Kapitel 6

Die Welt als Fettnapf

Deutsche im Ausland – Blamage garantiert?

Eine Reise um die Welt steht an, und wir werden zahlreiche Gelegenheiten haben, uns gründlich zu blamieren. Bevor es losgeht, einige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema »Deutsche im Ausland«. Die historische Belastung aus der Nazizeit ist immer noch präsent, und noch immer kann ein deutscher Akzent oder die deutsche Sprache heftige Reaktionen auslösen. »Ihr Akzent macht die Dinge schlimmer, als sie eigentlich sind«, sagt Adam Sandler in der US-Komödie Wie das Leben so spielt (Original: Funny People) zu einem deutschstämmigen Arzt, der ihm gerade eine unangenehme Diagnose mitgeteilt hat. Und dies gilt ganz allgemein, wenn man als Deutscher im Ausland den Mund aufmacht. Doch manchmal tritt auch das überraschende Gegenteil ein, und man erntet Schulterklopfen und Anerkennung. Wenn auch aus bedenklichen Gründen: Der weitgereiste Autor selbst wurde einmal in einer irischen Kneipe mit freudigen Heil-Hitler-Rufen begrüßt, nachdem sein Akzent beim Bierbestellen aufgefallen war (bis heute ist man dort der Luftwaffe für die Bombardierung Londons dankbar). Und im marokkanischen Fes fand er sich rasch in einem Pulk jugendlicher Bewunderer, die ihm anerkennend signalisierten, dass »sein Landsmann« Hitler endlich mal was gegen die Juden unternommen habe. Eine peinlich-prekäre Situation, in der man gezwungen ist, seine Fans mehr oder weniger huldvoll abzuwimmeln. Sich über die freundliche Aufnahme erfreut zeigen, und trotzdem klarmachen, dass man kein wenig stolz auf den Nationalsozialismus ist – das kann schon mal schwierig werden. Auch die Anfeindungen verspäteter Antifaschisten, die einem in den europäischen Nachbarländern bisweilen widerfahren, sollte man dezent, aber mit Nachdruck zurückweisen. Manche Deutsche quälen sich mit der historischen Scham, haben schon Probleme, nur das Wort »Jude« auszusprechen (merke: ist an sich keine Beleidigung) oder bemitleiden sich selbst, weil sie einen Urgroßvater hatten, der in der SA war. Wer also vor lauter historischer Befangenheit kaum noch geradeaus gucken kann, der sollte lieber gleich zu Hause bleiben. Auf jeden Fall ist von jeglicher Überheblichkeit abzuraten, weder die Leistungsfähigkeit der Wehrmacht (»Wüstenfuchs!«, »Blitzkrieg!«) noch Wernher von Brauns Raketentechnik (»Geburtsstunde der Raumfahrt!«) und auch nicht das Autobahnbauwesen (»Arbeitsplätze!«) zwischen 1933 und 1945 sind zu loben, denn letztlich war nichts gut im »Dritten Reich«. Andererseits ist auch vor den peinlichen Exzessen eines späten Täterstolzes zu warnen – jene schulmeisterlichen Exkurse über die vorbildliche Gedenkkultur, Vergangenheitsbewältigung und Friedensliebe im modernen Deutschland. Überhaupt sollte man sich als Deutscher zurückhalten, andere in Sachen Krieg, Totalitarismus oder Menschenrechte zu belehren. Der Autor selbst verpasste in jungen Jahren natürlich auch dieses Fettnäpfchen nicht. Unter Hippies und Surfern am portugiesischen Atlantikstrand kam er mit einem Israeli ins Gespräch und hatte nichts Besseres zu tun, als diesem nach wenigen Minuten vorzuwerfen, dass »die Israelis mit den Palästinensern heute so umspringen wie die Nazis 1933 mit den Juden«. Der Autor verstand damals nicht, warum das Gespräch sofort beendet war. Wem dies alles zu kompliziert oder zu anstrengend ist, der gebe sich im Ausland einfach als Niederländer, Schweizer oder Däne aus, denn die unterscheiden sich aus amerikanischer, asiatischer und arabischer Perspektive nicht die Bohne von den Deutschen (auch wenn unsere Nachbarn dies natürlich nicht wahrhaben wollen, weil die Abgrenzung von »den Deutschen« ja ein wichtiger Bestandteil ihrer Identitätsfindung ist).

Da Deutschland ein reiches, hoch entwickeltes Land ist, sollte man auch auf jegliche Besserwisserei in technischen Dingen, in Sachen Marktwirtschaft und Umweltbewusstsein verzichten (schlimm genug, dass das deutsche Wort »Besserwisser« bereits als Fremdwort in andere Sprachen eingegangen ist, etwa ins Schwedische). Andererseits gilt es im Ausland als peinlich und hochgradig irritierend, wenn man als Deutscher sein eigenes Land schlechtmacht, und dauernd über Neonazis, Arbeitslosenquoten oder Lebensmittelskandale klagt. Der Ruf Deutschlands in der Welt ist oftmals besser als erwartet – wenn auch auf einer eher materiellen, popkulturellen oder rein landschaftlichen Ebene (Daimler, BMW, Fußball, Würstchen, Rammstein, Lederhose, grüner Wald, grüne Wiesen usw.), während Goethe, Beethoven oder Bach immerhin auch, aber meist nur von einer gebildeten Minderheit, kommemoriert werden. Somit ist ein relaxtes Right or wrong – my country manchmal durchaus angebracht. Denn die meisten unserer Probleme sind nun mal, im globalen Maßstab betrachtet, Luxusprobleme, um die uns andere beneiden.

Parcours der Peinlichkeiten

Derart gut präpariert, können wir auf Weltreise gehen, uns im Slalom zwischen den dicht platzierten Fettnäpfchen hindurchschlängeln. Fangen wir zunächst ganz in der Nähe an, bei unseren südlichen Nachbarn in der Schweiz. Dort ist vieles besser als in Deutschland (Löhne, Luft, Wasserqualität, Käse, Bundesbahn, Arbeitsmarkt, Sauberkeit, Höflichkeit), Sie sollten sich aber unbedingt davor hüten, dies öffentlich zu sagen, weil die Schweizer sonst Angst bekommen, Sie würden (wie so viele andere) dableiben. Die folgenschwersten Fauxpas im Gespräch mit Schweizern finden Sie hier. Sie sollten nicht:

die schweizerische Unabhängigkeit von der EU, die Milizarmee, die Ausländerpolitik kritisieren

fragen, ob man in Euro bezahlen kann

immerzu über die hohen Preise jammern

versuchen, den »ach-so-putzigen« Dialekt nachzuahmen

Höflichkeit mit persönlich gemeinten Sympathiesignalen verwechseln. Viele Schweizer wirken auf Deutsche derart freundlich, dass letztere perplex annehmen, sie hätten neue Freunde gefunden. Ein gravierendes Missverständnis! Es geht den Schweizern lediglich darum, auf dem engen Raum zwischen Bergen und Seen halbwegs erträglich zusammenzuleben und auf ordentliche Weise miteinander Geschäfte machen zu können.

