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DAS WAR KLASSE AM BOHRER VIER, Wyatt – den hätten wir glatt verloren, wärst du nicht so schnell auf den Beinen gewesen.« Dabei klopfte ihm Don, der Leiter der Bohrinsel, auf den Rücken, doch Wyatt konnte sich nicht dazu durchringen, dem Kerl ein Grinsen zu schenken. Stattdessen nickte er nur und stieg zur unteren Plattform hinab, wo er zitternd Atem holte und das Lob abzuschütteln versuchte.
Beinahe glaubte er die Stimme seines Vaters zu hören, wie er ihn beschimpfte und verhöhnte. Wyatt ballte die Hände zu Fäusten bei dieser Erinnerung, und verdrängte sie schnell wieder, wie alle seine beschissenen Erinnerungen, denn das hier war schließlich nicht die Bohrinsel seiner Familie, auf der er sich immer wie ein Ausgestoßener gefühlt hatte. Jetzt galt es allein seinen Auftrag zu erledigen und da musste er bei klarem Verstand bleiben.
Du bist nicht mehr derselbe wie damals.
Nicht mehr das verängstigte Kind, das er mit zwölf und dreizehn und vierzehn gewesen war, nicht der junge Mann, der seine ganz besondere Begabung krampfhaft unterdrückt und dabei so heftige Schmerzen durchlitten hatte. Manchmal musste er zusammengekrümmt abwarten, bis die Qualen wieder verebbten. Um sie zu lindern, hatte er sich in der Einsamkeit seines Zimmers seine telekinetischen Fähigkeiten zunutze gemacht.
Ja, wieder auf einer Ölplattform zu arbeiten – das weckte sehr viele Erinnerungen, nur wenige davon waren angenehm, einige egal und manche regelrecht haarsträubend. Das Misstrauen in den Augen seines Vaters und seines Bruders verfolgte ihn bei jedem seiner Handgriffe auf dieser Bohrinsel und belastete seine Seele, obwohl er eine Million Meilen von seiner Familie entfernt war.
Für Misstrauen eignete sich so eine Umgebung nun mal nicht. Ebenso wenig wie das Militär – das er nach der Mordanklage samt Kameraden und Vaterland im Stich gelassen hatte.
Über zwanzig Jahre hatten ihn von seinen beiden Halbbrüdern getrennt. Der eine, Tim, war in der Woche vor Wyatts Geburt getötet worden. Und so hatte Wyatt mitten in einem größeren Familienchaos das Licht der Welt erblickt.
Eine Woche später verlor Mason, der andere Bruder, bei einem Unfall auf der Bohrinsel einen Arm und ein Bein. Trotzdem verbrachte er weiterhin sein Leben auf den Bohrinseln und half seinem Dad bei der Leitung der Betriebe in Texas und auf dem Indischen Ozean. Deshalb blieb Wyatts Geburt für immer mit diesen beiden Tragödien verbunden, zumindest in den Augen seines Vaters.
Seit frühster Jugend fühlte er sich schuldig an Ereignissen, auf die er keinen Einfluss hatte, und außer immer wieder davonzulaufen tat er nichts um das zu ändern.
Kurz nach seiner Rekrutierung war seine Mutter gestorben. Vier Jahre später wurde Mason ermordet aufgefunden, das Genick gebrochen. Den mysteriösen Unfall lastete die Polizei Wyatt an, weil er beim Militär war und dazu imstande, den Hals eines Mannes zu brechen … Zudem gab es ein Video von der Überwachungskamera, auf dem man sehen konnte, wie er vor der Tat an Bord der Bohrinsel schlich. Dann brach die Aufnahme ab – auch das etwas, wozu Wyatt imstande gewesen wäre.
Er hatte nicht abgewartet, um selbst irgendwas herauszufinden. Kampf oder Flucht, diese Entscheidung fiel ihm leicht. Und ACRO hatte ihm dabei geholfen, seinen Arsch zu retten. Ob er schuldig war, wusste er noch immer nicht.
Die Hände um die Decksreling gekrallt, trat er von einem Fuß auf den anderen. Es war genau diese besondere Unsicherheit, die er so abgrundtief hasste.
Für sein Land arbeitete er nach wie vor, auf die einzige Art, zu der er in der Lage war. Die beste – und einzige – , die er kannte. Er war loyal, treu ergeben, ein verdammt guter Agent.
Aber – nein, er war nicht mehr derselbe.
DER HUBSCHRAUBERPILOT ERKLÄRTE, da vorne links würde die Ölplattform liegen. Aber von ihrem Platz aus, direkt hinter dem Kopiloten, sah Faith nur den endlosen Ozean und dichte Sturmwolken.
Verdammt. Sie lehnte sich auf dem Sitz des Chelbi-Passagier-Helikopters zurück, der die Bohrarbeiter-Crews zur Arbeit oder nach Hause transportierte. Nie zuvor hatte sie auf offener See eine solche Anlage betreten, und sie hätte diese neue Erfahrung durchaus begrüßt, wäre der Anlass ein anderer gewesen.
Liberty.
