Kapitel sechs

In dem wir mit Wölfen zusammenstoßen

Es gibt keine Verträge zwischen Löwen und Menschen, und Wölfe und Schafe haben kein Abkommen.

- HOMER

Wie kommt es, daß du niemals einen Drachen findest, wenn du einen brauchst?

- WALTER SLOWOTSKI

Als wir die Habichte schließlich erreichten, war es später Vormittag geworden. Die Vögel hatten sich auf dem Tierkadaver und in den umliegenden Maisfeldern niedergelassen.

Ohne auf den Schaden zu achten, den sie in den hüfthohen Maisreihen anrichtete, galoppierte Tennetty auf die Hühnerhabichte zu und ließ sie in alle Richtungen auffliegen.

Ich nehme an, die Vögel kannten sie nicht. Doch Tennetty nahmen sie ernst genug, um mit trägem Flügelschlag aufzusteigen. Aber ein halbes Dutzend von ihnen ließ sich auf einer benachbarten Eiche nieder und schrie seine Einwände und Schmähungen heraus. Der Mittelländer-Hühnerhabicht ist kleinwüchsiger, als ich immer gedacht hatte. Der Habicht der Anderen Seite (ehrlich gesagt, habe ich niemals einen Habicht der Anderen Seite gesehen, so daß ich nicht sicher bin) hat ungefähr die Größe einer großen Krähe. Große häßliche Kehllappen hängen unter ihren boshaften, gebogenen Schnäbeln. Widerliche Biester.

Mit schmerzenden Gliedern zog ich die Bremse und kletterte vom Wagen.

Was wir hier vorfanden, war eine typisch hiesige Landschaft: ein schmutziger Fuhrweg verlief diagonal über ein ungefähr rechteckiges Stück Land und verschwand in der Finsternis des Waldes. Die Gehölze konnten entweder nur Streifen von einigen Dutzend Metern Breite sein, die man hauptsächlich als Windschutz stehengelassen hatte, oder sie waren viel tiefer.

Der Fuhrweg wurde durch einen niedrigen, mit Steinen belegten Wall begrenzt, der sich ungefähr zwei Fuß über das flache Land erhob. Ich habe schon besser gepflegte Begrenzungswälle gesehen. Dieser hier war ein bißchen verfallen. Aber das war ja nicht mein Problem. Es war das Problem des Barons und seiner Steuereintreiber - von ihnen wurde erwartet, sich darum zu kümmern, daß die Bauern ihren Besitz und die Wege in Ordnung hielten.

Das Haus, so wie wir es vorfanden, war eine Fachwerkhütte mit Wänden aus Flechtwerk, die mit Lehm verschmiert waren. Es stand direkt an der Straße. Zwischen Hecken ein stilles Örtchen, ein windiger Hühnerverschlag und der unvermeidliche Steinbrunnen waren die einzigen übrigen Bauten.

Drüben in der Pächterhütte regte sich etwas, und darum würden wir uns kümmern müssen. Aber zuerst wollte ich einen Blick auf die Kuh werfen.

Oder was von ihr übriggeblieben war. Die Wölfe hatten gute Arbeit geleistet und die Habichte hatten sich sehr darum bemüht, den Rest zu erledigen. Sie - das waren die Wölfe; denn Habichte essen keine Mitnehm-Gerichte - hatten die Kuh vielleicht dreißig Fuß durchs Feld gezerrt und dabei größeren Schaden an dem jungen Mais angerichtet als Tennetty es getan hatte.

Die Kuh war ein blutiger, stinkender Haufen.

Ich war irgendwie erleichtert. Damals, als ich Fleischwissenschaft studiert hatte, mußte ich viele Kühe schlachten. Und was ich am meisten dabei haßte, war das Töten und Hantieren mit dem frisch Geschlachteten. Du hast dieses pneumatische Betäubungsgerät, das aussieht wie eine Art Großwildbüchse, die mit einem Schlauch an einen Kompressor angeschlossen ist, und du legst sie an die Stirn der Kuh und ziehst den Abzug. Die Preßluft löst den Hammer aus - im Grunde genommen nur ein Bolzen -, welcher der Kuh einen harten Schlag auf den Schädel versetzt, hart genug, um sie zumindest bewußtlos zu schlagen, meistens aber den Knochen sprengt. Wenn das geschehen ist, ziehst du sie hoch, schneidest sie auf und läßt sie ausbluten.

Eine schmutzige Arbeit, aber innerhalb weniger Minuten hast du nichts mehr, was an eine Kuh erinnert; du hast Teile, Rinderseiten, Eingeweide, Zunge. Die abgezogene Haut wartet darauf, gegerbt zu werden.

Hier fanden wir weniger vor. Die Wölfe hatten ungefähr die Hälfte der Kuh gefressen. Genauer gesagt, die hintere Hälfte der Kuh, die Beine und so weiter, waren von ihnen gefressen oder weggeschleppt worden. Das Vorderteil hatten sie liegenlassen, es war mehr zerrissen als angefressen.

Etwas war merkwürdig. Der Kadaver war nicht zerfetzt, verwüstet, im Gegenteil, es war zu ordentlich - an zu vielen Stellen war das Fleisch ein bißchen zu sauber. Ich vermute, daß ein Wolf dazu fähig ist. Allerdings würde es ihm sehr schwerfallen, so ordentlich vorzugehen. Und warum sollte er auch? Wer würde einem Wolf beibringen wollen, mit seinem Futter zu spielen?

Aber es waren doch Wölfe gewesen, ihre Spuren fanden sich überall auf dem weichen Boden. Das Rudel war nach Osten in die Wälder abgezogen.

Ahira und Andrea hatten ihre Pferde an den Wagen gebunden und leisteten Tennetty auf dem blutigen Schlachtfeld Gesellschaft. Schwärme von Fliegen wurden von ihnen aufgescheucht.

