Kapitel neun

»Unterstützen Sie den Underground-Skyway! Schluß mit den Übergriffen der AÜ!« rief eine hagere Menschenfrau und suchte den gleichgültigen Passanten Spenden zu entlocken. Sie hatte strähniges blondes Haar, trug flache Sandalen, Röhrenhosen, und auf ihre Bluse war die vielfarbige Rose gestickt, das Symbol der Hochaquarier. Ich hätte sie als meine Retterin ans Herz gedrückt, wäre sie nicht angewidert zurückgewichen. »Möchten Sie spenden?« fragte sie in der Hoffnung, mich loszuwerden, und hielt mir eine dreibändige Spulencassette wie einen Schild entgegen. Das Werk betitelte sich DIE ÜBERWINDUNG PSYCHOLOGISCHER BARRIEREN AUF DEM WEG ZUM SELBSTBESTIMMTEN REALITÄTSFORMAT und kostete dreihundertneunundvierzig Mel. Ich teilte ihr mit, Interesse meinerseits sei durchaus vorhanden, nur leider nicht die erforderlichen Mittel, was ihre Meinung über mich bestätigte. »Könnten Sie dann bitte Platz machen?« fragte sie mit erzwungener Höflichkeit. »Sie versperren den Touristen den Zugang.« (Als hätte sich eine Schlange von Spendenwilligen gebildet!) Nachdem ich mich durch einen raschen Blick vergewissert hatte, daß weder die Polizei noch die AÜ in der Nähe waren, vertraute ich ihr an, daß ich ein entlaufener P9 war und auf der Suche nach einem Zufluchtsort. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« erwiderte sie und betrachtete mich erleichtert und mit merklichem Interesse. »Natürlich, ich werde dich zu unserer Zentrale führen, aber zuerst …« Sie zog einen Produktkennungsleser aus der Tasche und bat mich, den rechten kleinen Finger auszustrecken. »Nur eine Formalität, aber unverzichtbar. Wir mußten zu oft erleben, daß allerhand Pack und Gesindel sich im Sog der P9-Aktion bei uns einzuschleichen versucht hat. Diese Typen tun alles, um eine freie Mahlzeit zu ergattern.«

Ich zog die Hand zurück, bevor sie das Lesegerät aufstecken konnte. »Das wird nicht nötig sein«, wehrte ich ab, wohl wissend, wie das Ergebnis aussehen würde. »Vielleicht könnten Sie mir den Weg zur Zentrale beschreiben. Dort könnte man ein Psychogramm aufzeichnen. Dann wird man sehen, daß ich ein …«

»Nichts da«, sagte sie steif und betrachtete mich mit einem wissenden, verächtlichen Blick. Sie war nicht geneigt, sich von einer wie mir zum Besten haben zu lassen. Ich machte rasch kehrt, um mir weitere Demütigungen zu ersparen, und entfernte mich. »Verdammt sei dieser Roland!« murmelte ich hörbar vor mich hin. »Verdammt soll er sein!« Vermutlich war ich in ihren Augen ebenso verrückt wie heruntergekommen. Dann kam ich auf die Idee, mich unauffällig in der Nähe dieser Priesterin des modifizierten Erbarmens aufzuhalten und ihr zu folgen, wenn sie zu ihrer Zentrale zurückkehrte. Vielleicht gab es dort Aquas, die meinem Vorschlag positiver gegenüberstanden, aber kaum war ich stehengeblieben und wollte mich umdrehen, als ich schon abgelenkt wurde.

»Entschuldigen Sie, gute Frau. Könnten Sie ein wenig Mel entbehren, für die armen Indianerkinder?«

Man stelle sich vor, dachte ich, jetzt hat jemand die Chuzpe, mich anzubetteln! Angewidert schüttelte ich den Kopf, nur um sofort ein zweites Mal hinzuschauen, denn meine Bedrängerin war niemand anders als Annette, die mich ebenfalls erkannte, knickste, mich respektvoll begrüßte, wie Roland es sie gelehrt hatte, und um Vergebung für ihre Unverfrorenheit bat. »Nicht der Rede wert«, beschwichtigte ich sie. »Wo ist Eva?« Zur Antwort führte sie mich einen gewundenen Ziegelsteinpfad hinauf zu einem verrammelten Haus oberhalb des Geschäftsviertels. Unterwegs erfuhr ich, daß sie beide vor drei Tagen von der Strandwache aus ihrem Versteck unter dem Plankensteig vertrieben worden waren.

Der Plakattafel vor Evas verwahrlostem Domizil ließ sich entnehmen, daß das Gebäude (ein repräsentatives Beispiel der Drei-P-Architektur des ausgehenden 20. Jahrhunderts – Prunk, Protz, Pragmatismus) zum Abriß vorgesehen war, um Platz für einen neuen Supermarkt zu machen. Durch eine Öffnung in der durchlöcherten Stützmauer aus glasierten Ziegeln betraten wir das Erdgeschoß, wo ich meine verlorene Gefährtin auf dem nackten Zementboden liegend wiederfand, im selben Maße desinteressiert an meinem unerwarteten Auftauchen wie jedem meiner Vorschläge und Befehle zugänglich. Das ist keineswegs so widersprüchlich, wie es klingt, denn sie war mittlerweile in die schwerste und langwierigste Phase des Entzugs eingetreten, die durch einen Mangel an persönlicher Initiative, allgemeine Passivität sowie widerspruchslose Befolgung aller Anweisungen gekennzeichnet ist. Aus diesem Grund kennt man sie unter der Bezeichnung ›Künstliches Androidensyndrom‹ oder im alltäglichen Sprachgebrauch als ›die Droids‹.

Eine erstaunliche Umkehr der Verhältnisse hatte stattgefunden; Eva war Wachs in meinen Händen. (Wäre es nur dabei geblieben! Aber ich war dumm genug, sie vor sich selbst zu retten.) Sie tat alles, was ich sagte, ohne das geringste Zögern und ohne jeden Einwand und reagierte mit »Ja, gnädige Frau« und »Wie Sie wünschen, gnädige Frau« auf jede meiner Anordnungen, deren erste lautete, uns in der Stadt eine angemessene Unterkunft zu besorgen, denn für sie war es eine Kleinigkeit, die entsprechende Zahlungsanweisung auszufüllen und im Gästebuch mit einem falschen Namen zu unterschreiben. Sobald wir unser Hotelzimmer bezogen und eine Dusche genommen hatten, gab ich ihr den Auftrag, anständige Kleidung herbeizuschaffen, ganz gleich, auf welche Art und Weise. Als drittes sauste ich mit ihrem Jetpack und in einem atemberaubenden neuen Abendkleid, das sie für mich aufgetrieben hatte, auf der ganzen Insel herum, von einer lukrativen Sitzung zur anderen. (Ich hatte Harry mitgeteilt, ich sei wieder auf dem Damm und auf Kunden erpicht.) Nach einiger Zeit gelang es mir sogar, Eva zur Teilnahme an einem Entgiftungsprogramm der Anonymen Dipper zu überreden. Zwei Wochen später kehrte sie als neue Frau zurück, zeigte stolz ihr Erfolgszertifikat und erging sich über die Tugenden der drei S – Selbstdisziplin, Selbstvertrauen und Selbstachtung. Zur Festigung ihrer geläuterten Persönlichkeit dienten wöchentliche Zusammenkünfte, an denen sie mit fanatischer Pünktlichkeit teilnahm. Auch physisch war sie gewandelt, schlanker (das vierte S), gesünder, entspannter und damenhafter. Nicht einmal Harry Boffo erkannte sie wieder, als sie sich ein zweites Mal in Miss Pristines Agentur bewarb. Er beglückwünschte mich mit gesenkter Stimme zu meinem verbesserten Geschmack in puncto Freundinnen und überreichte ihr einen Halsschmuck.

