Zehntes Kapitel: Begebenheiten in New York

Ich habe bereits berichtet, daß ich entschlossen war, dem Junker einen Vorsprung abzugewinnen, und das wurde auf sehr leichte Weise mit Hilfe des Kapitäns Mac Murtrie erreicht: ein Boot wurde auf der einen Seite des Schiffes teilweise beladen und dann der Junker an Bord gebracht, während ein kleineres Boot auf der anderen Seite herabgelassen wurde, das mich allein trug. Nicht schwieriger war es, die Richtung zum Hause meines Lords zu finden, wohin ich schnellstens lief. Es lag am Rande des Ortes, ein recht ansehnliches Landhaus in einem schönen Garten mit einer außergewöhnlich großen Scheune und Vieh und Pferdeställen, alles dicht beieinander. Hier ging der Lord spazieren, als ich ankam, es war sein Hauptaufenthalt, und sein Geist war jetzt ganz mit landwirtschaftlichen Angelegenheiten beschäftigt. Atemlos stürzte ich auf ihn zu und überbrachte ihm meine Nachricht, die ihm durchaus nicht neu war, da in der Zwischenzeit mehrere Schiffe an der »Unvergleichlichen« vorübergesegelt waren.

»Wir haben Sie schon längst erwartet«, sagte der Lord, »ja, in den letzten Tagen glaubten wir, Sie kämen überhaupt nicht mehr. Ich bin glücklich, Ihre Hand wieder zu halten, Mackellar, ich fürchtete, Sie lägen schon auf dem Grunde des Meeres.«

»Ach, mein Lord, wollte Gott, es wäre so!« rief ich aus, »dann stünden die Dinge besser für uns.«

»Durchaus nicht«, sagte er grimmig, »ich könnte mir nichts Besseres wünschen. Eine große Rechnung ist zu bezahlen, und jetzt kann ich endlich damit beginnen.«

Ich warnte ihn vor allzu großer Sicherheit.

»Oho!« antwortete er, »hier ist nicht Durrisdeer, und ich habe meine Vorkehrungen getroffen. Sein Ruf eilt ihm voraus, ich habe dafür gesorgt, daß man meinen Bruder willkommen heißt. Das Glück stand wirklich auf meiner Seite, denn ich habe hier einen Kaufmann gefunden aus Albany, der ihn nach 1745 kennenlernte und ihn dringend des Mordes verdächtigt. Es handelt sich um einen Mann namens Chew, ebenfalls aus Albany. Hier wird niemand überrascht sein, wenn ich ihm die Tür weise, man wird nicht dulden, daß er meine Kinder anspricht oder auch nur meine Frau begrüßt. Ich selbst werde meinem Bruder so weit entgegenkommen, daß er mit mir reden darf, sonst würde ich meine Freude einbüßen«, sagte der Lord, indem er sich die Hände rieb.

Gleich darauf besann er sich und sandte Leute aus, die mit Handschreiben forteilten, um die wichtigsten Persönlichkeiten der Provinz herbeizurufen. Ich erinnere mich nicht, welchen Vorwand er benutzte, jedenfalls hatte er Erfolg, und als unser alter Feind auf der Bildfläche erschien, fand er den Lord vor dem Hause unter einigen schattigen Bäumen auf und ab spazierend, den Gouverneur zur Rechten und verschiedene angesehene Bürger zur Linken. Die Lady, die auf der Veranda saß, stand mit sehr bedrückter Miene auf und führte ihre Kinder ins Haus.

Der Junker, gut angezogen und einen eleganten Degen an der Seite, verbeugte sich in vornehmer Art vor der Gesellschaft und nickte dem Lord vertraulich zu. Der Lord erwiderte den Gruß nicht, sondern blickte seinen Bruder mit gerunzelten Brauen an.

»Nun, mein Herr«, sagte er schließlich, »welch übler Wind bringt Sie gerade hierher von allen Plätzen der Welt, wohin zu unser aller Mißfallen Ihr schlechter Ruf Ihnen schon vorausgeeilt ist?«

»Sie geruhen sehr höflich zu sein, mein Lord!« rief der Junker mit schönem Anlauf.

»Es beliebt mir sehr deutlich zu sein«, erwiderte der Lord, »weil es notwendig ist, daß Sie Ihre Lage völlig begreifen. Zu Hause, wo Sie so wenig bekannt waren, war es noch möglich, den Schein zu wahren. Das wäre in dieser Gegend vollkommen vergeblich, und ich habe Ihnen zu eröffnen, daß ich entschlossen bin, Sie von mir abzuschütteln. Sie haben mich bereits nahezu ruiniert, wie Sie meinen Vater zuvor ruinierten, dessen Herz Sie brachen. Ihre Verbrechen sind nach dem Gesetz nicht zu ahnden, aber mein Freund, der Gouverneur, hat meiner Familie Schutz zugesagt. Hüten Sie sich, mein Herr!« rief der Lord aus und drohte ihm mit dem Handstock, »wenn man beobachtet, daß Sie zu irgendeinem Mitglied meines Hauses ein einziges Wort sprechen, wird das Gesetz es Sie büßen lassen.«

»Aha!« sagte der Junker gedehnt, »das ist also der Vorteil eines fremden Landes! Diese Herren sind, wie ich sehe, mit unserer Geschichte nicht vertraut. Sie wissen nicht, daß ich Lord Durrisdeer bin, sie wissen nicht, daß Sie mein jüngerer Bruder sind, der meinen Platz einnimmt auf Grund eines beeidigten Familienkontraktes, sie wissen nicht – denn sonst würden sie mit Ihnen nicht auf vertrautem Fuße stehen –, daß jeder Acker Landes hier mir gehört, bei Gott dem Allmächtigen, und daß Sie mir jeden Pfennig Geld nur vorenthalten als Dieb, als Betrüger und als treuloser Bruder!«

»General Clitton«, rief ich aus, »hören Sie nicht auf diese Lügen. Ich bin der Verwalter des Erbgutes, es ist kein Körnchen Wahrheit in diesen Worten. Dieser Mensch ist ein verachtungswürdiger Rebell, der sich in einen bezahlten Spion verwandelte: das ist seine Geschichte in zwei Worten.«

Auf solche Weise verriet ich in der Hitze des Gefechtes seine Schande.

