Fußnoten

1In jüngster Zeit wird überhaupt angezweifelt, dass der berühmte niederländische »Tulpenkrach« mehr war als eine Mystifikation. Die meisten zeitgenössischen Beschreibungen, die wir von den Ereignissen des Jahres 1637 haben, stammen von protestantischen Moralpredigern, denen die boomende frühkapitalistische Wirtschaft Hollands ein Dorn im Auge war. Daher ihr Bedürfnis, »Spekulanten« einen Spiegel vorzuhalten. Später wurde nur noch aus ihren Pamphleten abgeschrieben. Tatsächlich dürfte es in den 1630er Jahren weder einen schwindelerregenden Preisauftrieb bei Tulpen gegeben haben noch eine dramatische Marktkorrektur, als das Interesse an den exotischen Blumen erlahmte. Zuletzt hat die britische Historikerin Anne Goldgar den »Tulpenwahn« des 17. Jahrhunderts gar nicht mehr unter dem exklusiven Blickwinkel der Finanzkrisen untersucht, sondern als ein gleichermaßen wirtschaftliches wie kulturelles und wissenschaftliches Phänomen. Anne Goldgar, Tulipmania: Money, Honor, and Knowledge in the Dutch Golden Age, Chicago, 2007.

2Charles P. Kindleberger, The World in Depression: 1929–1939, Berkeley, 1973.

3»Details ufern aus, Strukturen bleiben.« Ders., Manias, Panics, and Crashes. A History of Financial Crises, New York, 1978, 21.

4Und nicht nur sie, auch die Geschichte der Revolutionen, Feldzüge und dynastischen Heiraten!

5Prominent ist Joseph Stiglitz, Freefall. America, Free Markets, and the Sinking of the World Economy, New York, 2010.

6Ein österreichisches Beispiel: Markus Marterbauer, Zahlen bitte! Die Kosten der Krise tragen wir alle, Wien, 2011.

7Es sei denn, man bewertet die Höhe ihrer Beratungshonorare (Milton Friedman beriet zum Beispiel die US-Präsidenten Reagan und George Bush Sr.) als Erfolg.

8Barry Eichengreen, Sovereign Bankruptcy through the Ages, in: Peter Berger, Peter Eigner, Andreas Resch (Hg.), Die vielen Gesichter des wirtschaftlichen Wandels, Wien/Berlin 2011, 141–160.

9Die Fackel 298–299, 46.

10Dieser grimmige Zustand wurde vom englischen Landpfarrer und Ökonomen Thomas Robert Malthus 1789 mit den Weihen literarischer Berühmtheit versehen. In diesem Jahr erschien, vorerst unter einem Pseudonym, Malthus’ Studie »Essay on the Principle of Population«, die die »Parabel vom Fest der Natur« enthält: sie (die Natur) hat nur eine begrenzte Zahl von Gedecken für die Festgäste bereit, und wer keinen Platz an der Tafel findet, verabschiedet sich von dieser Erde. Das malthusianische Theorem behandelt ausführlich William J. Bernstein, The Birth of Plenty. How the Prosperity of the Modern World was Created, New York/Chicago, 2004, passim.

11Vgl. Werner Plumpe, Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart, München, 2011, 26 ff.

12Und keineswegs zufällig das Jahr, das einer Kette von Revolutionen in Europa vorausging.

13Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton/Oxford, 2009.

14Die Völkerbundanleihe 1923, deren Grundlage die sogenannten Genfer Protokolle von 1922 bildeten, half der jungen österreichischen Republik, nach zwei Jahren unkontrollierter Inflation wieder zur Geldwertstabilität zurückzukehren. Sie war, technisch gesprochen, eine international garantierte Staatsanleihe, deren Tranchen in zahlreichen europäischen Staaten und in den USA platziert wurden. Die Garantiemächte ließen sich ihre Bereitschaft, für den österreichischen Staat notfalls geradezustehen, mit wirtschaftlichen und politischen Konzessionen abgelten. Die Errichtung einer ausländischen Aufsichtsbehörde über die österreichischen Staatsfinanzen und die Einfügung einer Anschlussverzichtsklausel in den Grundlagenvertrag zur Staatsanleihe waren politische Vorleistungen der Alpenrepublik. Wirtschaftlich verpflichtete sich die Regierung Seipel zur Umsetzung eines rigiden Sparprogramms, ganz ähnlich wie dies heute in Griechenland Thema ist. (Vgl. Peter Berger, Sera est parsimonia in fundo. Wie Österreichs Staatsbankrott 1922 mit Hilfe des Völkerbundes abgewendet wurde, in: Georg E. Kodek, August Reinisch (Hg.), Staateninsolvenz, Wien, 2011, 95–104.) Infolge der Rettungsaktion, die der österreichische Staat zu Beginn der 1930er Jahre für die zahlungsunfähige Großbank Credit-Anstalt auf die Beine stellen musste, verschlechterte sich die Liquidität des Bundes wieder so dramatisch, dass erstens frisches Auslandsgeld ins Land geholt werden musste (die »Lausanner Anleihe« von 1933), und zweitens die vereinbarungsgemäße Bedienung der Völkerbundanleihe 1923–43 nicht mehr möglich war. Die Konversionsanleihe 1934 war das Ergebnis langwieriger Umschuldungsverhandlungen mit den Auslandsgläubigern, deren Einlenken den Österreichern schließlich die Schmach ersparte, sich in aller Form für bankrott erklären zu müssen. Näheres bei Peter Berger, Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936, Wien/Köln/Weimar, 2000, 346–365.