»O Candy, ein Traum ist wahr geworden«, jauchzte sie, nachdem wir das Büro verlassen hatten, und trug das Halsband in dieser Nacht sogar im Bett. Ja, zusammen mit ihrem Verstand war auch der alte Traum wiedergekommen, als Spitzenkraft bei Miss Pristine Karriere zu machen. Nach ihrer ersten ›Klassesitzung‹ kehrte sie dermaßen verzückt in unser Hotelzimmer zurück, daß wir uns in gemeinsamer Glückseligkeit in die Arme sanken, denn, wie sie es formulierte, hier war in einer Nacht mehr zu verdienen als mit Huren und Dealen während einer ganzen Woche im Dodger District. Unser geradezu schwindelerregender Aufstieg raubte ihr schier den Atem, und ich muß gestehen, mir ging es nicht viel anders, denn dadurch, daß wir unsere Einnahmen in einen Topf warfen, waren wir binnen kurzem so gestellt, daß wir uns den unerhörten Luxus eines sündhaft teuren Grundstücks auf einem der Hügel rund um die Stadt leisten konnten und das entsprechend prunkvolle Modulkondo – gut genug für eine Königin; zwei Königinnen, in diesem Fall.

Ich werde niemals das erregende Gefühl vergessen, mit dem wir aus den Schaukästen im Maklerbüro die Komponenten unseres Domizils heraussuchten und dann zuschauten, wie noch am selben Tag die wirklichen Elemente von IBM-Arbeitern zusammengesetzt wurden, in Übereinstimmung mit unseren extravaganten Sonderwünschen. Nur zum Spaß ließen wir Annette einen tiefen Knicks vollführen, als wir Arm in Arm über die Schwelle schritten. Gemessen durchwanderten wir den geräumigen Salon, die moderne Küche, das Bad und die Speise- und Wohnzimmer im ersten Stock, stiegen anschließend die Wendeltreppe hinauf zu den Schlaf-, Lese-, Fernseh- und Gästezimmern der zweiten Etage und krönten die Hausbesichtigung mit einer Fahrt im Kugellift zur Aussichts- und Landeplattform auf dem Dach, um den atemberaubenden Rundblick auf unsere neue Umgebung zu genießen – vom Lake Catastrophe im Norden über Santa Monica und Hollywood zu den Los-Angeles-Inseln im Osten; die Bucht im Süden – gesäumt von dem nördlichen Ausläufer der Palos-Verdes-Insel; und im Westen die riesige schwimmende Stadt New San Francisco, die eine Meile von der Küste entfernt vor Anker liegt, ein phantasmagorischer Edelstein in der Unendlichkeit des blauen Pazifiks.

Ein Maître de cuisine von Apple, Gärtner von Sony und Wachmann von Sears waren im Preis inbegriffen wie auch ein Paar identische kirschrote Mercedes (einer für sie und einer für mich). Wir investierten gewaltige Summen in Möbel und Kunstgegenstände, unter anderem ein antikes Klavier, ein halbes Dutzend moderner Abstraktholos, aktuelles Glasfasermobiliar und den letzten Schrei in Kristalldiffusionsbeleuchtung, ganz zu schweigen von einer Schwingbadewanne, dem Haushalts-Klimakontrollsystem der Marke Fresca und einer Sylvania-Medienkonsole mit interplanetarem Zugang. Und was die Garderobe betraf – sie war atemberaubend. Leb wohl Synthetikzeug, sei mir gegrüßt Tortonibaumwolle; und unsere Kollektion von Gesichtern stammte direkt aus Paris. (Verzehren Sie sich vor Neid, gnädige Frau Locke.) Ich leistete mir sehr bald die vergnügliche Marotte, an jedem Tag der Woche oder meiner Laune entsprechend ein anderes Gesicht zu tragen, bis es mir zur Gewohnheit geworden war, mich außer Haus und auch bei den Kunden nur noch mit Maske zu zeigen. In letzterem Fall war es ohnehin empfehlenswert, inkognito zu bleiben.

Doch der am höchsten geschätzte Besitz von allen war ein authentisches Vier-Pfosten-Bett aus echtem Teak- und Eichenholz und versehen mit einer Federmatratze, Typ Alte Welt, mit individuellem Liegekomfortregler. Es war der Himmel. Sich darauf zu rekeln verursachte ein an Wollust grenzendes Behagen, so daß eine gewisse Zuneigung, die während der zwei Monate in einem gemeinsamen Zimmer im Hotel zwischen uns gewachsen war, jetzt in der Versuchung gipfelte, ihr die Zügel schießen zu lassen. Immerhin waren wir Bettgenossen, was lag also näher, als daß ich mich ihr ebenso hingab wie meinem vorherigen und erheblich unwürdigeren Partner. Ich hielt es für eine nette Art, die erste Nacht in unserem neuen Heim zu feiern.

Anfangs wirkte sie überrascht, tat jedoch nichts, um mein behutsames Vortasten abzuwehren, so daß wir bald mit Verve bei der Sache waren und den Liegekomfortregler nach Kräften nutzten. Ihre üppigen Brüste und prallen Schenkel waren eine Offenbarung, ebenso ihre Reaktion auf jede meiner Zärtlichkeiten: Ich konnte mir nicht helfen, aber die Gefühle, die mich bei unserem Liebesspiel durchströmten, waren viel süßer und tiefer als das, was ich beim Verkehr mit meinen Kunden empfand. Wenn ich doch nur von ihr schwanger werden könnte, dachte ich, in ihre Arme geschmiegt, denn nach diesem Glück sehnte ich mich immer noch vor allem anderen. Im Lauf der folgenden Wochen wurden wir so vertraut, daß ich mich kaum enthalten konnte, ihr von meiner Sehnsucht zu erzählen und damit natürlich auch das Geheimnis meiner Herkunft zu enthüllen. Zu schweigen fiel mir besonders schwer, weil sie mir so viele Dinge aus ihrer eigenen Vergangenheit anvertraute (wollte ich sie alle wiederholen, würden sie ein eigenes Buch füllen). Doch ich sagte nichts, aus Furcht, meine Bekenntnisse könnten ein zu großer Schock für sie sein und unsere noch ungefestigte Verbindung zerstören, die mir mehr bedeutete als die Wahrheit selbst. Sehen Sie, zum ersten Mal seit Beginn meiner Existenz lebte ich auf gleicher Basis mit einem menschlichen Wesen. Wenn, wie es von Zeit zu Zeit vorkam, ich ins Grübeln verfiel und an die erbärmliche Täuschung dachte, auf der unsere wunderschöne Freundschaft beruhte, dann rechtfertigte ich sie als einen nicht mehr und nicht minder verächtlichen Kompromiß, wie er in den meisten Beziehungen vorkommt, nur ein technisches Detail und wirklich nicht der Rede wert. Doch war dieses technische Detail nicht ebenso klein wie bedeutsam? War es nicht, genau besehen, der Dreh- und Angelpunkt meiner ganzen Welt?