Der Weg über die Alpen Richtung Süden führt uns nach Italien, wo man besser Folgendes unterlässt:

»typisch italienisch« gestikulieren (das muss gekonnt sein, wenn Deutsche es versuchen, wird’s oft peinlich)

Pizza »Hawaii« bestellen

dem Geschäftspartner in Milano Chianti-Korbflaschen schenken (das ist eher was für Tante Gisela in Recklinghausen)

und schließlich: Hüten Sie sich davor, Italien als »Scheißland« zu bezeichnen, selbst wenn es Ihnen mehr als einmal auf der Zunge liegt! Das darf nur Silvio Berlusconi. Im Telefongespräch mit einem Journalisten verlieh der damalige Ministerpräsident seinem Bel Paese im Juli 2011 diesen wenig patriotischen Titel (»In ein paar Monaten werde ich fortgehen, um mich um meinen eigenen Kram zu kümmern. Ich verlasse dieses Scheißland, bei dem ich kotzen könnte.«). Peinlicherweise wurde dieser Teil des Gesprächs abgehört und veröffentlicht, was den Regierungschef dann zu folgendem Statement veranlasste: »Das ist eine dieser Sachen, die man spätabends am Telefon so sagt, wohl in einem entspannten Augenblick und mit einem Lächeln.« Also: Wenn schon »Scheißland«, dann nur mit einem Lächeln im Gesicht. Dann passt’s.

Weiter geht’s Richtung Westen, nach Frankreich: Frankreich über alles, das Motto gilt vor allem, wenn man sich dort befindet. Also bitte nie …

in der Konversation ausufernd über das eigene Land sprechen, das interessiert keinen

sich über die Affären Prominenter (Franzosen) aufregen, denn diese werden weithin als Kavaliersdelikt angesehen

versuchen, mit Franzosen eine Unterhaltung in einer Fremdsprache zu führen (Franzosen ist es peinlich, in einer fremden Sprache radebrechen zu müssen, dann müssten sie ihre Autorität, ihr kulturelles Überlegenheitsgefühl aufs Spiel setzen. Deshalb bestehen sie oft darauf, ausschließlich auf Französisch zu kommunizieren, was natürlich auf andere peinlich arrogant wirkt)

nach dem Einkommen fragen. »In Gelddingen schweigt man, als handele es sich um eine Peinlichkeit«, stellte der langjährige ARD-Korrespondent und Frankreichkenner Ulrich Wickert fest. Ein Verhalten, das in allen gesellschaftlichen Schichten, vor allem aber in den besseren Kreisen anzutreffen ist. »Wer sehr reich ist, wird das nie sagen, außer er ist neureich. Ein Reicher ist allenfalls wohlhabend, sieht sich dans une situation assez confortable

dem Gegenüber beim Wangenkuss einen echten, womöglich noch hörbaren Schmatzer aufdrücken; der Begrüßungskuss wird zwei- oder viermal ausgeführt, jedoch stets nur angedeutet.

Wenden wir uns nordwärts und passieren den Kanaltunnel: Cool Britannia liegt vor uns. Für Ausländer ist vor allem die traditionelle britische Höflichkeit irritierend, sie bietet mitunter Gelegenheit zu peinlichen Missverständnissen: So erging es der polnischstämmigen Übersetzerin Alicja Weikop, die in einem Restaurant die Frage stellte, ob man auch draußen sitze könne (»Can we sit outside?«). Doch die direkte Art, wie sie in Polen oder Deutschland üblich ist, kam ganz schlecht an. Richtig wäre gewesen: »Entschuldigung, ich frage mich, ob es eventuell möglich wäre, vielleicht an einem Tisch draußen zu sitzen, bitte schön?« (»Excuse me, I was wondering if it was possible to perhaps sit at one of your outside tables please«). Das war das Minimum an Höflichkeit. Ein anderes Beispiel: Alicja plauderte am Telefon mit ihrer Schwiegermutter und legte dann auf. Verwundert fragte ihr Mann Christian, ob seine Mutter gar nicht mit ihm habe sprechen wollen? Nein, sagte Alicja, sie habe gar nicht nach ihm gefragt! Tatsächlich wäre es der Schwiegermutter peinlich gewesen, die schöne Konversation mit Alicja zu unterbrechen, um ihren Sohn zu sprechen. Andererseits muss sie es als peinlich unhöflich empfunden haben, dass Alicja nicht von sich aus anbot, ihren Mann zu rufen.

Königlich britisch blamieren kann man sich etwa, indem man …

Kritik am Königshaus oder gar am Monarchismus insgesamt übt

England und Großbritannien verwechselt

Geschichtslektionen über den britischen Kolonialismus, den Nordirlandkonflikt oder Fußball anbringt. Besonders zu vermeiden: Erinnerungen an das WM-Halbfinale 1990 (5:4 für Deutschland) oder das WM-Achtelfinale 2010 (4:1 für Deutschland). Im Gegenzug gilt es, sich nicht provozieren zu lassen, falls die Gastgeber maliziös auf die Partien in München 2001 (5:1 für England) oder Oxford 1909 (9:0 für England) anspielen

den Briten zu sehr auf die Pelle rückt

beim Einstieg in den Bus wild drängelt oder beim Schlangestehen schummelt

mit dem Auto konsequent rechts fährt, dicht auffährt und hupt. Alicja staunte nicht schlecht, als sie nach England umgezogen war: »Ich habe nie zuvor eine derartige Höflichkeit beim Autofahren erlebt. Die Briten lassen einem oft die Vorfahrt, ganz unabhängig von den Verkehrsregeln, nur weil sie es nicht eilig haben und großzügig sind – einen freundlichen Wink hinter der Windschutzscheibe habe ich in Polen nie gesehen.«

in geselliger Runde nur sein eigenes Bier bestellt; denn es wird stets für alle geordert und rundenweise bezahlt

außerdem: Das französische Begrüßungsküsschen wird nicht überall geschätzt – vor allem nicht von Männern.

