7. KAPITEL

Kate wachte zuerst auf. Irgendwann in der Nacht mußte sie sich zu Silas ins Bett gelegt haben, und nun lag er mit dem Kopf an ihrer Brust, so daß sie seine Atemzüge spürte. Als sie versuchte, von ihm wegzurücken, öffnete er die Augen.

„Ich habe also nicht geträumt, daß du bei mir bist”, sagte er leise.

Noch nie im Leben hatte sie sich so unbehaglich gefühlt. Silas konnte sich damit entschuldigen, daß er hohes Fieber gehabt und nicht mehr gewußt hatte, was er sagte und was er tat. Sie dagegen hatte keine Entschuldigung für ihr Verhalten.

„Ich … ich wollte eigentlich nicht hierbleiben”, brachte sie hervor. Da ihr die Tränen kamen, war ihre Kehle plötzlich wie zugeschnürt.

„Ich bin froh, daß du es doch getan hast.” Er rückte ein wenig von Kate weg. Dann nahm er ihre Hand und hob sie an die Lippen, um sie zu küssen.

Ihre Haut begann zu prickeln. Als Kate spürte, wie er mit der Zunge ihre Fingerspitzen berührte, erschauerte sie und atmete scharf aus.

„Du bist so sanft und mitfühlend, Kate. Hoffentlich habe ich mich nicht zum Narren gemacht.”

„Nein. Du … Ich …”

Verzweifelt wünschte sie sich, ihm nicht so nahe zu sein. Da Silas in der Nacht hohes Fieber gehabt und so verletzlich gewirkt hatte, war es für sie selbstverständlich gewesen, ihn in die Arme zu nehmen, wie sie es so oft bei Cherry getan hatte. Doch nun war er wieder bei klarem Verstand, und da er immer noch ihre Hand festhielt und spürte, wie ihr Puls raste, merkte er sicher, was in ihr vorging. Sie errötete verlegen, denn ihre Brustspitzen hatten sich aufgerichtet und zeichneten sich bestimmt gegen den dünnen Stoff ihres Nachthemds ab.

Ihr stockte der Atem, als Silas den Blick zu ihren Brüsten schweifen ließ.

„Du bist so schön, Kate.” Sanft umfaßte er eine Brust und strich mit dem Daumen über die feste Spitze, so daß Kate vor Erregung und Scham zu zittern begann.

„Silas, bitte”, flehte sie, doch er achtete nicht darauf.

Statt dessen legte er sich auf sie. Sein Mund war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. „Es ist so lange her, Kate”, flüsterte Silas. „Zu lange.”

Dann küßte er sie – nicht so, wie er sie damals geküßt hatte, sondern so verlangend, wie ein Mann eine Frau küßt, die er begehrt und nach der er sich nach langem sehnt. Er schob die Hände in ihr Haar und drückte ihren Kopf aufs Kissen, um schließlich mit der Zunge in ihren Mund einzudringen.

Wenn sie früher miteinander geschlafen hatten, hatte Kate sich seinen leidenschaftlichen Zärtlichkeiten genußvoll hingegeben, ohne an sein Vergnügen zu denken. Diesmal war es anders. Sie war jetzt eine Frau, und sie konnte das Zusammensein mit Silas schon deswegen nicht bedingungslos genießen, weil ihr klar war, daß dieser Moment vergänglich und sie nicht mehr nur für sich allein verantwortlich war, sondern auch an Cherry denken mußte. Silas hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, daß er sich nicht mit einer Familie belasten wollte. Doch sie liebte ihn, und deshalb vergaß sie ihre Hemmungen und verdrängte ihre Bedenken.

Wenn der Zeitpunkt gekommen war, wo sie dafür bezahlen mußte, würde sie es tun. Und ich werde es ganz bestimmt nicht bedauern, schwor sie sich, während sie Silas über die breiten Schultern, den kräftigen Nacken und durch das dichte, seidige Haar strich. Bereitwillig öffnete sie die Lippen, um das erotische Spiel seiner Zunge zu erwidern.

