In Sophies Haus brannte Licht, als ich davor anhielt. Ich schaltete den Motor aus, blieb aber sitzen und genoss die paar Augenblicke in Ruhe und Frieden. Der Regen hatte unterwegs aufgehört, doch die Straßen waren voller Pfützen, und die Reifen hatten ständig Wasser auf die Scheibe gespritzt.
Ich lehnte mich an die Kopfstütze und schloss die Augen. Ich hatte keine andere Wahl gehabt, als zurückzukommen. Einerseits war meine Tasche noch hier, denn als wir von dem Mord gehört hatten und hastig nach Sharkham Point aufgebrochen waren, hatte ich sie nicht mitgenommen. Andererseits wollte ich sowieso bei Sophie vorbeischauen. Seit wir uns bei Wainwright getrennt hatten, hatte ich keine Gelegenheit mehr gehabt, mit ihr zu sprechen.
Und in der Zwischenzeit war eine Menge passiert.
Naysmith hatte zwei Polizeibeamte vor dem Stollen postiert, falls Monk dort auftauchen sollte, obwohl das unwahrscheinlich war. Lucas hatte mir auf dem Rückweg zu den Fahrzeugen noch mehr über die Bergwerke erzählt. Überall im Dartmoor konnte man Ruinen von alten Zinnminen finden. Allerdings existierten nur noch wenige Stollen, die meisten davon waren selbst für Höhlenforscher nicht sicher. Die leichter zugänglichen Öffnungen hatte man mit Toren und Gittern gesichert, doch trotzdem gab es noch immer solche Eingänge im Moor – wie der, den wir entdeckt hatten –, die überwuchert und nur zu erkennen waren, wenn man wusste, wonach man suchte.
Monk wusste es offenbar.
«Die Minen waren uns bekannt, doch man hat sie nicht als ernsthafte Möglichkeit betrachtet», erzählte mir Lucas. «Monk war ein Einzelgänger, der eine Menge Zeit im Moor verbrachte, aber soweit wir wussten, hatte er keine Erfahrung mit Höhlen. Und glauben Sie mir, diese Stollen sind wirklich unheimlich. Da will man nur rein, wenn man genau weiß, was man tut.»
«Dann wurden sie also überhaupt nicht überprüft?»
«Nur so weit, dass man sie als Versteck ausschließen konnte. Nachdem die Mädchen vermisst wurden, sind die größeren Stollen durchsucht worden. Aber wir sind nicht besonders weit reingegangen, und danach haben wir die Eingänge nur von Hunden überprüfen lassen. Als sie keine Fährte aufgenommen haben, beließ man es dabei.» Der Fahndungsberater hatte geseufzt. «Wenn Monk sich in einer Mine versteckt, dann wird er schwer zu finden sein. Manche sind ein paar hundert Jahre alt, und ich glaube kaum, dass jeder Eingang zu einem Stollen auf Karten verzeichnet ist. Monk könnte in einem Loch verschwunden sein und Gott weiß wo wieder auftauchen.»
Das war ein beunruhigender Gedanke. «Gibt es in der Nähe von Padbury Minen?»
«Padbury?»
«Dort wohnt Sophie.»
«Dann schauen wir am besten gleich mal nach.» Lucas faltete seine Karte auseinander und fuhr mit einem kurzen, dicken Finger darüber. «In der Gegend ist keine. Die nächste wäre die Cutter’s Wheal Mine, die ist ungefähr fünf Kilometer entfernt, aber abgeriegelt.»
Wenigstens eine gute Nachricht. Ich schloss den Wagen ab, schob die quietschende Pforte auf und ging zum Haus. Nach dem Regen war die Luft frisch und roch nach feuchtem Gras. Durch das Licht aus den Fenstern wirkte der unbeleuchtete Brennofen noch dunkler. Ich blieb vor der Haustür stehen und holte tief Luft, ehe ich anklopfte.
