebens, das sich aus der Hochschulbildung und der praktischen Einsicht in das Wesen der Dinge ergibt, zumal es hier für gewöhnlich Schätze, nach denen einfältige Räuber gieren, nicht zu kaufen gibt; Wissen hingegen sättigt den Hunger nach Erkenntnis, außerdem ist bekannt, daß alles Existierende Information ist; ich sammle sie also seit Jahrhunderten und werde es auch weiterhin tun; natürlich habe ich auch nichts dagegen, Gold oder Juwelen zu kassieren, denn das ist schön, erfreut das Auge und kann aufgehängt werden, aber ich tue es nur nebenbei, wenn sich dazu die Gelegenheit bietet. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich Prügelstrafe für falsche Wahrheiten anwende, ebenso für falsche Metalle, denn ich bin ein Schöngeist und lechze nach Authentizität!"
„Und was wäre das für eine authentische und wertvolle
Information, nach der es dich verlangt?" fragte Klapaucius.
„Jede, vorausgesetzt, daß sie wahr ist!" erwiderte jener.
„Jede kann in einer Lebenslage von Nutzen sein. Meine Keller und Verliese sind ziemlich voll, aber es geht noch einmal soviel hinein. Erzählt, was ihr wißt und was ihr könnt, ich schreibe es mir auf. Aber schnell!"
„Da haben wir uns eine schöne Sache eingebrockt", flüsterte Klapaucius Trurl ins Ohr, „der kann uns ein ganzes Jahrhundert hier festhalten, ehe wir ihm alles gesagt haben, was wir wissen, unsere Weisheit ist ungeheuer!"
„Warte", versetzte hierauf Trurl, „laß mich mit ihm
verhandeln." Und laut sagte er: „Hör zu, du diplomierter Räuber. Was das Gold anbelangt, so besitzen wir Informationen, die mehr als alle anderen wert sind, es besteht eine Vorschrift, wie man Gold aus Atomen gewinnt; sagen wir es gleich: aus Wasserstoffatomen, denn ihrer gibt es im Kosmos ohne Zahl — willst du diese Vorschrift, dann sind wir uns einig, hinterher läßt du uns frei." „Ich habe schon eine ganze Kiste mit solchen Rezepten", erwiderte das Maul und glotzte zornig aus seinen Augen. „Alle taugen sie nichts. Ich lasse mich nicht mehr betrügen — erst muß die Gebrauchsanweisung ausprobiert werden." „Warum nicht? Hast du einen Topf?" „Nein."
„Macht nichts, es wird auch ohne Topf gehen.
Hauptsache, es dauert nicht lange", entgegnete Trurl. „Die Vorschrift ist einfach: so viele Atome Wasserstoff, wie ein Atom Gold wiegt, also siebenundachtzig. dann die Wasserstoffatome von den Elektronen säubern, dann die Protonen rühren, den Kernteig durchkneten, bis Mesonen auftauchen, und ringsum alles hübsch mit Elektronen besetzen. Dann hast du reines Gold. Sieh her!"
Trurl begann Atome zu fangen, schälte die Elektronen
heraus, mischte die Protonen, daß man seine Finger in der Eile gar nicht sah, knetete den Protonenteig, zog Elektronenkreise ringsherum, dann verfuhr er ebenso mit dem nächsten Atom; kaum waren fünf Minuten vergangen, da hielt er bereits einen Klumpen echten Goldes in den Händen, reichte ihn dem Maul, dieses biß an, nickte und sagte: „Na schön, Gold ist das ja, aber ich schaffe es nicht, den Atomen so schnell hinterherzulaufen. Ich bin zu groß."
„Macht nichts, du bekommst dafür einen geeigneten
kleinen Apparat!" lockte Trurl. „Denk nur, auf diese Weise läßt sich alles in Gold umwandeln, nicht nur der Wasserstoff, wir geben dir auch noch Rezepte für andere Atome; der ganze Kosmos läßt sich in Gold umwandeln, wenn man sich bloß ein bißchen anstrengt!"
„Wäre er ganz aus Gold, so verlöre er jeden Wert",
versetzte hierauf der praktische Mäuler. „Nein, eure Vorschrift nützt mir nichts: das heißt, gewiß, aufgeschrieben habe ich sie, aber das genügt nicht! Ich lechze nach Schätzen der Wissenschaft." „Was willst du dann, Teufel noch mal?" „Alles!"
