Kapitel 11
Okay, er ist nicht wirklich
explodiert. Ich wollte nur, dass ihr ganz schnell umblättert.
Wisst ihr, wenn ihr die Seiten hastig umblättert, zerreißt ihr dabei vielleicht eine. Und wenn euch das passiert, geht ihr ein neues Exemplar des Buches kaufen. Denn wer will schon eines mit einer zerrissenen Seite? Ihr nicht. Ihr habt Stil.
Denkt doch mal an die vielen wundervollen Verwendungsmöglichkeiten für dieses Buch. Es gibt einen guten Untersetzer ab. Ihr könntet es auch als Baumaterial verwenden oder die Seiten als Kunst rahmen. (Schließlich ist jede Seite ein vollkommenes Kunstwerk. Diese hier zum Beispiel: Absolut großartig.)
Natürlich braucht ihr jede Menge Exemplare. Eines reicht nicht. Geht noch mehr kaufen. Habt ihr vergessen, dass ihr die Bibliothekare bekämpfen müsst?
Grandpa Smedry lief also in den Raum, ohne zu explodieren, und ich folgte ihm. Ich hatte einen Gerichtssaal erwartet und war überrascht, als ich nur einen schlichten Holztisch sah, hinter dem drei Ritter saßen. An der gegenüberliegenden Wand stand Bastille stramm, mit seitlich angelegten Händen und nach vorn gerichtetem Blick. Die drei Ritter am Tisch sahen sie nicht einmal an, während sie über ihre Strafe berieten.
Einer der Ritter war ein großer starker Mann mit einem ausladenden Kinn. Er war gefährlich, nach dem Motto: Ich bin ein Ritter und könnte euch völlig vernichten.
Neben ihm saß Bastilles Mutter Draulin. Sie war ebenfalls gefährlich, nach dem Motto: Ich bin Bastilles Mutter und könnte euch ebenfalls töten.
Der Dritte war ein älterer bärtiger Ritter. Er war gefährlich nach dem Motto: Hört eure Rap-Musik nicht so laut, ihr verdammten Kinder! Denn auch ich könnte euch töten.
Ihren Mienen nach zu urteilen waren sie nicht erfreut, meinen Großvater und mich zu sehen. »Lord Smedry«, sagte der Mann mit dem Riesenkinn, »warum haben Sie diese Verhandlung unterbrochen? Sie wissen, dass Sie hier keine Amtsgewalt haben.«
»Wenn ich mich davon aufhalten ließe, hätte ich nie Spaß!«, erwiderte mein Großvater.
»Hier geht es nicht um Spaß, Lord Smedry, sondern um Gerechtigkeit«, sagte Bastilles Mutter.
»Ach, und seit wann ist es gerecht, jemanden für etwas zu bestrafen, das nicht seine Schuld war?«
»Wir suchen nicht nach Schuld«, sagte der alte Ritter. »Wenn ein Ritter unfähig ist, seine Schützlinge zu beschützen, dann muss er von seinem Posten entfernt werden. Es ist nicht die Schuld der jungen Bastille, dass wir sie wohl zu schnell befördert haben und …«
»Sie haben sie nicht zu schnell befördert!«, fiel ich ihm ärgerlich ins Wort. »Bastille ist der fähigste Ritter in Ihren Reihen.«
»Wissen Sie so viel über die Ritter in unseren Reihen, dass Sie das beurteilen können, junger Smedry?«, fragte der alte Ritter.
Sein Einwand war berechtigt. Ich kam mir ein bisschen dumm vor – aber konnte das einen Smedry je aufhalten?
»Nein«, räumte ich ein. »Aber ich weiß, dass Bastille hervorragende Arbeit geleistet hat, als sie meinen Großvater und mich zu beschützen hatte. Sie ist eine ausgezeichnete Kämpferin. Ich habe gesehen, wie sie auf einen von den Gebeinen des Schreibers losgegangen ist und sich gegen ihn behauptet hat, obwohl sie nur mit einem Dolch bewaffnet war. Und ich habe gesehen, wie sie im Handumdrehen zwei Bibliothekarsschläger ausgeschaltet hat.«
»Sie hat ihr Schwert verloren«, sagte Draulin.
»Na und?«, fragte ich trotzig.