»Bursche«, sagte der Gouverneur und wandte dem Junker streng sein Gesicht zu, »ich weiß mehr von Ihnen, als Ihnen lieb ist. Uns sind manche Gerüchte über Ihre Abenteuer in diesen Provinzen bekannt, und Sie tun gut daran, mich nicht zu veranlassen, sie zu verfolgen. Da ist das Verschwinden von Jakob Chew mit allen seinen Waren, da ist Ihre sonderbare Landung von irgendwoher an diesen Küsten mit viel Geld und Edelsteinen, als Sie aufgenommen wurden von einem bermudischen Schiff, das aus Albany stammte. Glauben Sie mir, wenn ich diese Angelegenheiten ruhen lasse, so geschieht es aus Mitleid für Ihre Familie und aus Hochachtung für meinen geschätzten Freund, Lord Durrisdeer.«

Ein Beifallsgemurmel der Leute aus der Provinz folgte.

»Ich hätte bedenken sollen, welche Wirkung ein Titel in solch einem Nest wie diesem auslöst«, sagte der Junker weiß wie Schnee, »ganz gleich, wie ungerecht er erworben wurde. Es bleibt mir also nichts übrig, als vor der Tür des Lords zu sterben, wo meine Leiche eine liebliche Zierde sein wird.«

»Schluß mit diesen Torheiten!« rief der Lord aus. »Du weißt sehr wohl, daß ich es nicht so meine, und daß ich nur mich selbst vor Verleumdungen und mein Haus vor deinen Angriffen sichern will. Ich biete dir die Wahl: entweder bezahle ich dir die Heimreise auf dem nächsten Schiff, damit du vielleicht deine Regierungsgeschäfte fortsetzen kannst, obgleich ich, weiß Gott, dich lieber als Raubritter sähe! Oder, wenn du das nicht willst, bleibe hier und sei mir willkommen! Ich habe die Summe festgestellt, mit der man in New York Leib und Seele zusammenhalten kann. Ich werde dir diesen Betrag wöchentlich auszahlen lassen, und wenn du dein Einkommen mit deiner Hände Arbeit nicht erhöhen kannst, so wird es höchste Zeit, daß du es lernst. Bedingung ist, daß du mit keinem Mitglied meiner Familie sprichst, außer mit mir«, fügte er hinzu.

Ich glaube nicht, daß ich jemals einen bleicheren Mann sah als den Junker, aber er stand aufrecht, und sein Mund blieb fest.

»Man hat mir hier höchst ungerechtfertigte Beleidigungen entgegengeschleudert«, sagte er, »die ich bestimmt nicht durch Flucht erwidern werde. Gib mir dein Almosen, ich nehme es ohne Schamgefühl an, denn das Geld gehört mir bereits wie das Hemd an deinem Leibe, und ich werde hierbleiben, bis diese Herren mich besser verstehen werden. Schon jetzt müssen sie den Pferdefuß erblicken, denn bei aller vorgetäuschten Sorge um die Ehre deiner Familie gefällt es dir, sie in meiner Person zu verletzen.«

»Das ist alles schön gesagt«, antwortete der Lord, »aber sei versichert, daß es für uns, die wir dich seit langem kennen, nichts bedeutet. Du wählst den Ausweg, der dir die meisten Möglichkeiten zu bieten scheint. Trage alles mit Stillschweigen, wenn du kannst, das wird dir auf die Dauer mehr Nutzen bringen, wie du mir glauben kannst, als jeder Beweis der Undankbarkeit.«

»Oh, Dankbarkeit, mein Lord!« rief der Junker mit starker Betonung, indem er den Zeigefinger hoch aufreckte. »Seien Sie beruhigt, Sie werden sie nicht entbehren. Es bleibt mir jetzt noch die Pflicht, diese Herren zu begrüßen, die wir mit unseren Familienangelegenheiten belästigt haben.«

Und er verbeugte sich vor jedem nacheinander, rückte seinen Degen zurecht und wandte sich ab. Alle waren erstaunt über sein Benehmen, und ich nicht weniger über das des Lords.

Wir gelangen nun zu einem anderen Abschnitt dieses Familienzwistes. Der Junker war keineswegs so hilflos, wie der Lord vermutete, denn er hatte einen treuen Diener zur Seite, der ein ausgezeichneter Künstler in allen Goldschmiedearbeiten war. Mit der Rente des Lords, die nicht so schäbig war, wie er sie beschrieben hatte, konnte das Paar sein Leben fristen, und alle Einnahmen von Secundra Daß konnten beiseitegelegt werden für irgendein zukünftiges Unternehmen. Daß das geschah, bezweifle ich nicht. Höchstwahrscheinlich war es der Plan des Junkers, eine hinreichende Summe zusammenzubringen, um dann den Schatz zu heben, den er vor langer Zeit in den Bergen vergraben hatte, und hätte er sich damit begnügt, wäre er ohne Zweifel glücklicher beraten gewesen. Aber unglückseligerweise ließ er seinem Zorn die Zügel schießen, zu seinem und unser aller Nachteil. Die öffentliche Brandmarkung bei seiner Ankunft– ich staune oft, daß er sie überleben konnte – saß ihm in den Knochen. Er war in der Stimmung eines Mannes, um ein altes Sprichwort zu gebrauchen, der sich die Nase abschneidet, um sein Gesicht zu ärgern, und er mußte sich öffentlich lächerlich machen in der Hoffnung, daß etwas von seiner Schande auf den Lord abfärbte.

