3. KAPITEL

Emory marschierte vor seinem Geländewagen auf und ab. Er hatte ihn auf dem Parkplatz an der Presbyterianischen Kirche abgestellt, wo die Familien Moon und Maxwell früher immer den Gottesdienst besucht hatten. Mr Moon hatte sich am Telefon nicht gerade erfreut angehört, sich aber trotzdem bereit erklärt, ihn zu einem Gespräch zu treffen.

Es wäre gelogen, wenn Emory behaupten würde, nicht nervös zu sein. Aber er ging davon aus, dass Shelbys Dad ihn auf dem Kirchenparkplatz nicht verprügeln würde.

Wenigstens ließ der Regen auf sich warten. Der Himmel sah immer noch dunkel und bedrohlich aus, und Donnergrollen hallte zurück von den Bergen, die das üppige grüne Tal von Sweetness umgaben.

Emory hörte Mr Moons Truck, bevor er ihn sah, denn der Motor war ein bisschen zu hoch eingestellt. Der Mann parkte seinen Wagen direkt neben Emorys Fahrzeug und kletterte heraus. Mit einer energischen Bewegung zog er seine Arbeitshose hoch, schlug die Wagentür zu und stapfte auf Emory zu.

Emory bemerkte, dass Walter den Motor laufen ließ – seine Art zu zeigen, dass er nicht vorhatte, lange zu bleiben. Und der große breite Mann trug auch nicht gerade ein freundliches Gesicht zur Schau.

Emory streckte die Hand aus. „Gut, Sie zu sehen, Mr Moon.„

Der andere Mann drückte seine Hand mit solcher Kraft, dass er ihm fast die Knochen zerquetschte. „Emory, wie ich sehe, hast du dich noch nicht totschießen lassen.„

Emorys Blick streifte das Gewehr am Rückfenster des Pick-ups. „Nein, Sir.„

„Ich habe viel zu tun, Junge. Worum geht es?„

Plötzlich hatte Emory alles vergessen, was er sich überlegt hatte, um diesen Mann davon zu überzeugen, wie viel ihm seine Tochter bedeutete. So viele Bilder von seinem Leben mit Shelby schossen ihm durch den Kopf – wie sie zusammen gespielt hatten, gelacht und geweint … und sich geliebt. Wie konnte er all diese Gefühle in wenigen Worten ausdrücken?

Walter rammte seine Fäuste in die Hüften. „Spuck’s aus, Junge.„

Emory richtete sich gerade auf. „Ich möchte Ihre Tochter heiraten, Sir.„

Walter zog die buschigen Augenbrauen hoch. „Und?„

„Und … ich hätte gern Ihren Segen, bevor ich Shelby frage.„

Der große Mann verzog den Mund. „Und du hast vor, nach Sweetness zurückzukommen und hier zu leben, ist das so?„

Zwar wusste Emory, dass es das Ende der Verhandlungen bedeuten würde, doch er wollte nicht lügen. „Nein, Sir. Aber wo immer Shelby und ich uns niederlassen, werde ich sie niemals daran hindern, Sie zu besuchen, wann immer sie will.„

Walter Moons Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Besuchen?„

„Ja, Sir.„

Mr Moon drehte sich um und ging zurück zu seinem Truck. Für einen kurzen Moment fürchtete Emory, dass er hineingreifen und das Gewehr herausholen würde, aber er kletterte nur auf den Fahrersitz und schlug laut krachend die Tür zu.

Emory trat an das offene Wagenfenster und sprach ihn noch einmal an. „Sie geben mir keine Antwort, Sir?„

Walters Gesicht sah so finster aus, als würde er gleich einen Mord begehen. „Die Antwort ist Nein.„

Ärger breitete sich heiß in Emorys Brust aus. „Ich werde Shelby bitten, mich zu heiraten, mit oder ohne Ihren Segen.„

„Tu, was du tun musst, Junge – das werde ich auch.„

Der Mann setzte schwungvoll zurück aus der Parklücke und fuhr so rasant an, dass eine Menge Kies aufspritzte.

Emory biss die Zähne fest zusammen. Wenn es nach Walter Moon ging, würde Shelby ihr ganzes Leben lang bei ihm wohnen, ihn von vorne bis hinten bedienen und für immer in seinem schäbigen Laden arbeiten.

Er riss sich die Kappe vom Kopf und schlug sich damit frustriert gegen den Oberschenkel. Er war drauf und dran, Shelby anzurufen, um ihr zu sagen, sie solle auf ihn warten, er sei auf dem Weg und komme sie abholen.

Doch er wischte sich mit der Hand über das Gesicht. So sollte es nicht ablaufen. Er wollte lieber hereinkommen und sie überraschen, ihren Gesichtsausdruck sehen, wenn sie ihn zum ersten Mal in seiner Uniform sah. Er ging davon aus, dass Walter ihr nichts von ihrer Begegnung erzählen würde, weil er bestimmt hoffte, Emory für immer abgeschreckt zu haben.

Das hatte er aber nicht. Wenn überhaupt, dann war Emory jetzt sogar noch fester entschlossen, Shelby aus diesem Nest herauszuholen.

Wütend und verärgert entschloss sich Emory, zuerst seinen Vater zu besuchen, bevor er zu Shelby fuhr. Sein Dad hatte immer einen guten Rat für ihn parat.

