14. Kapitel

Unliebsamer Besuch

Sandy stand starr auf der Veranda, Nate lehnte beklommen am Türrahmen. Lilli war schon hineingegangen und wartete in der Eingangshalle auf ihn.

«Nate«, sagte Sandy, «von allen schlechten Ideen gehört diese definitiv zu den zehn schlechtesten.«

»Welche Idee denn?«

»Dass sie bei dir übernachten soll.«

»Ich helfe einer Freundin.«

»Du lässt einen vagabundierenden Hüter bei dir schlafen, der gerade all seine Dämonen verloren hat.« Sandy schüttelte den Kopf. »Mann, ich höre mich ja schon an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.«

»Doch, hast du«, beruhigte Nate sie. »Geh nach Hause. Wir sehen uns morgen.«

»Ich bin ganz früh zurück ...«, kündigte Sandy an.

Mit einer Handbewegung bedeutete Nate der Tür, sich zu schließen.

PENG!

Er wandte sich zu Lilli um. Plötzlich waren sie allein. Nate merkte, dass er sie anstarrte.

»Tut mir leid, dass du alle deine Freunde verloren hast«, sagte er. Lilli zuckte zusammen, und er wusste sofort, dass er das Falsche gesagt hatte. »Aber wenn du möchtest, werde ich dein Freund sein«, fügte er rasch hinzu.

»Danke«, murmelte Lilli und schaute sich um. Sie konnte Nates Dämonen sehen – den senffarbenen Teppich, der ahnungslosen Gästen ein Bein stellte, den wackeligen laufenden Beistelltisch und den Kronleuchter, der Big-Band-Lieder aus dem Ballsaal klimperte, in dem er vor fünfzig Jahren gehangen hatte.

Nate sah, dass sie noch nicht bereit war zu reden, und führte sie zum Flur.

Zoot trottete ihnen nach und blickte sich neugierig um. Während Lilli und Nate davongingen, bildete der indische Teppich einen Wulst unter einem von Zoots Clownsfüßen. Der kleine Kerl purzelte zu Boden, und sein birnenförmiger Körper kullerte durch die Eingangshalle.

Nikolai kam angerannt, stoppte Zoot wie einen Fußball und versetzte ihm einen sanften Tritt. Der pummelige Dämon kullerte über den Teppich zurück und prallte gegen die Haustür. Pernikus hielt sich vor Lachen den Bauch, während Zoot hin und her rollte und versuchte sich aufzurappeln.

Hi-hi-hi-hi-hi!

Zoot rammte seinen Dreizack in den Holzfußboden und zog sich hoch, während Nik und Pernikus kichernd durch die Eingangshalle tobten. Zoot blickte ihnen funkelnd nach und watschelte am Teppich und an den beiden Gehilfen vorbei, um den Hütern zu folgen. Dabei hielt er ihnen lässig den Dreizack entgegen und sprenkelte sie von Kopf bis Fuß mit gelben Farbtupfern.

Als Zoot um die Ecke verschwand, sahen Nik und Pernikus sich an. Sie prusteten los und zeigten auf die gelben Punkte des anderen. Dann blickten sie an sich selbst hinab und stellten fest, dass sie beide mit den Tupfern übersät waren. Sofort erstarb ihr Gekicher.

»Ich habe noch nie so viele Dämonen an einem Ort gesehen«, sagte Lilli leise.

Nate war froh, dass sie wieder sprach. Sie hatte ihm nur einsilbige Antworten gegeben, seit sie den leeren Anhänger verlassen hatten. Vielleicht konnte er sie zum Reden bringen, dachte er.

»Das ist nicht meine persönliche Sammlung«, sagte er. »Meine Vorgänger haben sie über mehrere Jahrhunderte zusammengetragen. Ich bin nur derjenige, der gegenwärtig für ihren Schutz verantwortlich ist. Und heute Nacht auch für deinen. Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Nein«, sagte sie und ging weiter.

Nate trottete ihr nach und versuchte es erneut. »Sei vorsichtig mit dem Spiegel in der Eingangshalle«, warnte er sie. »Wenn man nicht hinschaut, zeigt er einen in Unterwäsche.«

Während sie weitergingen, erklärte er ihr die anderen sonderbaren Möbelstücke, beeilte sich, ihr jede Tür zu öffnen, und verscheuchte heimtückische Dämonen, die versuchten, Lilli ein Bein zu stellen, sie zu erschrecken oder sie anzuspringen, um sich in ihren wilden Locken zu verheddern. Er klaubte den alten, in der Mitte mit Klebeband umwickelten Besen auf, um damit einen marodierenden Kaugummiklumpen abzulenken, der zuerst versuchte, sich an Lillis Schuhsohle zu heften, und dann, als sie ihm instinktiv auswich, auf ihren Kopf zuschnellte. Nate traf ihn mitten im Flug und beförderte ihn rückwärts durch den Flur. Der dämonische Kaugummi war dafür bekannt, sich an Schuhsohlen oder im Haar festzusetzen, obwohl er Letzteres für gewöhnlich tat, während seine Opfer schliefen.