Trurl sah Klapaucius an, Klapaucius beäugte den Trurl,
und dieser sprach wie folgt: „Wenn du einen großen Schwur tust und schwörst, daß du uns dann gleich freiläßt, geben wir dir die Information über die Allinformation, das heißt, wir bauen dir eigenhändig einen Dämon Zweiter Ordnung, welcher magisch, thermodynamisch, unsklavisch und statistisch ist und dir aus einem alten Faß oder auch nur aus einem Niesen Informationen über alles extrahieren und sammeln wird, was war, was ist, was sein kann und was sein wird. Es gibt keinen Dämon über diesen Dämon, denn er ist Zweiter Ordnung, wenn du ihn also willst, dann rede gleich!" Der Diplomräuber war mißtrauisch und ging nicht gleich auf die Bedingungen ein, zu guter Letzt legte er den Schwur ab, jedoch mit der Einschränkung, daß erst der Dämon entstehen und seine allinformatorische Macht beweisen müsse. Trurl nahm die Bedingung an.
„Paß nun auf, Großmäuliger!" sagte er. „Hast du
irgendwo Luft bei dir? Ohne Luft kann der Dämon nämlich nicht arbeiten."
„Etwas wird wohl dasein", sagte Mäuler, „aber ganz rein
ist sie nicht, sie ist abgestanden." „Schadet nichts, sie kann sogar faulig sein, das hat keine Bedeutung", sagten die Konstrukteure. „Führe uns dorthin, wo die Luft ist, und wir zeigen dir alles!" Er ließ sie also aus dem Raumschiff, indem er sein Maul wegrückte, und sie folgten ihm, während er sie zu sich führte — Beine hatte er wie Türme, einen Rücken wie einen Abgrund, und sein ganzer Körper war seit Jahrhunderten ungewaschen und ungeölt, er knirschte also geradezu unmöglich. Sie folgten ihm in die Kellergänge; auf dem Wege lagen verschimmelte Säcke herum, in denen der Geizhals die geraubten Informationen hielt, gebündelt und in Packen geordnet, mit Schnüren umwunden, und alles Wichtigere und Wertvollere war mit Rotstift unterstrichen. Und an der Wand des Verlieses hing ein riesiger Katalog, mit einer von Rost zerfressenen Kette an den Felsen geschmiedet. Darin waren alle möglichen Fächer — bei A war der Anfang. Trurl sah sich das an und ging weiter —, ein dumpfes Echo antwortete, er verzog das Gesicht, ebenso Klapaucius, denn obschon alles voll war von geraubten, authentischen kostbaren Informationen, so befanden sich jedoch überall, wohin sich das Auge wandte, Gerumpelhöhlen und Schmutzkeller. Alles war voll Luft, aber die war ganz stickig. Sie blieben stehen und Trurl sagte: „Gib acht! Die Luft besteht aus Atomen, diese Atome springen nach allen Seiten und prallen milliardenmal in der Sekunde in jedem Kubikmikromillimeter zusammen, und das ist eben das Gas, weil sie so ewig hüpfen und miteinander anstoßen. Aber wenn sie auch so blindlings und rein zufällig springen, so gibt es davon doch in jeder Ritze Milliarden über Milliarden, infolge dieser hohen Anzahl bilden sich aus jenen Sprüngen und Schwüngen unter anderem auch durch reinen Zufall verursachte sinnvolle Konfigurationen... Weißt du denn, du Kamel, was das ist, so eine Konfiguration?" „Keine Beleidigung, bitte!" entgegnete Mäuler. „Ich bin nämlich kein einfacher ungehobelter Räuber, sondern ein feinsinniger, einer mit Diplom, und ich bin deshalb sehr nervös."