Als er sie zum erstenmal so geküßt hatte, war sie zuerst schockiert gewesen und dann erregt. Aber nun, da sie sowohl körperlich als auch seelisch viel reifer war, reagierte sie wie selbstverständlich auf seine leidenschaftlichen Zärtlichkeiten und war insgeheim dankbar dafür, daß er seinem Verlangen freien Lauf ließ. Sie wußte, wie stark er sich nach er sehnte, denn er war sehr erregt, und trotzdem drängte er sie zu nichts. Als sie sich daran erinnerte, wie es früher gewesen war, hätte sie schreien mögen, weil das Schicksal so grausam war und sie beide getrennt hatte.

Wie konnte Silas als Liebhaber so einfühlsam und rücksichtsvoll sein und als Mann so kalt und hart? Lag es nur daran, daß er seinem Beruf absoluten Vorrang einräumte, weil dieser ihm so viel bedeutete?

„Kate.”

Kate erschauerte, als er ihren Namen flüsterte, und als er ihr dann das Nachthemd abstreifte, vergaß sie alles um sich her.

Sie zog Silas zu sich herunter, damit er wieder ihre Brüste liebkoste. „Du hast dich verändert”, sagte er rauh. „Hier …”

Nun begann er, sanft an der festen Spitze zu saugen. „Und hier …” Dabei strich er ihr aufreizend über die Taille.

Kate versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie erregt sie war. Um ihm dieselbe süße Qual zu bereiten, die er ihr zufügte, ließ sie die Hand langsam über seinen Körper gleiten und strich schließlich über die vernarbte Stelle. „Du aber auch. Hier …” Sie küßte ihn auf die Schulter. „Deine Schultern sind breiter als damals. Und ich glaube, hier auch …” Dabei strich sie ihm über die Brust, so daß sie spürte, wie unregelmäßig er atmete.

„Und hier natürlich auch.”

Wieder berührte sie die Narben, und er zuckte unmerklich zusammen. Als sie ihm in die Augen schaute und den Ausdruck darin sah, begann ihr Herz genauso zu rasen wie seins.

Mit seinem Blick hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr er sich danach sehnte, von ihr berührt zu werden. Also begann sie, seinen Körper mit den Lippen zu erkunden, bis Silas heftig erschauerte und aufschrie. Er umklammerte ihre Schultern, stieß sie jedoch nicht fort.

Sie wollte ihm dasselbe Vergnügen bereiten, das er ihr damals geschenkt hatte. Sie wollte ihm zeigen, daß sie jetzt erwachsen war und nicht mehr nur an sich dachte.

Doch als sie ihn an seiner empfindsamsten Stelle berühren wollte, hielt er ihre Hand fest. „Nein, Kate. Tu es nicht.”

Ohne auf seinen Protest zu achten, fuhr sie mit den Lippen über die Innenseite seines Schenkels. Daraufhin ließ er sie los, aber obwohl er einige Male heftig erschauerte, versuchte er immer noch, sein Verlangen zu zügeln. „Nein, Kate …” Schließlich stöhnte er erregt auf.

Bevor sie noch weiter gehen konnte, zog er sie von sich herunter und legte sich auf sie, um sie zuerst mit den Händen, dann mit dem Mund überall zu liebkosen. Als sie genauso erregt aufschrie, drang er in sie ein. Nach wenigen Minuten erreichten sie gemeinsam einen Höhepunkt, der Kate bewies, wie schwach ihre Erinnerungen an damals waren.

Silas hatte die Augen geschlossen, und die Schatten darunter deuteten darauf hin, daß er von dem Fieberanfall immer noch geschwächt war. Es schien, als hätte er gemerkt, daß sie ihn betrachtete, denn schließlich öffnete er die Augen. „Verzeih mir … aber es ist so lange her.”