So verstrichen die Tage, Wochen, Monate und Jahre in vornehmer Heuchelei, der Dodger District verblaßte zu einer vagen Erinnerung und wurde nie mehr erwähnt, außer als Vergleich bei Gesprächen über unseren Reichtum und unser Prestige, Errungenschaften, die wir inzwischen als selbstverständlich betrachteten. »O Annette«, sagte ich zum Beispiel bei einem gemütlichen Brunch mit Eva im Bett, »würdest du dem Apple sagen, daß er noch einige Croissants zurechtmachen soll, und bringst du sie dann bitte her?« Das Widerstreben, ihr Befehle zu erteilen, war flugs geschwunden, sobald ich mich erst daran gewöhnt hatte, bedient und verwöhnt zu werden, und etwaige Schuldgefühle wurden erdrückt von meinem übermächtigen Stolz, der hochfahrend verkündete: Ich bin ein weiblicher P9, der es gegen alle Widerstände in dieser Welt zu etwas gebracht hat, wohingegen die Hilfskräfte minderwertige Produkte sind, denen sogar die Fähigkeit mangelt, sich eine Verbesserung ihrer Situation auch nur vorzustellen. Jedem seine bzw. ihre Welt. Ich hatte die meine in den allervornehmsten Kreisen gefunden, wo meine Kunst verfeinert, veredelt und erhöht worden war, unter dem Einfluß der goldenen Regel des geschäftlichen Erfolgs: Nicht wie du es tust, zählt, sondern mit wem du es tust. Es gab kein besseres Beispiel als Eva und mich. Wir waren Kaviar für abgestumpfte Gaumen, die es nach einem Hauch Exotik oder einem Nachgeschmack verlorener Jugend gelüstete; zwei Aschenbrödel in Stöckelschuhen, die sich unverzüglich, zu jeder Tages- und Nachtzeit, auf den Weg machten, um in den feinsten Hotels, Bungalows und Mobis aus Malibu und Bel Air und San Francisco tätig zu werden, ohne Schlag zwölf ein unsanftes Erwachen im Dodger District zu fürchten. Denn unsere neue Welt war kein Kürbis, das Summen der Halskette signalisierte die nächste einträgliche Sitzung, und der gläserne Schuh paßte an Evas Fuß. Als Lebensgefährtinnen gingen wir überall zusammen hin (wenn es sich nicht um geschäftliche Verpflichtungen handelte): Konzerte, Theateraufführungen, Holofilme, Vernissagen und Festlichkeiten der Oberen Zehntausend. Bei letzteren war häufig Harry Boffo als Vertreter des Studios anwesend, um uns zu Besuch weilenden Würdenträgern, Politikern und anderen bedeutenden Persönlichkeiten vorzustellen, wodurch wir Gelegenheit erhielten, unsere Kundenliste zu erweitern. Ja, wir hatten eine gute, herrliche, phantastische – nein, die beste! – Zeit.

Nein. Roland tauchte nicht als Spielverderber aus der Versenkung auf, und was die Hochaquarier betraf, wußte ich, sie hatten irgendwo auf der Insel ihre Zentrale, aber was interessierte mich das. Meine mehr als erfreulichen Lebensumstände brachten mich zu der Ansicht, daß die Lebensphilosophie des Chefs doch funktionierte, und zwar so gut, daß ich der Hilfe der Aquarier nicht mehr bedurfte. Was nicht heißen sollte, daß alles perfekt war. Eva und ich hatten unsere gelegentlichen Differenzen, doch ich konnte mich immer mit einer Spritztour nach Paris, Moskau, Brasilia, New Sydney, Tokio, Peking und einem halben Dutzend weiterer mondäner Orte trösten. Manchmal reiste ich allein, dann nahm ich Annette als meine Zofe mit und gönnte mir einen ganztägigen Einkaufsbummel, oder ich folgte der Einladung eines meiner vornehmen Abonnenten*, in welchem Fall ich bis zu einer Woche fort blieb und nur in den besten Hotels logierte. (Ich hätte auch zum Mond oder Mars fliegen können, aber der interplanetare Zoll war berüchtigt für seine scharfen Kontrollen, besonders was entlaufene P9 betraf, also verzichtete ich lieber.) Da wir gerade von Abonnenten sprechen, einige waren so liebestrunken, daß sie mich zur offiziellen Mätresse erheben wollten, was ich mir höflich verbat. Es gab zwei, die sich sogar zu einem Heiratsantrag verstiegen, der erste aus Liebe, der zweite aus politischen Erwägungen. Meine bedauernde Ablehnung von Antrag Nummer eins vernichtete den armen Mann, ein sehr mächtiges und einflußreiches Vorstandsmitglied von Sensei Inc. und zu jener Zeit Repräsentant der Firma beim TWAC-Sicherheitsrat. Ich spreche von dem zukünftigen CEO, Frank Hirojones, ein Name, der nicht nur ein interessantes Amalgam aus amerikanischen und japanischen Elementen ist, sondern gewiß auch von besonderem Interesse für die Finanz- und Wirtschaftsexperten unter meinen Lesern, bedenkt man die hervorragende Rolle, die seine Firma in letzter Zeit auf der interplanetaren Bühne gespielt hat. Überrascht es Sie zu erfahren, daß er – inkognito – jede Woche vom TWAC-Orbiter nach Malibu zu jetten pflegte für einen verzauberten Nachmittag in meinen Armen? Erinnern Sie sich an seinen Selbstmordversuch im Malibu Cove Hotel, der in den Nachrichten als eine versehentliche Überdosis von Beruhigungsmitteln dargestellt wurde? Nun, der Grund dafür war ich. Armer Mann. Doch mit der Zeit kam er darüber hinweg und fuhr sogar fort, mich wie üblich zu besuchen, pedantisch bis zum letzten, auch in seinem Herzeleid. Nicht ein einziges Mal brachte er den Vorfall wieder zur Sprache, sondern legte mir gegenüber ein kühles und gelassenes Verhalten an den Tag, wie um zu beweisen, daß ich ihn nicht getroffen hatte. Ein merkwürdiger Charakter. Ich vermute, er wäre nicht so tolerant gewesen, hätte er gewußt, daß sein Rivale eine Lesbierin war und das geliebte Objekt seiner Begierde eine Androidin.

Aber warten Sie nur ab, bis ich Ihnen verrate, bei wem es sich um meinen zweiten Anbeter handelte. Sie werden eine Überraschung erleben. Ich meine es ernst, Sie müssen warten, weil ich erst davon erzählen will, daß Mister Hirojones und er nicht als einzige mit ihren Heiratsanträgen einen Korb einheimsten; als ich Eva um ihre Hand fürs Leben bat, wies sie mich mit der fadenscheinigen Begründung ab, daß unsere Beziehung ihren Reiz verlieren würde. Ich hegte allerdings den Verdacht, daß die wahren Gründe tiefer lagen. Zum Beispiel lehnte sie Gesten der Zuneigung in der Öffentlichkeit ab, auch wenn sie ein Gesicht trug. Wenn ich mich vergaß und den Arm um sie legte oder – da sei der Chef vor! – ihr einen liebevollen Kuß gab, wandte sie sich peinlich berührt ab. Ihr Verhalten kam mir seltsam vor, denn zu Hause war sie die bei weitem aktivere und aggressivere von uns beiden und erlegte sich vor den Dienstboten keinerlei Hemmungen auf. Unter anderem gewöhnte sie sich an, mich mit altertümlichen erotischen Hilfsmitteln zu traktieren, die sie beim Liebesspiel umschnallte, oder sie schlug mich leicht mit einer Peitsche und sagte: »Laß uns Herrin und Sklavin spielen, Candy.« Leicht zu erraten, welche Rolle sie sich aussuchte. Ich akzeptierte diesen Bruch (oder Defekt, wenn man so will) in ihrer Persönlichkeit, doch nach einiger Zeit begann ich mich zu fragen, ob diese Marotten nicht Symptome für eine schwerwiegendere Fehlfunktion waren, denn wir entfernten uns immer mehr von unseren ersten zärtlichen Umarmungen. Fühlte sie sich getrieben, die Domina zu spielen und im Bett auf immer bizarreres Gerät zurückzugreifen, weil sie insgeheim unglücklich war und sich mit Gewissensbissen wegen unseres Verhältnisses quälte? War es möglich, überlegte ich, daß sie aus verzweifeltem Verlangen nach einem Mann den maskulinen Part mimte? Natürlich lachte sie schallend, als ich sie mit dieser Frage konfrontierte, und nahm sie als eine meiner üblichen komischen Ideen, aber ich blieb fest und erkundigte mich allen Ernstes, ob sie einen ihrer Abonnenten zu heiraten hoffte.