Eine Woche zuvor hatte sie den Anruf bekommen. Völlig verwirrt und zitternd, war sie eine halbe Stunde lang außerstande gewesen, klar zu denken.
Wir haben Ihre Schwester in unserer Gewalt. Wenn Sie nicht kooperieren, wird sie sterben.
Bis dahin hatte Faith nicht gewusst, ob ihre Schwester noch am Leben war. Ihre Eltern hatten Liberty in einer psychiatrischen Klinik untergebracht und drei Jahre später, 1987, gab es im Oktober das schwere Unwetter über Südengland, bei dem Vater und Mutter umkamen. Traumatisiert, während sich gleichzeitig ihre Kräfte vollständig herausbildeten und außer Kontrolle gerieten, wurde Faith von Agenten der britischen Regierung entführt. Schließlich landete sie in einer Schule für speziell begabte Kinder, wo sie Sean kennenlernte. Als sie alt genug war, um nach ihrer Schwester zu suchen, führte die erkaltete Spur ins Nichts und in der psychiatrischen Klinik war außer lückenhaften ärztlichen Berichten nichts an Information zu bekommen. Zwar gab es Gerüchte, aber nichts Konkretes.
Faith hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, doch schon seit Jahren fühlte sie sich wie in einer Sackgasse.
Bis zu dem Anruf, bis zu dem Video.
Die Frau, an einen Stuhl gefesselt, ein Auge blau geschlagen, mit blutender Nase, war Faiths Ebenbild. Obwohl Libertys glattes schwarzes Haar nur bis zum Kinn reichte, im Gegensatz zu den langen Locken ihrer Schwester – es gab keinen Zweifel an der Identität der Frau, die auf dem Stuhl schwankte, von einer Kalaschnikow bedroht.
»Hilf mir, Faith«, sagte Liberty mit ihrem melodischen irischen Akzent. »Ich habe solche Angst. In dieser alten Pension …«
Ehe sie weitere Anhaltspunkte verraten konnte, schlug der Mann den Gewehrlauf gegen ihre Schulter, und sie stürzte mitsamt dem Stuhl zu Boden. Faith fluchte und schrie, bis der Schurke zur Kamera schlenderte. »Wenn Sie Ihre Schwester lebend wiedersehen wollen, hören Sie zu.«
Eine Strumpfmaske dämpfte seinen Akzent, ebenfalls irisch. Trotzdem verstand Faith die Worte.
»Was verlangen Sie?«, würgte sie hervor.
»Itor hat eine schlagkräftige Waffe entwickelt, eine Wettermaschine. Die wollen wir haben.«
»Keine Ahnung, wer Itor ist.«
Der Mann drehte sich um. Was er tat, sah Faith nicht, aber seiner Bewegung und einem schwachen Wimmern merkte sie an, dass er nach Liberty trat.
»Elender Bastard!«
»Ärgern Sie mich nicht, Miss Black. Nehmen Sie unverzüglich Kontakt mit Sean Stowe auf. Er ist für die Wettermaschine zuständig und wir wissen, dass Sie mit ihm liiert sind. Sagen Sie ihm, Sie lieben ihn, und Sie wollen für Itor arbeiten. Wie Sie’s anfangen, ist uns egal. Beschaffen Sie uns einfach nur die Grundplatine der Maschine.«
Am selben Tag hatten Libertys Peiniger ihr ein Einweg-Handy geschickt, außerdem die Spezialanfertigung einer wasserfesten Tasche für die Grundplatine und weitere Instruktionen. Sobald sich die Platine in ihrem Besitz befand, sollte sie sich bei ihnen melden. Dafür hatte sie zwei Wochen Zeit. Danach würde Liberty einen Körperteil nach dem anderen verlieren.
Verdammte Bastarde. Faith hatte ihre Dienststelle informiert und den Agenten das Video gezeigt, erwartete sich aber davon nicht viel. Wer immer in der Lage war sie aufzuspüren, wer Liberty gefunden hatte und sie gegen ihre Schwester benutzte, dem würde kein Fehler unterlaufen.
Und wieso wussten sie über Faith und Sean Bescheid? Wo hatten sie überhaupt Liberty entdeckt? Wo hatte sie all die Jahre gelebt?
Faith brauchte Antworten, und zwar sofort. Unglücklicherweise waren die Typen, die ihre Schwester gefangen hielten, nicht besonders mitteilsam.
»Gleich landen wir«, verkündete der Pilot. Dankbar verdrängte Faith die grauenhaften Visionen aus ihrem Gehirn und spähte aus dem Fenster.
Einige Sekunden lang schienen Wasser und Luft schimmernd zu verschmelzen. Und plötzlich erschien eine monströse Plattform vor der Küste. Wie zum Teufel hatte Itor das geschafft? Mit was für Leuten arbeitete Sean nur zusammen?
Es drehte ihr den Magen um bei dem Gedanken, dass sie das bald herausfinden würde.
Nach der Landung half ihr ein Mann in einem schwarz-orange gefleckten Overall aus dem Helikopter. Sie spürte Augen, die sie angafften. Viele Augen. Aber eine Frau, die in einem ärmellosen schwarzen Lederkleid eine Ölplattform voller Männer betrat, musste ja mit durchdringenden Blicken und wölfischen Pfiffen rechnen.
