8. Der Bauchmensch

»Bratwürstl gehen immer!« Auch spätnachts. Sind ja schnell gemacht. Hier spricht nicht Uli Hoeneß, das sagt Alfons Schuhbeck, der Leibkoch des FC Bayern – über Uli Hoeneß. Bratwürstl für den Metzgerssohn, für den Wurstfabrikanten, klar. Oder Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti, das mag er auch sehr gerne. Sonst noch? Rouladen, Thai-Curry, so etwas. Hoeneß ist ein Liebhaber der einfachen Küche.

»Wenn der Uli nach einem Europacup-Spiel trotz des opulenten Büfetts spätnachts noch Heißhunger hatte, haben wir schnell Fleischpflanzerl gemacht oder Würstl mit Kraut und Zwiebelsenf. Was Deftiges geht immer«, sagt der »Fonse«, wie ihn alle nennen, auch Hoeneß.

Der Fonse ist seit 20 Jahren mit dem FC Bayern unterwegs, kocht vor und nach Europacup-Spielen in den Hotels und liefert das Catering für die Mitarbeiterkantine an der Säbener Straße. Und für Hoeneß ein paar Würstl. Einfache Küche, kein Schnickschnack. »Der Uli war nie der Oberkritische. Hat nie rumgemäkelt, ist überhaupt nicht heikel in diesen Dingen. Nur eines ist ihm immer wichtig: Er achtet auf Qualität, will für die Spieler nur das Beste. Daher kaufen wir bei den Reisen immer frisch am Ort bei den Händlern ein.«

Hoeneß isst leidenschaftlich gern. Auch wenn er dann, wenn er zu gerne gegessen hat, leiden muss. »Ich bin ein Genussmensch. Ich mag keine asketischen Menschen.« Hoeneß hat da klare Positionen, als ginge es darum, für eine Partei Farbe zu bekennen. »Wenn ich einen Schweinsbraten sehe, dann esse ich ihn gerne.« Überhaupt, das Fleisch. Beim liebsten Sommerhobby der Deutschen ist Hoeneß ganz vorne mit dabei: »Ich bin ja ein Großmeister des Grillens. Da bin ich König.« Nach dem Umbau des Trainingszentrums an der Säbener Straße hat er nun sogar die Gelegenheit, am Arbeitsplatz zu grillen – auf der Dachterrasse. Als diese im Sommer 2008 eingeweiht wurde, gab es Bratwürstl, natürlich aus der eigenen Firma.

»Jedes Kilo, das ich wiege, hat viel Spaß gemacht.« Sein Motto: Lieber ein Kilo zu viel als eins zu wenig. Das Wort Idealgewicht ignoriert er heute. Als Spieler war er einst fast gertenschlank, pfeilschnell. Und was er sich heute auf den Tisch stellt, gestattet er auch anderen. Seine Spieler dürfen aber kein Übergewicht haben, seine Frau Susi schon. Zu ihr sagt er, sie könne ruhig zwei, drei Kilo mehr haben, er würde sie dann genauso gern mögen.

Als Hoeneß 2005 wegen einer Wette um eine vierstellige Summe für wohltätige Zwecke mit den Bayern-Profis Salihamidzic und Jeremies innerhalb von zwei Monaten 16 seiner damals 113 Kilo abnahm, steigerte er sich richtig hinein. »Wenn er eine Diät macht, gibt’s nur Fisch, keine Soße dazu, nichts. Am Abend höchstens mal zur Belohnung ein Glaserl Wein, mehr nicht«, erzählt Schuhbeck: »Bei freier Auswahl kann man ihn immer gut beraten, aber wehe, er war auf Diät, dann ließ sich Uli nichts sagen.« Plötzlich waren seine Leibgerichte »Dinge, die tödlich sind«, beispielsweise Kalbsgeschnetzeltes mit Nudeln oder Spätzle. Oder Gulasch. In einem Interview mit der »SZ Wochenende« sagte er der Butter den Kampf an: »Was auch so eine schlimme Sache ist: immer mit Butter. Eine schöne Semmel ohne Butter war ja undenkbar. Jetzt habe ich festgestellt, dass eine Marmeladensemmel auch ohne Butter schmeckt.«

Hoeneß ist ein Gelegenheitsesser – bei einer Pressekonferenz, im Vorbeigehen, im Flugzeug, das Angebot bestimmt die Nachfrage. Und dann diese leidigen Geschäftsessen mit Spielern und deren Beratern, dem Trainerstab, Sponsoren, Journalisten. Neuerdings lauert eine weitere Gefahr: die Verköstigung in den VIP-Bereichen der Stadien. Seit der Manager nicht mehr unten bei den Spielern auf der Bank sitzt, ist er oben auf der Tribüne viel näher dran an den Büfetts. Luxusverpflegung! Er müsse dort sehr auf sich achten, sagt er. Immerhin: Hoeneß hat sein Problem erkannt: »Was ich – in meiner schlimmsten Zeit – im Laufe des Tages zusammengefressen habe. Da einen Keks, hier eine Wurstsemmel, und im Flugzeug, wenn sie dir ein Sandwich anbieten, dann nimmst du das einfach. Lauter so Automatismen, über die man nicht nachdenkt.«