Von den britischen Inseln aus sind die USA vergleichsweise nahe liegend, auch sprachlich. Trotzdem sind die Mentalitätsunterschiede erheblich. Wer laut über sich selbst spricht, ist mit Sicherheit Amerikaner – sagt zumindest der Brite. Dafür wird in Amerika viel mehr gelächelt, vor allem in Geschäften und in Serviceberufen. Das amerikanische Dauerlächeln – Psychologen sprechen von einem sogenannten Kontaktlächeln, das jede Kontaktaufnahme begleitet und erleichtert – wirkt auf viele Europäer aufgesetzt und schlecht geschauspielert. Europäer lächeln in der Regel seltener, d. h. wenn auch ein gewisser Grund dafür besteht (das sogenannte Anlasslächeln). Als Vitali Klitschko, der ukrainische Schwergewichtsboxchampion, im Frühjahr 1989 zum ersten Mal in seinem Leben in die USA reiste, konnte er nicht glauben, wie ihm geschah: »Wohin ich auch schaute, die Menschen lächelten. Erst dachte ich, sie würden mich auslachen, weil ich diesen komischen Trainingsanzug trug.« Später irrte Klitschko durch eine Shopping Mall: »Kaum steckte ich meinen Kopf in ein Geschäft, schoss mir jemand entgegen. ›Hello!‹ Meinte die junge Frau etwa mich? Ich drehte mich um, hinter mir stand niemand. ›How are you doing?‹ Sie strahlte mich immer noch an, wobei sie mir ihre weißen Zähne zeigte. ›Can I help you?‹ Ich begriff nicht und machte mich lieber aus dem Staub.«56 So viel Freundlichkeit war dem ansonsten furchtlosen Boxer, der an den barschen Alltagston der Sowjetunion gewöhnt war, einfach zu unheimlich.

Manche sprachlichen Missverständnisse deutscher USA-Besucher sind inzwischen zu legendären Kalauern geworden, etwa die Restaurantbestellung »I become a beefsteak«. Außerdem: Einen Unternehmer sollten Sie nicht undertaker nennen, und Public Viewing kann als makabre Angelegenheit verstanden werden. Und: Englisch ist nicht gleich Englisch: Sprachliche Unterschiede zwischen Briten und Amerikanern können für überaus peinliche Missverständnisse sorgen: Pants heißt Hose in USA, jedoch Unterhose im britischen Englisch, restroom heißt Toilette in den USA, in England bedeutet es Pausenraum, während rubber in England ganz unverfänglich Radiergummi bedeutet, bezeichnet man in den USA damit ein Kondom. In den USA lobt man stets im Superlativ, ein »not bad« gilt als schwere Beleidigung. Man sagt ständig Bitte, Danke, Sorry. Man solle sich nicht wundern, von wildfremden Menschen als »Süße« (honey) oder »Schätzchen« (My dear) angesprochen zu werden – keine Angst, es ist nicht persönlich gemeint. Die Amis mögen Konversation, die auf freundlichen Phrasen beruht, und es wäre peinlich, diese Redewendungen inhaltlich ernst zu nehmen. Alles ist prinzipiell great, gorgeous, awesome oder zumindest very interesting. Auf die Begrüßungsformel »How are you«? gibt es (wenn überhaupt) nur eine denkbare Antwort: »Great!« Eine ehrliche Antwort, möglicherweise noch eine ausführliche Beschreibung gemischter Befindlichkeiten, wäre extrem peinlich, es sei denn, Sie wollen als depressiver Grübler erscheinen. Man freut sich stets, jemanden kennenzulernen, fühlt sich gut (»I’m fine!«) und erwartet dies selbstverständlich von den anderen. Begriffe wie must oder should hört man dagegen ungern, sie werden als zu direkt und zwanghaft empfunden. Weitere peinliche Themen, die man in der Konversation vermeiden sollte: Sex, sexuelle Orientierung, Religion, Politik, Frauen, Hautfarbe und ethnische Herkunft, die vielen Obdachlosen auf der Straße, die epidemische Fettleibigkeit, Kriminalität, Todesstrafe, Antiterrorkampf, Irak-/Afghanistankrieg – also fast alles. Bleibt immerhin noch Baseball und das Wetter. Zum Abschied sagt man gerne mal ein »You have to come for dinner one evening« so dahin, doch wer dies ernst nimmt und dann tatsächlich vor der Tür steht, erzeugt eine hochpeinliche Situation.

Die oftmals lockere Art der Amerikaner zu kommunizieren, der Mangel an Form, vor allem im Berufsleben, steht für Selbstbewusstsein, man darf dies aber nicht mit authentischer Kumpelhaftigkeit verwechseln. Und wird man dann doch mal privat eingeladen, sollte man sich darauf einstellen, unverhofft beim Tischgebet mitmachen zu müssen. Manchmal wird dem Gast sogar die Ehre zuteil, das Gebet vorsprechen zu dürfen. Nun heißt es improvisieren und eiligst einige Vaterunser-Zeilen aus dem Langzeitgedächtnis hervorkramen. Einem bestimmten Reglement unterliegen auch der Flirt und die Verabredung zu zweit. Ein Rendezvouz läuft meistens mehrstufig ab. Nach dem Tausch der Telefonnummern geht’s erst mal zum Kennenlernen ins Kino oder zum Abendessen ins Restaurant, allerdings nur unter der Woche, da sonst das Open End schon die Möglichkeit erotischer Begegnungen implizieren würde, und dies gilt beim ersten Date als unschicklich. Da der Mann alles bezahlt, erwartet er ab dem dritten Date grünes Licht in Sachen Sex. Schritt für Schritt gerät eine Frau, die sich fortwährend einladen lässt, also in eine Bringschuld gegenüber dem Herrn. Damen, denen dieser Mechanismus nicht gefällt, zahlen besser konsequent und von Anfang an selbst, auch wenn das vielerorts als peinlicher Affront gilt.