»Miss Black, ich bin Don Goss. Wenn Sie mir folgen würden, ich bringe Sie zu Mr. Stowe.«
Sie nickte dem Mann zu, der vor ihr auf dem Hubschrauberlandeplatz stand und sie gegen die schwülwarmen Windstöße abschirmte, Vorboten einer dunklen Sturmwolke, die sich vom Meer her näherte. Unbehaglich erschauerte Faith. Ob das drohende Gewitter oder die unmittelbar bevorstehende Begegnung mit Sean ihre Nerven strapazierte, wusste sie nicht. Beobachtete er sie in diesem Moment? Hier draußen würde er sie nicht erwarten – dafür war er zu dramatisch veranlagt – , aber möglicherweise verfolgte er alles über die Monitore der Überwachungskameras. Zweifellos würde er in helle Wut geraten, weil so viele Männer anstarrten, was ihm gehört hatte. Und was ihm wieder gehören würde.
Entschlossen ignorierte sie die widersprüchlichen Emotionen, die dieser Gedanke hervorrief, und folgte Don durch ein Labyrinth aus Metall.
Sie stiegen mehrere Treppenfluchten hinauf und Faith schickte dabei dem TAG-Spezialisten, der ihr zu Stiefeln statt High Heels geraten hatte, ein mentales Dankeswort. Andernfalls wären die gerillten Metallstufen ihr Untergang gewesen.
Unterwegs fielen ihr die Überwachungskameras und mehrere bewaffnete Männer auf. Was die normalen Bohrarbeiter wohl davon hielten, war ihr schleierhaft.
Vor der Tür zu einem Korridor verlangten zwei Männer ihren Ausweis, und sie gab ihnen ihren Reisepass und den britischen Führerschein. Dann bedeuteten sie ihr, einzutreten. Allein.
Auf dem Flur kam ihr ein Mann in Jeans und einer legeren Jacke entgegen. »Ich bin Giulio.« Sein italienischer Akzent erinnerte sie an ihre letzte Auftragsreise nach Italien, vor sechs Monaten. »Hier entlang, bitte.«
An der Seite ihres neuen Begleiters prägte sie sich den Weg genau ein, der zu einer Tür führte. Davor standen zwei Männer mit AK-47-Gewehren. Einer wandte sich zu ihr. »Miss Black, ich muss Sie bitten, die Arme zu heben und die Beine zu spreizen.«
»Natürlich.« Sie gehorchte, und der Mann ließ seine Hände über ihren Körper wandern. Zwischen ihren Schenkeln hielt er inne. Nichts an dieser Berührung wirkte sexuell oder persönlich. Genauso gut hätte der Mann eine Leiche untersuchen können.
Nachdem er seine Pflicht erfüllt hatte, griff er nach der Türklinke. Doch dann hielt er inne und berührte mit der Hand seinen Kopfhörer. Nach ein paar Sekunden schaute er Faith an. »Mr. Stowe nimmt gerade einen dringenden Anruf entgegen. Deshalb schlägt er Ihnen vor, sich erst einmal auf der Plattform umzusehen. Er kommt gleich.«
Faith lächelte. »Großartig, ich liebe es, eine neue Umgebung kennenzulernen.«
Außerdem würde sie die Plattform in ihrem Gehirn kartographieren. Dabei würde sie ein viel genaueres Bild erhalten, als es die schematischen Zeichnungen boten, die sie studiert hatte. Und die Galgenfrist vor dem Wiedersehen mit Sean würde ihr sicher nicht schaden.
WYATT MOCHTE SEAN STOWE NICHT. Er traute ihm nicht über den Weg. Genau genommen traute er fast niemandem, nur diesem Sean gegenüber erreichte sein Misstrauen eine neue Ebene. ACRO hatte herausgefunden, dass Sean Stowe ein ranghoher Itor-Agent war. Über welche speziellen Fähigkeiten er verfügte, blieb allerdings ein Geheimnis.
Nun, das spielte keine Rolle. An diesem Tag musste die Wettermaschine zerstört werden. Ohne Wenn und Aber. Wyatts Fluchtweg war kartographiert, seine Taucherausrüstung lag bereit. Obwohl er von ACRO nichts über den Code hörte, den er Haley mitgeteilt hatte – und der vielleicht Itors Pläne für die Maschine enthielt –, hielt er es für eine schlechte Idee, noch länger zu warten.
Er bog um eine Ecke auf dem Tauchdeck – und erstarrte. Da stand Faith Black, nicht gerade an der sichersten Stelle, während der Sturm immer näher kam und die Wellen aufwühlte, nur wenige Meter tiefer unten. Aber diese Frau war eben alles andere als risikofrei, das wusste er ja schon.
Seit dem Gutenachtkuss hatte er ständig an sie gedacht. Auf dem Weg zu seinem schäbigen Motelzimmer, dort hatte er von ihr geträumt und sich unter der Dusche, mit ihrem Bild vor Augen, einen runtergeholt. Danach war sein Penis sofort wieder erigiert gewesen.