Genussmensch, Gelegenheitsesser, Frustfresser. »Wenn ich Probleme habe, kann ich an keiner Wurstsemmel und keinem Kuchen vorbeigehen«, gesteht Hoeneß. »Meine Frau ist da anders, sie hat während der Daum-Geschichte abgenommen wie verrückt. Und ich habe zugenommen wie verrückt.« Da gleicht Hoeneß einem Messgerät: An dem, was er an Kilos auf die Waage bringt, kann man die Tabellenposition des FC Bayern samt aktueller Problemlage ablesen. Doch was tut Hoeneß, der Exfußballer, gegen die Pfunde? Fußball spielen! Jeden Montagnachmittag, so es Termin- und Spielplan erlauben, wird auf einem der Plätze an der Säbener Straße gekickt. Mit dabei in der Riege der Montagskicker ist auch Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, zahlreiche Angestellte wie der Fanbeauftragte Raimond Aumann, Merchandising-Chef Hansi Pflügler sowie Physiotherapeuten und Geschäftsstellenmitarbeiter. Dabei geht es dann zur Sache, die Zeit scheint stillzustehen. Der Ehrgeiz, die Kommandos, die Frotzeleien, alles wie früher. Nur der Schweiß rinnt schneller. Ex-Profis können eben nicht anders – vor allem dann, wenn das Duell zwischen dem »Team Hoeneß« und dem »Team Rummenigge« ansteht. In der Saison 2008/09 kam es sogar vor, dass Trainer Klinsmann und seine Assistenten gegen ihre Vorgesetzten die Schuhe schnürten. Grätschen und flachsen – eine schöne Abwechslung vom Stress des Alltags.

Manchen Kilometer legt Hoeneß auch beim Joggen zurück. Im Weihnachtsurlaub, wenn die Familie in Lenzerheide in der Schweiz beieinander ist, läuft Hoeneß auf 1500 Meter Höhe, sogar durch den Schnee, wenn es sein muss. Fährt er mit den Profis ins Trainingslager, hat er immer die Laufschuhe dabei. Weitaus angenehmer aber ist ihm das Abspecken so ganz nebenbei, bei einer Runde Golf. »Ohne Bewegung geht nichts«, sagt Schuhbeck, »sein Problem ist natürlich der Jo-Jo-Effekt, mir geht’s doch da genauso.« Mal mehr, mal weniger – was sein Gewicht angeht, ist Hoeneß den Launen und dem Tabellenstand ausgeliefert. Im Job sieht er sich als Getriebener, als Rastloser. Ringt er sich aber zu einer Diät durch, freuen ihn die entspannenden Nebenwirkungen: »Auf einmal ist man ganz euphorisch, man lernt seinen Körper neu kennen. Ich schlafe besser, ich nehme die Umwelt viel mehr wahr, ich fühle mich fünf oder zehn Jahre jünger. Das ist ein Riesengewinn an Lebensqualität.«

Von Spiel zu Spiel, von Diät zur Völlerei – der Jo-Jo-Effekt zählt zum Alltag des Uli Hoeneß. Mit der Fülle seines Körpers tritt er für das Wohl des FC Bayern ein. Er ist der Bauchmensch des Vereins. Das gute Gewissen, der Seismograph für alle Stimmungslagen. Auch deshalb haben sie ihre Rollen klar verteilt im Vorstand. Rummenigge gibt den Weltmann, die kühle Eleganz. Er sieht sich als Außenminister, seine Zeit als Aktiver in Italien und der Schweiz sowie seine Sprachkenntnisse dienen ihm als Ausweis für seine Funktion. Anders bei Hoeneß, der die Bundesliga nie verlassen hat. Rummenigge vertritt den Verein in den europäischen Gremien, im Januar 2008 übernahm er die Funktion des ersten Vorsitzenden der European Club Association.

Der Dritte im Bunde ist Karl Hopfner, der »Finanzminister«. Außer auf der jährlichen Mitgliederversammlung, wenn er über Soll und Haben referiert, tritt er öffentlich kaum in Erscheinung. Hopfner ist der einzige gebürtige Münchner und der einzige Nichtexprofi des Vorstands. Als 18-jähriger Hobbykicker erlitt er eine Muskelzertrümmerung im linken Unterschenkel, seither trat er keinen Ball mehr. Als Geschäftsführer begann er 1983, nachdem er sich auf eine Stellenanzeige beworben hatte. Der Industriekaufmann, der sich per Abendstudium zum Betriebswirt fortgebildet hat und in einem Familienbetrieb aus dem Baunebengewerbe in leitender Position tätig war, sagt wie Hoeneß und Rummenigge: »Wir sind keine Bank, sondern ein Fußballklub.« Auch er bevorzugt »eine einkommensorientierte Ausgabenpolitik« – was reinkommt, darf raus. Das Leitmotiv des Triumvirats: »Geld schießt Tore, und Qualität kostet.«