Sie fiel aus allen Wolken. Ihre Karriere aufgeben, wo wir so gut im Geschäft waren? Meine Eifersucht war ebenso rührend wie grundlos und absurd. Männer waren ein notwendiges Übel, sagte sie; ohne sie konnte man die Miete nicht zahlen (Hypothek, besser gesagt). Doch sie würde niemals unser kleines Liebesnest dadurch besudeln, daß sie einen von ihnen zum Essen nach Hause einlud, noch dachte sie im Traum daran, sich außer Haus einen privaten Liebhaber zuzulegen. »Dann hast du mich über und hältst Ausschau nach einer neuen Freundin?« fragte ich demütig. Sie gab zur Antwort, sie hätte nichts dergleichen vor, und in der Öffentlichkeit wäre sie nur deshalb so zurückhaltend, weil, nun ja, weil sie nicht wollte, daß die Leute über uns redeten. »Warum? Tun wir etwas Schlechtes?« Sie sagte nein, aber in einem Ton, als fühlte sie sich in die Enge getrieben. Dann wechselte sie das Thema und fragte, ob ich einverstanden wäre, einen IBM-Finanzberater zu kaufen, der bei der Verwaltung unserer beträchtlichen Investitionen in Wertpapiere, Edelsteine, Kunstwerke, Marsgold und sonstige Edelmetalle und Güter helfen konnte. Unsere Vermögensverhältnisse in Ordnung zu halten, nahm mehr Zeit in Anspruch, als wir erübrigen konnten. »Ein Ehering würde mir mehr Freude machen«, schmollte ich. – »O Candy, du bist so konventionell«, schalt sie und knuffte mich liebevoll auf die Wange, womit ich es gut sein ließ. Ich war nicht so dumm, weiter in sie zu dringen und unsere Beziehung zu gefährden. Wir waren Lebensgefährten im wahrsten Sinn, wenn auch nicht vor dem Gesetz, sagte ich mir, und warum es nicht dabei belassen? Wenn es ihr so viel bedeutete, daß unser Verhältnis geheim blieb, das war doch für mich keine unzumutbare Belastung. Außerdem, diese Täuschung war trivial, verglichen mit der, die auf meinem Gewissen lastete. Im Herbst 2077, drei Jahre und elf Monate nach unserer Ankunft in Malibu und kurz vor dem fünften Jahrestag meiner unfreiwilligen Sterilisation durch Rolands Orchidaminpille, hatte Eva immer noch keine Ahnung von meiner wahren Natur. Liebe ist blind – oder etwa nicht? Unglücklicherweise gilt dasselbe für Bigotterie und Haß, ein Spruch, dessen Wahrheitsgehalt mir eines Sonntagmorgens Anfang November unbarmherzig vor Augen geführt wurde, während Eva und ich faul im Bett lagen, Stücke von der Eierschale aus dem ansonsten delikaten Omelett des Apple fischten und ab und zu einen Blick auf den Mediaschirm warfen. Wie es ihre Gewohnheit entsprach, schaltete Eva von einem Kanal zum anderen, bis sie zufällig an eine Sendung des Martian Broadcast Network geriet, und zwar handelte es sich um die Übertragung der Rede gegen die Rechte der Androiden von Reverend Blaine Fracass. Man bedenke, es sprach Reverend Fracass, der Kandidat der Partei der Humanisten und Präsident der Bewegung ›Der Mars den Menschen‹, also hörte man wenig über Gottes Willen, aber um so mehr über die liberale, pro-androide Bedrohung der Hochaquarier. Er gab dieser Organisation die Schuld an dem Androidenkodex, während eigentlich die LRA diese längst fälligen und vernünftigen Reformen ausgearbeitet, an die Öffentlichkeit gebracht und schließlich bei TWAC durchgeboxt hatte. Es war ihm nicht gelungen, die Ratifizierung des Kodex zu verhindern, doch schlug er mit großem Eifer und Geschick Kapital aus den daraus entstandenen Kontroversen. Er hatte sich die Aquas als Zielscheibe für seine Anwürfe ausgesucht, deren Gruppierung ein für den Normalbürger schwer zu begreifendes Phänomen darstellte und als Sammelbecken für Außenseiter und Exzentriker galt, statt sich mit der LRA anzulegen, die über zahlreiche Anhänger und Förderer in der interplanetaren Gemeinschaft verfügte. Mit dieser Methode gelang es dem verschlagenen Demagogen, den Grenzlandbewohnern genügend Angst einzujagen, um ihn zum Präsidentschaftskandidaten zu wählen. Ich erwähne das nur als Hintergrundinformation, falls einige meiner Leser vergessen haben, daß es eine Zeit gab, als sowohl der Kodex wie auch die Humanisten gerade erst auf der Bildfläche erschienen waren und Blaine Fracass noch am Anfang seiner Karriere stand.

Diese Rede, die erste, die Eva je von dem Reverend gehört hatte (obwohl sie seinen Namen kannte, da er in gewissem Sinne eine Berühmtheit war), diente dem Zweck, die interplanetare Gemeinschaft zu Spenden für seine Kampagne zu bewegen, und gipfelte in der Forderung, der Kodex dürfe weder auf der Erde noch auf dem Mond und dem Mars Gültigkeit erlangen, und daß seine ›verehrten Zuhörer‹ durch die Unterstützung der Bewegung Majorität Mensch ihren eigenen Interessen dienten. Zu meinem Entsetzen zeigte Eva sich tief beeindruckt, nicht etwa wegen seines Aussehens, das war alles andere als berückend – seine Ansichten sagten ihr zu! Guter Chef, ich wäre beinahe gestorben. Ihr anfängliches Interesse konnte ich begreifen, denn er stellte sich der Öffentlichkeit ohne ›Gesicht‹, eine wirkliche Neuheit in jenen Tagen und ein kluger Schachzug für einen überzeugten Humanisten, denn dadurch erhöhte er seine Glaubwürdigkeit auf einem Gebiet, in dem es wimmelte von makellosen Fassaden und distinguierten Physiognomien, allesamt ebenso falsch wie die Masken auf unserem Schminktisch. »Sieh dir das an!« rief sie aus und spießte mit ihrem Zeigefinger seine auf dem Holoschirm schwebende Knollennase und die garstigen Schweinsäuglein auf. »Er ist kahl und häßlich und bewirbt sich um das Amt des Präsidenten. Unglaublich!« Tja, selbst ich konnte ihm eine gewisse Bewunderung nicht versagen. Doch als sie bei seinen schreienden Unwahrheiten und unglaublichen Verdrehungen weise mit dem Kopf nickte und sagte: »Der Mann redet Tacheles«, empfand ich das als unverzeihlich. »Kann ein Mensch tatsächlich so schlecht informiert sein?« wunderte ich mich und kam zu dem Schluß, daß es an der Zeit war, sie mit etlichen mir bekannten und äußerst widerwärtigen Details über diese Stütze der Gesellschaft zu konfrontieren, in der Hoffnung, sie durch diese Informationen von ihrer plötzlichen Leidenschaft zu heilen.