Er hatte überlegt, ob er am Morgen ihr Hotel aufsuchen sollte, und stattdessen den ersten Flug zur Bohrinsel genommen, um das Terrain zu sondieren. Dabei hatte er wieder an Faith gedacht und gewünscht, er könnte sie irgendwie dazu bringen, sich an den Sex mit ihm zu erinnern.
»He«, rief er, »du stehst zu nah am Rand!«
Sie fuhr auf einem Stiefelabsatz zu ihm herum. Ganz in Leder. Scheiße, sein Atem stockte.
Wenigstens sperrte auch Faith Mund und Nase auf. Aber sie erholte sich sehr schnell von ihrem Schrecken. Schneller als er. Glücklicherweise wusste er, dass sie sich nur an die Begegnung im Pub erinnern würde, an nichts anderes. Doch stimmte ihn das auch ein bisschen traurig. Keine Frau erinnerte sich an die Intimitäten, das war der Vorzug und zugleich der Fluch, was den sexuellen Aspekt seiner besonderen Begabung betraf.
»Läufst du deinem Ex immer noch davon?«, fragte er, und sie schenkte ihm das Killerlächeln, mit dem sie ihn letzte Nacht geködert hatte.
»Nicht direkt, ich bin wegen meines Jobs hier.«
»Wie ein Bohrarbeiter siehst du nicht aus.«
»Du auch nicht, obwohl du einer bist«, konterte sie, entfernte sich vom Rand der Plattform und ging auf ihn zu. »Was mich angeht – ich bin die Buchprüferin der Firma, der die Bohrinsel gehört. Ich muss nach dem Rechten sehen.«
»Allzu viele Buchprüferinnen, die Leder tragen, kenne ich nicht.«
»Freut mich, dass ich deine erste bin.«
»Hoffentlich bin ich wieder da, wenn du deinem Ex nächstes Mal wegläufst. Wenn ich auch wünschte, du wärst nicht so schnell abgehauen.«
»Du warst es, der mein Bett verlassen hat – und ich erinnere mich nicht, dass gestern Nacht irgendwas zu schnell passiert wäre.«
»Was, du erinnerst dich?«
Sie biss auf ihre Unterlippe, und er musste sich zusammenreißen, um nicht hier und jetzt über sie herzufallen, direkt an den Metallrohren. »Natürlich erinnere ich mich.«
Da stimmte was nicht. Verdammt, da stimmte was nicht.
»Machst du auf cool, oder warst du letzte Nacht betrunken? «, fragte sie. »Diesen Eindruck hatte ich eigentlich nicht. Soll ich drüber reden – und dir erzählen, wie oft wir’s getrieben haben?« Er blinzelte, und sie fuhr fort: »Im Jacuzzi, unter der Dusche, dann wieder im Bett …«
Der Donner, vor wenigen Minuten noch ein leises Grollen, wurde immer lauter. Es donnerte gewaltig.
Als der Wind auffrischte, erzitterte die ganze Plattform. Faith hielt sich an der Metallreling hinter ihr fest. Auch Wyatt umfasste die Metallstange links und rechts von ihr, schirmte sie mit seinem Körper gegen den Regen ab, den der Wind fast horizontal heranpeitschte.
»Ich will nicht, dass du dich mit anderen Männern einlässt«, sagte er unvermittelt, denn wann immer er derart intensiv empfand, kamen solche Gedanken ärgerlicherweise wie von selbst über seine Lippen.
Sie schaute ihn an, als wäre er komplett verrückt geworden. Auch egal, wenn seine Gefühle mit ihm durchgingen, ließ er sich nun mal von ihnen leiten. Bevor sie ihm antworten konnte, ging die Alarmglocke los.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Könnte ein Blowout sein.«
»He, Len kommt nicht rauf!«, rief Don vom oberen Teil der Plattform herab. »Er ist runtergesprungen, um einen der Pontons zu reparieren und müsste inzwischen längst wieder da sein. Bald geht ihm die Luft aus.«
Len war einer der Taucher. Dieser Job wäre Wyatt viel lieber gewesen, und dank seines SEAL-Trainings war er auch dafür ausgebildet. Aber die Arbeit unter Wasser hätte ihm keine Gelegenheit geboten, die höllische Wettermaschine zu zerstören.
»Warum ist er denn allein unten?«, schrie er.
»Weil Clarence sich nicht gut fühlt. Und vor zehn Minuten war’s noch ruhig. Mit diesem Wetterumschwung konnte niemand rechnen.«
So wie dieser Sturm sich verhielt, musste er auf künstliche Weise entstanden sein.
O ja, diese Wettermaschine musste verschwinden, und zwar möglichst schnell. Aber im Moment war ein Mann da unten – und Wyatt zu gut ausgebildet, um jemals jemanden im Stich zu lassen, der in Gefahr war. Außerdem würde niemand anderer vom Taucherteam freiwillig da runterspringen, nicht einmal, wenn einer von denen gerne würde. Die wollten alle bloß nicht aus der Reihe tanzen und ja nicht ihrem Vorarbeiter widersprechen. Weicheier.