Eine Weile passierte nichts, doch als ich gerade erneut anklopfen wollte, hörte ich, wie drinnen die Riegel zur Seite geschoben wurden. Die Tür öffnete sich, bis die neu angebrachte Sicherheitskette sie stoppte. Durch den Spalt schaute mich Sophie an. Sie sagte nichts. Die Tür ging wieder zu, dann war das Klirren der Kette zu hören, und die Tür wurde ganz geöffnet.
Ohne ein Wort ging Sophie im Flur voran. Als ich die Tür zumachte und verriegelte, hörte ich, wie sie in der Küche Gemüse schnitt. Dicke Luft. Ich zog meine verdreckten Stiefel aus, hängte meine Jacke auf und folgte ihr in die Küche.
Sie stand mit dem Rücken zu mir, ihr dichtes Haar verdeckte ihr Gesicht, und das Messer krachte aufs Hackbrett.
«Roper hat gesagt, dass sie dich nach Hause bringen», sagte ich.
Sophie antwortete, ohne sich umzudrehen. «Haben sie auch. Vor ungefähr zwei Stunden.»
«Wie ist es gelaufen? Deine Aussage, meine ich.»
«Erwartungsgemäß.» Sie ließ die Karottenscheiben in eine Pfanne fallen und begann Kartoffeln zu schneiden.
Ich holte tief Luft. «Sophie, es tut mir leid. Ich habe Simms von deinen Briefen an Monk erzählt, ich hatte keine andere Wahl.»
«Ich weiß.»
Es klang gleichgültig. Ich hatte mich auf mehr gefasst gemacht. «Ich war mir nicht sicher, wie du darüber denkst.»
«Ich habe es den Polizisten selbst erzählt. Ich bin nicht völlig bescheuert, mir war klar, dass ich es nicht verheimlichen konnte. Ich habe ihnen sogar Kopien der Briefe gegeben.»
«Also ist alles in Ordnung?»
«Warum denn nicht? Es verstößt gegen kein Gesetz, jemandem Briefe zu schreiben. Selbst wenn es Monk ist.»
Sie stand noch immer steif da und drehte sich nicht zu mir um. Das Messer erzeugte ein Stakkato auf dem Brett. «Und was ist dann los?»
«Was los ist?» Sie knallte das Messer aufs Brett. «Die haben mich wie eine … eine Kriminelle behandelt! Niemand wollte mir etwas sagen! Ich wusste nicht einmal, dass du weg bist, bis irgend so eine hässliche Polizistin sagte, sie bringt mich nach Hause! Ich habe mich völlig nutzlos gefühlt!»
«Tut mir leid.»
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. «Ach, es ist ja nicht deine Schuld. Erst der Schock, dass Wainwright ermordet wurde, und dann … dann wird mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Im Grunde habe ich da erst kapiert, dass ich keine psychologische Beraterin mehr bin. Ich bin bloß noch Zivilistin … und ich hasse es, ausgeschlossen zu werden!»
Sie lächelte mich verlegen an.
«Entschuldige. Ich sollte das nicht an dir auslassen.»
«Mach dir deswegen keine Gedanken. Es war für jeden ein harter Tag.»
«Ja, aber du kannst nichts dafür.» Sie legte mir eine Hand auf den Arm, und sofort entstand eine Spannung zwischen uns, die erst verging, als Sophie ihre Hand sinken ließ und sich schnell wieder zur Arbeitsplatte umdrehte. «Und was ist passiert, nachdem ich weg war?»
Ich erzählte ihr von Wainwright und dem Eingang zum Stollen. «Die Polizei wird ihn absuchen, aber Lucas glaubt nicht, dass Monk noch dort ist. Nachdem wir ihn gestern gesehen haben, wird ihm klargeworden sein, dass wir die Mine finden werden.» Jedenfalls diese Mine.
«Deswegen hat er also gesagt, er würde uns zu den Gräbern führen. Er wollte nur so nahe wie möglich an den Minenschacht, um fliehen zu können», sagte sie bitter. «Gott, ich habe mich wirklich zur Idiotin gemacht, oder?»
«Das konntest du ja nicht wissen. Und da ist noch etwas», sagte ich und erzählte ihr von Terry.
