32
 
Mr. 600
 
Auf den Monitoren läuft der allererste Film, in dem Cassie überhaupt mitgewirkt hat. Gedreht noch auf Video, nur wenig besser als die Aufzeichnung irgendeiner Überwachungskamera im Supermarkt an der Ecke. Man sieht sie und mich, jung wie Sheila und Nummer 72. Cassie verdreht die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen ist, ihre Arme wedeln schlaff herum, ihr Kopf rollt hin und her, ihr Mund steht weit offen, Sabber trieft von ihren Lippen.
Schlapp wie eine Cassie-Aufblaspuppe selbst.
Falls es jemand interessiert: Bei diesem ersten Film, den ich mit Cassie gemacht habe, habe ich ihr eine mit Betaketamin und Demerol versetzte Diätlimo untergejubelt. Die Kamera auf einem Stativ neben der Matratze; dann habe ich ihr meinen Schwanz überall reingeschoben, wo es nur ging.
Weil ich sie so sehr geliebt habe.
Dieser erste Film hieß Frisky Business. Nachdem sie berühmt geworden war, wurde der Film in bearbeiteter Fassung unter dem Titel Lay Misty for Me noch einmal herausgebracht. Später noch einmal als Lust Horizons.
Falls das jemanden interessiert: Cassie hatte niemals vor, diesen ersten Film zu machen.
Und dieser Film läuft jetzt in dem leeren Kellerraum.
Nummer 72 ist auf dem Klo und schrubbt sich das Gift von den Keimdrüsen, schrubbt sich ab, wie der Teddymann sich vorher die Stirn geschrubbt hat.
Sheila kommt heulend die Treppe runter. Wischt sich mit den Ärmeln ihres Pullovers über die Augen, schmiert Rotz und was weiß ich noch alles bis zu ihren Ohren, ihre Schneidezähne stehen senkrecht aufeinander, und die Muskeln an ihren Kinnbacken treten zuckend hervor. Sie sagt: »Scheißkerl...« Sheila schleudert ihr Clipboard durch den Raum, es klatscht an die Wand und zerstiebt zu einem Regen aus bedrucktem Papier. Eine flatternde Wolke aus Fünfzig- und Zwanzigdollarscheinen, die Sheila als Bestechungsgeld angenommen hat.
Der Junge kommt aus der Toilette und sagt: »Nicht weinen.« Er sagt: »Miss Wright hat es selbst so gewollt...«
Sie war gerade mit der Missoula Highschool fertig, Cassie, träumte davon, auf die Schauspielschule zu gehen. Sie wollte bei ihren Eltern wohnen, fleißig studieren und später Karriere machen, ob am Theater oder beim Film war ihr egal – Hauptsache, sie konnte im Showbusiness arbeiten. Eins wollte sie jedenfalls nicht: mich heiraten. Dafür seien ihre Noten einfach zu gut, erklärte sie mir. Wenn sie unbegabt wäre, sagte Cassie, ein hoffnungsloser Fall, wenn sie es nötig hätte, sich an jeden Strohhalm zu klammern, dann würde sie meinen Antrag annehmen – und das gab mir immerhin ein wenig Hoffnung.
Das Dumme war, dass ihre Eltern sie mit all diesem Gefasel von wegen Selbstachtung und so gegen mich eingenommen hatten.
An dem Freitagabend, an dem Cassie mir das erklärte, sagte ich, das kann ich verstehen. Ich sagte, ja, sie solle alles dafür tun, sich ihren Lebenstraum zu erfüllen. Und ich fragte, ob sie eine Diätlimo wolle?
Wie wenn man sich von hinten nach vorn abwischt, ganz in Gedanken, auf dem Klo. Und du schmierst dir die Scheiße auf die Rückseite deiner schrumpligen Sackhaut. Und dann versuchst du, sie sauber zu wischen, und die Haut dehnt sich, und es wird alles nur noch schlimmer. Die dünne Scheißeschicht gerät in die Haare, bis an die Oberschenkel. So in etwa fühlt sich das an, ein Tag wie dieser.
Später erzählte mir Cassie, von den Drogen, dem Betaketamin und Demerol, sei ihr das Herz stehen geblieben. Ihr Gehirn wurde kalt, und sie löste sich aus ihrem Körper und schwebte unter der Zimmerdecke, sah da unten sich selbst und die Videokamera, die meinen zuckenden Arsch filmte, während ich sie fickte, bis ihr Herz wieder zu schlagen anfing. Ich habe sie zu Tode und wieder zurück ins Leben gefickt. Ich fuhrwerkte mit ihrem leblosen Körper auf dieser Matratze herum, und damit beendete ich ihr altes Leben, ihren Traum von der Schauspielerei, und gab ihr ein neues Leben.
Sex hat die Wiedergeburt dieses guten, reinen Mädchens bewirkt, aber als jemand komplett anderes.
Cassie schwebte da oben und sah dasselbe, was ich jetzt sehe.
Hinter Sheila kommt der Teddymann die Treppe runter. Er klammert sich mit beiden Händen an das Geländer.
Sheila packt die Stoppuhr, zerreißt die Schnur um ihren Hals und schmeißt die Uhr an die Betonwand. Noch eine kleine Explosion.
Sie geht eine Stufe hinunter und sagt: »Dieser Dreckskerl hat die Pille selbst geschluckt.«
Der Junge geht zu seiner braunen Papiertüte rüber und zieht Tennisschuhe, Jeans und ein T-Shirt heraus. Einen Gürtel. Er steigt in seine Socken und sagt: »Wer?«
Sheila verschränkt die Arme. Sie sieht nach dem Monitor, wo ich Cassie Wrights schlaffen Körper bearbeite, und sagt: »Mein Vater.«
Der Teddymann sagt: »Wer?«
Branch Bacardi.
Ich. Tot und schwebend, genau wie Cassie, nachdem ihr Herz stehen geblieben war.
Sechshundert Männer. Eine Frau. Ein Weltrekord für die Ewigkeit. Der Film – ein Muss für jeden anspruchsvollen Sammler von Erotika.
Keiner von uns hatte vor, ein Snuff-Movie zu machen. Das ist gelogen.
Falls jemand denkt, ich bin am Leben, ist auch das gelogen. Ich habe die Pille genommen.
Der Junge knöpft sein Hemd zu und sagt: »Ist Mr. Bacardi tot?«
Und Sheila sagt, das ist schwer zu sagen. Sie sagt: »Mit seiner braungebrannten Haut und der vielen Bräunungscreme sieht er gesünder und lebendiger aus als wir alle.«
Meine Tochter.
Auf den Monitoren schieße ich meine Ladung tief in Cassies tote Möse, eine Injektion, die sie wieder zum Leben erweckt. Ein vergeudeter Schuss, der absolut nichts gebracht hat, außer dass damit ein Kind gezeugt wurde. Sheila. Ich Idiot.