Allerdings, Sie haben richtig geraten, lieber Leser. Der gute Reverend war der zweite Abonnent, der mir einen Heiratsantrag gemacht hatte. Wie es dazu kam und warum eine legalisierte Beziehung in seinem Interesse war, kann ich jetzt noch nicht erklären, denn Eva hing an jedem seiner Worte und wollte sich von mir nicht stören lassen. Dabei war es ungeheuer wichtig, daß ich sie davor bewahrte, dieser bigotten, fremdenfeindlichen und reaktionären Ideologie zu verfallen, denn ein solches Gedankengut stellte eine ernsthaftere Bedrohung für unser Verhältnis dar als meine alberne Eifersucht. Und um noch einmal auf das Programmieren eines selbstgewählten Realitätsformats zurückzukommen: Reverend Fracass hätte zu keiner ungünstigeren Zeit seinen Sermon über meine Freundin ausschütten können, denn nach meiner Rechnung mußten in ein paar Wochen die letzten Spuren von Orchidamin aus meinem Körper verschwunden sein, und ich war fest entschlossen, nicht eher Ruhe zu geben, bis es einem meiner Kunden gelang, mich zu schwängern. Es war mein Traum, daß Eva und ich uns vom Geschäft zurückzogen und eine Familie gründeten, ungefähr so, wie es Tad vorgeschwebt war. Daß ich es immer wieder hinausgeschoben hatte, sie von diesem bedeutsamen Entschluß in Kenntnis zu setzen, war auf dasselbe Gefühl zurückzuführen, das mich zögern ließ, meine Herkunft zu gestehen, doch viel länger konnte ich mein Schweigen nicht mehr bewahren. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte vorgehabt, sie innerhalb der nächsten paar Monate Schritt für Schritt auf den glücklichen Tag vorzubereiten, an dem ich stolz verkünden konnte, mit einem Semi schwanger zu sein, doch in Anbetracht dieser jüngsten Entwicklung sah ich mich der Aufgabe gegenüber, nicht nur ihre persönlichen Vorurteile überwinden zu müssen, sondern auch noch eine komplette, darauf errichtete politische Ideologie, und da hatte ich es mit einem Gegner zu tun, der rasch unüberwindlich werden konnte, wenn ich ihm nicht gleich Einhalt gebot.

»Meine Damen und verehrten Gebieter, lassen Sie mich einige Fakten aufzählen«, tönte das Hologramm meines Verehrers. »Nummer eins: Es laufen nur mehr 999 999 P9 frei herum …« (Lüge! Der Chef hatte gesagt, nur noch ein paar tausend, und das war Jahre her.), » … unterstützt und begünstigt von 573 000 irregeleiteten Menschen, samt und sonders Hochaquarier.« (Unmöglich! Selbst in ihrer Blütezeit zählte diese Organisation nur etwa 50 000 Mitglieder.) »Fakt Nummer zwei: Die meisten Leute haben keine Ahnung von diesen Zahlen, weil die TWAC Informationen dieser Art nicht an die Öffentlichkeit weitergibt. Warum? Weil die liberalen Gruppierungen in der Versammlung den Kodex befürworten, denn er verschafft ihnen die Möglichkeit, mit der Modifizierung der Einheiten Unsummen zu verdienen und ihre Macht über den Konsumenten zu vergrößern.« (Unsinn! Die Reformen waren ein bescheidener Versuch, die schlimmsten Willkürakte der Eigentümer zu unterbinden, und die TWAC ließ sich nur darauf ein, weil sie mit einer Stabilisierung und damit Etablierung des Verhältnisses Gebieter/Sklave rechnete.)

»Nun behauptet die LRA, es würde nie einen P9-Aufstand gegeben haben, wäre ein Kodex wie dieser vor fünf Jahren in Kraft gewesen. Sie geben den Besitzern die Schuld.« Er lachte glucksend, und das Live-Publikum in der Kirche des Kristalltabernakels im Zentrum von Kommerz, Frontera, lachte ebenfalls. »Denkt einen Augenblick nach. Würdet ihr eine Einheit ›mißhandeln‹, für die ihr eine Million Mel bezahlt habt? Ich nicht und ihr auch nicht. Wir würden so ein Goldstück erstklassig in Schuß halten, richtig? Wir würden es beschützen, ernähren, hegen und pflegen und es ihm an nichts fehlen lassen, so lieb und wert ist es uns. Habe ich recht?« Donnernde Zustimmung. »Was die LRA also wirklich meint, wenn sie ›mißhandeln‹ sagte, ist Disziplin, denn dieser Kodex entzieht eure Einheit – eine Einheit, die ihr gekauft und bezahlt habt – eurer Kontrolle. Das ist im Prinzip dasselbe wie ein Dieb, der in euer Kondo einbricht und euer Eigentum stiehlt. Sagt mir, ob es da einen Unterschied gibt!«

»Er hat recht«, bemerkte Eva. »Wir müssen Annette beschützen.«

»Laßt mich etwas aus diesem Ding vorlesen.« Er suchte die betreffende Passage auf der Bücherspule. »O ja. Hier ist etwas, das haben sie auf Seite 349 eingeschmuggelt – ja, ja, dieser Kodex hat eine Menge Seiten, eine Menge Regeln. Hier steht unter ›Unterbringung‹, ich zitiere: ›Ein mindestens 14 qm großes Privatzimmer, ein vom übrigen Wohnbereich abgetrennter Raum, isoliert, mit Licht und Heizung und nicht weiter als maximal 25 Meter vom Aufenthaltsbereich des Eigentümers entfernt, muß von besagtem Eigentümer pro Einheit nachgewiesen werden können.‹ Pro Einheit. Das bedeutet, wenn euer Haus nicht groß genug ist, müßt ihr entweder ein kleines Vermögen für einen Anbau ausgeben oder auf die Einheit verzichten. Sie mischen sich in euren Lebensstil ein, Leute! Und hier heißt es, daß ihr dem verdammten Ding ein Bett zur Verfügung stellen müßt. Na, meine Einheiten zu Hause schlafen auf Pritschen, und ich wette, die euren auch. Stellt euch vor, der Kodex wird verabschiedet, dann sind wir alle Gesetzesbrecher.«