Für Hoeneß, den Schwaben, ist das Geldausgeben immer noch ein unerfreulicher Akt. Es kostet ihn Überwindung. Gerne schickt er daher Hopfner vor. Den Überweisungsschein für die Ablösesummen, zum Beispiel die 25 Millionen Euro für Franck Ribéry, lässt er den Finanzvorstand ausfüllen. Hoeneß: »So viele Nullen könnte ich in einen Scheck gar nicht eintragen.« Die Bayern haben zuletzt ziemlich viele Nullen in Schecks eingetragen, nie zuvor so viele wie im Sommer 2009. Rund 30 Millionen Euro für Mario Gomez vom VfB Stuttgart, anschließend noch einmal 24 Millionen Euro für Arjen Robben von Real Madrid. Schwindelerregende Summen. Aber die Bayern haben ja zwei Jahre zuvor schon geübt: Ribéry, Klose, Toni & Co. kosteten rund 70 Millionen Euro. Eine Portion Größenwahn war den Bayern, speziell Hoeneß, vorgeworfen worden, weil sie in neue Dimensionen vorstießen. Dimensionen, in denen andere Vereine in Europa – Real Madrid oder der FC Chelsea – längst angekommen waren. Abgehoben? Verschwenderisch? Da kann Hoeneß wütend werden: »Wir haben das Geld weder im Lotto gewonnen noch von einer reichen Tante aus Amerika geerbt.« Sondern nur das ausgegeben, was zuvor erwirtschaftet wurde. Die Maxime von Uli Hoeneß lautet: »An dem Tag, an dem unsere Spieler nicht mehr in der Lage sind, den Etat einzuspielen, würde ich nicht zur Bank gehen, um Kredite zu holen, sondern den Spielern sagen: ›So, jetzt müsst ihr mit den Löhnen runter.‹ Denn wenn die Schulden einmal da sind, wenn ich bei jedem Transfer in die Kreditabteilung der Bank gehen muss, ist es schon vorbei.« Kredite, diese furchtbaren Kredite – hierbei muss es sich um die Urangst des Schwaben Uli H. handeln.

Als »Bild« mutmaßte, der Robben-Transfer sei mit Krediten finanziert worden, wurden die Bayern richtig unangenehm, und ihre Anwälte setzten eine Gegendarstellung durch. In diesem Punkt sind sie überempfindlich, gerade Rummenigge: »Wir haben auch den Robben-Transfer aus dem Eigenkapital bezahlt, nicht mit einem Kredit einer Bank finanziert. Wir sind ein total seriös und solide aufgestellter Verein, der finanziell total gesund ist. Diese Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage. Der FC Bayern steht finanziell so gut da wie nie zuvor.« Im Gespräch mit den Münchner Redaktionen drohte er, weitere Gegendarstellungen zu formulieren, gegen jeden, der noch einmal von Fremdfinanzierung schreiben würde. Auf Pump machen die Bayern keine Transfers, damit das klar ist. Die Reaktion der Bosse ähnelt in diesem Punkt jener von Sportlern, die in Dopingverdacht geraten und sofort die Justiz einschalten, um weitere Behauptungen im Keim zu ersticken.

Ein Jahresumsatz von 300 Millionen Euro, ein fast schon routinierter Umgang mit Transfers in zweistelliger Millionenhöhe – für Hoeneß steht dies am Ende einer langen Entwicklung. In der elterlichen Metzgerei in Ulm konnte der kleine Uli beobachten, wie an einem Wochenende rund 500 Mark eingenommen und im Jahr 150 000 Mark Umsatz gemacht wurden. Daher kommt sein solides, bodenständiges Verhältnis zum Geld. Prassen? Ja! Geld leihen? Unmöglich! Nur beim Bau der Allianz Arena wurde ein Kredit aufgenommen.

Selbst als Teenager hätte Hoeneß sich nie Geld geliehen, gerade so, als handele es sich dabei um eine Straftat. Mit 13, mitten in der Pubertät, hatte er nur eine Verlockung im Auge: einen Ball, einen Fußball. Im Schaufenster des Geschäfts Sport Sohn in Ulm lag er. »Ein Flutlichtball, schwarz-weiß, die anderen waren ja braun, für 34 Mark«, erinnert sich Hoeneß. Er wollte diesen Ball. Unbedingt. Doch ihm fehlte das Geld dafür. »Dann habe ich in den Ferien als Beifahrer bei der Firma Gaissmaier, einem Lebensmittelbetrieb, gearbeitet.« Vier Wochen lang fuhr er mit dem Fahrrad jeden Tag zu Sport Sohn, um sich zu vergewissern, dass der Ball noch da war. Als er die 34 Mark endlich zusammenhatte, kaufte er sich das Objekt seiner Begierde. »Damit war ich dann der König. Wenn ich mit diesem Flutlichtball auf die Spielwiese kam, konnte ich sagen: Du darfst mitspielen, du auch, du nicht.« Hoeneß machte die Aufstellung, Hoeneß traf die Entscheidungen. In diesen Momenten erlebte er zum ersten Mal das Gefühl von Macht. Und dass es sich lohnt, beharrlich für eine Sache zu kämpfen.