Der Zwerg zog die Brauen zusammen. »Es sieht so aus, als ob die hintere Hälfte von diesem Ding verschwunden ist, sauber abgebissen.«

Andy hob eine Augenbraue. »Meinst du, so wie Ellegon es tun würde?«

Ahira gab darauf keine Antwort.

Aus der Hütte kam weiteres Rumoren. Tennetty stiefelte hinüber und hämmerte mit dem Gewehrkolben an die Tür. »Rauskommen, alles raus! Sofort! Wir haben mit euch zu sprechen«, befahl sie. Man kann sich immer darauf verlassen, daß Tennetty genau weiß, wie sie die Dinge anzupacken hat.

Ich hätte geschworen, daß dieser Schafstall nicht mehr als drei, vier Leute aufnehmen konnte, aber in wenigen Minuten stand eine siebenköpfige Familie nervös im Schmutz. Die Mutter hielt ein Baby in den Armen. Die jüngste Tochter - niedlich, wenn man vom Dreck absah; in dem Alter verstehen sie es wirklich, niedlich auszusehen - preßte ein flatterndes Huhn an sich.

Tennetty bückte sich und verschwand im Haus. Ich wünschte, sie würde ihre Pläne absprechen, bevor sie diese in die Tat umsetzte. Solche Situationen können zu Todesfallen werden. Aber sie kam lachend heraus - nicht einfach kichernd, sondern aus vollem Hals lachend. Mit einer Hand hielt sie sich den Bauch. Ich befürchtete schon, sie würde ihre Waffe fallenlassen. »Mann«, brachte sie zwischen zwei Lachanfällen heraus, »die haben eine ... Kuh da drin und eine Ziege, und ich glaube, die haben einige ... Hühner im Keller.«

Ahira und Andrea standen bei der Familie und versuchten, sie zu beruhigen. Ich hatte den Eindruck, daß für sie die Gesellschaft einer Horde bewaffneter Fremder weder normal noch besonders anheimelnd war.

Andererseits kann Andrea, wenn sie ihr Lächeln aufsetzt, mit ihrem Charme Rinde von einem Baum schälen.

»Seid alle gegrüßt«, sagte sie, »wir sind gekommen, uns um euer Problem mit den Wölfen zu kümmern. Der Baron hat uns geschickt.«

»Der alte oder der neue?« fragte die Frau, sowohl uns als auch dem Gedanken mißtrauend, daß die Herrschaft sich um die Bestien kümmern würde.

»Der neue«, behauptete Andrea, »Baron Cullinane. Wir arbeiten für ihn. Tennetty, Daherrin, Worelt und Lotana«, stellte sie uns der Reihe nach vor.

Für einen Moment war ich beunruhigt. Andrea hatte immer einen unglückseligen Hang zur Aufrichtigkeit. Und drei von uns waren in der Gegend von Eren ziemlich bekannt. Das kann sehr hilfreich sein, aber meistens bringt es Ärger: jede Menge Idioten hätte gern mal herausgefunden, was es ihr einbringt, die frühere Kaiserin von Holtun-Bieme festzuhalten. (Den Tod würde es ihnen einbringen, hoffe ich. Aber vielleicht wissen sie das nicht, oder vielleicht kümmern sie sich nicht um meine Hoffnungen.) Und viele der Typen würden gern herausfinden, ob sie mit dem Kurzschwert besser als Einauge-Tennetty oder schneller mit dem Messer als Walter Slowotski sind. (Klar, natürlich sind wir beide besser, aber man wird verstehen, daß ich keine Lust habe, das andauernd zu demonstrieren.)

Andy hatte mit dem richtigen Instinkt gehandelt, als sie für uns drei falsche Namen nannte, aber nicht für Tennetty. Tennetty war in ihrem eigenen Reich einigermaßen berühmt - Kriegerinnen waren nicht sehr häufig, besonders nicht solche mit einem Auge -, und ihr einen falschen Namen zu geben, hätte den Verdacht aufkommen lassen, daß wir anderen auch unter falscher Flagge reisten.

Der Mann beugte sein Haupt. »Ich bitte Euch um Verzeihung, aber ...«

Seine Frau schüttelte schnell den Kopf. »Nein.«

»Ich habe sie gesehen«, beharrte er.

»Wie viele?«

»Ein halbes Dutzend, vielleicht mehr. Wölfe, ja, aber ...«

»Aber was?«

»Da war noch etwas«, antwortete er.

Andys mildes Lächeln wurde breiter. Ich glaube, sie versuchte ermutigend auszusehen, aber sie sah belustigt aus.

»Und was soll das gewesen sein?«

Er gestikulierte. »Es sah wie ein Wolf aus, genau wie ein Wolf, aber es war keiner.« Die Worte kamen schnell, wenn auch holperig. »Ich habe gesehen, daß es kein Wolf war, ganz bestimmt. Es war größer, und es bewegte sich komisch. Es war kein Wolf, es sah nur wie einer aus.«

Ich machte einen Versuch. »Was meinst du damit? Es war kein Wolf, aber es sah genau wie einer aus?«

Er rang verzweifelt seine Hände. »Es bewegte sich nicht richtig. Es krümmte sich an den falschen Stellen.«

»Ein Wolf, der sich an den falschen Stellen bewegt?« fragte Tennetty. »Ich glaube nicht, daß das ein schwerwiegendes Problem ist.« Tennetty entließ die Leute mit einem Wink, und sie verschwanden wieder in der Hütte. Dennoch konnten wir ihre Blicke auf uns spüren.

»Es ist anderthalb Tage her«, sagte Ahira, sotto voce. »Wölfe können in anderthalb Tagen ein riesiges Gebiet durchstreifen, wenn sie wollen.«

Ich wünschte, ich hätte den Biologiekurs belegt. Welche Gewohnheiten haben Rudelwölfe? Haben sie ein Revier oder ...

Andrea kniete neben einem Dunghaufen und fingerte mit einer Hand in ihrem Zauberbeutel.