«Er ist suspendiert?» Sophie wirkte geschockt. «Ich hatte keine Ahnung …»
«Woher auch? Offenbar ist er sich nicht darüber im Klaren, in welcher Lage er ist. Er hat ein Alkoholproblem, und seine Karriere ist am Ende. Simms möchte, dass wir Roper Bescheid sagen, wenn wir wieder etwas von ihm hören, aber nach der Sache mit Wainwright glaube ich nicht, dass er sich traut.»
«Denkst du …?»
«Was?»
«Nichts. Spielt keine Rolle.»
Doch ich ahnte, was sie hatte sagen wollen. «Fragst du dich, ob Terry etwas mit dem Mord an Wainwright zu tun hatte?»
«Ich weiß, es klingt dumm, aber nach allem, was er getan hat …» Sie sah verängstigt aus.
«Das kann ich mir nicht vorstellen. Terry ist vielleicht auf die schiefe Bahn geraten, aber er hätte keinen Grund gehabt, so etwas zu tun. Simms will es noch nicht zugeben, aber meiner Meinung nach gibt es keinen Zweifel daran, dass es Monk war.»
Bist du dir sicher? Ich konnte nicht behaupten, dass ich Terry noch einschätzen konnte. Doch die brutalen Umstände von Wainwrights Tod und erst recht das verächtliche Ausspucken auf den Boden deuteten auf den entflohenen Häftling hin.
Was mich zu einem weiteren Problem führte. Ich holte tief Luft. «Ich denke, du solltest in Erwägung ziehen, woanders unterzukommen, bis die Sache ausgestanden ist.»
Sophie straffte sich. «Das haben wir doch schon durch.»
«Aber da war Wainwright noch nicht ermordet worden.»
«Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob es Monk war, und selbst wenn er es war, warum sollte er mich töten wollen? Ich habe ihm nichts getan.»
Das ist auch nicht nötig, du bist eine attraktive Frau. Für eine Psychologin konnte sie ziemlich begriffsstutzig sein, wenn es ihr passte.
«Wainwright hat auch nicht mehr getan, als ihn vor acht Jahren zu beleidigen, und jetzt ist er tot», sagte ich und bemühte mich, nicht die Geduld zu verlieren. «Wir wissen nicht, was in Monk vorgeht. Vielleicht hat Terry recht, und er ist hinter jedem Teilnehmer der damaligen Suchaktion her. Aber unabhängig davon hast du durch deine Briefe seine Aufmerksamkeit erregt. Es ist das Risiko nicht wert.»
Sie war noch immer verängstigt, das konnte ich sehen. Dennoch hob sie ihr Kinn und schaute mich mit diesem Trotz an, den ich mittlerweile schon von ihr kannte.
«Es ist meine Entscheidung.»
«Sophie …»
«Der Polizei habe ich heute Nachmittag das Gleiche gesagt. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Niemand verlangt von dir hierzubleiben.»
Gott, sie konnte einen wirklich auf die Palme bringen. Ich hatte nicht übel Lust abzureisen. Meine Tasche war gepackt, und ich machte mir keinerlei Illusionen, irgendetwas ausrichten zu können, sollte Monk tatsächlich auftauchen. Aber ich wusste auch, dass ich sie nicht alleinlassen würde. Nicht weil sie attraktiv war und es mittlerweile zwischen uns knisterte. Nein, meine Gründe waren profaner.
Man muss sein Schicksal akzeptieren.
Ich seufzte. «Ich werde nirgendwohin gehen.»
Sie lächelte mich müde an. «Danke.»
«Aber versprich mir, dass du wenigstens darüber nachdenkst.»
«Versprochen», sagte sie, und ich war gezwungen, mich damit zufriedenzugeben.