Auch Ribéry wollte Hoeneß unbedingt haben. Und Klose sowie Luca Toni. Der Sommer 2007 markiert eine Zeitenwende in der Vereinspolitik. Wenngleich Uli Hoeneß immer wieder darauf hinweist, dass der risikoreichste Transfer nicht der von Ribéry, Robben oder Rekordimport Gomez war. Hoch ins Risiko gegangen waren sie früher schon, besonders als sie 1983 für den Kauf des Dänen Sören Lerby die damals überaus stolze Summe von knapp zwei Millionen Mark hinblätterten. Was die Bayern-Oberen heutzutage meiden, war damals unerlässlich. Sie mussten sich an die Kreditabteilung einer Bank wenden. »Wenn das in die Hose gegangen wäre, hätten wir den Laden dichtmachen können«, erinnert sich Trainer Lattek.

Aber 2007 hatte man mit keiner Bank, nur mit dem eigenen Gewissen zu kämpfen. Die Bayern, angetrieben von Hoeneß, gingen neue Wege. »Wir haben uns stets gesagt: Wir machen die Schatulle auf, wenn es mal nicht so läuft. Der Ribéry-Transfer war an der Grenze zur Unvernunft. Wir haben Regeln verändert, die wir 20 Jahre hatten«, erzählt Hoeneß. Das Sammeln der Stars wurde zu einer Obsession, die Bayern waren im Kaufrausch. »Zum Schluss ist ein richtiges Jagdfieber entstanden. Schnell nach Florenz, dann nach Paris – und, und, und.« Ribéry war der Ball im Schaufenster. Als er ihn hatte, war Hoeneß in seiner Welt der König.

Sie umwarben und umgarnten die Transferkandidaten wie ein Bräutigam seine künftige Braut. Es ging um Geld, um die Gehälter – das beste Mittel, um Profis anzulocken. Den Ausschlag für Verein A oder B gibt jedoch dann, wenn die Offerten ähnlich hoch sind, das gute Gefühl. Bei Luca Toni ging die Liebe durch den Magen. Hoeneß lud den Italiener samt seinem kompletten Freundeskreis für ein Wochenende nach München ein, reichhaltige Bewirtung inklusive. Mit vollem Magen sagte Toni zu. Das ist eine der Spezialitäten von Uli Hoeneß. Den Spielern, ihren Frauen, Familien und dem Freundeskreis ein gutes Gefühl zu geben. Rundumversorgung, das Sorglospaket – denn Glück schießt Tore. Und dieses Glück kostet Geld.

Fühlt sich Hoeneß aber im Stich gelassen von Profis, die er rundum versorgt, kann er auch anders. »Da ist das Geschäft, da ist Uli Hoeneß knallhart«, weiß Oliver Kahn aus seinen 14 Jahren im Verein. »Spieler wie Jens Jeremies, die sich für den Verein aufgeopfert, die ihre Gesundheit für den Verein riskiert haben, vergisst Uli Hoeneß nie. Solche Typen bekamen jegliche Unterstützung, auch nach der Karriere. Andersrum aber gilt: Wenn einer den Verein nur abzocken will, wenn er dem Trainer oder dem Manager auf der Nase herumtanzt, kann Hoeneß wirklich ungemütlich werden.«

Hoeneß verlangt von seinen Spielern die Leidenschaft und die Hingabe, die er selbst vorlebt. Nicht nur nehmen, auch geben. Bleibt das aus, droht Liebesentzug. Nicht ohne Vorwarnung. Er warne die Spieler nicht nur einmal, nein zehnmal, versichert Hoeneß. »Wenn dann aber immer noch nichts vom Spieler kommt, dann trennen wir uns. Ganz unsentimental.«

2007 sah sich Hoeneß zum Schnitt gezwungen. Lieb und nett hatten ausgedient – und in der Folge mehrere Spieler. Der Auslöser für den sommerlichen Kaufrausch war das Spiel am 21. April 2007 beim VfB Stuttgart. Mit einem Sieg hätte man die Chance auf die Meisterschaft erhalten können, aber es wurde ein jämmerliches 0 : 2. Ein Resultat, das bei Weitem nicht die Unterlegenheit der Gäste widerspiegelte. Nach dieser Partie war klar, dass die Bayern auf Platz vier verharren würden, einem Platz, der nicht einmal zu den Qualifikationspartien für die Champions League genügte. Die Bayern nur im Uefa-Cup, im »Cup der Verlierer«, wie ihn Franz Beckenbauer stets genannt hatte – was für eine Schmach.

Am Abend vor dem Spiel hatte Hoeneß im Mannschaftshotel zum Team gesprochen. Er versprach eine Extra-Siegprämie – wie er das so oft schon getan hatte. Und das lief laut Kahn meist so ab: »Hoeneß stellte sich hin, sagte: ›So, meine Herren, einmal für alle.‹ Wir wussten Bescheid. Er hat nicht immer sofort eine Summe genannt, oft wurden Prämienpakete geschnürt. Etwa: Für zwei Siege in der Bundesliga und ein Weiterkommen im DFB-Pokal gibt es x-tausend Euro. War man erfolgreich, wurde man bestens entlohnt. Da gibt es keinen großzügigeren Verein als den FC Bayern.« Doch nicht mal Extraprämie half. Selten zuvor in seinen da schon 28 Managerjahren hatten ihn die Spieler so sehr enttäuscht wie an jenem Tag im April. »Was sehe ich auf dem Rasen? Teilweise lustlose, offenbar satte, jedenfalls nicht bedingungslos fightende Spieler«, erinnert sich Hoeneß in einem Interview mit dem »Zeit Magazin«, »da habe mir geschworen, dass für diejenigen, die unseren Einsatz nicht durch totales Engagement zurückgeben, in diesem Verein kein Platz mehr ist. Da habe ich gemerkt, dass du mit deiner Menschlichkeit nicht unbedingt immer weiterkommst.«