»Es ist das Symbol eines Ritters von Crystallia«, sagte der Ritter mit dem Riesenkinn.
»Dann geben Sie ihr doch ein neues!«, versetzte ich.
»So einfach ist das nicht«, erklärte der alte Ritter. »Es ist alarmierend, wenn ein Ritter nicht fähig ist, auf sein Schwert zu achten. Wir müssen die hohen Maßstäbe des Ordens aufrechterhalten, zum Wohle des gesamten Adels.«
Ich trat vor. »Hat Bastille Ihnen erzählt, wie ihr Schwert kaputtgegangen ist?«
»Sie hat gegen Belebte gekämpft«, sagte Draulin. »Sie hat einem das Schwert in die Brust gerammt, dann wurde sie getroffen und zur Seite geschleudert. Als der Belebte durch ein Loch im Fußboden zu Tode gestürzt ist, hat sie das Schwert verloren.«
Ich blickte zu Bastille hinüber. Sie sah mir nicht in die Augen.
Ich blickte zu den Rittern zurück. »Nein«, sagte ich. »Das stimmt zwar, aber es war etwas anders. Das Schwert ist nicht einfach verloren gegangen, weil der Belebte zu Tode gestürzt ist. Es ist vorher zerstört worden. Von mir. Von meinem Talent.«
Ritter Riesenkinn kicherte. »Lord Smedry, ich verstehe, dass Sie zu Ihren Freunden halten und ihnen helfen wollen. Das ehrt Sie. Sie sind ein guter Mensch. Aber Sie sollten nicht so maßlos übertreiben. Jeder weiß, dass Smedry-Talente oder Okulatorenlinsen einem echten Crystin-Schwert nichts anhaben können!«
Ich trat vor den Tisch. »Dann reichen Sie mir Ihr Schwert!«
Der Ritter stutzte. »Was?«
»Geben Sie es mir«, sagte ich und streckte eine Hand aus. »Dann werden wir sehen, ob es unzerstörbar ist.«
Kurz herrschte Schweigen in dem kleinen Glaszimmer. Der Ritter schien fassungslos. (Crystin überlassen niemandem ihre Schwerter. Dass ich das Riesenkinn aufgefordert hatte, mir seines zu geben, war ein bisschen so, als hätte ich den amerikanischen Präsidenten gebeten, mir seine Codes für den Abschuss von Atomraketen übers Wochenende auszuleihen.)
Doch wenn Ritter Riesenkinn kniff, sah es so aus, als würde er glauben, was ich behauptet hatte. Ich sah die Ratlosigkeit in seinen Augen, und seine Hand bewegte sich langsam auf den Griff seiner Waffe zu, als wollte er sie mir reichen.
»Vorsicht, Archedis«, sagte Grandpa Smedry ruhig zu ihm. »Das Talent meines Enkels ist nicht zu unterschätzen. Meines Wissens trat das Bruchtalent seit Jahrhunderten nicht mehr in dieser Stärke auf. Vielleicht sogar seit Jahrtausenden.«
Der Ritter zog die Hand von seinem Schwert weg. »Er hat also das Bruchtalent«, sagte er. »Nun, vielleicht ist es doch möglich, dass dieses spezielle Smedry-Talent eine Wirkung auf ein Crystin-Schwert hat.«
Draulin schürzte die Lippen. Ich sah ihr an, dass sie widersprechen wollte.
»Äh«, sagte ich und blickte meinen Großvater an. Er bedeutete mir, dass ich weiterreden sollte. »Jedenfalls bin ich gekommen, um vor diesem Gericht zu sprechen, denn als Mitglied des Smedry-Klans habe ich das Recht dazu.«
»Ich glaube, das haben Sie bereits getan«, sagte Draulin spitz. (Manchmal kann man sehen, wo Bastille ihre schnippische Art herhat.)
»Ja, aber ich will bezeugen, dass Bastille hochqualifiziert und sehr klug ist. Ohne ihr mutiges Eingreifen wären mein Großvater und ich längst tot. Und Sie, Draulin, wahrscheinlich auch. Vergessen wir nicht, dass Bastille den Bibliothekar besiegt hat, der Sie eingesperrt hatte.«
»Ich habe gesehen, wie Sie jenen Bibliothekar besiegt haben, nicht meine Tochter, Lord Smedry«, widersprach Draulin.