Er schüttelte den Kopf und seufzte über die grimmige Absurdität des Ganzen. »Weiter. Hier haben wir einen 72 Seiten langen Abschnitt über Disziplin. Zusammengefaßt kann man sagen, daß es damit Essig ist, denn es gibt so viele Vorschriften gegen Mißhandlungen durch den Eigentümer, daß man nur vergessen muß, ›Gesundheit‹ zu sagen, wenn eine Einheit niest, und schon haben sie einen beim Wickel. Und auf den gesamten 536 Seiten dieses unglaublichen Dokuments findet sich nicht ein – nicht ein einziger – Hinweis auf das Recht des Eigentümers, sich gegen eine rebellische Einheit zur Wehr zu setzen, nicht einmal seine eigene, wenn sie auf Grund einer plötzlichen Fehlfunktion auf ihn losgeht – das passiert doch ständig, oder nicht?« (Verleumdung!) »Und schon gar nicht gegen die von jemand anders; es steht auch nicht drin, wie unsereiner sich verteidigen soll, wenn eine Einheit in sein Haus eindringt. Kein Wort davon! Doch am schlimmsten ist Artikel 19, im Abschnitt ›Recht auf Privatleben, Freizeit und die Verfolgung eigener Interessen.‹ O ja, ihr habt richtig gehört: Freizeit für Androiden. Hier steht es. Sie dürfen nur soundso viele Stunden am Tag arbeiten, sechzehn, glaube ich, und die übrige Zeit können sie sich in eurer Schwingwanne aalen, Holos anschauen, Buchspulen lesen, sich weiterbilden, umstürzlerische Verschwörungen anzetteln – he, ich rede Klartext! Als nächstes verlangen sie ein geregeltes Einkommen. Lacht nicht, soweit kommt es bestimmt. Aber Reverend Fracass, sagt ihr jetzt vielleicht zu mir, die meisten Einheiten haben einen Internen Zensor, also wie können sie all diese Vergünstigungen in Anspruch nehmen? Nun, wenn dieses Machwerk verabschiedet wird, dann werden die Hersteller gezwungen sein, diese Sicherheitsvorkehrung zu modifizieren, andernfalls verstoßen auch sie gegen die Vorschriften.

Jetzt fragt euch doch einmal, wer den größten Nutzen von diesem Kodex haben wird. Nicht ihr und ich, die Verbraucher, und auch nicht das Produkt, eure Einheiten – sie sind nicht darauf programmiert, mit der Freiheit umzugehen. Die einzigen, die etwas gewinnen, sind die Mächte der Anarchie und der Korruption: die LRA, die Hochaquarier, flüchtige P9 und die Orb-Dealer. Die vier Reiter der Apokalypse. Aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Erhebt euch mit mir wie ein Mann, wenn ich sage: Im Namen der Menschheit, es ist Zeit, diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen!« (Ein Kameraschwenk auf die erhitzte und erregte Menge zeigte, daß die Hälfte aufgestanden war.) »Erhebt euch mit mir …« (Die zweite Hälfte gehorchte.) »Erhebt euch mit mir, wenn ich der LRA sage – der LRA, die dieses empörende Machwerk zugunsten der Hochaquarier und ihrer entlaufenen Droiden verfaßt hat –, erhebt euch mit mir und sagt ihnen: Im Namen der Menschheit, ihr habt eines vergessen!«

»IM NAMEN DER MENSCHHEIT, IHR HABT EINES VERGESSEN!« wiederholten sie vielstimmig.

»Ihr vergeßt Fakt Nummer vier: Androiden sind Gebrauchsgegenstände.«

»ANDROIDEN SIND GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE.«

»Wollt ihr mir helfen, sie daran zu erinnern? Wollt ihr dazu beitragen, daß in Frontera der Kodex niemals Gültigkeit erlangt?« (»JA!« tönte es entschlossen zurück.) »Möge Gott euch segnen, Leute! Mit eurer Unterstützung können wir garantieren, daß die Majorität Mensch triumphiert, nicht nur auf dem Mars, sondern auch auf dem Mond und der Erde und allen Orbitern dazwischen. Ihr habt die Macht! Ihr habt die Macht! Also – werdet ihr euch von diesem Verräter Alexander Seti, diesem Abschaum, um euer Sonnensystem betrügen lassen?«

Das brausende »NEIN!« der Masse war ohrenbetäubend. Der Boden der Tabernakelkirche mußte gebebt haben, weil das Holobild zitterte und schwankte. Dann kehrte schlagartig Ruhe ein, als Reverend Fracass ihnen mit einer Handbewegung bedeutete zu schweigen und seine weiteren Überlegungen zu diesem Thema anzuhören.

»Also, mir kommt jedesmal die Galle hoch, wenn ich an den Mann denke. Ihr kennt doch unseren guten Freund Alexander Seti, oder? Großer Häuptling der Aquas, obwohl sie sich damit brüsten, keine Bosse zu haben. Er ist der Aqua, der Pirouets Zentrales Schrottsystem entwickelt hat.« (Gelächter.) »Lacht nicht, denn der Mann ist damit durchgekommen. Die LRA hat ihn bei dem großen Gerichtsverfahren wegen Firmensabotage vor ein paar Jahren herausgehauen. Ihr wißt doch, als United Systems versuchte, ihn wegen leichtfertiger Beschädigung des besten Produkts auf dem ganzen Markt dranzukriegen – des P9.«

(Liebe Güte! Also hatte Tad recht gehabt mit seiner Spekulation, daß die Aquas hinter der ›Umerziehung‹ des Zentralen Zensors steckten. Das bedeutete, Alexander Seti war der Vater des Chefs und genaugenommen mein Befreier – das heißt, wenn man bereit war, Blaine Fracass Glauben zu schenken.)

»Der Mann gibt zu, Pirouets Kontrollsystem mit den Prinzipien seiner Organisation geimpft zu haben, und ist immer noch nicht verurteilt worden wie zum Beispiel die Leute, die süchtig nach Datapillen geworden sind, und die Hunderttausende, die ihr Leben gelassen haben, seit jenes teuflische System auf den Markt gebracht wurde. Menschliche Wesen aus Fleisch und Blut! Tot! Nur technische Einzelheiten. Ihr habt nicht gewußt, daß die Aquas die größten Orb-Dealer der Milchstraße sind, oder? Nun, es ist eine Tatsache.«

Das interessierte Eva besonders. Sie drehte sich zu mir herum und sagte, daß sie Ähnliches auf den Treffen der Anonymen Dipper gehört hätte, obwohl man dort der Auffassung zuneigte, die Droiden seien verantwortlich für die Drogenepidemie. »Aber Eva, nicht die Droiden dealen mit Datapillen, nur Menschen.«

»Richtig. Die Aquas, wie der Reverend sagt. Es ist durchaus vorstellbar, daß sie darin verwickelt sind.«

»Nun, wenn Alexander Seti und die Hochaquarier diesen Kodex durchsetzen können …« Der Reverend verstummte und wischte sich Stirn und Oberlippe mit einem Tuch.

»Hat er nicht eben gesagt, die LRA stecke hinter dem Kodex«, bemerkte ich, um Eva auf einen offensichtlichen Widerspruch in seiner Argumentation hinzuweisen, doch sie erwiderte nur: »Was macht das für einen Unterschied?«, und wandte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder dem Holoschirm zu.

»Und wenn es ihnen gelingt, Horizont zu realisieren, wie sie es planen – und sie planen es genau hier, auf dem Mars –, dann errichten sie die größte illegale Datapillenfabrik im ganzen Universum, und in Null Komma nichts hat die Hälfte der menschlichen Rasse die Droids! Aber ich nehme an, die TWAC stört sich nicht daran – alles nur Kleinigkeiten, wißt ihr.«

Er schloß mit der Bitte um Spenden: 500 000 oder 50 000 Mel, was immer der Zuschauer entbehren konnte, um die Menschheit zu retten. Jeder Betrag war willkommen, selbst eine bescheidene 1000-Mel-Spende. Eva sprang aus dem Bett, um unverzüglich eine Scheckspule abzusenden. Ich hielt sie fest und bestand darauf, daß sie mich anhörte. »Du kennst die Gerüchte, die über ihn in Umlauf sind, oder?«

»Worum geht's? Ist er schwul?« fragte sie ins Blaue hinein.