Zum Abendessen gab es ein Gemüsecurry aus den Resten aus Sophies Speisekammer und Kühlschrank. Die Stimmung am Tisch war gedämpft. Ich musste ständig daran denken, wie abgeschieden wir hier draußen waren, und Sophie ging es trotz ihrer gespielten Tapferkeit ganz sicher nicht anders. Die letzten Tage waren hart gewesen. Sie hatte behauptet, die Kopfschmerzen wären nur eine Folge der Anspannung, doch sie sah wirklich erschöpft aus. Als ich ankündigte, den Abwasch zu übernehmen, und sie ins Bett schickte, sträubte sie sich kaum. «Bedien dich einfach, wenn du etwas möchtest», sagte sie. «Im Wohnzimmer habe ich Brandy und Whisky.»
Ich war auch müde, doch wenn ich jetzt zu Bett ginge, würde ich nur wach liegen und jedem Knarren und Quietschen in dem alten Haus lauschen. Nachdem Sophie nach oben gegangen war, spülte und trocknete ich das Geschirr ab und ging dann ins Wohnzimmer, um mir einen Drink zu genehmigen. Der Whisky war ein billiger Verschnitt, aber der Brandy entpuppte sich als fünfzehn Jahre alter Armagnac, der noch fast unangetastet war. Ich schenkte mir ein anständiges Glas ein, legte ein weiteres Scheit in den Ofen und ließ mich aufs Sofa sinken. Erst überlegte ich noch, ob ich den Fernseher anstellen sollte, um Nachrichten zu schauen, doch ich bezweifelte, dass es irgendetwas über die Ermittlung gab, was ich nicht bereits wusste.
So saß ich einfach still da, starrte in die Flammen und lauschte dem gedämpften Knistern. Sophies Anwesenheit war im ganzen Zimmer zu spüren. Auf dem Couchtisch standen ihre Keramiken, auf dem Boden ein paar der größeren Vasen, außerdem hatten die abgebeizten Kiefernmöbel und die Teppiche den gleichen uneitlen Stil wie sie. Die Kissen auf dem Sofa rochen sogar leicht nach ihr. Ich nippte an dem Armagnac, wunderte mich wieder über ihre Sturheit …
Das Klingeln des Telefons weckte mich. Ich schreckte hoch und stellte schnell das Glas weg. Der Apparat lag auf der Kommode. Ich ging ran, bevor es erneut klingeln konnte, und schaute auf meine Uhr. Halb drei. Um diese Zeit meldete sich niemand mit guten Nachrichten.
«Hallo?» Keine Antwort.
Wie du willst, dachte ich gereizt und wollte auflegen. Dann hörte ich ein Geräusch in der Leitung. Ein schweres, schnaufendes Atmen.
Plötzlich wusste ich, dass Monk am anderen Ende war.
Meine Haut kribbelte, die Haare auf meinen Unterarmen richteten sich auf. Ich fand meine Stimme wieder. «Was wollen Sie?»
Nichts. Ich hörte weiter das Atmen. Der Moment zog sich in die Länge, dann ertönte ein leises Klicken: Die Verbindung war unterbrochen.
Ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte. Ich legte das Telefon hin. Im Haus war es vollkommen still. Offenbar war ich an den Apparat gegangen, ehe das Klingeln Sophie hatte aufwecken können. Ich lief in die Küche, suchte in den Schubladen nach Stift und Papier, schaute dann im Menü des Telefons nach der Nummer des Anrufers und schrieb sie auf.
Der Vorwahl nach war es ein Festnetzanschluss aus der Gegend. Benommen starrte ich auf das Blatt Papier, dann rief ich Roper an und hinterließ eine Nachricht auf seiner Mailbox. Ich hatte keinen Beweis dafür, dass es Monk gewesen war, und ein anonymer Telefonanruf würde ihn kaum beeindrucken.
Aber ich wusste es.
Ich vergewisserte mich, dass die Haustür noch abgeschlossen und verriegelt war, und überprüfte dann in jedem Zimmer die Fenster. Sie wirkten alt und morsch. Die Holzrahmen würden Monk nicht standhalten, doch wenn sie zu Bruch gingen, würde ich es hören. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück, schürte die Glut im Ofen und legte neue Scheite nach. Als sie zu brennen begannen, schloss ich die Ofentür und legte den Schürhaken in Reichweite.
Dann setzte ich mich hin, um auf den Morgen zu warten.