„Gut. Aus diesen atomaren Sprüngen entstehen also
gewichtige, das heißt sinnvolle Konfigurationen, etwa so, wie wenn du, ohne zu zielen, gegen eine Mauer schössest und die Treffer einen Buchstaben bildeten. Was im großen Maßstab selten und wenig wahrscheinlich ist, das ist im Atomgas alltäglich und stetig, eben wegen jener Billionen Zusammenstöße in jedem hunderttausendstel Teilchen einer Sekunde. Das Problem stellt sich nun folgendermaßen dar: In jeder Prise Luft formen sich durch das atomare Gezappel und Gehampel gewichtige Wahrheiten und bedeutsame Sentenzen, aber gleichzeitig entstehen dort ganz und gar sinnlose Sprünge und Abpraller; und von den letzteren gibt es tausendfach mehr als jene. Obschon man auch früher wußte, daß vor deiner Sägenase in jedem Milligramm Luft innerhalb des Bruchstücks einer Sekunde Fragmente jener Poeme entstehen, die erst nach einer Million von Jahren geschrieben werden, auch Teile verschiedener herrlicher Wahrheiten sowie die Lösungen sämtlicher Rätsel des Daseins und seiner Geheimnisse, so gab es noch Verfahren, diese Information vollends zu isolieren, um so mehr, als die Atome, die mit den Köpfen zusammenstoßen und sich zu einem Inhalt ordnen, gleich wieder auseinanderfliegen, und mit ihnen zerfällt auch dieser, vielleicht für immer. Der ganze Witz liegt also darin, daß man einen Selektor baut, der all das auswählt, was in dem Hin und Her der Atome sinnvoll ist. Das ist die Idee des Dämons Zweiter Ordnung, hast du davon etwas begriffen, du großer Mäuler? Es geht, bedenke, darum, daß der Dämon mir die wahre Information aus den atomaren Tänzen extrahiert, das heißt die mathematischen Theoreme und die Modejournale, die Muster und die Geschichtschroniken, die Rezepte für den Ionenkuchen und die Verfahren zum Stopfen und Waschen von Asbestpanzern und die Gedichte und die wissenschaftlichen Ratschläge und die Almanache und die Kalender und die geheimen Nachrichten darüber, wann sich etwas ereignet hat, und all das, was die Zeitungen im ganzen Kosmos schrieben und noch schreiben, und die Telefonbücher, die noch nicht gedruckt sind..."
„Genug! Genug!!!" rief der Mäuler. „Halt ein! Was nützt
es, daß sich diese Atome so fügen, wenn sie gleich wieder auseinanderfliegen, ich glaube auch nicht, daß man unschätzbare Wahrheiten von allerlei Gehampel und Gehüpfe isolieren kann, das keinen Sinn hat und niemand frommt!" „Du bist ja wirklich weniger dumm, als ich angenommen habe", sagte Trurl, „die Schwierigkeit besteht wirklich nur darin, wie man diese Selektion in Gang setzen soll. Und ich habe gar nicht die Absicht, dich von ihrer Möglichkeit theoretisch zu überzeugen, sondern ich werde, wie versprochen, gleich hier, auf der Stelle, den Dämon Zweiter Ordnung bauen, damit du dich mit eigenen Augen von der wunderbaren Vollkommenheit dieses Allinformators überzeugen kannst! Du brauchst mir nichts weiter als eine Schachtel oder eine Kiste zu geben; sie kann klein sein, aber sie muß dicht halten; wir machen darin mit einer Nadelspitze ein kleines Loch und setzen über diese Öffnung den Dämon; er wird breitbeinig darauf sitzen und nur sinnvolle Informationen aus dem Kasten herauslassen, sonst nichts. Wenn sich nämlich irgendein Häufchen Atome zufällig so zusammenfügt, daß es etwas bedeutet, dann packt sie der Dämon gleich am Kragen und schreibt diese Bedeutung sofort mit einem besonderen Brillantschreiber auf einen Papierstreifen, von dem ich einen ganzen Haufen bereitschaffen muß, denn er wird Tag und Nacht arbeiten — bis der Kosmos aufgehört hat, nicht früher... Und das hundertmilliardenmal pro Sekunde, du wirst es gleich selbst erleben; so nämlich arbeitet der Dämon Zweiter Ordnung." Mit diesen Worten begab sich Trurl zum Raumschiff, um den Dämon anzufertigen; Mäuler fragte indes den Klapaucius: „Und wie ist der Dämon Erster Ordnung beschaffen?" „Ach, der ist weniger interessant, ein gewöhnlicher thermodynamischer Dämon, der nur soviel kann, daß er die schnellen Atome durch die Öffnung läßt und die langsamen nicht; auf diese Weise entsteht dann ein thermodynamisches Perpetuum mobile. Mit Information hat das jedenfalls nichts zu tun, schaff also lieber das Gefäß mit dem Loch herbei, Trurl ist nämlich gleich wieder da!" Der diplomierte Räuber begab sich in den zweiten Keller, polterte dort mit den Blechen, fluchte und wetterte, türmte Eisengerümpel auf, wühlte darin herum, bis er schließlich ein leeres altes Eisenfaß hervorkramte, ein kleines Loch darein bohrte und damit zurückkehrte, und da nahte auch schon Trurl, den Dämon in der Hand.