In seinen Augen lag ein gequälter Ausdruck, als würde er sich an etwas erinnern, das ihn ihr entfremdete. Kate wußte, daß er an die Frau dachte, mit der er zuletzt geschlafen hatte. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, wer es war, aber dazu hatte sie nicht das Recht.

Statt dessen erwiderte sie leise: „Für mich auch.”

Sofort runzelte er die Stirn. „Bin ich zu grob gewesen? Habe ich dir weh getan? Du hättest es mir sagen sollen.”

„Du hast mir nicht weh getan.”

Eine Weile schauten sie sich nur in die Augen. Kate überlegte, ob Silas sich auch noch daran erinnerte, als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Danach hatte ihr nämlich dieselbe Frage gestellt, und sie hatte ein bißchen geschmollt, bevor sie geantwortet hatte. Wie jung war sie damals doch gewesen! Sie seufzte schwer.

Er nahm ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. „Es gibt also keinen Mann in deinem Leben?”

„Nein.” Wieder hatte sie Schmetterlinge im Bauch, als er ihre Hand an die Lippen führte und langsam alle Finger küßte.

„Und der Vater deines Kindes? Liebst du ihn?” Offenbar war ihre Miene sehr verräterisch, denn er seufzte leise. „Ja, natürlich liebst du ihn. Ich hätte dich das nicht fragen dürfen. Und ich werde dich auch nicht fragen, warum du nicht mehr mit ihm zusammen bist.”

Das klang so zynisch, daß Kate wütend wurde. Dachte er etwa, Cherry wäre das Ergebnis einer heimlichen Beziehung mit einem Mann, der anderweitig gebunden war?

„Er ist nicht verheiratet, falls du das glaubst”, entgegnete sie hitzig.

„Aber er kann dir und seinem Kind kein Zuhause bieten, weil er nicht frei ist”, beharrte Silas.

„Er will es nicht”, erklärte sie kurz angebunden. Plötzlich fühlte sie sich schrecklich einsam, und ihr war kalt. „Er ist genau wie du, Silas”, fuhr sie schroff fort. „Er will sich nicht mit Frau und Kindern belasten.”

Sie wünschte sich verzweifelt, daß er es abstritt und ihr sagte, er hätte deswegen nicht geheiratet, weil er sie immer noch liebte. Sie sehnte sich danach, daß er ihr die Gelegenheit gab, ihm die Wahrheit über Cherry zu sagen, doch statt dessen rollte er sich von ihr herunter. An seiner Wange zuckte ein Muskel, was darauf schließen ließ, daß Silas angespannt und wütend war.

Obwohl ihr klar gewesen war, daß sie für diesen Moment der Leidenschaft mit ihm bezahlen mußte, hatte sie nicht so früh damit gerechnet.

„Ich gehe jetzt besser in mein Zimmer zurück”, erklärte sie.

„Kate …”

„Sag nichts, Silas. Was hat es denn für einen Sinn? Akzeptieren wir einfach, was passiert ist, und belassen wir es dabei, ja?”

„Wenn du es willst.”

Sie wollte etwas ganz anderes. Sie wollte von ihm in die Arme genommen werden und von ihm hören, daß er sie nie wieder gehen lassen würde. Als sie aufstand, traten ihr die Tränen in die Augen, doch das durfte er nicht merken.

Wie soll ich es bloß ertragen, noch eine Woche auf so engem Raum mit ihm zusammenzuleben? fragte sie sich verzweifelt.

Als sie wieder in ihrem Bett lag, beobachtete sie, wie es draußen hell wurde. Sie konnte sich nicht darüber freuen, daß ein neuer Tag anbrach, denn von nun an würde sie jeden Tag an Silas und ihre Liebe zu ihm denken …

Kate verschlief prompt und wurde von Silas geweckt. Bestürzt stellte sie fest, daß er bereits angezogen war und ihr zu allem Überfluß auch noch Tee brachte.

„Geht es dir gut?” fragte er leise, während er die Tasse auf den Nachttisch stellte.