Weitere Don’ts im US-Alltag:

die Verwendung all jener Vulgarismen, die man aus US-Filmen kennt!

in der Öffentlichkeit pinkeln; wer dabei erwischt wird, riskiert saftige Geldstrafen, in einigen Staaten sogar die Aufnahme in die Sexualstraftäterkartei (Urinieren = Entblößen = Exhibitionismus)

Herren mit eng anliegender Sportbadehose werden schief angesehen, an manchen Familienstränden ist sie sogar verboten, da die anatomisch viel zu explizite Banana hammock (»Bananenhängematte«) nur bei Schwimmwettkämpfen oder am Gay Beach getragen wird

am Strand oben ohne liegen (für Frauen)

und schließlich: zweideutige Komplimente sind generell zu vermeiden, da unter Umständen Millionenklagen wegen sexual harassment drohen.

Via Hawaii erreichen wir die Japanischen Inseln. Die extreme Formalisierung in den Sozialbeziehungen der Japaner dient vor allem dem Ziel, Peinlichkeiten, Überraschungen, Streit und Gewalt zu verhindern. Traditionell wurden in diesem übervölkerten Land der harmonische Umgang miteinander und die Einordnung in die Gruppe höher bewertet als Wahrheit und Selbstverwirklichung des Einzelnen. Die Kenntnis der sozialen Regeln gilt bis heute als Beweis der Zugehörigkeit. Pokerface und Lächeln dienen als Maske, als Schutzschild für Emotionen. Diese Erfahrung machte auch Torwartlegende Oliver Kahn, er gehörte zu den beliebtesten Stars der Fußball-WM, die im Jahr 2002 in Japan und Korea stattfand. Die Medien hätten ihn, erinnert sich Kahn, als »Samurai« bezeichnet: »Mir [wurden] bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: Disziplin, Einsatz, Kampf, Selbstbeherrschung. Besonders mein ernstes Gesicht hatte es ihnen angetan.« Nach dem unglücklichen, durch einen Torwartfehler entschiedenen Finale wurde Kahn genau beobachtet: »Wahrt er sein Gesicht, wie es die Samurai zu tun pflegten? Oder läuft er davon, um sich zu verkriechen?« Kahn biss bei der Siegerehrung in Yokohama die Zähne zusammen, obwohl es ein Moment war, »in dem man als Sportler fast sterben möchte«.57 Andererseits, und das irritiert westliche Besucher, gibt es trotz der verbreiteten Zurückhaltung gewisse Ventile, mit deren Hilfe sich Aggression und Regellosigkeit der Japaner entladen, etwa außerhalb der eigenen Gruppe in der Anonymität der Öffentlichkeit (z. B. beim wilden Geschubse und Gegrapsche in der U-Bahn) oder außerhalb formaler Ereignisse, wie beim Saufgelage nach Arbeitsschluss, wo man oft sogar zusammen mit dem Chef die Sau rauslässt, um am nächsten Morgen so steif und formal wie immer weiterzuarbeiten.

Einige nützliche Hinweise bezüglich Gestik und Körpersprache sollen hier nicht fehlen: Händedruck und Schulterklopfen gelten als peinlich-aufdringlich (etwa die besonders im handwerklichen Mittelstand beliebte »teutonische Prankenzwinge«), ebenso der direkte Blick in die Augen bei Begrüßung und Konversation. Was bei uns als Zeichen von Aufmerksamkeit gilt, kann also unter Asiaten als Nötigung betrachtet werden. Peinlich auch, wenn man gedankenlos die Arme vor dem Körper verschränkt. Bei uns eine beiläufige Geste, wird dies in Japan als ausgesprochen dominant empfunden, so als ob jemand unbedingt den Boss markieren will. Und noch ein wichtiger Hinweis auf missverständliche Gesten: Eine negative Antwort drücken Japaner aus, indem sie mit der rechten Hand vor dem Gesicht hin- und herwedeln, als wollten sie eine Fliege verscheuchen – beachten Sie dies, wenn Sie beim Reden gerade eine echte Fliege verscheuchen möchten. Weitere Fauxpas ergeben sich im Umgang mit Komplimenten: Diese können von Japanern unter Umständen als Beleidigung aufgefasst werden, weil sie selbstverständliche Leistungen als Besonderheit darstellen. Wer Komplimente macht, zwingt den Belobigten in einen peinlichen Vergleich mit anderen. Überschwängliches Lob gilt zudem als unehrlich. Erhält man Komplimente von Japanern, sollte man stets abwiegeln, sein Licht unter den Scheffel stellen – andernfalls gilt man als ungeschlachter Angeber. Im Visitenkartenkult hingegen äußert sich das statusbewusste Denken insofern, als dass man ohne Visitenkarte als Niemand betrachtet wird.

Beim geselligen Essen ist Folgendes zu beachten:

Stecken Sie Ihre Stäbchen niemals aufrecht in den Reis, denn das sieht aus wie ein in Japan verbreitetes Totenritual, bei dem den Verstorbenen auf diese Weise Reis offeriert wird.

Man sollte auch generell nichts mit Stäbchen aufspießen, geschweige denn einzelne Happen mit den Stäbchen weiterreichen; mit dieser Geste werden im buddhistischen Ritual Knochen aus der Asche Verstorbener herausgenommen und den Angehörigen überreicht.

Bei Geschäftsessen und privaten Einladungen ist es durchaus üblich, dass die Gastgeber ihre Gäste zu einem bestimmten Zeitpunkt hinauskomplimentieren.

Beim Geschäftsessen im Restaurant gilt: Der Ranghöchste entscheidet unmittelbar, ob ein Essen beendet ist, steht abrupt auf, verabschiedet sich knapp und geht. Peinlich, wer dann noch sitzen bleibt oder hastig aufzuessen versucht.

Westler irritiert es, dass verschnupfte Japaner den Rotz stets mehr oder weniger geräuschvoll hochziehen, obwohl Körpergeräusche ihnen eigentlich peinlich sind – gerade in öffentlichen Toiletten, wo man nicht allein ist. Dort kam die Mode auf, während des Toilettenganges ständig das Wasser laufen zu lassen, um peinliche Geräusche zu übertönen. Um die grassierende Wasserverschwendung zu stoppen, erfand die japanische Industrie das Produkt Otohime (= Klangprinzessin): Beim Betreten der Kabine wird automatisch ein Klangteppich aus Vogelgezwitscher und Wasserrauschen erzeugt.