Hoeneß schlich mit gesenktem Kopf durch die Katakomben des Stadions, wütend. Aber er sagte nichts. Erst später: »In dieser Phase hatte ich die Schnauze voll. Ich habe immer meinen Kopf für die Jungen hingehalten. Aber da haben die so erbärmlich gespielt, wie Angsthasen. In der Halbzeit habe ich gedacht: So, am Montag fangen wir an einzukaufen.« Erst durch dieses 0 : 2 war es zum Strategiewechsel der Bosse gekommen, zum Jagdfieber nach Ribéry, Toni und Klose. Hier noch einmal die Mannschaft, die es möglich gemacht hatte – manche Fans werden ihr heute noch dankbar sein, sonst hätten sie die Kunststücke eines Ribéry, die Tore eines Luca Toni nie bejubeln können. Die Umbauhelden: Kahn – Lell, Lucio, van Buyten, Lahm – Salihamidzic, Hargreaves, van Bommel, Santa Cruz – Podolski, Makaay. Eingewechselt: Pizarro, Görlitz, Karimi. Sieben Spieler dieser Mannschaft mussten den Verein schließlich verlassen.

Es ist der Job eines Managers, Spieler einzukaufen und zu verkaufen. Viele Volltreffer waren in all den Jahren dabei. Bei manchen Transfers konnte man jedoch den Eindruck bekommen, die bajuwarischen Einkäufer handelten nach zwei Prinzipien. Erstens: Bevor ihn die Konkurrenz kauft, nehmen wir den Mann. Und zweitens: Wer uns im direkten Duell ärgert, wird sofort verpflichtet. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Die Hoeneß sich stets mehr als alle anderen zu Herzen nimmt. Es geht schließlich um seinen Verein, dem er seit 40 Jahren angehört, um sein Lebenswerk.

Der FC Bayern und Uli Hoeneß – diese Kombination gibt es nicht ohne Emotionen. Nicht ohne totale Leidenschaft. Dieses gezogene »totaaaal« ist im Bayern-Jargon das Adjektiv für so vieles, ist eines der von Hoeneß am häufigsten verwendeten Worte. Uli Hoeneß gibt es nur selten in der bedächtigen, in der moderaten Version. Mal heiß- und mal kaltblütig, mal aufbrausend, mal beruhigend. Mal voller Zorn, dann doch auch der ruhende Pol des Vereins. Mal geht mit ihm der Choleriker durch, im nächsten Moment gewinnt der Analytiker die Oberhand. Ein Leben in Extremen, ständig am Anschlag, im Job immer auf Betriebstemperatur, nur zu Hause auf dem Sofa manchmal im Stand-by-Modus. Adrenalin ist sein Körperbenzin. Doch was ist die Quelle, was ist der Ursprung seiner Rastlosigkeit, seines Ich-kann-nicht-anders?

Der Flugzeugabsturz ist es nicht, beteuert Hoeneß immer wieder. Dass er überlebt hat, habe vielmehr seine sozialen Instinkte geschärft, gegenüber denen, die es nicht so gut erwischt haben im Leben. Es war ein anderes »Schlüsselerlebnis«, wie er sagt. Eines, das seine Karriere beenden sollte, jedoch der Anfang war für sein neues Leben. Als er 1979, mit 27 Jahren, geplagt von seinem Kreuzbandriss und schon mehrfach operiert, auf der Massagebank von Josef Saric lag, sagte der zu ihm: »Uli, du musst aufpassen. Sie wollen dich verkaufen, sobald du wieder laufen kannst.« Saric hatte ein Telefonat zwischen Präsident Neudecker und Manager Schwan belauscht. Wenige Monate später musste Hoeneß seine Karriere beenden. Doch er war tief gekränkt, und diese Kränkung prägte seinen zukünftigen Führungsstil. »In dem Moment auf der Massagebank dachte ich: Das wird es bei mir später nicht geben, dass einer, der gerade schwach ist, Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss. Starken muss man manchmal Angst machen, aber Schwache einschüchtern? Das bringen nur Schwache fertig.«

Kurz darauf ergriff Hoeneß die Chance, Manager zu werden. Er verfolgte seine Ziele mit noch größerem Ehrgeiz als zu seiner Zeit als Profi. Das Kuriose war: Er verhandelte fortan zum Teil mit Spielern, die älter waren als er. Wäre die Knieverletzung nicht gewesen, hätte er noch für den FC Bayern auf dem Platz stehen können. Mit seinem Freund Paul Breitner. Er hätte viel Geld verdienen können. Wie Franz Beckenbauer, wie Gerd Müller, vielleicht sogar in den USA. Geplatzte Träume.