»Warte einen Augenblick.« Ich stutzte. »Ich habe nicht ...«

»Wenn du eine bessere Methode als einen Lokalisierungsspruch weißt, Walter«, sagte sie, »dann laß hören.«

»Ich bin ein einigermaßen guter Fährtensucher«, brachte ich vor. Traditionell ist es die Verantwortung des Adels, die Kleinbauern zu beschützen, egal ob es sich um einfallende Banden oder um wandernde Wölfe handelt. Wir waren nicht der zuständige Baron, aber wir vertraten ihn.

»Das reicht mir nicht.« Tennetty schüttelte den Kopf. »Wenn sie sich verschanzt haben und nicht auf Wanderschaft sind, sollte man sie in ein paar Tagen finden können. Während sie sich in der Zwischenzeit an den Kälbern der Umgebung sattfressen, müssen wir auch noch in der Hitze des Tages schlafen und nachts jagen.«

»Andererseits sollte Andrea den Gebrauch von Magie auf ein Minimum beschränken. Es ist nicht gesund ...«

» ... für dich, über mich in der dritten Person zu sprechen«, sagte Andy mit breitem, aber nicht ausgesprochen freundlichem Grinsen.

Ahira hob seine Hand. »Wir sind alle müde. Aber laßt uns überlegen.« Er unterstrich seine Rede mit einem seiner kurzen Finger. »Falls Wölfe in der Gegend umherziehen, ist das kein Problem für uns, solange die Tiere klug genug sind, sich von den Leuten fernzuhalten. Diese sind es nicht.« Er nahm einen zweiten Finger dazu. »Sie jagen nicht etwa die Kälber, weil andere Beute rar ist. So ist es nicht. Sie haben eine Vorliebe für Rindfleisch und fürchten sich nicht genug vor Menschen. Also müssen sie verschwinden. In den Wäldern ist es kühl; wir verlassen die Straße, tauchen im Wald unter und spannen die Schlafplane auf. Jeder kriegt etwas Ruhe, dann eine heiße Mahlzeit, und am späten Nachmittag jagen wir ...«

Er zog die Stirn in Falten. » ... mit dem Lokalisierungszauber.«

Es gab keinen Grund, noch weiter zu warten. Die Pferde waren gesattelt, die Gewehre geladen und an ihren Plätzen festgezurrt. Mein Bogen war nur halbgespannt über meine Brust gestreift; zwei Dutzend Jagdpfeile mit breitem Blatt klemmten in einem Köcher auf meinem Rücken. (Jawohl, klemmten - man möchte ja nicht, daß die Pfeile herausfallen, selbst wenn man stürzt.) Eine Flasche mit Earevener Heiltropfen war an meine rechte Wade gebunden - meine Schwertscheide schlug immer wieder dagegen.

Meine Hand, mit der ich den Eberspieß hielt, war verschwitzt. Dieser Spieß war die beste Jagdwaffe, die jemals erfunden wurde: ein sechs Fuß langer Schaft, Griffmulden, die mit Leder und Messing umwickelt waren, und an der Spitze ein langes, faustbreites Blatt. Ungefähr zwei Fuß unterhalb der Klinge saß das Kreuzstück. Das klassische Kreuzstück bestand schlicht und einfach aus einem Stück Messing und war dazu gedacht, auf Armeslänge von dir fern zu halten, was immer du gerade aufgespießt hast. Irgendein Genie -, nein, keiner von uns; wir haben ja kein Patent auf Genialität - hatte es in eine Art U-förmige Gabel mit scharfen Spitzen, aber ohne Widerhaken, umgeformt.

Das Ergebnis sah wie ein Dreizack mit einer Drüsenkrankheit aus.

Tennetty hielt vier der Pferde. Sie standen und stampften, während Andy in einem Ring von Fackeln über der Wolfslosung kauerte.

Etwas in ihrem Gesicht führte mich weit in die Erinnerung zurück.

Einst, vor langer Zeit, sah ich einen kleinen Spaniel, der vielleicht hundert Meter vom Tierarzt entfernt von einem Auto angefahren worden war. Mein Bruder Steven und ich waren gerade aus der Schule gekommen und auf dem Weg nach Hause. Wir kamen hinzu, als fast alles schon vorbei war. Dr. MacDonald, ein komischer rundlicher kleiner Mann, kam mit einer schwarzen Tasche angerannt, wie sie richtige Ärzte besaßen. Er kniete sich über den kleinen Hund.

An den Hund selbst kann ich mich kaum erinnern - ich habe weggesehen.

Aber ich erinnere mich an den Ausdruck in Dr. Macs Gesicht, als er die Spritze aufzog: er zeigte nicht nur ernsthafte Hingabe, sondern einen schnellen, aber nicht überhasteten Sachverstand. Ich mißdeutete besagten Gesichtsausdruck und griff nach Steves Arm. »Er kann ihn retten!«

Steve schüttelte den Kopf. »Nein, er nimmt dem Hund die Schmerzen.«

Da war der gleiche Ausdruck in Andreas Gesicht, als sie still im Staub kniete, vor sich Teile von Knochen, Schnäbeln und Federn, die in der Form eines überfahrenen Vogels ausgestreut waren.

Mit ärztlicher Sorgfalt reinigte sie die Unterseite ihres linken Daumens; dann stach sie mit der scharfen Spitze eines Messers hinein, das sie sich von Tennetty geliehen hatte. Sie ließ ein, zwei, drei dicke Bluttropfen herausquellen und in den Staub und den Wolfskot fallen.

Feuer flammte auf, als sie sprach. Zunächst in einem leisen Murmeln; dann wurde ihre Stimme lauter und klarer. Sie sprach Worte, die nur gehört, aber niemals erinnert werden konnten, glatte Silben, die am Ohr und der Erinnerung vorbei verschwanden. Die Fackeln flackerten höher, als sie die flüchtigen Verse herausschrie.

Für einen Augenblick, nur für einen einzigen Augenblick dachte ich, daß nichts geschehen würde. Es gibt einen Teil in mir, der nicht wirklich an Magie glaubt.