»Um die Wahrheit zu sagen, ja.« Daß sie, ohne es zu ahnen, ins Schwarze getroffen hatte, nahm mir im ersten Moment den Wind aus den Segeln. Eva zuckte die Achseln und zeigte sich wenig beeindruckt. Deshalb fügte ich hinzu: »Aber auf eine Art, die dich überraschen wird. Sein Liebhaber ist die Domestikeneinheit, die ihn überallhin begleitet. Eva, Reverend Fracass ist ein Droidenficker.« Es ging mir gegen den Strich, daß ich ihre Vorurteile benutzen mußte, um sie von dieser unerträglichen Ideologie abzubringen, aber daran ließ sich nichts ändern.

»Du lügst. Er ist kein Warmer.« Zum Beweis kramte sie eine Klatschspule aus dem Stapel neben dem Bett, schob sie in die Konsole und gab verbal den Befehl, den Fracass-Artikel abzuspielen. Ein Holoreport, betitelt: ›Eine Malibu-Mars Affäre‹, zeigte den fraglichen Herrn in der Gesellschaft einer reichen Lady aus Malibu – ein atemberaubender Rotschopf –, die er Gerüchten zufolge in naher Zukunft zu ehelichen gedachte, vielleicht sogar noch vor der Wahl. Das mußte doch genügen, um meine Behauptung zu widerlegen.

»Eva, das bin ich.«

Um sie zu überzeugen, denn natürlich lachte sie ungläubig, holte ich Perücke und Gesicht der jungen Frau aus dem Schrank, wo ich sie mit dem Rest meiner Kollektion aufbewahrte. Das ernüchterte sie. Sie lauschte in stummer Verblüffung, während ich erklärte, daß Blaine Fracass schon drei Monate lang zu meinen Abonnenten gehörte, exakt seit dem Tag, als Harry mich für einen absoluten Vertrauensposten auserkoren hatte. Wann immer diese charismatische Persönlichkeit eine der häufigen Reisen zur Erde unternahm, um zu Spenden aufzurufen und für seine Ziele zu werben, war es mein Job, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden. Das Manöver diente dazu, die Wähler zu Hause zu beschwichtigen, denen ein Junggeselle als Bewerber für ein so hohes Amt nicht ganz geheuer war, außerdem gab es tatsächlich Gerüchte über seine sexuellen Vorlieben, deshalb gehörte es auch zu meinen Pflichten, die Nacht in seinem Gästebungalow des Malibu-Cove-Hotels zu verbringen.

»Davon habe ich noch nie etwas gehört«, meinte Eva mißtrauisch. Sie wollte sich von mir keinen Bären aufbinden lassen. (Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Daher möchte ich Ihnen ins Gedächtnis rufen, daß es sich hier um einen absolut aufrichtigen Bericht handelt.) »Wie kommt es, daß er sich ausgerechnet an Miss Pristines Agentur gewendet hat?« Weil das Risiko, entlarvt zu werden, bei einer vergleichbaren Agentur auf dem Mars zu groß gewesen wäre. »Wer hat ihn empfohlen?« Harry schwieg sich darüber aus, aber ich tippte auf ehrenwerte Verbindungen, vielleicht sogar bis hinauf zu Micki Dee. Blaine hatte mir erzählt, daß die Armstrong-Mafia über Beziehungen zu Stellar Entertainment verfügte, und letztere hatten ihn an Harry verwiesen. »Wirklich? Aber warum sollte er sich überhaupt an einen Callgirl-Ring wenden? Warum sich nicht mit einer echten Debütantin verloben?«

»Weil er mit dem, was er hinter verschlossenen Türen treibt, bei niemand anderem durchkommen würde«, erklärte ich. Warum ich das alles vor ihr verheimlicht hatte? Weil ich befürchtete, sie könnte glauben, ich meinte es ernst mit dem Kerl. Meine Angst erwies sich als unbegründet; Eva winkte nur ungeduldig ab und verlangte nach weiteren schmutzigen Einzelheiten über ihr vom Sockel gestürztes Idol. Ein verschlagener Ausdruck war in ihre Augen getreten. »Oh, das ist ein Hammer, Candy. Ein Hammer! Wir sitzen auf einer Goldmine. Er fickt wahrhaftig diesen Droiden?« Ich nickte. »Widerlich.«

»Sein Name ist Andro. Er ist ein sehr netter P9. Blaine betet ihn an. Er hat vor, ihn als Stabschef zu programmieren, wenn er Präsident von Frontera wird.«

»Je, o je«, summte Eva lächelnd vor sich hin und annullierte den Scheck, den sie an Fracass' interplanetare Kontonummer hatte abschicken wollen. »Gibt es denn keine Integrität mehr in dieser Galaxis?« Und dann: »Er sollte uns Schecks zukommen lassen, findest du nicht auch? Ich meine, du hast doch gesehen, wie er es mit diesem Andro getrieben hat, richtig?«

Ich nickte betrübt. In Wahrheit fühlte ich mich jedesmal, wenn dieser fanatische Humanist, der für mich alles symbolisierte, was ich auf der Welt fürchtete und haßte, den bedauernswerten Andro zur Befriedigung seiner abartigen Gelüste mißbrauchte, gleichfalls vergewaltigte. Was mit einem Aquarier ein weihevoller, ja transzendentaler Akt hätte sein können, würdigte Fracass zu einem demütigenden und grausamen Spektakel herab. Doch das war keineswegs alles. Bevor ich Gelegenheit fand, Eva vollständig über die Gewohnheiten des Humanistenführers aufzuklären, wollte sie wissen, ob die Heiratsgerüchte gänzlich aus der Luft gegriffen waren.

Ich erwiderte, daß er tatsächlich eine Vernunftehe vorgeschlagen hätte, damit wir die Farce in Frontera als Mann und Frau fortsetzen konnten. Nach der Ansicht seiner Berater würde ein derartiger Schritt seine Position in der Wählergunst erheblich verbessern. Wie auch immer, ich hatte abgelehnt, unserer Beziehung wegen, denn, so sagte ich Eva, ich war zufrieden mit dem Glück, das ich in ihren Armen fand (aber auch, weil ich nicht nur Fracass' Person und seine Politik abstoßend fand, sondern er auf meinem Übertritt zum Humanismus als unerläßliche Voraussetzung für die Eheschließung bestand, und darin konnte und wollte ich nicht einwilligen, nicht für Mel und gute Worte. Aber davon ließ ich Eva gegenüber nichts verlauten.)

Sie war geschmeichelt und unendlich dankbar für meine Treue, doch konnte sie mir einen kleinen Vorwurf nicht ersparen, denn, so meinte sie, es gab keinen Grund, weshalb wir unsere Beziehung nicht auch in dieser neuen Situation fortsetzen konnten, selbst wenn wir im Falle des Wahlsiegs der Humanisten auf den Mars übersiedelten und ich First Lady wurde. Wenn man es unvoreingenommen betrachtete – wir hatten wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Mein Verhalten überraschte sie einigermaßen, denn man sollte glauben, eines hätte ich während meiner Lehrzeit bei ihr gelernt: eine gute Gelegenheit zu erkennen, wenn sie sich bot. Wahrhaftig, sie an meiner Stelle hätte sofort zugegriffen.