»Okay, ich mach’s«, sagte Wyatt. »Bringen Sie mir einen Trockenanzug, Flossen und einen Gewichtgürtel.«
»Warten Sie, bis wir die Lufttanks und Kreislauftauchgeräte vom Versorgungsboot geholt haben. Etwa zehn Minuten.«
»So viel Zeit hat er wahrscheinlich nicht.«
»Aber wir haben keine Wahl, weil er zu tief unten ist.«
»Ich werde freitauchen.«
»Sind Sie verrückt?«
»Ja«, bestätigte Wyatt lässig.
OHNE WEITERE DISKUSSIONEN legte er die Ausrüstung an, die Don ihm gebracht hatte, und bereitete sich auf den Sprung in die schäumenden Wellen vor.
Dann wandte er sich zu Faith. »Bleib unter Deck und halt dich fest. Bald ist hier die Hölle los.«
»Willst du das wirklich allein machen?«, fragte sie besorgt und gab ihm zu verstehen, sie würde sich an seine Bemerkung erinnern, er sei mit niemandem zusammen. Und das gefiel ihr. »Es ist gefährlich.«
»Ich aber auch, Faith«, erwiderte er gedehnt. »Das bin ich auch.«
FAITH BEOBACHTETE, wie er ins Wasser sprang, direkt auf einen Wellenkamm, und ihr Herz pochte sogar noch schneller als sonst, wenn ihr eigenes Leben in Gefahr gewesen war. Offenbar war der Mann aber auch tatsächlich verrückt – ohne Lufttank zu tauchen. Obwohl sie sich eingestehen musste, dass allein der Anblick seines Körpers, als er seine Kleidung mit dem Taucheranzug vertauscht hatte, ihren Puls in die Höhe gejagt hatte.
Nachdem er ihr herausfordernd zugezwinkert und ihr Blut damit bedenklich in Wallung gebracht hatte, versank er in den dunklen Fluten. Selbst wenn ihm das Wasser bis zum Hals reichte – für das weibliche Geschlecht stellte er überall eine Gefahr da. Sicher würden ihn die Meerjungfrauen in die Tiefe zerren.
»Verlassen Sie das Tauchdeck, Ma’am!«, rief der Vorarbeiter vom oberen Deck herunter. »Da ist es zu gefährlich! «
Inzwischen waren Sanitäter auf dem Oberdeck eingetroffen und warteten die Ereignisse ab. Alle Männer standen jetzt in ihrem gelben Ölzeug auf dem obersten Deck, denn der Sturm wirbelte das Meer auf, hohe Wellen überspülten die Plattform und bespritzten Faith. Bald würden sie das Unterdeck unter Wasser setzen. Trotz ihrer Angst vor dem Unwetter wollte sie ihren Platz nicht verlassen, ehe sie wusste, dass Wyatt und der andere Taucher in Sicherheit waren.
»Faith!« Sie blickte auf und sah Sean die Metallstufen herablaufen. Hinter ihm bauschte sich sein langer schwarzer Mantel im Wind, der Regen klebte sein rotblondes Haar an den Kopf.
Ihre Handflächen wurden vor Schweiß ganz feucht – eine alberne Reaktion, die sie ärgerte. Nur sekundenlang klopfte ihr Herz schneller. Er sah so attraktiv aus wie in ihrer Erinnerung. Hingerissen starrte sie ihn an, wie ein Alkoholiker auf Entzug eine offene Flasche teuren Scotch. Er war kleiner als Wyatt, aber breitschultriger, mit hellen Augen und Haaren, im Gegensatz zu Wyatts dunkler Färbung.
Warum zum Teufel verglich sie die beiden miteinander? Sie hatte einen Auftrag zu erledigen. Also mussten ihre Hormone warten.
Am Fuß der Treppe blieb Sean stehen. Anscheinend bemerkte er den Regen nicht, der auf ihn herabprasselte. Seine Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln, die scharfen grauen Augen fixierten ihr Gesicht, und sie wusste, er würde ihren Körper erst mustern, wenn sie wegschaute. Sobald sie das tat, würde sie seinen Blick wie die Berührung eines Liebhabers spüren und genau feststellen können, wann er welche Stellen betrachtete.
Das hing mit seiner Gabe zusammen, vorübergehend die Energie aller Arten von Lebewesen anzuzapfen, und soweit sie wusste, war sie auch die Einzige, die das überhaupt wahrnehmen konnte.
Und sie hatte auch gar nicht vor, wegzuschauen. Sean war ein Mann, dem man nur mit selbstbewusstem Blickkontakt gewachsen war. Schon viele Leute hatten diese Regel nicht beachtet, oft mit fatalen Folgen.
»Babe.« Seine tiefe Stimme schien mit jedem Jahr rauer zu klingen. »Guten Flug gehabt?« Er trat vor, als wollte er sie umarmen. Aber sie wich weiter unter das hervorstehende Oberdeck zurück.