Sofort verspürte sie einen heftigen Schmerz. Silas konnte so zärtlich und liebevoll sein. Es war hart, sich damit abzufinden, daß er sie nicht liebte und ihr gemeinsames Kind nicht haben wollte.

„Natürlich geht es mir gut”, erwiderte sie gereizt. „Du meine Güte, schließlich war es nicht das erste Mal, das ich mit einem Mann geschlafen habe!”

„Ich weiß”, sagte er leise, und sie errötete beschämt, als sie einen Schluck Tee nahm.

„Deine Tochter hat angerufen. Ich habe ihr gesagt, daß du noch schläfst. Sie scheint sehr reif zu sein für ihr Alter.”

Kate blieb fast das Herz stehen. Mit zitternden Händen stellte sie die Tasse wieder auf den Nachttisch.

„Ja, das ist sie”, erwiderte sie mit bebender Stimme.

„Sie klingt fast wie du”, fügte er leise hinzu.

Er konnte ihr nicht beschreiben, was er empfunden hatte, als er Cherrys kindliche Stimme gehört hatte. Sie hatte ihn so an die Frau erinnert, die er liebte. Am liebsten hätte er Kate gestanden, wie sehr er sich wünschte, der Vater ihres Kindes zu sein, doch er konnte es nicht. Genausowenig brachte er es fertig, sie nur aufgrund der sexuellen Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrschte, in eine Beziehung zu drängen, ohne ihr den Wunsch nach einer Familie erfüllen zu können.

Er erinnerte sich noch genau daran, wie sie darüber gesprochen hatten.

„Oh, ich möchte mindestens vier Kinder bekommen”, hatte Kate verkündet, und er hatte sich ausgemalt, wie sie ein Kind von ihm erwartete und wie es sein würde, das Baby in den Armen zu halten.

Sie hatte stolz erklärt, sie würde ihm einen Sohn schenken, doch er hatte erwidert, ein Mädchen wäre ihm lieber

Jetzt würden sie weder das eine noch das andere haben.

Eine schwere Infektion, schlechte medizinische Versorgung und eine viel zu spät erfolgte Diagnose hatten dazu geführt, daß er keine Kinder mehr zeugen konnte.

Wenn er es Kate sagte … Doch er wußte, wie sehr sie sich nach einer Familie sehnte, und er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie zu enttäuschen.

Silas spürte, wie ihm erneut der Schweiß ausbrach, und fluchte leise. Bisher hatte er geglaubt, sich längst mit diesem Problem abgefunden zu haben. Daß es ihm immer noch zu schaffen machte, hatte er gemerkt, als er die Frau, die er liebte, in den Armen gehalten hatte, als er mit ihr geschlafen und auf dem Gipfel der Ekstase ihre Lustschreie gehört hatte.

Ob sie in der Nacht, als sie von ihrem Geliebten das Kind empfangen hatte, auch vor Lust aufgeschrien hatte?

Ihr Geliebter … Wer war der Vater dieses Kindes, das so ernst und vertrauensvoll mit ihm gesprochen hatte? Wo war er jetzt? Da Silas nicht darüber nachdenken wollte, drehte er sich abrupt um und ging zur Tür.

Kate hielt ihn nicht zurück. Nicht einmal jetzt bedauerte sie, was in der vergangenen Nacht passiert war. Wenn Silas bei ihr geblieben wäre und sie berührt hätte … Das leise Prickeln, das sie noch immer verspürte, wurde plötzlich so stark, daß ihr der Atem stockte.

Du mußt vergessen, was passiert ist, ermahnte sie sich energisch. Sie mußte aufstehen und Cherry anrufen. Sie mußte sich irgendwie beschäftigen, damit die Tage schneller vergingen und sie wieder ins wirkliche Leben zurückkehren konnte. Nur dann konnte sie die gemeinsame Zeit mit Silas vergessen.