»Wir haben ihn in Teamarbeit besiegt«, stellte ich klar. »Nach einem gemeinsam gefassten Plan. Und Sie haben Ihr Schwert nur zurückbekommen, weil Bastille und ich es Ihnen wiederbeschafft haben.«
»Ja«, sagte der alte Ritter. »Aber das ist ein Teil des Problems.«
»So? Soll Bastille etwa dafür büßen, dass sie Draulins Stolz verletzt hat?«, fragte ich.
Draulin errötete – ich empfand eine klammheimliche Freude, aber auch ein bisschen Scham, weil ich so eine Reaktion bei ihr hervorgerufen hatte.
»Es ist mehr als das«, sagte das Riesenkinn namens Archedis. »Bastille hat das Schwert ihrer Mutter an sich genommen.«
»Sie hatte keine andere Wahl«, sagte ich. »Sie hat alles getan, um mir und ihrer Mutter das Leben zu retten – und damit auch meinem Vater. Außerdem hat sie das Schwert nur ganz kurz gehabt.«
»Das spielt keine Rolle«, sagte Archedis. »Bastille hat es verunreinigt, indem sie es benutzt hat. Es ist mehr als nur Tradition, dass wir andere nicht mit unseren Waffen kämpfen lassen.«
»Moment«, sagte ich. »Hat das etwas mit diesen Körpersteinen zu tun, die Ritter im Nacken tragen?«
Die drei Ritter wechselten Blicke.
»Über solche Dinge sprechen wir nicht mit Außenstehenden«, sagte der alte Ritter.
»Ich bin kein Außenstehender«, sagte ich. »Ich bin ein Smedry. Außerdem weiß ich bereits fast alles darüber.« In Crystallia gab es drei Sorten von Kristallen. Aus der ersten machten die Crystin ihre Schwerter und aus der zweiten die Körpersteine, die ihnen in den Nacken implantiert wurden. Über die dritte Sorte hatte Bastille nicht reden wollen.
»Crystin-Ritter sind an diese Körpersteine in ihrem Nacken gebunden«, sagte ich. »Und sie sind auch an ihre Schwerter gebunden, nicht wahr? Geht es darum? Wurde diese Bindung gestört, als Bastille das Schwert ihrer Mutter aufgehoben hat, um gegen Kilimanjaro zu kämpfen?«
»Es geht nicht nur darum«, sagte der alte Ritter. »Das Problem ist viel umfassender. Was Bastille mit dem Schwert ihrer Mutter getan hat, zeugt von Leichtsinnigkeit – ebenso wie der Verlust ihres eigenen Schwertes.«
»Na und?«, fragte ich.
»Junger Lord Smedry«, ergriff Draulin das Wort, »unser Ritterorden wurde gegründet, um Leute wie Sie am Leben zu erhalten. Die Könige und der Hochadel der Freien Königreiche, insbesondere die Smedrys, bringen sich regelmäßig in Lebensgefahr, als würden sie den Tod suchen. Um sie zu beschützen, müssen die Ritter von Crystallia stets verlässlich und besonnen sein.«
»Bei allem gebotenen Respekt, junger Lord Smedry«, sagte der alte Ritter. »Unsere Aufgabe ist es, Ihrer gefährlich leichtsinnigen Art entgegenzuwirken, und nicht, Sie darin zu bestärken. Bastille ist noch nicht reif für die Ritterwürde.«
»Hören Sie«, sagte ich. »Irgendein Gremium hat damals entschieden, dass sie es verdiente, zum Ritter geschlagen zu werden. Vielleicht sollten wir mit diesen Leuten reden.«
»Diese Leute sind wir«, sagte Archedis. »Wir drei haben Bastille vor sechs Monaten zum Ritter geschlagen. Und wir haben auch ihre erste Mission ausgewählt. Deshalb fällt uns die traurige Aufgabe zu, ihr den Ritterstatus abzuerkennen. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir abstimmen.«
»Aber …«
»Lord Smedry«, sagte Draulin barsch. »Sie hatten das Wort und wir haben Sie angehört. Haben Sie Ihren Ausführungen noch irgendetwas Sachdienliches hinzuzufügen?«
Alle sahen mich an. Ich wandte mich an meinen Großvater. »Wäre es sachdienlich, die drei als Idioten zu bezeichnen?«
»Das ist fraglich«, erwiderte er lächelnd. »Du könntest es vielleicht mit ›Begriffsstutzer‹ versuchen, denn ich wette, dass sie die Bedeutung dieses Ausdrucks nicht kennen. Aber das würde wahrscheinlich auch nichts nützen.«
»Dann bin ich fertig«, sagte ich. Ich war nun noch wütender als beim Betreten des Raumes.