Wir setzen über aufs asiatische Festland, nach China. Zunächst sollte einmal vorweggeschickt werden, dass China ein heterogenes Land mit Dutzenden von Nationalitäten und großen regionalen Unterschieden ist. Somit sind Verallgemeinerungen schwierig, und die im Folgenden beschriebenen Tendenzen mit einer gewissen Zurückhaltung zu betrachten. Trotzdem finden sich nicht wenige Situationen mit hohem Blamagepotenzial:

beim Essen und in Gesellschaft: Rülpsen gehört zum buchstäblich guten Ton, auch dürfen Speisereste auf den Boden und den Tisch gespuckt werden

Naseschnäuzen gilt hingegen als ekelerregend hoch zwei

langer Blickkontakt in der Konversation wirkt auf Chinesen peinlich

missverständliche Gestik und Mimik: So kann das kraftvolle Mit-der-Faust-in-die-offene-Hand-Klopfen, mit dem wir euphorische Aussagen wie »der Markt boomt wie noch nie« unterstreichen, in China als derbe Beischlafgeste gedeutet werden

einem Chinesen niemals kumpelhaft auf den Rücken klopfen, auch wenn er hustet, dies gilt als äußerst unhöflich

hochgezogene Augenbrauen signalisieren nicht etwa Interesse am Gespräch, sondern ein kompromittierendes, wenngleich wortloses »Nein«.

Überhaupt ist der Körperkontakt eine heikle Angelegenheit. Die chinesische Literaturwissenschaftlerin Han Yan Krüger, die schon seit Jahren in der Schweiz lebt, hat in diesem Punkt mit manchen europäischen Sitten Probleme: »Das Küsschen-Verteilen der Schweizer oder Franzosen sowie der Handkuss sind mir manchmal peinlich, zumal wenn die Küsse von einer Person des anderen Geschlechts kommen. Ich würde ihnen so gern sagen, dass ich eigentlich nur von meinem Mann oder meiner Tochter geküsst werden möchte.« Gelegentlich werden in chinesischen Restaurants Speisen serviert, deren Genuss Überwindung kostet: etwa diverse Maden, Würmer oder gegrillte Skorpione. Britta Steffen, deutsche Spitzensportlerin, setzte da lieber auf Mitgebrachtes aus dem heimatlichen Bioladen, als sie im Sommer 2011 an der Schwimm-WM in Schanghai teilnahm: »Ich habe Haferflocken, Hirseflocken und ganz viele Nüsse mitgenommen. Davon rühre ich mir meinen Brei zusammen, von dem ich zwei Wochen leben kann«, verriet sie der Presse. Lecker! Für eine Medaille reichte diese Spezialdiät allerdings nicht aus. Ist man privat bei Chinesen eingeladen, sollte man den Teller nie ganz leer essen, insbesondere keine Soße mit Brot aufsaugen, denn das könnte interpretiert werden als: »Oh Gott, ich muss sogar die Soße essen, um hier satt zu werden«. Zu den Gesprächsthemen bei Tisch: Politische Fragen (Tibet, Menschenrechte, Internetzensur etc.) werden in China eher selten diskutiert, und wenn, dann sicher nicht mit Ausländern, die davon keine Ahnung haben oder als belehrende Besserwessies auftreten. Andererseits gibt es durchaus auch Sujets oder Komplimente, die in Deutschland Befremden auslösen würden, in China jedoch zum gängigen Konversationsrepertoire gehören. Seien Sie also nicht beleidigt, wenn man Ihnen ins Gesicht sagt: »Sie sind aber schön fett geworden!« Lächeln und nicht widersprechen! Dies ist nett gemeint und signalisiert Respekt in einem Land, das in seiner Geschichte viele Hungersnöte hinter sich gebracht hat. Wohlstand verbirgt man in weiten Teilen Asiens (und Osteuropas) eben nicht so schamhaft wie in Alteuropa. Üblich ist in China zum Beispiel auch die direkte Frage nach dem Einkommen des Gesprächspartners. Bei der Antwort ist dann Schummeln durchaus erlaubt, dann hat man ein besseres Standing. Und: Ob privat oder geschäftlich – Geschenke sind immer gern gesehen. Und bitte lassen Sie die Preisschilder dran! Damit signalisieren Sie Ihren chinesischen Gastgebern und Geschäftspartnern, was sie Ihnen wert sind. Auf keinen Fall sollten Sie eine Uhr verschenken (bedeutet in etwa: »Ihre Lebenszeit läuft ab«) oder Verträge mit rot unterschreiben (sinnbildlich für: »beendet unsere Freundschaft«). In geschäftlichen Verhandlungen kann Schweigen übrigens durchaus als Tugend gelten: Ein Sprichwort lautet: »Wer weiß, spricht nicht. Wer spricht, weiß nichts.« In Verhandlungen sind folglich minutenlange, bedeutungsschwere Pausen üblich, in denen beide Seiten die Gedanken und Reaktionen der anderen zu lesen versuchen. Wer unterbricht, erweckt den Anschein, er müsse peinlichst etwas verbergen.

Unbedingt zu beachten ist zudem, dass Zahlen in China eine mythologische Rolle spielen und ihr Gebrauch für den unachtsamen Europäer peinliche Situationen heraufbeschwören kann. Die Zahlen Vier, Sieben und Zehn gelten als Unglückszahlen. Die Aussprache von Vier und Zehn hört sich ähnlich an wie das Wort »Tod«, während sich die Zahl Sieben wie der Ausdruck »fortgegangen« anhört. Bei Einladungen gilt es außerdem, möglichst eine gerade Zahl von Gästen einzuladen, um Unglück fernzuhalten. Zahlen mit positiver Bedeutung sind hingegen die Sechs, die Acht und die Neun, da ihre Aussprache an positive Begriffe erinnert. Der Zahlenaberglaube kommt auch in der Wahl von Telefonnummern oder Zimmernummern in Hotels zum Ausdruck. Allerdings scheinen Ausländer in China gewisse Freiheiten zu genießen, glaubt Han Yan: »Die Chinesen gehen davon aus, dass die Ausländer sich sowieso anders verhalten. Daher darf ein Ausländer in China fast alles tun. Die Chinesen erklären das dann mit ›fremden Sitten‹. Und sind sehr überrascht, wenn die Ausländer einige Sätze Chinesisch sprechen können oder chinesische Umgangsformen übernehmen.«