Aber dann krümmte sich eine Feder, und ein Knochensplitter fing an zu vibrieren, und die gekrümmte Feder erhielt Gesellschaft von einer weiteren, die weiß und durchscheinend wie der Knochen aussah. Und dann fügte sich noch eine dazu und noch eine. Teile von Federn und Knochen, die zugleich Wirklichkeit und bleiches Trugbild waren, vereinigten sich zu einem Vogel und schwangen sich in die Lüfte.

Ahira und Tennetty saßen schon auf ihren Pferden; die stumpfen Enden ihrer Speere ruhten auf den Steigbügeln.

Andrea erhob sich. Im Licht der Fackeln leuchtete ihr Gesicht bleich und verschwitzt. »Schnell jetzt«, zischte sie hastig, »der Vogel wird versuchen, sich auf halbem Weg zwischen mir und dem Wolf zu halten. Wir müssen uns beeilen.«

Wir galoppierten auf die untergehende Sonne zu.

Nur um mal deutlich zu machen, was für ein Hammel ein Kerl aus New Jersey sein kann - ich dachte doch tatsächlich, daß ein galoppierendes Pferd zu reiten ungefähr das gleiche sei, wie ein schnelles Auto zu fahren. Ja, ich glaubte, man müßte sich nur Sorgen darum machen, nicht in irgendwas hineinzureiten, aber nicht um die eigene körperliche Belastung, höchstens um die des Pferdes.

O ja, ich wußte schon 'ne Menge damals.

Wir galoppierten Wege hinunter, jagten quer über Felder, ohne uns um Flurschäden zu kümmern, aber immer das Unheil vor Augen, das eine Meute Wölfe unter dem örtlichen Viehbestand anrichten konnte. Trotzdem vermieden wir, quer durch die Wälder zu reiten.

Vor uns flatterte, gerade noch sichtbar, der Vogel. Er verzögerte ständig, flog aber immer ein bißchen zu schnell, immer ein bißchen zu weit vor uns, so daß wir die Pferde nicht langsamer laufen lassen konnten. Auf einem schnell galoppierenden Pferd zu reiten ist ganz schön anstrengend.

Ja, meine Stute übersprang zwar die Entwässerungsgräben, aber ich mußte mich dabei auf ihrem Rücken halten, und die Landung war genauso hart für mich, als hätte ich den Sprung selbst getan. Ganz abgesehen davon, daß der Sattel des gewöhnlich im Handgalopp und nur zeitweise im Vollgalopp laufenden Pferds drohte, mir das Steißbein in den Schädel zu rammen.

Ich war drauf und dran, nach einer Rast zu verlangen - als Ausrede wollte ich vorbringen, daß ich dachte, die Pferde könnten nicht mehr -, als der Vogel am Rande eines Feldes genau auf einem knorrigen Baumstumpf landete und sich dann in eine Wolke von Federn und Knochen auflöste.

Ich schaute zu Andrea hinüber.

Sie nickte; der Spruch hatte sich aufgelöst, weil wir angekommen waren und nicht, weil die Magie erschöpft war.

Die untergehende Sonne verschwand hinter den Bäumen, und in ihrem Schatten wurde es dunkel und unheimlich.

Ahira war mit seinem Eberspieß in der Hand bereits abgestiegen. Er rammte ihn in den Boden, griff nach seiner Armbrust, spannte sie schnell und legte einen Bolzen ein.

»Tennetty, halte du deinen Speer bereit, aber holt Gewehr und Bogen heraus. Andrea, die Flinte entsichern ...«

Ich glitt aus dem Sattel und spannte meinen Bogen.

Ahira schüttelte den Kopf. »Nein, Walter, du umgehst sie und treibst sie auf uns zu.« Er warf mir zwei Granaten zu.

Ich kicherte tapfer, als ich die Granaten in meine Weste stopfte. Nun gut, es sollte ein tapferes Glucksen werden, aber für mich hörte es sich aufgesetzt an; ich hoffte nur, daß die anderen nicht so aufmerksam waren.

»Und was ist, wenn sie sich entschließen, auf mich zuzurennen anstatt auf euch?«

Er kicherte zurück. »Dann schlage ich vor, daß du auf einen Baum kletterst. Los jetzt.«

Durch die Wälder zu schleichen, ist nur zum Teil eine Kunst, hauptsächlich ist es Handwerk. Es ist egal, wer oder was du bist, wenn du versuchst, auf einem Waldboden zu gehen. Mit Zweigen, trockenem Laub und Gott weiß was sonst noch unter den Füßen wirst du unvermeidlich Geräusche machen. Der Trick besteht darin, auf festem Sand zu gehen, auf ebenen Felsen oder grünem Gras. Das kann ein bißchen kompliziert werden, wenn du dich dann auch noch darum bemühst, in der Nähe tiefhängender Zweige zu bleiben.

Auf der windabgewandten Seite schlug ich einen Bogen um die Stelle, wo sich das Wolfsrudel aufhalten sollte, und machte dabei mehr Lärm, als mir lieb war, aber nicht so viel, daß es über größere Entfernung trug. Der Plan sah vor, daß ich die Tiere erschreckte und in Richtung meiner Freunde trieb.

Eine nette Sache, die man seinen Freunden da antut, nicht wahr?

Schön, es war Ahiras Plan gewesen, nicht meiner. Es sollte aber eigentlich keine Schwierigkeiten geben - dafür waren die Gewehre und der Bogen da. Doch darum brauchte ich mich nicht zu kümmern, jedenfalls im Augenblick nicht. Ich machte mir Sorgen darüber, wie ich am Leben bleiben konnte, ohne gebissen zu werden, während ich die Meute aufstöberte.