In einem Armenviertel der Stadt mietete er ein einsames kleines Blockhaus, das von einigen Akazien überschattet war. Vorn hatte es eine fensterartige Öffnung, ähnlich wie eine Hundehütte, aber ungefähr in Tischhöhe über dem Erdboden, wo der arme Mann, der es gebaut hatte, früher einige Waren ausgestellt hatte. Dies Schaufenster reizte die Phantasie des Junkers und veranlaßte ihn wahrscheinlich zu seinem Plan. Offenbar hatte er sich an Bord des Piratenschiffes einige Fertigkeit mit der Nähnadel angeeignet, jedenfalls genug, um vor der Öffentlichkeit den Schneider spielen zu können. Und das genügte ihm, um seine Rache zu kühlen. Ein Schild wurde über das Schaufenster gehängt, und es trug ungefähr folgenden Wortlaut:

James Durie
Früher Junker von Ballantrae
Flickschneider

Secundra Daß
Verarmter indischer Edelmann
Feine Goldarbeiten

Unter dem Schild saß nun drinnen mein Gentleman, wenn er einen Auftrag hatte, wie ein Schneider und nähte eifrig. Ich sage, wenn er einen Auftrag hatte, denn die Kunden, die herbeikamen, gingen meistens zu Secundra, und des Junkers Arbeit glich mehr der von Penelope. Er hätte durch diese Beschäftigung niemals Butter und Brot verdienen können, aber es genügte ihm, daß der Name Durie auf dem Schild in den Schmutz gezogen wurde und der einstige Erbe jener stolzen Familie mit untergeschlagenen Beinen dasaß, ein Vorwurf für die Gemeinheit seines Bruders. Und sein Vorhaben glückte ihm insofern, als in der Stadt ein Gerede entstand und sich eine Partei bildete, die dem Lord höchst feindlich gesinnt war. Andererseits setzte die enge Beziehung zum Gouverneur den Lord manchen Angriffen aus. Die Lady, die in der Kolonie niemals gern gesehen war, mußte unangenehme Anspielungen hinnehmen. Bei einer Damengesellschaft durfte sie das Wort Handarbeit fast nicht erwähnen, was doch sonst der natürlichste Gesprächsstoff gewesen wäre, und ich sah sie manchmal mit hochrotem Gesicht zurückkehren und hörte sie sagen, sie werde das Haus nicht wieder verlassen.

Inzwischen wohnte der Lord auf seinem hübschen Landsitz und war ganz mit bäuerlichen Arbeiten beschäftigt, beliebt bei seinen Freunden, ohne der anderen zu achten oder sie auch nur zu sehen. Er nahm an Gewicht zu, hatte eine gesunde, blühende Gesichtsfarbe, und selbst die Hitze schien ihm wohlzutun. Die Lady dankte trotz der kleinen Unannehmlichkeiten täglich dem Himmel, daß ihr Vater ihr ein solches Paradies hinterlassen hatte. Sie hatte von ihrem Fenster aus zugeschaut, wie der Junker gedemütigt wurde, und von diesem Augenblick an schien sie sich sicher zu fühlen. Ich selbst war nicht so ruhig, und im Laufe der Zeit glaubte ich zu bemerken, daß im Benehmen des Lords etwas nicht ganz in Ordnung sei. Er war glücklich, ohne Zweifel, aber die Ursache dieses Glückes lag verborgen. Selbst im Schoße seiner Familie brütete er mit offenbarem Entzücken über verschwiegenen Gedanken, und schließlich kam mir der Verdacht, der für uns beide recht unwürdig war, daß er irgendwo in der Stadt eine Geliebte besaß. Allerdings ging er wenig aus, und sein Tag war sehr stark ausgefüllt. Es gab nur eine einzige Stunde, und zwar ziemlich früh am Morgen, während Mr. Alexander über den Schulbüchern saß, deren Anwendung ich nicht kannte. Man muß nicht vergessen, wenn man mein Tun entschuldigen will, daß ich immer fürchtete, der Lord sei nicht ganz richtig bei Verstand, und da unser Feind so still in derselben Stadt mit uns saß, tat ich wohl daran, auf der Hut zu sein. Dementsprechend änderte ich unter einem Vorwand die Stunde, in der ich Mr. Alexander die Anfangsgründe des Schreibens und Rechnens beibrachte, und machte mich statt dessen daran, den Wegen des Lords nachzuspüren.

Jeden Morgen, bei schönem und schlechtem Wetter, nahm er seinen Handstock mit dem Goldknauf, setzte den Hut in den Nacken – eine alte Gewohnheit, die für mich auf ein überhitztes Gehirn deutete – und begab sich auf eine bestimmte Wanderung. Zunächst ging der Weg zwischen schönen Bäumen am Rande eines Friedhofs vorbei, wo er, wenn das Wetter schön war, eine Zeitlang in Gedanken verweilte. Dann wandte sich der Pfad dem Wasser zu und lief entlang der Hafenfront an des Junkers Hütte vorbei. Wenn er sich diesem zweiten Abschnitt seines Spazierganges näherte, verlangsamte Lord Durrisdeer seine Schritte, als genieße er Luft und Landschaft. Vor der Hütte, halbwegs zwischen dieser und dem Wasser, blieb er eine Zeitlang stehen und lehnte sich auf seinen Stock. Es war die Stunde, da der Junker drinnen auf dem Tisch saß und seine Nadel führte. So starrten diese beiden Brüder mit harten Gesichtern einander an, und dann setzte sich der Lord lächelnd wieder in Bewegung.