Das Faß war voll Luft, die so faulig war, daß die Nase
geradezu abfallen wollte, wenn man sie an die Öffnung hielt, aber dem Dämon machte das nichts aus; Trurl setzte dieses winzige Etwas mit gespreizten Beinen über dem kleinen Loch aufs Faß, brachte eine große Trommel mit Papierband oben an und führte dieses unter den Brillantschreiber, der vor Lust zitterte, und das Klopfen begann — tak — tak, tak — tak, wie in einem Telegraphenamt, aber eine Million Mal schneller. Das kleine Schreibzeug mit dem winzigen Brillanten an der Spitze zitterte und vibrierte nur so, und das Informationsband glitt langsam mit dem Text auf den sehr schmutzigen, über die Maßen verdreckten Kellerfußboden. Der Räuber Mäuler hockte sich neben das Faß, hielt das
Papierband an seine hundert Augen und las ab, was der Dämon da als Informationssieb aus dem ewigen atomaren Gehüpfe herausfischte; und die wichtigen Inhalte fesselten ihn gleich dermaßen, daß er gar nicht merkte, wie die beiden Konstrukteure um so rascher den Keller verließen, ihr Schiff an den Steuervorrichtungen packten, einmal, zweimal, dreimal daran zerrten, bis sie es aus der Falle gezogen hatten, in die es der Räuber gestoßen hatte, hineinsprangen und so schnell davonrasten, wie sie nur konnten, denn obwohl sie wußten, daß ihr Dämon tätig war, argwöhnten sie, daß die Ergebnisse dieser Wirkung Mäuler mit größerem Reichtum ausstatten würden, als es wünschenswert war. Dieser aber saß ans Faß gelehnt und las beim Piepsen des Brillantschreibers, mit dem der Dämon auf dem Papierband alles niederschrieb, was er von den zitternden Atomen erfuhr, darüber, wie sich die ariebardischen Gliederfüßler gliedern und daß die Tochter des Königs Petricius aus Labaudien Garbunda hieß, und was Friedrich II., der König der Blasser, zum zweiten Frühstück aß, als er den Guendolinern den Krieg erklärte, und wie viele Elektronenhüllen ein Termionoliumatom besäße, wenn ein solches Element möglich wäre, und wie groß die Abmessungen des hinteren Lochs des kleinen Vogels seien, welcher Krugelhahn heißt und von den Lockschwänigen Marleien auf Ramphoren gemalt werde, ebenso über die drei polyaromatischen Geschmacksarten des ozeanischen Schwamms auf Aquatien und über das Blümchen Wiedehopf, das vor Rührung über die Morgenröte mit allem Ungestüm die altmälfischen Jäger zum alten Eisen legte, auch darüber, wie man die Formel für den Kosinus des Winkels der Basis des Vielecks, Ikoseder genannt, deduziert und wer der Juwelier des Falucius, jenes linkshändigen Schlächters der Buwanten, war und wie viele philatelistische Schriften im Jahre siebzigtausend auf Markonautien erscheinen werden und wo sich die kleine Leiche der Schönfersigen Kybricja befinde, die ein gewisser Malkonder im trunkenen Zustand mit einem Nagel durchbohrte, auch wodurch sich ein Kritiker von einem Haarspalter unterscheide, desgleichen, wer im Kosmos die kleinste Längsjätedecke besitze und warum drachenhintrige Flöhe kein Moos essen wollen, worin das Spiel „Herunterziehen des Hinteren Baluciers" bestehe und wie viele Samenkörner von Löwenkraut sich in dem Häufchen befanden, das Burkan der Blättrige mit dem Fuß anstieß, als er beim achten Kilometer der Chaussee nach Albazia im Tal der Greisen Seufzer ausrutschte — und nach und nach wurde er fuchsteufelswild, denn ihm schwante, daß er all diese gänzlich echten und über die Maßen sinnvollen Informationen überhaupt nicht brauchte, denn sie waren wie Kraut und Rüben, wovon einem der Kopf platzen wollte und die Füße zitterten. Der Dämon Zweiter Ordnung arbeitete mit einer Geschwindigkeit von dreihundert Millionen Informationen in der Sekunde, der Papierstreifen ringelte sich bereits meilenweit und bedeckte nach und nach den diplomierten Räuber mit seinen Schleifen, es war, als würde er in weiße Spinnweben eingesponnen, und der kleine Brillant des Schreibers zitterte wie rasend, und der Räuber glaubte, er werde nun gleich unerhörte Dinge erfahren, solche, die ihm die Augen auf das Wesen des Seins öffnen würden, also las er alles, was unter dem kleinen Brillanten hervorsprudelte, und das waren Trinklieder der Kwaidonesen, die Größen der Nachtpantoffeln mit Troddeln auf dem Kontinent Gonduana, die Dicke der Haare, die auf der Kupferstirn des Euerburger Tausendfüßlers wachsen, und die Breite der Fontanellen bei den Futtersäuglingen und die sechs Methoden, eine Grießsuppe zu kochen, und ein wirksames Gift für Tanten und die Art, wie man bis zur Übelkeit kitzelt, und alle Namen auf M der Einwohner von Finsterangstglauba und die Beschreibungen des vom Schimmel befallenen Bieres...