Weiter geht’s über den Himalaya nach Pakistan, in eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Deutsche hatten hier lange Zeit ein Heimspiel, denn sie genossen bei den Pakistanern großes Ansehen, vier wichtige Gründe seien hier erwähnt. Erstens: deutsche Autos (vor allem Daimler und BMW), zweitens: Hitler (Autobahnbau), drittens: Hitler (Feind der Juden), viertens: Hitler (Feind der Briten, der ehemaligen Kolonialherren am Indus). Doch seit Beginn des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch hat der Ruf der Deutschen gelitten, sie gelten nun wie die meisten anderen Westler als nichtswürdige speichelleckerische Lakaien der Amerikaner. Tja. Trotzdem: Pakistan ist für abenteuerlustige Zeitgenossen immer eine Reise wert. Spannend wird’s in jedem Fall, und jede Menge Fettnäpfchen stehen für den westlichen Touristen bereit. Dem Besucher werden zunächst einmal die vielen Männer auffallen, die in inniger Umarmung oder händchenhaltend durch die Straßen laufen. Ebenso irritierend wirken die Kerle, die ihre Augen dick mit Kajal umranden. Doch Pakistan ist keineswegs ein Gay-Paradies! Vielmehr handelt es sich um regionale Traditionen: Kajal soll die Augen widerstandsfähig machen gegen den gefürchteten »bösen Blick«, und Freundschaft unter Männern drückt sich durchaus in körperlicher Nähe aus. Ebenso wenig weist ein überlanger Händedruck oder ein um die Schulter gelegter Arm darauf hin, es hier mit jemandem von der anderen Fakultät zu tun zu haben.

Moscheebesuche (sofern diese zurzeit für Westler überhaupt noch möglich sind) sollte man stets nur in neuwertigen Socken angehen, sonst ergeht es einem wie Paul Wolfowitz. Als der damalige Präsident der Weltbank vor einigen Jahren eine Moschee besuchte (die berühmte Selimiye-Moschee im türkischen Edirne), zog er die Schuhe aus, und seine durchlöcherten Socken zogen alle Blicke auf sich. Die Bilder von den Lumpen-Strümpfen des Top-Bankers gingen um die Welt. Die Kleidung sollte also stets der Würde des Ortes angemessen sein. Unvergesslich ist auch der Skandal, als Prinzessin Diana 1991 die Bashari-Moschee im pakistanischen Lahore im kurzen Rock besuchte. Das vom Mullah hektisch ausgehändigte Tuch, um ihre Beine zu bedecken, kam zu spät. Außerdem ist zu beachten: Während des Fastenmonats sollte man den Muslimen in der Öffentlichkeit nicht genüsslich was vorkauen, das gilt als taktlos.

Braune Haut und leichte Kleidung – ob auf dem Bazar oder im privaten Raum – erachten Pakistaner generell als ebenso peinlich. Sie können nicht verstehen, warum sich überhaupt jemand von der Sonne bräunen lassen will – das Schönheitsideal ist hier (wie auch in Indien, Japan oder China) die vornehme Blässe. Und Szenen wie die folgende, die ein Touristenpärchen auf dem Bazar von Rawalpindi erlebte, sollte man unbedingt vermeiden, es sei denn, man liebt das Bad in der Menge: Die beiden Traveller waren in Shorts und Trägerhemdchen unterwegs, das lange Haar mit einem Stirnband fixiert. Innerhalb weniger Minuten hatte sich ihr privater Bummel in eine lächerliche Prozession verwandelt: Lachende, feixende oder vor Erstaunen erstarrte Männer säumten ihren Weg, Horden lärmender Kinder kündigten ihr Auftauchen an, zupften unablässig an ihrer knappen Kleidung und den Rucksäcken. Besonders westliche Frauen werden in den schmalen, vollen Gassen des Bazars einer Nervenprobe ausgesetzt, denn es wird gedrängelt, geschubst, gegrabscht. Gelegentlich setzt’s auch mal einen kräftigen Klaps auf den Hintern, feige verübt von vorbeirasenden Fahrrad- oder Mopedfahrern. Versteckt unter einer zeltartigen Burka lebt sich’s da schon angenehmer.

Sonstige peinliche Don’ts beim Stadtbummel:

blanker Oberkörper bei Männern oder enge Hosen, bei denen sich die Geschlechtsteile abzeichnen

Frauen mit Dekolleté und Zigarette im Mund (sie düpieren damit auch die männlichen Begleiter, besonders, wenn es sich um einheimische Freunde oder Gastgeber handelt)

Fotografieren von pittoresker Armut, von Bettlern oder Kindern

auf dem Bazar handeln; Pakistaner verstehen nicht, warum Westler, die ein zigfaches Einkommen beziehen und für die die Bazarpreise ohnehin schon lächerlich niedrig sind, diese dann auch noch runterhandeln wollen.