Nur zweimal mußte ich das undankbare Amt eines Spions versehen. Dann war ich aufgeklärt über den Zweck der Wanderungen des Lords und die geheime Ursache seines Entzückens. Das also war seine Geliebte: es war der Haß und nicht die Liebe, der ihm gesunde Farben verlieh. Manche Moralisten hätten bei dieser Entdeckung erleichtert aufgeatmet, aber ich gestehe, daß ich entsetzt war. Ich fand das Verhältnis dieser beiden Brüder nicht nur jämmerlich an sich, sondern sah auch Möglichkeiten großen, zukünftigen Unheils. Ich machte es mir zur Gewohnheit, soweit meine Beschäftigung es mir erlaubte, einen kürzeren Weg einzuschlagen und stillschweigend dem Zusammentreffen beizuwohnen. Als ich eines Tages etwas zu spät kam, nachdem ich eine Woche verhindert gewesen war, stellte ich zu meinem Erstaunen eine neue Entwicklung fest. Ich mußte bemerken, daß vor dem Haus des Junkers eine Bank stand, wo Kunden sich niedersetzen konnten, um mit dem Ladenbesitzer zu plaudern. Hier nun fand ich den Lord sitzen, mit dem Handstock spielend, wie er vergnügt auf die Bucht hinausblickte. Nicht drei Fuß von ihm entfernt saß nähend der Junker. Keiner sprach, noch warf der Lord in dieser neuen Situation auch nur einen Blick auf seinen Feind. Er kostete die Nähe vermutlich noch inniger aus durch das bloße Beisammensein und schlürfte den Trunk des Hasses zweifelsohne in vollen Zügen.

Kaum war er aufgestanden, als ich mich ihm offen näherte.

»Mein Lord, mein Lord«, sagte ich, »das ist nicht die Art sich zu benehmen.«

»Ich werde fett dabei«, erwiderte er, und nicht nur diese Worte, die sonderbar genug waren, sondern der ganze Charakter seines Gsichtsausdruckes stießen mich ab.

»Ich warne Sie, mein Lord, vor dieser Hingabe an niedrige Gefühle«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob sie für die Seele oder für den Verstand gefährlicher sind, aber sie werden beide töten.«

»Sie können das nicht verstehen«, sagte er, »Sie haben niemals solche Berge von Bitterkeit auf ihrem Herzen getragen.«

»Und wenn sonst nichts geschieht«, fügte ich hinzu, »werden Sie den Mann bestimmt zum Äußersten treiben.«

»Im Gegenteil, ich werde seinen Mut brechen«, sagte der Lord.

Jeden Morgen, ungefähr eine Woche lang, nahm der Lord den gleichen Platz auf der Bank ein. Es war ein angenehmer Platz, unter den grünen Akazien, mit der Aussicht auf die Bucht und die Schiffe, wo von fern her der Gesang der arbeitenden Seeleute ertönte. Hier saßen die beiden ohne zu sprechen und ohne äußere Bewegung, es sei denn, daß der Junker nähte oder einen Faden abbiß, denn immer noch tat er so, als ob er fleißig wäre. Und hier machte ich es mir zur Pflicht, mich zu ihnen zu gesellen, indem ich mich über mich selbst und meinen Begleiter wunderte. Wenn einer der Freunde des Lords vorüberging, pflegte er ihn heiter anzurufen und zu sagen, er sitze hier, um seinem Bruder gute Lehren zu erteilen, der jetzt zu seiner Freude sehr fleißig geworden sei. Und selbst das ertrug der Junker mit ruhiger Haltung. Was in seiner Seele vorging, weiß nur Gott oder vielleicht der Teufel.

Ganz plötzlich an einem stillen Tage der Jahreszeit, die man dort den Indianersommer nennt, als die Wälder in Gold, Rosa und Purpur getaucht waren, legte der Junker seine Nadel nieder und brach in schallende Heiterkeit aus. Ich glaube, er mußte sich lange schweigend vorbereitet haben, denn der Ton war ziemlich natürlich. Da er aber plötzlich das völlige Schweigen brach, und zwar unter Verhältnissen, die dem Humor so feindlich waren, schallte es verhängnisvoll in meinen Ohren.

»Henry«, sagte er, »ich habe wirklich einmal einen falschen Schritt unternommen, und du hast so viel Verstand besessen, Vorteil daraus zu ziehen. Die Komödie des Flickschneiders ist heute zu Ende, und ich gestehe anerkennend, daß du gewonnen hast. Das Blut macht sich geltend, und du verstehst es zweifelsohne meisterlich, dich unbeliebt zu machen.«

Der Lord sprach kein Wort, es war, als ob der Junker das Schweigen nicht unterbrochen hätte.

»Komm«, fuhr der Junker fort, »sei nicht launisch, das paßt nicht zu deinem Benehmen. Du kannst es dir jetzt erlauben, glaube es mir, ein wenig liebenswürdig zu sein, denn ich muß nicht nur diese Niederlage hinnehmen. Ich hatte die Absicht, dies Spiel solange zu treiben, bis ich Geld genug für einen bestimmten Plan gesammelt hätte, und ich bekenne offenherzig, daß ich nicht mehr den Mut dazu besitze. Du wünschst naturgemäß, daß ich aus dieser Stadt verschwinde, und ich bin auf anderem Wege zu derselben Ansicht gelangt. Ich habe dir einen Vorschlag zu machen oder, wenn der Herr Lord es vorzieht, dich um eine Gunst zu bitten.«

»Bitte darum«, sagte der Lord.

»Du hast vielleicht gehört, daß ich einst in diesem Lande einen großen Schatz besaß«, fuhr der Junker fort, »es ist eine Tatsache, ob du davon unterrichtet bist oder nicht. Ich war gezwungen, ihn an einem bestimmten Ort zu vergraben, den ich unschwer wiederfinden kann. Mein Ehrgeiz ist es nun, den Schatz zu heben, und da er mir gehört, wirst du ihn mir nicht mißgönnen.«

»Geh und hole ihn«, sagte der Lord, »ich widerspreche nicht.«

»Ja«, antwortete der Junker, »aber um das tun zu können, brauche ich Leute und Transportmöglichkeiten. Und der Weg ist lang und beschwerlich, das Land mit wilden Indianerstämmen überschwemmt. Strecke mir nur so viel vor, wie unbedingt nötig ist, entweder als Abfindungssumme für mein Taschengeld oder, wenn du es vorziehst, als Darlehen, das ich nach meiner Rückkehr zurückzahlen werde. Und dann sollst du mich zum letztenmal gesehen haben, wenn du willst.«

Der Lord starrte ihm fest in die Augen, auf seinem Gesicht war ein hartes Lächeln, aber er sagte nichts.