Kate hatte vorgehabt, nach dem Frühstück hinüber zum Hauptgebäude zu gehen, um zu fragen, ob sie wieder im Büro aushelfen könne. Als sie jedoch bei ihren Eltern anrief, erfuhr sie von ihrer Mutter, daß Cherry mit ihrem Vater weggegangen war. So beschloß Kate, zu warten, bis Cherry wieder zurückkam. Ihre Mutter versicherte ihr allerdings, daß Cherry wieder fröhlicher war.

„Heute nachmittag nimmt dein Vater sie mit zu Sean Benson”, erzählte sie.

Sean Benson, ein benachbarter Bauer, war der schärfste Konkurrent von Kates Vater bei der Dales-Schau. Ihr Vater hielt nicht viel von seinen Methoden, denn seiner Meinung nach war Sean zu streng mit den Tieren.

„Außerdem bringt er ihr gerade das Schachspielen bei”, berichtete ihre Mutter lachend.

Schach war das Lieblingsspiel von Kates Vater, allerdings hatte er selten die Zeit dafür. Er hatte es David und ihr auch beigebracht, doch während David nicht die Geduld dafür aufgebracht hatte, hatte Kate es gemocht. Sie hatte es auch mit Silas gespielt, obwohl er viel besser gewesen war als sie.

„Die Grundkenntnisse hat sie schon”, fuhr ihre Mutter fort.

Kate hatte schon ziemlich früh festgestellt, daß Cherry eine Begabung für Mathematik und Musik hatte. Vermutlich hatte sie es von ihrem Vater geerbt.

Erst am späten Vormittag konnte sie mit ihr sprechen. Tatsächlich klang Cherry jetzt sehr viel fröhlicher als am Vorabend. Nachdem sie ihrer Mutter aufgeregt von ihren neusten Erlebnissen berichtet hatte, fragte sie plötzlich: „Wer war der Mann, mit dem ich vorhin gesprochen hab’? Er war nett.”

„Oh, er ist der Leiter der Forschungsstation.” Kate hoffte, daß Cherry nie erfahren würde, wie unaufrichtig sie zu ihr war, selbst wenn sie sie nicht direkt anlog.

„Cherry scheint mächtig beeindruckt von dem Mann zu sein, der heute morgen am Apparat war”, bestätigte ihre Mutter, nachdem Cherry ihr den Hörer gegeben hatte.

„Er ist der Leiter der Forschungsstation, Silas Edwards”, erklärte Kate angespannt.

„Edwards, hast du gesagt?” Sie hörte, wie ihre Mutter sich an ihren Vater wandte. „Ist das nicht der Mann, der Jessops Hof gekauft hat, John?”

Kate verstand die Antwort ihres Vaters klar und deutlich, und auch nachdem sie kurz darauf aufgelegt hatte, war sie noch völlig durcheinander. Sie erinnerte sich daran, wie einer der Angestellten bemerkt hatte, Silas hätte einen Bauernhof in der Umgebung gekauft. Er mußte viele Gründe gehabt haben, ausgerechnet das Anwesen zu kaufen, das an das ihrer Eltern grenzte, aber ihr fiel beim besten Willen keiner ein. Was hatte ihn dazu bewogen, einen so abgelegen Hof zu erwerben? Er hatte ihr doch selbst gesagt, daß er nur für seinen Beruf lebte.

Kate zerbrach sich noch immer den Kopf darüber, als das Telefon wieder klingelte.

Automatisch nahm sie ab und nannte den Anschluß. Einen Moment war es still, doch dann meldete sich eine kühle Frauenstimme. „Entschuldigung, mit wem spreche ich?”

„Hier ist Kate Seton.” Kate versuchte, genauso ruhig zu klingen, obwohl ihr Herz wie verrückt klopfte. Der feindselige Unterton ihrer Gesprächspartnerin war ihr nicht entgangen. Wer war die Frau? War sie eine Freundin von Silas? Seine Geliebte? Eine Frau, die im Gegensatz zu ihr, Kate, das Recht hatte, in seinem Haus zu sein? Der Gedanke daran tat ihr weh.