Dr. Cletis Maxwell betrieb seine Praxis in einem alten Gebäude im Ortszentrum, in dem sich auch noch ein Blumenladen und eine Bäckerei befanden. Emory ging an dem Patienteneingang vorbei zum Hintereingang, wo es für Liefer- und Ambulanzfahrzeuge eine Rampe und eine Tür gab. Dort klingelte er und wenig später öffnete Nancy Cole, die langjährige Sprechstundenhilfe seines Vaters. Als sie ihn erkannte, leuchteten ihre Augen freudig auf. „Emory!„

Er umarmte sie herzlich.

„Dein Dad hat mir nicht gesagt, dass du kommst.„

„Er weiß es ja selbst nicht.„

„Komm rein. Ich bringe dich in sein Büro und erzähle ihm, dass ein Arzneimittelvertreter auf ihn wartet.„ Sie strahlte. „Er wird sich so freuen, dass du da bist.„

Nancy führte ihn unbemerkt in das Privatbüro seines Vaters. Emory tigerte ungeduldig auf und ab und schaute sich die Bilder an der Wand an – Fotos von ihm mit den Armstrong-Jungs in der Kinder-Baseballmannschaft, Familienfotos aus der Zeit, als seine Mutter noch lebte, das Abschlussballfoto mit Shelby und ein Bild von ihm in US-Army-Uniform.

Die Tür ging auf und sein Vater trat herein. Er trug seinen weißen Arztkittel und las in einer Akte. „Ich bin etwas in Eile„, sagte er, dann erst schaute er auf. Als er erkannte, dass der Besucher sein Sohn war, verwandelte sich sein Gesichtsausdruck und er strahlte vor Freude. „Mein Junge!„

„Dad.„ Emory umarmte ihn lange und fest. Anders als Mr Moon war Emorys Vater ein gefühlvoller Mensch. Als er seinen Sohn losließ, zog er ein Taschentuch hervor, ohne sich dessen zu schämen, und wischte sich über die Augen.

„Du siehst gut aus. Was für eine schöne Überraschung.„

„Ein kurzfristiger Urlaub für fünf Tage. Porter ist auch mitgekommen.„

Sein Vater lächelte. „Wie schön. Emily wird sich freuen, eines ihrer Kids zu Hause zu haben.„

Emory blinzelte erstaunt. Obwohl die Armstrongs und die Maxwells seit vielen Jahren Nachbarn waren, hatte er noch nie gehört, dass sein Vater Emily Armstrong anders genannt hätte als Ms Armstrong. Gab es vielleicht eine romantische Annäherung zwischen Witwe und Witwer? Über diesen Gedanken musste er lächeln.

„Sicher hat Shelby sich gefreut, dich zu sehen.„

Emory nahm die Kappe ab und fuhr sich mit der Hand über das kurz geschorene Haar. „Sie weiß noch gar nicht, dass ich hier bin.„

„Ist etwas nicht in Ordnung?„

„Ich bin gekommen, weil ich ihr einen Heiratsantrag machen will.„

Auf dem Gesicht seines Vaters breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. „Wurde auch Zeit. Gratuliere, mein Junge.„

„Du kannst den Smoking noch im Schrank lassen„, sagte Emory seufzend. „Ich habe mit Walter gesprochen.„

„Und?„

„Und er hat sich geweigert, mir seinen Segen zu geben.„

Sein Vater presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. „Das tut mir leid. Walter ist ein guter Mann, aber wenn es um Shelby geht, verschließt er die Augen vor dem, was für sie das Beste wäre.„

„Was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun?„

Sein Dad zögerte, dann klopfte er ihm auf die Schulter. „Meiner Meinung nach geht das alles nur Shelby und dich etwas an. Egal, wofür ihr beide euch entscheidet, Walter Moon wird es akzeptieren müssen.„ Dann grinste er fröhlich. „Oh, und ein Dutzend rote Rosen aus dem Blumenladen nebenan würden bestimmt auch gut bei ihr ankommen, wenn du die bewusste Frage stellst. Bei deiner Mutter hat es jedenfalls bestens funktioniert.„

Emory lachte. „Danke, Dad.„

Cletis Maxwell zog die Taschenuhr hervor, die Emory als Kind immer bewundert hatte, und verzog bedauernd das Gesicht. „Tut mir leid, mein Junge, aber ich muss leider zurück zu meinen Patienten. Und du gehst jetzt besser zu Shelby, bevor sie von anderen erfährt, dass du hier bist. Ich nehme an, du wohnst in unserem Haus?„

„Klar, Dad. Wir sehen uns dann später.„

Sein Vater lächelte. „Viel Glück.„

Donner grollte am Himmel, das Licht der Lampen flackerte ein paar Sekunden lang und ging kurz aus, dann wurde es wieder hell im Zimmer.

„Sieht so aus, als bekämen wir gleich ein Unwetter„, sagte sein Dad.

Emory setzte seine Kappe wieder auf. „Ich beeile mich lieber, bevor die Hölle losbricht.„

Er ging schnell hinaus und hastete zu seinem Wagen. Besorgt schaute er in den Himmel, wo die dunklen Wolken in heftiger Bewegung waren und aussahen wie brodelnd kochendes Wasser.

Bisher war der Tag nicht gerade gut verlaufen. Und so sauer, wie Shelby beim letzten Telefongespräch gewesen war, tat er vielleicht sogar besser daran, sich lieber den Gefahren von Mutter Natur auszusetzen.