»Henry«, sagte der Junker mit furchtbarer Ruhe, indem er sich etwas zurückneigte, »Henry, ich hatte die Ehre, dich anzureden.«

»Wir wollen nach Hause gehen«, sagte der Lord zu mir und zupfte an seinem Ärmel. Und dann erhob er sich, reckte sich, setzte seinen Hut zurecht und begann, ohne eine Silbe zu antworten, ruhig am Strande entlang zu gehen.

Ich zögerte eine Weile zwischen den beiden Brüdern, so ernst schien mir die Krise, die wir erreicht hatten. Aber der Junker nahm seine Beschäftigung wieder auf, er senkte die Augen, und seine Hand war scheinbar so ruhig wie zuvor. Da entschloß ich mich, dem Lord zu folgen.

»Sind Sie wahnsinnig?« rief ich aus, sobald ich ihn erreicht hatte. »Wollen Sie ein so annehmbares Angebot zurückweisen?«

»Ist es möglich, daß Sie ihm immer noch Glauben schenken?« fragte der Lord fast spöttisch.

»Ich wünsche ihn fort aus dieser Stadt!« rief ich aus. »Ich wünsche ihn irgendwo und irgendwie, nur nicht hier.«

»Ich habe gesprochen«, erwiderte der Lord, »und auch Sie haben gesprochen. Dabei soll es bleiben.«

Aber ich war entschlossen, den Junker fortzubringen. Der Anblick, wie er geduldig zu seiner Näharbeit zurückkehrte, war mehr, als meine Phantasie verarbeiten konnte. Nimmermehr konnte ein Mensch eine solche Fülle von Beleidigungen ertragen, und am wenigsten der Junker. Für mich roch die Luft nach Blut. Und ich schwor, daß ich alles tun wolle, solange noch ein Schimmer von Hoffnung war, ein Verbrechen zu verhüten. Ich ging deshalb am gleichen Tage noch zu dem Lord in sein Arbeitszimmer, wo er mit einigen lächerlichen Dingen beschäftigt war.

»Mein Lord«, sagte ich, »ich habe eine günstige Anlage für mein kleines Vermögen entdeckt. Aber unglückseligerweise sind meine Ersparnisse in Schottland. Es wird einige Zeit dauern, sie abzuheben, und die Sache drängt. Würden Sie, mein Lord, bereit sein, mir die Summe zu bevorschussen gegen eine Quittung?«

Er sah mich mit prüfenden Augen an. »Ich habe mich nie um Ihre Privatangelegenheit gekümmert, Mackellar«, sagte er, »über die Summe Ihrer Kaution hinaus besitzen Sie wahrscheinlich keinen Pfennig, soviel ich weiß.«

»Ich bin lange in Ihren Diensten und habe nie eine Lüge ausgesprochen noch Sie um eine Gefälligkeit für mich gebeten«, sagte ich, »bis heute.«

»Eine Gefälligkeit für den Junker«, entgegnete er ruhig. »Halten Sie mich für einen Narren, Mackellar? Begreifen Sie ein für allemal, ich behandle diese Bestie auf meine eigene Weise, Furcht und Mitleid sollen mich nicht rühren, und bevor ich mich irreführen lasse, bedarf es eines gerisseneren Mannes als Sie. Ich verlange Dienstleistungen, treue Dienstleistungen, Sie sollen mich nicht hinter meinem Rücken betrügen und mir mein eigenes Geld stehlen, um mich zu bekämpfen.«

»Mein Lord«, erwiderte ich, »das sind unverzeihliche Ausdrücke.«

»Denken Sie doch einmal nach, Mackellar«, erwiderte er, »dann werden Sie einsehen, daß ich recht habe. Ihre eigene Hinterhältigkeit ist unverzeihlich. Wenn Sie können, leugnen Sie, daß Sie die Absicht hatten, dies Geld zu benutzen, um meine Befehle zu umgehen. Dann will ich Sie um Verzeihung bitten. Wenn Sie es nicht können, müssen Sie den Mut haben, Ihre Handlungsweise so bezeichnet zu sehen, wie es ihr zukommt.«

»Wenn Sie glauben, daß ich eine andere Absicht hatte als die, Sie zu schützen –«, begann ich.

»Oh! Mein alter Freund«, sagte er, »Sie wissen sehr gut, was ich denke. Hier ist meine Hand von ganzem Herzen. Aber Geld – keinen Heller!«

Da ich auf diese Weise besiegt worden war, ging ich sofort auf mein Zimmer, schrieb einen Brief, lief damit zum Hafen, denn ich wußte, daß ein Schiff gerade absegeln sollte, und kam kurz vor Dunkelwerden an der Tür des Junkers an. Ich trat ohne anzuklopfen ein und fand ihn mit dem Inder bei einem einfachen Mahl von Maismehl und etwas Milch am Tisch sitzen. Das Haus war sauber und ärmlich, nur ein paar Bücher auf einem Bord schmückten es, und in einer Ecke stand Secundras kleine Bank.

»Mr. Bally«, sagte ich, »ich besitze ungefähr fünfhundert Pfund in Schottland, die Ersparnisse eines harten Daseins. Mit jenem Schiff dort geht ein Brief ab, der diese Summe frei macht. Haben Sie Geduld, bis das Schiff zurückkehrt, dann gehört sie Ihnen unter denselben Bedingungen, die Sie heute morgen dem Lord anboten.«

Er stand vom Tisch auf, trat vor, faßte mich an den Schultern und sah mir lächelnd ins Gesicht.