Es gibt natürlich auch die Strategie, sich äußerlich dem Gastland möglichst anzupassen, um nicht überall als westlicher Tourist aufzufallen. Doch auch hier lauern Fallstricke: Blonde, blauäugige Frauen stechen beispielsweise in Abaya oder mit Niqab erst recht hervor und sorgen bisweilen für einen neugierigen Menschenauflauf. Zudem wechselt die Landestracht von Region zu Region. Fährt man mit der falschen Kopfbedeckung durch verfeindete Stammesgebiete, kann schon mal scharf geschossen werden, so dass man eigentlich einen ganzen Vorrat an Tüchern, Turbanen und Hüten dabeihaben müsste, wenn man Pakistan durchqueren möchte. Und schließlich: Wer sich zu perfekt anpassen will und dann doch anhand von kleinen Dresscode-Verletzungen auffällt, kann unter Umständen als CIA-Spion verdächtigt werden. Männer sollten der Versuchung widerstehen, offen Waffen zu tragen, wie es viele Angehörige traditionsbewusster Stämme tun. Tradition hin oder her: Finger weg von Handfeuerwaffen, auch wenn sie zu Spottpreisen auf dem Bazar angeboten werden – denn wenn Sie, mit einer Knarre bestückt, in Schwierigkeiten mit Behörden geraten, werden Sie bei einer Festnahme laut Genfer Konvention als ausländischer Söldner eingestuft und entsprechend behandelt. Wenn Sie die Gelegenheit haben, Pakistaner privat zu bewirten, bedenken Sie, dass bei einer Einladung zum Dinner erwartet wird, ein warmes Essen serviert zu bekommen (Schnittchen zählen nicht). Ebenso gehört zum guten Ton, die Gäste mehrmals dazu aufzufordern, nachzunehmen. Es gab schon Fälle, in denen die Gäste verstimmt aufbrachen, nachdem sie ihre Teller leer gegessen hatten, und anschließend von einem peinlichen Abend sprachen. Die westlichen Gastgeber hatten versäumt, mehrfach und nachdrücklich (d. h. bis an die Grenze zur Nötigung) zum Nachschlag aufzufordern. Als ebenso peinlich würden pakistanische Gäste die Idee finden, mit »unpassenden« Gästen an einer Tafel sitzen zu müssen. Man erwartet, unter seinesgleichen, sprich »Ranggleichen« zu speisen, und nicht etwa zusammen mit dem Fahrer, der Putzfrau oder irgendwelchen Studentenbekanntschaften der Tochter. Der egalitäre Gestus mancher Westler wird hier als würdelos empfunden. Wenn Sie zu Gast sind, sollten Sie im Übrigen die Einrichtungsgegenstände des Hauses nicht zu sehr loben – es könnte sein, dass der Hausherr sich genötigt fühlt, sie Ihnen zu schenken. Als reicher Wessi im Hotel, Taxi oder Restaurant – da fühlt man sich schon herausgefordert, satte Trinkgelder zu spendieren. Doch: »Trinkgeld zu geben ist in den USA eine Art Sport, aber in vielen Teilen der Welt ist es eine Kunst«, erklärt Rosie Garthwaite, britische Al-Jazeera-Reporterin in ihrem Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt, denn mancherorts gilt das Trinkgeldgeben als ungehörige Protzerei, gar als Beleidigung. Noch haariger ist das Thema Polizisten- und Beamtenbestechung. Obwohl Pakistan zu den korruptesten Staaten der Welt gehört, kann man sich hier auf tausend und eine Art blamieren, indem man sein Geld dem Falschen anbietet, eine zu kleine oder zu große Summe in Aussicht stellt, oder bei der falschen Gelegenheit (am besten noch in Gegenwart von Zeugen!) damit ankommt. Der Fehler beginnt schon, die Scheine dem Adressaten direkt übergeben zu wollen, statt einheimische, diskrete Mittler damit zu beauftragen. Ist die Summe zu gering, kann es passieren, dass entrüstete Reaktionen kommen und Haft wegen versuchter Beamtenbestechung angedroht wird – damit steigt der Tarif erheblich. Und wenn man schon Geld persönlich übergibt, dann sollte man die Scheine in winzige Rechtecke zusammenfalten oder zu Kügelchen zerknüllen, die dann unsichtbar beim Händedruck »kleben bleiben«. Outdoorfreaks und Trekking-Spezialisten sollten Reisewarnungen von Behörden und einheimischen Pakistanern unbedingt ernst nehmen! Nichts ist peinlicher, als bei einem Ausflug in die Berge entführt zu werden und dann im Taliban-Videoclip aufzutauchen: Im besten Fall verheult, unrasiert und mit vollen Hosen, im schlimmsten Fall als Hauptdarsteller einer Live-Cam-Hinrichtung durch den Krummsäbel. Und selbst nach der glücklichen Rückkehr werden sich viele in der Heimat erinnern, dass Ihre Befreiung wieder mal ein teurer Spaß für den Steuerzahler gewesen ist und Sie entsprechend scheel ansehen. Wer es dennoch nicht lassen kann, durch Banditengebiet zu reisen, sollte Rosie Garthwaites Ratschlag beherzigen: »Versuchen Sie so auszusehen und sich so zu verhalten, als seien Sie nicht viel wert!«

Über den afghanischen Kyberpass, Turkmenistan und Kasachstan gelangen wir nach Russland. Ist man bei Russen eingeladen, wäre es ein Blamage-GAU, einfach mit Straßenschuhen in die Wohnung hineinzulatschen: »Für Russen ist es unmöglich, das eigene Haus mit Schuhen zu betreten. In Deutschland kommen die Menschen fast bis zum Schlafzimmer mit den Schuhen rein. In Russland ist die Grenze zwischen dem privaten (sauber) und dem öffentlichen (mir egal) Raum fest markiert: Das ist die Eingangstür der eigenen Wohnung. Deshalb werden da viele Rituale vollzogen, um den Übergang zu vollziehen und abzuschließen (Hauskleidung, Fußabtreter)«, so Olga Haensch, Berliner Unternehmensberaterin mit russischen Wurzeln. Aus der Logik heraus, dass der Außenraum stets als schmutzig empfunden wird, gehören russische Kleinkinder ins Haus. Deshalb, fährt Olga fort, »regen sich viele meiner Bekannten auf, wenn die Babys in Berlin mit Rotznase und altem Keks im Dreck des Sandkastens wühlen. Für Russen ist es unerhört, für die Eltern im Prenzlauer Berg wohl der Charme des Realen.«

Beim geselligen Beisammensein ist in Russland Folgendes zu vermeiden:

die Themen »Politik« und »Russenmafia« anschneiden (hingegen: fragen, was die Uhr, das Auto, die Handtasche gekostet haben, ist durchaus legitim)

als Frau im Restaurant selbst zahlen; immer noch finden die Russen dies ziemlich peinlich, das gilt als Aufgabe des Mannes

beim Wodkatrinken nur memmenhaft nippen. Über das Trinken erzählte Olga: »Als ich mit Stephan (ihrem deutschen Mann) zum ersten Mal bei mir zu Hause war, hat der Ehemann meiner Mutter demonstrativ eine Einliterflasche Wodka auf den Tisch gestellt. Ich war überrascht, weil er selbst nie getrunken hat. Auf meine Frage meinte er aber: ›Er soll sehen, wie die Russen trinken können!‹«

sich am nächsten Tag übermäßig für Ausfälligkeiten im alkoholisierten Zustand entschuldigen, das ist kein Thema mehr.