Hmm. Wenn ich ein Wolfsrudel anführen würde, hätte ich Wachen in einiger Entfernung von der Hauptgruppe aufgestellt. Es war ein interessantes mathematisches Problem - je weiter der Kreis der Posten gezogen wurde, desto früher konnten sie Alarm schlagen, aber desto mehr Wachen waren erforderlich. Wahrscheinlich eignete sich hier eine Art Minimax-Lösung, oder die Spieltheorieanalyse, aber ich glaube, daß Wölfe weder das eine noch das andere beherrschen.

Die andere Möglichkeit war natürlich, entweder anstelle oder zusätzlich zu den Posten einen Wachmann regelmäßige Rundgänge machen zu lassen.

Ich weiß nicht, ob es ein Posten oder ein umherstreifender Wächter war, der mich ansprang. Fast ohne das Rascheln eines Blatts oder Zweigs schossen zweihundert Pfund dichtes Fell und fürchterlicher Gestank aus den dunklen Büschen auf mich zu, die Zähne unfehlbar auf mein Bein gerichtet.

- Das nicht mehr dort war.

Emma Slowotskis kleiner Sohn trödelt nicht herum, bis er von einem Wolf gebissen wird. Ich tänzelte ihm aus dem Weg und versetzte ihm einen Tritt, als er an mir vorbeisprang. Ich verletzte ihn nicht, aber es lenkte seinen Sprung hinter mich.

Bis er sich umgedreht hatte, war ich schon beim nächstbesten Baum und zog mich auf einen dicken Ast. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Magen irgendwo in meinen Stiefeln hängen.

Während ich weiter die Äste hochkletterte, hörte ich Rufe und Schüsse aus einiger Entfernung, aber sie schienen mir unwichtiger zu sein als die Art und Weise, wie der Wolf an der Borke des Baumes kratzte und sich bemühte, mich zu erreichen.

Er heulte einmal kurz auf, dann wurde er still - er fletschte weder die Zähne, noch knurrte er. Die Stille war erschreckender, als ein Knurren es gewesen wäre. Am meisten aber erschreckte die Art, wie er sich zum Sprung niederduckte.

Ich weiß, daß ich eigentlich in jeder Situation vollständig gelassen und ruhig bleiben sollte, aber das steht nur im Drehbuch, es hat nichts mit der Realität zu tun. Meine Finger zitterten, als ich eine Granate aus der Weste zog und versuchte, die Lunte an einer Reibfläche an der Seite anzureißen. Nach den Schüssen und Rufen zu urteilen, die aus der Entfernung zu hören waren, klang es so, als wenn der Kampf dort bereits entbrannt war, aber es erschien mir trotzdem sinnvoll, irgendwelche zurückgebliebenen Wölfe aufzuschrecken und auch noch in jene Richtung zu treiben.

Unterdessen belauerte mich mein neuer Freund zwischen seinen Sprüngen, die seine furchtbaren gelben Zähne bis auf wenige Zentimeter an meine Fersen brachten. Ich erwog den Versuch, mich ganz auf den Ast zu ziehen und auf ihm zu stehen, anstatt zu sitzen. Doch fürchtete ich, dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Ich hätte ihm zwar gern auf die Nase getreten, aber es blieb bei dem Wunsch.

Es kostete mich drei Versuche, bevor die Lunte der Granate zu sprühen anfing. Dann warf ich sie mit aller Kraft in die Richtung, von der ich hoffte, daß sich dort das Rudel befand. Dann wandte ich mich wieder dem einsamen Wolf zu.

Ich wünschte, ich hätte etwas Kluges oder Heldenhaftes zu berichten, aber ich zog nur eine von meinen beiden Pistolen heraus und spannte sie. Als der Wolf sich das nächste Mal für einen Sprung sammelte, bot er mir ein gutes Ziel. Ich legte an und zog den Abzug vorsichtig durch. Nach unten zu schießen gilt als schwierig, aber nur, wenn man auf größere Entfernung nach unten schießt - man neigt dazu, für die horizontale Komponente beim Anvisieren des Ziels einen Ausgleich zu schaffen.

Aber bei unserem Wölfchen, das sich ungefähr zwei Körperlängen unter mir befand, legte ich nur mein Schießeisen auf seinen unteren Brustbereich an und zog den Abzug durch. Ich wurde belohnt durch einen Knall, eine Wolke fauligen Rauchs und Spritzer aus Fleisch und Blut aus seinem Halsansatz.

Er taumelte ein halbes Dutzend Schritte zurück; dann brach er zusammen und beobachtete mich aus glasigen Augen, während ich hinabkletterte.

Es war nichts Persönliches, jetzt nicht mehr. Wölfchen hatte nur sein Rudel verteidigt, so wie ich meins beschützte. Nur, daß ich nun mal mit Waffen ausgerüstet war, denen er - genetisch bedingt - nichts entgegenzusetzen hatte. Ich sollte eigentlich sagen, daß es mir leid tat, aber das tat es nicht.

Mir tat nur leid, daß wir auf verschiedenen Seiten standen. Als ich an ihn herantrat, erinnerte er mich an einen alten Freund, so wie er knurrte. Die Zähne zu einem letzten Wunsch entblößt, noch einmal das Blut eines Feindes auf der Zunge zu spüren.

Ich ließ eines meiner Wurfmesser in die Hand gleiten und schleuderte es mit Wucht. Die Spitze grub sich in seine Kehle und trennte die Halsschlagader durch. Blut tränkte seine Brust und rann dunkel auf den Boden.

Er starb schnell.

Ich weiß, daß die Granate irgendwann während dieser Ereignisse detoniert war, und ich weiß, daß von mir erwartet wird, daß ich in der Lage bin, auf alles zu achten, was um mich herum geschieht. Aber ehrlich gesagt, kann ich mich nicht erinnern, wann es geschah. Sieh es mal so, ich bin kein Held, aber es war nicht Feigheit, die mich noch für einige Zeit bei dem toten Wolf verharren ließ.

Ich glaube, der Grund war, daß ich mich einfach beschissen fühlte.

Mir war danach, dem toten Körper einen versöhnlichen Klaps zu geben, aber das hätte auch nichts geändert. So eilte ich fort in den Wald.