15Es ist schwer vorstellbar, dass im Fall einer Beibehaltung der strikten Finanzmarktregulierung der New-Deal-Ära so etwas wie die US-amerikanische Sparkassenkrise der 1980er Jahre (oder auch die überhitzte Immobilienspekulation vor der Subprime-Krise) hätte passieren können. Zur Ehrenrettung der Reagan-Administration, die die Sparkassen 1982 aus dem Korsett restriktiver Wettbewerbsbeschränkungsvorschriften befreite, muss allerdings gesagt werden, dass der Savings-and-Loan-Bereich schon vor der Deregulierung in existenzbedrohenden Schwierigkeiten steckte, ja dass die Sparkassen-Liberalisierung geradezu eine Folge dieser Schwierigkeiten war. Ein maßgeblicher Faktor in der Vorgeschichte vieler hier aufgeführter Krisen war das Agieren von draufgängerischen Finanzinvestoren wie Michael Milken von Drexel Burnham Lambert (Vater des Leveraged-Buyout-Booms und Junk-Bond-Hypes) und George Soros (dessen Rat an die Regierung Jelzin, den Rubel abzuwerten, zu massiven Kapitalabflüssen aus Russland führte). Der Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM), der unter anderem auf eine Konvergenz der Zinsen für europäische Staatsschulden im Vorfeld der Europäischen Währungsunion spekulierte, wurde von John Meriwether (früher Salomon Brothers) geführt und von zwei Wirtschaftsnobelpreisträgern (Samuel Scholes und Robert C. Merton) beraten.

16Die Neureichen aus der Anfangszeit der Ersten Österreichischen Republik hießen Camillo Castiglioni, Siegmund Bosel, Richard Kola und so weiter. Ihr Aufstieg gründete meist auf mehr oder weniger anrüchigen Kriegsgeschäften (obwohl das durchaus nicht immer zutraf, Castiglioni war zum Beispiel schon vor 1914 ein namhafter industrieller Investor). Während der Hyperinflation nutzten sie die Möglichkeit zum Aufbau kreditfinanzierter Industrie-, Finanz- und Medienimperien geschickt aus, viele von ihnen machten sich auch als Mäzene in Kunst und Kultur einen Namen, doch blieb die gesellschaftliche Anerkennung weitgehend aus – wohl auch deshalb, weil die Krösusse der Inflationsära oft Juden waren. Mit der Großen Depression der 1930er Jahre und dem Anstieg der nazistischen Flut kam für sie und ihre Unternehmen das unrühmliche (und meist auch persönlich tragische) Ende. Peter Berger, Zur Situation des österreichischen Bürgertums nach dem Ersten Weltkrieg. Tatsachen und Legenden. In: Helmut Konrad, Wolfgang Maderthaner (Hg.), … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik – Band II, Wien, 2008, 67–86.

17Der guten Ordnung halber sei hier angemerkt, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum eine europäische Regierung auf den kurz nachher einsetzenden generellen Aufschwung gewettet hätte. In den Niederlanden wurde der erwerbsfähigen Jugend sogar die Auswanderung nach Übersee nahegelegt, so wenig Optimismus herrschte in Bezug auf das Kommende. Geert Mak, Niederlande, München, 2010.

18Greenspan, »der Magier« der Notenbankpolitik (Werner Plumpe), ist ein schönes Beispiel für die Art und Weise, wie soeben noch grenzenlos bewunderte Finanzakteure plötzlich in den Augen der Öffentlichkeit zu verabscheuungswürdigen Schurken mutieren können.

19Schenkt man einer Nachricht aus Griechenland Glauben, so hat der Chef der dortigen Polizeigewerkschaft mit der Festnahme ausländischer Finanzexperten gedroht. http://www.kleinezeitung.at/allgemein/tribuene/2945742/helfen-geht-nur-wenn-hilfe-angenommen.story (12.2.2012).

20Edward Chancellor, Devil Take the Hindmost. A History of Financial Speculation, New York, 1999.

21Hayek hat aber ein kurzes Gedächtnis, wenn er vergisst, dass ohne den Auftrag, den ihm UBS und Crédit Suisse zur Sanierung der maroden schweizerischen Uhrenindustrie erteilt hatten, keine Swatch-Group existieren würde. Im Übrigen kann man über den Gegensatz zwischen fruchtbarer Real(güter)wirtschaft und parasitärem Finanzsektor trefflich streiten, ebenso über den Umstand, dass die Schweizer Uhrenbranche mit ihrer Fokussierung auf den asiatischen Markt ein beträchtliches Klumpenrisiko eingegangen ist – nicht unähnlich dem, was Banken tun, wenn sie Staatspapiere von GRIPS-Staaten halten. (Das Kürzel steht für Griechenland, Italien, Portugal und Spanien, allesamt Staaten in prekärer Finanzlage.)