»Vielleicht auch nicht«, dämpfte ich ihre Begeisterung. »Ich sage es nicht gern, in Anbetracht deines großen Widerwillens gegen Interspezies-Sex, aber er schaut auch gerne zu.«

»Oh. Du meinst, du und der Droide?« Ihr Enthusiasmus verringerte sich merklich. »Arme Candy. Das muß schwer für dich sein.« Sie war ganz Mitgefühl. Dann überlegte sie, betrachtete die Tatsachen aus verschiedenen Blickwinkeln und war bald wieder Feuer und Flamme. »Verdammt, ich würde ein Stachelschwein bumsen, wenn der Preis stimmt! Und es stimmt: Der Knabe ist der Haupttreffer, auf den wir gewartet haben!«

Ich erinnerte sie daran, daß ich es war, die mit Andro schlafen mußte, nicht sie, obwohl das in Wahrheit der einzige erträgliche Teil der Sitzung war. (Natürlich behielt ich letzteres für mich und auch, wie seltsam, traurig, wunderbar und, ja, sogar befriedigend es war, einen Schicksalsgefährten zu lieben – selbst unter den lüsternen Blicken des Gebietes – einen P9, von dem ich vermutete, daß er sich seiner Lage bewußter war, als er vorgab.)

»Also gut, ich will dir was sagen. Wenn er das nächste Mal anruft, gehe ich hin, mit deinem Gesicht. Schließlich kommt es nicht darauf an, wer von uns die Zukünftige spielt, oder was meinst du?«

Leider konnte ihr Plan nicht funktionieren, weil ich aus Sicherheitsgründen mein Gesicht abnehmen mußte, sobald wir allein waren. Auf diese Weise schützte sich Fracass davor, daß ihm von politischen Gegnern eine Spionin untergeschoben wurde. Eva gab zu, das sei ein kaum zu überwindendes Hindernis, und wechselte rasch die Taktik. Da sie natürlich glaubte, ich teilte ihren Ekel vor dem Geschlechtsverkehr ›mit einem von denen‹, versuchte sie die ganze Sache herunterzuspielen und mir das Geständnis zu entlocken, daß es fast genauso war wie Verkehr mit einem Menschen – hatte sie gehört.

Die Ironie schnürte mir beinahe die Kehle zu, und ich mußte erst schlucken, bevor ich ihr bestätigte, daß sie recht hatte.

Dann sollte ich ihn heiraten, sagte sie, denn das ›Martyrium‹ würde nicht lange dauern, nach der Heirat war ich in der Position, den weiteren Verkehr mit Andro zu verweigern. Wenn Fracass nicht nachgeben wollte oder Einwände gegen unsere Beziehung erhob, falls er Wind davon bekam oder wir uns entschlossen, in seiner Gegenwart kein Hehl daraus zu machen – warum auch? –, dann konnten wir ihn mit der Drohung zur Räson bringen, unser Wissen an die Öffentlichkeit zu tragen.

Erpressung war allerdings nicht nach meinem Geschmack, und das sagte ich ihr auch; außerdem gab ich zu bedenken, daß ich seinen Antrag bereits abgelehnt hatte. (Als Begründung hatte ich angeführt, daß es mir schwerfiel, vom Katholizismus zu konvertieren. Die alte Klosterprogrammierung kam mir in diesem Fall gut zupaß, da ich mich überzeugend zu diesem Bekenntnis zu äußern vermochte.) Evas Erwiderung war so praktisch wie immer. »Eine Dame hat schließlich das Recht, ihre Meinung zu ändern.« Doch ich schüttelte den Kopf und sagte, daß in diesem Fall die Dame standhaft bleiben werde, da ihr der Plan ihrer Freundin zu ehrgeizig und zu habgierig erschien und sie ein böses Ende befürchtete.

Eva wiederum argumentierte, daß wir zwar in Malibu ein gutes Leben führten, wofür sie ewig dankbar war, aber der Mensch muß nach vorne schauen und darf nicht der Routine verfallen. Außerdem befanden sich unsere ehemaligen Jagdgründe, der Dodger District, in unbehaglicher Nähe, und unser Kondo, unser Beruf und die gesamte Szene von Malibu, so faszinierend sie sein mochte, fingen an, sie zu langweilen. »Ist es nicht besser, eine Dame von Welt zu sein als eine Halbweltdame? Denk darüber nach. In Kommerz werden wir mehr Zeit füreinander haben. Keine summenden Amethyste mehr mitten in der Nacht, die uns bei der Liebe stören.«

Unter diesem Aspekt hatte ich die Angelegenheit noch nicht betrachtet, aber ich zögerte noch immer. Doch nach einer Woche ungefähr war es Eva gelungen, mich zu ihrer Sicht der Dinge zu bekehren und mich zu überzeugen, daß meine Angst vor einem Mißlingen ihres Plans ebenso unbegründet war wie die Befürchtung, sie könne mir untreu werden. Sie beteuerte immer wieder, ich würde ihr für immer und ewig das Liebste auf der Welt sein. Ich muß gestehen, daß ich mich zusätzlich von dem Gedanken verführen ließ, das von ihr vorgeschlagene marsianische Dreiecksverhältnis wäre für mich die Gelegenheit, das Beste aus beiden Welten zu genießen – der Welt der Androiden und der der Menschen –, falls ich nach meiner Heirat mit dem Humanisten die Beziehung zu Andro fortsetzte. Doch damals hielt ich das nur für eine vorübergehende Laune, denn es war Eva, die ich liebte.

Ich rief also Harry an, um ihn von meinem Meinungsumschwung in Kenntnis zu setzen, damit er die Neuigkeit umgehend an den Kunden weiterleitete, der sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Mars aufhielt. Harry wußte übrigens von Blaine Fracass' Antrag und befürwortete das Arrangement, hatte vielleicht sogar die Anregung dazu gegeben, bedenkt man, wieviel Mel er dabei verdienen konnte, denn die Ehe bedeutete letztlich nichts anderes als ein auf unbestimmte Zeit verlängertes Abonnement. Minuten später rief er uns zurück und teilte mir mit, daß Blaine an Bord eines Expreßraumers gegangen war und am nächsten Morgen eintreffen würde, um die Presse zu informieren und mit mir zum Mars zurückzufliegen, wo die Hochzeit stattfinden sollte. Eva, die unser Gespräch über ihr Armtelefon mithörte, flüsterte mir zu, daß sie entweder einen Flug auf demselben Raumer buchen oder mit dem nächsten nachkommen würde. Ich zwinkerte verschwörerisch. Harry sagte, er würde mich vermissen, ich sei sein bestes Pferd im Stall (Eva stellte sich beleidigt und zog eine häßliche Schnute). Dann bat er mich als letzten Gefallen, einen Job im Malibu Cove zu übernehmen. Natürlich sagte ich zu, und nachdem ich die Rufnummer des Kunden erfragt hatte, rief ich ihn an, um mir seine Adresse und Wünsche bestätigen zu lassen, wie es üblich war. Ich fühlte mich überaus beschwingt, weil ich wußte, dies war mein letzter Auftrag.

Er verlangte zwei Mädchen, also bot Eva an, mich zu begleiten, und scherzte auf dem Hinflug, daß nun unsere letzte Sitzung ein Doppler sein würde, wie die erste. Wir hatten eine Flasche Champagner dabei, um zu feiern, denn, wie sie sagte, bald würden uns Blaine Fracass und der gesamte Mars aus der Hand fressen. Sie ließ den Korken knallen, und wir schauten ihm nach, als er vom Sonnendeck in den Himmel schoß. »Nach diesem Abend, Candy, werden wir nie mehr arbeiten müssen, nur noch diesen alten Droidenficker melken, bis ihm schwarz vor Augen wird.« Sie lachte, und ich lachte mit. Wir tranken den Champagner aus der Flasche und waren beide leicht angesäuselt, als wir das Hotel erreichten.

 

Mein Leben als Androidin
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