Dichtes Unterholz zerrte an mir, alles war in schummriges Licht getaucht. Mein Orientierungssinn ist unfehlbar, daher wußte ich, daß ich nur wenige Fuß vom Rand des Gehölzstreifens entfernt war, wo er in gerodetes Land überging. Aber bei meinem Leben, ich konnte es nicht sehen.

Plötzlich brach ich durch die Büsche und trat in weichen Matsch und auf ein Schlachtfeld, das in das rote und orangene Licht der untergehenden Sonne getaucht war.

Es war noch zu hell für die Sterne, aber das Elfenlicht wirkte schon. In seinem Pulsieren sah ich Wolfskörper und Teile von Wölfen über das Feld verstreut liegen, den meisten ragten Pfeile aus ihren reglosen Leibern, einige waren von bleiernen Zähnen zerrissen worden. Einer hatte sich durch den Hagel von Blei und Stahl durchgekämpft, um Ahira zu erwischen; er lag auf dem Boden und rang immer noch an der Spitze des Eberspießes um sein Leben.

Nur einer stand in Angriffshaltung vor Andy und Tennetty.

Ahira befreite seinen Eberspieß mit einem heftigen Ruck, der den Wolf noch einmal aufzucken ließ, und drehte sich herum, um dem letzten Angreifer entgegenzutreten.

Nur, daß es kein Wolf war.

Er sah aus wie ein Wolf, das stimmt, auch wenn es sich um ein übergroßes, graues Exemplar handeln mochte. Bis er sich rührte, ging ich davon aus, daß wir den Leitwolf vor uns gehabt hätten. Doch er bewegte sich nicht in den Gelenken, so wie es jedes andere Tier tat, er floß wellengleich mit schlangenartigen Beinen, anstatt seine Glieder einzuknicken.

Tennetty schoß eine Pistole auf seine Flanke ab, aber entweder traf sie nicht, oder es verursachte keinen großen Schaden. Er schüttelte sich nur und duckte sich zum Sprung. Kein Laut kam zwischen seinen entblößten Zähnen hervor.

Andy riß ihr Gewehr hoch, aber sie war nie eine gute Schützin gewesen; der Schuß ließ nur Erde aufspritzen.

Das Wolfsding sprang auf sie zu.

Im selben Augenblick trieb Ahira seinen Eberspieß in die Brust der Bestie. Dabei stöhnte er vor Anstrengung. Er schob die dreigeteilte Spitze des Speeres nicht nur durch das Wolfswesen, sondern noch volle zwei Fuß in den weichen Untergrund und spießte ihn auf wie einen Käfer im Schaukasten.

Seine Beine krümmten sich wie Schlangen, und sein Körper schüttelte sich in Wellen von der Nasenspitze bis zum Schwanz. Seine glänzenden Augen wurden stumpf und glasig, dann dunkel, als das Schaudern verebbte. Ahira stieß noch einmal zu und ließ den Spieß dann los.

Ich war über das matschige Feld auf sie zugerannt und dabei mehr als einmal gestrauchelt, so daß ich fast hingeschlagen wäre - der Himmel allein wußte, was ich auf die Entfernung hätte tun können. Jetzt beruhigte ich mich und ging langsam hinüber. Wenn der Feind tot ist, braucht man sich nicht mehr zu beeilen.

Tennetty ließ die Schwertspitze sinken und reinigte die Waffe an ihrem Beinschutz, bevor sie die Klinge in die Scheide schob. Dann ging sie zu einem anderen Eberspieß hinüber, der aus dem Körper eines toten Wolfs ragte, setzte ihren gestiefelten Fuß auf den Brustkorb des Wolfs und riß den Speer frei. Wie ein Bauer auf seine Heugabel stützte sie sich auf den Spieß.

»Verdammt, Walter«, rief sie aus, »du hast den ganzen Spaß verpaßt!«

Es war gefährlicher geworden, als unser Plan vorgesehen hatte. Eigentlich hätten die Wölfe nur wegrennen und einzeln mit Bogen und Gewehr erledigt werden sollen, statt daß sie alle zugleich angriffen. Ahira mit seinem Eberspieß war als eine Art stille Reserve gedacht gewesen, um zu erledigen, was die Gewehre und Bögen nicht vermocht hätten.

Ahira stolperte ein oder zwei Schritte beiseite, hockte sich auf den weichen Untergrund und ließ sich heftig keuchend zurückfallen.

Ich stand neben ihm. »Ist wohl ein bißchen eng geworden, was?« Ich bot ihm meine Hand, aber er schüttelte den Kopf.

»Zu eng«, erwiderte er, »sie haben als Team gearbeitet. Vermutlich wurden sie von diesem Wesen angeleitet.« Er machte eine schwache Handbewegung zu dem Wolfswesen am Boden. Der Spieß steckte immer noch tief in ihm.

Andrea lächelte, als sie über ihre Braue strich. »Jetzt weiß ich, warum ich euch immer die Drecksarbeit machen lasse.« Sie wies auf das Wolfswesen. »Was ist das?«

Ahira schüttelte den Kopf. »Es gibt Gerüchte darüber, daß sonderbare Dinge aus Faerie herüberkommen. Sieht so aus, als hätten wir gerade eines davon getötet.« Sein Mund verzog sich zu einem schmalen Strich; dann entspannte er sich wieder. Jetzt nach seinem Tod spielte es keine Rolle mehr, was es gewesen war.

Ich hob gerade an, etwas zu sagen, zweifellos etwas Kluges, doch Andys Augen weiteten sich, und ihr Mund stand offen.

»O mein Gott!«

Das Wolfswesen hatte sich erhoben. Seine zuvor stumpfen Augen glühten jetzt, sein Körper wallte um den Eberspieß wie Wasser. Es schüttelte sich wie ein Hund und wirbelte dadurch den Speer durch die Luft. Nicht die kleinste Wunde hatte der Spieß in seinem dunklen Fell hinterlassen.