Ihm wurde von alledem dunkel vor Augen, und er brüllte
laut los, denn er hatte es satt, doch hatte ihm bereits die Information mit dreihunderttausend Papiermeilen umwickelt und gefesselt, so daß er sich nicht mehr rühren konnte und weiterlesen mußte, darüber, welchen Anfang des zweiten „Dschungelbuches" Rudyard Kipling geschrieben hätte, wenn ihn damals Bauchschmerzen geplagt hätten, und woran ein von Ehelosigkeit geplagter Walfisch denke, welcher Art das Liebeswerben der weißen Fliegenpilze sei, wie man einen alten Sack stopfe, was Amüsierschoten sind, warum man Schmied und Schneider und nicht Schneid und Schmieder sage, wie viele blaue Flecke man auf einmal haben könne, dann folgte eine Reihe von Merkmalen zur Unterscheidung von Trillern und Aprikosen: die ersten seien kahl, die anderen hätten Härchen, ferner welches die Reime zu dem Wort „Kohl" seien und mit welchen Worten Papst Ulm von Pendera den Antipapst Mulma beleidigt habe und wer eine Kammbläse besitze. Hier nun vermochte er in äußerster Verzweiflung, sich aus dem Papiergewirr zu befreien, bald jedoch verließen ihn die Kräfte; er stieß die Papierstreifen zurück, zerriß sie und warf sie beiseite, aber er hatte viel zu viele Augen, als daß nicht wenigstens durch einige ein paar neue Informationen drangen, also erfuhr er gezwungenermaßen, welches die Kompetenzen eines Nachtwächters in Indochina seien und weshalb die Nadojderer aus Flutorsien stets behaupten, sie seien verweht worden. Doch da schloß er die Augen und erstarrte, erdrückt von der Informationslawine, der Dämon indes wickelte ihn weiter in die Papierstreifen ein und strafte somit auf entsetzlichste Weise den diplomierten Räuber Mäuler für seine maßlose Gier nach jedwedem Wissen. So hockt jener Mäuler bis auf den heutigen Tag auf dem Grunde seiner Müllhaufen und Schutthalden, bedeckt mit Bergen von Papier, im Halbdämmer des Kellers aber zittert und vibriert der winzige Brillantschreiber und notiert alles, was der Dämon Zweiter Ordnung aus den atomaren Tänzen der Luft, die durch das kleine Loch im alten Faß strömt, herausfischt; und so erfährt der unglückselige Mäuler, genötigt durch die Sintflut der Information, von den Pompons und von den Karakons und von seinem eigenen Abenteuer, das auf diesen Seiten ebenfalls geschildert wurde, wo es sich auf irgendeinem Kilometer des Papierstreifens befindet — auch noch andere Geschichten und Prophezeiungen der Geschichte aller Wesen bis zum Verlöschen der Sterne; und es gibt für ihn keine Rettung, denn so streng haben ihn die Konstrukteure für seinen räuberischen Überfall bestraft — es sei denn, daß schließlich das Band wegen Papiermangels zu Ende geht.