»Für mich kommt dieser wahnsinnige Ehrgeiz von Uli Hoeneß daher, dass er seine Karriere viel zu früh beenden musste«, sagt Oliver Kahn, »das ist der Ursprung all seines Handelns als Manager. Die Frage ist nur: Hätte er sich sonst anders entwickelt?« Kahn zuckt mit den Schultern. Der Torwart wollte diesen Weg nicht gehen, nicht der direkte Nachfolger von Uli Hoeneß werden. Ausgerechnet Kahn, der in seiner Karriere für das »Immer weiter! Immer weiter!« stand, wollte sich diesen Job nicht antun. »Beim FC Bayern und in der Person Uli Hoeneß ist dieses gnadenlose Erfolgsdenken verinnerlicht – nur der erste Platz zählt. Sonst nichts. Sonst ist es gleich eine Katastrophe.«

Auch Hitzfeld litt unter dem ständigen Druck des Siegenmüssens: »Dieses Gefühl ist permanent. Man entkommt ihm nicht. Nach einem gewonnenen Spiel denkst du sofort: Wie kann ich das nächste gewinnen? Was muss ich tun? Man fühlt sich wie in einer Mühle. Ein Jahr beim FC Bayern ist wie zehn Jahre bei einem anderen Verein. Es ist sehr schwer, wenn man mittendrin ist, die schönen, die erfolgreichen Momente zu genießen.« Und so war Hitzfeld im Jahr 2001, nach dem Champions-League-Sieg, auf dem Gipfel, bereit, seinen Rücktritt zu erklären. Nur zwei Tage nach dem Triumph von Mailand starten die Bayern, noch schwer verkatert, einen Trip nach New York. Der Manager hat mal wieder ein lukratives PR-Spiel ausgemacht. Auf dem Flug setzt sich Hitzfeld zu Hoeneß, sagt, er möchte etwas besprechen. »Ich habe ihm angeboten aufzuhören. Ich wollte das wirklich«, erzählt Hitzfeld. »Diese drei Jahre seit 1998 hatten mich enorme Kraft und Nerven gekostet. Außerdem wusste ich, dass von nun an die Luft nur noch dünner werden konnte, wir hatten ja alles gewonnen, und daran würden wir gemessen werden.« Hätte Hoeneß eingewilligt, die Ära Hitzfeld wäre nach nur drei Jahren mitten über dem Atlantik zu Ende gegangen. Doch Hoeneß ließ nicht mit sich reden. Nicht einmal diskutieren. »Uli war überrascht und ein wenig aufgebracht über meine für ihn absurde Idee und sagte nur zu mir: ›Ottmar, das kommt überhaupt nicht infrage. Du hast einen Vertrag hier. Wir brauchen dich.‹ Er hat das Gespräch abrupt abgebrochen.«

So ist es vielen ergangen, die mit Hoeneß über einen Abschied oder über ein Angebot eines anderen Vereins reden wollten. Auch Michael Ballack, dem Kapitän der Nationalmannschaft. Er war einer der umstrittensten Spieler, die je das Bayern-Trikot getragen haben. Schon 1999, als Ballack noch für den 1. FC Kaiserslautern spielte, gab es den ersten Kontakt mit Uli Hoeneß. Doch in der Elf der Bayern herrschten damals Effenberg und Matthäus, Ballack zog es vor, zu Bayer Leverkusen zu wechseln. Sein Berater Michael Becker erzählt: »Als Michael dort einen Fünfjahresvertrag unterschrieb, fragte mich Uli Hoeneß mal nebenbei, ob es denn eine Ausstiegsmöglichkeit gäbe. Er beantwortete sich die Frage selbst: ›Also, wenn ich den Vertrag gemacht hätte, dann nach der WM 2002.‹ Ich nickte und sicherte ihm zu, dass wir in Kontakt bleiben.«

Im November 2001 kam Hoeneß wieder auf Becker zu: »Er bestätigte mir noch einmal, dass es richtig war, nicht schon 1999 zu Bayern zu wechseln, dass es aber im Sommer 2002 genau der richtige Zeitpunkt wäre.« Es gab nur ein Problem, erzählt Becker: »Damals gab es auch ein Angebot von Real Madrid. Ich war mehrmals dort, wir waren schon sehr weit. Aber Hoeneß redete auf Michael ein, riet ihm, dass er doch vor der WM 2006 in Deutschland spielen solle. Und dass es nach der WM doch noch früh genug sei, um zu Real Madrid zu wechseln.« Also blieb Ballack in Deutschland, und Bayern verpflichtete ihn zum 1. Juli 2002. Wieder einmal hatte die Überzeugungskraft von Hoeneß gewirkt. Seine Stärke ist das Vieraugengespräch. Hoeneß hatte Ballack von der WM 1974 im eigenen Land vorgeschwärmt, er hatte gemeint, dass es Unsinn sei, vorher im Ausland zu spielen. Ballack war beeindruckt und unterschrieb.

Dreimal in vier Jahren, 2003 unter Hitzfeld, 2005 und 2006 unter Trainer Felix Magath, holte der FC Bayern mit Michael Ballack das Double. In über 100 Jahren Vereinsgeschichte hatten die Münchner das Double zuvor auch nur dreimal (1969, 1986, 2000) gewonnen. Die nationale Bilanz mit Ballack hätte kaum besser aussehen können, aber in der Champions League scheiterte der Klub mit Ballack einmal im Viertelfinale, zweimal im Achtelfinale und einmal sogar schon in der Vorrunde. Bei den Bayern-Fans war der Sachse Ballack nie so richtig angekommen, zu sehr stand er im Schatten von Oliver Kahn oder Mehmet Scholl, außerdem trauerten die Anhänger den rustikalen Führungsqualitäten des Stefan Effenberg nach.