»War wie immer mit dem Hubschrauber.«
»Du kommst genau zur richtigen Zeit.« Noch ein Schritt, dann bewegte sie sich etwas nach rechts, um Abstand zu halten. »Dieser Teststurm hat beschlossen, seinem eigenen Zeitplan zu folgen.«
Wie zwei rivalisierende Tiger umkreisten sie einander in entgegengesetzten Richtungen. Das war ihr Spielchen, seit sie aus beruflichen Gründen zu Gegnern geworden waren. »Das überrascht mich nicht«, erwiderte sie. »In deiner Nähe verläuft nichts normal.«
Sein Lächeln traf die Schwachstelle ihres Herzens. Darin bewahrte sie das Bild eines zerbrechlichen, schüchternen Jungen, der sie an der Akademie immer vor den schlimmen Rabauken hatte beschützen wollen.
»Stimmt. Gerade deshalb bin ich so faszinierend.« Auf seinen geschmeidigen langen Beinen pirschte er sich wieder an sie heran, ein Raubtier, dessen Beute sich exakt dort befand, wo er sie sich wünschte.
Auch Faith trat näher, nicht bereit, auch nur einen Zentimeter nachzugeben. Doch sie behielt alles genau im Auge, was ringsum geschah, denn sie wollte wissen, wann Wyatt aus dem Meer emportauchte. »Wie ich sehe, hat dein Ego keinen Kratzer abbekommen.«
»Dachtest du, das hätte sich in dem Jahr seit unserer letzten Begegnung geändert?« Er hob sein Kinn mit dem Grübchen, seine Augen färbten sich dunkler. »Sicher erinnerst du dich an die Nacht in Paris.«
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ja, sie erinnerte sich an den wilden Sex in Seans Hotelzimmer. Danach hatte er das zerbrochene Geschirr bezahlen müssen, den demolierten Fernseher und einen Spiegel. Und Faith musste auch bezahlen, und zwar mit ihrem eigenen Blut.
Er war mit einem Team seines Geheimdiensts nach Paris gereist. Und sie war allein gewesen, das einzige Mitglied ihrer viel kleineren Organisation, nur hatte er so wie jetzt geglaubt, sie würde für niemanden fest arbeiten und Aufträge von zahlungskräftigen Kunden annehmen. Seine Leute versuchten sie zu töten und flohen anschließend mit der Beute – einem religiösen Kunstwerk, dem angeblich ein tödlicher Fluch anhaftete.
»Wie ich mich entsinne, mochte ich deine Freunde nicht.«
Als das Deck erneut unter dem heftigen Sturm erschauerte, widerstand sie dem Impuls, an der Reling Halt zu suchen. »Da wir gerade davon reden – gestern hat Marco offenbar versucht mich umzubringen.« Zweifellos wollte er vollenden, was er in Paris begonnen hatte.
In Seans Kinn zuckte ein Muskel. »Sicher wollte er mit dir nur seine Spielchen abziehen.«
»Ist es das, was wir beide jetzt auch machen?«
Plötzlich stürzte er sich auf sie. Obwohl sie ihn hätte abwehren können, ließ sie sich hinter einen dicken Balken stoßen, aus dem Blickfeld der neugierigen Sanitäter und Bohrarbeiter, die vom Oberdeck herunterschauten.
»Nein, Spielchen haben wir ganz bestimmt nicht nötig«, fauchte er, strich über ihr blutrotes Kettenhalsband, und sie musste ihre ganze Selbstkontrolle aufbieten, um nicht zusammenzuzucken. »Bei deinem Anruf war ich irritiert, was ich davon halten sollte.«
Seine Finger glitten hinab und wischten Regentropfen von ihrem Busenansatz. Auf dem Weg hierher hatte sie genau gewusst, sie würden es wie die Karnickel treiben. Aber jetzt missfiel ihr mit einem Mal der Gedanke, was an Wyatts Glanzleistungen in ihrem Bett lag. Die erstaunliche sexuelle Chemie, die sie mit Sean geteilt hatte, war zuvor unübertroffen geblieben. Bis zu ihrer Begegnung mit Wyatt.
»Ich hatte keine Ahnung, an wen ich mich sonst wenden sollte.«
Er wich zurück, und sofort war der feindliche Agent wie weggeblasen. An dessen Stelle trat der Mann, in den sie sich vor so langer Zeit verliebt hatte. »Du sagtest, du hättest es satt, allein zu sein – allein zu arbeiten. Warum hast du dabei nicht erwähnt.«
Ein paar Hundert Aufträge hatte sie erledigt, fünfmal so oft Leute belogen, um sie durchzuziehen. Aber Sean zu belügen – das wäre ein schrecklicher Verrat, obwohl er sich schon vor Jahren für die Seite der Bösen entschieden hatte. Manchmal – so wie jetzt – glaubte sie jedoch ernsthaft, er würde sich umdrehen lassen.