»Und doch lieben Sie das Geld sehr!« sagte er. »Und doch lieben Sie das Geld mehr als alles andere, ausgenommen meinen Bruder!«

»Ich fürchte das Alter und die Armut«, erwiderte ich, »das ist eine andere Sache.«

»Ich will nicht über Worte streiten, nennen Sie es so«, antwortete er. »Ach! Mackellar, Mackellar, wenn alles das geschähe aus Liebe zu mir, wie glücklich wäre ich, Ihr Angebot annehmen zu können!«

»Und doch«, erwiderte ich eifrig, »ich sage es zu meiner Schande, ich kann Sie nicht ohne Mitleid an diesem ärmlichen Ort sehen. Es ist nicht mein einziger und nicht mein erster Gedanke, und doch ist es wahr! Ich wäre froh, Sie befreit zu sehen. Ich biete Ihnen das Geld nicht aus Liebe an, weit davon entfernt, aber doch, wofür Gott mein Zeuge ist, und worüber ich mich selbst wundere, ohne jede Feindschaft.«

»Ach!« sagte er und hielt meine Schulter, die er nun leise schüttelte, immer noch fest. »Sie halten mehr von mir, als Sie selbst wissen. Und worüber ich mich selbst wundere«, fügte er hinzu, indem er meine Worte wiederholte und, wie ich glaube, meinen Tonfall nachahmte, »Sie sind ein Ehrenmann, und darum schone ich Sie.«

»Mich schonen?« rief ich aus.

»Ich schone Sie«, wiederholte er, indem er mich losließ und sich abwandte. Dann sagte er, wieder zu mir gekehrt: »Sie wissen nicht, was ich mit dem Gelde tun wollte, Mackellar! Glauben Sie, daß ich meine Niederlage wirklich einstecke? Merken Sie sich: mein Leben war eine Reihe unverdienter Mißerfolge. Jener Narr, Prinz Charlie, verursachte das Mißlingen eines vielversprechenden Unternehmens: das war mein erstes Unglück. In Paris hatte ich meinen Fuß wiederum hoch oben auf der Leiter: damals war es ein Zufall, ein Brief kam in falsche Hände, und ich stand von neuem dem Nichts gegenüber. Noch ein drittes Mal bot sich mir eine Möglichkeit zum Aufstieg, in Indien schuf ich mir mit unendlicher Geduld eine Stellung, und dann kam Clive, mein Radscha wurde zugrunde gerichtet, und ich entfloh wie ein zweiter Äneas aus der allgemeinen Verwirrung mit Secundra Daß auf dem Rücken. Dreimal hatte ich meinen Fuß auf der höchsten Leiterstufe, und ich bin noch nicht dreiundvierzig Jahre alt. Ich kenne die Welt, wie wenige Menschen sie kennen, wenn sie reif sind zum Sterben: das Hofleben und das Lager, den Osten und den Westen, ich weiß, wohin ich gehen muß, ich sehe tausend Möglichkeiten. Ich bin jetzt in der Fülle meiner Kraft, gesund und von grenzenlosem Ehrgeiz. Nun, auf alles das verzichte ich, es liegt mir nichts daran zu sterben und daß die Welt nichts wieder von mir hört. Nur an einer Sache liegt mir noch, und die will ich erreichen! Sehen Sie sich vor, damit Sie nicht, wenn das Dach einstürzt, auch unter den Trümmern begraben werden.«

Als ich das Haus verließ, ohne jede Hoffnung auf die Möglichkeit einer Vermittlung, bemerkte ich eine gewisse Bewegung am Kai, und als ich meine Augen aufhob, sah ich ein großes Schiff, das soeben vor Anker gegangen war. Es ist sonderbar, daß ich so gleichgültig hinübersehen konnte, denn dies Schiff brachte den Brüdern von Durrisdeer den Tod. Nach all den verzweifelten Episoden dieses Kampfes, den Beleidigungen, den Interessengegensätzen, dem brüderlichen Zweikampf im Gehölz sollte es einem armen Teufel im Zeitungsviertel der Londoner Grubstreet, der für sein tägliches Brot Zeilen zusammenschmierte, und dem es gleich war, was er schrieb, vorbehalten bleiben, einen Zauberspruch über eine Entfernung von viertausend Seemeilen hinüberzuschleudern und diese beiden Brüder in wilde und eisige Wüsten zu senden, wo sie starben. Aber solche Gedanken waren meiner Seele fremd, und während die Leute aus der Provinz um mich herum aufgeregt redeten wegen der ungewöhnlichen Belebung ihres Hafens, schritt ich durch ihre Mitte nach Hause, ganz versunken in die Erinnerung an meinen Besuch und die Reden des Junkers.

Am selben Abend wurde ein kleines Paket Flugschriften von dem Schiff zu uns gebracht. Am nächsten Tage hatte der Lord eine Verabredung mit dem Gouverneur, irgendeine Vergnügung zu besuchen. Die Zeit war ungefähr gekommen, und ich ließ ihn einen Augenblick allein in seinem Zimmer, während er die Flugschriften durchblätterte. Als ich zurückkam, war sein Kopf auf den Tisch gefallen, und seine Arme lagen über den zerknüllten Papieren.

»Mein Lord, mein Lord!« rief ich und lief auf ihn zu, denn ich fürchtete, er habe einen Anfall erlitten.

Er sprang auf wie eine Drahtpuppe, seine Züge waren wutentstellt, so daß ich ihn in fremder Umgebung kaum erkannt hätte. Seine Hand erhob sich plötzlich über den Kopf, als wolle er mich niederschlagen. »Lassen Sie mich allein!« kreischte er, und ich floh, so rasch meine zitternden Beine mich tragen wollten, zur Lady. Auch sie verlor keine Zeit, aber als wir ankamen, hatte er die Tür von innen verschlossen und schrie uns von der anderen Seite aus zu, ihn in Ruhe zu lassen. Wir sahen einander ins Gesicht, ganz bleich, und jeder glaubte, daß die Krankheit zum Durchbruch gelangt sei.