Dennoch begannen im Sommer 2005 Gespräche über eine Vertragsverlängerung über 2006 hinaus. Das Problem damals aus Sicht der Bayern: Würde Ballack im WM-Sommer wechseln, wäre er ablösefrei. Ballack äußerte sich taktisch geschickt: »Ich spiele bei einem Top-Klub, das weiß ich zu schätzen. Die Möglichkeit, hier zu verlängern, ist auch eine sehr schöne Möglichkeit. Aber ich kann mich noch mal verändern.« Die Bayern kämpften. Für sie war es eine Prestigesache, die Angebote von Real Madrid, dem FC Chelsea oder AC Mailand zu kontern. »Wir werden alles tun, den wichtigsten deutschen Spieler beim FC Bayern zu halten«, sagte Rummenigge. Doch Hoeneß war seltsam still in diesen Tagen. Über den Herbst setzten sich die Parteien gegenseitig Fristen, es war ein wildes Hin und Her, man vertagte immer wieder und setzte sich immer wieder zusammen. Am 14. November 2005 kommt es dann zum Eklat. Auf der Jahreshauptversammlung bei Biersponsor Paulaner am Nockherberg verkündet Vorstandsboss Rummenigge in seiner Rede: »Wir haben unser Angebot heute offiziell zurückgezogen!« Beifall. Als der sich gelegt hat, fährt Rummenigge fort: »Wir haben uns heute mit Michael und seinem Berater getroffen. Wir haben vor vier Wochen vereinbart, dass sich Michael heute erklärt oder wir unser gutes und gesichertes Angebot zurückziehen. Das ist heute passiert, nachdem Michael uns mitgeteilt hat, dass er noch keine Entscheidung getroffen hat.« Beifall, Jubel. Rummenigge zum Dritten: »Das heißt nicht zwangsläufig, dass Michael uns verlassen wird. Aber ich sage klipp und klar, dass wir ab sofort den Markt sondieren werden, um nach Alternativen Ausschau zu halten.« Beifall, Jubel, Gegröle. Damit war Ballacks Abschied besiegelt. Und die Gegenseite war massiv verärgert. »Dabei hatten wir die Presseerklärung zum Stand der Verhandlungen vorher im Detail miteinander abgestimmt«, wundert sich Becker heute noch, »und dann trifft mich fast der Schlag, als der Herr Rummenigge das in dieser Bierzeltatmosphäre vor zum Teil alkoholisierten Mitgliedern so anspricht. Ich denke, das war Kalkül, dass die Botschaft so populistisch verkündet wird. Das war eine unschöne Geschichte, das ging gar nicht.« Hoeneß sagt an diesem Abend kein Wort.

Am nächsten Tag rief Becker bei Rummenigge an und beschwerte sich. Ballack habe sich immer korrekt verhalten. Außerdem sei Rummenigge doch 2001 mit im Raum gewesen, als Hoeneß zu Ballack sagte, er könne auch noch nach Abschluss seines Vierjahresvertrages, nach der WM 2006 in Deutschland, ins Ausland wechseln. Für Becker war dieser Vorschlag von Hoeneß der Grund, dass sich der Manager in dieser Kontroverse stets zurückhielt und es immer der Vorstandsboss war, der vorpreschte. Eines aber stand fest: Das Verhältnis zwischen Bayern und Ballack war nicht mehr zu kitten. »Dabei hatte es wirklich eine Chance gegeben, dass Michael doch bleibt«, erzählt Agent Becker, »er lebte mit seiner Frau und den Kindern in einem schönen Haus am Starnberger See, die Familie fühlte sich dort wohl. Sie hätten es sich für ein paar weitere Jahre dort bequem machen können.« Doch »Balle«, wie ihn Becker stets nennt, glaubte nicht mehr daran, dass die Bayern in Kürze wieder die Champions League gewinnen könnten.

Ballack hatte ein Vertrauensverhältnis zu Hoeneß aufgebaut, man duzte sich sogar, der Manager hatte ihn immer fair behandelt. Daher scheute sich Ballack in den Wochen der Unsicherheit in den zweiten Stock der Geschäftsstelle zu gehen. »Wenn ich da hochgehe, ins Büro von Uli Hoeneß, komme ich mit einem neuen Vertrag wieder heraus.« Am 1. Juli 2006 wechselte er dann zum FC Chelsea. Ablösefrei. England, die Premier League, ein Magnet für viele Stars.