»Draulin, wie lautet dein Votum?«, fragte der alte Ritter, der offenbar das Sagen hatte.
»Ich bin dafür, ihr die Ritterwürde zu entziehen und sie für eine Woche vom Geiststein zu trennen, um ihre Spuren von Crystin-Schwertern, die ihr nicht gehören, zu entfernen«, erwiderte Draulin.
»Archedis?«, fragte der alte Ritter.
»Die Rede des jungen Smedry hat mich bewegt«, erwiderte der Ritter mit dem großen Kinn. »Vielleicht waren wir zu vorschnell. Ich bin der Meinung, wir sollten Bastille vorübergehend aus der Ritterschaft ausschließen, aber ihr die Ritterwürde nicht entziehen. Das verunreinigte Schwert muss von ihren Spuren befreit werden, aber eine ganze Woche halte ich für zu hart. Ein Tag sollte genügen.«
Ich wusste nicht, was dieser letzte Teil bedeutete, aber der stattliche Ritter verdiente für seine Freundlichkeit ein paar Pluspunkte in meinem Buch.
»Dann liegt die Entscheidung also bei mir«, sagte der alte Ritter. »Ich wähle den Mittelweg. Bastille, wir entziehen dir die Ritterwürde, doch wir werden nächste Woche in einer weiteren Verhandlung den Fall nochmals prüfen. Du wirst für zwei Tage vom Geiststein getrennt. Beide Strafen werden mit sofortiger Wirkung verhängt. Melde dich in der Geiststeinkammer.«
Ich blickte zu Bastille hinüber. Ich fand, dass das keine Entscheidung zu unseren Gunsten war. Bastille starrte weiter geradeaus, aber ich konnte ihr vom Gesicht ablesen, dass sie angespannt war und sogar Angst hatte.
Das werde ich nicht zulassen!, dachte ich wütend. Ich sammelte meine Bruchkraft. Die Ritter durften Bastille nicht mitnehmen. Ich konnte sie daran hindern. Ich würde ihnen zeigen, wie es war, wenn mein Talent ihre Schwerter zerbrach und …
»Alcatraz, mein Junge«, sagte Grandpa Smedry sanft. »Privilegien wie unsere Besuchserlaubnis für Crystallia behält man nur, wenn man sie nicht missbraucht. Ich glaube, mehr war bei unseren Freunden einfach nicht zu erreichen.«
Ich sah ihn an. Manchmal lag in seinen Augen eine überraschend tiefe Weisheit.
»Lass gut sein, Alcatraz«, sagte er. »Wir werden einen anderen Weg finden, Bastille zu helfen.«
Die Ritter waren aufgestanden und strebten aus dem Zimmer. Wahrscheinlich waren sie froh, von meinem Großvater und mir wegzukommen. Ich sah hilflos zu, wie Bastille ihnen folgte. Beim Hinausgehen warf sie mir einen Blick zu und flüsterte nur ein einziges Wort: »Danke.«
Danke, dachte ich. Danke wofür? Für mein Versagen?
Ich fühlte mich natürlich schuldig. Vielleicht kennt ihr das. Schuldgefühle ziehen einen total runter. (So schnell wie ein Aufzug aus Wackelpudding.)
»Komm, mein Junge«, sagte Grandpa Smedry und nahm meinen Arm.
»Wir haben versagt«, sagte ich kleinlaut.