Zum Geschäftstermin geht man nie alleine, sondern immer mit (untergeordnetem) Gefolge, damit man selbst »Chef der eigenen Delegation« spielen kann, und schon gar nicht fährt man mit dem Bus oder der U-Bahn (Wer kein Auto hat, gilt als unseriös, als Penner). Während es vielerorts ein Zeichen von Höflichkeit ist, während eines ernsthaften Gesprächs das Mobiltelefon auszuschalten, machen Sie sich in Russland mit diesem Verhalten lächerlich. Wer dort nicht ständig angerufen wird, wird nicht ernst genommen. Wenn Sie dort Eindruck schinden wollen, sollten Sie möglichst viele Telekommunikationsgeräte auf den Tisch legen, sich regelmäßig anrufen oder Nachrichten zusimsen lassen und keinesfalls vergessen, ein akustisches Signal bei E-Mail-Eingang zu aktivieren, damit alle glauben, Sie seien ein absolut gefragter Typ!

Jetzt nur noch rein in den Flieger, ein Katzensprung von Moskau nach Berlin-Schönefeld, und wir sind wieder zu Hause. Bleibt noch die Frage, wie sich Ausländer darauf vorbereiten, Deutschland zu bereisen, ohne in peinliche Situationen zu geraten. Nur eine kleine Kostprobe am Rand: Amerikaner wundern sich, dass die Deutschen selten lächeln und bei sozialen Kontakten einen eher neutralen Gesichtsausdruck einnehmen. Diese Neutralität wirkt auf sie derart abweisend und feindlich, dass sie vom German death look sprechen. Amerikanische Reiseführer warnen daher davor, den Deutschen im Alltag allzu freundlich zu begegnen: »Die Deutschen könnten sonst glauben, Sie wollten irgendetwas verkaufen oder seien psychisch labil.« Deutschland-Experte Wladimir Kaminer, der 1990 aus Russland eingewandert war, staunte ebenfalls über die emotionale Zurückhaltung hierzulande: »Wenn sich hier zwei alte Freunde treffen, sagt der eine ›na?‹. Der andere reagiert in der Regel entweder mit einer Kopfbewegung, die auf gewisse Schwierigkeiten in seinem Leben hindeutet, oder ebenfalls mit einem bestimmten ›na‹ – ein Signal, das besagt, dass bei ihm alles in Ordnung ist. Danach klopfen sie einander auf die Schulter und gehen weiter, jeder in seine Richtung.« Die massive Gegenwart historischer Themen wird Deutschlandbesuchern sicherlich auffallen. Auch Kaminer stellte in seinem Berlin-Reiseführer für faule Touristen fest: »Die Eingeborenen zeigen sich in der Regel sehr kritisch ihrem Land gegenüber.« Erst nach einer Weile kam er darauf, dass die permanente Selbstkritik und historische Selbstgeißelung eine Art Flirt, ein Fishing for compliments darstellt: »Das Land will gefallen, schämt sich aber, es öffentlich zuzugeben.«

Briten wird vor einem Deutschlandbesuch gerne geraten (besonders nachdrücklich während der Fußball-WM, die 2006 in Deutschland stattfand): »Don’t mention the war!« Ein Ratschlag, den ein weitgereister Brite in den Wind schlug, als er Exkanzler Helmut Kohl einmal auf der Hannover-Messe begegnete: Er begrüßte den Oggersheimer respektvoll in deutscher Sprache: »Guten Tag, Herr Reichskanzler!« Es handelte sich um Prinz Philip, Herzog von Edinburgh und treuer Gatte der britischen Queen, der einmal über sich selbst in voller Demut sagte: »Ich bin nichts als eine verdammte Amöbe.« Jahrzehntelang stand der 91-Jährige im Schatten der Königin, musste aber dennoch bei unzähligen Staatsbesuchen seinen Mann stehen, wobei er die steifen Zeremonien durch einen ihm eigenen Humor aufzulockern gedachte. Dabei gelang es ihm, rund um den Globus unvergesslich peinliche Situationen zu erzeugen. Jahrzehntelang haben ihm dies politisch korrekte Zeitgenossen äußerst übelgenommen – inzwischen sieht man die Sache etwas gelassener, und peinlich ist eher der Eifer, mit dem sich die Moralapostel und Feuilleton-Gouvernanten darüber erregten. Hier eine kleine Auswahl von Bemerkungen, die Philip auf internationaler Bühne machte.

Fangen wir bei unseren westlichen Nachbarn an, denen Philip beim Staatsbesuch in Den Haag attestierte: »Schaut euch diese Holländer an: haben Gesichter wie Hintern!«

In Schottland fragte er einen Fahrlehrer, wie der es nur hinbekomme, seine Fahrschüler mehrere Stunden lang nüchtern zu halten, damit sie die Prüfung schafften.

Beim Staatsakt in Nigeria beschied er dem Präsidenten, der in landesüblicher Tracht erschienen war: »Sie sehen aus, als ob Sie gleich ins Bett gehen wollen!«

Der Anblick Brasiliens entlockte ihm, an die Gastgeber gerichtet, das große Kompliment: »Ihr Land könnte so schön sein, wenn nur nicht die vielen Brasilianer wären!«

Auf den karibischen Cayman-Inseln erklärte er den einheimischen Honoratioren: »Sie stammen wohl alle von den Piraten ab!«

Einem britischen Rucksacktouristen, der zu Fuß Papua-Neuguinea durchquert hatte, gratulierte Philip dazu, dass er »nicht gefressen« worden sei.

»Na, werfen Sie noch Speere?«, fragte er jovial einen Aborigine beim Besuch in Australien.

Und in China warnte der Prinz eine Gruppe britischer Gaststudenten: »Wenn ihr noch länger hier bleibt, bekommt ihr auch noch Schlitzaugen!«

Prinz Philip, und wie er die Welt sah. An seinem Beispiel wird wieder einmal deutlich, dass das Empfinden für Peinlichkeit eine höchst bürgerliche Angelegenheit ist. Den Adel kümmert so etwas nicht. Prinz Philip ist inzwischen Kult – nicht nur bei Satirikern. Im südpazifischen Inselstaat Vanuatu gibt es sogar eine spirituelle Prinz-Philip-Bewegung. Dieser Kult verehrt Prinz Philip bereits zu Lebzeiten als eine Gottheit. Der im Süden der Insel Tanna ansässige Volksstamm der Yaohnanen glaubt, dass Prinz Philip in Wirklichkeit der Sohn eines hellhäutigen Berggeistes sei, der Tanna verlassen habe, um jenseits des Meeres eine mächtige Frau zu heiraten.