Dass vor Ballack nicht auch Oliver Kahn auf die Insel gewechselt war, hat nur ein Mann verhindert: Uli Hoeneß. Der Torhüter war fest entschlossen, den FC Bayern nach der EM 2004 zu verlassen. »Damals hatte ich den Wunsch, den Drang zu wechseln«, erzählt Kahn, »auch meine private Situation war etwas in Unordnung geraten, da hätte eine Zeit in einer anderen Stadt ganz gutgetan. Es gab Angebote vom FC Barcelona und von Manchester United. Doch konkreter wurde es nur mit ManU. Es wurden erste Gespräche geführt, auch mit Alex Ferguson, erste Zahlen ausgetauscht. In meinem Kopf war im Grunde eine Entscheidung gefallen.« Mit dem Trainerwechsel von Ottmar Hitzfeld zu Felix Magath hätten die Pläne nichts zu tun gehabt, beteuert Kahn. Zehn Jahre FC Bayern mit allen Höhen und Tiefen waren einfach genug, er suchte eine neue Herausforderung. Diese Stadien, der Reiz der besten, reichsten, spektakulärsten Liga der Welt, die Aussicht auf einen Premier-League-Titel, darauf, womöglich Englands Torhüter des Jahres zu werden – das alles schwirrte in seinem Kopf herum. Blieb eine Frage: »Wie sag ich es dem Herrn Hoeneß?« Kahn war immer noch in gewisser Distanz zu Hoeneß und sprach ihn mit »Sie« oder »Manager« an. Wie übrigens auch Mehmet Scholl, der sogar noch ein Jahr länger, seit 1993, im Verein war. »Ich sieze Uli Hoeneß heute noch. Manager und Sie«, sagt Scholl, »er hat mir das Du eben nicht angeboten. Das macht aber nichts, und wenn er demnächst Präsident wird, sage ich trotzdem Manager und Sie.«

Manager, ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen – so hätte die Anfrage von Oliver Kahn im Sommer 2004 lauten können, doch dazu kam es nie. Kahn tat, was er sonst eigentlich nie tat: Er kniff. »Ich hatte ihm von meinen Plänen und Gesprächen nichts erzählt. Ich konnte auch nicht mit ihm darüber reden«, erinnert sich Kahn. »Weil ich wusste: Wenn ich mit ihm spreche, dreht er mich um. Der hätte mich nie gehen lassen.« Kahn zögerte, auch das finanzielle Angebot war nicht so lukrativ, wie er sich das vorgestellt hatte. »Das mag komisch klingen, doch ich hätte bei Manchester United niemals so viel verdienen können wie damals beim FC Bayern – kein Witz. Als ich ihnen absagte, kurz vor einem ersten Treffen, waren sie bei ManU ziemlich verärgert. So etwas mache man mit ihnen nicht, hieß es.«

Im Rückblick bereut Kahn ein wenig, nicht die Herausforderung gesucht zu haben, nicht zu jenem Verein gewechselt zu sein, der ihm 1999 die schmerzvollste Niederlage der Karriere zugefügt hatte. »Ich hatte bei Bayern dann noch vier tolle Jahre, wir holten dreimal das Double, ich hörte mit einem Gegentorminusrekord auf. Perfekt. Aber vielleicht wäre es doch besser gewesen zu gehen, noch einmal etwas anderes zu machen. Ich bedauere das. ManU hätte ich machen sollen.«

Hoeneß hatte etwas Einmaliges geleistet. Er hatte den Weggang seines Publikumslieblings verhindert, ohne auch nur das Geringste unternommen zu haben. Auch eine Form des Verhandlungsgeschicks.

Vertragsgespräche mit Uli Hoeneß waren und sind meist kurz und intensiv, berichten viele, die ihm schon einmal gegenübersaßen. Am Ende gilt der Handschlag unter Männern, die Dokumente werden später unterzeichnet. »Was er versprach, wurde umgesetzt«, berichtet Hitzfeld. »Uli war ein Freund, ein Vertrauter, immer ein Rückhalt. Es war stets ein gutes Gefühl, solch einen Manager an meiner Seite zu wissen.« Selbst härteste Widersacher wie Ballacks Berater Michael Becker zollen Hoeneß höchsten Respekt. »Er ist immer ein angenehmer Gesprächspartner, der nie hinterhältig agiert. Wenn es einen Termin oder eine Frist gibt, dann gilt bei Hoeneß: Mittwoch, 12 Uhr, ist Mittwoch, 12 Uhr. Kein Wenn, kein Aber. Mein Tipp an alle jüngeren Berater: Man sollte nie im Ansatz daran denken zu glauben, man könne ihm was vormachen oder gar link auftreten. Dieser Fehler darf keinem unterlaufen.« Und noch etwas sollte derjenige beachten, der mit Hoeneß zu tun hat: Es wird gut gegessen – und wehe, einer ist Vegetarier.

Auch Dieter, der Bruder, ist längst kein Vegetarier mehr. Wäre ja gelacht, wenn der Sohn einer Metzgersfamilie das ewig durchhielte. Die Vegetarier hat Uli Hoeneß übrigens dick. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich in einer Gruppe einen gemütlichen Abend verbringe, wenn ich nur Karottensalat esse und Mineralwasser trinke.« Hoeneß ist sich sicher, dass seine körperliche Substanz, sein Umfang, wie ein Panzer wirkt – gegen jedwede Angriffe von außen. »Viele, die asketisch leben, die gehen am Leben vorbei. Das ist ganz falsch. Ganz, ganz falsch. Als Asket kannst du nicht gesellig sein. Und es ist längst erwiesen, dass Vegetarier keinen Tag länger leben.« Darauf ein Glas Wein. Auch Trainer Louis van Gaal schätzt übrigens Rotwein, und beide mögen den spanischen Rioja.