Wie Mikromil und Gigacjan die Flucht der Nebelflecken einleiteten


Die Astronomen lehren, alles, was existiere —
Nebelflecke, die Milchstraßen, die Sterne —, fliehe voneinander weg nach allen Seiten, und das Universum erweitere sich infolge dieser unaufhörlichen Flucht seit Milliarden von Jahren. Gar mancher staunt über diese allseitige Flucht und gelangt rückwärtsblickend zu der Auffassung, daß vor langer, aber wirklich vor sehr, sehr langer Zeit der gesamte Kosmos als Sterntropfen an einem Punkt konzentriert war und es durch eine unbegreifliche Ursache zu dessen Explosion kam, die bis heute währt. Wenn sie dann so überlegen, erfaßt sie Neugier, wie es
wohl zuvor gewesen sein mag, aber sie können das Rätsel nicht lösen. Damit war es aber so. Während des vorigen Universums lebten zwei Konstrukteure, die unvergleichliche Meister der Kosmogonie waren, so daß es nichts gab, was sie nicht hätten konstruieren können. Um etwas bauen zu können, braucht man zunächst einen Plan, diesen Plan muß man sich ausdenken, denn wo soll man ihn sonst hernehmen? So beratschlagten die beiden Konstrukteure Mikromil und Gigacjan, wie man herausfinden könne, was sich noch konstruieren ließe außer den Absonderlichkeiten, die ihnen in den Sinn kamen. „Ich kann alles tun, was mir einfällt", sagte Mikromil, „doch will mir nicht alles einfallen. Das schränkt mich ein, genauso wie dich — wir können nämlich nicht alles denken, was es zu denken gibt, und es kann durchaus sein, daß etwas anderes, nicht aber das, was wir uns ausgedacht haben und was wir tun, wert wäre, verwirklicht zu werden. Was meinst du?" „Gewiß, recht hast du", erwiderte Gigacjan, „aber welchen Weg siehst du?"
„Was immer wir tun, tun wir aus Materie", entgegnete
Mikromil, „in ihr liegen alle Möglichkeiten begründet, planen wir ein Haus, bauen wir es, planen wir einen Kristallpalast, dann schaffen wir einen Palast, fassen wir einen denkenden Stern ins Auge, können wir auch den konstruieren. Gleichwohl gibt es in der Materie mehr Möglichkeiten als in unseren Köpfen; man müßte daher der Materie einen Mund geben, damit sie uns selbst erzählt, was sich aus ihr noch alles machen ließe und worauf wir selbst nicht kommen!"
„Ein Mund wäre vonnöten", pflichtete Gigacjan ihm bei,
„aber er genügt nicht, denn er wird das ausdrücken, was der Geist gebiert. So muß man der Materie nicht nur einen Mund einsetzen, sondern sie auch zum Denken anleiten, dann wird sie uns bestimmt alle ihre Geheimnisse offenbaren." „Gut gesprochen", erwiderte Mikromil. „Die Sache verdient, daß man sich mit ihr befaßt. Ich verstehe sie folgendermaßen: Da alles Seiende Energie ist, muß aus ihr das Denken aufgebaut werden, und man hat also mit dem Kleinsten, mit dem Quant anzufangen; das Quantendenken muß in dem winzigsten aus Atomen gebauten Käfig eingefangen werden, wir müssen also die Sache als Atomingenieure in die Hand nehmen und dürfen in unserem Bemühen nach Verkleinerung nicht nachlassen. Wenn ich hundert Millionen Genies in die Tasche schütten kann, wenn sie leicht Platz darin finden, ist das Ziel erreicht: diese Genies werden sich vervielfältigen, und die erste beste Handvoll denkenden Sandes wird unsereins raten können, was man zu tun und wie man zu handeln hat!"