„Seton?” wiederholte die Frau scharf und fuhr nach einer Pause fort: „Würden Sie Silas bitte ausrichten, daß Susie angerufen hat und daß wir wie besprochen mit den Jungen kommen? Aber vorher melde ich mich noch einmal.”

Susie … die Jungen … Sofort normalisierte sich Kates Herzschlag wieder ein wenig.

Damals hatte sie schon einmal voreilige Schlußfolgerungen gezogen – mit verheerenden Konsequenzen, wie sich herausgestellt hatte. Diesmal mußte sie vorsichtiger sein. Ob diese Susie seine Schwester war? Hatte er nicht von Susie gesprochen?

Da es fast Zeit zum Mittagessen war, beschloß Kate, nicht mehr zum Hauptgebäude zu gehen. Statt dessen nahm sie die Sachen aus dem Kühlschrank, die ihre Mutter ihr geschickt hatte, und machte sich einige Sandwiches.

Nachdem sie gegessen hatte, sammelte sie ihre Wäsche ein und schließlich auch die von Silas. Sie hätte es unhöflich gefunden, es nicht zu tun, denn sie mußte die Sachen ja nur in die Maschine tun.

Seltsam, dachte sie, sogar in der heutigen Zeit ist es noch etwas Intimes, die Wäsche eines Mannes zu waschen.

Irgendwann wurde sie jedoch so müde, daß sie sich im Wohnzimmer auf einen Sessel setzte, um sich auszuruhen. Als Silas um fünf zurückkehrte, schlief sie.

Kate wirkte so jung und verletzlich, und er sehnte sich danach, sie zu berühren. Eigentlich hätte er noch arbeiten müssen, aber er hatte sich auf nichts konzentrieren können, weil er ständig an sie gedacht hatte. All die Jahre hatte ihn die Erinnerung an sie nicht losgelassen.

Da er der Versuchung nicht widerstehen konnte, streckte er die Hand aus und berührte Kates Haar. Langsam ließ er eine Strähne durch die Finger gleiten.

Als er sich über sie beugte, wachte Kate auf. Zuerst wußte sie nicht, wo sie war. Sie streckte unwillkürlich die Hand nach ihm aus und schaute ihn glücklich an. Dann erinnerte sie sich daran, daß die Zeiten, als sie ihn hatte berühren dürfen, längst der Vergangenheit angehörten.

Daß sie sich so abrupt von ihm zurückzog, war für Silas ein Zeichen dafür, daß sie ihn zwar begehrte, aber nicht liebte. Also wich er einige Schritte zurück.

„Bleib sitzen”, sagte er kurz angeboten, als sie aufstehen wollte. „Ich bin nur zurückgekommen, um einige Unterlagen zu holen.”

Das war gelogen, doch es würde einfacher für ihn sein, an den Schreibtisch zurückzukehren und zu arbeiten, als hier bei Kate zu bleiben.

Er war schon fast zur Tür hinaus, da fiel ihr der Anruf ein, und sie richtete ihm die Nachricht aus.

„Meine Schwester und ihre Familie wollen ein paar Tage bei mir verbringen, bevor sie nach Schottland fahren. Dort machen sie jedes Jahr Urlaub”, erklärte Silas.

„In Anbetracht deiner Einstellung zum Familienleben überrascht es mich, daß du dich mit ihnen abgibst”, meinte sie herausfordernd.

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. Warum sollte er sie eines Besseren belehren, wenn sie das glaubte? Sein Stolz ließ es nicht zu, daß er ihr die Wahrheit sagte und ihr damit alle Illusionen nahm. Wenn ihr Kinder nicht wichtig gewesen wären, dann hätte er, Silas, vielleicht …

Vielleicht was? fragte er sich verzweifelt. Soll ich sie anflehen, mich so zu lieben wie früher? Damals war er davon überzeugt gewesen, daß sie ihn liebte. Als er die Haustür hinter sich schloß, war sein Gesicht schmerzverzerrt.