»Wenn man sein eigener Boss ist, hat das gewisse Vorteile«, erklärte sie und löste sich aus seiner Nähe. Auf der Plattform und im Wasser war einfach zu viel los an Ablenkung, als dass sie sich ganz auf Sean konzentrieren hätte können. Und das konnte sich als fataler Fehler herausstellen, der sich wahrscheinlich rächen würde. Das wusste sie. »Aber ich habe schon sehr gerne jemanden zur Deckung.«
»Wir haben einander immer Deckung gegeben.« Sean grinste. »Erinnerst du dich an den Mathematikprofessor, der mir vorwarf, ich würde schummeln?«
Lächelnd entsann sie sich, wie sie ihm geholfen hatte. Durch ihren mentalen Einfluss waren die Lippen des Mannes angeschwollen, und er hatte nicht mehr sprechen können. »Was war das für ein Vollidiot.«
In Seans Augen erschien ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte. Verwirrt versuchte sie die Furcht abzuschütteln, die ihr mit einem Schauder übers Rückgrat kroch.
Sie war immer fähig gewesen, seine Gedanken und Gefühle zu ergründen. Ehe sie noch über diese neue Entwicklung nachdenken konnte, flüsterte er leise: »Weißt du noch, wie ich mich revanchiert habe? Wie ich in jener Nacht in dein Zimmer kam und dich mit meiner Zunge dazu brachte, mich anzuflehen? Jetzt sind wir wieder zusammen. Jede Nacht wirst du mich anbetteln. «
»Das tue ich nicht mehr«, entgegnete sie, obwohl sie bei Wyatt erst letzte Nacht genau das getan hatte. O Gott, hoffentlich passierte ihm nichts.
Sie biss sich auf die Lippen und betrachtete das aufgewühlte Meer. Würde sich die Situation noch verschlimmern? So sicher war sie gewesen, sie hätte ihre Angst vor Gewitterstürmen überwunden – oder zumindest unter Kontrolle gebracht. Aber weil Wyatt in Gefahr schwebte, kamen die bösen Erinnerungen wieder zum Vorschein.
Wieder zum Vorschein war Wyatt dagegen noch nicht gekommen. Wie lange war er wohl schon unter Wasser? Zu lange, verdammt …
»So starrsinnig. Und schön. Schon immer warst du so schön, Faith … Faith?«
Sie blinzelte und schüttelte den Kopf, konnte nicht fassen, welchen Fehler sie soeben gemacht hatte. Wenn sie diese Mission überleben wollte, musste sie Sean vorgaukeln, ihr Interesse würde nur ihm gelten. Einen solchen Ausrutscher durfte sie sich nicht mehr erlauben. Sonst würde sie weder Liberty noch ihre eigene Haut retten.
»Ja, tut mir leid. Gerade dachte ich, wie wundervoll es ist, dass wir wieder auf derselben Seite stehen.«
»So hätte es die ganze Zeit sein müssen. Unsere Wege hätten sich niemals trennen dürfen.«
Das hatte sie auch nie gewollt. Aber der britische Geheimdienst, die Förderer jener speziellen Schule, und die Organisation, für die er nach Abschluss des Studiums gearbeitet hatte, waren ihm immer unerträglicher erschienen. Faith hatte ihren eigenen Kurs eingeschlagen und hilflos seine wachsende Gefühlskälte beobachtet, seinen Hass. Vor drei Jahren hatte er der britischen Regierung den Rücken gekehrt und war zu Itor übergelaufen.
Trotz der Feindschaft konnten sie weder die gegenseitige körperliche Anziehungskraft leugnen, noch die Sentimentalität bezüglich ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Jedes Wiedersehen endete mit heißem Sex, obwohl es eigentlich mit seinem oder ihrem Tod hätte enden sollen.
Wahrscheinlich würde diesmal tatsächlich einer von ihnen sterben. Und selbst wenn sie beide mit dem Leben davonkamen – Sean würde ihr den Verrat niemals verzeihen.
»Wenn das wirklich was werden soll, besprechen wir besser, was Itor von mir erwartet«, meinte sie.
»Das werden wir tun. Aber zuerst will ich dir zeigen, was meine Wettermaschine zustande bringt. Gehen wir.«
Sie rührte sich nicht von der Stelle. »Hast du diesen Sturm heraufbeschworen?«
»Allerdings. Jetzt werden wir ihn noch verstärken – eine Wasserhose zu Ehren deiner Ankunft.«
Als würde das Unwetter zustimmen, zuckten grelle Blitze am Himmel, gefolgt von ohrenbetäubenden Donnerschlägen, und Faith konnte nicht anders als zusammenzucken.
»Du musst den Sturm abschwächen, Sean!«, schrie sie über dem Lärm, die Stimme hoch und schrill vor Entsetzen. »Da sind Taucher im Wasser!«
»So? Nicht allzu tief. Kein Grund zur Sorge.«
»Wenn sie auftauchen, müssen sie dekomprimieren, und die Wellen werfen sie womöglich gegen die Stützpfeiler. «
Sean lächelte ihr nachsichtig zu. »Das sind nur zwei Taucher. Komm.«
Ungläubig starrte sie ihn an. Wasser spritzte gegen ihre nackten Beine und füllte ihre Stiefel. »Lässt du sie sterben? Was stimmt denn nicht mit dir?«
»Wenn du für Itor arbeiten willst, musst du dir ein dickeres Fell zulegen, Babe.«
»Ja, großartig, darum werde ich mich bemühen.« Sie packte seinen Arm, so fest, dass ihm der Atem stockte. »Bitte, schalt das Gewitter runter. Wenn diese Männer sterben, gibt es bloß eine Untersuchung. Und das bedeutet Ärger. Bitte! Du weißt, wie sehr ich mich vor solchen Stürmen fürchte.«
Sie hasste es, dieses Argument geltend zu machen, hasste es, in Seans Nähe Schwäche zu zeigen. Aber es lohnte sich, denn seine Miene nahm sanftere Züge an.