„Nein, so nicht!" versetzte Gigacjan hierauf. „Umgekehrt
wird ein Schuh daraus, alles nämlich, was ist, ist Masse. Aus der gesamten Masse des Universums muß daher ein Hirn gebaut werden, das außergewöhnlich groß und voll des Denkens ist; frage ich es, so wird es mir alle Geheimnisse des Alls offenbaren — nur es allein. Dein geniales Pulver ist eine unwirksame Mißgeburt, wenn nämlich jedes denkende Körnchen etwas anderes sagt, wirst du dich darin verlieren und keineswegs dein Wissen bereichern!" Ein Wort gab das andere, und beide Konstrukteure zerstritten sich dermaßen, daß davon keine Rede mehr sein konnte, die Aufgabe gemeinsam in Angriff zu nehmen. Sie schieden also, einander gegenseitig verspottend, und jeder ging auf eigene Art an die Sache heran. Mikromil fing Quanten, schloß sie ein in Atomkäfige, und da sie in Kristallen am meisten beengt waren, leitete er Diamanten, Chalcedone und Rubine zum Denken an; mit Rubinen hatte er auch den größten Erfolg, er fing soviel vernünftige Energie darin, daß es nur so funkelte. Er hatte auch noch eine Masse anderen selbstdenkenden Kleinkrams, wie Smaragde, die von leuchtendem Grün waren, Topase, die in Gelb exzellierten, das rote Auge der Rubine sagte seinem Auge jedoch am meisten zu. Während Mikromil sich also im Chor der kreischenden Kleinchen abmühte, widmete Gigacjan unterdessen seine Zeit den Riesen; er rollte mit größtem Kraftaufwand Sonnen und ganze Milchstraßen heran, verschmolz und vermischte sie, schweißte sie zusammen und verband sie miteinander und hatte alle Hände voll zu tun, bis er einen Kosmosriesen geschaffen hatte, der so allumfassend war, daß außer ihm fast nichts mehr übrigblieb als eine Ritze, in der sich Mikromil mit seinen Kleinodien befand. Nachdem beide ihr Werk beendet hatten, ging es ihnen nicht mehr darum, wer von dem Erschaffenen mehr Geheimnisse erfahren, sondern wer von ihnen recht habe und die bessere Wahl getroffen hatte. Sie veranstalteten einen Wettbewerb. Gigacjan erwartete Mikromil an der Seite seines Kosmosriesen, der sich für alle Lichtzeiten in die Länge, in die Höhe und in die Breite erstreckte, einen Rumpf aus dunklen Sternwolken, den Odem aus einem Sonnengewimmel, Beine und Arme aus Milchstraßen besaß, durch die Schwerkraft zusammengehalten wurde, einen Kopf aus hundert Trillionen Eisengloben hatte und darauf eine flammende, zottige Mütze aus Sonnenfell. Während nun Gigacjan seinen Kosmosriesen baute, mußte er vom Ohr zum Mund fliegen, und jede solche Reise währte sechs Monate. Mikromil kam allein mit leeren Händen auf dem Kampfplatz an; in der Westentasche einen kleinen Rubin, den er dem Koloß gegenüberstellen wollte. Bei seinem Anblick brach Gigacjan in schallendes Gelächter aus. „Was wird denn dieser Krümel schon sagen können?" fragte er. „Was kann sein Wissen bedeuten angesichts der Abgründe galaktischen Denkens und Nebelfleckargumentierens, in dem Sonnen einander Ideen vermitteln, die von mächtiger Gravitation verstärkt werden, während explodierende Sterne den Plänen Glanz verleihen und interplanetare Finsternis die Überlegung potenziert?" „Statt deine Arbeit zu preisen und dich damit zu brüsten, komm lieber zur Sache", entgegnete darauf Mikromil. „Warum sollen wir eigentlich unsere Gebilde befragen? Mögen sie doch selbst in einen Wettbewerb treten! Soll sich mein mikroskopisches Genie mit deinem Sternriesen in den Schranken dieses Turniers messen, in dem Weisheit der Schild, der vernünftige Gedanke das Schwert ist!" „Mag es so sein", pflichtete Gigacjan ihm bei. So traten sie von ihren Werken zurück, um diese allein auf dem Schauplatz zu lassen. Der rote Rubin begann in der Finsternis über den Ozeanen des Vakuums zu kreisen, in denen Berge von Sternen schwammen, über dem erleuchteten Riesenkörper und fragte! „He, du, Allzugroßer, Feuertropf, Überschelm, kannst denn du überhaupt was denken?" Schon nach einem Jahr hatten diese Worte das Hirn des Kolosses erreicht, in dem sich die Firmamente, von kunstvoller Harmonie gefügt, zu drehen begannen, und er staunte über diese übermütigen Worte und wollte sehen, wer es wage, sich solchermaßen an ihn zu wenden.