»Keineswegs! Eigentlich wollten die drei Bastille die Ritterwürde ganz entziehen. Wir haben ihr zumindest eine Chance verschafft, sie zurückzuerhalten. Das hast du gut gemacht.«
»Eine Chance, sie zurückzuerhalten«, sagte ich stirnrunzelnd. »Aber wenn dieselben Leute in einer Woche noch mal abstimmen, was haben wir dann erreicht? Sie werden einfach beschließen, Bastille die Ritterwürde doch zu entziehen.«
»Es sei denn, wir beweisen ihnen, dass sie sie verdient«, sagte Grandpa Smedry. »Indem wir zum Beispiel verhindern, dass es zur Unterzeichnung dieses Vertrages kommt und dass die Bibliothekare Mokia übernehmen.«
Mokia war wichtig. Aber selbst wenn wir das, was er gesagt hatte, schaffen könnten, und zwar gemeinsam mit Bastille, wie sollte ein Sieg in einer politischen Schlacht beweisen, dass sie die Ritterwürde verdiente?
»Was ist ein Geiststein?«, fragte ich, während wir zur Transporterkammer zurückliefen.
»Nun«, sagte Grandpa Smedry. »Eigentlich dürftest du darüber gar nichts wissen. Aber gerade deshalb ist es mir ein besonderes Vergnügen, dir davon zu erzählen. Also, die Crystin haben drei Sorten von Kristallen.«
»Ich weiß«, warf ich ein. »Aus einer Sorte machen sie ihre Schwerter.«
»Richtig«, sagte Grandpa Smedry. »Das Besondere an den Crystin-Schwertern ist, dass sie sehr widerstandsfähig gegen okulatorische Kräfte und Dinge wie Smedry-Talente sind. Deshalb können die Ritter von Crystallia damit Dunkle Okulatoren bekämpfen. Aus der zweiten Kristallsorte sind die Dinger, die sie im Nacken haben – sie nennen sie Körpersteine.«
»Ja, die verleihen ihnen besondere Kräfte und machen sie zu besseren Kämpfern«, ergänzte ich. »Aber was ist aus der dritten Kristallsorte?«
»Der Geiststein«, erwiderte Grandpa Smedry. »Es heißt, er sei ein Splitter vom Gipfel der Welt. Dieser besondere Kristall verbindet alle anderen Crystin-Kristalle. Nicht einmal ich weiß genau, wie er wirkt, aber ich glaube, durch ihn sind alle Crystin-Ritter miteinander verbunden, sodass jeder von der Stärke der anderen profitiert.«
»Vielleicht ist es sogar gut, dass Bastille von diesem Geiststein getrennt wird«, sagte ich. »Dann wird sie mehr sie selbst.«
Grandpa Smedry schaute mich an. »Es ist nicht so, dass der Geiststein die Gehirne der Ritter gleichschaltet, Junge. Sie bleiben eigenständige Persönlichkeiten. Doch er ermöglicht es ihnen, ihre individuellen Fähigkeiten zu teilen. Wenn einer von ihnen weiß, wie etwas geht, dann werden alle darin ein bisschen besser.«
Wir betraten den Raum mit der Kiste und stiegen ein. Offenbar hatte Grandpa Smedry veranlasst, dass die Kisten alle zehn Minuten getauscht wurden, bis wir zurückkamen.
»Großvater«, sagte ich, »ist mein Talent wirklich so gefährlich, wie du vorhin gesagt hast?«
Er antwortete nicht.
»Auf den Wänden der Gruft von Alcatraz dem Ersten stand etwas geschrieben«, sagte ich, als die Türen unserer Kiste zugingen. »Etwas über das Bruchtalent. Es wurde ›das Dunkle Talent‹ genannt und angeblich war es schuld am Untergang der ganzen Inkarna-Kultur.«
»Das Bruchtalent hatten auch schon andere, Junge«, sagte Grandpa Smedry. »Und keiner von ihnen hat irgendwelche Kulturen untergehen lassen! Allerdings haben sie ein oder zwei Wände zum Einsturz gebracht.«
Sein Versuch, zu scherzen, wirkte gezwungen. Ich öffnete den Mund, um weiterzufragen, aber die Türen der Kiste öffneten sich bereits wieder. Draußen wartete Folsom Smedry in seiner roten Kluft und neben ihm stand Himalaya.
»Lord Smedry!«, rief Folsom. Er sah erleichtert aus. »Endlich!«
»Wieso?«, fragte Grandpa Smedry.
»Du bist spät dran«, sagte Folsom.
»Natürlich bin ich das«, sagte Grandpa. »Was gibt’s denn?«
»Sie ist da.«
»Wer?«
»Na, sie«, sagte Folsom. »Die Unaussprechliche. Sie ist in der Burg und will mit dir reden.«