Oh, verdammt!

Das Wolfswesen machte knurrend einen Schritt auf Ahira zu und duckte sich zum Sprung.

Tennetty hielt mit ihrem eigenen Eberspieß auf das Wesen zu, aber sie überschätzte sich. Eine grauhaarige Pfote bewegte sich knochenlos, wischte den Speer achtlos aus ihren Händen. Sie griff nach ihrem Schwert, als das Wesen auf sie zusprang.

Ahira war zu weit entfernt. Er befand sich zwischen Andy und der Stelle, wo das Wolfswesen Tennetty wütend angriff. Blieb nur noch ich, um einzuschreiten.

Die einzig richtige Reaktion, die einzig sinnvolle Handlung wäre für mich gewesen, Distanz zu halten und ein Wurfmesser an die richtige Stelle zu schleudern. Das Dumme an diesem Plan war nur, daß die beiden so schnell herumrollten, daß es keine Möglichkeit gab, diesen Plan auszuführen - ich hätte viel zu leicht Tennetty verletzen können. Aber da war ja noch immer der Behälter mit dem Drachenknochenextrakt in meiner Weste; ich konnte etwas davon auf die Klinge auftragen und darauf hoffen, daß wir es hier mit einer der Kreaturen mit magischem Metabolismus zu tun hatten, die von Drachenknochen vertrieben werden.

In diesem Fall wäre es das Dümmste gewesen, auf seinen Rücken zu springen und zu versuchen, ein Messer genau zu plazieren. Nur ein Idiot hätte das versucht, und ich bin keiner. Karl war ein Idiot gewesen - denn genau das wäre sein Stil gewesen.

Meiner nicht, ich bin zu gescheit.

Meine Reflexe dagegen verhielten sich dämlich: Bevor ich noch richtig wußte, was ich tat, hatte ich eine meiner therranjschen Garrotten aus der Weste gezogen und war dem Biest auf den Rücken gesprungen.

Tennettys Arm war entweder absichtlich oder zufällig zwischen seine Zähne gerammt. Es war das einzige Mal, daß ich Tennetty schreien gehört habe. Die Kreatur hatte ihre Brust und ihren Torso auf den Boden gedrückt, umschloß Tennettys Hüfte und drohte sie einzuhüllen und zu verschlingen.

Ich warf einen Arm um seinen Nacken und verkrallte mich auf seinem Rücken wie ein Reiter auf einem durchgegangenen Pferd. Aber es war, als wollte man sich an einen festen Pudding krallen. Es gab keine harten Muskeln, keine Knochen, an denen man Halt fand. Irgendwie - weiß der Himmel wie - schaffte ich es, meine Füße unter ihm zu verschließen, als ich versuchte, die Garrotte um seinen Hals zu legen, aber Tennettys Arm war im Weg.

»Laß los!« rief ich. »Um Himmels willen, loslassen!«

Irgendwie gelang es mir, den Draht um den Nacken zu legen und den Handgriff durch die Öse zu ziehen.

Ich riß mit einem Ruck, die Garrotte verschwand in dem dichten Fell. Jetzt hätte das Wesen sich erfolglos winden müssen, um seinen Hals aus der Würgeschlinge zu befreien, während es starb - diesmal endgültig. Aber das Wolfswesen hörte nicht auf, im Gegenteil, es steigerte seine Anstrengungen, indem es herumrollte und uns beide fest an den Boden preßte.

Die Lage wurde für einen Moment etwas unübersichtlich, aber ich versuchte dranzubleiben, als Tennetty mit einem harten Ruck herumgeworfen wurde. Plötzlich drehte sich der Hals unfaßbar weit für mich herum, als wir in einem Knäuel auf dem Boden herumrollten.

Ich glaube mich zu erinnern, daß ich ein Wurfmesser in meine freie Hand gleiten ließ und dann zwischen die Rippen des Wesens stieß, aber eigentlich wäre das gar nicht möglich gewesen.

Irgendwann während dieses Gerangeis schaffte es das Wesen, sich von meinem Dolch zu befreien, aber ich krallte mich weiter krampfhaft auf seinem Rücken fest ...

... bis ich trotz eines doppelten Würgegriffs, aus dem sich eine Kreatur mit einem richtigen Rückgrat nicht hätte befreien können, in hohem Bogen weggeschleudert wurde und hart aufschlug.

Einige Fähigkeiten lassen mich nie im Stich; ich landete auf dem Boden und ließ mich gekonnt abrollen. Mein Arm war taub von dem Aufschlag, doch ich rappelte mich gleich wieder auf.

»Er gehört mir«, sagte Andrea Andropolous Cullinane, wobei ihre ruhige Stimme durch die Rufe und das Knurren drang.

Sie hatte ihre rauchende Flinte sinken lassen. Als sie dem Wolfswesen entgegentrat, warf sie trotz der kalten Luft ihren Mantel achtlos auf die Seite. Die tief stehende Sonne hüllte sie in alle Farben des Feuers. Ahira war schon an ihrer Seite, jetzt mit seiner Axt in den Händen, aber er zog sich auf ihre Geste hin zurück.

Entschlossen begegnete sie dem Wolfswesen.

»Hinfort, du wirst den Meinen und mir nicht schaden«, sagte sie, »ich sage es nur einmal.« Sie warf den Kopf zurück und schüttelte die Haare aus dem Gesicht. Ihre Zunge schlängelte sich heraus und berührte ihre vollen Lippen einmal, zweimal, dreimal.

Das Wolfswesen unternahm einen zögerlichen, schwebenden Schritt auf sie zu.

Ihr Lächeln war dünn, als sie eine Hand hob. Ihre kräftigen, schlanken Finger peitschten die Luft vor ihr. »Hebe dich fort, jetzt und für alle Zeiten. Ich befehle es dir zum zweitenmal.«

Ein tiefes Trommeln erfüllte die Luft, als sie die Arme nach vorne warf, die gekrümmten Finger gespreizt.