22In Athen ist es derzeit sehr en vogue>, Angela Merkels Regierung mit jener des »Dritten Reichs« zu vergleichen. Der Boulevard verbreitet die Verschwörungstheorie, dass es den Deutschen und ihren Banken darum gehe, Hitlers Werk der Unterjochung der Hellenen mit nichtmilitärischen Mitteln zu vollenden. Im Vergleich dazu waren die Vorurteile, die in Österreich zur Zeit der Rettung des Landes durch eine konditionale Völkerbundanleihe über den Westen kursierten, noch substanziell: Die Kreditoren, so hieß es, wollten Österreichs Sozialdemokratie (oder auch: die Deutschnationalen, die den »Anschluss« propagierten) demütigen und das Land auf den Stand einer »Negerkolonie« herunterdrücken. Daran stimmte zumindest so viel, dass ein Teil der Kreditoren Aversionen gegen die Linke hatte und der Völkerbund tatsächlich kein Interesse hatte, Deutschland und Österreich zusammengehen zu sehen. Vgl. Peter Berger, The League of Nations and Interwar Austria. Critical Assessment of a Partnership in Reconstruction, in: Contemporary Austrian Studies Vol. 11, New Brunswick, 2003.

23Siehe dazu das Vorwort des Sammelbands von Peter Berger, Peter Eigner, Andreas Resch (Hg.), Die vielen Gesichter des wirtschaftlichen Wandels. Beiträge zur Innovationsgeschichte, Wien, 2011, 7–12; und den Beitrag im selben Band von Karl Bachinger, Innovation, das Entwicklungsphänomen, der »Mann der Tat« und die »hedonische Masse«. Das Menschen- und Gesellschaftsbild bei Joseph A. Schumpeter, 13–54.

24Vgl. Charles P. Kindleberger, Manias, Panics, and Crashes. A History of Financial Crises, New York, 1978, 15 ff.

25Vgl. Eva Kreisky, Demokratie, Markt und Geschlecht. Die maskuline Welt des Joseph A. Schumpeter, http://evakreisky.at/onlinetexte/schumpeter_kreisky.php(5.2.2008).

26Das kurze Gedächtnis der Wirtschaftstheoretiker, Der Standard, 29.10.2008.

27Ebd.

28Galbraith, A Short History of Financial Euphoria, 108 ff.

29Bruno Kreisky wird oft als ein Politiker bezeichnet, dessen Kenntnis der Historie seine Politik – und insbesondere auch seine wirtschaftlichen Auffassungen – geprägt habe. Seine Sozialisierung in der SDAP-Jugend und die Erfahrungen mit Massenarbeitslosigkeit in der Ersten Republik, dazu noch sein schwedisches Exil und seine von dort herrührende Bekanntschaft mit dem Wohlfahrtsstaatsmodell des skandinavischen Staates und mit der schwedischen Variante des Keynesianismus, ließen ihn zum Verfechter der absoluten Priorität der Vollbeschäftigung unter allen wirtschaftspolitischen Zielen werden. Bei allem Respekt für den darin enthaltenen Humanismus ist auch Kreiskys Ansicht nur eine von vielen valablen »Lehren aus der Geschichte« gewesen. Zu Kreiskys Vollbeschäftigungsdogma siehe Kurt W. Rothschild, Austro-Keynesianism Reconsidered, in: Günter Bischof, Anton Pelinka (Hg.), The Kreisky Era in Austria, Contemporary Austrian Studies, Vol. 2, New Brunswick/London, 1994, 119–129. Aufschlussreich auch Wolfgang Petritsch, Bruno Kreisky – Die Biografie, St. Pölten, 2010.

30Tony Judt, Ill Fares the Land, London, 2010.

31John Maynard Keynes, The Economic Consequences of the Peace, Cambridge, 1919.

32Fritz Weber, Crash as Cash Can – Crises, Bubbles, Speculators – 1929 and Today, in: transform! European network for alternative thinking and political dialogue, issue 09/2011 (www.transform-network.net/en/journal.html).

33Griechenland beugt sich dem Spardiktat, DerStandard.at, 13.2.2012.

34Karl Bachinger, Felix Butschek, Herbert Matis, Dieter Stiefel (Hg.), Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte, Graz/Wien/Köln, 2001, 47 ff.

35Intellektuelle haben auf diese Maßnahmen mit unverhohlener Ablehnung reagiert, auch in ausländischen Medien. Vgl. den Artikel von György Konrád, Ramsch-Land mit Ramsch-Regierung, www.faz.net/aktuell/feuilleton//konrad-zu-ungarn-ramsch-land-mit-ramsch-regierung-11609241.html (16.1.2012); ähnlich kritisch die Journalisten Kathrin Haimerl und Oliver Das Gupta, Für Orbán ist die EU nur Theater, www.sueddeutsche.de/wie-ungarn-die-kritik.html (19.1.2012).