»Oh, tut mir leid, Babe. Was für ein Schurke ich bin! Das habe ich ganz vergessen.« Seufzend schüttelte er Regentropfen aus seinem Haar. »Also möchtest du hierbleiben, bis die Taucher in Sicherheit sind? Ja, du wolltest schon immer die Verirrten und Gefährdeten retten.« Als sie nickte, begann er die Treppe hinaufzusteigen. Auf der dritten Stufe blieb er stehen. »Ich habe dein Gepäck auf dein Zimmer bringen lassen. Natürlich wäre es mir lieber, du würdest bei mir wohnen.«
»Mir auch«, log sie.
Zu ihrer Erleichterung teilte er ihre Meinung, es würde nicht gut aussehen, wenn sich die Buchprüferin bei einem der Firmenbonzen einquartierte. Gewissermaßen gehörte Sean zu den Eigentümern, weil Itor einer der Hauptaktionäre der Ölfirma war. Und zum Zweck seiner Mission gab er vor, sogar noch einflussreicher zu sein als es den Fakten entsprach.
»Bald wird es keine Rolle mehr spielen«, bemerkte er mit einem rätselhaften Lächeln. Wieder einmal fragte sie sich, was genau es mit seinem Auftrag hier auf sich hatte. Er hatte ihr versichert, in ein paar Tagen würde alles ans Licht kommen. Aber so lange wollte sie nicht hierbleiben. »In einer Stunde gibt es Mittagessen in meinem Apartment. Alle meine Mahlzeiten stammen aus der Kombüse, und du wirst mit mir essen. Bis dann.«
Er stieg die Treppe hinauf, und Faith schaute wieder auf das Wasser hinab, in dem Wyatt verschwunden war. O Gott, sie saß wirklich in der Klemme, denn seine Anwesenheit auf der Plattform machte aus einem sehr gefährlichen Auftrag einen schrecklich gefährlichen.
Ich will nicht, dass du dich mit anderen Männern einlässt.
In ihren Ohren gellten seine Worte noch lauter als der Wind, der zwischen den Stahlbalken heulte.
Scheiße.
Ihm hier zu begegnen hatte ihr einen echten Schrecken eingejagt, und sie hatte ihm gleich erklären wollen, dass sie sich hier nicht treffen dürften. Aber dann, an der Reling zwischen seinen Armen gefangen, hatte sie sich nur noch gewünscht, die Beine um seine Hüften zu schlingen und wieder einen berauschenden Orgasmus zu genießen. In Wyatts Nähe verlor sie vor lauter Lust beinahe den Verstand. Irgendwie musste sie einen klaren Kopf behalten. Weil Sean den Mann sonst töten würde.
Oder noch schlimmer.
Scheiße.
Es gab nur eine einzige Hoffnung – sie musste das hier durchziehen, und zwar schnell. An diesem Tag und am nächsten würde sie das Terrain sondieren und herausfinden, wie sie zuschlagen und danach fliehen konnte. Da Sean ihr vertraute, würde sie problemlos an die Maschine herankommen.
Die Schwierigkeit lag dagegen eher darin, den tatsächlichen Diebstahl der Platine durchzuführen. Zuerst musste sie die Überwachungskameras ausschalten, dann die Bewacher der Maschine. Sie würde sich vergewissern, dass der Hubschrauber bereitstand und der Pilot keinen Ärger machte. Dann konnte sie bloß hoffen, dass niemand etwas Außergewöhnliches bemerken würde, bevor der Pilot – wahrscheinlich unter vorgehaltener Pistole – den Helikopter startete und davonflog. Nicht einmal in der Luft wäre sie in Sicherheit, denn sie hatte keine Ahnung, ob Sean nicht am Ende einen Itor-Agenten zur Hand hatte, um den Hubschrauber abzuschießen.
Nein, sie konnte wirklich keine Komplikationen mit einem anderen Typen gebrauchen. Sobald Wyatt auftauchte, würde sie ihm erklären, dass das im Hotel zugleich der Anfang und das Ende war, was sie beide betraf. Das war unvermeidlich, obwohl sie sich allein schon beim Gedanken an jene Nacht in ihrem Lederkleid eingeengt fühlte – als müsste sie es sofort ausziehen und in Wyatts Arme sinken.
Diese Nacht musste er vergessen. Das würde sie ihm unmissverständlich klarmachen. Weil – verdammt nochmal – das Leben ihrer Schwester auf dem Spiel stand. Und seines genauso.