Das Licht der untergehenden Sonne verflüssigte sich, Streifen glimmenden Honigs wallten über ihre Finger und tropften um sie herum auf den Boden. Bei der Berührung mit dem flüssigen Licht flammten Reisig und verwelkte Pflanzenteile auf. Die Erde selbst begann zu rauchen.

Heißer als ein Schmiedefeuer schlug mir die Hitze ins Gesicht.

»Zurück, zurück!« rief der Zwerg.

Sein Gesicht war rot und verschwitzt. Ahira nahm Tennetty unter den einen Arm, umschlang meine Taille und zog mich rückwärts, obwohl ich wirklich keine Extraeinladung gebraucht hätte. Ich konnte mich von dem Bild noch immer nicht abwenden.

Andrea trat geschmeidig einen Schritt auf das Wolfswesen zu. Einen Fuß schwang sie zur Seite und setzte ihn fest auf den Boden; ihre Hüften schwang sie mit einer mahlenden Intensität, die beinahe als erotisch zu bezeichnen war. Oder vielleicht nicht nur beinahe - ich weiß nicht viel über Magie.

Als sich die Kreatur zu einem Sprung duckte, ließ Andrea Lichtstrahlen zwischen ihren Fingern hervordringen.

»Hebe dich fort, befehle ich dir zum dritten und letztenmal.«

Sie senkte die Stimme, und der Lichtstrom versiegte langsam. Zuerst dachte ich, daß der Spruch nicht wirken würde, aber nein, das Trommeln wurde lauter und schärfer. Lautstärke, Anschlag und die Kraft der Trommel wurden eindringlicher, bis es wie ein Gitarrenriff von Jimi Hendrix klang.

Das Trommeln trieb das Wesen zurück.

Andy streckte die Finger aus und sammelte schwelende Stränge goldenen Dunstes auf. Geschickte Finger, unmenschlich stark und fein, woben die Stränge zu einem Strom geflochtenen, beweglichen Lichts, das von ihren Fingern rann und gegen das Wolfswesen brandete. Wo es vom Strom berührt wurde, loderte es auf und verschleuderte Brocken schwelenden Fleisches in die Luft.

Ich brachte Ahira zu Fall und preßte ihn und Tennetty zu Boden. Andrea schrie harsche, dissonante Silben, die sich kein Mensch merken kann; ihre Kraft wuchs gewaltig und kam auf die Welt herunter. Licht gleißte so hell, daß ich die Augen bedecken mußte.

Gerade noch rechtzeitig. Selbst durch meine schmerzhaft zusammengepreßten Lider blendete mich der Blitz, und Hitze wusch wie eine Welle über mich hinweg.

Das Schlimmste auf der Welt ist, während eines Kampfes blind zu sein. Ich zwang mich, die Augen zu öffnen.

Andy stand auf einem Erdhügel, der aus einer von zwei unregelmäßig geformten Lavapfützen herausragte. Schweiß strömte über ihr Gesicht. Über der anderen Pfütze schwebte eine finstere Wolke, die sich bereits auflöste.

»Hebe dich fort, auf mein Wort«, sagte Andrea ruhig.

»Für hier und jetzt«, fuhr die Wolke mit dunkler, unwirklicher Stimme fort. »Aber du hast mir den Spaß verdorben. Vielleicht werde ich dir eines Tages deinen verderben.«

Andrea murmelte etwas, sah dann erwartungsvoll auf. Nichts geschah. »Wer bist du?« fragte sie.

Die Stimme lachte. Es war kein freundliches Lachen. »Nicht alle deine Gesetze funktionieren bei mir, nur einige. Ich werde dir keine Handhabe geben, mich festzuhalten oder zu formen. Oh, rufe mich mit Boioardo, obwohl das niemals mein Name war und auch jetzt nicht ist.«

Sie murmelte einen weiteren Spruch und hob die Hand, deren Finger schwerfällig gekrümmt waren.

»Oh, gib mir noch etwas Zeit«, bettelte Boioardo, »vielleicht kommt es dir zugute, wenn wir uns an einem Ort mit anderen Regeln treffen sollten.«

Faerie? dachte ich. »Nein, Andy, bring es jetzt zu Ende.« Tennetty kam langsam zu sich. Ich umschlang sie mit dem Arm und war bereit loszurennen. Ich kann besser laufen als der Zwerg - aber wenn Andy das Wesen nicht halten konnte, waren wir alle geliefert.

»Oh, du bist immer so schlau, Walter Slowotski aus Secaucus. Wirst du auch an dem Platz-An-Dem-Die-Bäume-Schreien oder an dem Ort-Wo-Nur-Das-Was-Du-Geliebt-Hast-Dir-Helfen-Kann so schlau sein?«

»Selbstverständlich.« Ich setzte ein Lächeln auf. Angabe ist immer ein billiges Vergnügen. »Ich werde sogar noch gerissener sein. Das gehört zu meinem Charme.«

Vielleicht wurde es doch kein billiges Vergnügen - die Dunkelheit rückte auf mich zu.

»Nein! Verschwinde!« rief Andrea und streckte die Finger aus. Sie murmelte ein anderes Wort, und Wind blies die Finsternis in das Licht der untergehenden Sonne.

Es war fort. Wir standen allein in der Dämmerung. Kleine Rauchfahnen stiegen vom Feld auf. Ahira hatte sich über Tennetty gebeugt und versorgte ihre Wunden, Andrea stand auf dem Erdhügel, der sich über der abkühlenden Lavapfütze erhob. Ihr Gesicht war gerötet und ihr ganzer Körper schweißbedeckt.

Geschmeidig drehte sie sich um, schwebte wie ein Tänzerin. »Liebe Freunde, ich glaube, darauf genehmige ich mir ein Bravissimo!« Mit Leichtigkeit setzte sie über die Lava, machte drei Schritte auf uns zu - und fiel in Ohnmacht.