Sie gingen an den zänkischen Wandmasken vorbei, die Lilli bewundernd nachpfiffen.

«Hört auf damit!«, zischte Nate. »Für so etwas ist sie im Moment nicht empfänglich.« Er hielt der Holzmaske den Mund zu und schob Lilli an den beiden vorbei und um die Ecke herum, wo Dhaliwahls Wandgemälde von skelettartigen, schmerzerfüllt wimmernden Gestalten hingen.

»Ölgemälde«, sagte Lilli und fühlte sich augenblicklich wieder an ihren schrecklichen Verlust erinnert. Sie blieb stehen und starrte die Bilder an.

Nate störte sie nicht in ihren Betrachtungen.

»Wunderschön und so traurig«, sagte sie und ließ sich in den Bann der makabren Gestalten und düsteren Farben ziehen, als könnten sie einen Teil ihres Schmerzes absorbieren. »Sie strahlen etwas Schuldbewusstes aus, dunkle Geheimnisse.«

»Ich weiß«, sagte Nate. »Obwohl ich mit zahllosen Dämonen zusammenlebe, sind mir diese Bilder noch immer unheimlich.«

»Wer hat sie gemalt?«

»Mein Vorgänger. Ich glaube, er hat darunter gelitten, dass er seinen eigenen Lehrmeister mit einem menschenfressenden Ungeheuer im Keller eingesperrt hat.«

Lilli blickte nervös über die Schulter.

»Ist eine lange Geschichte«, sagte Nate. »Geh einfach nicht in den Keller. Die Sache ist die, es war nicht seine Schuld. Er musste es tun. Wahrscheinlich wirkt das Bild deshalb so schuldbewusst.« Nate deutete auf ein Gemälde, das einen Jungen zeigte, der sich verzweifelt gegen eine Tür stemmte.

»Das Gleiche gilt für dieses hier«, sagte Lilli, als sie weiterging und vor ein anderes Bild trat. »Das hier mit dem zerstörten Segelboot.«

Ihr Rundgang führte sie durchs Speisezimmer, wo sie den ruhelosen Klauenfüßen des massiven Esstischs gegenüber respektvoll Abstand hielten, um nicht aus dem Tritt zu geraten.

»Was glaubst du, warum können wir die Dämonen sehen?«, fragte Lilli zerstreut.

»Ich denke, es kommt daher, wenn man unter chaotischen Umständen aufwächst«, sagte Nate, »aber das allein reicht nicht. Jemand muss einen darauf hinweisen, dass die verrückten Dinge, die man erlebt, nicht normal sind. Dann erkennt man ihr wahres Wesen. Mir hat es Dhaliwahl erklärt.«

Sie gingen ins Arbeitszimmer. Die Couch rückte schnell genau an die falsche Stelle, und ein kleiner Schwarm von Taschenbüchern flatterte zum Bücherregal und türmte sich darin zu einem unordentlichen Haufen auf.

Nate deutete auf den Kamin, wo die Urnen mit der Asche der verstorbenen Dämonenhüter standen. »Meine Vorgänger.«

Er stand schweigend daneben, während Lilli sanft über die Gefäße strich und das Karma der Verblichenen erspürte. Er sah, wie sich bei jeder Urne, die sie berührte, ihr Gesichtsausdruck veränderte.

»Die hier ist leer«, sagte sie.

»Yatabe der Wanderer«, erklärte Nate. »Er wurde aufgefressen.«

Lilli zuckte zusammen und ließ das Gefäß los. Während sie sich nach oben reckte und die letzte, Dhaliwahls Urne berührte, bemerkte Nate das große Tattoo, das zwischen Blusensaum und Rockbund wie ein Graffito auf ihre helle Haut gekritzelt war. Es sah aus wie eine Großstadtsilhouette vor einer Sonne, die unter dem Rock aufging. Doch während er daraufstarrte, veränderte sich das Bild. Die Sonne schien dunkler zu werden und unterzugehen, anstatt aufzusteigen, und er nahm an, dass er das Tattoo zuerst wohl aus dem falschen Blickwinkel betrachtet hatte.

»Es ist spät«, sagte Lilli, und als sie über die Schulter blickte, sah sie, dass Nate ihren Rücken betrachtete. Rasch drehte sie sich um.

Nate zuckte entschuldigend mit den Schultern, aber es half nicht. Selbst bei ihm zu Hause fühlte sie sich nicht sicher und unbefangen.

«Wo soll ich schlafen?«, fragte sie.