Also drehte er den Kopf nach jener Seite, aus der die
Frage ihn erreicht hatte, bevor er jedoch die Drehung vollbracht hatte, waren zwei Jahre vergangen. Mit seinen hellen Milchstraßenaugen schaute er in die Finsternis, konnte aber nichts darin entdecken, denn der Rubin war lange nicht mehr da, er piepste hinter seinem Rücken: „Was bist du doch für ein Tolpatsch, du Sternwolkiger, Sonnenhaariger, was für ein entsetzlicher Faulpelz! Statt deinen sonnenzottigen Schädel zu drehen, solltest du mir lieber sagen, ob du weißt, wieviel fünf plus fünf ist, bevor die Hälfte der himmlischen Riesen in deinem Hirnkasten verbrannt und vor Alter verloschen ist." Dieser unverschämte Spott ärgerte den Kosmosriesen, er fing also an, sich zu drehen, so schnell er nur konnte, denn es wurde ja hinter seinem Rücken gesprochen: Er drehte sich immer schneller, seine Milchstraßen wirbelten um die Körperachse, seine bislang geraden Galaxenarme wanden sich zu Spiralen, die Sternwolken fingen an zu rotieren, wodurch sie sich in kugelige Haufen verwandelten, und sämtliche Sonnen, Globen und Planeten lockerten sich in ihm und trudelten wie entfesselte Kreisel; bevor er den Widersacher mit seinen Augen anleuchten konnte, höhnte ihn dieser schon von der Seite. Der übermütige Kristall flitzte immer schneller, auch der Kosmosriese drehte sich immer rascher, aber er konnte nicht Schritt halten, denn obschon er sich wie ein Brummkreisel drehte und mit einer so schrecklichen Geschwindigkeit rotierte, daß sich die Fesseln der Gravitation lockerten und die bis zum äußersten gespannten Nähte der Schwerkraft, die Gigacjan gezogen hatte, platzten, die Stiche der elektrischen Anziehungskraft rissen und der Kosmosriese, einer in Schwung geratenen Zentrifuge vergleichbar, plötzlich barst und nach allen Seiten auseinanderflog, die Fackeln der Spiralgalaxen im Kreise streuend und die Milchstraßen säend. Von dieser zentrifugalen Kraft aufgewirbelt, begann die Flucht der Nebel. Hinterher erzählte Mikromil, er habe gesiegt, weil der Kosmosriese Gigacjans auseinandergeflogen sei, bevor er auch nur „a" und „b" blöken konnte; hierauf erwiderte Gigacjan, es sei ja nicht Ziel des Wettstreits gewesen, die Kraft des Zusammenhalts, sondern den Verstand zu messen, das heißt, welches von ihren Gebilden klüger sei. Mikromil habe ihn jedoch in einer Sache hintergangen, die nichts mit dem Gegenstand des Streits zu tun hatte, und ihn schändlich betrogen. Seit dieser Zeit wurde ihr Streit noch heftiger. Mikromil forscht nach seinem Rubin, der ihm in der Katastrophe abhanden gekommen ist, kann ihn aber nicht finden, wo immer er nämlich hinschaut, sieht er rotes Licht und eilt gleich hin, doch es ist das Licht der vor Alter fliehenden Spiralnebel, das rot wird, und so sucht er stets von neuem und immer vergebens. Gigacjan hingegen bemüht sich, mit den Stricken der Gravitation und den Fäden der Strahlen die Glieder seines geborstenen Kosmosriesen zusammenzunähen, wobei er als Nadel die härteste Strahlung verwendet. Aber was er zusammennäht, birst sogleich — solcherart ist die schreckliche Macht der einmal begonnenen Flucht der Spiralnebel; und so gelang es weder dem einen noch dem anderen, die Geheimnisse der Materie zu erfahren, obgleich sie die Vernunft gelehrt und ihr einen Mund angebracht hatten, denn bevor es zu dem entscheidenden Gespräch kam, war das Unglück geschehen, das bei den Vernünftigen die Erschaffung der Welt heißt. In Wirklichkeit war nur Gigacjans Kosmosriese durch Mikromils kleinen Rubin in kleine Stücke zerfallen, und zwar in so winzige Krümel, daß er heute noch nach allen Seiten fliegt. Wer es nicht glaubt, der frage die Gelehrten, ob es nicht wahr sei, daß alles im Kosmos Befindliche sich ständig wie ein Kreisel um seine Achse drehe; von diesem schwindelerregenden Kreisen hat nämlich alles seinen Anfang genommen.