»Ich werde dem Gouverneur schreiben und ihn entschuldigen«, sagte sie, »wir müssen uns unsere einflußreichen Freunde erhalten.« Aber als sie die Feder ergriff, flog sie ihr aus der Hand. »Ich kann nicht schreiben«, sagte sie, »können Sie es?«

»Ich werde einen Entwurf machen, gnädige Frau«, erwiderte ich.

Sie sah mir über die Schulter, während ich schrieb. »Das genügt«, sagte sie, als ich fertig war. »Gott sei Dank, Mackellar, daß ich mich auf Sie verlassen kann! Aber was mag es nur sein, was mag es nur sein?«

Bei mir dachte ich, daß eine Erklärung unmöglich und auch nicht nötig sei. Meine Befürchtung ging dahin, daß der Irrsinn des Mannes nun einfach zum Durchbruch gekommen sei, wie die lange schwelenden Flammen eines Vulkans, aber aus reinem Mitleid mit der Lady durfte ich es nicht aussprechen.

»Es ist wichtiger, über unsere eigenen Maßnahmen nachzudenken«, sagte ich. »Sollen wir ihn allein lassen?«

»Ich wage ihn nicht zu stören«, entgegnete sie. »Die Natur muß es am besten wissen, vielleicht schreit die Natur danach, daß er allein ist, denn wir tasten im Dunkeln. O ja, ich würde ihn sich selbst überlassen.«

»Ich werde also diesen Brief fortschicken, gnädige Frau, und dann hierher zurückkommen, um Ihnen Gesellschaft zu leisten«, sagte ich.

»Bitte, tun Sie das«, rief die Lady aus.

Den ganzen Nachmittag saßen wir fast immer stillschweigend beieinander und beobachteten die Tür des Lords. Meine Seele beschäftigte sich mit der Szene, die wir vorhin erlebt hatten, und ihrer höchst sonderbaren Ähnlichkeit mit meiner Vision. Ich muß hierüber ein Wort sagen, denn das Gerücht davon hat sich mit vielen Übertreibungen weit verbreitet, und ich habe es sogar im Druck gelesen, wobei mein eigener Name als Zeuge für alle Einzelheiten genannt wurde. So viel stimmte überein: hier war der Lord in einem Zimmer, den Kopf auf dem Tisch, und als er sein Gesicht hob, hatte es einen Ausdruck, der mich bis in die Seele hinein erschütterte. Aber der Raum war ein anderer, die Haltung des Lords am Tisch durchaus nicht die gleiche, und als er sein Gesicht zeigte, hatte es den Ausdruck qualvoller Wut, nicht den jammervoller Verzweiflung, den es stets, mit einer Ausnahme, die ich bereits erwähnt habe, in der Vision zeigte. So ist nun die ganze Wahrheit endlich offenbar, und wenn auch die Unterschiede groß waren, so war doch die Übereinstimmung stark genug, um mich mit Unbehagen zu erfüllen. Den ganzen Nachmittag saß ich da, wie ich schon sagte, und dachte für mich selbst darüber nach, denn die Lady hatte ihre eigenen Sorgen, und es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, sie mit meinen Phantasien zu belästigen. Ungefähr zur Hälfte der Zeit unseres Wartens kam ihr der kluge Gedanke, Mr. Alexander holen zu lassen und ihm aufzutragen, an seines Vaters Tür zu klopfen. Der Lord schickte den Jungen fort, aber ohne die geringste Heftigkeit in Bewegung oder Ausdruck, so daß ich die Hoffnung in mir aufleben fühlte, der Anfall sei vorüber.

Als die Nacht schließlich hereinbrach und ich eine Lampe anzündete, die zurechtgemacht dastand, öffnete sich die Tür, und der Lord stand auf der Schwelle. Das Licht war nicht stark genug, um seine Züge erkennen zu lassen. Als er sprach, schien mir seine Stimme etwas verändert, aber doch durchaus ruhig.

»Mackellar«, sagte er, »bringen Sie diesen Brief eigenhändig an seinen Bestimmungsort. Er ist durchaus privat. Überzeugen Sie sich, daß die Person allein ist, wenn Sie ihn überreichen.«

»Henry«, sagte die Lady, »du bist doch nicht krank?«

»Nein, nein«, sagte er unwillig, »ich bin beschäftigt. Durchaus nicht, ich bin nur beschäftigt. Es ist sonderbar, daß ein Mann krank sein soll, wenn er Geschäfte zu erledigen hat! Schicke mir mein Abendessen mit einem Korb Wein aufs Zimmer, ich erwarte den Besuch eines Freundes. Sonst will ich nicht gestört werden.«

Und damit schloß er sich wieder ein.

Der Brief war an einen gewissen Kapitän Harris in einer Kneipe am Hafen gerichtet. Ich kannte Harris vom Hörensagen als gefährlichen Abenteurer, der in dringendem Verdacht stand, früher Pirat gewesen zu sein; augenblicklich betrieb er das rauhe Gewerbe eines Indianerhändlers. Was der Lord ihm zu sagen haben mochte, oder er dem Lord, ging über mein Fassungsvermögen. Auch begriff ich nicht, wie der Lord von ihm gehört haben konnte, wenn nicht durch einen schimpflichen Prozeß, aus dem der Mann vor einiger Zeit glücklich entkommen war. Ich erledigte den Botengang also sehr unwillig, und das wenige, was ich von dem Kapitän sah, erfüllte mich mit Abscheu. Ich fand ihn in einer übelriechenden Kammer, wie er bei einer flackernden Kerze und einer leeren Flasche dasaß. Er verfügte noch über einen Rest militärischer Haltung, oder vielleicht war es auch nur eine Vorspiegelung, denn seine Benehmen war pöbelhaft.

»Sagen Sie dem Lord mit meiner Empfehlung, daß ich Seine Gnaden innerhalb einer halben Stunde aufsuchen werde«, sagte er, als er den Brief gelesen hatte, und dann besaß er die Niedrigkeit, auf die leere Flasche zu zeigen und mir vorzuschlagen, ihm Schnaps zu kaufen.

Obwohl ich mit größter Eile zurückkehrte, folgte der Kapitän mir auf den Fersen und blieb bis spät in die Nacht hinein. Der Hahn krähte zum zweitenmal, als ich von meinem Kammerfenster beobachtete, wie der Lord ihm zum Tor leuchtete. Beide waren vom Alkohol stark mitgenommen und lehnten sich manchmal gegeneinander, um sich etwas zuzuflüstern. Doch am nächsten Morgen war der Lord schon in aller Frühe unterwegs mit hundert Pfund Sterling in der Tasche. Ich wußte, daß er ohne sie zurückkommen werde, war aber ganz sicher, daß sie nicht den Weg zum Junker finden würden, denn ich lauerte den ganzen Morgen in der Nähe des Blockhauses. Es war das letztemal, daß Lord Durrisdeer die Grenzen seines eigenen Besitzes überschritt, bevor wir New York verließen. Er wandelte durch die Ställe oder saß und sprach mit seiner Familie, fast ganz wie früher, aber die Stadt sah ihn nicht wieder, und seine täglichen Besuche bei dem Junker schienen vergessen. Auch Harris erschien nicht wieder, jedenfalls nicht vor dem Abschied.

Ich war nun sehr bedrückt angesichts der Geheimnisse, die uns umwoben. Es war offenbar, daß der Lord etwas sehr Ernstes vorhatte, wenn es auch nur aus der Änderung seiner Gewohnheiten geschlossen werden konnte, aber was es war, worauf es zurückging, und warum wir jetzt Haus und Garten hüten mußten, vermochte ich nicht zu erraten. Es war klar, ja sogar sicher, daß die Flugschriften etwas mit dieser völligen Änderung seiner Lebensweise zu tun hatten. Ich las sie alle, soweit ich sie finden konnte, aber sie waren alle durchaus nichtssagend und von der gewöhnlichen Art der Parteialbernheiten. Selbst für einen Mann der hohen Politik konnte ich nichts besonders Beleidigendes erblicken, und der Lord war Fragen der Öffentlichkeit gegenüber ziemlich gleichgültig. Die Wahrheit ist, daß die Flugschrift, die die Wurzel alles Übels war, während der ganzen Zeit auf der Brust des Lords lag. Dort draußen inmitten der nordischen Wildnis fand ich sie schließlich, nachdem er tot war: an solchem Ort und unter so entsetzlichen Umständen mußte ich zum erstenmal diese albernen, lügenhaften Worte eines Whighetzapostels lesen, der sich gegen jede Nachsicht Jakobiten gegenüber aussprach: »Noch ein anderer berüchtigter Rebell, der M–r von B–e, soll seinen Titel wiedererhalten«, so hieß es in dieser Schrift. »Diese Schiebung wird seit langer Zeit vorbereitet, da er in Schottland und Frankreich einige nichtswürdige Dienste leistete. Sein Bruder, L–d D–r, ist bekannt dafür, daß er keinen besseren Charakter besitzt, und der Erbe, der jetzt übergangen werden soll, wurde nach den verabscheuungswürdigsten Grundsätzen erzogen. Wie ein altes Sprichwort sagt: es ist gehupft wie gesprungen! Aber die Begünstigung bei einer solchen Wiedereinsetzung in alte Rechte ist zu auffällig, als daß sie mit Stillschweigen übergangen werden dürfte.« Ein Mann bei vollem Verstande würde einem so lächerlichen Geschwätz keinerlei Bedeutung beigemessen haben. Daß die Regierung einen derartigen Plan haben könnte, war für jeden vernünftigen Menschen undenkbar, außer für den Narren vielleicht, der es niederschrieb. Und der Lord, der nie geistreich war, besaß sonst einen bemerkenswert gesunden Menschenverstand. Daß er solchem Gefasel Glauben schenkte und das Flugblatt am Busen und die Worte im Herzen trug, ist der klarste Beweis für seinen Irrsinn. Ohne Zweifel beschleunigte die bloße Erwähnung Mr. Alexanders und die Drohung, die gegen die Titelnachfolge des Kindes ausgestoßen wurde, die Entwicklung der Dinge. Es sei denn, daß mein Herr schon seit langer Zeit wirklich wahnsinnig und wir zu abgestumpft und zu sehr an ihn gewöhnt waren, um den Grad seiner Krankheit erkennen zu können.

Ungefähr eine Woche nach Ankunft der Flugblätter war ich spätabends am Hafen und wandte mich dann der Hütte des Junkers zu, wie ich es oft zu tun pflegte. Die Tür öffnete sich, eine Flut von Licht fiel auf die Gasse, und ich sah einen Mann, der mit freundlichen Worten Abschied nahm. Ich vermag nicht zu sagen, wie heftig ich erschüttert wurde, als ich den Abenteurer Harris erkannte. Ich mußte die Schlußfolgerung ziehen, daß die Hand des Lords ihn hierher geführt hatte, und setzte meinen Weg in sehr ernsten und bedrückenden Gedanken fort.

Es war schon spät, als ich zu Hause ankam, und dort war der Lord dabei, seinen Koffer für eine Reise zu packen.

»Warum kommen Sie so spät?« rief er aus. »Wir reisen morgen nach Albany ab, Sie und ich zusammen, und es ist höchste Zeit, daß Sie sich vorbereiten.«

»Nach Albany, mein Lord?« rief ich aus. »Und wozu in aller Welt?«

»Szenenwechsel«, sagte er.

Und die Lady, die geweint zu haben schien, gab mir ein Zeichen, daß ich ohne Widerspruch gehorchen solle. Etwas später, als wir Gelegenheit zu einigen vertraulichen Worten fanden, sagte sie mir, er habe plötzlich die Absicht kundgetan abzureisen, und zwar nach einem Besuch von Kapitän Harris. Ihre Bemühungen, ihn von der Reise zurückzuhalten oder eine nähere Erklärung über sein Vorhaben aus ihm herauszulocken, sei gleichermaßen erfolglos gewesen.